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Document 62014CC0148

Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 5. Februar 2015.
Bundesrepublik Deutschland gegen Nordzucker AG.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland.
Vorlage zur Vorabentscheidung - Umwelt - Richtlinie 2003/87/EG - System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union - Bestimmung des Umfangs der Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten - Sanktionen - Art. 16 Abs. 1 und 3.
Rechtssache C-148/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:64

Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

1. Die Richtlinie 2003/87/EG(2) ist eines der wesentlichen Rechtsinstrumente, mit denen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten anstreben, ihren Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zur Senkung ihrer anthropogenen Treibhausgasemissionen nachzukommen. Die Richtlinie soll in der Weise zu diesem Ziel beitragen, dass ein effizienter europäischer Markt für Treibhausgasemissionszertifikate unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage errichtet wird(3) .

2. Mit dem vom deutschen Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, zu klären, welche Sanktionen gegebenenfalls Betreibern aufzuerlegen sind, die bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben haben, die den gemäß Art. 15 der Richtlinie geprüften Emissionen im Vorjahr entspricht, die aber nach weiteren Überprüfungen durch die zuständige nationale Behörde für nicht ausreichend befunden wird, um alle Emissionen im Vorjahr abzudecken.

3. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob dieses Verhalten nationalen Sanktionen nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie oder der automatischen Sanktion nach Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie unterliegt.

4. Im Folgenden werde ich ausführen, warum ich der Auffassung bin, dass Ersteres zutreffend ist.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

5. Zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit(4) sah Art. 6 („Voraussetzung für die Erteilung und Inhalt der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen“) der Richtlinie vor:

„(1) Die zuständige Behörde erteilt eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen, durch die die Emission von Treibhausgasen aus der gesamten Anlage oder aus Teilen davon genehmigt wird, wenn sie davon überzeugt ist, dass der Betreiber in der Lage ist, die Emissionen zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten.

(2) Genehmigungen zur Emission von Treibhausgasen enthalten folgende Angaben:

e) eine Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten in Höhe der – nach Artikel 15 geprüften – Gesamtemissionen der Anlage in jedem Kalenderjahr binnen vier Monaten nach Jahresende.“

6. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Betreiber für jede Anlage bis spätestens 30. April jeden Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgibt, die den – nach Artikel 15 geprüften – Gesamtemissionen der Anlage im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht, und dass diese Zertifikate anschließend gelöscht werden.“

7. Art. 15 („Prüfung“) der Richtlinie sah, soweit hier relevant, vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die von den Betreibern gemäß Artikel 14 Absatz 3 vorgelegten Berichte anhand der Kriterien des Anhangs V geprüft werden und die zuständige Behörde hiervon unterrichtet wird.

…“

8. In Art. 16 („Sanktionen“) der Richtlinie heißt es:

„(1) Die Mitgliedstaaten legen Vorschriften über Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und treffen die notwendigen Maßnahmen, um die Durchsetzung dieser Vorschriften zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein …

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Namen der Betreiber, die gegen die Verpflichtungen nach Artikel 12 Absatz 3 zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Zertifikaten verstoßen, veröffentlicht werden.

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Betreibern, die nicht bis zum 30. April jeden Jahres eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten zur Abdeckung ihrer Emissionen im Vorjahr abgeben, eine Sanktion wegen Emissionsüberschreitung auferlegt wird. Die Sanktion wegen Emissionsüberschreitung beträgt für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxidäquivalent, für die der Betreiber keine Zertifikate abgegeben hat, 100 EUR. Die Zahlung der Sanktion entbindet den Betreiber nicht von der Verpflichtung, Zertifikate in Höhe dieser Emissionsüberschreitung abzugeben, wenn er die Zertifikate für das folgende Kalenderjahr abgibt.

…“

B – Nationales Recht

9. Die maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts finden sich im Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (TEHG) vom 8. Juli 2004(5) .

10. § 4 TEHG („Emissionsgenehmigung“) bestimmt:

„(1) Die Freisetzung von Treibhausgasen durch eine Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes bedarf der Genehmigung.

(5) Die Genehmigung enthält folgende Angaben und Bestimmungen:

5. Eine Verpflichtung zur Abgabe von Berechtigungen gemäß § 6.

(8) Erfüllt der Verantwortliche die in § 5 genannten Pflichten nicht, haben Maßnahmen nach den §§ 17 und 18 dieses Gesetzes Vorrang vor Maßnahmen nach § 17 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Bei Verstößen gegen die Pflichten nach § 5 finden die §§ 20 und 21 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes keine Anwendung. Erfüllt der Verantwortliche die in § 6 Abs. 1 genannten Pflichten nicht, finden ausschließlich die Regelungen dieses Gesetzes Anwendung.“

11. § 6 TEHG („Berechtigungen“) sieht vor:

„(1) Der Verantwortliche hat bis zum 30. April eines Jahres, erstmals im Jahr 2006, eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abzugeben, die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht.

…“

12. Abschnitt 5 des TEHG betrifft Sanktionen. § 18 („Durchsetzung der Abgabepflicht“) dieses Gesetzes bestimmt:

„(1) Kommt der Verantwortliche seiner Pflicht nach § 6 Abs. 1 nicht nach, so setzt die zuständige Behörde für jede emittierte Tonne Kohlendioxidäquivalent, für die der Verantwortliche keine Berechtigungen abgegeben hat, eine Zahlungspflicht von 100 Euro, in der ersten Zuteilungsperiode von 40 Euro, fest. Von der Festsetzung einer Zahlungspflicht kann abgesehen werden, wenn der Verantwortliche seiner Pflicht nach § 6 Abs. 1 aufgrund höherer Gewalt nicht nachkommen konnte.

(2) Soweit der Verantwortliche nicht ordnungsgemäß über die durch seine Tätigkeit verursachten Emissionen berichtet hat, schätzt die zuständige Behörde die durch die Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen. Die Schätzung ist unwiderlegliche Basis für die Verpflichtung nach § 6 Abs. 1. Die Schätzung unterbleibt, wenn der Verantwortliche im Rahmen der Anhörung zum Festsetzungsbescheid nach Absatz 1 seiner Berichtspflicht ordnungsgemäß nachkommt.

(3) Der Verantwortliche bleibt verpflichtet, die fehlenden Berechtigungen, im Falle des Absatzes 2 nach Maßgabe der erfolgten Schätzung, bis zum 30. April des Folgejahres abzugeben …“

II – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

13. Die Nordzucker AG (im Folgenden: Nordzucker) betrieb bis zu ihrer Stilllegung im März 2008 eine Zuckerfabrik. Zu der Anlage gehörten ein Dampferzeuger und eine Trocknungsanlage zur thermischen Trocknung von Rübenschnitzeln.

14. Nach Einführung des Emissionshandels teilte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (im Folgenden: Ministerium) dem Verein der Zuckerindustrie auf dessen Anfrage in einem Schreiben vom 17. Juni 2004 mit, dass Trocknungsanlagen als zum Betrieb notwendige Anlagenbestandteile der Zuckerindustrie nicht dem Emissionshandel unterlägen. Ein im Verbund mit einer Anlage zur Herstellung oder Raffination von Zucker als Nebeneinrichtung betriebenes Kesselhaus zur Dampf- und Stromerzeugung sei hingegen emissionshandelspflichtig, wenn der Schwellenwert der Feuerungswärmeleistung überschritten sei.

15. Nordzucker erstellte für das Jahr 2005 einen Emissionsbericht. Der Bericht wies für den Dampferzeuger Gesamtemissionen in Höhe von 40 288 Tonnen Kohlendioxid aus. Diese Menge umfasste nicht die Emissionen, die bei der Erzeugung des Dampfes für den Betrieb der Trocknungsanlage angefallen waren. Eine sachverständige Stelle prüfte den Bericht, bewertete ihn als zufriedenstellend und erklärte ihr Einverständnis mit der Eintragung der ausgewiesenen Emissionen im Register. Der Bericht wurde über die zuständige Landesbehörde am 16. März 2006 an die Deutsche Emissionshandelsstelle (im Folgenden: Emissionshandelsstelle) weitergeleitet. Zum 30. April 2006 gab Nordzucker eine dem Bericht entsprechende Anzahl von Emissionsberechtigungen an die Emissionshandelsstelle ab.

16. In der Folge prüfte die Emissionshandelsstelle den Emissionsbericht und forderte Nordzucker zu dessen Nachbesserung u. a. unter Berücksichtigung der Zuordnung der Emissionen zu den verschiedenen Anlagenteilen auf. Nordzucker machte geltend, sie sei aufgrund des Schreibens des Ministeriums der Auffassung gewesen, dass Trocknungsanlagen nicht emissionshandelspflichtig seien und deshalb auch die auf ihren Betrieb entfallenden Emissionen eines Dampferzeugers nicht berichtet werden müssten. Gleichwohl korrigierte sie ihren Emissionsbericht, wie von der Emissionshandelsstelle verlangt. Als Ergebnis wies Nordzucker Gesamtemissionen in Höhe von 42 961 Tonnen Kohlendioxid aus und gab am 24. April 2007 Berechtigungen für weitere 2 673 Tonnen ab.

17. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2007 setzten die deutschen Behörden nach § 18 Abs. 1 Satz 1 TEHG gegen Nordzucker eine Sanktion in Höhe von 106 920 Euro fest. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde mit Bescheid vom 14. April 2009 zurückgewiesen.

18. Nordzucker focht diese Bescheide beim Verwaltungsgericht an, das die Bescheide mit Urteil vom 11. Juni 2010 aufhob. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 wies das Oberverwaltungsgericht die Berufung der deutschen Behörden gegen das erstinstanzliche Urteil zurück. Daraufhin legten die deutschen Behörden gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.

19. Da das Bundesverwaltungsgericht Zweifel in Bezug auf die Auslegung von Art. 16 der Richtlinie hegt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 16 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen, dass die Sanktion wegen Emissionsüberschreitung auch dann auferlegt werden muss, wenn der Betreiber bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die den Gesamtemissionen entspricht, die er in seinem von der prüfenden Instanz als zufriedenstellend bewerteten Bericht über die Emissionen der Anlage im Vorjahr angegeben hat, die zuständige Behörde aber nach dem 30. April feststellt, dass die Gesamtmenge der Emissionen im geprüften Emissionsbericht fehlerhaft zu niedrig angegeben worden ist, der Bericht korrigiert wird und der Betreiber die weiteren Zertifikate innerhalb der neuen Frist abgibt?

20. Im vorliegenden Verfahren haben Nordzucker, die Emissionshandelsstelle, die deutsche, die tschechische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, keine mündliche Verhandlung durchzuführen.

III – Analyse

21. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion auf einen Betreiber anzuwenden ist, der bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die seinen nach Art. 15 der Richtlinie geprüften Emissionen im Vorjahr entsprechen, die sich aber bei einer weiteren Prüfung durch die zuständige nationale Behörde als nicht ausreichend herausstellen, um die Gesamtemissionen des Betreibers im Vorjahr abzudecken.

22. In seiner ausführlichen Vorlageentscheidung erläutert das Bundesverwaltungsgericht, dass zwei unterschiedliche Ansätze möglich seien und dass es zwingende Argumente für beide sehe. Gleichwohl ist dieses Gericht hauptsächlich aufgrund des Wortlauts der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Ansicht, dass die Frage zu verneinen sei.

23. Die beiden Ansätze sind auch von den Beteiligten erörtert worden, die Erklärungen in diesem Verfahren abgegeben haben. Auf der einen Seite machen Nordzucker, die tschechische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission im Wesentlichen geltend, dass Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie einschränkend auszulegen sei. Demnach würde diese Bestimmung auf den vom vorlegenden Gericht beschriebenen Sachverhalt keine Anwendung finden.

24. Auf der anderen Seite schlagen die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle vor, dass der Gerichtshof die Frage bejahen solle. Ihrer Ansicht nach können zwischen dem Sachverhalt des beim vorlegenden Gericht anhängigen Falles und dem vom Gerichtshof im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka(6) entschiedenen Fall Parallelen gezogen werden. In jenem Fall hat der Gerichtshof bestätigt, dass die Sanktion nach Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie automatisch auf Betreiber Anwendung findet, die bis zum 30. April eines Jahres keine ausreichende Zahl von Zertifikaten abgegeben haben, und klargestellt, dass die Höhe dieser Sanktion vom nationalen Gericht nicht angepasst werden darf.

25. Wie ich weiter ausführen werde, bin ich der Ansicht, dass trotz des in gewisser Weise mehrdeutigen Wortlauts von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie eine systematische und teleologische Lesart dieser Bestimmung die Argumente von Nordzucker, der tschechischen und der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission stützt. Obschon ich die Bedenken der deutschen Regierung und der Emissionshandelsstelle im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Bestimmung nachvollziehen kann, meine ich, dass sie letztlich nicht begründet sind. Ebenso verstehe ich das Urteil in der Rechtssache Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka nicht so, dass es den von diesen Beteiligten vertretenen Standpunkt stützt.

26. Zunächst ist anzuerkennen, dass der Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie hinsichtlich der Verpflichtung, die unter Androhung der dort vorgesehenen Sanktion zu erfüllen ist, nicht ganz eindeutig ist. Tatsächlich verlangt die Bestimmung von den Mitgliedstaaten, „Betreibern, die nicht bis zum 30. April jeden Jahres eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten zur Abdeckung ihrer Emissionen im Vorjahr abgeben,“ eine Sanktion wegen Emissionsüberschreitung aufzuerlegen.

27. Wie das vorlegende Gericht zutreffend ausführt, ist keine der vorgeschlagenen Auslegungen auf den ersten Blick mit dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie unvereinbar. Daher kann diese Bestimmung dahin verstanden werden, dass sie sich auf im Vorjahr erzeugte und nach Art. 15 der Richtlinie geprüfte Emissionen oder auf alle im Vorjahr erzeugten Emissionen bezieht, wie diese in einem abschließenden Bericht, möglicherweise nach weiteren Kontrollen durch die zuständigen nationalen Behörden, festgestellt werden.

28. Wird Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie indessen in seinem richtigen Zusammenhang gelesen, wird meines Erachtens klar, dass die erste Auslegung die richtige ist.

29. Hervorzuheben ist zunächst, dass eine der Säulen, auf denen das von der Richtlinie errichtete System beruht, die Verpflichtung der Betreiber ist, eine Anzahl von Zertifikaten abzugeben, die ihren Gesamtemissionen im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht. Es ist Sache jedes einzelnen Betreibers, den zuständigen Behörden im Einklang mit den Bestimmungen und Grundsätzen der Ad-hoc -Leitlinien der Kommission Bericht über seine Emissionen zu erstatten(7) (Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie).

30. In Anbetracht der Bedeutung dieses Vorgangs und des finanziellen Vorteils, der Betreibern entstehen kann, wenn sie ihre Emissionen im Bericht zu niedrig angeben, hat der Unionsgesetzgeber jedoch beschlossen, dass sich die Behörden nicht automatisch auf die von den Betreibern übermittelten Berichte verlassen können, sondern dass diese erst einem besonderen Prüfungsverfahren unterzogen werden müssen. Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie und ihrem Anhang V muss die prüfende Instanz „unabhängig vom Betreiber sein, ihre Aufgabe professionell und objektiv ausführen“ und für die Aufgabe qualifiziert sein. Sie muss die von den Betreibern vorgelegten Berichte und die Überwachungssysteme im Vorjahr im Hinblick auf – insbesondere – „Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Genauigkeit“ prüfen.

31. Diese Prüfung stellt einen zentralen Verfahrensschritt dar. Wenn ein Bericht nicht als zufriedenstellend bewertet wird, kommt das Verfahren zum Stillstand. Der Betreiber kann keine weiteren Zertifikate übertragen, bis dieser Bericht als zufriedenstellend bewertet worden ist (Art. 15 Abs. 2). Wenn die Prüfung umgekehrt zu einem positiven Ergebnis führt, hat der Betreiber, wie oben erwähnt, bis zum 30. April desselben Jahres die Zertifikate abzugeben, die den erzeugten Gesamtemissionen entsprechen. Denn in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie heißt es ausdrücklich, dass sich die Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten auf diejenigen bezieht, die „den nach Artikel 15 geprüften“ Emissionen entsprechen.

32. Die Richtlinie sieht zumindest nicht ausdrücklich eine weitere Kontrolle oder Prüfung der Anzahl der bereits nach Art. 15 geprüften Zertifikate vor. Sie enthält auch keine Bestimmung, die zur Abgabe zusätzlicher Zertifikatmengen nach dem 30. April verpflichtet, sollten die nationalen Behörden feststellen, dass diese Zertifikate – aus welchem Grund auch immer – die Gesamtemissionen nicht abdecken.

33. Die Richtlinie kann eindeutig nicht dahin ausgelegt werden, dass sie weitere Kontrollen durch die zuständigen Behörden ausschließt oder dem Betreiber die Möglichkeit versagt, nach dem 30. April zusätzliche Zertifikate abzugeben, um seine Verpflichtung zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Emissionszertifikaten zu erfüllen. Im Gegenteil scheint mir, dass nationale Vorschriften, wonach das eine oder das andere zulässig ist, das von der Richtlinie errichtete System nur stärken würden.

34. Die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion kann sich nur auf das Versäumnis beziehen, der Verpflichtung, die diese Bestimmung dem Betreiber ausdrücklich auferlegt, nachzukommen, nämlich der Verpflichtung, bis zum 30. April die geschuldete Anzahl von Zertifikaten – wie von der sachverständigen Stelle geprüft – abzugeben. Es wäre widersinnig, die Richtlinie dahin auszulegen, dass es erforderlich ist, wegen eines Verstoßes gegen eine Verpflichtung, die sie nicht eindeutig festlegt, automatisch eine Sanktion aufzuerlegen.

35. Die Tatsache, dass die Anzahl der – nach Art. 15 geprüften – Zertifikate von zentraler Bedeutung für das Funktionieren des von der Richtlinie errichteten Systems ist, wird auch durch die gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie veröffentlichten Leitlinien bestätigt(8) . In Nr. 7.4 der Leitlinien heißt es: „Anhand der im Emissionsbericht, der als zufriedenstellend bewertet wurde , für die Gesamtemissionen ausgewiesenen Zahl prüft die zuständige Behörde dann, ob der Betreiber für die betreffende Anlage eine genügende Anzahl Zertifikate abgegeben hat“(9) .

36. Dieses Verständnis scheint durch die Vorarbeiten zur Richtlinie gestützt zu werden. In Nr. 17 der Begründung zu dem von der Kommission am 23. Oktober 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie wird ausgeführt: „Fälle von Verstößen gegen die Verpflichtung, ausreichend Berechtigungen abzugeben, um die geprüften Emissionen abzudecken, müssen in der gesamten Europäischen [Union] schlüssig und konsequent geahndet werden. Dies würde erreicht durch die Verhängung einer Geldstrafe …“(10) .

37. Interessanterweise bezog sich Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie, der die Veröffentlichung der Namen der Betreiber betrifft, die gegen die Verpflichtung verstoßen, eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten abzugeben, in seiner ursprünglichen Fassung, die für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblich ist, auf die „Verpflichtung nach Artikel 12 Absatz 3“ der Richtlinie(11) . Man könnte natürlich argumentieren, dass die Abs. 2 und 3 von Art. 16 der Richtlinie, da sie unterschiedlich gefasst waren und noch immer unterschiedlich gefasst sind, verschiedene Verstöße betreffen. Tatsächlich machen die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle geltend, dass Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie einen weiteren Anwendungsbereich habe als Art. 16 Abs. 2.

38. Diese Lesart wird allerdings durch die Vorarbeiten nicht gestützt. Der unterschiedliche Wortlaut der beiden Absätze erklärt sich vielmehr durch den Umstand, dass Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie in dem von der Kommission ursprünglich vorgelegten Vorschlag auf alle Verstöße gegen nationale Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie Anwendung finden sollte, während Abs. 3 das Versäumnis, eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten abzugeben, sanktionieren sollte. Das Parlament war jedoch der Auffassung – und die Kommission folgte ihm hierin – dass ein System der „Nennung und Anprangerung“ bei vielen Arten von Verstößen gegen die Richtlinie, einschließlich solcher, die nationale Umsetzungsmaßnahmen beträfen, unangemessen sei und daher auf diejenigen beschränkt werden sollte, in denen die Betreiber keine ausreichende Zahl von Zertifikaten abgegeben hätten(12) .

39. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie scheint somit darauf hinzudeuten, dass der Unterschied im Wortlaut der beiden Absätze keine Entscheidung seitens des Unionsgesetzgebers widerspiegelte, einen Unterschied zwischen den Arten der jeweils erfassten Verstöße zu machen.

40. Eine weitere Bestätigung dieser Auslegung lässt sich im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka finden, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie, eine Anzahl von Zertifikaten abzugeben, die den nach Art. 15 geprüften Gesamtemissionen im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht, „als Einzige in der Richtlinie 2003/87 selbst mit einer präzisen Sanktionsandrohung bewehrt [ist], während die Sanktionen für alle anderen ihren Bestimmungen zuwiderlaufenden Verhaltensweisen nach Art. 16 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten festzulegen sind“(13) .

41. Ein anderes Verständnis von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie würde darüber hinaus ein Problem im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der in dieser Bestimmung festgelegten Sanktion aufwerfen.

42. Im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka hat der Gerichtshof nämlich auch entschieden, dass die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene festgelegte und automatische Sanktion verhältnismäßig ist, da die Betreiber in der Lage sind, die genaue Anzahl der abzugebenden Zertifikate zu kennen (aufgrund der Prüfung nach Art. 15), und ihnen eine angemessene Frist gelassen wird, um dieser Pflicht nachzukommen. Offensichtlich würde ein sorgfältiger Betreiber die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht bis zum letzten Augenblick hinausschieben. Daher war der Gerichtshof nicht der Ansicht, dass die nationalen Gerichte wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Lage sein sollten, die Höhe der in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehenen Sanktion anzupassen, selbst wenn eingewandt werden könnte, dass die Nichterfüllung durch den Betreiber auf „unternehmensinterne administrative Versäumnisse“ zurückzuführen sei(14) .

43. Auf der Grundlage der Informationen, die der Vorlageentscheidung entnommen werden können, scheint sich der vorliegende Fall jedoch vom vorgenannten durchaus zu unterscheiden. Nordzucker macht nämlich geltend, dass ihr Irrtum darauf zurückzuführen gewesen sei, dass sich die Gesellschaft auf ein Schreiben des Ministeriums verlassen habe, in dem ausgeführt worden sei, dass eine der von Nordzucker betriebenen Arten von Anlagen (die Trocknungsanlagen) nicht emissionshandelspflichtig sei. Zudem war der Bericht von einer sachverständigen Stelle nach Art. 15 der Richtlinie ordnungsgemäß geprüft worden. Erst danach, also nach dem 30. April, teilten die deutschen Behörden Nordzucker mit, dass die Anzahl der abgegebenen Zertifikate nicht ausreichend sei, da die von den Trocknungsanlagen erzeugten Emissionen im Rahmen der Richtlinie ebenfalls zu berücksichtigen gewesen wären.

44. Soweit das Verhalten von Nordzucker überhaupt sanktionsbewehrt sein sollte – was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist –, war Nordzucker zumindest vor dem 30. April nicht in der Lage, mit hinreichender Sicherheit die Gesamtzahl der abzugebenden Zertifikate zu kennen. Würde unter solchen Umständen eine hohe Geldstrafe auferlegt, könnte dies daher ernsthafte Probleme der Verhältnismäßigkeit aufwerfen.

45. Nach Ansicht der deutschen Regierung und der Emissionshandelsstelle wäre es demgegenüber unverhältnismäßig, diese Sanktion auf jede Art eines Verstoßes gegen die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie niedergelegte Pflicht anzuwenden, während Betreiber, die bei der den Bericht prüfenden sachverständigen Stelle einen Irrtum hervorgerufen haben könnten (beispielsweise durch die Übermittlung irreführender Angaben oder anderes betrügerisches Verhalten) der Sanktion entgingen.

46. Dem kann ich mich nicht anschließen. Der Umstand, dass die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion nicht anwendbar ist, bedeutet nicht, dass diesen Betreibern gar keine Sanktion auferlegt werden kann. Denn nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten Vorschriften über Sanktionen festzulegen, die bei einem Verstoß gegen die gemäß der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und die Sanktionen müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein(15) .

47. Es ist somit Sache der nationalen Behörden, Sanktionen vorzusehen, die gegen Betreiber verhängt werden können, die, obschon sie der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie niedergelegten Verpflichtung nachkommen, andere Arten von Verstößen begehen, die das ordnungsgemäße Funktionieren des von der Richtlinie errichteten Emissionshandelssystems beeinträchtigen. Diese Sanktionen müssen einerseits wirksam und abschreckend sein. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass betrügerisches Verhalten, auf das sich die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle beziehen, scharfen Sanktionen unterliegen kann (und sollte). Andererseits müssen diese Sanktionen verhältnismäßig sein. Das impliziert, dass Situationen wie die, in der sich Nordzucker befindet, einer Würdigung unterzogen werden müssen, in der alle relevanten tatsächlichen Umstände (wie guter Glaube eines Unternehmens, ob der Irrtum bei dem Unternehmen durch die Behörden selbst hervorgerufen wurde usw.) berücksichtigt werden, um darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Sanktion zu verhängen ist.

48. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Art des Versäumnisses, die Nordzucker anzulasten ist, nicht von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie erfasst wird, sondern gegebenenfalls unter Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie fällt.

IV – Ergebnis

49. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt zu antworten:

Die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates vorgesehene Sanktion ist nicht auf einen Betreiber anzuwenden, der bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die den nach Art. 15 der Richtlinie geprüften Gesamtemissionen im Vorjahr entspricht, die jedoch nach einer weiteren Überprüfung durch die zuständige nationale Behörde für nicht ausreichend befunden wird, um alle Emissionen des Betreibers im Vorjahr abzudecken. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, Vorschriften über Sanktionen festzulegen, die gegebenenfalls auf solche Arten eines Verstoßes anwendbar sind. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(1) .

(2) – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) (im Folgenden: Richtlinie).

(3) – Vgl. Erwägungsgründe 3 bis 5 der Richtlinie.

(4) – Die Richtlinie ist inzwischen mehrfach geändert worden. Es scheint jedoch, dass keine der späteren Änderungen für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist.

(5) – BGBl. I S. 1578.

(6) – C‑203/12, EU:C:2013:664.

(7) – Entscheidung 2004/156/EG der Kommission vom 29. Januar 2004 zur Festlegung von Leitlinien für Überwachung und Berichterstattung betreffend Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 59, S. 1) (im Folgenden: Leitlinien).

(8) – Ebd.

(9) – Hervorhebung nur hier. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Leitlinien nicht als eine Maßnahme nicht zwingenden Rechts erlassen wurden, sondern, wie in Fn. 6 ausgeführt, in Form einer Entscheidung der Kommission, mithin in Form eines Aktes mit Rechtswirkungen.

(10) – KOM(2001) 581endg. Hervorhebung nur hier.

(11) – In seiner aktuellen Fassung bezieht sich Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie auf „die Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Zertifikaten“ (Hervorhebung nur hier). Diese Änderung erfolgte durch die Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (ABl. 2009, L 8, S. 3), die die Emissionshandelsregelung auf Luftfahrzeugbetreiber erweiterte. Die Änderung sollte den erweiterten Anwendungsbereich der Richtlinie zum Ausdruck bringen. Wie von der Regierung des Vereinigten Königreichs jedoch zutreffend angemerkt wurde, enthielt diese Neufassung von Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie keine Änderung in Bezug auf die Verpflichtungen der Betreiber von Anlagen.

(12) – Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ENDGÜLTIG A5-0303/2002), S. 29.

(13) – Vgl. Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka (EU:C:2013:664, Rn. 25) (Hervorhebung nur hier).

(14) – Ebd., Rn. 19 und 33 bis 42.

(15) – Hervorhebung nur hier.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 5. Februar 2015 ( 1 )

Rechtssache C‑148/14

Bundesrepublik Deutschland

gegen

Nordzucker AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Deutschland])

„Umwelt — System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten — Art. 16 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/87/EG — Überwachung und Berichterstattung betreffend Emissionen — Prüfung der von den Betreibern vorgelegten Berichte — Sanktionen — Verhältnismäßigkeit“

1. 

Die Richtlinie 2003/87/EG ( 2 ) ist eines der wesentlichen Rechtsinstrumente, mit denen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten anstreben, ihren Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zur Senkung ihrer anthropogenen Treibhausgasemissionen nachzukommen. Die Richtlinie soll in der Weise zu diesem Ziel beitragen, dass ein effizienter europäischer Markt für Treibhausgasemissionszertifikate unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage errichtet wird ( 3 ).

2. 

Mit dem vom deutschen Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, zu klären, welche Sanktionen gegebenenfalls Betreibern aufzuerlegen sind, die bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben haben, die den gemäß Art. 15 der Richtlinie geprüften Emissionen im Vorjahr entspricht, die aber nach weiteren Überprüfungen durch die zuständige nationale Behörde für nicht ausreichend befunden wird, um alle Emissionen im Vorjahr abzudecken.

3. 

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob dieses Verhalten nationalen Sanktionen nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie oder der automatischen Sanktion nach Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie unterliegt.

4. 

Im Folgenden werde ich ausführen, warum ich der Auffassung bin, dass Ersteres zutreffend ist.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

5.

Zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit ( 4 ) sah Art. 6 („Voraussetzung für die Erteilung und Inhalt der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen“) der Richtlinie vor:

„(1)   Die zuständige Behörde erteilt eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen, durch die die Emission von Treibhausgasen aus der gesamten Anlage oder aus Teilen davon genehmigt wird, wenn sie davon überzeugt ist, dass der Betreiber in der Lage ist, die Emissionen zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten.

(2)   Genehmigungen zur Emission von Treibhausgasen enthalten folgende Angaben:

e)

eine Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten in Höhe der – nach Artikel 15 geprüften – Gesamtemissionen der Anlage in jedem Kalenderjahr binnen vier Monaten nach Jahresende.“

6.

Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Betreiber für jede Anlage bis spätestens 30. April jeden Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgibt, die den – nach Artikel 15 geprüften – Gesamtemissionen der Anlage im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht, und dass diese Zertifikate anschließend gelöscht werden.“

7.

Art. 15 („Prüfung“) der Richtlinie sah, soweit hier relevant, vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die von den Betreibern gemäß Artikel 14 Absatz 3 vorgelegten Berichte anhand der Kriterien des Anhangs V geprüft werden und die zuständige Behörde hiervon unterrichtet wird.

…“

8.

In Art. 16 („Sanktionen“) der Richtlinie heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten legen Vorschriften über Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und treffen die notwendigen Maßnahmen, um die Durchsetzung dieser Vorschriften zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein …

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Namen der Betreiber, die gegen die Verpflichtungen nach Artikel 12 Absatz 3 zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Zertifikaten verstoßen, veröffentlicht werden.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Betreibern, die nicht bis zum 30. April jeden Jahres eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten zur Abdeckung ihrer Emissionen im Vorjahr abgeben, eine Sanktion wegen Emissionsüberschreitung auferlegt wird. Die Sanktion wegen Emissionsüberschreitung beträgt für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxidäquivalent, für die der Betreiber keine Zertifikate abgegeben hat, 100 EUR. Die Zahlung der Sanktion entbindet den Betreiber nicht von der Verpflichtung, Zertifikate in Höhe dieser Emissionsüberschreitung abzugeben, wenn er die Zertifikate für das folgende Kalenderjahr abgibt.

…“

B – Nationales Recht

9.

Die maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts finden sich im Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (TEHG) vom 8. Juli 2004 ( 5 ).

10.

§ 4 TEHG („Emissionsgenehmigung“) bestimmt:

„(1)   Die Freisetzung von Treibhausgasen durch eine Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes bedarf der Genehmigung.

(5)   Die Genehmigung enthält folgende Angaben und Bestimmungen:

5.

Eine Verpflichtung zur Abgabe von Berechtigungen gemäß § 6.

(8)   Erfüllt der Verantwortliche die in § 5 genannten Pflichten nicht, haben Maßnahmen nach den §§ 17 und 18 dieses Gesetzes Vorrang vor Maßnahmen nach § 17 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Bei Verstößen gegen die Pflichten nach § 5 finden die §§ 20 und 21 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes keine Anwendung. Erfüllt der Verantwortliche die in § 6 Abs. 1 genannten Pflichten nicht, finden ausschließlich die Regelungen dieses Gesetzes Anwendung.“

11.

§ 6 TEHG („Berechtigungen“) sieht vor:

„(1) Der Verantwortliche hat bis zum 30. April eines Jahres, erstmals im Jahr 2006, eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abzugeben, die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht.

…“

12.

Abschnitt 5 des TEHG betrifft Sanktionen. § 18 („Durchsetzung der Abgabepflicht“) dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)   Kommt der Verantwortliche seiner Pflicht nach § 6 Abs. 1 nicht nach, so setzt die zuständige Behörde für jede emittierte Tonne Kohlendioxidäquivalent, für die der Verantwortliche keine Berechtigungen abgegeben hat, eine Zahlungspflicht von 100 Euro, in der ersten Zuteilungsperiode von 40 Euro, fest. Von der Festsetzung einer Zahlungspflicht kann abgesehen werden, wenn der Verantwortliche seiner Pflicht nach § 6 Abs. 1 aufgrund höherer Gewalt nicht nachkommen konnte.

(2)   Soweit der Verantwortliche nicht ordnungsgemäß über die durch seine Tätigkeit verursachten Emissionen berichtet hat, schätzt die zuständige Behörde die durch die Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen. Die Schätzung ist unwiderlegliche Basis für die Verpflichtung nach § 6 Abs. 1. Die Schätzung unterbleibt, wenn der Verantwortliche im Rahmen der Anhörung zum Festsetzungsbescheid nach Absatz 1 seiner Berichtspflicht ordnungsgemäß nachkommt.

(3)   Der Verantwortliche bleibt verpflichtet, die fehlenden Berechtigungen, im Falle des Absatzes 2 nach Maßgabe der erfolgten Schätzung, bis zum 30. April des Folgejahres abzugeben …“

II – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

13.

Die Nordzucker AG (im Folgenden: Nordzucker) betrieb bis zu ihrer Stilllegung im März 2008 eine Zuckerfabrik. Zu der Anlage gehörten ein Dampferzeuger und eine Trocknungsanlage zur thermischen Trocknung von Rübenschnitzeln.

14.

Nach Einführung des Emissionshandels teilte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (im Folgenden: Ministerium) dem Verein der Zuckerindustrie auf dessen Anfrage in einem Schreiben vom 17. Juni 2004 mit, dass Trocknungsanlagen als zum Betrieb notwendige Anlagenbestandteile der Zuckerindustrie nicht dem Emissionshandel unterlägen. Ein im Verbund mit einer Anlage zur Herstellung oder Raffination von Zucker als Nebeneinrichtung betriebenes Kesselhaus zur Dampf- und Stromerzeugung sei hingegen emissionshandelspflichtig, wenn der Schwellenwert der Feuerungswärmeleistung überschritten sei.

15.

Nordzucker erstellte für das Jahr 2005 einen Emissionsbericht. Der Bericht wies für den Dampferzeuger Gesamtemissionen in Höhe von 40288 Tonnen Kohlendioxid aus. Diese Menge umfasste nicht die Emissionen, die bei der Erzeugung des Dampfes für den Betrieb der Trocknungsanlage angefallen waren. Eine sachverständige Stelle prüfte den Bericht, bewertete ihn als zufriedenstellend und erklärte ihr Einverständnis mit der Eintragung der ausgewiesenen Emissionen im Register. Der Bericht wurde über die zuständige Landesbehörde am 16. März 2006 an die Deutsche Emissionshandelsstelle (im Folgenden: Emissionshandelsstelle) weitergeleitet. Zum 30. April 2006 gab Nordzucker eine dem Bericht entsprechende Anzahl von Emissionsberechtigungen an die Emissionshandelsstelle ab.

16.

In der Folge prüfte die Emissionshandelsstelle den Emissionsbericht und forderte Nordzucker zu dessen Nachbesserung u. a. unter Berücksichtigung der Zuordnung der Emissionen zu den verschiedenen Anlagenteilen auf. Nordzucker machte geltend, sie sei aufgrund des Schreibens des Ministeriums der Auffassung gewesen, dass Trocknungsanlagen nicht emissionshandelspflichtig seien und deshalb auch die auf ihren Betrieb entfallenden Emissionen eines Dampferzeugers nicht berichtet werden müssten. Gleichwohl korrigierte sie ihren Emissionsbericht, wie von der Emissionshandelsstelle verlangt. Als Ergebnis wies Nordzucker Gesamtemissionen in Höhe von 42961 Tonnen Kohlendioxid aus und gab am 24. April 2007 Berechtigungen für weitere 2673 Tonnen ab.

17.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2007 setzten die deutschen Behörden nach § 18 Abs. 1 Satz 1 TEHG gegen Nordzucker eine Sanktion in Höhe von 106920 Euro fest. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde mit Bescheid vom 14. April 2009 zurückgewiesen.

18.

Nordzucker focht diese Bescheide beim Verwaltungsgericht an, das die Bescheide mit Urteil vom 11. Juni 2010 aufhob. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 wies das Oberverwaltungsgericht die Berufung der deutschen Behörden gegen das erstinstanzliche Urteil zurück. Daraufhin legten die deutschen Behörden gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.

19.

Da das Bundesverwaltungsgericht Zweifel in Bezug auf die Auslegung von Art. 16 der Richtlinie hegt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 16 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen, dass die Sanktion wegen Emissionsüberschreitung auch dann auferlegt werden muss, wenn der Betreiber bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die den Gesamtemissionen entspricht, die er in seinem von der prüfenden Instanz als zufriedenstellend bewerteten Bericht über die Emissionen der Anlage im Vorjahr angegeben hat, die zuständige Behörde aber nach dem 30. April feststellt, dass die Gesamtmenge der Emissionen im geprüften Emissionsbericht fehlerhaft zu niedrig angegeben worden ist, der Bericht korrigiert wird und der Betreiber die weiteren Zertifikate innerhalb der neuen Frist abgibt?

20.

Im vorliegenden Verfahren haben Nordzucker, die Emissionshandelsstelle, die deutsche, die tschechische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, keine mündliche Verhandlung durchzuführen.

III – Analyse

21.

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion auf einen Betreiber anzuwenden ist, der bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die seinen nach Art. 15 der Richtlinie geprüften Emissionen im Vorjahr entsprechen, die sich aber bei einer weiteren Prüfung durch die zuständige nationale Behörde als nicht ausreichend herausstellen, um die Gesamtemissionen des Betreibers im Vorjahr abzudecken.

22.

In seiner ausführlichen Vorlageentscheidung erläutert das Bundesverwaltungsgericht, dass zwei unterschiedliche Ansätze möglich seien und dass es zwingende Argumente für beide sehe. Gleichwohl ist dieses Gericht hauptsächlich aufgrund des Wortlauts der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Ansicht, dass die Frage zu verneinen sei.

23.

Die beiden Ansätze sind auch von den Beteiligten erörtert worden, die Erklärungen in diesem Verfahren abgegeben haben. Auf der einen Seite machen Nordzucker, die tschechische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission im Wesentlichen geltend, dass Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie einschränkend auszulegen sei. Demnach würde diese Bestimmung auf den vom vorlegenden Gericht beschriebenen Sachverhalt keine Anwendung finden.

24.

Auf der anderen Seite schlagen die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle vor, dass der Gerichtshof die Frage bejahen solle. Ihrer Ansicht nach können zwischen dem Sachverhalt des beim vorlegenden Gericht anhängigen Falles und dem vom Gerichtshof im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka ( 6 ) entschiedenen Fall Parallelen gezogen werden. In jenem Fall hat der Gerichtshof bestätigt, dass die Sanktion nach Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie automatisch auf Betreiber Anwendung findet, die bis zum 30. April eines Jahres keine ausreichende Zahl von Zertifikaten abgegeben haben, und klargestellt, dass die Höhe dieser Sanktion vom nationalen Gericht nicht angepasst werden darf.

25.

Wie ich weiter ausführen werde, bin ich der Ansicht, dass trotz des in gewisser Weise mehrdeutigen Wortlauts von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie eine systematische und teleologische Lesart dieser Bestimmung die Argumente von Nordzucker, der tschechischen und der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission stützt. Obschon ich die Bedenken der deutschen Regierung und der Emissionshandelsstelle im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Bestimmung nachvollziehen kann, meine ich, dass sie letztlich nicht begründet sind. Ebenso verstehe ich das Urteil in der Rechtssache Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka nicht so, dass es den von diesen Beteiligten vertretenen Standpunkt stützt.

26.

Zunächst ist anzuerkennen, dass der Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie hinsichtlich der Verpflichtung, die unter Androhung der dort vorgesehenen Sanktion zu erfüllen ist, nicht ganz eindeutig ist. Tatsächlich verlangt die Bestimmung von den Mitgliedstaaten, „Betreibern, die nicht bis zum 30. April jeden Jahres eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten zur Abdeckung ihrer Emissionen im Vorjahr abgeben,“ eine Sanktion wegen Emissionsüberschreitung aufzuerlegen.

27.

Wie das vorlegende Gericht zutreffend ausführt, ist keine der vorgeschlagenen Auslegungen auf den ersten Blick mit dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie unvereinbar. Daher kann diese Bestimmung dahin verstanden werden, dass sie sich auf im Vorjahr erzeugte und nach Art. 15 der Richtlinie geprüfte Emissionen oder auf alle im Vorjahr erzeugten Emissionen bezieht, wie diese in einem abschließenden Bericht, möglicherweise nach weiteren Kontrollen durch die zuständigen nationalen Behörden, festgestellt werden.

28.

Wird Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie indessen in seinem richtigen Zusammenhang gelesen, wird meines Erachtens klar, dass die erste Auslegung die richtige ist.

29.

Hervorzuheben ist zunächst, dass eine der Säulen, auf denen das von der Richtlinie errichtete System beruht, die Verpflichtung der Betreiber ist, eine Anzahl von Zertifikaten abzugeben, die ihren Gesamtemissionen im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht. Es ist Sache jedes einzelnen Betreibers, den zuständigen Behörden im Einklang mit den Bestimmungen und Grundsätzen der Ad-hoc-Leitlinien der Kommission Bericht über seine Emissionen zu erstatten ( 7 ) (Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie).

30.

In Anbetracht der Bedeutung dieses Vorgangs und des finanziellen Vorteils, der Betreibern entstehen kann, wenn sie ihre Emissionen im Bericht zu niedrig angeben, hat der Unionsgesetzgeber jedoch beschlossen, dass sich die Behörden nicht automatisch auf die von den Betreibern übermittelten Berichte verlassen können, sondern dass diese erst einem besonderen Prüfungsverfahren unterzogen werden müssen. Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie und ihrem Anhang V muss die prüfende Instanz „unabhängig vom Betreiber sein, ihre Aufgabe professionell und objektiv ausführen“ und für die Aufgabe qualifiziert sein. Sie muss die von den Betreibern vorgelegten Berichte und die Überwachungssysteme im Vorjahr im Hinblick auf – insbesondere – „Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Genauigkeit“ prüfen.

31.

Diese Prüfung stellt einen zentralen Verfahrensschritt dar. Wenn ein Bericht nicht als zufriedenstellend bewertet wird, kommt das Verfahren zum Stillstand. Der Betreiber kann keine weiteren Zertifikate übertragen, bis dieser Bericht als zufriedenstellend bewertet worden ist (Art. 15 Abs. 2). Wenn die Prüfung umgekehrt zu einem positiven Ergebnis führt, hat der Betreiber, wie oben erwähnt, bis zum 30. April desselben Jahres die Zertifikate abzugeben, die den erzeugten Gesamtemissionen entsprechen. Denn in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie heißt es ausdrücklich, dass sich die Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten auf diejenigen bezieht, die „den nach Artikel 15 geprüften“ Emissionen entsprechen.

32.

Die Richtlinie sieht zumindest nicht ausdrücklich eine weitere Kontrolle oder Prüfung der Anzahl der bereits nach Art. 15 geprüften Zertifikate vor. Sie enthält auch keine Bestimmung, die zur Abgabe zusätzlicher Zertifikatmengen nach dem 30. April verpflichtet, sollten die nationalen Behörden feststellen, dass diese Zertifikate – aus welchem Grund auch immer – die Gesamtemissionen nicht abdecken.

33.

Die Richtlinie kann eindeutig nicht dahin ausgelegt werden, dass sie weitere Kontrollen durch die zuständigen Behörden ausschließt oder dem Betreiber die Möglichkeit versagt, nach dem 30. April zusätzliche Zertifikate abzugeben, um seine Verpflichtung zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Emissionszertifikaten zu erfüllen. Im Gegenteil scheint mir, dass nationale Vorschriften, wonach das eine oder das andere zulässig ist, das von der Richtlinie errichtete System nur stärken würden.

34.

Die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion kann sich nur auf das Versäumnis beziehen, der Verpflichtung, die diese Bestimmung dem Betreiber ausdrücklich auferlegt, nachzukommen, nämlich der Verpflichtung, bis zum 30. April die geschuldete Anzahl von Zertifikaten – wie von der sachverständigen Stelle geprüft – abzugeben. Es wäre widersinnig, die Richtlinie dahin auszulegen, dass es erforderlich ist, wegen eines Verstoßes gegen eine Verpflichtung, die sie nicht eindeutig festlegt, automatisch eine Sanktion aufzuerlegen.

35.

Die Tatsache, dass die Anzahl der – nach Art. 15 geprüften – Zertifikate von zentraler Bedeutung für das Funktionieren des von der Richtlinie errichteten Systems ist, wird auch durch die gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie veröffentlichten Leitlinien bestätigt ( 8 ). In Nr. 7.4 der Leitlinien heißt es: „Anhand der im Emissionsbericht, der als zufriedenstellend bewertet wurde, für die Gesamtemissionen ausgewiesenen Zahl prüft die zuständige Behörde dann, ob der Betreiber für die betreffende Anlage eine genügende Anzahl Zertifikate abgegeben hat“ ( 9 ).

36.

Dieses Verständnis scheint durch die Vorarbeiten zur Richtlinie gestützt zu werden. In Nr. 17 der Begründung zu dem von der Kommission am 23. Oktober 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie wird ausgeführt: „Fälle von Verstößen gegen die Verpflichtung, ausreichend Berechtigungen abzugeben, um die geprüften Emissionen abzudecken, müssen in der gesamten Europäischen [Union] schlüssig und konsequent geahndet werden. Dies würde erreicht durch die Verhängung einer Geldstrafe …“ ( 10 ).

37.

Interessanterweise bezog sich Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie, der die Veröffentlichung der Namen der Betreiber betrifft, die gegen die Verpflichtung verstoßen, eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten abzugeben, in seiner ursprünglichen Fassung, die für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblich ist, auf die „Verpflichtung nach Artikel 12 Absatz 3“ der Richtlinie ( 11 ). Man könnte natürlich argumentieren, dass die Abs. 2 und 3 von Art. 16 der Richtlinie, da sie unterschiedlich gefasst waren und noch immer unterschiedlich gefasst sind, verschiedene Verstöße betreffen. Tatsächlich machen die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle geltend, dass Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie einen weiteren Anwendungsbereich habe als Art. 16 Abs. 2.

38.

Diese Lesart wird allerdings durch die Vorarbeiten nicht gestützt. Der unterschiedliche Wortlaut der beiden Absätze erklärt sich vielmehr durch den Umstand, dass Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie in dem von der Kommission ursprünglich vorgelegten Vorschlag auf alle Verstöße gegen nationale Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie Anwendung finden sollte, während Abs. 3 das Versäumnis, eine ausreichende Anzahl von Zertifikaten abzugeben, sanktionieren sollte. Das Parlament war jedoch der Auffassung – und die Kommission folgte ihm hierin – dass ein System der „Nennung und Anprangerung“ bei vielen Arten von Verstößen gegen die Richtlinie, einschließlich solcher, die nationale Umsetzungsmaßnahmen beträfen, unangemessen sei und daher auf diejenigen beschränkt werden sollte, in denen die Betreiber keine ausreichende Zahl von Zertifikaten abgegeben hätten ( 12 ).

39.

Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie scheint somit darauf hinzudeuten, dass der Unterschied im Wortlaut der beiden Absätze keine Entscheidung seitens des Unionsgesetzgebers widerspiegelte, einen Unterschied zwischen den Arten der jeweils erfassten Verstöße zu machen.

40.

Eine weitere Bestätigung dieser Auslegung lässt sich im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka finden, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie, eine Anzahl von Zertifikaten abzugeben, die den nach Art. 15 geprüften Gesamtemissionen im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht, „als Einzige in der Richtlinie 2003/87 selbst mit einer präzisen Sanktionsandrohung bewehrt [ist], während die Sanktionen für alle anderen ihren Bestimmungen zuwiderlaufenden Verhaltensweisen nach Art. 16 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten festzulegen sind“ ( 13 ).

41.

Ein anderes Verständnis von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie würde darüber hinaus ein Problem im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der in dieser Bestimmung festgelegten Sanktion aufwerfen.

42.

Im Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka hat der Gerichtshof nämlich auch entschieden, dass die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene festgelegte und automatische Sanktion verhältnismäßig ist, da die Betreiber in der Lage sind, die genaue Anzahl der abzugebenden Zertifikate zu kennen (aufgrund der Prüfung nach Art. 15), und ihnen eine angemessene Frist gelassen wird, um dieser Pflicht nachzukommen. Offensichtlich würde ein sorgfältiger Betreiber die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht bis zum letzten Augenblick hinausschieben. Daher war der Gerichtshof nicht der Ansicht, dass die nationalen Gerichte wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Lage sein sollten, die Höhe der in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehenen Sanktion anzupassen, selbst wenn eingewandt werden könnte, dass die Nichterfüllung durch den Betreiber auf „unternehmensinterne administrative Versäumnisse“ zurückzuführen sei ( 14 ).

43.

Auf der Grundlage der Informationen, die der Vorlageentscheidung entnommen werden können, scheint sich der vorliegende Fall jedoch vom vorgenannten durchaus zu unterscheiden. Nordzucker macht nämlich geltend, dass ihr Irrtum darauf zurückzuführen gewesen sei, dass sich die Gesellschaft auf ein Schreiben des Ministeriums verlassen habe, in dem ausgeführt worden sei, dass eine der von Nordzucker betriebenen Arten von Anlagen (die Trocknungsanlagen) nicht emissionshandelspflichtig sei. Zudem war der Bericht von einer sachverständigen Stelle nach Art. 15 der Richtlinie ordnungsgemäß geprüft worden. Erst danach, also nach dem 30. April, teilten die deutschen Behörden Nordzucker mit, dass die Anzahl der abgegebenen Zertifikate nicht ausreichend sei, da die von den Trocknungsanlagen erzeugten Emissionen im Rahmen der Richtlinie ebenfalls zu berücksichtigen gewesen wären.

44.

Soweit das Verhalten von Nordzucker überhaupt sanktionsbewehrt sein sollte – was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist –, war Nordzucker zumindest vor dem 30. April nicht in der Lage, mit hinreichender Sicherheit die Gesamtzahl der abzugebenden Zertifikate zu kennen. Würde unter solchen Umständen eine hohe Geldstrafe auferlegt, könnte dies daher ernsthafte Probleme der Verhältnismäßigkeit aufwerfen.

45.

Nach Ansicht der deutschen Regierung und der Emissionshandelsstelle wäre es demgegenüber unverhältnismäßig, diese Sanktion auf jede Art eines Verstoßes gegen die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie niedergelegte Pflicht anzuwenden, während Betreiber, die bei der den Bericht prüfenden sachverständigen Stelle einen Irrtum hervorgerufen haben könnten (beispielsweise durch die Übermittlung irreführender Angaben oder anderes betrügerisches Verhalten) der Sanktion entgingen.

46.

Dem kann ich mich nicht anschließen. Der Umstand, dass die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene Sanktion nicht anwendbar ist, bedeutet nicht, dass diesen Betreibern gar keine Sanktion auferlegt werden kann. Denn nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten Vorschriften über Sanktionen festzulegen, die bei einem Verstoß gegen die gemäß der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und die Sanktionen müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein ( 15 ).

47.

Es ist somit Sache der nationalen Behörden, Sanktionen vorzusehen, die gegen Betreiber verhängt werden können, die, obschon sie der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. e und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie niedergelegten Verpflichtung nachkommen, andere Arten von Verstößen begehen, die das ordnungsgemäße Funktionieren des von der Richtlinie errichteten Emissionshandelssystems beeinträchtigen. Diese Sanktionen müssen einerseits wirksam und abschreckend sein. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass betrügerisches Verhalten, auf das sich die deutsche Regierung und die Emissionshandelsstelle beziehen, scharfen Sanktionen unterliegen kann (und sollte). Andererseits müssen diese Sanktionen verhältnismäßig sein. Das impliziert, dass Situationen wie die, in der sich Nordzucker befindet, einer Würdigung unterzogen werden müssen, in der alle relevanten tatsächlichen Umstände (wie guter Glaube eines Unternehmens, ob der Irrtum bei dem Unternehmen durch die Behörden selbst hervorgerufen wurde usw.) berücksichtigt werden, um darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Sanktion zu verhängen ist.

48.

Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Art des Versäumnisses, die Nordzucker anzulasten ist, nicht von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie erfasst wird, sondern gegebenenfalls unter Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie fällt.

IV – Ergebnis

49.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt zu antworten:

Die in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates vorgesehene Sanktion ist nicht auf einen Betreiber anzuwenden, der bis zum 30. April eines Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgegeben hat, die den nach Art. 15 der Richtlinie geprüften Gesamtemissionen im Vorjahr entspricht, die jedoch nach einer weiteren Überprüfung durch die zuständige nationale Behörde für nicht ausreichend befunden wird, um alle Emissionen des Betreibers im Vorjahr abzudecken. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, Vorschriften über Sanktionen festzulegen, die gegebenenfalls auf solche Arten eines Verstoßes anwendbar sind. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) (im Folgenden: Richtlinie).

( 3 ) Vgl. Erwägungsgründe 3 bis 5 der Richtlinie.

( 4 ) Die Richtlinie ist inzwischen mehrfach geändert worden. Es scheint jedoch, dass keine der späteren Änderungen für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist.

( 5 ) BGBl. I S. 1578.

( 6 ) C‑203/12, EU:C:2013:664.

( 7 ) Entscheidung 2004/156/EG der Kommission vom 29. Januar 2004 zur Festlegung von Leitlinien für Überwachung und Berichterstattung betreffend Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 59, S. 1) (im Folgenden: Leitlinien).

( 8 ) Ebd.

( 9 ) Hervorhebung nur hier. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Leitlinien nicht als eine Maßnahme nicht zwingenden Rechts erlassen wurden, sondern, wie in Fn. 6 ausgeführt, in Form einer Entscheidung der Kommission, mithin in Form eines Aktes mit Rechtswirkungen.

( 10 ) KOM(2001) 581endg. Hervorhebung nur hier.

( 11 ) In seiner aktuellen Fassung bezieht sich Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie auf „die Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Abgabe einer ausreichenden Anzahl von Zertifikaten“ (Hervorhebung nur hier). Diese Änderung erfolgte durch die Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (ABl. 2009, L 8, S. 3), die die Emissionshandelsregelung auf Luftfahrzeugbetreiber erweiterte. Die Änderung sollte den erweiterten Anwendungsbereich der Richtlinie zum Ausdruck bringen. Wie von der Regierung des Vereinigten Königreichs jedoch zutreffend angemerkt wurde, enthielt diese Neufassung von Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie keine Änderung in Bezug auf die Verpflichtungen der Betreiber von Anlagen.

( 12 ) Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ENDGÜLTIG A5-0303/2002), S. 29.

( 13 ) Vgl. Urteil Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka (EU:C:2013:664, Rn. 25) (Hervorhebung nur hier).

( 14 ) Ebd., Rn. 19 und 33 bis 42.

( 15 ) Hervorhebung nur hier.

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