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Document 62014CC0087

Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 19. März 2015.
Europäische Kommission gegen Irland.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 2003/88/EG - Arbeitszeitgestaltung - Gestaltung der Arbeitszeit von Ärzten in der Ausbildung.
Rechtssache C-87/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:192

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 19. März 2015 ( 1 )

Rechtssache C‑87/14

Europäische Kommission

gegen

Irland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 2003/88/EG — Arbeitszeitgestaltung — Begriff ‚Arbeitszeit‘ — Ärzte in der Ausbildung“

I – Einleitung

1.

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 3, 5, 6 und 17 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ( 2 ) verstoßen hat, dass es die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf die Gestaltung der Arbeitszeit von Ärzten in der Ausbildung, der sogenannten Non Consultant Hospital Doctors (im Folgenden: NCHD), angewandt hat.

2.

Irland hat die Richtlinie 2003/88 in Bezug auf die NCHD mit der Verordnung von 2004 über die Europäischen Gemeinschaften (Arbeitszeitgestaltung) (Ärzte in der Ausbildung) (European Communities [Organisation of Working Time] [Activities of Doctors in Training] Regulations 2004) in der durch die Verordnung von 2010 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung von 2004) in nationales Recht umgesetzt.

3.

Zur Beilegung eines Streits über die Arbeitszeit der NCHD unterzeichneten die Irish Medical Organisation (irische Ärztekammer), die alle im irischen Hoheitsgebiet praktizierenden Ärzte vertritt, und der Health Service Executive (Gesundheitsdienst, im Folgenden: HSE), eine öffentliche Einrichtung, die die Gesundheitsbehörden vertritt, am 22. Januar 2010 eine Vergleichsvereinbarung, der im Anhang ein von diesen Parteien geschlossener Tarifvertrag ( 3 ) sowie ein Musterarbeitsvertrag für NCHD ( 4 ) beigefügt war.

4.

Die Präambel dieses Musterarbeitsvertrags beschreibt die NCHD wie folgt:

„Der Begriff [NCHD] im Sinne dieses Vertrags bezeichnet Personen, die im öffentlichen Gesundheitsdienst Irlands als Interns, Senior House Officers, Registrars, Senior Registrars, Specialist Registrars [Amtsbezeichnungen, die der Stufe der beruflichen Laufbahn, insbesondere der absolvierten Ausbildung der praktizierenden Ärzte entsprechen] oder andere beschäftigt sind, um medizinische oder zahnmedizinische Leistungen zu erbringen und/oder eine medizinische oder zahnmedizinische Ausbildung zu absolvieren, und die für die Zwecke einer solchen Beschäftigung nicht als Consultants angestellt sind.“

5.

Gemäß Klausel 3 a des Tarifvertrags dürfen im Dienstplan für die Ausbildung vorgesehene Zeiten, die außerhalb der Bereitschaftszeiten liegen, nicht als Arbeitszeit angerechnet werden.

6.

Nach Ansicht der Kommission sind solche Ausbildungszeiten dagegen „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88.

7.

Die Vertragsverletzungsklage der Kommission gegen Irland umfasst mehrere Rügen. Die vorliegenden Schlussanträge behandeln jedoch nur die Rüge der Unvereinbarkeit von Klausel 3 a des Tarifvertrags mit der Richtlinie 2003/88. Mit dieser Rüge wird nämlich eine neue Rechtsfrage hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie aufgeworfen. Der Gerichtshof muss somit entscheiden, ob es mit der Richtlinie 2003/88 vereinbar ist, die Zeit, die NCHD ihrer Ausbildung widmen, einschließlich der außerhalb ihrer Bereitschaftszeiten aufgewendeten Zeit, vom Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie auszuschließen.

8.

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2003/88 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.   Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.

…“

9.

Der Definition des Begriffs der Arbeitszeit kommt im System der Richtlinie 2003/88 besondere Bedeutung zu, da sie die Anwendung anderer Vorschriften dieser Richtlinie, wie ihrer Art. 3, 5 und 6 bedingt.

10.

Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

11.

Art. 5 („Wöchentliche Arbeitszeit“) dieser Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird.“

12.

Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

b)

die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“

13.

Die Kommission führt aus, dass die Ausbildung der NCHD Bestandteil ihrer Beschäftigung und ihrer beruflichen Stellung sei, wie sich aus dem Musterarbeitsvertrag, insbesondere aus dessen Section 8 („Medical Education and Training“ [Ärztliche Aus- und Fortbildung]), ergebe. Diese Ärzte seien aufgrund ihres Arbeitsvertrags verpflichtet, an diesen Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

14.

Im Übrigen betont die Kommission, dass die dem Tarifvertrag beigefügte Vereinbarung über die Behandlung der Ausbildungszeiten drei Kategorien von Ausbildungszeiten unterscheide:

die im Ausbildungsprogramm vorgesehene und vorgeschriebene geschützte externe Ausbildung,

in einem Programm vorgesehene und regelmäßig an Ort und Stelle stattfindende Unterrichts- und Ausbildungsmaßnahmen (jede Woche, alle zwei Wochen), wie Vorträge, wissenschaftliche Besprechungen sowie die Besprechung von Krankheits- und Todesfällen, und

Forschung, Studium etc.

15.

Nach Ansicht der Kommission müssen nach dem Ausbildungsprogramm erforderliche Ausbildungsmaßnahmen, die an einem in diesem Programm bestimmten Ort stattfinden, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 angerechnet werden. Dies dürfte nach Ansicht der Kommission bei den ersten beiden in der Vereinbarung über die Behandlung der Ausbildungszeiten definierten Kategorien von Ausbildungszeiten der Fall sein. Dagegen dürfe die Zeit für Forschung und Studium zu Hause nicht als „Arbeitszeit“ angesehen werden und könne deshalb für die Zwecke dieser Richtlinie als „Ruhezeit“ angerechnet werden. Dies scheine bei der dritten Kategorie der Ausbildungszeiten der Fall zu sein.

16.

Die Kommission weist noch darauf hin, dass der Umstand, dass die Dienstpläne besondere Zeiten für Ausbildungsmaßnahmen vorsähen, nichts daran ändere, dass es sich eigentlich um „Arbeit“ handele.

17.

Die Kommission betont auch die besondere Rolle, die die Begrenzung der Arbeitszeit und die Festlegung von Mindestruhezeiten für Ärzte für die Erhaltung der Gesundheit und die Wahrung der Sicherheit dieser Ärzte und ihrer Patienten spiele. Ihres Erachtens wäre eine – wie von Irland vorgeschlagen – restriktive Auslegung des Begriffs „Arbeitszeit“, bei der die Ausbildungsmaßnahmen ausgeschlossen wären, weder mit den sozialen Grundrechten, die die Richtlinie 2003/88 verleihe, noch mit ihrem Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer zu vereinbaren.

18.

Deshalb ist die Kommission der Ansicht, dass Klausel 3 a des Tarifvertrags mit der Richtlinie 2003/88, insbesondere mit deren Art. 3, 5 und 6, nicht vereinbar sei.

19.

Irland trägt dagegen vor, dass die nach dem Dienstplan außerhalb der Bereitschaftszeiten vorgesehenen Ausbildungszeiten, die den geschützten Ausbildungszeitraum darstellten, nicht als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 angerechnet werden dürften.

20.

Irland räumt zwar ein, dass bei NCHD ein enger Zusammenhang zwischen Arbeit und Ausbildung bestehen könne. Dennoch gebe es zwischen den beiden Begriffen einen fundamentalen Unterschied, insbesondere im Rahmen des geschützten Ausbildungszeitraums, wie im vorliegenden Fall. Der NCHD stehe in diesem Rahmen dem Arbeitgeber nämlich nicht zur Verfügung, und er übe weder seine Tätigkeiten aus noch nehme er seine Aufgaben wahr.

21.

Auch wenn die Ausbildungszeiten aufgezeichnet und tatsächlich in den Dienstplan eingetragen würden, um zu gewährleisten, dass sie im Terminkalender des NCHD geschützt seien, und dem Arbeitgeber zu ermöglichen, die Maßnahmen zweckmäßig zu planen, würden solche Zeiträume ausdrücklich so verstanden, dass sie sich von den „Tätigkeiten oder Aufgaben“ der Arbeit unterschieden oder als „Befreiung“ von diesen angesehen würden.

22.

Nach Ansicht Irlands ergibt sich aus dem Urteil Simap ( 5 ), dass der Begriff der Arbeitszeit wesentlich an die Wahrnehmung von Arbeitsaufgaben und die Verrichtung beruflicher Tätigkeiten oder die Verfügbarkeit für diese und deren tatsächliche Wahrnehmung und Verrichtung am Arbeitsplatz geknüpft sei. Im Übrigen ergebe sich aus Rn. 63 des Urteils Jaeger ( 6 ), dass es, um der in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Definition der „Arbeitszeit“ zu entsprechen, unerlässlich sei, dass ein Arzt seinem Arbeitgeber an einen bestimmten Ort zur Verfügung stehe, üblicherweise, aber nicht ausschließlich, an Ort und Stelle, um die Leistungen zu erbringen und/oder die Tätigkeiten zu verrichten und die Aufgaben wahrzunehmen, die mit seiner Arbeit verbunden seien.

23.

Aus Klausel 3 a des Tarifvertrags sowie aus dessen Anhang ergebe sich aber klar, dass der geschützte wöchentliche Ausbildungszeitraum ein Zeitraum sei, bei der ein NCHD keine Bereitschaft ausübe, auch keine Tätigkeiten verrichte oder Aufgaben wahrnehme, die im Zusammenhang mit seiner Arbeit stünden, und für diese Tätigkeiten oder Aufgaben nicht tatsächlich zur Verfügung stehe. Da diese Ausbildung geschützt sei, sei die Verfügbarkeit für die Arbeit zwangsläufig ausgeschlossen. Im Übrigen zeige der Umstand, dass diese Ausbildungszeit bezahlt werde, obwohl der Arzt keine Arbeit verrichte und für die Arbeit nicht zur Verfügung stehe, nur die besondere Stellung der Ärzte in der Ausbildung und sei Teil ihrer Vergünstigungen.

24.

Der geschützte Ausbildungszeitraum, der die physische Präsenz am Arbeitsplatz impliziere, unterscheide sich grundlegend von dem Bereitschaftsdienst, der die physische Präsenz am Arbeitsplatz erfordere, der vom Gerichtshof in den Urteilen Simap ( 7 ) und Jaeger ( 8 ) geprüft worden sei und in der Verordnung von 2004 ausdrücklich als Arbeitszeit definiert werde. Während ein Arzt im Bereitschaftsdienst für die Arbeit zur Verfügung stehe und gehalten sei, die Tätigkeiten zu verrichten und die Aufgaben wahrzunehmen, die mit seiner Arbeit verbunden seien, sei ein Arzt während des geschützten Ausbildungszeitraums nicht für die Arbeit verfügbar und könne seine Tätigkeiten nicht verrichten und seine Aufgaben nicht wahrnehmen. Aus diesem Grund könne dieser Ausbildungszeitraum nicht als „Arbeitszeit“ im Sinne der Verordnung von 2004 oder der Richtlinie 2003/88 angesehen werden.

25.

Die Argumentation der Kommission beruhe auf einem grundlegenden Missverständnis des Verhältnisses zwischen den Anforderungen der Ausbildung der NCHD und ihren normalen arbeitsvertraglichen Pflichten. Entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihrer Erwiderung seien die Anforderungen der Ausbildung der NCHD nicht Bestandteil ihrer Arbeit im Sinne von durch den Arbeitgeber auferlegten oder überwachten Pflichten. Wie sich aus Sections 2 und 8 des Musterarbeitsvertrags ergebe, handele es sich vielmehr um wesentliche gesetzliche Anforderungen, die alle NCHD für eine Eintragung als praktizierende Ärzte nach dem Ärztegesetz von 2007 (Medical Practitioners Act 2007) erfüllen müssten. Das Verhältnis zwischen den NCHD und ihrer Ausbildungseinrichtung sei von demjenigen zwischen den NCHD und ihrem Arbeitgeber getrennt und gesondert.

26.

Wie in Section 8(a) des Musterarbeitsvertrags erläutert, müsse der Arbeitgeber nur gegebenenfalls die für NCHD-Stellen erforderliche Ausbildung und/oder Kompetenzsicherung erleichtern. Obwohl der Arbeitgeber einen Rahmen biete, in dem die Ausbildung der NCHD möglich sei, bestimme er weder den Ablauf einer solchen Ausbildung, noch die von einem NCHD im Rahmen der Ausbildung zu verrichtenden Tätigkeiten, noch den Fortschritt der NCHD im Rahmen dieser Ausbildung, und er lege nicht den Ausbildungsort fest. Es handele sich um Fragen, für die die Ausbildungseinrichtungen oder die NCHD selbst zuständig seien.

27.

Dass den Ausbildungsmaßnahmen in den Dienstplänen spezifische Zeiten zugewiesen würden, habe den Zweck, den NCHD die Einhaltung ihrer Pflichten nach dem Ärztegesetz von 2007 zu erleichtern und hinsichtlich der Zeiteinteilung der NCHD für sie selbst ebenso wie für den Arbeitgeber völlige Klarheit sicherzustellen, und zwar um eine effiziente Dienstleistung zu gewährleisten.

II – Würdigung

28.

Ziel der Richtlinie 2003/88 ist es, Mindestvorschriften festzulegen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Union soll einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch Gewährung von – u. a. täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, bezüglich deren ausdrücklich klargestellt ist, dass sie auch die Überstunden einschließt, gewährleisten ( 9 ).

29.

In Anbetracht dieses wesentlichen Ziels müssen jedem Arbeitnehmer angemessene Ruhezeiten zur Verfügung stehen, die nicht nur effektiv sein müssen, indem sie es den Betreffenden erlauben, sich von der durch ihre Arbeit hervorgerufenen Ermüdung zu erholen, sondern auch vorbeugenden Charakter haben müssen, indem sie die Gefahr einer Verschlechterung der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, die in der Kumulierung von Arbeitsphasen ohne die erforderliche Ruhepause liegen kann, so weit wie möglich verringern ( 10 ).

30.

Die verschiedenen Vorschriften der Richtlinie 2003/88 hinsichtlich der Höchstarbeitszeit und der Mindestruhezeiten sind Regeln des Sozialrechts der Union mit einer besonderen Bedeutung, die zugunsten jedes Arbeitnehmers zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seiner Gesundheit als notwendige Mindestanforderung angewandt werden müssen ( 11 ).

31.

Ursprünglich vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ( 12 ) ausgenommen, wurden die Tätigkeiten der Ärzte in der Ausbildung mit der Richtlinie 2000/34/EG ( 13 ) in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104 einbezogen.

32.

In ihrem Weißbuch vom 15. Juli 1997 zu den Sektoren und Tätigkeitsbereichen, die von der Arbeitszeitrichtlinie ausgeschlossen sind ( 14 ), betonte die Kommission, dass „die wöchentliche Arbeitszeit von Ärzten in der Ausbildung … in vielen Ländern häufig 55 Stunden übersteigt“ ( 15 ). Daraus ergab sich nach ihrer Ansicht, dass die „Sicherheit und Gesundheit einer beträchtlichen Anzahl Ärzte in der Ausbildung … zweifelsfrei gefährdet [ist]. Da diese Ärzte unmittelbar am medizinischen Geschehen und medizinischen Entscheidungen teilhaben, die die Patienten betreffen, könnte die Sicherheit dieser Patienten ebenfalls gefährdet sein“ ( 16 ).

33.

Um den möglichen Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, die Arbeitszeitvorschriften mit ihrer Verantwortung für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und medizinischer Versorgung in Einklang zu bringen, wurden die Ärzte in der Ausbildung stufenweise in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104 einbezogen.

34.

Mit der durch die Richtlinie 2003/88 erfolgten Kodifizierung wurden die Übergangsvorschriften in Art. 17 Abs. 5 dieser Richtlinie aufgeführt. Aus diesen folgt im Wesentlichen, dass die erlaubten Abweichungen Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) und Art. 16 („Bezugszeiträume“) Buchst. b dieser Richtlinie betreffen und nur für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren ab dem 1. August 2004 zulässig waren, der eventuell um zwei Jahre und dann um ein Jahr verlängert werden konnte.

35.

Aus dieser kurzen Beschreibung der Entwicklung der für Ärzte in der Ausbildung geltenden Vorschriften folgt, dass seit dem Ende der Übergangszeit die Regelungen über die Arbeitszeitgestaltung in der Richtlinie 2003/88 für diese Kategorie von Ärzten in vollem Umfang beachtet werden müssen.

36.

Es ist zu betonen, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie, die spezifisch die Ärzte in der Ausbildung betreffen, im Hinblick auf diese weder eine besondere Definition des Begriffs „Arbeitszeit“ vorsehen, noch bestimmte ihrer Tätigkeiten von diesem Begriff ausschließen.

37.

Somit ist die allgemeine Definition in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzuwenden.

38.

In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass diese Richtlinie den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt, definiere und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen sei, da beide Begriffe einander ausschlössen ( 17 ).

39.

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zum einen darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 2003/88 keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsehe, und zum anderen, dass zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Richtlinie nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung gehöre ( 18 ).

40.

Somit sieht diese Richtlinie keine zwischen der Arbeitszeit und der Ruhezeit liegenden „Graubereiche“ vor. Gemäß dem vom Unionsgesetzgeber geschaffenen System ging der Gerichtshof von einem zweipoligen Ansatz aus, wonach unter den Begriff der Ruhezeit fällt, was nicht unter den Begriff der Arbeitszeit fällt, und umgekehrt.

41.

Der Gerichtshof hat ebenfalls entschieden, dass die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 unionsrechtliche Begriffe darstellten, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der Richtlinie zu bestimmen seien, der darin bestehe, Mindestvorschriften zur Verbesserung der Lebens‑ und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufzustellen. Nur eine solche autonome Auslegung könne nämlich die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen ( 19 ).

42.

Außerdem gehöre Art. 2 der Richtlinie 2003/88 nicht zu den Vorschriften dieser Richtlinie, von denen abgewichen werden dürfe ( 20 ).

43.

Daraus hat der Gerichtshof in Bezug auf Ärzte gefolgert, dass Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leiste, in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88 anzusehen sei, unabhängig davon, welche Arbeitsleistungen der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbracht habe ( 21 ).

44.

Der Umstand, dass der Bereitschaftsdienst Zeiten der Inaktivität umfasst, sei daher in diesem Kontext unerheblich. Entscheidend für die Annahme, dass der Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort leiste, die charakteristischen Merkmale des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 aufweise, sei nämlich der Umstand, dass der Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich dort zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Daher gehören nach Ansicht des Gerichtshofs diese Verpflichtungen zur Ausübung der Tätigkeit dieses Arbeitnehmers ( 22 ).

45.

Die Definition der „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 stützt sich auf drei Kriterien, die im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs offenbar als kumulativ angesehen werden müssen. Es handelt sich um das räumliche Kriterium (sich am Arbeitsort aufhalten), das Kriterium der Weisungsbefugnis (dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen) und das berufsbezogene Kriterium (sich in Ausübung seiner Tätigkeit oder Wahrnehmung seiner Aufgaben befinden) ( 23 ).

46.

Der Ausschluss der Ausbildungszeiten der NCHD vom Begriff der „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift verstößt meines Erachtens gegen die Richtlinie 2003/88, da hinsichtlich dieser Kategorie von Arbeitnehmern die drei Kriterien, die in der in dieser Vorschrift festgelegten Definition genannt sind, erfüllt sind.

47.

Ich beginne meine Beweisführung mit dem letzten der drei aufgeführten Kriterien, das verlangt, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt.

48.

Die Tätigkeit der NCHD umfasst zwei Hauptaspekte, nämlich zum einen die Bereitstellung von medizinischer Versorgung und zum anderen die Fortsetzung ihrer Ausbildung. Sie werden sowohl für den ersten als auch für den zweiten Aspekt bezahlt.

49.

Die NCHD üben die beiden Teile ihrer Tätigkeit bei zwei Einrichtungen aus. Zum einen sind sie einem Krankenhaus zugewiesen und zum anderen sind sie an eine Ausbildungseinrichtung gebunden, beides unter der Leitung des HSE, der durch den Abschluss von Verträgen mit den Ausbildungseinrichtungen die Ausbildung der NCHD organisiert und finanziert ( 24 ).

50.

Wenn ich das vom HSE erstellte Dokument („Non Consultant Hospital Doctor [NCHD] – Job Specification“) (Krankenhausärzte, die sich noch in der Ausbildung befinden [NCHD] – Tätigkeitsbeschreibung) ( 25 ) heranziehe, stelle ich fest, dass der erste Teil der Tätigkeiten von NCHD u. a. durch folgende Aufgaben gekennzeichnet ist ( 26 ):

„Teilnahme an der Bereitstellung der medizinischen Versorgung von Patienten als Mitglied eines multidisziplinären Teams“,

„Diagnosestellung und Behandlung von Patienten“,

„Anordnung und Auswertung von Diagnosetests“ und

„Einleitung und Überwachung der Behandlung“.

51.

Die NCHD sind somit in die Bereitstellung der medizinischen Versorgung der Patienten voll eingebunden.

52.

Der zweite, die Ausbildung der NCHD betreffende Teil besteht nach der Section „Education and Training“ (Aus- und Fortbildung) dieses Dokuments u. a. aus folgenden Aufgaben ( 27 ):

„Teilnahme an obligatorischen oder empfohlenen Programmen zur Ausbildung und beruflichen Weiterbildung im Einklang mit organisatorischen/beruflichen Erfordernissen“,

„Erhalt und Ausbau von Fachwissen und beruflichen Kenntnissen durch aktive Teilnahme an der laufenden beruflichen Aus- und Weiterbildung“,

„Erzielung zufriedenstellender Fortschritte bei der Aus- und Weiterbildung gemäß den Anforderungen der Ausbildungseinrichtung“ und

„Teilnahme an der geforderten Überprüfung von Zielen und Leistungen mit dem mit der Aufsicht betrauten Chefarzt/Leiter der akademischen Abteilung“.

53.

Die NCHD müssen somit bei einer dafür zugelassenen Einrichtung einem Ausbildungsprogramm folgen, und zwar in Abstimmung mit ihrem Arbeitgeber, der ihren Dienstplan so zu gestalten hat, dass eine ordnungsgemäße Durchführung dieser Ausbildung gewährleistet ist.

54.

Der enge Zusammenhang dieser beiden Aspekte der Tätigkeit der NCHD wird in dem Dokument „Training principles to be incorporated into new working arrangements for doctors in training“ (Ausbildungsgrundsätze, die in neue Arbeitsvereinbarungen für Ärzte in der Ausbildung einzubeziehen sind) ( 28 ) zu Recht hervorgehoben. Darin wird darauf hingewiesen, dass zu den allgemeinen Regeln, die als Leitlinien für die Ausbildung der NCHD gelten müssten, diejenige, nach der „Aus- und Fortbildungsgelegenheiten am Arbeitsplatz genutzt und bestmöglich ausgebaut werden sollten“, und diejenige gehörten, nach der „zwischen Dienst und Ausbildung keine künstliche Barriere errichtet werden darf“ ( 29 ).

55.

Trotz dieser Aussage, dass Ausbildung und Bereitstellung medizinischer Versorgung nicht strikt getrennt sind, belegt dieses Dokument eine Praxis, die Zeit, die NCHD für ihre Ausbildung bei der dafür zuständigen Einrichtung aufbringen, von der Arbeitszeit auszuschließen. So bestimmt Teil I Nr. 9 dieses Dokuments, dass „die Zeit, die auf Anordnung der Ausbildungseinrichtung an Stelle des Arbeitgebers für die Ausbildung aufgewendet wird, nicht als Arbeitszeit im Sinne der [europäischen Arbeitszeitrichtlinie] zählt, aber als bezahlte Zeit zählen kann“. Außerdem erläutert Teil I Nr. 15, dass „Zeit, auch wenn sie hauptsächlich oder sogar ausschließlich für Ausbildungszwecke (z. B. ‚geschützter‘ Studienurlaub) verwendet wird und nicht unter die Definition der ‚Arbeitszeit‘ fällt, … dennoch als bezahlte Beschäftigung in einen Arbeitsvertrag einbezogen sein kann“. Schließlich bestimmt Teil II Nr. 3 („Grundsätze, die jede Ausbildungseinrichtung betreffen“) dieses Dokuments, dass „externe Aus- und Fortbildungsmaßnahmen … in der Regel nicht als Arbeitszeit angesehen [werden]“.

56.

Ein solcher Ausschluss der Ausbildungszeiten der NCHD vom Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 steht meines Erachtens im Widerspruch zu dieser Richtlinie, da er auf der Vorstellung beruht, dass NCHD nicht im Sinne dieser Vorschrift ihre Tätigkeit ausüben oder ihre Aufgaben wahrnehmen, wenn sie sich nach Maßgabe des von der dafür zugelassenen Einrichtung erstellten Ausbildungsprogramms ihrer Ausbildung widmen.

57.

Im Gegensatz zu dem Bild, das Irland im Rahmen der vorliegenden Klage vermitteln möchte, besteht zwischen dem Aspekt der Tätigkeit der NCHD, der die Bereitstellung medizinischer Versorgung betrifft, und dem Aspekt ihrer Ausbildung ein enger Zusammenhang. Es gehört nämlich zur Stellung eines NCHD, die theoretische und die praktische Ausbildung zu kumulieren und seine wissenschaftlichen Kenntnisse unter gleichzeitiger Anwendung in der Praxis weiterzuentwickeln. Es ist gerade dieses enge Zusammenwirken von Theorie und praktischer Umsetzung, von dem die Qualität und die Effizienz der Ausbildung der NCHD abhängen.

58.

Die Berufsausbildung der NCHD ist somit in vollem Umfang Teil ihrer Tätigkeit, so dass es als Ausübung ihrer Tätigkeit oder Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzusehen ist, wenn sie an ihrem Ausbildungsprogramm teilnehmen, auch wenn dies außerhalb ihrer Bereitschaftszeiten geschieht.

59.

Es gibt somit keinen objektiven Grund, die beiden Aspekte der Tätigkeit von NCHD für die Zwecke der Berechnung ihrer Arbeitszeit zu unterscheiden.

60.

Außerdem ist meines Erachtens das räumliche Kriterium, nach dem der Arbeitnehmer sich am Arbeitsort befinden muss, erfüllt.

61.

Unabhängig davon, ob die Ausbildung im Krankenhaus oder in den Räumen der Ausbildungseinrichtung stattfindet, kommt es nämlich darauf an, dass die NCHD während ihrer Ausbildungszeiten an einem Ort bleiben müssen, den sie nicht frei wählen können, sondern der sich nach dem Ausbildungsprogramm richtet, an dem sie teilnehmen müssen. Dadurch, dass die NCHD verpflichtet sind, während ihrer Ausbildung an einem bestimmten Ort körperlich anwesend zu sein, wird verhindert, dass sie ihren persönlichen Tätigkeiten frei nachgehen können.

62.

Bei dem Kriterium schließlich, nach dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, handelt es sich in erster Linie um ein die Weisungsbefugnis betreffendes Kriterium, das ein Fortbestehen des Unterordnungsverhältnisses des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber beinhaltet ( 30 ).

63.

Die NCHD sind bei Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Bereitschaftszeiten auch nicht der Weisungsbefugnis ihres Arbeitgebers entzogen.

64.

Im Rahmen der Hierarchie, in die NCHD gegenüber ihrem Arbeitgeber eingebunden sind, unterliegt ihre Ausbildung dessen Aufsicht.

65.

Dies ergibt sich ausdrücklich aus Section 3 („Reporting Relationship“ [Verhältnis der Unterstellung]) des Musterarbeitsvertrags, der vorsieht:

„Im Verhältnis zum Arbeitgeber ist Vorgesetzter des NCHD sein mit der Aufsicht betrauter Chefarzt und klinischer Direktor (falls vorhanden). Es kann erforderlich sein, dass ein NCHD in Angelegenheiten, die die medizinische Ausbildung und Forschung betreffen, dem benannten Chefarzt/klinischen Direktor/Leiter der akademischen Abteilung unterstellt wird“ ( 31 ).

66.

In diesem Zusammenhang bestimmt auch Section 6(c) des Musterarbeitsvertrags:

„Der NCHD hat während seiner Beschäftigung Anspruch auf regelmäßige Leistungsbeurteilungen – einschließlich der medizinischen Ausbildung/Forschung – durch und zusammen mit dem mit der Aufsicht betrauten designierten Chefarzt/dem klinischen Direktor/Leiter der akademischen Abteilung“.

67.

Diese Aufsicht des Arbeitgebers über die Ausbildung der NCHD steht im Einklang mit der Feststellung, dass die Teilnahme der NCHD an einem Ausbildungsprogramm nach Section 8(b) des Musterarbeitsvertrags Teil der ihnen nach ihrem Arbeitsvertrag mit ihrem Arbeitgeber obliegenden Pflichten ist. Daraus folgt meines Erachtens, dass der Arbeitgeber Verstöße der NCHD gegen im Arbeitsvertrag aufgeführte Pflichten im Zusammenhang mit ihrer Ausbildung ahnden darf.

68.

Außerdem spielt der Arbeitgeber eine wichtige Rolle bei der ordnungsgemäßen Durchführung dieser Ausbildung, deren Durchführung er erleichtern muss. Dafür sieht Section 8(a) des Musterarbeitsvertrags vor: „Für die Zwecke der Ausbildung der NCHD und des Erhalts ihrer beruflichen Befähigung erleichtert der Arbeitgeber gemäß den Anforderungen des Medical Practitioners Act 2007 gegebenenfalls die Anforderungen an die Ausbildungs- oder Kompetenzsicherung für NCHD-Stellen“. In diesem Zusammenhang sieht Section 8(c) des Musterarbeitsvertrags auch vor, dass der Arbeitgeber und die Ausbildungseinrichtung eine Koordinierung der Durchführung der Ausbildung der NCHD vornehmen, die vom Arbeitgeber in den Dienstplan einzubeziehen ist ( 32 ). Es ist somit Aufgabe des Arbeitgebers, die Ausbildungspflicht der NCHD mit den ihnen obliegenden Dienstpflichten in Einklang zu bringen.

69.

Die Ausbildung der NCHD verfolgt das Ziel, diese für ihren Arbeitsplatz zu qualifizieren, und ist somit beruflicher Natur. Die Zeit, die NCHD auf ihre Ausbildung verwenden, könnte somit nur dann der persönlichen Zeit gleichgestellt werden, wenn sie außerhalb des Arbeitsverhältnisses läge, so dass sie frei ihren persönlichen Beschäftigungen nachgehen könnten. Wie wir aber gesehen haben, ist dies nicht der Fall, da der Arbeitgeber im Rahmen der Aufsicht über die Ausbildung der NCHD weiterhin seine Weisungsbefugnis ausübt. Außerdem ist die Ausbildung der NCHD nicht die Folge einer autonomen Entscheidung der NCHD, einen Teil ihrer persönlichen Zeit dafür zu verwenden. Da die Ausbildungszeit der NCHD dazu bestimmt ist, unter der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle des Arbeitgebers einer beruflichen Pflicht nachzukommen, ist sie keine Ruhezeit.

70.

Wie ich bereits ausgeführt habe, ist es das Ziel der Richtlinie 2003/88, die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer zu schützen. Dieses Ziel umfasst die Gewährleistung einer Mindestruhezeit für die Arbeitnehmer. Folglich wäre der Ausschluss der Ausbildungszeit der NCHD von ihrer Arbeitszeit ein Eingriff in diese Mindestruhezeit und würde somit diesem Ziel widersprechen ( 33 ). Mit anderen Worten, die Kürzung der Ruhezeit der NCHD wegen des Ausschlusses ihrer Ausbildungszeiten vom Begriff der „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 ist mit dieser Richtlinie nicht vereinbar.

71.

Nach der Definition, die der Gerichtshof dem Begriff der Ruhezeit gegeben hat, kann die von Irland vertretene Ansicht leicht zurückgewiesen werden. So hat der Gerichtshof in Bezug auf „gleichwertige Ausgleichsruhezeiten“ im Sinne von Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 93/104 entschieden, dass diese Zeiten dadurch gekennzeichnet sein müssen, dass „der Arbeitnehmer während dieser Zeiten gegenüber seinem Arbeitgeber keiner Verpflichtung unterliegt, die ihn daran hindern kann, frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen, um die Auswirkungen der Arbeit auf seine Sicherheit und Gesundheit zu neutralisieren. Solche Ruhezeiten müssen sich daher unmittelbar an die Arbeitszeit anschließen, deren Ausgleich sie dienen, um eine Ermüdung oder Überlastung des Arbeitnehmers durch die Kumulierung aufeinanderfolgender Arbeitsperioden zu verhindern“ ( 34 ). Der Gerichtshof hat weiter Folgendes ausgeführt: „Um sich tatsächlich ausruhen zu können, muss der Arbeitnehmer sich … für eine bestimmte Anzahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode anschließen müssen, aus seiner Arbeitsumgebung zurückziehen können, um sich zu entspannen und sich von der mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben verbundenen Ermüdung zu erholen“ ( 35 ).

72.

Aufgabe der Ruhezeiten ist es also, die Ermüdung auszugleichen, die durch die Arbeitsperioden entstanden ist. Diese wesentliche Aufgabe von Ruhezeiten würde somit beeinträchtigt, wenn die Ausbildungszeiten der NCHD in diesen Ruhezeiten enthalten wären.

73.

Aus diesen Ausführungen folgt meines Erachtens, dass die drei Kriterien des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 erfüllt sind. Somit sind die Zeiten, die NCHD außerhalb der Bereitschaftszeiten für ihre Ausbildung aufwenden müssen, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.

III – Ergebnis

74.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Irland dadurch, dass es in der Praxis die im Dienstplan vorgesehenen außerhalb der Bereitschaftszeiten liegenden Ausbildungszeiten der „Non Consultant Hospital Doctors“ vom Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ausgeschlossen hat, gegen die ihm nach dieser Bestimmung sowie nach den Art. 3, 5 und 6 dieser Richtlinie obliegenden Verpflichtungen verstoßen hat.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. L 299, S. 9.

( 3 ) Im Folgenden: Tarifvertrag.

( 4 ) Im Folgenden: Musterarbeitsvertrag.

( 5 ) C‑303/98, EU:C:2000:528.

( 6 ) C‑151/02, EU:C:2003:437.

( 7 ) C‑303/98, EU:C:2000:528.

( 8 ) C‑151/02, EU:C:2003:437.

( 9 ) Beschluss Grigore (C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 92).

( 11 ) Beschluss Grigore (C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 12 ) ABl. L 307, S. 18.

( 13 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 zur Änderung der Richtlinie 93/104 (ABl. L 195, S. 41).

( 14 ) KOM(97) 334 endg.

( 15 ) Rn. 64.

( 16 ) Rn. 65.

( 17 ) Beschluss Grigore (C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Ebd. (Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Ebd. (Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 20 ) Ebd. (Rn. 45).

( 21 ) Beschluss Vorel (C‑437/05, EU:C:2007:23, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Da die Art. 1 bis 6 der Richtlinie 2003/88 im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie die Art. 1 bis 6 der Richtlinie 93/104 haben, hat der Gerichtshof in eben diesem Beschluss erläutert, dass deren Auslegung auf die Richtlinie 2003/88 vollständig übertragbar sei (Rn. 29).

( 22 ) Ebd. (Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Vgl. zum Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437) Kommentar von Vigneau, C., European Review of Private Law, Nr. 13, Bd. 2, Kluwer Law International, Niederlande, 2005, S. 219, vor allem S. 220.

( 24 ) Section 15 des Musterarbeitsvertrags („Training Supports“) (Finanzierung der Ausbildung) sieht vor, dass der HSE die Ausbildungskosten der NCHD übernimmt.

( 25 ) Dieses Dokument ist im Internet verfügbar unter http://www.irishpsychiatry.ie/Libraries/PGT_HSE_Docs/HSE_Job_Specification_for_NCHD_Posts.sflb.ashx.

( 26 ) Vgl. auch Section 6 des Musterarbeitsvertrags.

( 27 ) Vgl. auch Section 8 des Musterarbeitsvertrags.

( 28 ) Medical Education and Training Group, Juli 2004. Auf dieses Dokument verweisen u. a. die Fn. 3 und 5 des Musterarbeitsvertrags; verfügbar unter der Internetadresse http://smartr.org.uk/wp-content/uploads/2013/01/training_principles.pdf.

( 29 ) S. 5.

( 30 ) Vgl. Vigneau, C., a. a. O., dessen Definition ich hier aufgreife (S. 220).

( 31 ) Hervorhebung nur hier.

( 32 ) Vgl in diesem Sinne auch „Training principles to be incorporated into new working arrangements for doctors in training“, a. a. O. Teil I Nr. 16 dieses Dokuments bestimmt, dass „Arbeitgeber … die geschützte Ausbildungszeit für benannte Ausbilder und Auszubildende auf anerkannten Ausbildungsstellen [erleichtern]“. In Teil I Nr. 26 dieses Dokuments heißt es, dass „Dienstpläne … planmäßige interne und externe Ausbildungsmaßnahmen erleichtern [müssen]“.

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Bereitschaftszeiten Urteil Simap (C‑303/98, EU:C:2000:528, Rn. 49).

( 34 ) Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 94).

( 35 ) Ebd. (Rn. 95).

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