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Document 62013CJ0527

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 14. April 2015.
Lourdes Cachaldora Fernández gegen Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS).
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Galicia.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Männliche und weibliche Arbeitnehmer – Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit – Richtlinie 79/7/EWG – Art. 4 – Richtlinie 97/81/EG – Rahmenvereinbarung von UNICE, CEEP und EGB über Teilzeitarbeit – Berechnung der Leistungen – System zur Einbeziehung von Beitragslücken – Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftige.
Rechtssache C-527/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:215

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. April 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Männliche und weibliche Arbeitnehmer — Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit — Richtlinie 79/7/EWG — Art. 4 — Richtlinie 97/81/EG — Rahmenvereinbarung von UNICE, CEEP und EGB über Teilzeitarbeit — Berechnung der Leistungen — System zur Einbeziehung von Beitragslücken — Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftige“

In der Rechtssache C‑527/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Spanien) mit Entscheidung vom 10. September 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2013, in dem Verfahren

Lourdes Cachaldora Fernández

gegen

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS),

Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, A. Ó Caoimh und J.‑C. Bonichot, des Richters A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterin A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund und F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS), vertreten durch A. Lozano Mostazo und I. Pastor Merino, abogados,

der spanischen Regierung, vertreten durch L. Banciella Rodríguez‑Miñón als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Oktober 2014

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) und Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), die im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, und – Berichtigung – L 128, S. 71) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. L 131, S. 10) geänderten Fassung enthalten ist.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Cachaldora Fernández einerseits und dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) (staatliche Sozialversicherungsanstalt, im Folgenden: INSS) und der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) (allgemeine Finanzverwaltungsbehörde der Sozialversicherung) andererseits über die Bestimmung der Berechnungsgrundlage einer Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach Art. 2 der Richtlinie 79/7 findet diese Richtlinie auf die Erwerbsbevölkerung – einschließlich der Selbständigen, der Personen, deren Erwerbstätigkeit durch Krankheit, Unfall oder unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist, und der Arbeitsuchenden – sowie auf die im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und Selbständigen Anwendung.

4

Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 findet diese Richtlinie u. a. auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen Invalidität bieten, Anwendung.

5

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 bestimmt:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“

6

Der dritte Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung lautet:

„Die Vereinbarung erstreckt sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten und erkennt an, dass Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen. Die Unterzeichnerparteien haben im Sinne des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung von der Erklärung zur Beschäftigung des Europäischen Rates von Dublin im Dezember 1996 Kenntnis genommen, in welcher der Rat unter anderem betont, dass die Systeme der sozialen Sicherheit beschäftigungsfreundlicher gestaltet werden sollten, indem ‚Systeme der sozialen Sicherheit entwickelt werden, die sich an neue Arbeitsstrukturen anpassen lassen und die jedem, der im Rahmen solcher Strukturen arbeitet, auch einen angemessenen sozialen Schutz bieten.‘ Die Unterzeichnerparteien sind der Ansicht, dass diese Erklärung in die Praxis umgesetzt werden sollte.“

7

Nach Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gilt diese „für Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“.

8

Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung bestimmt:

„Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“

9

Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„Im Rahmen des Paragrafen 1 dieser Vereinbarung und im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten …

a)

sollten die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten Hindernisse rechtlicher oder verwaltungstechnischer Natur, die die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränken können, identifizieren und prüfen und sie gegebenenfalls beseitigen“.

Spanisches Recht

10

Art. 140 Abs. 1 Buchst. a der Ley General de la Seguridad Social (allgemeines Sozialversicherungsgesetz), verabschiedet durch das Real Decreto Legislativo 1/1994 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658) (im Folgenden: LGSS), in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„Die Berechnungsgrundlage für Renten wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit aufgrund nicht berufsbedingter Krankheit wird nach den folgenden Vorschriften bestimmt:

a)

Es wird der Quotient ermittelt, der sich dadurch ergibt, dass die Beitragsgrundlagen des Betroffenen in den 96 Monaten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls durch 112 geteilt werden“.

11

Nr. 1 Regel 3 Buchst. b der Siebten Zusatzbestimmung der LGSS sieht in Bezug auf die bei Teilzeitbeschäftigten anwendbare Berechnungsgrundlage von Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten Folgendes vor:

„Bei Altersrenten und bei Berufsunfähigkeitsrenten, die auf einer nicht berufsbedingten Krankheit beruhen, werden die Zeiten, in denen keine Beitragspflicht bestand, mit derjenigen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage unter allen im jeweiligen Zeitraum geltenden Beitragsbemessungsgrundlagen einbezogen, die der Zahl der zuletzt vertraglich zu leistenden Arbeitsstunden entspricht.“

12

Art. 7 Abs. 2 des Real Decreto 1131/2002 por el que se regula la Seguridad Social de los trabajadores contratados a tiempo parcial, así como la jubilación parcial (Real Decreto 1131/2002 über die soziale Sicherheit von Teilzeitbeschäftigten und die Teilrente) vom 31. Oktober 2002 (BOE Nr. 284 vom 27. November 2002, S. 41643, im Folgenden: Real Decreto 1131/2002), mit dem die Bestimmungen von Nr. 1 Regel 3 Buchst. b der Siebten Zusatzbestimmung der LGSS umgesetzt wurden, sieht vor:

„Bei Altersrenten und bei Berufsunfähigkeitsrenten, die auf einer nicht berufsbedingten Krankheit oder einem nicht berufsbedingten Unfall beruhen, werden die Zeiten, in denen keine Beitragspflicht bestand, mit derjenigen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage unter allen im jeweiligen Zeitraum geltenden Beitragsbemessungsgrundlagen einbezogen, die der Zahl der zum Zeitpunkt der Unterbrechung oder der Beendigung der Beitragspflicht vertraglich zu leistenden Arbeitsstunden entspricht.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Frau Cachaldora Fernández entrichtete vom 15. September 1971 bis zum 25. April 2010 Beiträge zum spanischen System der sozialen Sicherheit. Ihre Beitragszeit belief sich auf insgesamt 5523 Tage, an denen sie, mit Ausnahme von Teilzeitbeschäftigungen in den Zeiträumen zwischen dem 1. September 1998 und dem 28. Februar 1999, dem 1. März 1999 und dem 23. März 2001 sowie dem 24. März 2001 und dem 23. Januar 2002, in Vollzeit tätig war. Dagegen entrichtete sie im Zeitraum vom 23. Januar 2002 bis zum 30. November 2005 keine Beiträge.

14

Am 21. April 2010 beantragte Frau Cachaldora Fernández beim INSS eine Berufsunfähigkeitsrente.

15

Mit Bescheid vom 29. April 2010 wurde ihr eine Rente wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit zur Ausübung ihres gewöhnlichen Berufs zuerkannt. Die monatsbezogene Berechnungsgrundlage dieser Rente wurde auf 347,03 Euro und der anzuwendende Prozentsatz auf 55 % festgelegt. Dieser Betrag wurde anhand des Referenzzeitraums der letzten acht Jahre vor dem Eintritt des Versicherungsfalls, nämlich des Zeitraums von März 2002 bis Februar 2010, berechnet, wobei für den Zeitraum von März 2002 bis November 2005 auf die Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen der jeweiligen Jahre abgestellt wurde, die durch die Anwendung des Koeffizienten für die Teilzeitbeschäftigung, die zur letzten Beitragsleistung vor März 2002 geführt hatte, herabgesetzt wurden.

16

Frau Cachaldora Fernández erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und machte geltend, dass der Berechnung ihrer Rente für den Zeitraum von März 2002 bis November 2005 die volle Höhe der in dem jeweiligen Jahr geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlage und nicht deren durch die Anwendung des Teilzeitkoeffizienten herabgesetzter Betrag zugrunde zu legen sei. Nach dieser Berechnungsmethode beliefe sich die Berechnungsgrundlage ihrer Rente auf 763,76 Euro, was das INSS nicht bestreitet.

17

Das INSS wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die vorgeschlagene Berechnungsmethode nicht mit Art. 7 Abs. 2 des Real Decreto 1131/2002 vereinbar sei. Gegen diesen Bescheid erhob Frau Cachaldora Fernández daraufhin Klage beim Juzgado de lo Social no 2 de Ourense. Durch Urteil vom 13. Oktober 2010 wies dieses Gericht die Klage ab und bestätigte den Bescheid des INSS, wobei es sich auf Art. 7 Abs. 2 des Real Decreto 1131/2002 und die Siebte Zusatzbestimmung der LGSS stützte.

18

Frau Cachaldora Fernández legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel beim Tribunal Superior de Justicia de Galicia ein. Dieses Gericht hegt Zweifel an der Vereinbarkeit der spanischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht.

19

Das vorlegende Gericht fragt sich als Erstes, ob in der Ausgangsrechtssache nicht eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 79/7 vorliegt. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen wirkten sich nämlich, da sie vornehmlich die weiblichen Arbeitnehmer beträfen, nachteilig auf eine größere Zahl von Frauen als von Männern aus, und es sei nicht sicher, dass die vorgebrachte Rechtfertigung, nämlich dass „die Schließung von [Beitrags-]Lücken proportional zur geleisteten Teilzeitarbeit dem Grundsatz der Logik und der Ausgewogenheit entspricht, auf dem der Schutz durch die soziale Sicherheit beruht und nach dem die Absicherung durch dieses System unter Berücksichtigung des Beitragsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zwischen den Beiträgen und dem gewährten Schutz nie über die zuvor in seinem Rahmen entrichteten Beiträge hinausgehen kann“, mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar sei.

20

So müsste zum einen nach dem Kriterium der Proportionalität unter dem Gesichtspunkt der von dem betreffenden Arbeitnehmer entrichteten Beiträge der Teilzeitkoeffizient zur Herabsetzung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen, mit denen die Beitragslücken geschlossen werden sollten, unter Berücksichtigung der gesamten von dem Arbeitnehmer während seines Berufslebens geleisteten Beiträge berechnet werden. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften sähen eine solche Berechnungsmethode aber gerade nicht vor, da sie vorschrieben, den Teilzeitkoeffizienten entsprechend dem vor der Beitragslücke bestehenden Vertrag anzuwenden, was, wie das Ausgangsverfahren zeige, zu völlig unverhältnismäßigen Ergebnissen führen könne, wenn ein Teilzeitvertrag nur einen kleinen Teil des gesamten Berufslebens des entsprechenden Arbeitnehmers betreffe.

21

Zum anderen könne das Kriterium der Beitragsproportionalität nicht auf das System zur Schließung von Beitragslücken angewandt werden, da dieses nicht auf einem beitragsbezogenen Ansatz beruhe – was daran deutlich werde, dass die Lücken anhand fester Bemessungsgrundlagen geschlossen würden, die sich nicht nach den gezahlten Beiträgen richteten –, sondern Fehlentwicklungen korrigieren solle, die sich aus der Berücksichtigung eines im Voraus festgelegten Referenzzeitraums ergäben. Im vorliegenden Fall habe der Umstand, dass Frau Cachaldora Fernández teilzeitbeschäftigt gewesen sei und Beiträge geleistet habe, anstatt untätig zu bleiben und keine Beiträge zu leisten, ihr geschadet, da ihre Berufsunfähigkeitsrente herabgesetzt worden sei.

22

Das vorlegende Gericht ist als Zweites der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen auch gegen die Rahmenvereinbarung verstoßen könnten. Zwar könne die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Berufsunfähigkeitsrente unter Berücksichtigung der von ihm aufgestellten Kriterien nicht als Arbeitsentgelt und daher nicht als eine Beschäftigungsbedingung angesehen werden, für die der in Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung der Teilzeitbeschäftigten gelte. Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung verpflichte die Mitgliedstaaten jedoch, Hindernisse rechtlicher oder verwaltungstechnischer Natur, die die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränken könnten, zu identifizieren und zu prüfen und sie gegebenenfalls zu beseitigen. Im vorliegenden Fall könnte aber vertreten werden, dass die Bedingungen, nach denen die Beitragslücken nach spanischem Recht berücksichtigt würden, ein „Hindernis rechtlicher Natur“ gegenüber der Teilzeitarbeit darstellten, da die Arbeitnehmer benachteiligt würden, die nach dem Verlust eines Vollzeitarbeitsplatzes im Gegensatz zu anderen eine Teilzeitbeschäftigung annähmen. Dies stelle nämlich ein bedeutendes Hindernis für die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung dar.

23

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia de Galicia beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht Art. 4 der Richtlinie 79/7 einer nationalen Bestimmung wie Nr. 1 Regel 3 Buchst. b der Siebten Zusatzbestimmung der LGSS entgegen, die vornehmlich Frauen trifft und vorsieht, dass Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem maßgeblichen Zeitraum für die Ermittlung der Berechnungsgrundlage für eine beitragsabhängige Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für die vor der Beitragslücke liegende Beschäftigung herabgesetzt werden, während sie im Fall einer Vollzeitbeschäftigung nicht herabgesetzt werden?

2.

Steht Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der [Rahmenvereinbarung] einer nationalen Bestimmung wie Nr. 1 Regel 3 Buchst. b der Siebten Zusatzbestimmung der LGSS entgegen, die vornehmlich Frauen trifft und vorsieht, dass Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem maßgeblichen Zeitraum für die Ermittlung der Berechnungsgrundlage für eine beitragsabhängige Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für die vor der Beitragslücke liegende Beschäftigung herabgesetzt werden, während sie im Fall einer Vollzeitbeschäftigung nicht herabgesetzt werden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

24

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er unter Berücksichtigung der in der Vorlageentscheidung beschriebenen Elemente einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

25

Zwar steht insoweit fest, dass das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf der Ebene der Europäischen Union das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten (vgl. in diesem Sinne Urteile Watts, C‑372/04, EU:C:2006:325, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Somova, C‑103/13, EU:C:2014:2334, Rn. 33 bis 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Somit lässt das Unionsrecht grundsätzlich die Wahl des spanischen Gesetzgebers unberührt, als Berechnungsgrundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit einen auf acht Jahre beschränkten Referenzzeitraum vorzusehen und einen Koeffizienten, der zu einer Herabsetzung führt, anzuwenden, wenn eine Beitragslücke unmittelbar an einen Zeitraum der Teilzeitbeschäftigung anschließt. Jedoch ist zu prüfen, ob diese Wahl im Ausgangsverfahren mit der Richtlinie 79/7 vereinbar ist.

27

Zunächst ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthält, da sie unterschiedslos auf männliche und weibliche Arbeitnehmer anwendbar ist. Es ist daher zu prüfen, ob sie eine mittelbar auf dieses Kriterium gestützte Diskriminierung darstellt.

28

Was die Frage betrifft, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine mittelbare Diskriminierung enthält, wie das vorlegende Gericht nahelegt, so liegt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt (vgl. u. a. Urteile Brachner, C‑123/10, EU:C:2011:675, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 29).

29

In der vorliegenden Rechtssache ist festzustellen, dass die Beurteilung des vorlegenden Gerichts auf der doppelten Prämisse beruht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung die Gruppe der Teilzeitarbeitnehmer betrifft, die vornehmlich aus weiblichen Arbeitnehmern besteht.

30

Insoweit ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, nicht auf alle Teilzeitarbeitnehmer anzuwenden ist, sondern nur auf die Arbeitnehmer, die eine Beitragslücke im Referenzzeitraum der letzten acht Jahre vor dem Eintritt des Versicherungsfalls aufweisen, soweit diese Lücke an eine Teilzeitbeschäftigung anschließt. Somit sind die allgemeinen statistischen Daten in Bezug auf die Gruppe der Teilzeitarbeitnehmer in ihrer Gesamtheit nicht einschlägig, um aufzuzeigen, dass durch diese Bestimmung wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen sind.

31

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass es, selbst wenn sich zeigt, dass eine Arbeitnehmerin wie Frau Cachaldora Fernández benachteiligt wird, weil sie im Zeitraum unmittelbar vor der Beitragslücke teilzeitbeschäftigt war, nicht ausgeschlossen ist, dass bestimmte Teilzeitbeschäftigte, wie das INSS, die spanische Regierung und die Europäische Kommission vorgetragen haben, durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung auch begünstigt sein können. In allen Fällen nämlich, in denen der Vertrag, der der beruflichen Untätigkeit vorausging, ein Vollzeitbeschäftigungsvertrag ist, in denen die Arbeitnehmer aber während des verbleibenden Referenzzeitraums oder sogar während ihres gesamten Berufslebens nur teilzeitbeschäftigt waren, werden diese bevorzugt, da sie eine gegenüber den tatsächlich geleisteten Beiträgen überbewertete Rente erhalten.

32

Unter diesen Umständen erlauben die statistischen Daten, auf die das vorlegende Gericht seine Beurteilung gestützt hat, nicht die Feststellung, dass die Gruppe der Arbeitnehmer, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung benachteiligt werden, vornehmlich aus – insbesondere weiblichen – Teilzeitbeschäftigten besteht.

33

Angesichts der vorstehenden Erwägungen kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung auf der Grundlage der in der Vorlageentscheidung beschriebenen Elemente nicht als überwiegend nachteilig für eine bestimmte Kategorie von Arbeitnehmern, im vorliegenden Fall die Teilzeitbeschäftigten und a fortiori die Frauen, angesehen werden. Diese Bestimmung kann daher nicht als mittelbar diskriminierende Maßnahme im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 angesehen werden.

34

Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

Zur zweiten Frage

35

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats in seinen Anwendungsbereich fällt, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

36

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sich aus der Präambel der Rahmenvereinbarung ergibt, dass sie „sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten [erstreckt] und [an]erkennt …, dass Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen“.

37

Zum anderen fallen Versorgungsbezüge, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne der Rahmenvereinbarung, wenn sie von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängen, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt werden (Urteil Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 21).

38

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Gesamtheit der Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rente um Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit handelt. Diese Rente kann daher, wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht als eine Beschäftigungsbedingung im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung angesehen werden und fällt somit nicht in ihren Anwendungsbereich.

39

Im Übrigen würde eine Auslegung des in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung verwendeten Ausdrucks „Hindernis rechtlicher Natur“, nach der die Mitgliedstaaten gezwungen wären, außerhalb des Bereichs der Beschäftigungsbedingungen Maßnahmen in Zusammenhang mit einer Rente wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu erlassen, darauf hinauslaufen, ihnen Verpflichtungen im Bereich der allgemeinen Sozialpolitik aufzuerlegen, die Maßnahmen betreffen, die nicht in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung fallen.

40

Darüber hinaus berührt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung, wie in den Rn. 30 und 31 des vorliegenden Urteils festgestellt, nicht alle Teilzeitarbeitnehmer, sondern nur die Arbeitnehmer, die unmittelbar nach einem Zeitraum in Teilzeitbeschäftigung eine Beitragslücke aufweisen. Außerdem begünstigt diese Bestimmung die Arbeitnehmer, die, obwohl sie während eines Großteils ihres Berufslebens teilzeitbeschäftig waren, unmittelbar vor einer Beitragslücke vollzeitbeschäftigt waren. Im Hinblick auf den Zufallscharakter der Wirkung dieser Bestimmung auf Teilzeitbeschäftigte kann sie nicht als ein Hindernis rechtlicher Natur angesehen werden, das die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränkt.

41

Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats nicht in ihren Anwendungsbereich fällt, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

Kosten

42

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

 

2.

Die am 6. Juni 1997 geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, die im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung enthalten ist, ist dahin auszulegen, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats nicht in ihren Anwendungsbereich fällt, die vorsieht, dass die Beitragslücken, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung in dem Referenzzeitraum für die Berechnung einer beitragsabhängigen Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit entstanden sind, durch Heranziehung der jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen geschlossen werden, die durch Anwendung des Teilzeitkoeffizienten für diese Beschäftigung herabgesetzt werden, während eine solche Herabsetzung nicht erfolgt, wenn diese Lücken auf eine Vollzeitbeschäftigung folgen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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