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Document 62013CJ0422

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 2. Juli 2015.
Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein gegen Dr. med. vet. Uta Wree.
Vorabentscheidungsersuchen des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Betriebsprämienregelung – Verordnung (EG) Nr. 73/2009 – Art. 34 Abs. 2 Buchst. a – Begriff ‚beihilfefähige Fläche‘ – Begriff ‚landwirtschaftliche Fläche‘ – Fläche, die die renaturierte Abdeckschicht einer stillgelegten Deponie bildet – Landwirtschaftlichen Zwecken dienende Nutzung – Beihilfefähigkeit.
Rechtssache C-422/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:438

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

2. Juli 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Landwirtschaft — Gemeinsame Agrarpolitik — Betriebsprämienregelung — Verordnung (EG) Nr. 73/2009 — Art. 34 Abs. 2 Buchst. a — Begriff ‚beihilfefähige Fläche‘ — Begriff ‚landwirtschaftliche Fläche‘ — Fläche, die die renaturierte Abdeckschicht einer stillgelegten Deponie bildet — Landwirtschaftlichen Zwecken dienende Nutzung — Beihilfefähigkeit“

In der Rechtssache C‑422/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juli 2013, in dem Verfahren

Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein

gegen

Uta Wree

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter S. Rodin, A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Landesamts für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Ewer und A. Behnsen,

von Frau Wree, vertreten durch Rechtsanwältin A. Kröner,

der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und R. Holdgaard als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Kranenborg und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juli 2014

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 (ABl. L 30, S. 16, und Berichtigung ABl. 2010, L 43, S. 7).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (im Folgenden: Landesamt) und Frau Wree über die Beihilfefähigkeit von Flächen, die die renaturierte Abdeckschicht zweier Deponien bilden, von denen sich die eine in der Stilllegungsphase und die andere in der Nachsorgephase befindet.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 73/2009

3

Durch die Verordnung Nr. 73/2009 wurde die Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2019/93, (EG) Nr. 1452/2001, (EG) Nr. 1453/2001, (EG) Nr. 1454/2001, (EG) Nr. 1868/94, (EG) Nr. 1251/1999, (EG) Nr. 1254/1999, (EG) Nr. 1673/2000, (EWG) Nr. 2358/71 und (EG) Nr. 2529/2001 (ABl. L 270, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 94, S. 70) mit Wirkung vom 1. Januar 2009 aufgehoben und ersetzt.

4

Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 73/2009 heißt es:

„Die positiven Umweltauswirkungen von Dauergrünland wurden in der Verordnung … Nr. 1782/2003 anerkannt. Die Maßnahmen der genannten Verordnung zur Erhaltung des bestehenden Dauergrünlands, um einer massiven Umstellung auf Ackerland entgegenzuwirken, sollten beibehalten werden.“

5

Gemäß Art. 2 der Verordnung Nr. 73/2009 bezeichnete der Begriff

„…

c)

‚landwirtschaftliche Tätigkeit‘ die Erzeugung, die Zucht oder den Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse, einschließlich Ernten, Melken, Zucht von Tieren und Haltung von Tieren für landwirtschaftliche Zwecke, oder die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand gemäß Artikel 6;

h)

‚landwirtschaftliche Fläche‘ jede Fläche, die als Ackerland, Dauergrünland oder mit Dauerkulturen genutzt wird.“

6

Art. 34 der Verordnung Nr. 73/2009 sah vor:

„(1)   Eine Stützung im Rahmen der Betriebsprämienregelung wird den Betriebsinhabern bei Aktivierung eines Zahlungsanspruchs je beihilfefähige Hektarfläche gewährt. Bei aktivierten Zahlungsansprüchen besteht Anspruch auf die Zahlung der darin festgesetzten Beträge.

(2)   Im Sinne dieses Titels bezeichnet der Ausdruck ‚beihilfefähige Hektarfläche‘

a)

jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs und jede Fläche mit Niederwald mit Kurzumtrieb (KN-Code ex 0602 90 41), die für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird, oder, wenn die Fläche auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird, hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird …

…“

Verordnung (EG) Nr. 1120/2009

7

Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1120/2009 der Kommission vom 29. Oktober 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Betriebsprämienregelung gemäß Titel III der Verordnung Nr. 73/2009 (ABl. L 316, S. 1) bestimmte:

„Für Titel III der Verordnung … Nr. 73/2009 und die vorliegende Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)

‚Ackerland‘: für den Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen genutzte Flächen oder gemäß Artikel 6 der Verordnung … Nr. 73/2009 in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand erhaltene Flächen, …

c)

‚Dauergrünland‘: Flächen, die durch Einsaat oder auf natürliche Weise (Selbstaussaat) zum Anbau von Gras oder anderen Grünfutterpflanzen genutzt werden und mindestens fünf Jahre lang nicht Bestandteil der Fruchtfolge des landwirtschaftlichen Betriebs waren, ausgenommen Flächen im Rahmen von Stilllegungsregelungen …; zu diesem Zweck sind ‚Gras oder andere Grünfutterpflanzen‘ alle Grünpflanzen, die herkömmlicherweise in natürlichem Grünland anzutreffen oder normalerweise Teil von Saatgutmischungen für Grünland oder Wiesen in dem Mitgliedstaat sind (unabhängig davon, ob die Flächen als Viehweiden genutzt werden). …

…“

8

Art. 9 der Verordnung Nr. 1120/2009 lautete:

„Für die Anwendung von Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung … Nr. 73/2009 gilt jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs, die auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird, als hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzte Fläche, wenn die landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden kann, ohne durch die Intensität, Art, Dauer oder den Zeitpunkt der nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit stark eingeschränkt zu sein.

Die Mitgliedstaaten legen Kriterien für die Umsetzung der Bestimmungen des Unterabsatzes 1 auf ihrem Hoheitsgebiet fest.“

Verordnung (EG) Nr. 1122/2009

9

Gemäß Art. 58 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 73/2009 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe gemäß der genannten Verordnung und mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Rahmen der Stützungsregelung für den Weinsektor (ABl. L 316, S. 65) wird, wenn sich die Differenz zwischen der von einem Betriebsinhaber angemeldeten Fläche und der Fläche, für die alle für die Gewährung der Beihilfe erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auf mehr als 50 % der letztgenannten Fläche beläuft, keine Beihilfe gezahlt, und der Betriebsinhaber ist ein weiteres Mal bis zur Höhe des Betrags, der der Differenz zwischen den beiden Flächen entspricht, von der Beihilfegewährung auszuschließen.

Richtlinie 1999/31/EG

10

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien (ABl. L 182, S. 1) bestimmt:

„Im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie 75/442/EWG [des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39)], insbesondere ihrer Artikel 3 und 4, ist es Ziel der vorliegenden Richtlinie, durch die Festlegung strenger betriebsbezogener und technischer Anforderungen in Bezug auf Abfalldeponien und Abfälle Maßnahmen, Verfahren und Leitlinien vorzusehen, mit denen während des gesamten Bestehens der Deponie negative Auswirkungen der Ablagerung von Abfällen auf die Umwelt, insbesondere die Verschmutzung von Oberflächenwasser, Grundwasser, Boden und Luft, und auf die globale Umwelt, einschließlich des Treibhauseffekts, sowie alle damit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit weitestmöglich vermieden oder vermindert werden.“

11

Art. 13 der Richtlinie 1999/31 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass, gegebenenfalls im Einklang mit der Genehmigung,

c)

nach der endgültigen Stilllegung einer Deponie der Betreiber für die Wartungsarbeiten, die Mess- und Überwachungsmaßnahmen während der Nachsorgephase so lange verantwortlich ist, wie es die zuständige Behörde unter Berücksichtigung des Zeitraums verlangt, in dem von der Deponie Gefährdungen ausgehen können.

Der Betreiber meldet der zuständigen Behörde alle erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt, die durch die Überwachungsverfahren festgestellt werden, und kommt der Anordnung der Behörde über Art und Zeitpunkt der zu treffenden Abhilfemaßnahmen nach;

d)

solange die zuständige Behörde der Auffassung ist, dass eine Deponie [die] Umwelt gefährden könnte, und unbeschadet gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Rechtsvorschriften über die Haftung des Abfallbesitzers der Deponiebetreiber verantwortlich ist für die Messung und Analyse von Deponiegas und Sickerwasser aus der Deponie und das Grundwasserregime im Umfeld der Deponie gemäß Anhang III.“

Deutsches Recht

12

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich bei Deponien gemäß § 3 Abs. 10 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) um bauliche Anlagen bzw. Beseitigungsanlagen handelt. Dies gelte jedenfalls, solange sie noch nicht aus der sogenannten Nachsorgepflicht entlassen bzw. Anordnungen zur Gefahrenabwehr zu befolgen seien.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

13

Frau Wree ist Tierärztin und betreibt eine Schäferei. In diesem Zusammenhang züchtet sie u. a. Schafe und erzeugt Schlachtlämmer.

14

Ihre Tierherden beweiden verschiedene Grünflächen in den Gebieten des Kreises Nordfriesland (Deutschland) und des Kreises Schleswig-Flensburg (Deutschland).

15

Zu diesem Weideland zählen u. a. die renaturierten Abdeckschichten der Deponien Ahrenshöft im Kreis Nordfriesland und Schleswig-Haferteich im Kreis Schleswig-Flensburg. Auf diesen beiden oberirdischen Deponien ist die Ablagerungsphase für Abfälle beendet. Die Deponie Ahrenshöft befindet sich gegenwärtig noch in der Stilllegungsphase und soll demnächst in die Nachsorgephase entlassen werden, während die Deponie Schleswig-Haferteich bereits eine Nachsorgephase durchläuft.

16

Zwischen Frau Wree und den Betreibern der betreffenden Deponien bestehen jeweils vertragliche Vereinbarungen, auf deren Grundlage Frau Wree zur unentgeltlichen Schafsbeweidung der dortigen Grünflächen berechtigt ist.

17

In der als „Landpachtvertrag über Einzelflächen“ bezeichneten Vereinbarung zwischen Frau Wree und dem Betreiber der Deponie Ahrenshöft heißt es in § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 2: „Ziel der Verpachtung ist die Verhinderung einer Verbuschung der Fläche. Der Pächter ist gehalten, in Absprache und Zusammenarbeit mit dem Verpächter Schäden an der Grasnarbe zu verhindern.“

18

§ 19 Abs. 1 der Vereinbarung lautet:

„Der Verpächter oder ein durch ihn Beauftragter haben jederzeit das Recht, die verpachteten Flächen zu betreten und untersuchen zu lassen.“

19

Seit dem Jahr 2007 bestehen zwischen Frau Wree und dem Betreiber der Deponie Schleswig-Haferteich ebenfalls vertragliche Vereinbarungen.

20

Am 11. Mai 2010 beantragte Frau Wree die Gewährung der Betriebsprämie für das Erntejahr 2010 und gab hierfür eine beihilfefähige Fläche von 25,5098 ha an, worunter sie auch die Grünflächen auf den Deponien Ahrenshöft und Schleswig-Haferteich fasste.

21

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2010 lehnte das Landesamt den Antrag mit der Begründung ab, dass die betreffenden Flächen, insgesamt 19,7855 ha, im Verzeichnis der landwirtschaftlich genutzten Parzellen nicht erfasst seien und dass die von Frau Wree angemeldete beihilfefähige Fläche sich in Wirklichkeit auf 5,7243 ha belaufe. Aufgrund dessen entschied das Landesamt nach Art. 85 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1122/2009, dass Frau Wree keine Beihilfe nach der Betriebsprämienregelung zu gewähren sei.

22

Hiergegen legte Frau Wree Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie nutze die Flächen auf den Deponien als Weiden zur Schafhaltung und schleppe und mähe Teilflächen. Zur weiteren Begründung ihres Widerspruchs führte sie zusätzlich aus, die gesamte Oberfläche der Deponien könne ohne Einschränkungen zur Schafbeweidung genutzt werden.

23

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2011 wies das Landesamt den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung stellte es darauf ab, bei den von Frau Wree beantragten Flächen handele es sich nicht um landwirtschaftliche Nutzflächen im Sinne der Verordnung Nr. 73/2009, sondern nach der Deponieverordnung um stillgelegte Deponien.

24

Am 15. April 2011 erhob Frau Wree beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht Klage, mit der sie u. a. geltend machte, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die vorrangige Nutzung der betreffenden Flächen die einer stillgelegten Deponie sei, da es sich dabei um einen Zustand und nicht um eine „Nutzung“ handele. Dagegen machte das Landesamt geltend, die Flächen würden hauptsächlich als Deponien in der Nachsorgephase genutzt. Aus Gründen der Deponiestabilität dürften die Flächen kontrolliert mit Schafen beweidet werden. Die Deponiebetreiber hätten die betreffenden Flächen Frau Wree vor allem deshalb kostenlos zur Verfügung gestellt, um unliebsame biologische Prozesse, die die Deponiestabilität beeinflussten, zu vermeiden.

25

Mit Urteil vom 19. Januar 2012 gab das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht der Klage statt. Frau Wree stehe ein Anspruch auf die Betriebsprämie für das Jahr 2010 unter Berücksichtigung der von ihr bewirtschafteten Flächen zu.

26

Mit Beschluss vom 3. September 2012 gab das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht einem Antrag des Landesamts auf Zulassung der Berufung statt.

27

Vor dem vorlegenden Gericht trägt das Landesamt u. a. vor, dass die Flächen der Deponien Ahrenshöft und Schleswig-Haferteich nicht als landwirtschaftliche Flächen im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Verordnung Nr. 73/2009 anzusehen seien.

28

Da das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von der Auslegung des Unionsrechts abhänge, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Handelt es sich auch dann um eine landwirtschaftliche Fläche im Sinne von Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009, wenn deren Nutzung zwar auch landwirtschaftlichen Zwecken dient (Beweidung zwecks Schafhaltung), diese Fläche jedoch die Abdeckschicht einer in der Nachsorge befindlichen Abfalldeponie bildet?

Zur Vorlagefrage

29

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009 dahin auszulegen ist, dass es sich bei einer Fläche, deren Nutzung zwar der Beweidung zwecks Schafhaltung dient, die jedoch die Abdeckschicht einer in der Nachsorge befindlichen Abfalldeponie bildet, um eine landwirtschaftliche Fläche im Sinne dieser Bestimmung handelt.

30

Nach dieser Bestimmung ist u. a. jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs beihilfefähig, die für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird, oder, wenn die Fläche auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird, hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird.

31

Der Begriff „landwirtschaftliche Fläche“ ist in Art. 2 Buchst. h der Verordnung Nr. 73/2009 definiert als „jede Fläche, die als Ackerland, Dauergrünland oder mit Dauerkulturen genutzt wird“.

32

Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass die fraglichen Flächen als Grünland genutzt werden.

33

Solche Flächen können jedoch nur dann als „Dauergrünland“ und damit als „landwirtschaftliche Flächen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Verordnung Nr. 73/2009 eingestuft werden, wenn sie der Definition in Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1120/2009 entsprechen, wonach unter „Dauergrünland“ Flächen zu verstehen sind, „die durch Einsaat oder auf natürliche Weise (Selbstaussaat) zum Anbau von Gras oder anderen Grünfutterpflanzen genutzt werden und mindestens fünf Jahre lang nicht Bestandteil der Fruchtfolge des landwirtschaftlichen Betriebs waren, ausgenommen Flächen im Rahmen von Stilllegungsregelungen“. Klarstellend heißt es in dieser Bestimmung weiter: „zu diesem Zweck sind ‚Gras oder andere Grünfutterpflanzen‘ alle Grünpflanzen, die herkömmlicherweise in natürlichem Grünland anzutreffen oder normalerweise Teil von Saatgutmischungen für Grünland oder Wiesen in dem Mitgliedstaat sind (unabhängig davon, ob die Flächen als Viehweiden genutzt werden)“.

34

Zunächst ist in Bezug auf die Frage, ob es sich bei Flächen, die die Abdeckschicht von Deponien in der Nachsorgephase bilden, um „Flächen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1120/2009 handelt, darauf hinzuweisen, dass Frau Wree in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen hat, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Deponien seien durch mehrere Schichten abgedeckt, wobei eine obere Schicht Elemente enthalte, die auch im natürlichen Boden vorhanden sind, nämlich Sand und Ton.

35

Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen wäre die renaturierte Abdeckschicht der Deponien, wenn ihre Funktion gerade darin bestehen sollte, einer mit Gras und anderen Grünfutterpflanzen bedeckten natürlichen Fläche möglichst weitgehend zu entsprechen, als „Fläche“ im Sinne der Verordnung Nr. 73/2009 anzusehen.

36

Die Einstufung der fraglichen Flächen als „Dauergrünland“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1120/2009 hängt sodann von der tatsächlichen Nutzung der fraglichen Flächen ab, wobei eine als „Dauergrünland“ im Sinne dieser Bestimmung genutzte Fläche als „landwirtschaftlich“ zu qualifizieren ist (vgl. entsprechend Urteil Landkreis Bad Dürkheim, C‑61/09, EU:C:2010:606, Rn. 37).

37

Daraus folgt, dass der Umstand, dass die Tätigkeit von Frau Wree auf den in Rede stehenden Flächen nach dem Pachtvertrag auch dazu dient, eine Verbuschung der Flächen zu verhindern oder gering zu halten, um eine Zerstörung der Abdeckschicht zu vermeiden, für die Einstufung irrelevant ist.

38

Ebenso wenig kann der vom Landesamt angeführte Umstand, dass die Flächen der abfallwirtschaftsrechtlichen Regelung unterliegen, als solcher ihrer Einstufung als „Dauergrünland“ im Sinne der genannten Bestimmung entgegenstehen.

39

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es sich bei einer Fläche, die die Abdeckschicht einer sich in der Nachsorge befindlichen Deponie bildet, um eine „landwirtschaftliche Fläche“ im Sinne von Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009 handelt, sofern sie tatsächlich als Dauergrünland genutzt wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

40

Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist hinzuzufügen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Flächen nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009 nur beihilfefähig sind, wenn sie für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt werden, oder, wenn sie auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden, hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt werden.

41

Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1120/2009 stellt insoweit klar, dass eine Fläche als hauptsächlich für eine landwirtschaftlich Tätigkeit genutzte Fläche gilt, wenn die landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden kann, ohne durch die Intensität, Art, Dauer oder den Zeitpunkt der nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit stark eingeschränkt zu sein.

42

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass Frau Wree ihre Herden auf den von der renaturierten Abdeckschicht zweier Deponien gebildeten Flächen weiden lässt. Diese Tätigkeit stellt, soweit sie in der Zucht von Tieren und der Haltung von Tieren zu landwirtschaftlichen Zwecken besteht, eine „landwirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 73/2009 dar.

43

Es ist ebenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob auf den betreffenden Flächen eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wurde, und gegebenenfalls, unter welchen Voraussetzungen sie ausgeübt wurde, da allein die vertraglich oder gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Ausübung nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeiten auf den Flächen nicht ausreicht, um davon auszugehen, dass sie tatsächlich für solche Tätigkeiten genutzt wurden. Folglich kann im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Verpächter nach dem Pachtvertrag jederzeit das Recht hat, die im Ausgangsverfahren fraglichen Flächen zu betreten und untersuchen zu lassen, nicht ausreichen, um die Frage nach der tatsächlichen Nutzung dieser Flächen von vornherein als beantwortet zu betrachten.

44

Schließlich ist zu beachten, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden landwirtschaftlichen Flächen nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009 nur beihilfefähig sind, wenn sie zum Betrieb des betreffenden Landwirts gehören. Dies ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Fall, wenn der Landwirt befugt ist, die Flächen zum Zwecke der Ausübung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit zu verwalten, d. h., wenn er hinsichtlich dieser Flächen über eine hinreichende Selbständigkeit bei der Ausübung seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit verfügt (vgl. entsprechend Urteil Landkreis Bad Dürkheim, C‑61/09, EU:C:2010:606, Rn. 58 und 62).

45

Infolgedessen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 73/2009 dahin auszulegen ist, dass es sich bei einer Fläche, die die Abdeckschicht einer in der Nachsorge befindlichen Abfalldeponie bildet, um eine „landwirtschaftliche Fläche“ im Sinne dieser Bestimmung handelt, sofern sie tatsächlich als Dauergrünland genutzt wird.

Kosten

46

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 34 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 ist dahin auszulegen, dass es sich bei einer Fläche, die die Abdeckschicht einer in der Nachsorge befindlichen Abfalldeponie bildet, um eine „landwirtschaftliche Fläche“ im Sinne dieser Bestimmung handelt, sofern sie tatsächlich als Dauergrünland genutzt wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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