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Document 62013CJ0108

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 6. November 2014.
Mac GmbH gegen Ministère de l’Agriculture, de l’Agroalimentaire et de la Forêt.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich].
Freier Warenverkehr – Mengenmäßige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Phytosanitäre Erzeugnisse – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Parallelimport – Erfordernis einer im Ausfuhrstaat gemäß der Richtlinie 91/414/EWG erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen.
Rechtssache C‑108/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2346

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

6. November 2014 ( *1 )

„Freier Warenverkehr — Mengenmäßige Beschränkungen — Maßnahmen gleicher Wirkung — Phytosanitäre Erzeugnisse — Genehmigung für das Inverkehrbringen — Parallelimport — Erfordernis einer im Ausfuhrstaat gemäß der Richtlinie 91/414/EWG erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen“

In der Rechtssache C‑108/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 28. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 6. März 2013, in dem Verfahren

Mac GmbH

gegen

Ministère de l’Agriculture, de l’Agroalimentaire et de la Forêt

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Mac GmbH, vertreten durch M. Le Berre, avocat,

des Ministère de l’Agriculture, de l’Agroalimentaire et de la Forêt, vertreten durch I. Chalkias und E. Chroni als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch S. Menez und D. Colas als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wilms und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Mai 2014

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 34 AEUV und 36 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Mac GmbH (im Folgenden: Mac) und dem Ministère de l’Agriculture, de l’Agroalimentaire et de la Forêt (Ministerium für Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft) über dessen Weigerung, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels in Frankreich als Parallelimport zu erteilen, für das im Vereinigten Königreich eine solche Genehmigung erteilt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Mit der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230, S. 1, und – Berichtigung – ABl. 1992, L 170, S. 40) werden einheitliche Regeln für die Voraussetzungen und das Verfahren für die Zulassung (im Folgenden auch: Genehmigung für das Inverkehrbringen bzw. Genehmigung) von Pflanzenschutzmitteln sowie die Überprüfung und die Rücknahme der Zulassung eingeführt. Mit der Richtlinie sollen nicht nur die Vorschriften über die Voraussetzungen und die Verfahren für die Zulassung dieser Erzeugnisse vereinheitlicht, sondern auch ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie für die Umwelt gegen die Bedrohungen und Gefahren gewährleistet werden, die sich aus der unzureichend kontrollierten Verwendung dieser Erzeugnisse ergeben. Diese Richtlinie soll außerdem Hindernisse für den freien Verkehr der Pflanzenschutzmittel beseitigen.

4

Die Richtlinie 91/414 betrifft insbesondere die Zulassung, das Inverkehrbringen, die Anwendung und die Kontrolle von Pflanzenschutzmitteln in handelsüblicher Form in der Europäischen Union. Unter „Inverkehrbringen“ ist nach Art. 2 Nr. 10 dieser Richtlinie jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe, ausgenommen die Abgabe zur Lagerung mit anschließender Ausfuhr aus dem Gebiet der Gemeinschaft, zu verstehen. Die Einfuhr eines Pflanzenschutzmittels in dieses Gebiet wird als Inverkehrbringen im Sinne der genannten Richtlinie angesehen.

5

In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass in ihrem Gebiet nur die Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht und angewendet werden dürfen, die sie nach den Bestimmungen dieser Richtlinie zugelassen haben …“

6

In Art. 4 dieser Richtlinie sind u. a. die Voraussetzungen aufgeführt, die ein Pflanzenschutzmittel für die Zulassung erfüllen muss. Nach diesem Artikel müssen in der Zulassung die Auflagen hinsichtlich des Inverkehrbringens und der Anwendung der Mittel präzisiert werden. Die Zulassungen werden nur für einen von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitraum von höchstens zehn Jahren erteilt. Sie können jederzeit überprüft werden und müssen unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Nimmt ein Mitgliedstaat eine Zulassung zurück, unterrichtet er unverzüglich den Inhaber davon.

7

Art. 9 der Richtlinie 91/414 bestimmt:

„(1)   Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist von demjenigen, der für das erste Inverkehrbringen im Gebiet eines Mitgliedstaats verantwortlich ist, oder in seinem Namen bei den zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaats, in dem das Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht werden soll, zu beantragen.

(5)   Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass für jeden Antrag eine Akte angelegt wird. Jede Akte enthält mindestens eine Kopie des Antrags, ein Verzeichnis der von dem Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag und in Bezug auf die Angaben und Unterlagen gemäß Artikel 13 Absatz 1 getroffenen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen sowie eine Zusammenfassung hiervon. Auf Anfrage gewähren die Mitgliedstaaten den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission Einsicht in diese Akten; ferner übermitteln sie ihnen auf Antrag alle für das volle Verständnis der Anträge notwendigen Informationen und tragen – soweit erforderlich – dafür Sorge, dass die Antragsteller eine Ausfertigung der Unterlagen gemäß Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe a) vorlegen.“

8

Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 muss ein Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels gestellt wird, das in einem anderen Mitgliedstaat bereits zugelassen ist, unter bestimmten Umständen und vorbehaltlich von Ausnahmen davon absehen, zu verlangen, dass die Versuche und Analysen, die bereits durchgeführt worden sind, wiederholt werden.

9

Art. 12 der Richtlinie 91/414 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten unterrichten die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission zumindest am Ende eines jeden Quartals binnen eines Monats schriftlich über alle Pflanzenschutzmittel, die nach dieser Richtlinie zugelassen wurden bzw. deren Zulassung zurückgenommen wurde; dabei sind folgende Mindestangaben zu machen:

Name bzw. Firmenname des Inhabers der Zulassung,

Handelsname des Pflanzenschutzmittels,

Art der Zubereitung,

Name und Anteil jedes darin enthaltenen Wirkstoffs,

Verwendungszweck(e),

vorläufig festgelegte Rückstandshöchstwerte, soweit sie nicht schon durch die Gemeinschaftsregelung vorgeschrieben sind,

gegebenenfalls Gründe für die Rücknahme einer Zulassung,

die erforderlichen Unterlagen der vorläufig festgesetzten Höchstmengen für Rückstände.

(2)   Jeder Mitgliedstaat erstellt jährlich eine Liste der Pflanzenschutzmittel, die in seinem Gebiet zugelassen sind, und leitet diese Liste den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission zu.

Nach dem Verfahren des Artikels 21 wird ein einheitliches Informationssystem eingeführt, um die Anwendung der Absätze 1 und 2 zu erleichtern.“

10

Die Richtlinie 91/414 wurde mit Wirkung vom 14. Juni 2011 durch die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414 des Rates (ABl. L 309, S. 1) ersetzt. Da sich das Geschehen, das dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, vor dem Erlass der Verordnung Nr. 1107/2009 ereignete, ist diese auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar.

Französisches Recht

11

Art. L. 253‑1 des Code rural (Landwirtschaftsgesetzbuch) in seiner bei Erlass der im Ausgangsverfahren angefochtenen Entscheidung geltenden Fassung bestimmt:

„I.

Das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ihre Anwendung und ihr Besitz durch den Endanwender sind verboten, soweit für sie keine Genehmigung für das Inverkehrbringen oder Vertriebsgenehmigung zu Versuchszwecken, die unter den in diesem Kapitel vorgesehenen Voraussetzungen erteilt worden ist, vorliegt.

Die Verwendung der in Abs. 1 genannten Mittel unter anderen als den im Zulassungsbescheid vorgesehenen Voraussetzungen ist verboten.

II.

Im Sinne dieses Kapitels sind:

1.

Pflanzenschutzmittel: Zubereitungen, die einen oder mehrere Wirkstoffe enthalten …

2.

Inverkehrbringen: jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe, ausgenommen die Abgabe zur Lagerung mit anschließender Ausfuhr aus dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft. Die Einfuhr eines Pflanzenschutzmittels stellt ein Inverkehrbringen dar.

…“

12

Art. R. 253‑52 des Code rural in seiner zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltenden Fassung sieht vor:

„Unter folgenden Voraussetzungen ist es zulässig, ein Pflanzenschutzmittel aus einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, für das dort bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 91/414 … erteilt worden ist und das mit einem nachfolgend als ‚Referenzmittel‘ bezeichneten Erzeugnis übereinstimmt, in das Inland einzuführen:

Für das Referenzmittel muss von dem für die Landwirtschaft zuständigen Minister … eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sein.

Die Übereinstimmung des in das Inland eingeführten Erzeugnisses mit dem Referenzmittel beurteilt sich anhand der drei folgenden Kriterien:

1.

gemeinsamer Ursprung der beiden Erzeugnisse in dem Sinne, dass sie nach derselben Formel von derselben Gesellschaft, von Unternehmen, die miteinander verbunden sind, oder von einem Lizenzinhaber hergestellt worden sind;

2.

Herstellung unter Verwendung desselben Wirkstoffs oder derselben Wirkstoffe;

3.

ähnliche Auswirkungen der beiden Erzeugnisse unter Berücksichtigung möglicher mit deren Anwendung verbundener Unterschiede hinsichtlich der Bedingungen in Bezug auf die Landwirtschaft, den Pflanzenschutz und die Umwelt, insbesondere die Klimaverhältnisse.“

13

Art. R. 253‑53 des Code rural lautet:

„Die Einfuhr eines Pflanzenschutzmittels aus einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in das Inland setzt einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen voraus.

Durch Erlass des für die Landwirtschaft zuständigen Ministers, der nach Stellungnahme der Minister für Industrie, Konsum, Umwelt und Gesundheit ergeht, wird die Liste der zur Stützung des Antrags vorzulegenden Informationen festgelegt, insbesondere derjenigen, die sich auf die Person, die die Genehmigung beantragt, und auf das Erzeugnis, das Gegenstand des Antrags ist, beziehen.

Des Weiteren kann der für die Landwirtschaft zuständige Minister, um die Übereinstimmung des in das Inland eingeführten Erzeugnisses mit dem Referenzmittel festzustellen:

1.

die in den Akten des Referenzmittels enthaltenen Informationen heranziehen;

2.

vom Inhaber der Genehmigung für das Referenzmittel verlangen, ihm die näheren Angaben, über die er verfügt, zu liefern;

3.

von den Behörden des Staates, in dem das in das Inland einzuführende Erzeugnis genehmigt wurde, gemäß den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie 91/414 … Informationen anfordern.“

14

Art. R. 253‑55 des Code rural bestimmt:

„Die Genehmigung für das Inverkehrbringen des in das Inland eingeführten Erzeugnisses kann versagt … werden:

1.

aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie der Umwelt;

2.

wegen mangelnder Übereinstimmung im Sinne des Art. R. 253‑52 mit dem Referenzmittel …

Vor einer Versagung … der Genehmigung für das Inverkehrbringen wird der Antragsteller … in die Lage versetzt, gegenüber dem für die Landwirtschaft zuständigen Minister Stellung zu nehmen.“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

15

Zur für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit lag in Frankreich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels Cerone vor, die Bayer Cropscience France gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 91/414 erteilt worden war. Ferner ergibt sich aus den Akten, dass der Bayer Cropscience Ltd im Vereinigten Königreich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Pflanzenschutzmittels gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 91/414 erteilt worden war.

16

Anschließend wurde im Vereinigten Königreich die Vermarktung eines Erzeugnisses unter dem Namen „Agrotech Ethephon“ als Parallelimport unter Verwendung der Genehmigung für das Inverkehrbringen, die der Bayer Cropscience Ltd für Cerone als Referenzmittel erteilt worden war, genehmigt.

17

Mac beantragte am 27. November 2007 eine Genehmigung für den Parallelimport des Erzeugnisses Agrotech Etephon nach Frankreich, um es in diesem Mitgliedstaat unter der Bezeichnung „Mac-Ethephone“ zu vermarkten.

18

Am 20. Februar 2008 gab die Agence française de sécurité sanitaire des aliments (AFSSA) (Französische Agentur für Lebensmittelsicherheit) eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Antrag ab, in der sie ausführte, dass „die zur Verfügung stehenden Informationen den Schluss zulassen, dass der Wirkstoff der Zubereitung Agrotech Ethephon denselben Ursprung wie die Referenzzubereitung Cerone hat und dass die Gesamtzusammensetzungen der Zubereitung Agrotech Ethephon und der Referenzzubereitung Cerone als identisch angesehen werden können“.

19

Mit Entscheidung vom 29. Mai 2009 lehnte das Ministère de l’Agriculture, de l’Agroalimentaire et de la Forêt diesen Antrag mit der Begründung ab, das Erzeugnis mit der Bezeichnung „Agrotech Etephon“ verfüge im Vereinigten Königreich nicht über eine gemäß der Richtlinie 91/414 erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen, wie sie in Art. R. 253‑52 des Code rural vorgeschrieben sei.

20

Mac erhob am 21. Juli 2009 Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung und machte u. a. geltend, dass die Bestimmungen des Art. R. 253‑52 des Code rural mit Art. 34 AEUV unvereinbar seien, soweit sie es nicht erlaubten, eine Genehmigung für den Parallelimport eines Erzeugnisses zu erteilen, das im Ausfuhrstaat bereits über eine solche Genehmigung verfüge.

21

Mit Beschluss vom 16. Februar 2011 leitete der Präsident des Tribunal administratif de Paris (Verwaltungsgericht Paris) die Klage an den Conseil d’État weiter.

22

Unter diesen Umständen hat der Conseil d'État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Art. 34 AEUV und 36 AEUV einer nationalen Regelung entgegen, die u. a. die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels als Parallelimport an die Bedingung knüpft, dass für das betreffende Erzeugnis im Ausfuhrstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 91/414/EWG erteilt worden ist, und die es infolgedessen nicht erlaubt, für ein Erzeugnis, für das im Ausfuhrstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen als Parallelimport erteilt worden ist und das mit einem im Einfuhrstaat genehmigten Erzeugnis übereinstimmt, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen als Parallelimport zu erteilen?

Zur Vorlagefrage

23

Mit seiner Frage möchte der Conseil d’État wissen, ob die Art. 34 AEUV und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Erteilung einer Genehmigung für den Parallelimport eines Pflanzenschutzmittels ausschließt, dessen Inverkehrbringen im Ausfuhrmitgliedstaat nicht auf der Grundlage der Richtlinie 91/414 genehmigt wurde, für das aber eine Genehmigung zum Parallelimport erteilt wurde und das mit einem im Einfuhrmitgliedstaat zugelassenen Erzeugnis übereinstimmt.

24

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Pflanzenschutzmittel als übereinstimmend angesehen werden, wenn sie zumindest insofern einen gemeinsamen Ursprung haben, als sie von demselben Unternehmen oder einem verbundenen Unternehmen oder in Lizenz nach derselben Formel hergestellt wurden, wenn sie unter Verwendung desselben Wirkstoffs hergestellt wurden und wenn sie überdies die gleichen Wirkungen haben, wobei etwaige Unterschiede bei den für die Anwendung des Erzeugnisses relevanten Bedingungen in Bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt – einschließlich der Witterungsverhältnisse – zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Frankreich, C‑201/06, EU:C:2008:104, Rn. 39).

25

In diesem Bereich gilt der Grundsatz, dass jedes in einem Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachte Pflanzenschutzmittel von den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats zugelassen worden sein muss. So sieht Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 vor, dass ein Pflanzenschutzmittel in einem Mitgliedstaat nur in den Verkehr gebracht und angewendet werden darf, wenn dieser Mitgliedstaat zuvor eine Zulassung gemäß dieser Richtlinie erteilt hat. Diese Anforderung gilt auch dann, wenn das betreffende Erzeugnis bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen worden ist (Urteil Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 31).

26

Allerdings sieht die Richtlinie 91/414, was Paralleleinfuhren betrifft, keine Zulassungsvoraussetzungen für ein Pflanzenschutzmittel vor, das Gegenstand einer Paralleleinfuhr im Verhältnis zu einem Pflanzenschutzmittel ist, für das im Einfuhrmitgliedstaat bereits eine Zulassung nach den Bestimmungen dieser Richtlinie erteilt wurde. Eine solche Situation fällt jedoch unter die Bestimmungen über den freien Warenverkehr, so dass die Rechtmäßigkeit der nationalen Maßnahmen, mit denen die Paralleleinfuhren beschränkt werden, anhand der Art. 34 ff. AEUV zu prüfen ist (vgl. Urteile Escalier und Bonnarel, C‑260/06 und C‑261/06, EU:C:2007:659, Rn. 28, und Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 33).

27

Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass, wenn ein solcher Vorgang ein Pflanzenschutzmittel betrifft, das bereits nach der Richtlinie 91/414 im Ausfuhrmitgliedstaat und im Einfuhrmitgliedstaat zugelassen worden ist, dieses Erzeugnis nicht als erstmals im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht angesehen werden kann. Zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier oder der Umwelt ist es daher nicht notwendig, die Paralleleinführer auf das in dieser Richtlinie vorgesehene Zulassungsverfahren zu verweisen, da die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats bereits über alle für die Ausübung ihrer Kontrolle erforderlichen Angaben verfügen. Das Einfuhrerzeugnis dem Zulassungsverfahren zu unterwerfen, ginge über das zur Erreichung der den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt betreffenden Ziele dieser Richtlinie Erforderliche hinaus und könnte in Ermangelung einer Rechtfertigung gegen den in Art. 34 AEUV verankerten Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoßen (vgl. Urteile British Agrochemicals Association, C‑100/96, EU:C:1999:129, Rn. 32, und Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 34).

28

Ist ein Pflanzenschutzmittel als bereits im Einfuhrmitgliedstaat zugelassen anzusehen, müssen die zuständigen Behörden dieses Staates für das betreffende Erzeugnis die Zulassung gelten lassen, die für das bereits auf dem Markt befindliche Pflanzenschutzmittel gemäß der Richtlinie 91/414 erteilt worden ist, soweit dem keine den wirksamen Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt betreffenden Erwägungen entgegenstehen (vgl. Urteile British Agrochemicals Association, EU:C:1999:129, Rn. 36, und Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 35).

29

Jedoch kann für ein Pflanzenschutzmittel, das im Wege der Paralleleinfuhr in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelangt ist, die für ein bereits auf dem Markt dieses Staates befindliches Pflanzenschutzmittel erteilte Zulassung weder automatisch noch absolut und bedingungslos gelten. Kann ein Einfuhrerzeugnis nicht als bereits im Einfuhrmitgliedstaat zugelassen angesehen werden, kann dieser eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses nur unter Beachtung der gemäß der Richtlinie 91/414 aufgestellten Voraussetzungen erteilen oder das Inverkehrbringen und die Anwendung des Erzeugnisses verbieten (vgl. Urteil Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Daraus ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten die Pflanzenschutzmittel, deren Parallelimport in ihr Gebiet beantragt wird, einem Prüfungsverfahren unterziehen müssen, bei dem es sich, wie im vorliegenden Fall, um ein sogenanntes „vereinfachtes“ Verfahren handeln kann. Dieses vereinfachte Zulassungsverfahren für Parallelimporte dient der Prüfung, ob das einzuführende Erzeugnis eine Genehmigung für das Inverkehrbringen benötigt oder ob es als im Einfuhrmitgliedstaat bereits zugelassen anzusehen ist. In diesem Zusammenhang obliegt es den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats, auf Antrag der Betroffenen zu prüfen, ob sie für das betreffende Erzeugnis die Zulassung gelten lassen können, die für ein bereits auf dem Markt dieses Staates befindliches Pflanzenschutzmittel erteilt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Escalier und Bonnarel, EU:C:2007:659, Rn. 32, und Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 37).

31

Der Umstand, dass im Ausfuhrmitgliedstaat für das Pflanzenschutzmittel keine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 91/414, sondern eine Genehmigung zum Parallelimport erteilt wurde, schließt die Erteilung einer Genehmigung zum Parallelimport nach dem oben beschriebenen vereinfachten Kontrollverfahren nicht aus.

32

Dieses vereinfachte Verfahren beruht nämlich auf dem Gedanken, dass es, wenn das Einfuhrerzeugnis als mit dem Referenzmittel in dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils genannten Sinne übereinstimmend angesehen werden kann und keine den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt betreffenden Erwägungen es verbieten, die für das Inverkehrbringen des Referenzmittels erteilte Genehmigung für das Einfuhrerzeugnis gelten zu lassen, eine nach Art. 34 AEUV verbotene Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten darstellte, wenn die Einfuhr an die Bedingung geknüpft würde, dass das Einfuhrerzeugnis einem Prüfungsverfahren nach Art. 4 der Richtlinie 91/414 unterzogen wird.

33

Kann jedoch nicht festgestellt werden, dass das einzuführende Erzeugnis und das Referenzmittel übereinstimmen, so können die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats die Einfuhr nur unter Beachtung der gemäß der Richtlinie 91/414 aufgestellten Voraussetzungen genehmigen oder das Inverkehrbringen und die Anwendung des Erzeugnisses verbieten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Frankreich, EU:C:2008:104, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Gewiss ist diese Prüfung, wie die französische Regierung zutreffend geltend macht, nur möglich, wenn die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats über alle hierfür erforderlichen Informationen verfügen.

35

Hierzu ist jedoch erstens darauf hinzuweisen, dass Erzeugnisse, für die ein Mitgliedstaat auf der Grundlage eines vereinfachten Kontrollverfahrens eine Genehmigung zum Parallelimport erteilt hat, grundsätzlich die gleichen Garantien bieten wie Erzeugnisse, deren Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 91/414 genehmigt wurde. Zwar waren sie in dem Mitgliedstaat, in den sie parallel eingeführt wurden, nicht Gegenstand eines Zulassungsverfahrens auf der Grundlage der Bestimmungen dieser Richtlinie. Doch wurden sie als mit einem Referenzmittel, dessen Inverkehrbringen in diesem Mitgliedstaat genehmigt wurde, in dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils genannten Sinne übereinstimmend beurteilt, und die Kontrollbehörden des letzten Einfuhrmitgliedstaats verfügen über die Informationen, die bei der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses gesammelt wurden, das nach den Angaben des Paralleleinführers mit dem Erzeugnis übereinstimmt, das er in diesem Mitgliedstaat in den Verkehr zu bringen beabsichtigt.

36

Zweitens verfügen die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats, wie der Gerichtshof bereits hervorgehoben hat, über legislative und administrative Mittel, mit denen der Hersteller des Pflanzenschutzmittels, für dessen Inverkehrbringen bereits eine Genehmigung gemäß der Richtlinie 91/414 erteilt wurde, der offizielle Vertreter des Herstellers oder der Lizenzinhaber gezwungen werden können, die Angaben zu machen, über die sie verfügen und die die Behörden für notwendig halten. Die Behörden können außerdem auf die Unterlagen zurückgreifen, die im Rahmen des Antrags auf Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Pflanzenschutzmittels eingereicht wurden, und Auskünfte von den Behörden des Mitgliedstaats einholen, in dem das Erzeugnis zum Parallelimport zugelassen wurde (vgl. Urteil British Agrochemicals Association, EU:C:1999:129, Rn. 34). So sieht Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie 91/414 vor, dass die Mitgliedstaaten den anderen Mitgliedstaaten auf Anfrage Einsicht in die Akten gewähren, die sie für jeden Antrag anlegen müssen, und ihnen alle für das volle Verständnis der Anträge notwendigen Informationen übermitteln.

37

Wurde das betreffende Erzeugnis nur für den Parallelimport zugelassen, so können diese Informationen sowohl dieses Erzeugnis als auch das Erzeugnis betreffen, das zum Zweck des Parallelimports als Referenzmittel gedient hat. Informationen können im Rahmen des in Art. 12 der Richtlinie 91/414 vorgesehenen Informationssystems auch von dem Mitgliedstaat erlangt werden, aus dem das Erzeugnis erstmals ausgeführt wurde und in dem für dieses Erzeugnis eine Zulassung gemäß der Richtlinie 91/414 erteilt wurde.

38

Wird wie im Ausgangsverfahren ein in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 91/414 zugelassenes Erzeugnis im Wege des Parallelimports in diesen Staat reimportiert, nachdem es zuvor in einen anderen Staat parallel eingeführt worden war, sollten außerdem, wie der Generalanwalt in den Nrn. 52 und 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Informationen, die zur Durchführung der im Rahmen des vereinfachten Kontrollverfahrens geforderten Überprüfungen erforderlich sind, insbesondere zu den Beistoffen sowie der Primärverpackung, der Etikettierung und der Umverpackung des Erzeugnisses, einfacher ausfindig zu machen sein, da das Referenzmittel im Bestimmungsmitgliedstaat mit dem erstmals ausgeführten Mittel übereinstimmt.

39

Zwar haben die nationalen Behörden für die strikte Beachtung des wesentlichen Ziels der Unionsregelung – Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt – zu sorgen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt jedoch zum Schutz des freien Warenverkehrs, dass die in Rede stehende Regelung auf das zur Erreichung der rechtmäßig verfolgten Ziele des Schutzes der Umwelt sowie der Gesundheit von Mensch und Tier Erforderliche beschränkt wird (vgl. Urteil Escalier und Bonnarel, EU:C:2007:659, Rn. 37).

40

Folglich kann ein absolutes Verbot des Parallelimports von als Parallelimport in den Ausfuhrmitgliedstaat eingeführten Pflanzenschutzmitteln wie das im Ausgangsfall geltende, das auf eine angebliche systematische Unzulänglichkeit der Daten, die dem Einfuhrstaat zur Verfügung gestellt werden können, oder auf die bloße Möglichkeit einer solchen Unzulänglichkeit gestützt wird, in Fällen des parallelen Reimports nicht gerechtfertigt werden.

41

Nur dann, wenn die Behörden des letzten Einfuhrmitgliedstaats nach Abschluss des Kontrollverfahrens auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen zu dem Schluss kommen sollten, dass das Erzeugnis aufgrund des Umfangs der bei den vorangegangenen Parallelimporten an ihm vorgenommenen Änderungen nicht mehr als mit dem im Bestimmungsmitgliedstaat zugelassenen Referenzmittel in dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils genannten Sinne übereinstimmend angesehen werden kann, oder wenn sie davon ausgehen sollten, dass die zur Verfügung stehenden Daten nicht ausreichend sind, um die Übereinstimmung mit dem Referenzmittel festzustellen, oder wenn Erwägungen, die den wirksamen Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt betreffen, dem entgegenstehen, wären sie berechtigt, den Antrag auf Einfuhrgenehmigung abzulehnen.

42

Nach den vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 34 AEUV und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Erteilung einer Genehmigung für den Parallelimport eines Pflanzenschutzmittels ausschließt, dessen Inverkehrbringen im Ausfuhrmitgliedstaat nicht auf der Grundlage der Richtlinie 91/414 genehmigt wurde, für das aber eine Genehmigung zum Parallelimport erteilt wurde und das als mit einem im Einfuhrmitgliedstaat gemäß dieser Richtlinie zugelassenen Erzeugnis übereinstimmend angesehen werden kann.

Kosten

43

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Erteilung einer Genehmigung für den Parallelimport eines Pflanzenschutzmittels ausschließt, dessen Inverkehrbringen im Ausfuhrmitgliedstaat nicht auf der Grundlage der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln genehmigt wurde, für das aber eine Genehmigung zum Parallelimport erteilt wurde und das als mit einem im Einfuhrmitgliedstaat gemäß dieser Richtlinie zugelassenen Erzeugnis übereinstimmend angesehen werden kann.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Französisch.

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