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Document 62013CC0345

Schlussanträge des Generalanwalts M. Wathelet vom 2. April 2014.
Karen Millen Fashions Ltd gegen Dunnes Stores und Dunnes Stores (Limerick) Ltd.
Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court (Irland).
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Art. 6 – Eigenart – Unterschiedlicher Gesamteindruck – Art. 85 Abs. 2 – Nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Gültigkeit – Voraussetzungen – Beweislast.
Rechtssache C‑345/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:206

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 2. April 2014 ( 1 )

Rechtssache C‑345/13

Karen Millen Fashions Ltd

gegenDunnes Stores,

Dunnes Stores (Limerick) Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland])

„Geistiges und gewerbliches Eigentum — Beurteilung der Eigenart eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters — Beweislast“

1. 

Das Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court (Irland) betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ( 2 ) (im Folgenden: Verordnung Nr. 6/2002).

2. 

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Karen Millen Fashions Ltd (im Folgenden: KMF) einerseits und Dunnes Stores und Dunnes Stores (Limerick) Ltd (beide zusammen im Folgenden: Dunnes) andererseits, der darauf gerichtet ist, Dunnes die Benutzung der Geschmacksmuster, deren Rechtsinhaber KMF behauptet zu sein, zu untersagen.

I – Rechtlicher Rahmen

A – TRIPS-Übereinkommen

3.

Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) im Anhang 1 C des am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) wurde mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche ( 3 ) genehmigt.

4.

In Abschnitt 4 („Gewerbliche Muster und Modelle“) von Teil II („Normen betreffend die Verfügbarkeit, den Umfang und die Ausübung von Rechten des geistigen Eigentums“) dieses Übereinkommens bestimmt Art. 25 („Voraussetzungen für die Gewährung des Schutzes“):

„(1)

Die Mitglieder sehen den Schutz unabhängig geschaffener gewerblicher Muster und Modelle vor, die neu sind oder Eigenart haben. Die Mitglieder können bestimmen, dass Muster oder Modelle nicht neu sind oder keine Eigenart haben, wenn sie sich von bekannten Mustern oder Modellen oder Kombinationen bekannter Merkmale von Mustern oder Modellen nicht wesentlich unterscheiden. Die Mitglieder können bestimmen, dass sich dieser Schutz nicht auf Muster oder Modelle erstreckt, die im Wesentlichen aufgrund technischer oder funktionaler Überlegungen vorgegeben sind.

…“

B – Verordnung Nr. 6/2002

5.

In den Erwägungsgründen 9, 14, 16, 17, 19 und 25 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:

„(9)

Die materiellrechtlichen Bestimmungen dieser Verordnung über das Geschmacksmusterrecht sollten den entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 98/71/EG angepasst werden.

(14)

Ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, sollte danach beurteilt werden, inwieweit sich der Gesamteindruck, den der Anblick des Geschmacksmusters beim informierten Benutzer hervorruft, deutlich von dem unterscheidet, den der vorbestehende Formschatz bei ihm hervorruft, und zwar unter Berücksichtigung der Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere des jeweiligen Industriezweigs und des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters.

(16)

Einige dieser Wirtschaftszweige bringen zahlreiche Geschmacksmuster für Erzeugnisse hervor, die häufig nur eine kurze Lebensdauer auf dem Markt haben; für sie ist ein Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer von geringerer Bedeutung. Andererseits gibt es Wirtschaftszweige, die die Vorteile der Eintragung wegen ihrer größeren Rechtssicherheit schätzen und der Möglichkeit einer längeren, der absehbaren Lebensdauer ihrer Erzeugnisse auf dem Markt entsprechenden Schutzdauer bedürfen.

(17)

Hierfür sind zwei Schutzformen notwendig, nämlich ein kurzfristiges nicht eingetragenes Geschmacksmuster und ein längerfristiges eingetragenes Geschmacksmuster.

(19)

Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster sollte nur dann bestehen, wenn das Geschmacksmuster neu ist und wenn es außerdem eine Eigenart im Vergleich zu anderen Geschmacksmustern besitzt.

(25)

Wirtschaftszweige, die sehr viele möglicherweise kurzlebige Geschmacksmuster während kurzer Zeiträume hervorbringen, von denen vielleicht nur einige tatsächlich vermarktet werden, werden das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster vorteilhaft finden. Für diese Wirtschaftszweige besteht ferner der Bedarf, leichter auf das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster zugreifen zu können. Die Möglichkeit, eine Vielzahl von Geschmacksmustern in einer Sammelanmeldung zusammenzufassen, würde diesem Bedürfnis abhelfen. Die in einer Sammelanmeldung enthaltenen Geschmacksmuster können allerdings geltend gemacht werden oder Gegenstand einer Lizenz, eines dinglichen Rechts, einer Zwangsvollstreckung, eines Insolvenzverfahrens, eines Verzichts, einer Erneuerung, einer Rechtsübertragung, einer Aufschiebung der Bekanntmachung oder einer Nichtigerklärung unabhängig voneinander sein.“

6.

In Art. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:

„(1)   Ein den Voraussetzungen dieser Verordnung entsprechendes Geschmacksmuster wird nachstehend ‚Gemeinschaftsgeschmacksmuster‘ genannt.

(2)   Ein Geschmacksmuster wird:

a)

durch ein ‚nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster‘ geschützt, wenn es in der in dieser Verordnung vorgesehenen Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird;

…“

7.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

8.

Art. 5 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Ein Geschmacksmuster gilt als neu, wenn der Öffentlichkeit:

a)

im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,

b)

im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag,

kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.

(2)   Geschmacksmuster gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.“

9.

Art. 6 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar:

a)

im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,

b)

im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag.

(2)   Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt.“

10.

Art. 11 der Verordnung Nr. 6/2002 lautet wie folgt:

„(1)   Ein Geschmacksmuster, das die im 1. Abschnitt genannten Voraussetzungen erfüllt, wird als ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für eine Frist von drei Jahren geschützt, beginnend mit dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft erstmals zugänglich gemacht wurde.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1 gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zugänglich gemacht, wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.“

11.

In Art. 19 dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Die erwähnte Benutzung schließt insbesondere die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr oder die Benutzung eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, oder den Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken ein.

(2)   Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das Recht, die in Absatz 1 genannten Handlungen zu verbieten, jedoch nur, wenn die angefochtene Benutzung das Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Musters ist.

Die angefochtene Benutzung wird nicht als Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Geschmacksmusters betrachtet, wenn sie das Ergebnis eines selbständigen Entwurfs eines Entwerfers ist, von dem berechtigterweise angenommen werden kann, dass er das von dem Inhaber offenbarte Muster nicht kannte.

…“

12.

Schließlich lautet Art. 85 („Vermutung der Rechtsgültigkeit – Einreden“) dieser Verordnung:

„(1)   In Verfahren betreffend eine Verletzungsklage oder eine Klage wegen drohender Verletzung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters haben die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte von der Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters auszugehen. Die Rechtsgültigkeit kann vom Beklagten nur mit einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit bestritten werden. Allerdings ist der nicht im Wege der Widerklage erhobene Einwand der Nichtigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters insoweit zulässig, als sich der Beklagte darauf beruft, dass das Gemeinschaftsgeschmacksmuster wegen eines ihm zustehenden älteren nationalen Musterrechts im Sinne des Artikels 25 Absatz 1 Buchstabe d) für nichtig erklärt werden sollte.

(2)   In Verfahren betreffend eine Verletzungsklage oder eine Klage wegen drohender Verletzung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters haben die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte, wenn der Rechtsinhaber Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen von Artikel 11 erbringt und angibt, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist, von der Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters auszugehen. Die Rechtsgültigkeit kann vom Beklagten jedoch mit einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit bestritten werden.“

II – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

13.

KMF ist eine Gesellschaft englischen Rechts, die Damenbekleidung fertigt und verkauft.

14.

Dunnes ist eine große Einzelhandelskette in Irland, die u. a. Damenbekleidung verkauft.

15.

Im Jahr 2005 entwarf KMF ein gestreiftes Hemd (in einer blauen und einer steinbraunen Version) sowie ein schwarzes Strickoberteil und brachte beides in Irland in Verkauf (im Folgenden: KMF‑Bekleidung).

16.

Vertreter von Dunnes erwarben Exemplare der KMF‑Bekleidung in einem der irischen KMF‑Einzelhandelsgeschäfte. In der Folge veranlasste Dunnes die Fertigung von Kopien dieser Kleidungsstücke außerhalb Irlands und brachte sie Ende 2006 in ihren irischen Geschäften in den Verkauf.

17.

Da KMF davon ausging, dass sie Inhaberin von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern für die genannten Kleidungsstücke sei, erhob sie am 2. Januar 2007 Klage beim High Court, mit der sie u. a. beantragte, Dunnes die Benutzung dieser Geschmacksmuster zu untersagen sowie Schadensersatz an sie zu zahlen.

18.

Der High Court gab der Klage statt.

19.

Gegen die Entscheidung des High Court legte Dunnes beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein.

20.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Dunnes nicht bestreitet, die KMF‑Bekleidung kopiert zu haben, und räumt ein, dass die nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster, deren Inhaberin KMF behauptet zu sein, neu seien.

21.

Wie jedoch aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, bestreitet Dunnes, dass KMF Inhaberin eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters für alle KMF‑Kleidungsstücke sei, weil sie keine Eigenart im Sinne der Verordnung Nr. 6/2002 hätten und nach dieser Verordnung in Wirklichkeit KMF nachzuweisen habe, dass diese Kleidungsstücke Eigenart aufwiesen.

22.

Unter diesen Umständen hat der Supreme Court das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

III – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

23.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2013, der am 24. Juni 2013 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat der Supreme Court somit das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist bei der Beurteilung der Eigenart eines Geschmacksmusters, für das Schutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Sinne der Verordnung Nr. 6/2002 in Anspruch genommen wird, der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, im Sinne von Art. 6 der Verordnung danach zu beurteilen, ob sich dieser von dem bei einem solchen Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck unterscheidet,

a)

den ein einzelnes Geschmacksmuster hervorruft, das der Öffentlichkeit früher zugänglich gemacht worden ist, oder

b)

den eine Kombination bekannter Geschmacksmustermerkmale mehrerer solcher älterer Geschmacksmuster hervorruft?

2.

Hat ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht von der Rechtsgültigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Sinne von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 auszugehen, wenn der Rechtsinhaber lediglich angibt, inwiefern das Geschmacksmuster Eigenart aufweist, oder hat der Rechtsinhaber zu beweisen, dass das Geschmacksmuster Eigenart nach Art. 6 der Verordnung besitzt?

24.

KMF, Dunnes, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben jeweils schriftliche Erklärungen eingereicht.

25.

Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens hielt sich der Gerichtshof für ausreichend unterrichtet, um ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).

IV – Würdigung

A – Zur ersten Vorlagefrage

26.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin auszulegen ist, dass die Eigenart eines Geschmacksmusters nur dann bejaht werden kann, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein älteres Geschmacksmuster für sich genommen beim informierten Benutzer hervorruft, oder nur dann, wenn sich dieser Gesamteindruck von jenem unterscheidet, den eine Kombination von Merkmalen mehrerer der Öffentlichkeit zuvor zugänglich gemachter Geschmacksmuster bei ihm hervorruft.

27.

Wie Dunnes in ihren schriftlichen Erklärungen zusammenfasst, sei in einer Situation, in der es z. B. drei ältere Geschmacksmuster (X, Y und Z) gebe, die Frage darauf gerichtet, ob das fragliche Geschmacksmuster Eigenart habe, weil der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorrufe, sich von jenem unterscheide, der von den älteren Geschmacksmustern X, Y und Z für sich genommen hervorgerufen werde, oder ob es keine Eigenart habe, weil bestimmte Merkmale von X, Y und Z (wie z. B. ein Streifen, ein Strick- oder Nähmuster, eine Farbkombination) in ihrer Gesamtheit einen Gesamteindruck hervorriefen, der sich nicht von jenem des fraglichen Geschmacksmusters unterscheide.

28.

Lediglich Dunnes vertritt die zuletzt genannte Ansicht. KMF, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission halten die zuerst genannte Auffassung für richtig.

29.

Dunnes stützt ihre Behauptung zum einen auf die Erwägungsgründe 14 und 19 der Verordnung Nr. 6/2002 und zum anderen auf Art. 25 des TRIPS-Übereinkommens.

30.

Tatsächlich heißt es im 14. Erwägungsgrund: „Ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, sollte danach beurteilt werden, inwieweit sich der Gesamteindruck, den der Anblick des Geschmacksmusters beim informierten Benutzer hervorruft, deutlich von dem unterscheidet, den der vorbestehende Formschatz bei ihm hervorruft.“ ( 4 )

31.

Zudem ist es nicht ganz abwegig, in dieser Formulierung ein Verständnis der Eigenart zu sehen, das jenem nahesteht, das durch Art. 25 des TRIPS-Übereinkommens gebilligt wurde, der vorsieht, dass die Parteien des Übereinkommens „bestimmen [können], dass Muster oder Modelle nicht neu sind oder keine Eigenart haben, wenn sie sich von bekannten Mustern oder Modellen oder Kombinationen bekannter Merkmale von Mustern oder Modellen nicht wesentlich unterscheiden“ ( 5 ).

32.

Diese beiden Punkte sind jedoch nicht maßgeblich für die Auslegung von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002.

33.

Erstens ist festzustellen, dass der 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung zwar auf den „vorbestehenden Formschatz“ Bezug nimmt, dieser Begriff jedoch in den Artikeln der Verordnung nicht vorkommt.

34.

Der 19. Erwägungsgrund der Verordnung beschränkt sich auf den Hinweis, dass „[d]as Gemeinschaftsgeschmacksmuster nur dann bestehen [sollte], wenn das Geschmacksmuster neu ist und wenn es außerdem eine Eigenart im Vergleich zu anderen Geschmacksmustern besitzt“. Ich erkenne daher nicht, inwiefern dieser Erwägungsgrund den Gedanken eines Vergleichs des fraglichen Geschmacksmusters mit einer Gesamtheit von Merkmalen mehrerer anderer Geschmacksmuster nahelegen könnte.

35.

Wenn der Erwägungsgrund auf mehrere Geschmacksmuster Bezug nimmt, indem er anführt, dass das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nur dann bestehen sollte, wenn das Geschmacksmuster „neu ist und wenn es außerdem eine Eigenart im Vergleich zu anderen Geschmacksmustern besitzt“ ( 6 ), impliziert diese Verweisung meines Erachtens vielmehr einen Vergleich mit individualisierten und in ihrer Gesamtheit erfassten Geschmacksmustern und nicht mit bestimmten einzelnen oder isolierten Merkmalen derartiger Geschmacksmuster.

36.

Zweitens besteht die einzige durch Art. 25 des TRIPS-Übereinkommens auferlegte Verpflichtung darin, ein System zum Schutz unabhängig geschaffener gewerblicher Muster und Modelle, die neu sind oder Eigenart haben, vorzusehen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Zeitform des Verbs „vorsehen“.

37.

Der übrige Teil dieses Artikels, in dem auf eine „Kombinatio[n] bekannter Merkmale von Mustern oder Modellen“ Bezug genommen wird, ist dagegen nur die Erwähnung einer den Parteien des Übereinkommens überlassenen Möglichkeit ( 7 ).

38.

Unabhängig von diesen Erwägungen scheint mir der Wortlaut von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 jedenfalls die Ermittlung eines oder mehrerer älterer Geschmacksmuster, die mit dem fraglichen Geschmacksmuster verglichen werden können, zu verlangen.

39.

Je nachdem, welche Sprachfassung man heranzieht, ist die Eigenart des fraglichen Geschmacksmusters mit einem einzigen anderen Geschmacksmuster (so beispielsweise die deutsche Fassung ( 8 )), mit mehreren Geschmacksmustern (so beispielsweise die niederländische Fassung ( 9 )) oder auch mit einer möglichen Gesamtheit von Geschmacksmustern (so die spanische ( 10 ), die englische ( 11 ), die französische ( 12 ) oder auch die italienische ( 13 ) Fassung) zu vergleichen.

40.

Keine dieser Fassungen scheint es mir jedoch zu erlauben, ganz bestimmte Merkmale eines oder mehrerer älterer Geschmacksmuster heranzuziehen, um daraus ein theoretisches – also ein als solches im wirklichen Leben nicht existierendes – Vergleichsobjekt zu konstruieren.

41.

Zwar wecken bestimmte Sprachfassungen von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 (die von der Kommission als „neutral“ qualifiziert werden) die Idee eines Vergleichs mit einer Gesamtheit von Geschmacksmustern, doch impliziert diese Verweisung meiner Ansicht nach – wie ich oben zum 19. Erwägungsgrund ausgeführt habe – einen Vergleich mit genau ermittelten Gegenständen.

42.

In der Formulierung dieses Artikels scheint mir nichts eine nachträgliche und für die Erfordernisse der Sache vorgenommene Schaffung einer Verschmelzung bestimmter einzelner Merkmale von zuvor ermittelten Geschmacksmustern zu erlauben.

43.

Ich teile somit die von KMF, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission vertretene Auslegung, wonach ein Geschmacksmuster nur dann Eigenart aufweist, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein (oder mehrere) ältere(s) Geschmacksmuster für sich genommen und nicht eine Kombination von Merkmalen mehrerer der Öffentlichkeit zuvor zugänglich gemachter Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft.

44.

Diese Auslegung steht meiner Ansicht nach auch im Einklang mit dem Ansatz, den der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu der Bestimmung der Eigenart eines Geschmacksmusters gewählt hat.

45.

Der Gerichtshof hat nämlich mindestens zweimal entschieden, dass „[der informierte Benutzer], soweit möglich, einen direkten Vergleich der fraglichen Geschmacksmuster vornimmt“ ( 14 ).

46.

Der Gerichtshof hat zwar darauf hingewiesen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, „dass ein solcher Vergleich im betreffenden Bereich undurchführbar oder ungewöhnlich ist, insbesondere wegen spezieller Umstände oder der Merkmale der Gegenstände, die die Geschmacksmuster darstellen“ ( 15 ).

47.

Er hat auch hinzugefügt, dass mangels eines entsprechenden konkreten Hinweises in der Verordnung Nr. 6/2002 nicht angenommen werden kann, dass der Unionsgesetzgeber die Beurteilung von Geschmacksmustern auf einen direkten Vergleich dieser Geschmacksmuster beschränken wollte ( 16 ).

48.

Gleichwohl geht aus diesen Urteilen jedoch hervor, dass sich ein indirekter Vergleich zwar auf eine Erinnerung an bestimmte Geschmacksmuster beziehen kann, aber jedenfalls nicht auf eine Zusammenfügung verschiedener Merkmale mehrerer Geschmacksmuster.

49.

Wie nämlich Generalanwalt Mengozzi in Nr. 49 seiner Schlussanträge in der Rechtssache PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic erläutert hat, „[schweigt] die Verordnung [zur Art des Vergleichs, den der informierte Verbraucher zwischen den kollidierenden Mustern anstellen kann]. Es könnte sich daher grundsätzlich entweder um einen indirekten Vergleich anhand einer Erinnerung handeln, so wie das im Bereich der Marken üblicherweise gehandhabt wird …, oder um einen direkten Vergleich, der durch eine Gegenüberstellung der Erzeugnisse erfolgt.“ ( 17 )

50.

Dies entspricht dem vom Gerichtshof gewählten Ansatz, denn er vertritt zum einen die Auffassung, dass das Gericht der Europäischen Union keinen Rechtsfehler begangen habe, als es „[die Formulierung gewählt hat], wonach ‚der informierte Benutzer [eine] Ähnlichkeit im Rahmen des Gesamteindrucks, den er von den fraglichen Geschmacksmustern gewinnt, nicht wahrnehmen [wird]‘, … auch wenn sie aus ihrem Kontext genommen darauf hindeuten sollte, dass das Gericht seine Begründung auf eine indirekte, auf einer ungenauen Erinnerung basierende Vergleichsmethode gestützt hat“ ( 18 ), und zum anderen die Ansicht, dass „[das Gericht] keinen Rechtsfehler begangen [hat], als es seine Argumentation … auf die unvollkommene Erinnerung an den von den beiden Figuren jeweils hervorgerufenen Gesamteindruck gestützt hat, die der informierte Benutzer im Gedächtnis [behält]“ ( 19 ).

51.

Da sich der indirekte Charakter des Vergleichs nicht auf eine Verschmelzung verschiedener Merkmale mehrerer Geschmacksmuster bezieht, sondern auf das physische Fehlen des Vergleichsmerkmals, impliziert folglich erst recht der direkte Vergleich den Vergleich zweier Geschmacksmuster in ihrer Gesamtheit.

52.

Wie das Gericht in seinem Urteil Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems (Fernmeldegeräte) ( 20 ) zutreffend zusammengefasst hat, „kann die Prüfung der Eigenart eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht im Hinblick auf spezifische Elemente durchgeführt werden, die auf abweichenden älteren Geschmacksmustern beruhen, [d]a Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 darauf abstellt, dass die fraglichen Geschmacksmuster einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorrufen“. Vielmehr „ist der Gesamteindruck des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters mit dem Gesamteindruck zu vergleichen, der von jedem einzelnen älteren Geschmacksmuster hervorgerufen wird, das vom Antragsteller auf Nichtigerklärung wirksam geltend gemacht wird“ ( 21 ).

53.

Angesichts dieser Erwägungen ist Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 meiner Ansicht nach dahin auszulegen, dass die Eigenart eines Geschmacksmusters nur dann bejaht werden kann, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen und nicht eine Verschmelzung verschiedener Merkmale älterer Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft.

B – Zur zweiten Vorlagefrage

54.

Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht notwendigerweise von der Rechtsgültigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Sinne von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 auszugehen hat, wenn der Rechtsinhaber lediglich angibt, inwiefern das Geschmacksmuster Eigenart aufweist, oder ob der Rechtsinhaber vielmehr zu beweisen hat, dass das Geschmacksmuster Eigenart nach Art. 6 der Verordnung besitzt.

55.

KMF, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vertreten die zuerst genannte Auffassung, Dunnes die zuletzt genannte.

56.

Um dem vorlegenden Gericht zweckdienlich zu antworten, halte ich es für angebracht, ganz allgemein den Anwendungsbereich der von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgestellten Vermutung der Rechtsgültigkeit zu prüfen.

57.

Art. 85 dieser Verordnung trägt die Überschrift „Vermutung der Rechtsgültigkeit – Einreden“. Sein zweiter Absatz bestimmt, dass „[i]n Verfahren betreffend eine Verletzungsklage oder eine Klage wegen drohender Verletzung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte, wenn der Rechtsinhaber Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen von Artikel 11 erbringt und angibt, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist, von der Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters auszugehen [haben]“. Zudem kann die Rechtsgültigkeit vom Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit bestritten werden.

58.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass ein Inhaber eines Geschmacksmusters, damit es als rechtsgültig angesehen wird, zum einen beweisen muss, dass die Voraussetzungen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 6/2002 erfüllt sind, und zum anderen angeben muss, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist.

1. Beweis der Voraussetzungen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 6/2002

59.

Nach Art. 11 Abs. 1 dieser Verordnung „[wird] [e]in Geschmacksmuster, das die im 1. Abschnitt genannten Voraussetzungen erfüllt, als ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für eine Frist von drei Jahren geschützt, beginnend mit dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft erstmals zugänglich gemacht wurde“.

60.

Diese Voraussetzung der Zugänglichmachung wird durch Abs. 2 des genannten Artikels näher bestimmt, wonach „ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zugänglich gemacht [gilt], wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.“

61.

Um in den Genuss der von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgestellten Vermutung der Rechtsgültigkeit zu kommen, muss daher der Inhaber des fraglichen Geschmacksmusters zunächst beweisen, dass es der Öffentlichkeit innerhalb der Europäischen Union erstmals zugänglich gemacht wurde, wobei diese Offenbarung nicht länger als drei Jahre zurückliegen darf (sonst wird das Geschmacksmuster nicht mehr geschützt).

62.

Da Art. 11 der Verordnung Nr. 6/2002 auf die in Abschnitt 1 dieser Verordnung aufgeführten Voraussetzungen verweist, muss der Inhaber des fraglichen Geschmacksmusters nach Ansicht von Dunnes zudem die Voraussetzungen nach dem zu diesem Abschnitt 1 gehörenden Art. 4 der Verordnung erfüllen, wonach er im Rahmen seiner Verletzungsklage oder seiner Klage wegen drohender Verletzung die Neuheit und Eigenart des angeblich geschützten Geschmacksmusters zu beweisen habe.

63.

Eine solche Auslegung scheint mir dem Wortlaut von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 und dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zu widersprechen.

64.

Erstens: Wenn der Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht nur den Tag der Offenbarung seines Geschmacksmusters, sondern auch dessen Neuheit und Eigenart beweisen muss, worin besteht dann der Zweck der zweiten, am Ende des ersten Satzes von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Voraussetzung, wonach der Inhaber des Geschmacksmusters „[angeben muss], inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist“?

65.

Wenn der Gerichtshof der Auslegung von Dunnes folgte, müsste außerdem der Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend feststellt, nicht nur dessen Neuheit und Eigenart beweisen, sondern auch die Erfüllung aller in Abschnitt 1 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgeführten Voraussetzungen (die in Art. 4 Abs. 2 geforderte Sichtbarkeit, den nichtfunktionalen Charakter nach Art. 8 oder auch die in Art. 9 vorgesehene Übereinstimmung mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten).

66.

Eine solche Beweislast entspräche sicherlich nicht dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck.

67.

Der 16. Erwägungsgrund weist darauf hin, dass „[e]inige Wirtschaftszweige zahlreiche Geschmacksmuster für Erzeugnisse [hervorbringen], die häufig nur eine kurze Lebensdauer auf dem Markt haben; für sie ist ein Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer von geringerer Bedeutung. Andererseits gibt es Wirtschaftszweige, die die Vorteile der Eintragung wegen ihrer größeren Rechtssicherheit schätzen und der Möglichkeit einer längeren, der absehbaren Lebensdauer ihrer Erzeugnisse auf dem Markt entsprechenden Schutzdauer bedürfen.“ Durch den Unterschied zwischen diesen beiden Situationen werden nach dem 17. Erwägungsgrund die beiden von dieser Verordnung vorgesehenen Schutzformen gerechtfertigt, „nämlich ein kurzfristiges nicht eingetragenes Geschmacksmuster und ein längerfristiges eingetragenes Geschmacksmuster“.

68.

Deshalb verstieße es meines Erachtens gegen das Ziel der Einfachheit und Schnelligkeit, das dem Schutz des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zugrunde liegt, dem Inhaber eines solchen nicht eingetragenen Geschmacksmusters, der eine Verletzungsklage oder eine Klage wegen drohender Verletzung erheben möchte, eine Beweislast aufzuerlegen, die dem Inhaber eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht auferlegt wird und über das Erfordernis der Ermittlung des fraglichen Geschmacksmusters hinausginge.

69.

Die von Art. 85 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgenommene unterschiedliche Behandlung zwischen diesen beiden Kategorien von Inhabern erklärt sich nämlich nur durch die Notwendigkeit, den Gegenstand des Schutzes und seinen Ausgangspunkt zu bestimmen.

70.

Während diese Punkte bei einem eingetragenen Geschmacksmuster leicht ermittelt werden können – wegen der Formvorschrift der Eintragung –, ist dies bei einem nicht eingetragenen Geschmacksmuster nicht unbedingt der Fall. Diese Besonderheit erklärt, dass Abs. 1 von Art. 85 der Verordnung Nr. 6/2002 im Gegensatz zu Abs. 2 die Vermutung der Rechtsgültigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters von keiner Voraussetzung abhängig macht.

71.

Zweitens liefe es der Wahl des Gesetzgebers, die Frage in einem einzigen Artikel („Vermutung der Rechtsgültigkeit – Einreden“ ( 22 )) zu regeln, zuwider, im Rahmen einer Verletzungsklage oder einer Klage wegen drohender Verletzung dem Rechtsinhaber den Beweis aller Merkmale, die sein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster begründen, aufzuerlegen. Ein solches Beweiserfordernis wäre schon mit dem Begriff der Vermutung unvereinbar.

72.

Drittens wäre bei einer solchen Auslegung die durch Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dem Beklagten überlassene Möglichkeit, die Rechtsgültigkeit mit einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit zu bestreiten, größtenteils sinnlos.

73.

Denn wenn der Antragsteller die Neuheit und die Eigenart des nicht eingetragenen Geschmacksmusters, dessen Inhaber er angeblich ist, beweisen müsste, müsste er in Wahrheit die Rechtsgültigkeit des Geschmacksmusters beweisen. Folglich müsste der Beklagte nicht mehr unbedingt eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit erheben (oder eine entsprechende Einrede erheben), um die Rechtsgültigkeit des nicht eingetragenen Geschmacksmusters zu bestreiten. Er könnte sich gegebenenfalls damit begnügen, im Rahmen seiner Verteidigung die Punkte zu kritisieren, auf die der Antragsteller seinen Antrag stützt.

74.

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass die – zu dieser Frage nicht gerade ausschweifende – Lehre die Auslegung teilt, wonach die Beweislast, die dem Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Rahmen einer Verletzungsklage oder einer Klage wegen drohender Verletzung obliegt, auf den Beweis der Offenbarung seines Geschmacksmusters begrenzt ist ( 23 ).

2. Der Inhaber des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters muss angeben, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist

75.

Der Wortlaut der zweiten Voraussetzung nach Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002, die erfüllt sein muss, um in den Genuss der Vermutung der Rechtsgültigkeit des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu kommen, ist meines Erachtens in jeder Hinsicht eindeutig.

76.

Mit der ersten Voraussetzung verlangt der Gesetzgeber, dass „der Rechtsinhaber Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen von Artikel 11 erbringt“. Bei der zweiten Voraussetzung hat er sich damit begnügt, zu fordern, dass der Inhaber „angibt, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist“.

77.

Die Anforderungen können nur unterschiedlich sein, da es sonst nicht notwendig wäre, nach der Konjunktion „und“ ein anderes Verb zu verwenden.

78.

Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend erläutert, bestimmt der Antragsteller, indem er angibt, inwiefern sein Geschmacksmuster Eigenart aufweist, den Gegenstand des beantragten Schutzes. Dadurch legt er den Rahmen des Vergleichs mit dem angefochtenen Geschmacksmuster fest und erlaubt es dem Beklagten, gegebenenfalls seine eventuelle Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit in angemessener Weise auszurichten. Dieser Unterschied gegenüber dem Inhaber eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters erklärt sich wiederum durch die fehlende Formalität der Eintragung.

79.

Die vorbereitenden Arbeiten bestätigen im Übrigen den Gedanken, dass der Unterschied zwischen dem Erfordernis des Beweises der Offenbarung einerseits und der bloßen Angabe der Eigenart des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters andererseits kein Zufall ist.

80.

Denn obwohl Art. 89 des von der Kommission unterbreiteten geänderten Vorschlags der Verordnung (EG) des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vorsah, dass „der Rechtsinhaber den Beweis für seine Behauptung erbringt, das Muster habe Eigenart“ ( 24 ), um in den Genuss der Vermutung der Rechtsgültigkeit zu kommen, hat das Europäische Parlament vorgeschlagen, dass der Rechtsinhaber „eingehend darlegt, das Muster habe Eigenart“ ( 25 ).

81.

Diese Formulierung wurde zwar von der Kommission in bestimmten Sprachfassungen ihres neuen, geänderten Vorschlags der Verordnung des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ( 26 ) berücksichtigt, jedoch begnügte sich die schließlich angenommene Fassung mit einer bloßen „Angabe“ der Merkmale, die die Eigenart des Geschmacksmusters begründen.

82.

Aus diesen Gründen widerspräche es meines Erachtens der Entwicklung des Willens des Gesetzgebers, wie er aus den vorbereitenden Arbeiten und aus der Entwicklung des Textes im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens abgeleitet werden kann, wenn man vom Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters verlangte, dass er die Eigenart seines Geschmacksmusters beweist.

83.

Daher vertrete ich die Ansicht, dass ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht notwendigerweise von der Rechtsgültigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Sinne von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 auszugehen hat, wenn der Rechtsinhaber zum einen beweist, wann sein Geschmacksmuster der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht wurde, und zum anderen angibt, welche Merkmale seines Geschmacksmusters ihm Eigenart verleihen ( 27 ).

V – Ergebnis

84.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Supreme Court vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass die Eigenart eines Geschmacksmusters nur dann bejaht werden kann, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen und nicht eine Verschmelzung verschiedener Merkmale älterer Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft.

2.

Damit ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht von der Rechtsgültigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Sinne von Art. 85 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 auszugehen hat, muss der Inhaber eines Geschmacksmusters lediglich zum einen beweisen, wann sein Geschmacksmuster der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht wurde, und zum anderen angeben, welche Merkmale seines Geschmacksmusters ihm Eigenart verleihen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2002, L 3, S. 1.

( 3 ) ABl. L 336, S. 1.

( 4 ) Hervorhebung nur hier.

( 5 ) Hervorhebung nur hier.

( 6 ) Hervorhebung nur hier.

( 7 ) Über diesen Artikel schreibt G. Tritton: „[a]s emphasised above, the first sentence of the Article is mandatory whereas the second and third sentences are optional. […] The effect of the above is that Member States are permitted a considerable degree of latitude as to requirements for protection of industrial designs” (Tritton, G., Intellectual Property in Europe, 3. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2008, Nr. 5‑006).

( 8 ) „Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar“. Hervorhebung nur hier.

( 9 ) „[D]e algemene indruk die bij die gebruiker wordt gewekt door modellen die voor het publiek beschikbaar zijn gesteld“. Hervorhebung nur hier.

( 10 ) „[L]a impresión general producida por cualquier otro dibujo modelo que haya sido hecho público“. Hervorhebung nur hier.

( 11 ) „[T]he overall impression produced on such a user by any design which has been made available to the public“. Hervorhebung nur hier.

( 12 ) „[L]’impression globale qu’il produit sur l’utilisateur averti diffère de celle que produit sur un tel utilisateur tout dessin ou modèle qui a été divulgué au public“. Hervorhebung nur hier.

( 13 ) „[I]mpressione generale suscitata in tale utilizzatore da qualsiasi disegno o modello che sia stato divulgato al pubblico“. Hervorhebung nur hier.

( 14 ) Urteil PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic (C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 55). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Neuman u. a./José Manuel Baena Grupo (C‑101/11 P und C‑102/11 P, EU:C:2012:641, Rn. 54).

( 15 ) Urteil PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic (EU:C:2011:679, Rn. 55). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Neuman u. a./José Manuel Baena Grupo (EU:C:2012:641, Rn. 54).

( 16 ) Urteile PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic (EU:C:2011:679, Rn. 57) und Neuman u. a./José Manual Baena Grupo (EU:C:2012:641, Rn. 56).

( 17 ) C‑281/10 P, EU:C:2011:302. Hervorhebung nur hier.

( 18 ) Urteil PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic (EU:C:2011:679, Rn. 58).

( 19 ) Urteil Neuman u. a./José Manuel Baena Grupo (EU:C:2012:641, Rn. 57).

( 20 ) T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 23.

( 21 ) Urteil Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems (Fernmeldegeräte) (EU:T:2010:248, Rn. 24).

( 22 ) Hervorhebung nur hier.

( 23 ) Vgl. u. a. Stone, D., European Union Design Law – A Practitioners’ Guide, Oxford University Press, 2012, Nr. 18.18 und Nr. 18.25; Saez, V. M., „The unregistered Community design“, European Intellectual Property Review, 2002, Bd. 24, Nr. 12, S. 585 bis 590, insbesondere S. 589; Otero Lastres, J. M., „Concepto de diseño y requisitos de protección en la nueva ley 20/2003“, in Actas de derecho industrial y derecho de autor, Bd. XXIV, Instituto de derecho industrial (Universidad de Santiago de Compostela), Madrid – Barcelona, 2004, S. 54 bis 90, insbesondere S. 90; Llobregat Hurtado, M.‑L., „Régimen jurídico de los dibujos y modelos registrados y no registrados en el Reglamento 6/2002 del Consejo, del 12 de diciembre de 2001, sobre dibujos et modelos comunitarios“, in La marca comunitaria, modelos y dibujos comunitarios. Análisis de la implantación el Tribunal de marcas de Alicante, Estudios de Derecho Judicial, Nr. 68, Madrid, 2005, S. 119 bis 198, insbesondere S. 172 und 176.

( 24 ) KOM(1999) 310 endg. (ABl. 2000, C 248 E, S. 3). Hervorhebung nur hier.

( 25 ) Abänderung 18 des Parlaments (ABl. 2001, C 67, S. 340). Hervorhebung im Originaldokument.

( 26 ) Vgl. in diesem Sinne die französische Fassung (ABl. 2001, C 62 E, S. 173).

( 27 ) Vgl. in diesem Sinne Stone, D., a. a. O., Nrn. 18.23 und 18.25.

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