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Document 62012CJ0175

Urteil des Gerichtshofes (Zehnte Kammer) vom 24. Oktober 2013.
Sandler AG gegen Hauptzollamt Regensburg.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht München - Deutschland.
Zollunion und Gemeinsamer Zolltarif - Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) - Art. 16 und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des Cotonou-Abkommens - Einfuhr synthetischer Spinnfasern aus Nigeria in die Europäische Union - Unregelmäßigkeiten in der von den zuständigen Behörden des Ausfuhrstaats ausgestellten Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 - Nicht mit dem der Kommission übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck - Nachträgliche Bescheinigungen und Ersatzbescheinigungen - Zollkodex der Gemeinschaft - Art. 220 und 236 - Möglichkeit der nachträglichen Anwendung eines zum Zeitpunkt des Erstattungsantrags nicht mehr gültigen Präferenzzollsatzes - Voraussetzungen.
Rechtssache C-175/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:681

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

24. Oktober 2013 ( *1 )

„Zollunion und Gemeinsamer Zolltarif — Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) — Art. 16 und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des Cotonou-Abkommens — Einfuhr synthetischer Spinnfasern aus Nigeria in die Europäische Union — Unregelmäßigkeiten in der von den zuständigen Behörden des Ausfuhrstaats ausgestellten Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 — Nicht mit dem der Kommission übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck — Nachträgliche Bescheinigungen und Ersatzbescheinigungen — Zollkodex der Gemeinschaft — Art. 220 und 236 — Möglichkeit der nachträglichen Anwendung eines zum Zeitpunkt des Erstattungsantrags nicht mehr gültigen Präferenzzollsatzes — Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑175/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. April 2012, in dem Verfahren

Sandler AG

gegen

Hauptzollamt Regensburg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zehnten Kammer E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Rosas und C. Vajda (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Sandler AG, vertreten durch Steuerberater H.-M. Wolffgang sowie durch die Rechtsanwältinnen N. Harksen und R. Hannemann-Kacik,

des Hauptzollamts Regensburg, vertreten durch M. Brandl und C. Stephan als Bevollmächtigte,

der Hellenischen Republik, vertreten durch F. Dedousi als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Keppenne und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 16 und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. L 317, S. 3), im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 2003/159/EG des Rates vom 19. Dezember 2002 (ABl. 2003, L 65, S. 27) (im Folgenden: Cotonou-Abkommen), der Art. 220 und 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) sowie des Art. 889 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 (ABl. L 62, S. 6) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2454/93).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sandler AG (im Folgenden: Sandler) und dem Hauptzollamt Regensburg (im Folgenden: HZA) über zwei Einfuhrabgabenbescheide, die das HZA infolge einer nachträglichen Prüfung wegen der fehlenden Übereinstimmung der Stempelabdrücke auf den von den zuständigen nigerianischen Behörden ausgestellten Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 (im Folgenden: EUR.1-Bescheinigungen) mit den der Europäischen Kommission von diesen Behörden übermittelten Musterabdrücken erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Cotonou-Abkommen

3

Mit dem Cotonou-Abkommen hatte die Europäische Union für Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (im Folgenden: AKP-Staaten) eine einseitige Zollpräferenzbehandlung gewährt. Ihr war hierfür bis zum 31. Dezember 2007 eine Abweichung von der Meistbegünstigungsklausel gestattet worden, die Art. 1 Abs. 1 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 (GATT) im Anhang 1A des am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) vorsieht, das durch den Beschluss 94/800/EWG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. L 336, S. 1) genehmigt wurde. Seit dem 1. Januar 2008 gilt diese Regelung nicht mehr.

4

Art. 36 Abs. 3 des Cotonou-Abkommens sah vor, dass die nach dem vierten zwischen den AKP-Staaten und der Gemeinschaft geschlossenen Abkommen angewandten einseitigen Handelspräferenzen im Vorbereitungszeitraum unter den Bedingungen des Anhangs V dieses Abkommens für alle AKP-Staaten aufrechterhalten werden. Bestimmte Waren, einschließlich Textilien mit Ursprung in den AKP-Staaten, waren folglich frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in die Union zugelassen. Nach Art. 37 Abs. 1 des Cotonou-Abkommens endete der Vorbereitungszeitraum spätestens am 31. Dezember 2007.

5

Anhang V des Cotonou-Abkommens legte die Bedingungen für die Anwendung der während des Vorbereitungszeitraums geltenden Handelsregelung fest. Gemäß den Vorschriften des diesem Anhang beigefügten Protokolls Nr. 1 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in“ oder „Ursprungserzeugnisse“ und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen (im Folgenden: Protokoll Nr. 1) erhielten Erzeugnisse mit Ursprung in AKP-Staaten nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls Nr. 1 bei der Einfuhr in die Union die Begünstigungen des Anhangs V, sofern von den Zollbehörden des Ausfuhrstaats eine nach Art. 15 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 ausgestellte EUR.1-Bescheinigung vorgelegt wurde.

6

Die EUR.1-Bescheinigungen waren mit einem Stempelabdruck der Zollbehörden des Ausfuhrstaats versehen, von dem Musterabdrücke gemäß Art. 31 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 der Kommission übermittelt werden mussten, die diese dann an die Mitgliedstaaten weiterleitete. Er sah ferner vor, dass die EUR.1‑Bescheinigungen zur Gewährung der Präferenzbehandlung ab dem Tag angenommen wurden, an dem die erforderlichen Informationen bei der Kommission eingingen. Art. 31 Abs. 2 des Protokolls Nr. 1 bestimmte, dass die Union und die AKP-Staaten einander über ihre Zollverwaltungen bei der Prüfung der Echtheit der EUR.1-Bescheinigungen Amtshilfe leisten.

7

Art. 23 des Protokolls Nr. 1 sah vor, dass die Ursprungsnachweise den Zollbehörden des Einfuhrlandes nach den dort geltenden Verfahrensvorschriften vorzulegen waren.

8

Art. 16 („Nachträglich ausgestellte Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1“) des Protokolls Nr. 1 lautete:

„(1)   … [Die EUR.1-Bescheinigung kann] ausnahmsweise nach der Ausfuhr der Erzeugnisse, auf die sie sich bezieht, ausgestellt werden,

a)

wenn sie infolge eines Irrtums, eines unverschuldeten Versehens oder besonderer Umstände bei der Ausfuhr nicht ausgestellt worden ist oder

b)

wenn den Zollbehörden glaubhaft nachgewiesen wird, dass eine [EUR.1-Bescheinigung] ausgestellt, aber bei der Einfuhr aus formalen Gründen nicht angenommen worden ist.

(2)   In Fällen nach Absatz 1 hat der Ausführer in seinem Antrag Ort und Datum der Ausfuhr der Erzeugnisse, auf die sich die [EUR.1-Bescheinigung] bezieht, sowie die Gründe für den Antrag anzugeben.

(3)   Die Zollbehörden dürfen eine [EUR.1-Bescheinigung] nachträglich erst ausstellen, nachdem sie geprüft haben, ob die Angaben im Antrag des Ausführers mit den Angaben in den entsprechenden Unterlagen übereinstimmen.

(4)   Die nachträglich ausgestellte [EUR.1‑Bescheinigung] ist mit einem der folgenden Vermerke zu versehen:

‚NACHTRÄGLICH AUSGESTELLT‘, ‚DELIVRÉ A POSTERIORI‘, ‚RILASCIATO A POSTERIORI‘, ‚AFGEGEVEN A POSTERIORI‘, ‚ISSUED RETROSPECTIVELY‘, ‚UDSTEDT EFTERFØLGENDE‘, ‚ΕΚΔΟΘΕΝ ΕΚ ΤΩΝ ΥΣΤΕΡΩΝ‘, ‚EXPEDIDO A POSTERIORI‘, ‚EMITADO A POSTERIORI‘, ‚ANNETTU JÄLKIKÄTEEN‘, ‚UTFÄRDAT I EFTERHAND‘.

(5)   Der in Absatz 4 genannte Vermerk ist in das Feld ‚Bemerkungen‘ der [EUR.1-Bescheinigung] einzutragen.“

9

Art. 18 („Ausstellung der [EUR.1-Bescheinigung] auf der Grundlage vorher ausgestellter oder ausgefertigter Ursprungsnachweise“) sah Folgendes vor:

„Werden Ursprungserzeugnisse in einem AKP-Staat oder in der [Union] der Überwachung einer Zollstelle unterstellt, so kann der ursprüngliche Ursprungsnachweis im Hinblick auf den Versand sämtlicher oder eines Teils dieser Erzeugnisse zu anderen Zollstellen in den AKP-Staaten oder in der [Union] durch eine oder mehrere [EUR.1-Bescheinigungen] ersetzt werden. Diese [EUR.1-Bescheinigungen] werden von der Zollstelle ausgestellt, unter deren Überwachung sich die Erzeugnisse befinden.“

10

Art. 32 („Prüfung der Ursprungsnachweise“) des Protokolls Nr. 1 bestimmte:

„(1)   Eine nachträgliche Prüfung der Ursprungsnachweise erfolgt stichprobenweise oder immer dann, wenn die Zollbehörden des Einfuhrlandes begründete Zweifel an der Echtheit des Papiers, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls haben.

(2)   In Fällen nach Absatz 1 senden die Zollbehörden des Einfuhrlandes die [EUR.1-Bescheinigung] und die Rechnung, wenn sie vorgelegt worden ist, die Erklärung auf der Rechnung oder eine Abschrift dieser Papiere an die Zollbehörden des Ausfuhrlandes zurück, gegebenenfalls unter Angabe der Gründe, die eine Untersuchung rechtfertigen. Zur Begründung des Antrags auf nachträgliche Prüfung übermitteln sie alle Unterlagen und teilen alle bekannten Umstände mit, die auf die Unrichtigkeit der Angaben in dem Ursprungsnachweis schließen lassen.

(3)   Die Prüfung wird von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes durchgeführt. Sie sind berechtigt, zu diesem Zweck die Vorlage von Beweismitteln zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrollen durchzuführen.

(4)   Beschließen die Zollbehörden des Einfuhrlandes, bis zum Eingang des Ergebnisses der Nachprüfung die Präferenzbehandlung für die betreffenden Erzeugnisse nicht zu gewähren, so können sie dem Einführer vorbehaltlich der für notwendig erachteten Sicherungsmaßnahmen die Erzeugnisse freigeben.

(5)   Das Ergebnis dieser Prüfung ist den Zollbehörden, die die Prüfung beantragt haben, so bald wie möglich mitzuteilen. Anhand dieses Ergebnisses muss sich eindeutig feststellen lassen, ob die Nachweise echt sind und ob die Erzeugnisse als Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten … angesehen werden können und die übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls erfüllt sind.

(6)   Ist bei begründeten Zweifeln nach Ablauf von zehn Monaten nach dem Zeitpunkt des Ersuchens um nachträgliche Prüfung noch keine Antwort erfolgt oder enthält die Antwort keine ausreichenden Angaben, um über die Echtheit des betreffenden Papiers oder den tatsächlichen Ursprung der Erzeugnisse entscheiden zu können, so lehnen die ersuchenden Zollbehörden die Gewährung der Präferenzbehandlung ab, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

(7)   Lassen das Prüfungsverfahren oder andere vorliegende Informationen darauf schließen, dass die Bestimmungen dieses Protokolls nicht eingehalten worden sind, so führt der AKP-Staat von sich aus oder auf Ersuchen der [Union] die erforderlichen Untersuchungen durch oder veranlasst, dass diese Untersuchungen mit der gebotenen Dringlichkeit durchgeführt werden, um solche Zuwiderhandlungen festzustellen und zu verhüten; zu diesem Zweck kann der betreffende AKP-Staat die [Union] um Mitwirkung an den Untersuchungen ersuchen.“

11

Um den Einfuhrmitgliedstaaten bei der Anwendung der Bestimmungen über die im Cotonou-Abkommen vorgesehenen Präferenzregelungen zu helfen, hat die Kommission ein Dokument mit dem Titel „Anmerkungen zu Protokoll Nr. 1 zu Anhang V des AKP-EG-Partnerschaftsabkommens über die Bestimmung des Begriffs ‚Ursprungswaren‘ und die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen“ (ABl. 2002, C 228, S. 2, im Folgenden: Anmerkungen) veröffentlicht.

12

Die Anmerkungen enthalten in ihren Nrn. 10, 15 und 17 ergänzende Erläuterungen zu den Art. 16 und 32 des Protokolls Nr. 1 sowie Fallbeispiele mit Hinweisen zur Verfahrensweise.

13

Nr. 10 („Artikel 16 – Formale Gründe“) der Anmerkungen bestimmt:

„Eine [EUR.1-Bescheinigung] kann aus ‚formalen Gründen‘ abgelehnt werden, wenn sie nicht vorschriftsgemäß ausgestellt wurde. In diesem Fall kann eine nachträglich ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung nachgereicht werden. Beispiele für eine Ablehnung aus formalen Gründen:

Auf der [EUR.1-Bescheinigung] fehlt der Stempel oder die Unterschrift (Feld 11 EUR.1).

Für den Sichtvermerk auf der [EUR.1-Bescheinigung] wurde ein neuer Stempel verwendet, dessen Musterabdruck noch nicht übermittelt wurde.

Verfahrensweise

Die Warenverkehrsbescheinigung wird unter Angabe der Gründe mit dem Vermerk ‚Dokument nicht angenommen‘ versehen und dem Einführer zurückgegeben, damit er die nachträgliche Ausstellung einer neuen Bescheinigung beantragen kann. Die Zollverwaltung kann jedoch für den Fall einer Nachprüfung oder bei Betrugsverdacht eine Fotokopie der nicht angenommenen Bescheinigung aufbewahren.“

14

Nr. 15 („Artikel 32 – Ablehnung der Präferenzbehandlung ohne Nachprüfung“) der Anmerkungen sieht Folgendes vor:

„Hier geht es um Fälle, in denen der Ursprungsnachweis als nicht anwendbar angesehen wird. Beispiele:

Die Waren, auf die sich die [EUR.1-Bescheinigung] bezieht, sind nicht präferenzbegünstigt.

Die Warenbezeichnung (Feld 8 EUR.1) fehlt oder bezieht sich auf andere als die gestellten Waren.

Verfahrensweise

Der Ursprungsnachweis wird mit dem Vermerk ‚Nicht anwendbar‘ versehen und von der Zollverwaltung, bei der er vorgelegt wird, einbehalten, um seine weitere Verwendung zu verhindern.

Gegebenenfalls unterrichten die Zollbehörden des Einfuhrlandes die Zollbehörden des Ausfuhrlandes unverzüglich über die Ablehnung.“

15

In Nr. 17 („Artikel 32 – Begründete Zweifel“) der Anmerkungen heißt es:

„Beispiele:

Die Unterschrift der Behörde, die die [EUR.1-Bescheinigung] ausgestellt hat, oder das Ausstellungsdatum fehlt.

Die Erzeugnisse, ihre Verpackungen oder Begleitpapiere deuten auf einen anderen Ursprung als den auf der [EUR.1-Bescheinigung] angegebenen Ursprung hin.

Der für den Sichtvermerk verwendete Stempel weicht von dem übermittelten Musterabdruck ab.

Verfahrensweise

Die Bescheinigung wird den Ausstellungsbehörden unter Angabe der Gründe zur Nachprüfung zurückgesandt. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse ergreifen die Zollbehörden alle für notwendig erachteten Maßnahmen, um die Entrichtung der fälligen Zölle sicherzustellen.“

Zollkodex

16

Der Zollkodex wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. L 145, S. 1) aufgehoben, von der einige Bestimmungen seit dem 24. Juni 2008 gelten und die übrigen seit dem 24. Juni 2013. Aufgrund des streitgegenständlichen Zeitraums ist im Ausgangsverfahren jedoch weiterhin der Zollkodex anwendbar.

17

Art. 77 des Zollkodex betraf die Fälle, in denen die Zollanmeldung mit Mitteln der Datenverarbeitung abgegeben wurde; er sah vor, dass die Zollbehörden in diesen Fällen den Anmelder von der Pflicht, die Begleitpapiere mit der Anmeldung abzugeben, befreien konnten. Dann mussten diese Papiere jedoch zur Verfügung der Zollbehörden gehalten werden.

18

Art. 78 des Zollkodex gestattete den Zollbehörden, nach der Überlassung der Waren eine Überprüfung der Anmeldung sowie eine nachträgliche Prüfung von Geschäftsunterlagen und anderem Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhrgeschäften stand, vorzunehmen. Ergaben die Überprüfung der Anmeldung oder nachträgliche Prüfungen, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden war, trafen die Zollbehörden die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.

19

Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex bestimmte u. a. in Bezug auf das Verfahren zur Erstattung oder zum Erlass von Abgaben, die eine als nichtbestehend geltende Zollschuld betreffen, Folgendes:

„Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.“

20

Art. 247 des Zollkodex sah vor, dass die erforderlichen Maßnahmen zu seiner Durchführung von der Kommission erlassen werden.

21

In Bezug auf das Verfahren zur Erstattung oder zum Erlass der Abgaben enthielt Art. 889 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 eine Reihe die nachträgliche Gewährung einer Zollpräferenzregelung betreffender Regeln; er bestimmte:

„Wenn der Antrag auf Erlass oder Erstattung damit begründet wird, dass im Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung der Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr im Rahmen eines Zollkontingents, eines Zollplafonds oder einer anderen Präferenzregelung ein ermäßigter Zollsatz oder Zollfreiheit galt, kann die Erstattung oder der Erlass nur gewährt werden, soweit zur Zeit der Vorlage des mit den erforderlichen Unterlagen versehenen Antrags auf Erstattung oder Erlass:

im Falle eines Zollkontingents dessen Höchstmenge nicht erschöpft ist;

in den [übrigen] Fällen der normalerweise anwendbare Zollsatz nicht wieder eingeführt worden ist.

Die Erstattung oder der Erlass wird jedoch auch dann gewährt, wenn die im vorstehenden Unterabsatz genannten Voraussetzungen zwar nicht erfüllt sind, aber aufgrund eines Irrtums der zuständigen Zollbehörden der ermäßigte Zollsatz oder die Zollfreiheit für Waren nicht angewandt worden ist, obwohl bei der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr alle für die Anwendung des ermäßigten Zollsatzes oder der Zollfreiheit erforderlichen Angaben ordnungsgemäß gemacht und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt worden waren.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22

Zwischen dem 19. Mai 2005 und dem 11. Juli 2007 überführte Sandler mittels elektronischer Zollanmeldungen und unter Anwendung des EDV-Systems ATLAS mehrere Sendungen synthetischer Spinnfasern in den zollrechtlich freien Verkehr der Union. Das Hauptzollamt Hamburg‑Hafen‑Waltershof fertigte die Waren mit dem angemeldeten Ursprung Nigeria unter Gewährung des Präferenzzollsatzes „frei“ ab. Auf eine Vorlage der in den Zollanmeldungen aufgeführten EUR.1-Bescheinigungen sowie deren Prüfung verzichtete die Zollstelle.

23

Im Laufe des Jahres 2008 stellte das HZA bei einer nachträglichen Prüfung der EUR.1-Bescheinigungen gemäß Art. 78 des Zollkodex fest, dass auf 34 von ihnen ein runder Stempelabdruck angebracht worden war. In dessen Randbereich stand der Text „NIGERIA CUSTOMS SERVICE“ und „TIN CAN ISLAND PORT. LAGOS“, und im inneren Bereich befand sich unter einer Datumsangabe der Text „ASST.COMPTROLLER o/c Export Seat Releasing Officer“. Nach den Angaben des HZA stimmte dieser Stempelabdruck nicht mit dem der Kommission von den nigerianischen Behörden nach Art. 31 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 übermittelten Musterabdruck überein; bei diesem habe es sich um einen geschwungenen Stempelabdruck mit dem Text „NIGERIA CUSTOMS SERVICE“ und „EXPORT SEAT“ im Randbereich und den Worten „TINCAN PORT“ im inneren Bereich unter einer Datumsangabe gehandelt:

Stempelabdruck auf den EUR.1-Bescheinigungen

Von den nigerianischen Behörden übermittelter Musterabdruck

24

Nach den Auskünften, die das vorlegende Gericht vom HZA erhielt, waren die von den nigerianischen Behörden übermittelten Musterabdrücke vom 1. Juli 2003 bis zum Ablauf der in Anhang V des Cotonou-Abkommens vorgesehenen Präferenzregelung am 31. Dezember 2007 gültig, und von den nigerianischen Behörden wurden in dieser Zeit auch keine Änderungen dieser Muster übermittelt.

25

Aus diesem Grund teilte das HZA Sandler mit Schreiben vom 30. April 2008 mit, dass die EUR.1-Bescheinigungen nicht anerkannt werden könnten und mit dem Vermerk „Dokument nicht angenommen“ zu versehen seien. Ferner wies das HZA darauf hin, dass die Einfuhrabgaben nachzuerheben seien, dass jedoch bei Vorlage einer neu ausgestellten EUR.1-Bescheinigung eine Erstattung der erhobenen Zölle möglich sei. Mit zwei Einfuhrabgabenbescheiden vom 14. Mai 2008 und vom 3. Juni 2008 nahm das HZA eine Nacherhebung von Zöllen in Höhe von insgesamt 65612,71 Euro vor, wobei es den Drittlandszollsatz von 4 % anwandte.

26

Am 10. September 2008 legte Sandler EUR.1-Bescheinigungen mit Stempeln vor, die mit dem der Kommission übermittelten Musterabdruck übereinstimmten, und beantragte die Erstattung des aufgrund der beiden Abgabenbescheide gezahlten Zolls. Die EUR.1-Bescheinigungen waren in Feld 7 („Bemerkungen“) mit dem Hinweis „being issued in replacement of EUR.1 …“ („ausgestellt als Ersatz für EUR.1 …“) sowie dem Datum und der Nummer der vom HZA abgelehnten EUR.1-Bescheinigungen versehen.

27

Mit Bescheid vom 22. September 2008 lehnte das HZA eine Erstattung mit der Begründung ab, dass gemäß Art. 889 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 die nachträgliche Gewährung der Präferenz nur erfolgen könne, wenn der beantragte begünstigte Zollsatz auch zum Zeitpunkt der Vorlage des Erstattungsantrags noch gültig sei. Da die Präferenzregelung des Cotonou-Abkommens aber am 31. Dezember 2007 ausgelaufen sei, sei für aus Nigeria eingeführte Waren seit dem 1. Januar 2008 kein Präferenzzollsatz mehr vorgesehen.

28

Überdies hatte Sandler die Erstattung des Zolls aus Billigkeitsgründen nach Art. 239 des Zollkodex beantragt. Dieser Antrag wurde vom HZA mit Bescheid vom 23. Februar 2009 ebenfalls abgelehnt.

29

Die von Sandler gegen diese beiden Bescheide des HZA eingelegten Einsprüche wurden zurückgewiesen. Dagegen erhob Sandler Klage beim vorlegenden Gericht, das die beiden Verfahren verband.

30

Vor dem vorlegenden Gericht macht Sandler geltend, dass die Unrichtigkeit einer im Rahmen des Systems der administrativen Zusammenarbeit von den Zollbehörden eines Drittstaats ausgestellten EUR.1-Bescheinigung als ein Irrtum anzusehen sei, den der Wirtschaftsteilnehmer nicht erkennen könne. Diesem komme insofern keine Kontrollfunktion zu, zumal nicht geregelt sei, dass der erforderliche Musterstempel bei den Zollstellen des Einfuhrstaats eingesehen werden könne. Zudem seien die ursprünglichen EUR.1-Bescheinigungen materiell rechtmäßig ausgestellt worden; es sei lediglich ein falscher Stempel verwendet worden. Daher habe es sich auch nicht um ungültige EUR.1-Bescheinigungen gehandelt. Durch die Anbringung des falschen Stempels sei den nigerianischen Behörden lediglich ein Formfehler unterlaufen, den sie durch nachträgliche Ausstellung korrigierter EUR.1-Bescheinigungen behoben hätten.

31

Sandler trägt zur Begründung ihrer Sichtweise vor, dass im vorliegenden Fall anstelle eines Verweises auf das Verfahren nach Art. 16 des Protokolls Nr. 1 eine nachträgliche Prüfung der EUR.1-Bescheinigungen nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 hätte erfolgen müssen, da die von den zuständigen Behörden eines Vertragsstaats des Cotonou-Abkommens ausgestellten EUR.1-Ursprungszeugnisse nicht ohne ihre Einschaltung einseitig für nichtig hätten erklärt werden dürfen. Bei der Ablehnung einer EUR.1-Bescheinigung aufgrund von Art. 16 des Protokolls Nr. 1 sei der präferenzielle Ursprung der Ware unstreitig; problematisch sei allein, aufgrund verwaltungsinterner Vorgänge, die ordnungsgemäße Ausstellung der EUR.1-Bescheinigungen. Da das HZA kein Nachprüfungsersuchen nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 eingeleitet habe, sei davon auszugehen, dass es keine Zweifel an der Echtheit des Präferenznachweises gehabt habe.

32

Das HZA macht im Wesentlichen geltend, Art. 16 des Protokolls Nr. 1 sei im vorliegenden Fall anwendbar, weil die EUR.1-Bescheinigungen einen Stempelabdruck aufwiesen, der sich klar von den Musterabdrücken unterscheide, die die nigerianischen Behörden übermittelt hätten. Bei den formalen Mängeln im Sinne von Art. 16 des Protokolls Nr. 1 handele es sich um schwerer wiegende Mängel als bei denen, die unter Art. 32 des Protokolls Nr. 1 fielen. Außerdem weiche im vorliegenden Fall der verwendete Stempel vollkommen von den übermittelten Musterabdrücken ab und weise keinerlei Ähnlichkeit mit diesen auf, so dass es sich nicht um eine „Abweichung“ von einem Musterabdruck im Sinne von Nr. 17 der Anmerkungen handele, die einen Zweifel an der Echtheit der EUR.1-Bescheinigung begründe. Der Unterschied zwischen den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Stempeln und den von den nigerianischen Behörden übermittelten Musterabdrücken sei so schwerwiegend, dass die Anwendung des Präferenzzollsatzes nicht in Betracht komme.

33

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts kommt es für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits darauf an, ob das HZA dem Erstattungsantrag von Sandler entgegenhalten durfte, dass nach Art. 889 der Verordnung Nr. 2454/93 eine Erstattung nur gewährt werden kann, wenn der zum Zeitpunkt der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr anwendbare Präferenzzollsatz bei der Stellung des Erstattungsantrags immer noch galt. Sofern Art. 889 der Verordnung Nr. 2454/93 unter solchen Umständen einer Erstattung nicht entgegenstehe, stelle sich die Frage, ob die Behörden eines Mitgliedstaats, wenn die Zollbehörden eines AKP-Staats einen anderen als den der Kommission übermittelten Stempel verwendet hätten, ohne förmlichen Nachprüfungsantrag nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 eine von dem AKP-Staat ausgestellte EUR.1-Bescheinigung überprüfen bzw. nicht annehmen und dem Einführer damit von sich aus die Gewährung des Präferenzzollsatzes verweigern könnten.

34

Das Finanzgericht München hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 dahin auszulegen, dass er nur den Fall eines Erstattungsantrags regelt, bei dem eine Ware zunächst unter Anwendung des Drittlandszollsatzes in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wurde und sich später herausstellt, dass im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung eigentlich ein ermäßigter Zollsatz oder Zollfreiheit (hier Präferenzzollsatz) bestanden hat, der jedoch bei Stellung des Erstattungsantrags bereits wieder ausgelaufen war, mit der Folge, dass der Auslauf einer zeitlich befristeten Präferenzregelung bei der Stellung des Erstattungsantrags einem Beteiligten nicht entgegengehalten werden kann, wenn bei der Abfertigung der Präferenzzollsatz gewährt und erst bei einer Nacherhebung durch die Verwaltung die Präferenz versagt worden ist und der Drittlandszollsatz zugrunde gelegt wird?

2.

Ist Art. 16 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen, dass die Zollbehörden des Einfuhrstaats, wenn der Ausfuhrstaat eine EUR.1-Bescheinigung mit einem anderen Stempelabdruck als dem der Kommission mitgeteilten Musterstempelabdruck versehen hat, diese Abweichung im Zweifel als formalen Mangel im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 behandeln und die EUR.1-Bescheinigung damit ohne Beteiligung der Zollbehörden des Ausfuhrstaats für ungültig erklären können?

3.

Bei Bejahung der Frage 2:

a)

Ist Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 auch dann anzuwenden, wenn der formale Mangel nicht unmittelbar bei der Einfuhr, sondern erst bei der späteren Nachprüfung durch die Zollbehörde erkannt wird?

b)

Kann Art. 16 Abs. 4 und Abs. 5 des Protokolls Nr. 1 dahin ausgelegt werden, dass ein formaler Mangel dann als beseitigt gilt, wenn bei einer nachträglich ausgestellten EUR.1-Bescheinigung in dem Feld „Bemerkungen“ zwar nicht wörtlich einer der in Art. 16 Abs. 4 des Protokolls Nr. 1 vorgesehenen Hinweise, sondern nur ein solcher eingetragen worden ist, der im Ergebnis aber zum Ausdruck bringt, dass der Präferenznachweis nachträglich ausgestellt worden ist?

4.

Bei Verneinung der Frage 2:

Ist Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen, dass Einfuhrabgaben gesetzlich nicht geschuldet gewesen sind und daher zu Unrecht nach Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex nacherhoben wurden, wenn die ursprünglich verwendeten EUR.1-Bescheinigungen von der Zollbehörde des Einfuhrlandes nicht ohne Einschaltung der Zollbehörden des Ausfuhrlandes für ungültig erklärt werden durften?

5.

Ist auch in dem Fall, dass eine nachträglich ausgestellte EUR.1-Bescheinigung gemäß Art. 16 des Protokolls Nr. 1 nachgereicht wird, die Erstattung bereits nacherhobener und gezahlter Einfuhrabgaben wegen Art. 889 der Verordnung Nr. 2454/93 nur dann möglich, wenn der Präferenzzollsatz im Zeitpunkt des Erstattungsantrags noch gilt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

35

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 dahin auszulegen ist, dass er einem Antrag auf Erstattung von Abgaben entgegensteht, wenn bei Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr eine Präferenzregelung beantragt und gewährt wurde und die Behörden des Einfuhrstaats erst später – im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung, die durchgeführt wurde, nachdem die Präferenzregelung ausgelaufen und der normalerweise anwendbare Zollsatz wieder eingeführt worden war – den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nacherhoben haben.

36

Insoweit ist festzustellen, dass die in Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehene Ausnahme von der Anwendung des Art. 236 des Zollkodex – wie auch das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausführt – nach dem Wortlaut der erstgenannten Vorschrift nur Fälle betrifft, in denen eine Ware unter Anwendung des normalerweise anwendbaren Zollsatzes in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wurde, sich danach aber herausstellt, dass etwa aufgrund einer Präferenzregelung ein ermäßigter Zollsatz oder Zollfreiheit hätte geltend gemacht werden können.

37

Folglich kann in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, wenn bei Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr eine Präferenzregelung beantragt und gewährt wurde und die Behörden des Einfuhrstaats erst später – im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung, die durchgeführt wurde, nachdem die Präferenzregelung ausgelaufen und der normalerweise anwendbare Zollsatz wieder eingeführt worden war – den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nacherhoben haben, Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 einem Antrag auf Erstattung dieses Differenzbetrags nicht entgegenstehen.

38

Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 dahin auszulegen ist, dass er einem Antrag auf Erstattung von Abgaben nicht entgegensteht, wenn bei der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr eine Präferenzregelung beantragt und gewährt wurde und die Behörden des Einfuhrstaats erst später – im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung, die durchgeführt wurde, nachdem die Präferenzregelung ausgelaufen und der normalerweise anwendbare Zollsatz wieder eingeführt worden war – den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nacherhoben haben.

Zur zweiten Frage und zum ersten Teil der dritten Frage

39

Mit seiner zweiten Frage und dem ersten Teil seiner dritten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen sind, dass die Zollbehörden des Einfuhrstaats, wenn sich bei einer nachträglichen Prüfung herausstellt, dass auf einer EUR.1-Bescheinigung ein nicht mit dem von den Behörden des Ausfuhrstaats übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck angebracht wurde, anstelle der Einleitung des Verfahrens nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 diese Bescheinigung zurückweisen und dem Einführer zurückgeben können, damit er auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung beantragen kann.

40

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls Nr. 1 die Vorlage einer von den Zollbehörden des Ausfuhrstaats ausgestellten EUR.1-Bescheinigung eine Verfahrensvoraussetzung für die Anwendung der durch Anhang V des Cotonou-Abkommens eingeführten Regelung auf Erzeugnisse mit Ursprung in den AKP-Staaten war.

41

Art. 31 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 sah überdies vor, dass die EUR.1-Bescheinigungen mit einem Stempelabdruck der Zollbehörden des Ausfuhrstaats versehen sein müssen, dessen Musterabdrücke der Kommission und von ihr den Mitgliedstaaten übermittelt wurden. Nach Art. 31 Abs. 1 Unterabs. 2 wurden EUR.1-Bescheinigungen zur Gewährung der Präferenzbehandlung ab dem Tag angenommen, an dem die erforderlichen Informationen bei der Kommission eingingen.

42

Es ist unstreitig, dass die Stempelabdrücke auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden EUR.1-Bescheinigungen offensichtlich nicht mit den der Kommission von den nigerianischen Behörden übermittelten Musterabdrücken übereinstimmten, die vom 1. Juli 2003 bis zum Ablauf der in Anhang V des Cotonou-Abkommens vorgesehenen Präferenzregelung am 31. Dezember 2007 gültig waren, ohne dass die nigerianischen Behörden in dieser Zeit Änderungen übermittelt hätten.

43

Folglich durften die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats gemäß Art. 31 Abs. 1 Unterabs. 2 des Protokolls Nr. 1 EUR.1-Bescheinigungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden jedenfalls nicht annehmen.

44

Zur Verfahrensweise der Behörden des Einfuhrmitgliedstaats in einer solchen Situation enthält das Protokoll Nr. 1 keine Vorschrift, die die Anwendungsbereiche des Verfahrens nach Art. 16 des Protokolls und des Verfahrens nach dessen Art. 32 ausdrücklich abgrenzen würde. Das Protokoll scheint den Behörden des Einfuhrmitgliedstaats also einen gewissen Ermessensspielraum einzuräumen.

45

Bei der Wahl zwischen diesen beiden Verfahren sind neben den Regeln des Protokolls Nr. 1 und den Anmerkungen alle Umstände des Einzelfalls einschließlich der Sachverhaltselemente zu berücksichtigen.

46

Die Anmerkungen, die – auch wenn sie für die Behörden der Mitgliedstaaten nicht zwingend sind – ein nützliches Hilfsmittel darstellen, um die einheitliche Anwendung der Bestimmungen des Protokolls Nr. 1 sicherzustellen, enthalten im Übrigen insoweit ebenfalls keine Vorgaben.

47

Die Nrn. 10 und 17 der Anmerkungen können einer Behörde Leitlinien für die Verfahrensweise bei einer Abweichung der verwendeten Stempel von dem übermittelten Muster geben. Nach Nr. 10 der Anmerkungen sollte, wenn ein „neuer Stempel …, dessen Musterabdruck noch nicht übermittelt wurde“, verwendet wurde, dem Einführer die Bescheinigung zurückgegeben werden, damit er die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 beantragen kann. Dagegen enthält Nr. 17 der Anmerkungen für den Fall, dass ein verwendeter Stempel „von dem übermittelten Musterabdruck ab[weicht]“, die Empfehlung, die Bescheinigung gemäß Art. 32 des Protokolls Nr. 1 zur Nachprüfung an die Behörden des Ausfuhrstaats zurückzusenden.

48

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Nr. 10 der Anmerkungen die Möglichkeit erwähnt, Art. 16 Abs. 1 und Art. 32 des Protokolls Nr. 1 nebeneinander anzuwenden, und damit bestätigt, dass sich die Anwendungsbereiche dieser Bestimmungen – anders als die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt – nicht gegenseitig ausschließen. Nr. 10 sieht nämlich vor, dass die Behörde des Einfuhrmitgliedstaats, die dem Einführer eine abgelehnte Bescheinigung zurückgibt, damit er nach Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 die nachträgliche Ausstellung einer neuen Bescheinigung beantragen kann, u. a. „für den Fall einer Nachprüfung“ nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 eine Fotokopie der abgelehnten Bescheinigung behält.

49

Nach ständiger Rechtsprechung beruht das System der administrativen Zusammenarbeit, das durch ein – als Anhang einem zwischen der Union und einem Drittstaat geschlossenen Abkommen beigefügtes – Protokoll mit Regeln zum Warenursprung geschaffen wurde, auf einem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Behörden der Einfuhrmitgliedstaaten und denen des Ausfuhrstaats, und die durch ein Protokoll über den Warenursprung begründete Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn der Einfuhrstaat die vom Ausfuhrstaat rechtmäßig vorgenommenen Beurteilungen anerkennt (vgl. Urteil vom 15. Dezember 2011, Afasia Knits Deutschland, C-409/10, Slg. 2011, I-13331, Randnrn. 28 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Die Anforderung eines gegenseitigen Vertrauens wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Protokoll Nr. 1 den Behörden des Einfuhrstaats erlaubt, je nach den Umständen des Einzelfalls zwischen den Verfahren der Art. 16 und 32 des Protokolls zu wählen. Entgegen den Ausführungen von Sandler und der Kommission bedarf es sowohl beim einen als auch beim anderen dieser Verfahren der Mitwirkung der Behörden des Ausfuhrstaats; der einzige Unterschied besteht darin, ob diese Behörden nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 von den Behörden des Einfuhrmitgliedstaats oder nach Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 vom Einführer kontaktiert werden. In beiden Fällen können die Waren mit Ursprung im betreffenden AKP-Staat erst nach dem Tätigwerden der Behörden des Ausfuhrstaats zu dem durch Anhang V des Cotonou-Abkommens eingeführten System zugelassen werden. So waren es im Rahmen von Art. 16 des Protokolls Nr. 1 die Behörden des Ausfuhrstaats, die nach Prüfung der Angaben im Antrag des Ausführers nachträglich eine EUR.1-Bescheinigung ausstellen konnten. Desgleichen wurden die in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehenen Prüfungen zur Bestätigung der Echtheit der EUR.1-Bescheinigungen und des Ursprungs der Waren von den Behörden des Ausfuhrstaats vorgenommen.

51

Darüber hinaus ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, wonach die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats die EUR.1-Bescheinigung nur ablehnen dürften, wenn sie vermuteten, dass es neue Stempelabdrücke gebe, und annähmen, dass der Drittstaat ihnen diese übermitteln werde, während sie, wenn sie nicht glaubten, dass ihnen neue Stempelabdrücke übermittelt würden, keine andere Wahl hätten, als das in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehene Verfahren der nachträglichen Prüfung einzuleiten. Es wäre nämlich für die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats praktisch unmöglich, sachgerecht zwischen diesen beiden Fällen zu unterscheiden.

52

In Bezug auf die Frage, ob die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats, wenn – wie im Ausgangsverfahren – eine Abweichung zwischen den Stempelabdrücken nicht unmittelbar bei der Einfuhr, sondern erst bei einer nachträglichen Prüfung erkannt wird, eine EUR.1-Bescheinigung noch ablehnen und dem Einführer aufgeben können, das Verfahren des Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 zu befolgen, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Einfuhr“ im Sinne dieser Vorschrift, wie die Kommission dargelegt hat, weit zu verstehen ist und somit grundsätzlich den gesamten Zeitraum bis zum Erlöschen aller Verpflichtungen des Einführers umfasst.

53

In Art. 23 des Protokolls Nr. 1 hieß es, dass den Zollbehörden die Ursprungsnachweise nach den im Einfuhrstaat geltenden Verfahrensvorschriften vorzulegen waren, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens also u. a. nach dem Zollkodex.

54

Art. 77 Abs. 2 des Zollkodex sah hierzu vor, dass die Zollbehörden, wenn die Zollförmlichkeiten – wie im Ausgangsverfahren – mit Mitteln der Datenverarbeitung erfüllt wurden, es zulassen konnten, dass die EUR.1-Bescheinigungen nicht mit der Zollanmeldung vorgelegt, sondern für eine etwaige nachträgliche Überprüfung zur Verfügung dieser Behörden gehalten werden. Art. 16 des Zollkodex sah überdies vor, dass die Beteiligten alle Unterlagen und Informationen auf beliebigem Träger innerhalb der nach dem geltenden Recht festgelegten Frist, mindestens aber drei Kalenderjahre lang, aufzubewahren hatten, und Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex gestattete in Verbindung mit dessen Art. 201 Abs. 2 eine Mitteilung der Abgaben binnen einer Frist von bis zu drei Jahren ab der Annahme der Zollanmeldung.

55

Im Hinblick darauf ist der Ausdruck „bei der Einfuhr aus formalen Gründen nicht angenommen worden ist“ in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 in Verbindung mit Art. 23 des Protokolls Nr. 1 und Art. 77 Abs. 2 des Zollkodex in dem Sinne zu lesen, dass damit der Zeitpunkt gemeint ist, zu dem das Einfuhrland tatsächlich zum ersten Mal im Einklang mit diesen Verfahrensvorschriften die EUR.1-Bescheinigungen überprüft. Somit kann dieser Ausdruck auch bei einer nachträglichen Prüfung zur Anwendung kommen.

56

Folglich ist auf die zweite Frage und auf den ersten Teil der dritten Frage zu antworten, dass die Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen sind, dass die Zollbehörden des Einfuhrstaats, wenn sich bei einer nachträglichen Prüfung herausstellt, dass auf einer EUR.1-Bescheinigung ein nicht mit dem von den Behörden des Ausfuhrstaats übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck angebracht wurde, anstelle der Einleitung des Verfahrens nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 diese Bescheinigung zurückweisen und dem Einführer zurückgeben können, damit er auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung beantragen kann.

Zum zweiten Teil der dritten Frage

57

Mit dem zweiten Teil seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 Abs. 4 und 5 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen ist, dass eine EUR.1-Bescheinigung, die in Feld 7 („Bemerkungen“) nicht den in Art. 16 Abs. 4 genannten Vermerk, sondern einen Hinweis enthält, der letztlich dahin zu verstehen ist, dass die EUR.1-Bescheinigung gemäß Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 ausgestellt wurde, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als nachträglich ausgestellte EUR.1-Bescheinigung angesehen werden muss, durch die die betreffenden Waren zu dem durch Anhang V des Cotonou-Abkommens eingeführten System zugelassen werden können.

58

Insoweit ist daran zu erinnern, dass die EUR.1-Bescheinigung gemäß den Art. 14 und 15 Abs. 7 des Protokolls Nr. 1 grundsätzlich ausgestellt worden sein muss, sobald die Ausfuhr tatsächlich erfolgt ist, damit sie den Zollbehörden des Einfuhrstaats vorgelegt werden kann.

59

Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 stellt eine Ausnahme von dieser Regel dar, da er unter ausdrücklicher Abweichung von Art. 15 Abs. 7 des Protokolls ausnahmsweise die Ausstellung von EUR.1-Bescheinigungen nach der Ausfuhr u. a. dann erlaubt, wenn nachgewiesen wird, dass eine EUR.1-Bescheinigung ausgestellt, aber bei der Einfuhr aus formalen Gründen nicht angenommen worden ist.

60

Art. 16 Abs. 4 und 5 des Protokolls Nr. 1 verlangt in diesem Zusammenhang, dass die nachträglich ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen im Feld „Bemerkungen“ mit einem Vermerk wie „Nachträglich ausgestellt“ zu versehen sind, dessen genauer Wortlaut in Abs. 4 angegeben ist.

61

Dagegen ist unstreitig, dass im Ausgangsverfahren die EUR.1-Bescheinigungen, die von Sandler vorgelegt wurden, nachdem das HZA die ursprünglich vorgelegten EUR.1-Bescheinigungen zurückgewiesen hatte, zwar Stempelabdrücke trugen, die mit den der Kommission übermittelten Musterabdrücken übereinstimmten, im Feld „Bemerkungen“ aber nicht den in Art. 16 Abs. 4 des Protokolls Nr. 1 angegebenen Vermerk enthielten, sondern den Vermerk „being issued in replacement of EUR.1 …“ („ausgestellt als Ersatz für EUR.1 …“) sowie das Datum und die Nummer der abgelehnten EUR.1-Bescheinigungen.

62

Zwar legt diese Formulierung nahe, dass die von Sandler nachgereichten Bescheinigungen nach Art. 18 des Protokolls Nr. 1, der Ersatzbescheinigungen betrifft, ausgestellt wurden.

63

Die ausstellende Behörde hat jedoch nach Ansicht des vorlegenden Gerichts mit diesen Angaben im Wesentlichen hinreichend deutlich darauf hingewiesen, dass die nachträglich ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen an die Stelle der ursprünglich ausgestellten Präferenznachweise treten sollten. Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervor, dass Sandler oder die Behörden des Ausfuhrstaats sich auf Art. 18 des Protokolls Nr. 1 berufen wollten oder dass die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift erfüllt gewesen wären.

64

Unter diesen Umständen konnten EUR.1-Bescheinigungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich nachträglich ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen gleichgestellt werden, so dass es den Behörden des Einfuhrstaats nicht zustand, ihre Annahme als solche zu verweigern.

65

Die Behörden des Einfuhrstaats haben also nach der Beurteilung aller maßgeblichen Umstände entweder die neuen EUR.1-Bescheinigungen als Berichtigung des bei den ersten Bescheinigungen begangenen Formfehlers zu akzeptieren oder, wenn sie begründete Zweifel an der Echtheit der fraglichen Unterlagen oder der Ursprungseigenschaft der betreffenden Waren haben, das in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehene Nachprüfungsverfahren einzuleiten.

66

Auf den zweiten Teil der dritten Frage ist daher zu antworten, dass Art. 16 Abs. 4 und 5 sowie Art. 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen sind, dass die Behörden eines Einfuhrstaats sich nicht weigern dürfen, eine EUR.1-Bescheinigung als nachträglich ausgestellte EUR.1-Bescheinigung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 zu akzeptieren, wenn sie zwar in allen übrigen Teilen den Anforderungen des Protokolls Nr. 1 entspricht, im Feld „Bemerkungen“ aber nicht den in Art. 16 Abs. 4 genannten Vermerk, sondern einen Hinweis enthält, der letztlich dahin zu verstehen ist, dass die EUR.1-Bescheinigung gemäß Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 ausgestellt wurde. Bei Zweifeln an der Echtheit der fraglichen Unterlagen oder der Ursprungseigenschaft der betreffenden Waren haben diese Behörden das in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehene Nachprüfungsverfahren einzuleiten.

Zur vierten Frage

67

Angesichts der Antwort auf die zweite Frage ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

Zur fünften Frage

68

Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der fünften Frage.

Kosten

69

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft in der zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einem Antrag auf Erstattung von Abgaben nicht entgegensteht, wenn bei der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr eine Präferenzregelung beantragt und gewährt worden ist und die Behörden des Einfuhrstaats erst später – im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung, die durchgeführt wurde, nachdem die Präferenzregelung ausgelaufen und der normalerweise anwendbare Zollsatz wieder eingeführt worden war – den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nacherhoben haben.

 

2.

Die Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 2003/159/EG des Rates vom 19. Dezember 2002, sind dahin auszulegen, dass die Zollbehörden des Einfuhrstaats, wenn sich bei einer nachträglichen Prüfung herausstellt, dass auf einer Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 ein nicht mit dem von den Behörden des Ausfuhrstaats übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck angebracht wurde, anstelle der Einleitung des Verfahrens nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 diese Bescheinigung zurückweisen und dem Einführer zurückgeben können, damit er auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung beantragen kann.

 

3.

Art. 16 Abs. 4 und 5 sowie Art. 32 des Protokolls Nr. 1 sind dahin auszulegen, dass die Behörden eines Einfuhrstaats sich nicht weigern dürfen, eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 als nachträglich ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 im Sinne von Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 zu akzeptieren, wenn sie zwar in allen übrigen Teilen den Anforderungen des Protokolls Nr. 1 entspricht, im Feld „Bemerkungen“ aber nicht den in Art. 16 Abs. 4 genannten Vermerk, sondern einen Hinweis enthält, der letztlich dahin zu verstehen ist, dass die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 gemäß Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 ausgestellt wurde. Bei Zweifeln an der Echtheit der fraglichen Unterlagen oder der Ursprungseigenschaft der betreffenden Waren haben diese Behörden das in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehene Nachprüfungsverfahren einzuleiten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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