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Document 62012CJ0137

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 22. Oktober 2013.
Europäische Kommission gegen Rat der Europäischen Union.
Nichtigkeitsklage – Beschluss 2011/853/EU des Rates – Europäisches Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten – Richtlinie 98/84/EG – Rechtsgrundlage – Art. 207 AEUV – Gemeinsame Handelspolitik – Art. 114 AEUV – Binnenmarkt.
Rechtssache C‑137/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:675

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

22. Oktober 2013 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage — Beschluss 2011/853/EU des Rates — Europäisches Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten — Richtlinie 98/84/EG — Rechtsgrundlage — Art. 207 AEUV — Gemeinsame Handelspolitik — Art. 114 AEUV — Binnenmarkt“

In der Rechtssache C‑137/12

betreffend eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV, eingereicht am 12. März 2012,

Europäische Kommission, vertreten durch E. Cujo, I. Rogalski, R. Vidal Puig und D. Stefanov als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch:

Europäisches Parlament, vertreten durch D. Warin und J. Rodrigues als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch H. Legal, J.-P. Hix und R. Liudvinaviciute-Cordeiro als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch:

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und N. Rouam als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels, M. Bulterman und M. de Ree als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und C. Stege als Bevollmächtigte,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch A. Robinson als Bevollmächtigten im Beistand von G. Facenna, Barrister,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidenten A. Tizzano, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, E. Juhász, A. Borg Barthet, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça, der Richter A. Rosas, G. Arestis und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. Vajda,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Juni 2013

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage begehrt die Kommission die Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/853/EU des Rates vom 29. November 2011 über die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten im Namen der Union (ABl. L 336, S. 1, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 98/84/EG

2

Am 20. November 1998 erließen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 98/84/EG über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (ABl. L 320, S. 54).

3

Nach Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 98/84 ist deren Ziel die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen illegale Vorrichtungen, die unerlaubten Zugang zu geschützten Diensten ermöglichen.

4

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

geschützter Dienst‘ einen der nachstehend aufgeführten Dienste, soweit er gegen Entgelt erbracht wird und einer Zugangskontrolle unterliegt:

Fernsehsendung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a) der Richtlinie 89/552/EWG [des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298, S. 23)];

Radiosendung im Sinne der drahtgebundenen oder drahtlosen, einschließlich der durch Satelliten vermittelten Sendung von Radioprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist;

Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft [ABl. L 204, S. 37]

sowie die Zugangskontrolle für die vorstehend genannten Dienste selbst, soweit sie als eigenständiger Dienst anzusehen ist;

b)

Zugangskontrolle‘ jede technische Maßnahme und/oder Vorrichtung, die den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form von einer vorherigen individuellen Erlaubnis abhängig macht;

c)

Zugangskontrollvorrichtung‘ jedes Gerät oder Computerprogramm, das dazu bestimmt oder entsprechend angepasst ist, um den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form zu ermöglichen;

e)

illegale Vorrichtung‘ jedes Gerät oder Computerprogramm, das dazu bestimmt oder entsprechend angepasst ist, um den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form ohne Erlaubnis des Diensteanbieters zu ermöglichen;

…“

5

Art. 3 („Binnenmarkt-Grundsätze“) dieser Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um die in Artikel 4 genannten Handlungen in seinem Hoheitsgebiet zu untersagen und Sanktionen und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 5 vorzusehen.“

6

Art. 4 der Richtlinie 98/84, der Zuwiderhandlungen betrifft, bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten verbieten in ihrem Hoheitsgebiet folgende Handlungen:

a)

Herstellung, Einfuhr, Vertrieb, Verkauf, Vermietung oder Besitz illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

b)

Installierung, Wartung oder Austausch illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

c)

Einsatz der kommerziellen Kommunikation zur Förderung des Inverkehrbringens illegaler Vorrichtungen.“

7

Art. 5 („Sanktionen und Rechtsbehelfe“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Die Sanktionen müssen wirksam, abschreckend und der potenziellen Wirkung der Zuwiderhandlung angemessen sein.

(2)   „Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit Anbieter von geschützten Diensten, deren Interessen durch eine in ihrem Hoheitsgebiet begangene Zuwiderhandlung gemäß Artikel 4 verletzt worden sind, Zugang zu geeigneten Rechtsbehelfen haben; hierzu zählen Klagen auf Schadenersatz und das Erwirken einer einstweiligen Verfügung oder einer sonstigen Präventivmaßnahme sowie gegebenenfalls der Antrag auf Herausnahme der illegalen Vorrichtungen aus dem gewerblichen Verkehr.“

Europäisches Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten

8

Im Jahr 1999 begann der Europarat mit der Ausarbeitung eines Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten. Am 16. Juli 1999 ermächtigte der Rat der Europäischen Union die Kommission, im Namen der Europäischen Gemeinschaft an den Verhandlungen über dieses Übereinkommen teilzunehmen. Die vom Rat am selben Tag erlassenen Leitlinien für die Verhandlungen sahen vor, dass die Kommission mit dem Ziel verhandeln solle, die Vereinbarkeit dieses Übereinkommens mit der Richtlinie 98/84, insbesondere im Bereich der Sanktionen, zu gewährleisten.

9

Das Europäische Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (ABl. 2011, L 336, S. 2, im Folgenden: Übereinkommen) wurde vom Europarat am 24. Januar 2001 angenommen und trat am 1. Juli 2003 in Kraft.

10

Der Erläuternde Bericht zum Übereinkommen enthält in seinen Nrn. 10, 11 und 13 folgende Ausführungen:

„10.

Außerhalb der Union unterscheidet sich die gesetzgeberische Herangehensweise an das Problem des illegalen Empfangs verschlüsselter Dienste von Land zu Land: In einigen Ländern bestehen bereits Vorschriften, um diesem Problem spezifisch zu begegnen. In anderen sind die Vorschriften unvollständig und schützen nur bestimmte Dienste (nämlich die der Radioübertragung) oder sehen Sanktionen nur gegen bestimmte Handlungen vor. Wieder in anderen Ländern besteht überhaupt kein rechtlicher Schutz gegen Piraterie bei zugangskontrollierten Diensten.

11.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und um in ganz Europa dasselbe Mindestschutzniveau für zugangskontrollierte Dienste zu gewährleisten, hat sich die Ausarbeitung eines verbindlichen rechtlichen Instruments zu dieser Frage als wünschenswert erwiesen und ist beschlossen worden. Außerdem würde ein Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten auf erweiterter europäischer Ebene die [Richtlinie 98/84] sinnvoll ergänzen.

Präambel

13.

In der Präambel werden kurz die Hauptgründe angeführt, die die Mitgliedstaaten des Europarats veranlasst haben, ein Übereinkommen über diese Frage auszuarbeiten … Es wird hervorgehoben, dass die Anbieter von zugangskontrollierten Diensten der Radio- und der Fernsehübertragung sowie der Informationsgesellschaft, die gegen Entgelt erbracht werden, durch die Existenz einer parallelen ‚Industrie‘ bedroht werden, die Vorrichtungen herstellt, vermarktet und vertreibt, die den illegalen Zugang zu diesen Diensten ermöglichen. Daher wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, zum Schutz dieser Dienste eine gemeinsame Politik in Europa zu verfolgen. Zudem wird auf den Nutzen strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Sanktionen gegen Zuwiderhandlungen, insbesondere zu präventiven Zwecken, hingewiesen.“

11

Abschnitt I (Allgemeine Bestimmungen) Art. 1 („Ziel und Zweck“) des Übereinkommens lautet:

„Dieses Übereinkommen befasst sich mit den Diensten der Informationsgesellschaft und den Rundfunkdiensten, die gegen Entgelt erbracht werden und einer Zugangskontrolle unterliegen oder Zugangskontrolldienste darstellen. Es verfolgt den Zweck, im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien eine bestimmte Anzahl von Handlungen, welche unerlaubten Zugang zu geschützten Diensten ermöglichen, für widerrechtlich zu erklären und die Rechtsvorschriften der einzelnen Vertragsparteien in diesem Bereich zu harmonisieren.“

12

Abschnitt I Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) des Übereinkommens bestimmt:

„Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet

a)

‚geschützter Dienst‘ einen der nachstehend aufgeführten Dienste, soweit er gegen Entgelt erbracht wird und einer Zugangskontrolle unterliegt:

Fernsehprogramme im Sinne von Artikel 2 des abgeänderten Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen;

Radioprogramme, d. h. die drahtgebundene oder drahtlose, einschließlich der durch Satelliten vermittelten Sendung von Radioprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist;

Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von fernübertragenen, elektronisch und auf individuellen Abruf des Empfängers erbrachten Diensten;

sowie die Zugangskontrolle für die vorstehend genannten Dienste selbst, soweit sie als eigenständiger Dienst anzusehen ist;

b)

‚Zugangskontrolle‘ jede technische Maßnahme und/oder Vorrichtung, die den Zugang zu einem unter Buchstabe a dieses Artikels genannten Dienst in verständlicher Form von einer vorherigen individuellen Erlaubnis abhängig macht;

c)

‚Zugangskontrollvorrichtung‘ jedes Gerät oder Computerprogramm und/oder jede Vorrichtung, das oder die dazu bestimmt oder entsprechend angepasst ist, um den Zugang zu einem unter Buchstabe a dieses Artikels genannten Dienst in verständlicher Form zu ermöglichen;

d)

‚illegale Vorrichtung‘ jedes Gerät oder Computerprogramm und/oder jede Vorrichtung, das oder die dazu bestimmt oder entsprechend angepasst ist, um den Zugang zu einem in Buchstabe a dieses Artikels genannten Dienst in verständlicher Form ohne Erlaubnis des Dienstanbieters zu ermöglichen.“

13

Abschnitt II („Zuwiderhandlungen“) Art. 4 („Widerrechtliche Handlungen“) des Übereinkommens sieht vor:

„Die folgenden Handlungen gelten im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei als widerrechtlich:

a)

Herstellung oder Produktion illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

b)

Einfuhr illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

c)

Vertrieb illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

d)

Verkauf oder Vermietung illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

e)

Besitz illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

f)

Installierung, Wartung oder Austausch illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

g)

Handelsförderung, Marketing oder Werbung für illegale Vorrichtungen.

Jede Vertragspartei kann jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung anzeigen, dass sie neben den in Absatz 1 dieses Artikels genannten Handlungen weitere Handlungen für widerrechtlich erklärt.“

14

Abschnitt III („Sanktionen und Rechtsbehelfe“) des Übereinkommens enthält die Art. 5 bis 7.

15

Art. 5 („Sanktionen bei Zuwiderhandlungen“) des Übereinkommens lautet:

„Die Vertragsparteien verabschieden Maßnahmen, damit die Zuwiderhandlungen nach Artikel 4 durch strafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder andere Sanktionen geahndet werden können. Diese Maßnahmen sind wirksam, abschreckend und verhältnismäßig zu den möglichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung.“

16

Art. 6 („Einziehungsmaßnahmen“) des Übereinkommens sieht vor:

„Die Vertragsparteien verabschieden geeignete Maßnahmen, die erforderlich sein könnten, um die Beschlagnahme und Einziehung illegaler Vorrichtungen oder des zur Begehung einer Zuwiderhandlung verwendeten Handelsförderungs-, Marketings- oder Werbematerials oder die Einziehung aller durch die Zuwiderhandlung erzielten finanziellen Gewinne und Einnahmen zu ermöglichen.“

17

Art. 7 („Zivilrechtliche Verfahren“) des Übereinkommens lautet:

„Die Vertragspartien verabschieden die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Anbieter von geschützten Diensten, deren Interessen durch eine Zuwiderhandlung gemäß Artikel 4 verletzt worden sind, Zugang zu geeigneten Rechtsbehelfen haben und insbesondere Klagen auf Schadenersatz erheben und eine einstweilige Verfügung oder eine sonstige Präventivmaßnahme erwirken sowie gegebenenfalls den Antrag auf Herausnahme der illegalen Vorrichtungen aus dem gewerblichen Verkehr stellen können.“

18

Art. 8 („Internationale Zusammenarbeit“) des Übereinkommens bestimmt:

„Die Vertragsparteien kommen überein, sich bei der Umsetzung dieses Übereinkommens gegenseitig zu unterstützen. Die Vertragsparteien gewähren sich gegenseitig gemäß den Bestimmungen der einschlägigen internationalen Rechtsinstrumente auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit im straf- und verwaltungsrechtlichen Bereich und gemäß ihrem innerstaatlichen Recht die größtmögliche Zusammenarbeit bei Untersuchungen und gerichtlichen Verfahren betreffend die straf- oder verwaltungsrechtlich relevanten Zuwiderhandlungen, die gemäß diesem Übereinkommen festgestellt werden.“

19

Art. 11 („Verhältnis zu den anderen Übereinkommen und Vereinbarungen“) Abs. 4 des Übereinkommens sieht vor:

„In ihren gegenseitigen Beziehungen wenden die Vertragsparteien, die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, Gemeinschaftsvorschriften an und wenden daher die sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Bestimmungen nur insoweit an, als es zu einem bestimmten Regelungsgegenstand keine Gemeinschaftsvorschrift gibt.“

20

Sieben Mitgliedstaaten der Europäischen Union, nämlich die Republik Bulgarien, die Französische Republik, die Republik Kroatien, die Republik Zypern, das Königreich der Niederlande, Rumänien und die Republik Finnland, sind Vertragsparteien des Übereinkommens.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Zweiter Bericht über die Richtlinie 98/84

21

Am 30. September 2008 verabschiedete die Kommission ihren Zweiten Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 98/84 (KOM[2008] 593 endgültig, im Folgenden: Zweiter Bericht über die Richtlinie 98/84).

22

Der Zweite Bericht über die Richtlinie 98/84 enthält folgende Ausführungen:

„…

2.4. Internationale Aspekte

Durch die jüngsten Erweiterungen der Europäischen Union haben sich die Koordinaten für die Piraten geändert. So gehören die osteuropäischen Länder, in denen sie zuvor operierten, nunmehr der EU an und gehen durch Umsetzung der Richtlinie [98/84] gegen Piraterie vor.

Auch Beitrittskandidaten …, Beitrittsanwärter … und potenzielle Beitrittskandidaten … nähern ihre Rechtsvorschriften dem gemeinschaftlichen Besitzstand an. …

Ausgeweitet wurde der Geltungsbereich der Richtlinie [98/84] aber nicht nur durch die jüngsten Beitritte, sondern auch durch den Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 17/2001 vom 28. Februar 2001, mit dem die Richtlinie in das EWR-Abkommen aufgenommen wurde …

Damit sind die Handlungsmöglichkeiten der Kommission aber erschöpft. Allerdings sieht das [Übereinkommen] einen der Richtlinie [98/84] vergleichbaren Schutz vor. Dieses Übereinkommen ist von den 47 Mitgliedstaaten des Europarates sowie von der Republik Belarus und dem Heiligen Stuhl zu ratifizieren.

11 Staaten haben das Übereinkommen bislang unterzeichnet, 8 haben es ratifiziert. Die Ratifizierung steht auch der Europäischen Gemeinschaft offen. Dies könnte auch die Ratifizierung in anderen Ländern beschleunigen und so den Schutz der betroffenen Diensteanbieter über das Gebiet der EU hinaus ausdehnen.

4.2.4. Ratifizierung des [Übereinkommens]

[Das] Übereinkommen bietet erhebliche Möglichkeiten, den Schutz von Zugangskontrolldiensten über das Gebiet der Europäischen Union hinaus international auszuweiten. Eine Ratifizierung durch die Europäische Gemeinschaft würde den 47 Mitgliedern des Europarates einen erneuten Anstoß zu internationalem Vorgehen geben.

Die Kommission wird dem Rat deshalb in Kürze vorschlagen, das Übereinkommen im Namen der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren.“

Vorschlag für einen Beschluss des Rates

23

Am 15. Dezember 2010 übermittelte die Kommission dem Rat u. a. einen Vorschlag für einen auf Art. 207 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 AEUV gestützten Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (KOM[2010] 753 endgültig, im Folgenden: Vorschlag für einen Beschluss).

24

In der Begründung dieses Vorschlags für einen Beschluss heißt es:

„…

9.

Ein umfassender und wirksamer Schutz der zugangskontrollierten Dienste und der Zugangskontrolldienste erschien äußerst wichtig. Zahlreiche europäische Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, können einen sicheren Hafen für Entwicklung und Verbreitung von Vorrichtungen darstellen, die dem unberechtigten Zugang zu zugangskontrollierten Diensten dienen, da ihre Rechtssysteme keine Sanktionen für diese sehr spezifische Art der Piraterie vorsehen. Es war daher wünschenswert, den Geltungsbereich der Bestimmungen der Richtlinie [98/84] auszudehnen und einen europaweit geltenden wirksamen Rechtsrahmen zum Schutz dieser Dienste zu schaffen.

14.

Zwischen den beiden Texten gibt es einige geringfügige Unterschiede. So ist gemäß dem Übereinkommen nicht nur die Herstellung illegaler Vorrichtungen, sondern auch ihre Produktion als widerrechtlich anzusehen. Ferner werden die Sanktionen für als Zuwiderhandlungen definierte Handlungen klarer erläutert, da das Übereinkommen strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und andere Strafen vorsieht. Die Sanktionen müssen jedoch wie nach der Richtlinie [98/84] angemessen, abschreckend und wirksam sein. Diese Abweichungen im Wortlaut des Übereinkommens … ändern weder Inhalt noch Geltungsbereich der [Richtlinie 98/84].

16.

In ihrem zweiten [Bericht über die Richtlinie 98/84] … weist die Kommission darauf hin, dass die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Europäische Union zu dessen Ratifizierung durch weitere Mitgliedstaaten des Europarates führen und damit die Ausdehnung des rechtlichen Schutzes zugangskontrollierter Dienste über die Grenzen der [Union] hinaus ermöglichen dürfte.

…“

Angefochtener Beschluss

25

Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses ist neben Art. 218 Abs. 5 AEUV Art. 114 AEUV und nicht, wie die Kommission vorgeschlagen hatte, Art. 207 Abs. 4 AEUV.

26

Die Erwägungsgründe 3 und 5 dieses Beschlusses lauten:

„(3)

Mit dem Übereinkommen wird ein Rechtsrahmen geschaffen, der mit dem der Richtlinie [98/84] nahezu identisch ist.

(5)

Die Unterzeichnung des Übereinkommens würde dazu beitragen, die Anwendung von Bestimmungen, die mit denen der Richtlinie [98/84] vergleichbar sind, über die Grenzen der Union hinaus auszudehnen und ein für den gesamten europäischen Kontinent geltendes Recht der zugangskontrollierten Dienste zu schaffen.“

27

Im Unterschied zu dem Vorschlag für einen Beschluss enthält der angefochtene Beschluss einen sechsten Erwägungsgrund mit folgendem Wortlaut:

„Durch die Annahme der Richtlinie [98/84] hat die Union ihre interne Zuständigkeit in den Bereichen ausgeübt, die unter das Übereinkommen fallen; eine Ausnahme hiervon bilden Artikel 6 und Artikel 8 des Übereinkommens, soweit sich Artikel 8 auf die Maßnahmen nach Artikel 6 bezieht. Daher sollte das Übereinkommen sowohl von der Europäischen Union als auch von ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet werden.“

28

Art. 1 des angefochtenen Beschlusses bestimmt:

„Die Unterzeichnung des [Übereinkommens] wird – vorbehaltlich des Abschlusses – im Namen der Union genehmigt.

Der Wortlaut des Übereinkommens ist diesem Beschluss beigefügt.“

29

Art. 2 dieses Beschlusses lautet:

„Der Präsident des Rates wird ermächtigt, die Person(en) zu bestellen, die berechtigt ist (sind), das Übereinkommen im Namen der Union zu unterzeichnen.“

30

Gemäß Art. 3 des Beschlusses ist dieser am Tag seiner Annahme in Kraft getreten.

31

Wegen der Unterschiede zwischen ihrem Vorschlag für einen Beschluss und dem angefochtenen Beschluss, auf die in den Randnrn. 25 und 27 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, hat sich die Kommission ihre Stellungnahme durch eine Erklärung vorbehalten, die der Niederschrift der Sitzung des Rates, in der dieser Beschluss angenommen wurde, beigefügt ist.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

32

Die Kommission beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

33

Der Rat beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

34

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. August 2012 sind die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden sowie das Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden, während das Parlament als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden ist.

Zur Klage

35

Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Gründe. Mit dem ersten macht sie geltend, für den Erlass des angefochtenen Beschlusses sei die falsche Rechtsgrundlage gewählt worden. Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die ausschließliche externe Zuständigkeit der Union nach Art. 2 Abs. 1 AEUV und Art. 3 AEUV gerügt.

Vorbringen der Parteien

36

Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht die Kommission, unterstützt durch das Parlament, geltend, dass der angefochtene Beschluss unter die gemeinsame Handelspolitik falle und daher auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 4 AEUV hätte erlassen werden müssen.

37

Erstens ziele das Übereinkommen aus Sicht der Union hauptsächlich darauf ab, auf den Märkten der Vertragsparteien, die nicht der Union angehörten, einen angemessenen Schutz der betreffenden Dienste zu gewährleisten, um die Erbringung dieser Dienste durch Anbieter aus der Union auf diesen Märkten unter tragfähigen wirtschaftlichen Bedingungen zu erleichtern und zu fördern.

38

In diesem Zusammenhang seien die in Art. 1 Satz 2 des Übereinkommens genannte Harmonisierung der Rechtsvorschriften und das Verbot der in Art. 4 des Übereinkommens genannten Handlungen keine Ziele als solche, sondern Mittel zur Erreichung der mit diesem Übereinkommen verfolgten Zwecke.

39

Im Übrigen stehe die Tatsache, dass mit bestimmten nach dem Übereinkommen vorgesehenen Maßnahmen wie dem Verbot der Ausfuhr illegaler Vorrichtungen und auf diese bezogener Dienste in die Union letztlich das Ziel verfolgt werde, den Binnenmarkt und die in der Union ansässigen Dienstleister zu schützen, der Anknüpfung des Übereinkommens an die gemeinsame Handelspolitik nicht entgegen.

40

Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens bestätige, dass das von den Vertragsparteien verfolgte Hauptziel nicht darin bestehe, das Funktionieren des Binnenmarkts der Union zu verbessern, sondern darin, den Handel zwischen den Vertragsparteien zu fördern und zu erleichtern.

41

Die Art. 6 und 8 des Übereinkommens seien von untergeordneter Bedeutung und rechtfertigten es daher nicht, Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss heranzuziehen.

42

Zweitens betreffe das Übereinkommen hauptsächlich die Erbringung zugangskontrollierter Dienste zwischen der Union und anderen europäischen Staaten. Sein Zweck sei es, die Richtlinie 98/84 zu ergänzen, indem der durch die Richtlinie begründete Schutz gegen Piraterie auf diese anderen Staaten ausgeweitet werde.

43

Drittens habe das Übereinkommen unmittelbare und sofortige Wirkung sowohl auf die Fähigkeit der Dienstleister, zugangskontrollierte Dienste zu erbringen, als auch auf den Handel mit illegalen Vorrichtungen und auf diese bezogenen Diensten. Es ziele unmittelbar darauf, Hindernisse für den Handel mit geschützten Diensten durch das Verbot geschäftlicher Tätigkeiten, die die elektronische oder informationstechnische Piraterie ermöglichen, zu beseitigen. Damit trage es unmittelbar und sofort dazu bei, die Erbringung geschützter Dienste zwischen der Union und den anderen europäischen Staaten, in denen gegenwärtig kein angemessener Schutz besteht, zu fördern und zu erleichtern.

44

Der Rat, unterstützt durch die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich, macht geltend, dass die zutreffende Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss Art. 114 AEUV sei.

45

Erstens werde mit dem Übereinkommen bezweckt, die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien, einschließlich die der Mitgliedstaaten, an das Übereinkommen anzunähern, um dadurch wirkungsvoller gegen den illegalen Zugang zu den betroffenen Diensten, der die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Erbringer dieser Dienste und damit die Vielfalt der dem Publikum angebotenen Programme und Dienste bedrohe, vorzugehen, dass die Festlegung gemeinsamer Definitionen der illegalen Tätigkeiten vorgeschrieben und ein gemeinsames System von Sanktionen und Rechtsbehelfen vorgesehen werde.

46

Der Hauptzweck des Übereinkommens bestehe wie der der Richtlinie 98/84, die es ergänze, darin, die sich aus den Abweichungen zwischen den nationalen Regelungen ergebenden Hindernisse für den Handel mit den betreffenden Diensten zu beseitigen oder im Voraus auszuschließen, um das richtige Funktionieren der Märkte zu sichern und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern. Konkret solle mit dem Übereinkommen die Gefahr beseitigt werden, dass Drittstaaten als Basis für die Ausfuhr illegaler Vorrichtungen oder für die Erbringung von auf diese Vorrichtungen bezogenen Diensten in die Union benutzt würden und so das Funktionieren des Binnenmarkts und die praktische Wirksamkeit des dort durch die Richtlinie 98/84 errichteten Schutzes gefährdet werde.

47

In diesem Zusammenhang seien die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Vertragsparteien und das Verbot der in Art. 4 des Übereinkommens aufgeführten Tätigkeiten keine bloßen Mittel oder Methoden zur Erreichung der Ziele des Übereinkommens, sondern selbst die mit diesem Übereinkommen verfolgten Ziele.

48

Die Französische Republik weist zudem darauf hin, dass das Übereinkommen in seinen Art. 6 und 8 im Unterschied zur Richtlinie 98/84 Bestimmungen über Maßnahmen der Beschlagnahme und Einziehung sowie über die internationale Zusammenarbeit enthalte. Die Republik Polen und das Königreich Schweden tragen vor, dass die Union jedenfalls nicht zuständig sei, auf der Grundlage von Art. 207 AEUV ein internationales Übereinkommen zu schließen, das Maßnahmen der Beschlagnahme und Einziehung betreffe, die strafrechtlicher Natur seien.

49

Der Rat, unterstützt durch die Französische Republik und das Vereinigte Königreich, macht zweitens geltend, der Umstand, dass das Übereinkommen auch die Erbringung zugangskontrollierter Dienste zwischen der Union und Drittstaaten erfasse, bedeute keineswegs, dass das Übereinkommen eher auf diese Dienste Anwendung finden solle als auf die innerhalb der Union erbrachten.

50

Drittens machen diese Parteien sowie das Königreich der Niederlande und das Königreich Schweden geltend, dass die Auswirkungen, die das Übereinkommen gegebenenfalls auf den Dienstleistungsverkehr zwischen der Union und den anderen Vertragsparteien haben könnte, nur mittelbar und sekundär seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

51

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass zwischen den Parteien des Rechtsstreits Einigkeit darüber besteht, dass der angefochtene Beschluss zutreffend auf Art. 218 Abs. 5 AEUV gestützt ist. Uneinig sind sie sich dagegen darüber, ob die andere Rechtsgrundlage für den Erlass dieses Beschlusses geeignet ist.

52

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (Urteile vom 8. September 2009, Kommission/Parlament und Rat, C-411/06, Slg. 2009, I-7585, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat, C‑130/10, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Ergibt die Prüfung des betreffenden Rechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Parlament und Rat, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. September 2012, Parlament/Rat, C‑490/10, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Da im vorliegenden Fall der angefochtene Beschluss die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union zum Gegenstand hat, ist er in Verbindung mit dem Übereinkommen auszulegen.

55

Die Kommission, unterstützt durch das Parlament, macht im Wesentlichen geltend, dass der angefochtene Beschluss in Anbetracht des Zwecks und des Inhalts des Übereinkommens in erster Linie unter die Handelspolitik und nur beiläufig unter die Binnenmarktpolitik falle. Der Rat und die Mitgliedstaaten, die zu seiner Unterstützung dem Rechtsstreit beigetreten sind, meinen dagegen, dass das Übereinkommen sowohl seinem Zweck als auch seinem Inhalt nach und damit auch der angefochtene Beschluss in erster Linie an die Binnenmarktpolitik und nur beiläufig an die gemeinsame Handelspolitik anknüpften.

56

Wie aus Art. 207 Abs. 1 AEUV, insbesondere aus seinem Satz 2, hervorgeht, wonach die gemeinsame Handelspolitik zum „auswärtigen Handeln der Union“ gehört, betrifft diese Politik den Handelsverkehr mit Drittländern und nicht den Handelsverkehr im Binnenmarkt (Urteil vom 18. Juli 2013, Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, C‑414/11, Randnr. 50).

57

Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung ein Rechtsakt der Union nicht schon deshalb zu der Kategorie von Übereinkommen, die unter die gemeinsame Handelspolitik fallen, zu zählen, weil er bestimmte Auswirkungen auf den internationalen Handelsverkehr haben kann. Dagegen ist ein Rechtsakt der Union Teil der gemeinsamen Handelspolitik, wenn er speziell den internationalen Warenaustausch betrifft, weil er im Wesentlichen den Handelsverkehr fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt (vgl. u. a. Urteil Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Somit können nur Rechtsakte der Union, die einen spezifischen Bezug zum internationalen Handelsverkehr haben, unter die gemeinsame Handelspolitik fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, Randnr. 52).

59

Wie im dritten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, wurde im vorliegenden Fall durch das Übereinkommen, dessen Unterzeichnung im Namen der Union durch diesen Beschluss genehmigt werden soll, ein Rechtsrahmen geschaffen, der mit dem der Richtlinie 98/84 nahezu identisch ist. Diese Identität zeigt sich insbesondere an der Ähnlichkeit der Begriffsbestimmungen „geschützter Dienst“, „Zugangskontrolle“, „Zugangskontrollvorrichtung“ und „illegale Vorrichtung“ jeweils in Art. 2 des Übereinkommens und dieser Richtlinie sowie an der Auflistung der verbotenen „widerrechtlichen Handlungen“ bzw. „Zuwiderhandlungen“ jeweils in Art. 4 dieser Rechtsakte.

60

Nach Nr. 11 des erläuternden Berichts zum Übereinkommen wird mit diesem bezweckt, in ganz Europa dasselbe Mindestschutzniveau für die fraglichen Dienste zu gewährleisten und die genannte Richtlinie damit sinnvoll zu ergänzen.

61

Nach den Ausführungen in den Nrn. 10 und 13 des erläuternden Berichts und in Randnr. 9 der Begründung des Vorschlags für einen Beschluss erklärt sich die Notwendigkeit, den mit der Richtlinie 98/84 eingeführten rechtlichen Schutz durch das Übereinkommen über die Union hinaus auszuweiten, dadurch, dass viele europäische Staaten, die nicht der Union angehören, Ausgangspunkte für die Herstellung, die Vermarktung und den Vertrieb von Vorrichtungen, die den illegalen Zugang zu zugangskontrollierten Diensten ermöglichen, durch eine parallele Industrie sein können, da ein rechtlicher Schutz gegen diese Piraterie in diesen Staaten nicht besteht oder nicht wirksam ist.

62

In diesem Zusammenhang soll die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union, die durch den angefochtenen Beschluss genehmigt werden soll, wie in den Nrn. 2.4 und 4.2.4 des Zweiten Berichts über die Richtlinie 98/84 und in Randnr. 16 der Begründung des Vorschlags für einen Beschluss ausgeführt wird, zu einer Ratifizierung dieses Übereinkommens durch weitere Mitgliedstaaten des Europarats führen.

63

Die Unterzeichnung des Übereinkommens soll daher nach dem fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses dazu beitragen, die Anwendung von Bestimmungen, die denen der Richtlinie 98/84 entsprechen, über die Grenzen der Union hinaus auszudehnen und ein für den gesamten europäischen Kontinent geltendes Recht der zugangskontrollierten Dienste zu schaffen.

64

Während mit der genannten Richtlinie bezweckt wird, einen angemessenen rechtlichen Schutz der betreffenden Dienste auf Unionsebene zu gewährleisten, um den Handel mit ihnen im Binnenmarkt zu fördern, zielt der angefochtene Beschluss – indem er die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union genehmigt – seinerseits darauf ab, einen vergleichbaren Schutz in europäischen Staaten einzuführen, die nicht Mitglied der Union sind, um in diesen Staaten die Erbringung der genannten Dienste durch Anbieter aus der Union zu fördern.

65

Das somit verfolgte Ziel, das sich im Licht der Erwägungsgründe des angefochtenen Beschlusses in Verbindung mit dem Übereinkommen als Hauptziel dieses Beschlusses darstellt, weist somit einen spezifischen Bezug zum internationalen Handel mit den genannten Diensten auf, der geeignet ist, die Anknüpfung des Beschlusses an die gemeinsame Handelspolitik zu rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteil Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, Randnrn. 58 und 60).

66

Diese Beurteilung wird nicht durch das Vorbringen des Rates und der ihn als Streithelfer unterstützenden Mitgliedstaaten in Frage gestellt, wonach der in Art. 1 Satz 2 des Übereinkommens genannte Zweck der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Vertragsparteien zeige, dass der angefochtene Beschluss an die Binnenmarktpolitik anknüpfe.

67

Nach Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens wenden die Unionsmitglieder in ihren gegenseitigen Beziehungen nämlich Unionsvorschriften an und wenden daher die sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Bestimmungen nur insoweit an, als es zu einem bestimmten Regelungsgegenstand keine Unionsvorschrift gibt. Diese Bestimmung bestätigt, dass, da die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem betreffenden Gebiet bereits in großem Umfang durch die Richtlinie 98/84 verwirklicht ist, der Hauptzweck des Übereinkommens nicht darin besteht, das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, sondern darin, den rechtlichen Schutz der betreffenden Dienste über die Union hinaus auszudehnen und damit den internationalen Handel mit diesen Diensten zu fördern. Die in Art. 1 genannte Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Vertragsparteien erweist sich daher eher als ein Mittel zur Erreichung der Zwecke des Übereinkommens denn als ein in diesem Übereinkommen gesetztes Ziel an sich.

68

Zur Argumentation des Rates und der Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, wonach das Übereinkommen insbesondere darauf abziele, die Ausfuhr illegaler Vorrichtungen aus europäischen Staaten, die nicht Mitglied der Union seien, in die Union zu verbieten, um das richtige Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, ist zu betonen, dass dieser besondere Zweck, zu dem bereits das in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/84 aufgestellte Verbot der Einfuhr illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken in die Union aus Drittstaaten, einschließlich europäischer Staaten, die nicht Mitglied der Union sind, beiträgt, nicht geeignet ist, das Vorliegen einer spezifischen Verbindung zwischen dem angefochtenen Beschluss und der gemeinsamen Handelspolitik zu widerlegen.

69

Im Gegenteil, eine Maßnahme des Verbots der Ausfuhr illegaler Vorrichtungen in die Union dient der Verteidigung der Gesamtinteressen der Union und fällt nach ihrem Wesensgehalt in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/75 vom 11. November 1975, Slg. 1975, 1355, 1364, Gutachten 1/94 vom 15. November 1994, Slg. 1994, I‑5267, Randnrn. 55, 63 und 71, und Urteil vom 10. Januar 2006, Kommission/Rat, C-94/03, Slg. 2006, I-1, Randnrn. 46, 47 und 49).

70

Was das Vorbringen der Französischen Republik, der Republik Polen und des Königreichs Schweden betrifft, wonach das Übereinkommen in seinen Art. 6 und 8 im Unterschied zur Richtlinie 98/84 Bestimmungen über Beschlagnahme und Einziehung sowie über die internationale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien enthalte, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen allgemein die Wirksamkeit des rechtlichen Schutzes der zugangskontrollierten Dienste im Hoheitsgebiet sämtlicher Vertragsparteien gewährleisten sollen. Sie tragen folglich zu dem mit dem angefochtenen Beschluss in Verbindung mit dem Übereinkommen verfolgten Hauptziel bei, wie es in den Randnrn. 62 bis 64 des vorliegenden Urteils erläutert worden ist.

71

Zwar sollen diese Bestimmungen auch die Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts verbessern, indem sie, wie in Randnr. 14 der Begründung des Vorschlags für einen Beschluss ausgeführt, die Definition der in Art. 5 der Richtlinie 98/84 vorgesehenen Sanktionen klarer erläutern. Wie die Generalanwältin in den Nrn. 56 und 82 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist dieser Zweck jedoch gegenüber dem Hauptzweck des angefochtenen Beschlusses untergeordnet.

72

Was das Argument der Republik Polen und des Königreichs Schweden betrifft, wonach Art. 207 AEUV als Rechtsgrundlage mit dem angeblich strafrechtlichen Charakter der nach dem Übereinkommen vorgesehenen Maßnahmen der Beschlagnahme und der Einziehung unvereinbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass – abgesehen davon, dass die diesen Maßnahmen gewidmeten Bestimmungen des Übereinkommens nicht dessen Hauptzweck darstellen und dass nach den Art. 5 und 6 des Übereinkommens die darin genannten Sanktionen und Maßnahmen nicht ausschließlich strafrechtlicher Natur sein müssen – dieses Argument nicht erklärt, warum Art. 114 AEUV im vorliegenden Fall die geeignete Rechtsgrundlage darstellen soll.

73

Schließlich können entgegen dem Vorbringen des Rates in der mündlichen Verhandlung das Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und das Protokoll (Nr. 22) über die Position Dänemarks, die dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügt sind, keine wie auch immer gearteten Auswirkungen auf die Frage der geeigneten Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Beschlusses haben.

74

Welche Protokolle gegebenenfalls anwendbar sind, bestimmt sich nämlich nach der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts, deren Eignung nach der in den Randnrn. 52 und 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung anhand objektiver Umstände wie die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung des Rechtsakts und sein hauptsächlicher oder überwiegender Inhalt zu beurteilen ist, und nicht umgekehrt.

75

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vorstehenden Prüfung, dass die zutreffende Rechtsgrundlage diejenige ist, die sich auf die gemeinsame Handelspolitik bezieht, die nicht Gegenstand der Protokolle Nrn. 21 und 22 ist.

76

Nach alledem wird mit dem angefochtenen Beschluss hauptsächlich ein Zweck mit spezifischem Bezug zur gemeinsamen Handelspolitik verfolgt, der es erfordert, für den Erlass des angefochtenen Beschlusses Art. 207 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 AEUV als Rechtsgrundlage heranzuziehen und im Übrigen bedeutet, dass die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV in deren ausschließliche Zuständigkeit fällt. Die Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts erscheint dagegen als untergeordnetes Ziel dieses Beschlusses, das es nicht rechtfertigt, diesen auf Art. 114 AEUV zu stützen.

77

Da der erste Klagegrund begründet ist, ist der angefochtene Beschluss daher für nichtig zu erklären, ohne dass der zweite Grund, auf den die Kommission ihre Klage stützt, geprüft zu werden braucht.

Zur Beschränkung der Wirkungen der Nichtigerklärung

78

Gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV kann der Gerichtshof, falls er dies für notwendig hält, diejenigen Wirkungen einer von ihm für nichtig erklärten Handlung bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind.

79

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss gemäß seinem Art. 3 am Tag seines Erlasses am 29. November 2011 in Kraft getreten.

80

Die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses ohne Aufrechterhaltung seiner Wirkungen hätte zur Folge, dass die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Union vom 21. Dezember 2011 in Frage gestellt würde, obwohl die Zuständigkeit der Union für die Unterzeichnung dieses Übereinkommens nie in Zweifel gezogen wurde.

81

Erwägungen der Rechtssicherheit rechtfertigen es daher, die Wirkungen dieses Beschlusses aufrechtzuerhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate nicht überschreiten darf, ein neuer, auf die zutreffenden Rechtsgrundlagen, nämlich Art. 207 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 AEUV, gestützter Beschluss erlassen wird.

Kosten

82

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission seine Verurteilung beantragt hat, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Der Beschluss 2011/853/EU des Rates vom 29. November 2011 über die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten im Namen der Union wird für nichtig erklärt.

 

2.

Die Wirkungen des Beschlusses 2011/853 werden aufrechterhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate nicht überschreiten darf, ein neuer, auf die zutreffenden Rechtsgrundlagen gestützter Beschluss erlassen wird.

 

3.

Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

 

4.

Die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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