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Document 62012CC0609

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Wathelet vom 14. November 2013.
    Ehrmann AG gegen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.
    Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs.
    Vorabentscheidungsersuchen – Information und Schutz der Verbraucher – Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 – Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel – Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln – Art. 10 Abs. 2 – Zeitliche Geltung – Art. 28 Abs. 5 und 6 – Übergangsmaßnahmen.
    Rechtssache C‑609/12.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:746

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MELCHIOR WATHELET

    vom 14. November 2013 ( 1 )

    Rechtssache C‑609/12

    Ehrmann AG

    gegen

    Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

    „Verbraucherschutz — Gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel — Spezielle Bedingungen — Zeitlicher Anwendungsbereich“

    I – Einleitung

    1.

    Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen bittet der Bundesgerichtshof (Deutschland) den Gerichtshof um die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 5 und Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel ( 2 ) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 ( 3 ) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1924/2006 oder Verordnung).

    2.

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Ehrmann AG (im Folgenden: Ehrmann) gegen die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (im Folgenden: ZBW) über den zeitlichen Anwendungsbereich der in Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgesehenen Pflichten.

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsregelung

    3.

    Art. 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 sieht vor:

    „(1)   Mit dieser Verordnung werden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben harmonisiert, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten.

    (2)   Diese Verordnung gilt für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder bei der Werbung für Lebensmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen.“

    4.

    In Art. 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 der Verordnung werden die Begriffe „Angabe“ und „gesundheitsbezogene Angabe“ definiert. Danach bezeichnet

    „1.

    ‚Angabe‘ jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt;

    5.

    ‚gesundheitsbezogene Angabe‘ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht …“

    5.

    In Art. 3 („Allgemeine Grundsätze für alle Angaben“) der Verordnung heißt es:

    „Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben dürfen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln, die in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden, bzw. bei der Werbung hierfür nur verwendet werden, wenn sie der vorliegenden Verordnung entsprechen.

    Unbeschadet der Richtlinien 2000/13/EG und 84/450/EWG dürfen die verwendeten nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben

    a)

    nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein;

    …“

    6.

    Art. 10 der Verordnung bestimmt:

    „(1)   Gesundheitsbezogene Angaben sind verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

    (2)   Gesundheitsbezogene Angaben dürfen nur gemacht werden, wenn die Kennzeichnung oder, falls diese Kennzeichnung fehlt, die Aufmachung der Lebensmittel und die Lebensmittelwerbung folgende Informationen tragen:

    a)

    einen Hinweis auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise;

    b)

    Informationen zur Menge des Lebensmittels und zum Verzehrrhythmus, die erforderlich sind, um die behauptete positive Wirkung zu erzielen;

    c)

    gegebenenfalls einen Hinweis an Personen, die es vermeiden sollten, dieses Lebensmittel zu verzehren, und

    d)

    einen geeigneten Warnhinweis bei Produkten, die bei übermäßigem Verzehr eine Gesundheitsgefahr darstellen könnten.

    (3)   Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden sind nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Artikel 13 oder 14 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.

    …“

    7.

    Art. 13 („Andere gesundheitsbezogene Angaben als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern“) der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

    „(1)   In der in Absatz 3 vorgesehenen Liste genannte gesundheitsbezogene Angaben, die

    a)

    die Bedeutung eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen,

    b)

    die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen oder

    c)

    unbeschadet der Richtlinie 96/8/EG die schlank machenden oder gewichtskontrollierenden Eigenschaften des Lebensmittels oder die Verringerung des Hungergefühls oder ein verstärktes Sättigungsgefühl oder eine verringerte Energieaufnahme durch den Verzehr des Lebensmittels

    beschreiben oder darauf verweisen, dürfen gemacht werden, ohne den Verfahren der Artikel 15 bis 19 zu unterliegen, wenn sie

    i)

    sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und

    ii)

    vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden.

    (2)   Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission spätestens am 31. Januar 2008 Listen von Angaben gemäß Absatz 1 zusammen mit den für sie geltenden Bedingungen und mit Hinweisen auf die entsprechende wissenschaftliche Absicherung.

    (3)   Nach Anhörung der Behörde verabschiedet die Kommission nach dem in Artikel 25 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle spätestens am 31. Januar 2010 als Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung eine Gemeinschaftsliste zulässiger Angaben gemäß Absatz 1 sowie alle für die Verwendung dieser Angaben notwendigen Bedingungen.

    …“

    8.

    In Art. 28, der die Übergangsmaßnahmen betrifft, heißt es:

    „(1)   Lebensmittel, die vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in Verkehr gebracht oder gekennzeichnet wurden und dieser Verordnung nicht entsprechen, dürfen bis zu ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum, jedoch nicht länger als bis zum 31. Juli 2009 weiter in Verkehr gebracht werden. Unter Berücksichtigung von Artikel 4 Absatz 1 dürfen Lebensmittel bis 24 Monate nach Annahme der entsprechenden Nährwertprofile und der Bedingungen für ihre Verwendung in Verkehr gebracht werden.

    (2)   Produkte mit bereits vor dem 1. Januar 2005 bestehenden Handelsmarken oder Markennamen, die dieser Verordnung nicht entsprechen, dürfen bis zum 19. Januar 2022 weiterhin in den Verkehr gebracht werden; danach gelten die Bestimmungen dieser Verordnung.

    (3)   Nährwertbezogene Angaben, die in einem Mitgliedstaat vor dem 1. Januar 2006 gemäß den einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften verwendet wurden und nicht im Anhang aufgeführt sind, dürfen bis zum 19. Januar 2010 unter der Verantwortung von Lebensmittelunternehmern verwendet werden; dies gilt unbeschadet der Annahme von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 24.

    (4)   Nährwertbezogene Angaben in Form von Bildern, Grafiken oder Symbolen, die den allgemeinen Grundsätzen dieser Verordnung entsprechen, jedoch nicht im Anhang aufgeführt sind, und die entsprechend den durch einzelstaatliche Bestimmungen oder Vorschriften aufgestellten besonderen Bedingungen und Kriterien verwendet werden, unterliegen folgenden Bestimmungen:

    a)

    Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission spätestens bis zum 31. Januar 2008 diese nährwertbezogenen Angaben und die anzuwendenden einzelstaatlichen Bestimmungen oder Vorschriften zusammen mit den wissenschaftlichen Daten zu deren Absicherung.

    b)

    Die Kommission fasst nach dem in Artikel 25 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle einen Beschluss über die Verwendung solcher Angaben zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung.

    Nährwertbezogene Angaben, die nicht nach diesem Verfahren zugelassen wurden, können bis zu zwölf Monate nach Erlass des Beschlusses weiter verwendet werden.

    (5)   Gesundheitsbezogene Angaben im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Buchstabe a dürfen ab Inkrafttreten dieser Verordnung bis zur Annahme der in Artikel 13 Absatz 3 genannten Liste unter der Verantwortung von Lebensmittelunternehmern verwendet werden, sofern die Angaben dieser Verordnung und den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften entsprechen; dies gilt unbeschadet der Annahme von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 24.

    …“

    9.

    Schließlich lautet Art. 29 der Verordnung:

    „Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

    Sie gilt ab 1. Juli 2007.

    Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“

    B – Die deutsche Regelung

    10.

    Das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) in seiner im Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung bestimmt in § 11 („Vorschriften zum Schutz vor Täuschung“) in der auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbaren Fassung:

    „(1)   Es ist verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn

    1.

    bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung oder Gewinnung verwendet werden;

    …“

    III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

    11.

    Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass Ehrmann Milchprodukte herstellt und vertreibt, darunter einen Früchtequark („Monsterbacke“), der im Handel in Verkaufseinheiten von sechs Bechern zu je 50 g angeboten wird (im Folgenden: in Rede stehendes Produkt).

    12.

    Nach der auf der Verpackung seitlich angebrachten Nährwerttabelle hat das in Rede stehende Produkt pro 100 g einen Brennwert von 105 kcal, einen Zuckergehalt von 13 g, einen Fettanteil von 2,9 g und einen Calciumgehalt von 130 mg. Bei 100 g Kuhmilch beträgt der Calciumgehalt ebenfalls 130 mg, während der Zuckergehalt nur bei 4,7 g liegt.

    13.

    Im Jahr 2010 wurde der Werbeslogan „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“ (im Folgenden: streitiger Slogan) auf der Oberseite jeder Verkaufseinheit des in Rede stehenden Produkts angebracht. Die Verpackung enthielt keinen der Hinweise, die nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a bis d der Verordnung Nr. 1924/2006 für die Kennzeichnung oder die Aufmachung von Lebensmitteln erforderlich sind, um gesundheitsbezogene Angaben verwenden zu können.

    14.

    Nach Ansicht von ZBW war der streitige Slogan irreführend, da darin nicht auf den deutlich höheren Zuckergehalt des in Rede stehenden Produkts im Vergleich zu Milch hingewiesen worden sei. Außerdem entspreche der Slogan nicht den Art. 9 und 10 der Verordnung Nr. 1924/2006, da er nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben enthalte. Mit dem Hinweis auf Milch werde zumindest mittelbar erklärt, dass das in Rede stehende Produkt ebenfalls viel Calcium enthalte, so dass keine bloße Beschaffenheitsangabe vorliege, sondern ein Vorteil für die Gesundheit des Konsumenten versprochen werde.

    15.

    ZBW erhob deshalb beim Landgericht Stuttgart Klage auf Unterlassung und auf Ersatz der Abmahnkosten.

    16.

    Ehrmann beantragte die Abweisung dieser Klage und machte geltend, das in Rede stehende Produkt sei ein alternatives, mit Milch vergleichbares Lebensmittel, und der Unterschied im Zuckergehalt gegenüber Milch sei zu gering, um erheblich zu sein. Außerdem bringe der streitige Slogan keine besondere Nährwerteigenschaft des Produkts zum Ausdruck und stelle daher lediglich eine von der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht erfasste Beschaffenheitsangabe dar. Jedenfalls sei Art. 10 Abs. 2 dieser Verordnung gemäß deren Art. 28 Abs. 5 im entscheidungserheblichen Zeitraum nicht anwendbar gewesen.

    17.

    Das Landgericht Stuttgart wies die Klage von ZBW ab. Das mit der Berufung befasste Oberlandesgericht Stuttgart gab dagegen dem Antrag auf Unterlassung und auf Ersatz der Abmahnkosten mit Urteil vom 3. Februar 2011 statt.

    18.

    Nach Ansicht dieses Gerichts ist der streitige Slogan weder eine nährwertbezogene noch eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung Nr. 1924/2006. Er falle somit nicht in ihren Anwendungsbereich. Jedoch sei dieser Slogan irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB, da das in Rede stehende Produkt bei gleicher Menge einen viel höheren Zuckergehalt habe als Vollmilch.

    19.

    Ehrmann legte beim vorlegenden Gericht Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart ein. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist der Slogan nicht irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 LFGB. Er stelle auch keine nährwertbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1924/2006 dar, wohl aber eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung, und zwar entsprechend dem Urteil Deutsches Weintor ( 4 ). Er suggeriere nämlich einen Zusammenhang zwischen dem in Rede stehenden Produkt und der Gesundheit des Konsumenten, der ausreiche, um eine „gesundheitsbezogene Angabe“ darzustellen.

    20.

    Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, im Jahr 2010, dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum, habe die Kennzeichnung des in Rede stehenden Produkts keine der in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 genannten Informationen enthalten. Angesichts mehrerer Auslegungsmöglichkeiten hinsichtlich der Anwendbarkeit dieses Artikels im entscheidungserheblichen Zeitraum hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Mussten die Hinweispflichten nach Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 bereits im Jahr 2010 befolgt werden?

    21.

    Ehrmann und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Eine mündliche Verhandlung hat in Anwesenheit dieser beiden Verfahrensbeteiligten am 10. Oktober 2013 stattgefunden.

    IV – Rechtliche Würdigung

    A – Vorbemerkungen über die Rolle des Gerichtshofs bei der Anwendung der Unionsrechtsregel auf den Sachverhalt

    22.

    Das Vorabentscheidungsersuchen enthält eine einzige Frage, die klar, präzise und eng gefasst ist: Galten nach dem Wortlaut der Art. 28 und 29 der Verordnung Nr. 1924/2006 die in ihrem Art. 10 Abs. 2 vorgesehenen Pflichten im Jahr 2010?

    23.

    Es liegt auf der Hand, dass dieser Frage die Überlegung zugrunde liegen muss, dass der streitige Slogan eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung ist. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass sich das vorlegende Gericht dazu bereits geäußert hat. Es „hält den … Werbeslogan nicht für irreführend im Sinne [der nationalen Regelung]. Der Slogan stellt nach Auffassung des [Bundesgerichtshofs] auch keine nährwertbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung … Nr. 1924/2006, wohl aber eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 dieser Verordnung dar.“ ( 5 )

    24.

    Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, er schließe dies „aus der Entscheidung des Gerichtshofs … in der Rechtssache ‚Deutsches Weintor‘ … vom 6. September 2012“ ( 6 ).

    25.

    Jedoch ist bereits die Frage der Definition der „gesundheitsbezogenen Angabe“ von den Parteien des Ausgangsverfahrens sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen worden. Nach Ansicht von Ehrmann ist die Prämisse des vorlegenden Gerichts – wonach der streitige Slogan eine gesundheitsbezogene Angabe ist – fehlerhaft. Der Gerichtshof solle dem vorlegenden Gericht einen Hinweis geben, damit es seine Einstufung des streitigen Slogans im Licht einer korrekten Auslegung der Verordnung Nr. 1924/2006 ändere.

    26.

    Ich bin dagegen der Ansicht, dass es im vorliegenden Fall nicht Sache des Gerichtshofs ist, sich mit der Beurteilung des vorlegenden Gerichts zu befassen, das den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits umschrieben und diesen Aspekt des Problems nicht in seine Frage einbezogen hat.

    27.

    Der Gerichtshof hat nämlich stets entschieden:

    „20

    … [I]m Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nach Art. [267 AEUV ist es] allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts …, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen …

    21

    Damit haben auch nur die nationalen Gerichte zu bestimmen, welche Fragen dem Gerichtshof vorzulegen sind; die Parteien können die Fragen inhaltlich nicht ändern …

    22

    Außerdem wäre eine Änderung des Gehalts der Vorabentscheidungsfragen [auf Antrag einer der Parteien] oder eine Beantwortung der von den [Parteien] des Ausgangsverfahrens in ihrer Stellungnahme genannten Zusatzfragen unvereinbar mit der dem Gerichtshof durch Art. [267 AEUV] übertragenen Rolle und mit seiner Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten und die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit haben, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Verfahrensbeteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden …“ ( 7 )

    28.

    Würde der Gerichtshof der Ansicht von Ehrmann folgen, müsste er den Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe, d. h. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr.1924/2006, auslegen, obwohl diese Frage vom Bundesgerichtshof nicht gestellt worden ist und er in seiner Vorlageentscheidung keinen Zweifel daran geäußert hat, dass die Angabe „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“ eine gesundheitsbezogene Angabe ist. Somit hat sich der Gerichtshof, wie er bereits unter vergleichbaren Umständen entschieden hat, meines Erachtens zu dieser Frage im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens nicht zu äußern.

    29.

    Es handelt sich hier nämlich um die gleiche Situation wie in der Rechtssache Felicitas Rickmers-Linie ( 8 ), in der die Klägerin der Ansicht war, vorrangig müsse die Frage beantwortet werden, die der vom Finanzgericht Hamburg vorgelegten Frage zugrunde liege und dahin gehe, ob ein Vorgang wie der dort in Rede stehende als steuerpflichtiger Vorgang im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) angesehen werden könne, obwohl es sich bei ihm unter dem Gesichtspunkt der Gesellschaftsteuer um eine reine Fiktion handele und er die Gesellschaft weder in ihrem Bestand antaste noch in ihrer allgemeinen rechtlichen und wirtschaftlichen Realität verändere.

    30.

    Dazu hat sich der Gerichtshof wie folgt geäußert: „Diese Frage, die eine Auslegung der Artikel 3 (Absatz 2) und 4 der Richtlinie voraussetzt, ist jedoch vom Finanzgericht Hamburg nicht gestellt worden; dieses hat in seinem Vorlagebeschluss nicht daran gezweifelt, dass ein Vorgang der geschilderten Art der Gesellschaftsteuer unterliegt. Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens ist daher zu dieser Frage nicht Stellung zu nehmen.“ ( 9 )

    31.

    Der Gerichtshof hat allerdings auch ausgeführt, dass er „im Verfahren nach Art. [267 AEUV] zwar nicht befugt ist, die Normen des Gemeinschaftsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden …“ ( 10 ), aber gegebenenfalls „dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben kann, die diesem bei der Beurteilung der Wirkungen der Bestimmungen dieses Rechts dienlich sein können“ ( 11 ).

    32.

    In den Schlussanträgen in der Rechtssache Winner Wetten führte auch Generalanwalt Bot aus, dass bei etwaigen Zweifeln daran, ob das vorlegende Gericht eine Frage zutreffend beurteilt hat, seines Erachtens „der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht entsprechend dem Geist der Zusammenarbeit, der das Vorabentscheidungsverfahren bestimmt, und um ihm sämtliche Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die ihm für die Entscheidung des Rechtsstreits nützlich sein können, Anhaltspunkte gibt, die es ihm ermöglichen, die Richtigkeit seiner Prämisse zu überprüfen“ ( 12 ).

    33.

    Auf diese Möglichkeit muss meines Erachtens im vorliegenden Fall jedoch nicht zurückgegriffen werden, da ich im Gegensatz zu Ehrmann der Ansicht bin, dass der Bundesgerichtshof auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs den Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe, wie er in Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 definiert wird, korrekt angewandt hat.

    34.

    Deshalb erscheint es mir nicht erforderlich, dem Bundesgerichtshof den Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe zu erläutern.

    35.

    Dagegen könnte die Wahl der anwendbaren Vorschrift, auch wenn dies nur kurz von der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen angesprochen worden ist, in Frage gestellt werden.

    36.

    Wie die Kommission ausführt, könnte der streitige Slogan nämlich auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile eines Lebensmittels (Milch) für die Gesundheit im Allgemeinen verweisen. Ein derartiger Slogan ist jedoch nach Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 verboten, sofern ihm nicht eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 der Verordnung enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, was hier nicht der Fall zu sein scheint. Dann würde sich die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung stellen.

    37.

    Da sich aber diese Frage wie die den gleichen Gegenstand betreffende Frage des vorlegenden Gerichts zu Art. 10 Abs. 2 der Verordnung nur stellt, wenn der Gerichtshof der Auffassung ist, dass der Bundesgerichtshof den Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe korrekt angewandt hat, werde ich als Erstes, hilfsweise und vorab (da ich der Ansicht bin, dass der Gerichtshof diese Frage nicht mehr aufwerfen sollte), das Problem der Definition der gesundheitsbezogenen Angabe prüfen. Als Zweites werde ich – nachdem ich am Ende meiner Würdigung die Überzeugung gewonnen habe, dass der streitige Slogan eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung Nr. 1924/2006 ist – die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs von Art. 10 der Verordnung behandeln.

    B – Hilfsweise und vorab: zum Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“

    1. Weite Auslegung des Begriffs „gesundheitsbezogene Angabe“

    38.

    Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ bezeichnet nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 „jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht“.

    39.

    Dieser Begriff wurde vom Gerichtshof erstmals im Urteil Deutsches Weintor ausgelegt. Demnach „geht aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 hervor, dass eine ‚gesundheitsbezogene Angabe‘ im Sinne dieser Verordnung ausgehend von dem Zusammenhang definiert wird, der zwischen einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits bestehen muss“ ( 13 ).

    40.

    Mangels genauerer Beurteilungskriterien in der Verordnung führt der Gerichtshof weiter aus: „Diese Definition enthält weder genauere Angaben dazu, ob es sich um einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang handeln muss, noch zu dessen Intensität oder Dauer. Unter diesen Umständen ist der Begriff ‚Zusammenhang‘ weit zu verstehen.“ ( 14 )

    41.

    Bevor ich mich mit der Anwendung dieser Definition auf den streitigen Slogan befasse, möchte ich noch auf zwei Punkte hinweisen.

    42.

    Zum einen scheint die Lehre diese zwar nicht extensive, aber zumindest weite Auslegung des Begriffs der gesundheitsbezogenen Angabe nicht in Frage gestellt zu haben ( 15 ).

    43.

    Zum anderen hat der Gerichtshof seine Sichtweise des Begriffs der gesundheitsbezogenen Angabe kürzlich in seinem Urteil Green – Swan Pharmaceuticals CR ( 16 ) bestätigt.

    44.

    In dieser Rechtssache hatte der Gerichtshof den Ausdruck „Angabe über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos“ auszulegen; dieser bezeichnet nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 „jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Verzehr einer Lebensmittelkategorie, eines Lebensmittels oder eines Lebensmittelbestandteils einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt“.

    45.

    Obwohl die Definition das Wort „deutlich“ enthält, hat der Gerichtshof Folgendes ausgeführt: „Aus der Verwendung der Formulierung ‚suggeriert oder … mittelbar zum Ausdruck gebracht‘ ergibt sich, dass es für die Qualifizierung als ‚Angabe über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos‘ im Sinne dieser Vorschrift nicht erforderlich ist, dass mit der entsprechenden Angabe ausdrücklich behauptet wird, dass der Verzehr eines Lebensmittels einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt. Es reicht aus, dass die Angabe bei einem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen kann, dass die Senkung eines Risikofaktors deutlich ist.“ ( 17 )

    2. Anwendung der Definition auf den streitigen Slogan

    46.

    Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass Ehrmann einen Früchtequark unter der Bezeichnung „Monsterbacke“ vertreibt. Das Produkt wird in Verkaufseinheiten von sechs Bechern zu je 50 g verkauft. Der Werbeslogan „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“ ist auf der Oberseite jeder Verkaufseinheit angebracht.

    47.

    Dieser Slogan bringt somit den Gedanken zum Ausdruck, dass das in Rede stehende Produkt für die tägliche Ernährung ebenso wichtig ist wie ein Glas Milch.

    48.

    Zunächst teile ich insoweit die Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass beim Durchschnittsverbraucher eine – durch Wissenschaftskreise bestätigte ( 18 ) – Vermutung für eine positive Wirkung von Milch auf die Gesundheit, insbesondere bei Kindern, besteht. Die Europäische Union hat selbst ein Programm „Schulmilch“ eingeführt, das seit 1977 Subventionen für die Abgabe von Milchprodukten in Schulen zu reduzierten Preisen gewährt ( 19 ). Dieses Programm verfolgt wie das Programm „Schulobst“ das zweifache Ziel, zur Stabilisierung des Marktes und zu einer gesunden Ernährung beizutragen. In seinem Sonderbericht Nr. 10/2011, mit dem die genannten Programme beurteilt werden, hebt der Rechnungshof hervor, dass „[i]nsbesondere bei dem zunächst als ‚Absatzmaßnahme‘ konzipierten ‚Schulmilchprogramm‘ … die Ernährungskomponente von der Kommission nach und nach zum Hauptziel erklärt [wurde]“ ( 20 ).

    49.

    Wenn eine solche Vermutung nicht bestünde, könnte man sich im Übrigen fragen, welchen Nutzen es für den Hersteller hat, einen solchen Slogan auf jedem der von ihm zum Verkauf angebotenen Quarkbecher anzubringen.

    50.

    Weiter bedeutet die Verwendung der Worte „so wichtig wie“ zwangsläufig, dass ein Zusammenhang zwischen dem Produkt, auf dem der Slogan angebracht ist, und der auf dem streitigen Produkt aufgedruckten Botschaft, d. h. dem Genuss von einem Glas Milch täglich, besteht.

    51.

    Der streitige Slogan kann somit, um die Formulierung im Urteil Green – Swan Pharmaceuticals CR aufzugreifen, „bei einem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen“ ( 21 ), dass sich der Verzehr dieses Früchtequarks, wie die Milch, positiv auf die Gesundheit auswirkt. Er erweckt mit anderen Worten den Eindruck, dass ein Zusammenhang zwischen dem beworbenen Lebensmittel und der Gesundheit der Verbraucher, insbesondere von Kindern, besteht.

    52.

    Da nach der Definition der gesundheitsbezogenen Angabe in Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung, wie sie vom Gerichtshof im Urteil Deutsches Weintor ausgelegt worden ist, jeder Zusammenhang – ob unmittelbar oder mittelbar, von geringer oder großer Intensität, von kurzer oder langer Dauer –, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs eines Lebensmittels impliziert, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt ( 22 ), wird der streitige Slogan meines Erachtens als gesundheitsbezogene Angabe vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfasst.

    53.

    Dies wäre nicht der Fall bei einem Slogan wie „Ein wohltuender Genuss“ auf einer Schachtel mit Beuteln grünen Tees oder „Das Beste aus Milch und Getreide“ auf einem Schokoladenriegel. Solche Slogans enthalten – abgesehen davon, dass Ersterer ein Pleonasmus ist, denn es ist das Wesen des Genusses, dass er wohltuend ist – keine Bezugnahme auf die Gesundheit. Der erste Slogan verweist auf einen Eindruck allgemeinen Wohlbefindens, während der zweite impliziert, dass bei der Herstellung des in Rede stehenden Produkts das Beste seiner beiden Zutaten (Milch und Getreide) verwendet wurde.

    54.

    Dieser Standpunkt wird im Übrigen durch die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der in der Definition der Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos enthaltenen Begriffe „suggerieren“ und „mittelbar zum Ausdruck bringen“ bestätigt.

    55.

    Wie ich zuvor bereits dargelegt habe, ergibt sich für den Gerichtshof aus der Verwendung der Formulierung „suggeriert oder … mittelbar zum Ausdruck gebracht“, „dass es für die Qualifizierung als ‚Angabe über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos‘ im Sinne [von Art. 2 Abs. 2 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1924/2006] nicht erforderlich ist, dass mit der entsprechenden Angabe ausdrücklich behauptet wird, dass der Verzehr eines Lebensmittels einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt. Es reicht aus, dass die Angabe bei einem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen kann, dass die Senkung eines Risikofaktors deutlich ist.“ ( 23 )

    56.

    Die Verordnung verwendet die Termini „suggerieren“ und „mittelbar zum Ausdruck bringen“ aber auch für die Definition der gesundheitsbezogenen Angabe. Transponiert man die Auslegung dieser beiden Begriffe durch den Gerichtshof im Urteil Green – Swan Pharmaceuticals CR, bedeutet dies folglich, dass es genügt, wenn eine Angabe beim Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorruft, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht, um sie als gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung einzustufen.

    57.

    Da der streitige Slogan, wie oben erläutert, ersichtlich geeignet ist, beim Durchschnittsverbraucher den Eindruck zu erwecken, dass sich der Verzehr des Quarks, auf dem der Slogan angebracht ist, positiv auf die Gesundheit auswirkt, weil er ebenso wichtig ist wie das tägliche Glas Milch, entspricht er der Definition der gesundheitsbezogenen Angabe in Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung.

    58.

    Schließlich ist in der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2013 angesprochen worden, dass eine solche Definition der gesundheitsbezogenen Angabe eine Fragmentierung des Marktes zum Nachteil der europäischen Wirtschaft zur Folge haben könnte. Dieser Ansicht bin ich nicht.

    59.

    Erstens führt die Qualifizierung eines Slogans als gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht zu seinem Verbot. Ein solcher Slogan kann weiter verwendet werden, und zwar im gesamten Unionsgebiet, wenn die Kennzeichnung des Produkts den in der Verordnung, insbesondere in Art. 10, festgelegten Bedingungen entspricht.

    60.

    Zweitens mag es zwar je nach dem Ort, an dem das Produkt verzehrt wird, zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen, doch sind diese der Entscheidung des Gesetzgebers inhärent, „[e]ntsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und im Interesse der wirksamen Anwendung der darin vorgesehenen Schutzmaßnahmen … den normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren“ ( 24 ) als Maßstab heranzuziehen. In Anbetracht dessen handelt es sich nicht unbedingt um einen in der gesamten Union einheitlichen Durchschnittsverbraucher. Aus diesem Grund müssen sich die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden, da „[d]er Begriff des Durchschnittsverbrauchers … nicht auf einer statistischen Grundlage [beruht]“ ( 25 ), „bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen“ ( 26 ).

    61.

    Drittens ist es möglich, dass ein Produkt oder einer seiner Bestandteile keine allgemeine positive Konnotation für die Gesundheit besitzt. In diesem Fall entscheidet sein Hersteller, wenn er das Produkt im gesamten Unionsgebiet vertreiben möchte, selbst darüber, ob er länderspezifische Verpackungen verwendet oder auf den in Rede stehenden Slogan verzichtet, ohne dass dies der Verordnung Nr. 1924/2006 oder der darin enthaltenen Definition der gesundheitsbezogenen Angabe angelastet werden könnte.

    62.

    Meines Erachtens stellt der streitige Slogan also sehr wohl eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung Nr. 1924/2006 dar. Meine Analyse veranlasst mich somit dazu, die Frage des vorlegenden Gerichts zu prüfen. Sollte der Gerichtshof meine Ansicht nicht teilen und den streitigen Slogan als nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1924/2006 fallend einstufen, würde die Vorlagefrage hypothetisch und wäre von ihm nicht zu beantworten.

    C – Zeitlicher Anwendungsbereich von Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006

    1. Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006

    63.

    Vorab stellt sich die von der Kommission aufgeworfene Frage, ob die anwendbare Vorschrift, sollte der streitige Slogan eine gesundheitsbezogene Angabe sein, nicht Art. 10 Abs. 3 statt Art. 10 Abs. 2 der Verordnung wäre.

    64.

    Es ist selbstverständlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob der streitige Slogan, wie es in Art. 10 Abs. 3 der Verordnung heißt, „auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden“ verweist ( 27 ).

    65.

    Sollte dies zu bejahen sein, verstößt der Slogan gegen die Verordnung Nr. 1924/2006, da ihr Art. 10 Abs. 3 seit dem 1. Juli 2007 in Kraft ist und verlangt, dass die in den Art. 13 und 14 vorgesehenen Listen veröffentlicht worden sind, was im entscheidungserheblichen Zeitraum nicht der Fall war.

    66.

    Anderenfalls wäre die Antwort auf die Vorlagefrage für das vorlegende Gericht von Nutzen.

    2. Bedingungen von Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 und einander gegenüberstehende Auffassungen

    67.

    Nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006 sind gesundheitsbezogene Angaben verboten. Sie sind nur unter den drei Bedingungen zulässig, dass sie

    den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II (Art. 3 bis 7) der Verordnung Nr. 1924/2006 entsprechen,

    die speziellen Anforderungen von Kapitel IV (Art. 10 bis 19) der Verordnung Nr. 1924/2006 beachten,

    gemäß der Verordnung Nr. 1924/2006 zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß ihren Art. 13 und 14 aufgenommen sind.

    68.

    Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist die erste der drei Bedingungen für die Zulässigkeit gesundheitsbezogener Angaben erfüllt. Seines Erachtens war dies dagegen bei der dritten Bedingung nicht möglich, da es die in den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgesehenen Listen im entscheidungserheblichen Zeitraum noch nicht gegeben habe. Zur zweiten Bedingung stellt es schließlich die Vorfrage, ob Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 im Jahr 2010, dem entscheidungserheblichen Zeitraum, bereits anwendbar gewesen sei.

    69.

    Hierzu stehen sich nach den Angaben des vorlegenden Gerichts drei Ansichten gegenüber:

    Nach der ersten, von der Kommission vertretenen Ansicht gilt Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006, wie die gesamte Verordnung, seit dem 1. Juli 2007, dem in ihrem Art. 29 Abs. 2 festgelegten Zeitpunkt.

    Nach der zweiten, von Ehrmann vertretenen Ansicht sind die in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgesehenen Informationspflichten erst dann anwendbar, wenn die Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben ihrerseits im Einklang mit Art. 13 Abs. 3 der Verordnung erstellt worden ist, da diese Listen in Art. 10 Abs. 1 erwähnt werden.

    Nach der dritten Ansicht ist Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, c und d der Verordnung Nr. 1924/2006 ab dem 1. Juli 2007 anwendbar, während Art. 10 Abs. 2 Buchst. b erst dann anwendbar ist, wenn es eine Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben gibt.

    3. Würdigung

    70.

    Ich halte wie die Kommission die erste Ansicht für zutreffend.

    71.

    Erstens ist bei Heranziehung allein des Wortlauts der Verordnung Nr. 1924/2006 festzustellen, dass sie nach ihrem Art. 29 Abs. 1 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten ist und gemäß Abs. 2 dieses Artikels ab dem 1. Juli 2007 gilt.

    72.

    Wie die Kommission hervorhebt, gilt dieser Zeitpunkt der Anwendbarkeit für die gesamte Verordnung; eine Ausnahme ist nicht vorgesehen.

    73.

    Sodann ist festzustellen, dass keine der Übergangsvorschriften in Art. 28 der Verordnung eine Ausnahme von ihrem Art. 10 Abs. 2 vorsieht.

    74.

    Die Abs. 1 und 2 von Art. 28 betreffen zum einen Lebensmittel, die vor dem 1. Juli 2007 auf den Markt gebracht oder gekennzeichnet wurden, und zum anderen Produkte mit bereits vor dem 1. Januar 2005 bestehenden Handelsmarken oder Markennamen. Keiner dieser beiden Fälle liegt hier vor.

    75.

    Auch die Abs. 3 und 4 sind nicht anwendbar, da sie ausschließlich nährwertbezogene Angaben betreffen.

    76.

    Die Abs. 5 und 6 betreffen gesundheitsbezogene Angaben, aber nur Abs. 5 ist auf den streitigen Slogan anwendbar, da er sich auf Angaben im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. a bezieht, d. h. auf gesundheitsbezogene Angaben, die die Bedeutung eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen beschreiben oder darauf verweisen ( 28 ).

    77.

    Nach dieser Bestimmung dürfen solche gesundheitsbezogenen Angaben ab Inkrafttreten der Verordnung bis zur Annahme der in Art. 13 Abs. 3 genannten Liste unter der Verantwortung von Lebensmittelunternehmern verwendet werden, sofern die Angaben der Verordnung entsprechen.

    78.

    Ich stimme der Einschätzung von Ehrmann nicht zu, wonach Art. 28 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 zur Folge habe, dass die in Art. 10 Abs. 1 vorgesehene Zulassungsbedingung und infolgedessen alle dort vorgesehenen Pflichten, einschließlich der detaillierten spezifischen Informationen in Abs. 2, vorübergehend ausgesetzt würden.

    79.

    Ich vermag im Gegenteil, da Art. 28 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 zum einen gerade den Zeitraum vor der Annahme der Liste zugelassener Angaben betrifft und zum anderen den ausdrücklichen Hinweis enthält, dass die während dieses Übergangszeitraums verwendete gesundheitsbezogene Angabe mit der gesamten Verordnung im Einklang stehen muss, keine Gründe zu erkennen, aus denen die in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Pflichten, geschweige denn eine von ihnen (wie Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung nach der dritten vom vorlegenden Gericht angeführten Ansicht), ausgeschlossen sein könnten.

    80.

    Auch das an die Pflicht, im Anschluss an die Erstellung einer der in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 genannten Listen die während des Übergangszeitraums mit Art. 10 Abs. 2 im Einklang stehende Kennzeichnung zu ändern, anknüpfende Argument erscheint mir nicht überzeugend.

    81.

    Müsste die Anwendung von Art. 10 Abs. 2 der Verordnung ausgesetzt werden, wäre nämlich eine Änderung des Etiketts am Ende des Übergangszeitraums in jedem Fall notwendig, denn entweder stünde die Angabe ab diesem Zeitpunkt auf der Liste der zugelassenen Angaben, so dass der Hersteller noch die in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 genannten Angaben hinzufügen müsste, oder die Angabe wird nicht zugelassen, und der Hersteller müsste sie von der im Übergangszeitraum verwendeten Kennzeichnung entfernen. In beiden Fällen käme es zwangsläufig zu einer Änderung. Folglich nimmt die Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 2 der Verordnung ab dem 1. Juli 2007 nur eine im Fall der Zulassung der darin enthaltenen Angaben unvermeidliche Aufnahme zeitlich vorweg.

    82.

    Zweitens verfolgt die Verordnung nach ihrem ersten Erwägungsgrund die Ziele, ein hohes Schutzniveau des Verbrauchers zu gewährleisten und ihm im Lebensmittelbereich die Wahl zu erleichtern.

    83.

    Das Vorhandensein obligatorischer Informationen auf der Kennzeichnung trägt zur Verwirklichung dieser Ziele bei. Wie die Kommission zutreffend ausführt, sind diese Informationen für den Verbraucher nicht nur dann von erheblichem Interesse, wenn für ein Lebensmittel mit einer gesundheitsbezogenen Angabe geworben wird, die bereits in die Listen zugelassener Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen ist, sondern auch und gerade dann, wenn eine gesundheitsbezogene Angabe vor einer gegebenenfalls künftig erfolgenden unionsweiten Zulassung aufgrund der Übergangsvorschriften in Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung verwendet wird.

    84.

    Abgesehen von ihrer Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Verordnung steht eine Auslegung von Art. 10 Abs. 2 der Verordnung, nach der die darin enthaltenen Informationspflichten ab dem 1. Juli 2007 anwendbar waren, somit auch mit den Zielen des Gesetzgebers im Einklang.

    85.

    Drittens stützt die systematische Auslegung der Regelung ebenfalls die Auffassung, dass Art. 10 Abs. 2 der Verordnung im Jahr 2010 anwendbar war.

    86.

    Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung sind gesundheitsbezogene Angaben grundsätzlich verboten. Um von diesem Grundsatz ausgenommen zu sein, müssen solche Angaben zunächst den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II entsprechen, dann die speziellen Anforderungen in Kapitel IV erfüllen und schließlich gemäß der Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 aufgenommen sein.

    87.

    Art. 10 Abs. 1 der Verordnung nennt somit eine Reihe von Bedingungen, die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte offensichtlich kumulativ und von gleicher Wichtigkeit sind.

    88.

    Die Leitlinien im Anhang des Durchführungsbeschlusses 2013/63/EU der Kommission vom 24. Januar 2013 zur Annahme von Leitlinien zur Umsetzung der in Artikel 10 der Verordnung dargelegten speziellen Bedingungen für gesundheitsbezogene Angaben bestätigen dies, wenn es dort zur Anwendung von Art. 10 der Verordnung heißt, dass „auch zugelassene gesundheitsbezogene Angaben nur dann verwendet werden dürfen, wenn ihre Verwendung allen Anforderungen der Verordnung in vollem Maße genügt. Dementsprechend sollten die nationalen Behörden tätig werden, wenn die Verwendung einer Angabe nicht mit allen Anforderungen der Verordnung in Einklang steht, und zwar auch dann, wenn die Angabe zugelassen ist und in den Listen der zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben geführt wird.“ ( 29 )

    89.

    Man kann aus der dritten in Art. 10 Abs. 1 aufgestellten Bedingung, dass die Angaben zugelassen und „in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind“, nicht folgern, dass Art. 10 Abs. 2 nur anwendbar ist, wenn diese Listen existieren.

    90.

    Art. 10 Abs. 2 der Verordnung nennt nämlich die Anforderungen, die bei der konkreten Verwendung einer gesundheitsbezogenen Angabe erfüllt sein müssen. Manche gesundheitsbezogenen Angaben können aber auf der Grundlage der Übergangsbestimmungen in Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung verwendet werden, bevor eine Zulassung auf Unionsebene vorliegt, also nicht nur nach ihrer Zulassung und ihrer Aufnahme in die Liste der zugelassenen Angaben.

    91.

    Ich schließe mich daher den Ausführungen der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen an, dass die Verordnung mit diesen Vorschriften dem Umstand Rechnung trägt, dass gesundheitsbezogene Angaben bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln in den Mitgliedstaaten bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung benutzt wurden, und daher angemessene Übergangsmaßnahmen vorsieht, „damit sich die Lebensmittelunternehmer an die Bestimmungen [der] Verordnung anpassen können“ ( 30 ), wobei sie zugleich das Verbraucherinteresse wahrt.

    92.

    Insbesondere die Angaben im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung können nach Art. 28 Abs. 5 ab dem Inkrafttreten der Verordnung bis zur Annahme der in Art. 13 Abs. 3 genannten Liste verwendet werden, sofern sie den Anforderungen der Verordnung, also auch ihres Art. 10 Abs. 2, entsprechen.

    93.

    Da in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 das Verbot gesundheitsbezogener Angaben die Regel ist und ihre Zulassung die Ausnahme, muss eine Übergangsbestimmung, die ihre Verwendung erlaubt, obwohl nicht alle in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung aufgestellten Bedingungen erfüllt sind, restriktiv ausgelegt werden. Da Art. 28 Abs. 5 der Verordnung nur auf die Existenz der in Art. 13 genannten Liste abstellt, kann man ihn nicht, und sei es auch nur teilweise (wie bei der dritten vom vorlegenden Gericht dargelegten Ansicht), auf die speziellen Bedingungen von Art. 10 Abs. 2 erstrecken. Dass der Hersteller die Verwendungsbedingungen, die in der in Art. 13 der Verordnung genannten Liste festgelegt werden, nicht kennt, verhindert meines Erachtens nicht die Ermittlung der „Informationen zur Menge des Lebensmittels und zum Verzehrmuster, die erforderlich sind, um die behauptete positive Wirkung zu erzielen“, der einzigen Anforderung von Art. 10 Abs. 2 Buchst. b (der nach der dritten vom vorlegenden Gericht dargelegten Ansicht nicht ab dem 1. Juli 2007 anwendbar sein soll).

    94.

    Im Rahmen einer systematischen Auslegung der Verordnung kann man somit das Verhältnis zwischen den Abs. 1 und 2 von Art. 10 nicht isoliert untersuchen. Man muss vielmehr berücksichtigen, dass die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben – für die Art. 10 Abs. 2 spezielle Informationspflichten aufstellt – nach anderen Bestimmungen der Verordnung erlaubt ist.

    95.

    Darüber hinaus sieht Art. 19 der Verordnung vor, dass der Antragsteller oder Nutzer einer Angabe, die in einer der Listen nach den Art. 13 und 14 aufgeführt ist, eine Änderung der jeweils einschlägigen Liste beantragen kann.

    96.

    Diesem Artikel ist zu entnehmen, dass die in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung genannten Listen, wenn sie einmal erlassen sind, nicht definitiv feststehen, sondern sich fortentwickeln können.

    97.

    Bei einer Gesamtbetrachtung der Verordnung spricht auch diese Möglichkeit der Fortentwicklung der Listen zugelassener Angaben für einen zeitlichen Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 2, der von der Erstellung der in Abs. 1 genannten Listen unabhängig ist. Es wäre nämlich inkohärent und würde dem mit der Verordnung Nr. 1924/2006 verfolgten Ziel des Verbraucherschutzes zuwiderlaufen, die in Art. 10 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen speziellen Informationspflichten bis zur Annahme der Listen zugelassener Angaben auszusetzen, obwohl sich diese Listen ihrerseits fortentwickeln sollen.

    4. Zusammenfassung

    98.

    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und im Einklang mit der wörtlichen, der teleologischen und der systematischen Auslegung von Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 5 und Art. 29 der Verordnung Nr. 1924/2006 bin ich der Ansicht, dass die Art. 10 Abs. 2 und 28 Abs. 5 dahin auszulegen sind, dass die in Art. 10 Abs. 2 enthaltenen Informationspflichten seit dem 1. Juli 2007 beachtet werden müssen.

    V – Ergebnis

    99.

    Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs wie folgt zu antworten:

    Art. 10 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die in Art. 10 Abs. 2 enthaltenen Informationspflichten seit dem 1. Juli 2007 beachtet werden müssen.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) ABl. L 404, S. 9, und Berichtigung im ABl. 2007, L 12, S. 3.

    ( 3 ) ABl. L 37, S. 16.

    ( 4 ) Urteil vom 6. September 2012 (C‑544/10, Randnr. 34).

    ( 5 ) Randnr. 9 des Vorabentscheidungsersuchens, Hervorhebung nur hier.

    ( 6 ) Ebd. (Randnr. 9).

    ( 7 ) Urteil vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C-138/08, Slg. 2009, I-9889, Randnrn. 20 bis 22). Vgl. auch Urteil vom 14. April 2011, Vlaamse Dierenartsenvereniging und Janssens (C-42/10, C-45/10 und C-57/10, Slg. 2011, I-2975, Randnrn. 42 bis 44).

    ( 8 ) Urteil vom 15. Juli 1982 (270/81, Slg. 1982, 2771).

    ( 9 ) Ebd. (Randnr. 9).

    ( 10 ) Urteil vom 18. Dezember 2007, Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia (C-220/06, Slg. 2007, I-12175, Randnr. 36).

    ( 11 ) Ebd. (Randnr. 36).

    ( 12 ) Nr. 35 seiner Schlussanträge vom 26. Januar 2010 in der Rechtssache, in der das Urteil vom 8. September 2010, Winner Wetten (C-409/06, Slg. 2010, I-8015), ergangen ist.

    ( 13 ) Randnr. 34 des Urteils.

    ( 14 ) Ebd. (Randnr. 34), Hervorhebung nur hier.

    ( 15 ) Den Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ nennt Sébastien Roset ein „schönes Beispiel für diese offenen Begriffe oder ‚catch all‘ mit einem mehr als ungenauen rechtlichen Inhalt, die dazu dienen, das Maximum dem Verbraucherschutz möglicherweise abträglicher Sachverhalte zu erfassen“. Nach seiner Ansicht hat der Gerichtshof „einem weiten Verständnis des Begriffs den Vorzug gegeben, wozu der Wortlaut von Art. 2 [der Verordnung] einlud“ (Hervorhebung nur hier, Roset, S., „Santé publique: publicité et étiquetage des alcools et protection des consommateurs“, Europe, 2012, November, comm. 430). Vgl. auch Prouteau, J., „Santé publique et libertés économiques: une nouvelle illustration d’une conciliation favorable à la santé publique“, Revue Lamy Droit des affaires, 2012, Nr. 77, S. 66 bis 68; Van der Meulen, B., und van der Zee, E., „‚Through the Wine Gate‘ First Steps towards Human Rights Awareness in EU Food (Labelling) Law“, European food and feed law review, 2013, Nr. 1, S. 41 bis 52, speziell S. 44.

    ( 16 ) Urteil vom 18. Juli 2013 (C‑299/12, Randnr. 22).

    ( 17 ) Ebd. (Randnr. 24), Hervorhebung nur hier.

    ( 18 ) Vgl. u. a. in diesem Sinne das Communiqué der Académie nationale de médecine (Frankreich) über Milchprodukte vom 1. April 2008 (Bull. Acad. Méd. 2008, tome 192, Nr. 4, S. 723 bis 730) und die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation für die Ernährung von Kindern im Alter von 6 bis 24 Monaten, die nicht gestillt werden.

    ( 19 ) Vgl. Verordnung (EG) Nr. 657/2008 der Kommission vom 10. Juli 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Gewährung einer Gemeinschaftsbeihilfe für die Abgabe von Milch und bestimmten Milcherzeugnissen an Schüler in Schulen (ABl. L 183, S. 17).

    ( 20 ) Sonderbericht Nr. 10/2011 des Rechnungshofs, „Sind die Programme ‚Schulmilch‘ und ‚Schulobst‘ wirksam?“, S. 5.

    ( 21 ) Randnr. 24 des Urteils.

    ( 22 ) Randnr. 34 des Urteils.

    ( 23 ) Urteil Green – Swan Pharmaceuticals CR (Randnr. 24), Hervorhebung nur hier.

    ( 24 ) 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006.

    ( 25 ) Ebd.

    ( 26 ) Ebd.

    ( 27 ) „Zwar ist die genannte Prämisse nach gegenwärtiger Aktenlage umstritten, das nationale Gericht kann sie jedoch auch bestätigen“ (Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Winner Wetten, Nr. 36).

    ( 28 ) Art. 28 Abs. 6 der Verordnung betrifft gesundheitsbezogene Angaben, die nicht unter Art. 13 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 fallen.

    ( 29 ) ABl. L 22, S. 25. Vgl. speziell die letzten beiden Sätze des zweiten Absatzes der Einleitung der Leitlinien.

    ( 30 ) 35. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006.

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