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Document 62012CC0094

Schlussanträge des Generalanwalts N. Jääskinen vom 28. Februar 2013.
Swm Costruzioni 2 SpA und Mannocchi Luigino DI gegen Provincia di Fermo.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per le Marche.
Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit – Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit – Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 – Möglichkeit eines Wirtschaftsteilnehmers, sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen zu stützen – Art. 52 – Zertifizierungssystem – Öffentliche Bauaufträge − Nationale Vorschrift, die den Besitz einer Qualifikationsbescheinigung vorschreibt, die der Kategorie und dem Wert der Arbeiten entspricht, die Gegenstand des Auftrags sind – Verbot, sich in Bezug auf Arbeiten ein und derselben Kategorie auf die Bescheinigungen mehrerer Unternehmen zu stützen.
Rechtssache C‑94/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:130

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 28. Februar 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑94/12

Swm Costruzioni 2 SpA,

Mannocchi Luigino DI

gegen

Provincia di Fermo

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per le Marche [Italien])

„Richtlinie 2004/18/EG — Vergabe öffentlicher Bauaufträge — Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers — Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers — Rückgriff auf mehrere Hilfsunternehmen“

I – Einleitung

1.

Von Unternehmen, die an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags teilnehmen möchten, kann verlangt werden, dass sie den Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit bzw. an die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit gemäß den Art. 47 und 48 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) ( 2 ) genügen. Um diese Erfordernisse zu erfüllen, kann sich ein Wirtschaftsteilnehmer neben seinen eigenen Kapazitäten zusätzlich auch auf jene „anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen“ ( 3 ).

2.

Bei diesem Vorabentscheidungsersuchen geht es um die Frage, ob eine nationale Regelung, wonach sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags teilnehmen möchte, auf die Kapazitäten eines einzigen anderen Unternehmens stützen darf, im Einklang mit der Richtlinie 2004/18, insbesondere mit deren Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3, steht. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nötig, dass der Gerichtshof den Ermessensspielraum definiert, den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Vorschriften haben, mit denen die vor Erlass der Richtlinie 2004/18 ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs kodifiziert wurde.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

3.

Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 („Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit“) lautet:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.“

4.

Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 („Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit“) lautet:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt, dass sie dem Wirtschaftsteilnehmer die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.“

5.

Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 („Amtliche Verzeichnisse zugelassener Wirtschaftsteilnehmer und Zertifizierung durch öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Stellen“) lautet:

„Die Mitgliedstaaten können entweder amtliche Verzeichnisse zugelassener Bauunternehmer, Lieferanten oder Dienstleistungserbringer oder eine Zertifizierung durch öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Stellen einführen.

Die Mitgliedstaaten passen die Bedingungen für die Eintragung in diese Verzeichnisse sowie für die Ausstellung der Bescheinigungen durch die Zertifizierungsstellen an Artikel 45 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstaben a bis d und g, Artikel 46, Artikel 47 Absätze 1, 4 und 5, Artikel 48 Absätze 1, 2, 5 und 6, Artikel 49 und gegebenenfalls Artikel 50 an.

Die Mitgliedstaaten passen die Bedingungen ferner an die Bestimmungen des Artikels 47 Absatz 2 und des Artikels 48 Absatz 3 an, sofern Anträge auf Eintragung von Wirtschaftsteilnehmern gestellt werden, die zu einer Gruppe gehören und sich auf die von anderen Unternehmen der Gruppe bereitgestellten Kapazitäten stützen. Diese Wirtschaftsteilnehmer müssen in diesem Falle gegenüber der das amtliche Verzeichnis herausgebenden Behörde nachweisen, dass sie während der gesamten Geltungsdauer der Bescheinigung über ihre Eintragung in ein amtliches Verzeichnis über diese Kapazitäten verfügen und dass die Eignungskriterien, die nach den in Unterabsatz 2 genannten Artikeln vorgeschrieben sind und auf die sie sich für ihre Eintragung berufen, von den betreffenden anderen Unternehmen in diesem Zeitraum fortlaufend erfüllt werden.“

B – Nationale Vorschriften

6.

Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets 163/2006 sieht im Hinblick auf die Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren vor: „Der Bieter kann sich bei Bauarbeiten für jede Qualifikationskategorie nur auf ein einziges Hilfsunternehmen stützen. In der Ausschreibung kann der Rückgriff auf mehrere Hilfsunternehmen wegen des Umfangs des ausgeschriebenen Auftrags oder der Besonderheit der Leistungen zugelassen werden, wodurch jedoch das Verbot der aufgeteilten Inanspruchnahme der einzelnen erforderlichen wirtschaftlich-finanziellen und technisch-organisatorischen Kapazitäten im Sinne von Art. 40 Abs. 3 Buchst. b, aufgrund deren die Bescheinigung für diese Kategorie ausgestellt wurde, nicht berührt wird.“

III – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

7.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Ragruppamento Temperaneo Imprese (ARGE, im Folgenden: RTI), eine Ad-hoc-Bietergemeinschaft, die aus der Swm Costruzioni 2 SpA (federführendes Unternehmen) und der Mannocchi Luigino DI besteht, die im Ausgangsverfahren ebenfalls als Klägerinnen auftreten, nahm an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags über Arbeiten zur Modernisierung und Erweiterung an der Strada Provinciale (Landstraße) Nr. 238 Valdaso teil.

8.

Um den Zertifizierungserfordernissen der Società Organismo di Attestazione (SOA) – der Zertifizierungsstelle, die befugt ist, zu überprüfen, ob Unternehmen die notwendige Eignung aufweisen und die Erfordernisse für eine Teilnahme an Vergabeverfahren erfüllen – Genüge zu tun, stützte sich die Hauptklägerin Swm Costruzioni 2 für die Modernisierungs- und Erweiterungsarbeiten auf die Kapazitäten zweier Unternehmen derselben Qualifikationskategorie.

9.

Am 2. August 2011 übermittelte die öffentliche Auftraggeberin, die Provinz Fermo, RTI ihre vom selben Tag datierende Entscheidung, dass RTI vom Vergabeverfahren ausgeschlossen sei. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass gegen das in Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006 niedergelegte Verbot, sich innerhalb derselben Kategorie auf mehrere Hilfsunternehmen zu stützen, verstoßen worden sei.

10.

Vor dem vorlegenden Gericht, dem Tribunale Amministrativo Regionale per le Marche, focht RTI diese Entscheidung mit Klage vom 5. August 2011 an. Ihre Klage stützte sich auf das Argument, dass Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006 nicht im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 stehe. Das Tribunale Amministrativo Regionale per le Marche hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der italienischen nach Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006 grundsätzlich entgegensteht, die – mit Ausnahme von Sonderfällen – den Rückgriff auf mehrere Hilfsunternehmen verbietet, indem sie bestimmt: „Der Bieter kann sich bei Bauarbeiten für jede Qualifikationskategorie nur auf ein einziges Hilfsunternehmen stützen. In der Ausschreibung kann der Rückgriff auf mehrere Hilfsunternehmen wegen des Umfangs des ausgeschriebenen Auftrags oder der Besonderheit der Leistungen zugelassen werden“?

11.

Die Swm Costruzioni 2 SpA und die Mannocchi Luigino DI, die italienische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV – Der Umfang der Vorlagefrage

12.

Die italienische Regierung weist darauf hin, dass es im Ausgangsverfahren um die technische und berufliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens und nicht um dessen wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gehe und dass daher Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 einschlägig sei. Das vorlegende Gericht beziehe sich jedoch ausschließlich auf Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18, der auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der teilnehmenden Unternehmen Bezug nehme.

13.

In diesem Zusammenhang genügt es meiner Meinung nach, auf die gefestigte Rechtsprechung zu verweisen, wonach ein Vorlagebeschluss eines nationalen Gerichts die Grundlage für die Ermittlung des Umfangs der auszulegenden unionsrechtlichen Frage darstellt, der Gerichtshof jedoch an den Wortlaut der vorgelegten Frage(n) nicht gänzlich gebunden ist. Der Gerichtshof hat die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren, um dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben ( 4 ).

14.

Soweit es darum geht, dass die öffentlichen Auftraggeber „Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit“ stellen dürfen, „denen die Bewerber und Bieter genügen müssen“, wird in Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 auf deren Art. 47 und 48 gleichermaßen Bezug genommen. Diese beiden Artikel folgen derselben Logik, und für ihre Anwendung gelten dieselben Auslegungsgrundsätze. Im Urteil Strong Segurança hat der Gerichtshof en passant festgestellt, dass sich Art. 48 Abs. 3 und Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 einander inhaltlich im Wesentlichen entsprechen ( 5 ). Beide Vorschriften kodifizieren den Rechtsgrundsatz, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu früheren Vergaberichtlinien im Hinblick auf qualitative Auswahlkriterien für Bewerber und Bieter entwickelt worden ist ( 6 ).

15.

Im schriftlichen Verfahren hat der Gerichtshof die Parteien darum ersucht, ihre Standpunkte zur Frage der Relevanz von Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18, der die allgemeine Vorschrift betreffend die Überprüfung der Eignung und Auswahl der Teilnehmer zur Vergabe des Auftrags ist, für diesen Fall darzulegen ( 7 ). Nur die Kommission hat innerhalb der gesetzten Frist geantwortet und kam zu dem Schluss, dass eine Würdigung von Art. 44 Abs. 2 für die vorliegende Rechtssache nicht relevant sei.

16.

Daher meine ich, dass sich der Gerichtshof auf die Auslegung von Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 konzentrieren sollte, um dem Tribunale Amministrativo Regionale per le Marche eine sachdienliche Antwort für das Ausgangsverfahren zu geben.

V – Würdigung

17.

Meines Erachtens lässt sich die Auffassung, dass eine nationale Regelung wie Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006 im Einklang mit dem Vergaberecht der Europäischen Union stehe, nicht auf den Wortlaut von Art. 47 Abs.2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 stützen.

18.

Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 legen ausdrücklich fest, dass sich Wirtschaftsteilnehmer auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen können, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und beruflichen Kapazitätserfordernisse für einen bestimmten öffentlichen Bauauftrag zu erfüllen. Anders ausgedrückt nehmen diese Vorschriften Bezug auf andere Unternehmen in der Mehrzahl. Es sei auch darauf hingewiesen, dass Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 ebendiese Möglichkeit auch für Gemeinschaften von Wirtschaftsteilnehmern vorsehen.

19.

Art. 52 der Richtlinie 2004/18 sieht diese Möglichkeit auch für die Eintragung zugelassener Wirtschaftsteilnehmer in amtliche Verzeichnisse oder die Zertifizierung zur Teilnahme an Vergabeverfahren vor. Der Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 weist ebenfalls durch den Gebrauch der Pluralform andere Unternehmen darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber nicht beabsichtigt hatte, die Zahl der Hilfsunternehmen, auf deren Kapazitäten sich ein potenzieller Bieter stützen könnte, zu beschränken.

20.

Der Wortlaut von Art. 47 Abs. 2, Art. 48 Abs. 3 und Art. 52 der Richtlinie 2004/18 stellt eine Kodifizierung der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu früheren Vergaberichtlinien dar. Im Urteil Ballast Nedam Groep I hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Holdinggesellschaft, die selbst keine Arbeiten ausführt, nicht deswegen von der Teilnahme an Verfahren über öffentliche Bauaufträge ausgeschlossen werden darf, weil ihre Tochtergesellschaften, die die Arbeiten ausführen, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind, wenn sie nachweisen kann, dass sie tatsächlich über die den Tochtergesellschaften zustehenden Mittel verfügt, die zur Ausführung des Auftrags notwendig sind.

21.

Im Urteil Ballast Nedam Groep II hat der Gerichtshof den im Urteil Ballast Nedam Groep I vertretenen Standpunkt aufgegriffen und weiter dahin gehend präzisiert, dass bei der Beurteilung der technischen Kapazitäten einer Muttergesellschaft die Behörden, die die Verzeichnisse der zugelassenen Bauunternehmer erstellen, verpflichtet sind, die technischen Kapazitäten der Gesellschaften, die zur selben Gruppe gehören, zu berücksichtigen.

22.

Im Urteil Holst Italia hat der Gerichtshof die Rechtsprechung aus den Ballast-Urteilen auf eine Konstellation angewandt, in der eine Gesellschaft, die an einem Vergabeverfahren teilnehmen wollte, nicht die beherrschende juristische Person der Unternehmensgruppe war, und bestätigt, dass sich eine solche Gesellschaft auf die Kapazitäten anderer Gesellschaften innerhalb der Gruppe stützen kann, welcher Rechtsnatur ihre Verbindungen zu ihnen auch sein mögen ( 8 ). Der Gerichtshof hat entschieden, dass ein Bieter nicht allein deshalb vom Verfahren ausgeschlossen werden kann, weil er Mittel einzusetzen beabsichtigt, die er nicht selbst besitzt, sondern die einer oder mehreren anderen Einrichtungen ( 9 ) gehören.

23.

Der Gerichtshof hat auch in seiner späteren Rechtsprechung seinen Standpunkt bestätigt, dass eine Person, die von einem öffentlichen Auftraggeber einen Auftrag erhalten möchte, nach dem Unionsrecht, um als vergabeverfahrensberechtigter Wirtschaftsteilnehmer eingestuft zu werden, nicht in der Lage zu sein braucht, die Leistung unmittelbar mit eigenen Mitteln zu erbringen ( 10 ). Der Gerichtshof hat betont, dass Unternehmen, die an einem Vergabeverfahren teilnehmen möchten, nachweisen müssen, dass sie tatsächlich über die Mittel dieser anderen Einrichtungen verfügen, die zur Ausführung des fraglichen Auftrags erforderlich sind. Die Beweislast trägt der Bieter, der sich auf die Mittel anderer stützt ( 11 ).

24.

Sowohl Art. 47 Abs. 2 als auch Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 bestimmen nahezu wortgleich, dass sich ein „Wirtschaftsteilnehmer … auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen [kann]“. Der Wortlaut lässt den Schluss zu, dass hier den Wirtschaftsteilnehmern das Recht zugestanden wird, die Auswahlkriterien auf diese Weise zu erfüllen, vorausgesetzt, dass sie nachweisen können, dass sie tatsächlich über die Mittel dieser anderen Unternehmen verfügen, die zur Ausführung des Auftrags erforderlich sind.

25.

Wenn in einem konkreten Fall strittig ist, ob ein Unternehmen die Kapazitäten hat, einen öffentlichen Bauauftrag auszuführen, ist die Beurteilung, ob ein angemessener Nachweis erbracht wurde, Sache der nationalen Gerichte. Wie ich bereits angemerkt habe, hat der Gerichtshof diesen Grundsatz in seiner Rechtsprechung herausgearbeitet, der nunmehr in Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 kodifiziert worden ist ( 12 ).

26.

Zudem deutet nichts in Art. 52 der Richtlinie 2004/18 darauf hin, dass beabsichtigt gewesen wäre, den Anwendungsbereich von Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3, die auf die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsteilnehmern im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Vergabeverfahren für einen bestimmten Auftrag Bezug nehmen, einzuschränken. Vielmehr sind nach Art. 52 Abs. 1 die Bedingungen für die Eintragung in die Verzeichnisse zugelassener Bauunternehmer, Lieferanten und Dienstleistungserbringer oder für die Zertifizierung an den Grundsatz anzupassen, der Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 zugrunde liegt, sofern Anträge auf Eintragung von Wirtschaftsteilnehmern gestellt werden, die zu einer Gruppe gehören und sich auf die von anderen Unternehmen der Gruppe bereitgestellten Kapazitäten stützen.

27.

Die Eintragung in ein amtliches Verzeichnis oder die Zertifizierung gemäß Art. 52 der Richtlinie 2004/18 stellt eine Vermutung der Eignung der eingetragenen oder zertifizierten Unternehmen dar, dies jedoch nur in Bezug auf die Bedingungen, auf denen die Eintragung oder Zertifizierung beruht. Es liegt im Ermessen der öffentlichen Auftraggeber, das Niveau der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der technischen Fachkunde festzulegen, das für einen bestimmten Auftrag verlangt wird, und abgesehen von der auf der Eintragung oder Zertifizierung beruhenden Vermutung nötigenfalls Nachweise zu verlangen ( 13 ).

28.

Zudem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Richtlinie 92/50 ( 14 ) einem Verbot oder einer Einschränkung der Subvergabe für die Ausführung wesentlicher Teile des Auftrags nicht entgegensteht, wenn der öffentliche Auftraggeber bei der Prüfung der Angebote und der Auswahl des Bestbieters die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Subunternehmer nicht hat prüfen können ( 15 ).

29.

Dies würde nahelegen, dass eine nationale Vorschrift, wonach Wirtschaftsteilnehmer, die sich auf die Kapazitäten von mehr als einem anderen Unternehmen stützen, von Vergabeverfahren ausgeschlossen sind, dem Recht der Wirtschaftsteilnehmer, die Auswahlkriterien auf diese Weise zu erfüllen, entgegenstünde und daher mit der Richtlinie 2004/18 unvereinbar wäre. Der Gerichtshof hat entschieden, dass ein Bieter, der auf die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Dritter verweist, auf die er zurückgreifen möchte, wenn ihm der Auftrag erteilt wird, nur ausgeschlossen werden kann, wenn er nicht den Nachweis erbringen kann, dass er tatsächlich über diese Kapazitäten verfügt ( 16 ).

30.

Daher kann eine nationale Vorschrift wie Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006, die den Rückgriff auf die Kapazitäten von Hilfsunternehmen zur Erfüllung der Auswahlkriterien nicht gänzlich verbietet, aber dennoch eine quantitative Beschränkung auferlegt, die im Unionsrecht für diesen Fall nicht vorgesehen ist, nicht mit der Richtlinie 2004/18 vereinbar sein.

31.

Dieses Argument wird auch durch eine Analyse der Ziele von Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 untermauert. Der Gerichtshof hat entschieden, dass eines der Hauptziele der Vorschriften der Europäischen Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens die Öffnung für einen möglichst umfassenden Wettbewerb ist und dass für das Unionsrecht ein Interesse daran besteht, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird ( 17 ).

32.

Diese Öffnung für einen möglichst umfassenden Wettbewerb wird nicht nur im Interesse des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen angestrebt, sondern auch im Interesse der öffentlichen Auftraggeber, die so im Hinblick auf das wirtschaftlich günstigste Angebot über eine größere Auswahl verfügen ( 18 ). Der Ausschluss von Bietern wegen der Anzahl von anderen Unternehmen, die zur Ausführung des Auftrags beitragen, wie die Beschränkung auf bloß ein Hilfsunternehmen pro Kategorie der Eignungskriterien, trägt keiner Einzelfallbeurteilung Rechnung, wodurch die Auswahlmöglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers reduziert werden und der effektive Wettbewerb beeinträchtigt wird.

33.

Ein anderes Ziel der Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens besteht darin, den Markt für öffentliche Aufträge für alle Wirtschaftsteilnehmer unabhängig von ihrer Größe zu öffnen. Die Öffnung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) muss vor allem deshalb gefördert werden, weil die KMU als Rückgrat der Wirtschaft der Europäischen Union gelten ( 19 ). Die Chancen von KMU, sich an Vergabeverfahren zu beteiligen und öffentliche Bauaufträge zu erhalten, werden u. a. durch den Umfang der Aufträge gemindert. Deshalb sind die Möglichkeit der Bildung von Bietergemeinschaften und die Inanspruchnahme der Kapazitäten von Hilfsunternehmen für KMU besonders wichtig, weil ihnen dadurch der Zugang zu den Märkten erleichtert wird ( 20 ).

34.

Abschließend möchte ich mich der Frage des Ermessens der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/18 zuwenden. Die Kommission und die italienische Regierung sind der Meinung, dass es bei der Umsetzung der Richtlinie im Ermessen der Mitgliedstaaten liege, eine nationale Vorschrift wie Art. 49 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 163/2006 zu erlassen.

35.

Nach Ansicht der Kommission ist die Richtlinie dann ausreichend umgesetzt, wenn die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, sich auf die Kapazität eines Hilfsunternehmens zu stützen, um die Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle sowie die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit zu erfüllen, und wenn die Grundsätze der Richtlinie 2004/18 angewandt werden, um eine wirksame qualitative Auswahl der Bieter auf Grundlage transparenter, objektiver und nichtdiskriminierender Kriterien zu gewährleisten.

36.

Ich stelle nicht in Abrede, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vergaberichtlinien einen relativ weiten Ermessensspielraum haben. Dieser erstreckt sich aber nicht auf Fragen, die ausdrücklich vom Unionsgesetzgeber geregelt wurden, was meiner Meinung nach bei der Möglichkeit, sich im Zusammenhang mit der Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren auf die Kapazitäten Dritter zu stützen, der Fall ist. Wie ich bereits oben angeführt habe, erlauben sowohl die Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch die Richtlinie 2004/18 einem Wirtschaftsteilnehmer ausdrücklich, sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen zu stützen, und zwar ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen.

37.

Der Ausschluss von Bietern, die sich auf die Kapazitäten von mehr als einem Hilfsunternehmen pro Kategorie der Eignungskriterien stützen, kommt größeren Unternehmen zum Nachteil von Ad‑hoc‑Konsortien, die aus KMU gebildet werden, entgegen. Dies macht eine Bevorzugung dominanter lokaler oder regionaler Akteure wahrscheinlich, wenn öffentliche Aufträge deren Kapazitäten entsprechen, aber zu anspruchsvoll für kleinere, allein agierende Wirtschaftsteilnehmer und zu klein sind, um für größere nationale oder international tätige Gesellschaften interessant zu werden. Hier kann von Nichtdiskriminierung keine Rede sein.

38.

Ich bin mit der italienischen Regierung einer Meinung, dass sich eine Situation, in der sich ein Wirtschaftsteilnehmer auf die wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten eines anderen Unternehmens stützt, möglicherweise anders darstellt als eine Situation, in der auf die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit eines anderen verwiesen wird. In bestimmten Fällen muss ein einziges Unternehmen die nötige technische oder berufliche Leistungsfähigkeit aufweisen. Während beispielsweise zwei Unternehmen mit einer Kapazität von 50000 Tonnen Asphalt gemeinsam die für die Renovierung einer Autobahn erforderliche Kapazität von 100000 Tonnen Asphalt erreichen können, erfüllen zwei Unternehmen, die beide die erforderliche Expertise für die Wartung und Reparatur von Bahnhofsuhren besitzen, nicht automatisch die Kriterien für die Reparatur antiker Uhren in mittelalterlichen Kirchen.

39.

Aber das Problem im Zusammenhang mit der möglichen Bündelung bestimmter technischer und/oder beruflicher Fähigkeiten ist qualitativ unabhängig von der Anzahl der Unternehmen, auf deren Fähigkeiten sich ein Wirtschaftsteilnehmer stützt. Dass sich die Wirtschaftsteilnehmer auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen dürfen, damit sie als potenzielle Bieter in Frage kommen, ändert nichts an der Realität bestimmter Vergabeverfahren. Somit muss ein Wirtschaftsteilnehmer unabhängig davon, ob er die wirtschaftliche und finanzielle sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit selbst besitzt oder ob er sich auf andere Unternehmen stützt, jedenfalls nachweisen, dass er die für die Ausführung eines bestimmten öffentlichen Bauauftrags aufgestellten Kriterien erfüllt.

40.

Zudem sieht Art. 48 Abs. 5 der Richtlinie 2004/18 für bestimmte Kategorien öffentlicher Aufträge spezifische Regeln für die Beurteilung der Eignung der Wirtschaftsteilnehmer anhand ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Erfahrung und Zuverlässigkeit vor. Diese Vorschrift ist auch auf Wirtschaftsteilnehmer anwendbar, die sich auf die technische oder berufliche Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen stützen. Ferner haben öffentliche Auftraggeber, wie ich oben ausgeführt habe, wenn es amtliche Verzeichnisse oder nationale Zertifizierungen gibt, noch immer einen Ermessensspielraum, um das Niveau der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der technischen Fachkunde festzulegen, das für einen bestimmten Auftrag verlangt wird.

VI – Ergebnis

41.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Tribunale Amministrativo Regionale per le Marche folgende Antwort zu geben:

Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, die – mit Ausnahme von Sonderfällen – den Rückgriff auf mehrere Hilfsunternehmen, um die Auswahlkriterien betreffend die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und/oder technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers zu erfüllen, verbietet.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) ABl. L 134, S. 114.

( 3 ) Art. 47 Abs. 2 und Art 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18.

( 4 ) Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch das jüngere Urteil des Gerichtshofs vom 21. Juli 2011, Stewart (C-503/09, Slg. 2011, I-6497, Randnr. 105).

( 5 ) Urteil des Gerichtshofs vom 17. März 2011, Strong Segurança (C-95/10, Slg. 2011, I-1865, Randnr. 13).

( 6 ) Vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofs vom 14. April 1994, Ballast Nedam Groep I (C-389/92, Slg. 1994, I-1289), vom 18. Dezember 1997, Ballast Nedam Groep II (C-5/97, Slg. 1997, I-7549), und vom 2. Dezember 1999, Holst Italia (C-176/98, Slg. 1999, I-8607).

( 7 ) Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 sieht vor: „Die öffentlichen Auftraggeber können Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit gemäß den Artikeln 47 und 48 stellen, denen die Bewerber und Bieter genügen müssen. Der Umfang der Informationen gemäß den Artikeln 47 und 48 sowie die für einen bestimmten Auftrag gestellten Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit müssen mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein. Die Mindestanforderungen werden in der Bekanntmachung angegeben.“

( 8 ) Urteil Holst Italia, Randnr. 31.

( 9 ) Urteil Holst Italia, Randnr. 26.

( 10 ) Urteil des Gerichtshofs vom 23. Dezember 2009, CoNISMa (C-305/08, Slg. 2009, I-12129, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Urteil des Gerichtshofs vom 18. März 2004, Siemens und ARGE (C-314/01, Slg. 2004, I-2549, Randnr. 44).

( 12 ) Vgl. Urteil Ballast Nedam Groep I, Randnr. 17, und Urteil Holst Italia, Randnrn. 29 und 30.

( 13 ) Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1987, CEI‑Bellini u. a. (27/86, 28/86 und 29/86, Slg. 1987, 3347, Randnrn. 25 bis 27).

( 14 ) Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, aufgehoben durch die Richtlinie 2004/18.

( 15 ) Vgl. Urteil Siemens und ARGE, Randnr. 45.

( 16 ) Vgl. Urteil Siemens und ARGE, Randnr. 46.

( 17 ) Vgl. Urteil CoNISMa, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 18 ) Vgl. Urteil CoNISMa, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 19 ) Siehe z. B. das Grünbuch der Kommission über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens. Wege zu einem effizienteren europäischen Markt für öffentliche Aufträge, KOM(2011) 15 endg.

( 20 ) Das Leitliniendokument der Kommission, der Europäische Leitfaden für bewährte Verfahren (Code of Best Practice) zur Erleichterung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu öffentlichen Aufträgen, empfiehlt im Auswahlstadium von Vergabeverfahren die Nutzung der Möglichkeit, dass Wirtschaftsteilnehmer ihre gemeinsame Wirtschafts- und Finanzkraft bzw. technischen Fähigkeiten einsetzen. Vgl. das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen mit dem Titel Europäischer Leitfaden für bewährte Verfahren (Code of Best Practice) zur Erleichterung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu öffentlichen Aufträgen, SEC(2008) 2193.

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