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Document 62011CJ0106
Judgment of the Court (Eighth Chamber), 7 June 2012.#M.J. Bakker v Minister van Financiën.#Reference for a preliminary ruling from the Hoge Raad der Nederlanden.#Social security for migrant workers — Applicable legislation — Worker holding Netherlands nationality working, for an employer established in the Netherlands, on board dredgers flying the Netherlands flag which operate outside the territory of the European Union — Residence in the territory of another Member State — Affiliation to the Netherlands social security system.#Case C-106/11.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 7. Juni 2012.
M. J. Bakker gegen Minister van Financiën.
Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden.
Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Anzuwendende Rechtsvorschriften – Arbeitnehmer niederländischer Staatsangehörigkeit, der an Bord von Baggerschiffen, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Union unter niederländischer Flagge fahren, für einen in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber tätig ist – Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats – Zugehörigkeit zum niederländischen System der sozialen Sicherheit.
Rechtssache C‑106/11.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 7. Juni 2012.
M. J. Bakker gegen Minister van Financiën.
Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden.
Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Anzuwendende Rechtsvorschriften – Arbeitnehmer niederländischer Staatsangehörigkeit, der an Bord von Baggerschiffen, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Union unter niederländischer Flagge fahren, für einen in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber tätig ist – Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats – Zugehörigkeit zum niederländischen System der sozialen Sicherheit.
Rechtssache C‑106/11.
Court reports – general
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:328
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
7. Juni 2012 ( *1 )
„Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen — Anzuwendende Rechtsvorschriften — Arbeitnehmer niederländischer Staatsangehörigkeit, der an Bord von Baggerschiffen, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Union unter niederländischer Flagge fahren, für einen in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber tätig ist — Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats — Zugehörigkeit zum niederländischen System der sozialen Sicherheit“
In der Rechtssache C-106/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 11. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2011, in dem Verfahren
M. J. Bakker
gegen
Minister van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
— |
von Herrn Bakker, vertreten durch M. H. Menger und V. J. de Groot, belastingadviseurs, |
— |
der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und C. Schillemans als Bevollmächtigte, |
— |
der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Titel II der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. L 38, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71). |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Bakker und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär der Finanzen) über die Pflichtversicherung von Herrn Bakker bei den niederländischen Sozialversicherungen im Jahr 2004. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Nach Art. 1 Buchst. a Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 bezeichnet der Begriff „Arbeitnehmer“ jede Person, „die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist“. |
4 |
In Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung heißt es: „Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind …“ |
5 |
Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71, der zu Titel II („Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“) gehört, sieht vor: „(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel. (2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes: …
…“ |
Niederländisches Recht
6 |
Art. 6 der Algemene Ouderdomswet (Gesetz über die Allgemeine Altersversorgung) (Stb. 1956, Nr. 281) bestimmt: „(1) Versichert nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ist, wer noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und
…“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7 |
Im Jahr 2004 wohnte Herr Bakker, ein niederländischer Staatsangehöriger, in Spanien und war als Arbeitnehmer auf Baggerschiffen, die unter niederländischer Flagge fuhren, bei einem in Rotterdam (Niederlande) ansässigen Unternehmen beschäftigt. Er übte seine Tätigkeiten vorwiegend in den Hoheitsgewässern Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate aus. Die Baggerschiffe waren in das niederländische Seeschiffsregister eingeschrieben. |
8 |
Herr Bakker focht die Festsetzung der von ihm für das Jahr 2004 in den Niederlanden zu entrichtenden Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge an. Da seine Klage gegen diese Festsetzung von der Rechtbank te Breda abgewiesen wurde, wandte er sich an den Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch, der das Urteil der ersten Instanz bestätigte. |
9 |
Der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch war der Ansicht, dass Herr Bakker für das Jahr 2004 als bei den niederländischen Sozialversicherungen versichert angesehen werden könne, obwohl er seine Tätigkeiten außerhalb des Gebiets der Europäischen Union ausgeübt habe. Der Gerechtshof führte zur Begründung hierfür an, dass die niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit durch die Verordnung Nr. 1408/71 und insbesondere durch Titel II dieser Verordnung auf Herrn Bakker anwendbar seien. Er stellte u. a. fest, dass Herr Bakker seine Tätigkeiten im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung auf Seeschiffen ausgeübt habe, die unter niederländischer Flagge, also unter der Flagge eines Mitgliedstaats, führen. Der Umstand, dass diese Schiffe während der Baggertätigkeiten in Hoheitsgewässern außerhalb der Union vor Anker gelegen hätten, sei nicht maßgeblich, da Art. 13 Abs. 2 Buchst. c keine Beschränkung nach der Art des Schiffes oder nach dem Ort der Tätigkeiten vorsehe. |
10 |
Der mit der Kassationsbeschwerde befasste Hoge Raad der Nederlanden ist hingegen der Meinung, dass berechtigte Zweifel bestünden, ob Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 im vorliegenden Fall anwendbar sei. |
11 |
Seiner Ansicht nach hat der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch zu Recht festgestellt, dass der Betroffene bei Zugrundelegung allein des niederländischen innerstaatlichen Rechts im Jahr 2004 nicht bei den Sozialversicherungen pflichtversichert gewesen sei, weil er in diesem Jahr nicht in den Niederlanden gewohnt habe und dort auch nicht beschäftigt gewesen sei. Das vorlegende Gericht bezweifelt jedoch die Annahme – auf die sich der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch gestützt hat –, dass der Betroffene im Jahr 2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 gefallen sei, so dass Titel II dieser Verordnung auf seine Situation anwendbar gewesen sei. |
12 |
In diesem Zusammenhang merkt das vorlegende Gericht an, dass die Definition des Arbeitnehmers in Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 erfordere, dass der Betroffene gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die dort beschrieben seien, pflichtversichert oder freiwillig versichert sei. Daher fragt es sich, ob es möglich sei, dass jemand in der Situation von Herrn Bakker, der bei Zugrundelegung allein der innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht pflichtversichert sei, weil er nicht in den Niederlanden wohne, dennoch die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 dadurch erlangen könne, dass die Vorschriften über die Bestimmung des anwendbaren Rechts in Titel II dieser Verordnung das Recht dieses Mitgliedstaats als anwendbar bezeichneten. |
13 |
Der Hoge Raad der Nederlanden ist der Ansicht, dass diese Frage im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit der Vorschriften des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 zu bejahen sei. |
14 |
Das vorlegende Gericht stellt sich aber die Frage, ob die Anwendbarkeit des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 daran scheitere, dass der Betroffene seine Tätigkeiten außerhalb des in Art. 299 EG bezeichneten Hoheitsgebiets verrichtet habe. Es zieht die Rechtsprechung des Gerichtshofs heran, wonach die unionsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auch auf Tätigkeiten anwendbar seien, die außerhalb des Gebiets der Union ausgeübt würden, wenn das Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an dieses Gebiet behalte (Urteil vom 29. Juni 1994, Aldewereld, C-60/93, Slg. 1994, I-2991, Randnr. 14). Das vorlegende Gericht erachtet auch das Urteil vom 27. September 1989, Lopes da Veiga (9/88, Slg. 1989, 2989, Randnr. 17), für maßgeblich, das ebenfalls Seeleute betroffen habe und in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass es darauf ankomme, ob das Arbeitsverhältnis des Betroffenen eine hinreichend enge Anknüpfung an das niederländische Hoheitsgebiet aufweise. |
15 |
Im Jahr 2004 sei im Rahmen der vom Landelijk Instituut sociale verzekeringen (Landessozialversicherungsinstitut) im Bereich der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer verfolgten Politik der Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 auf Seeleute mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums, die in einem dieser Staaten wohnten und auf einem Schiff beschäftigt seien, das nicht die Flagge eines Mitgliedstaats führe, schon dann angewendet worden, wenn der Arbeitgeber in den Niederlanden ansässig gewesen sei. |
16 |
Diese Politik habe zur Folge, dass Arbeitnehmer wie Herr Bakker von der Arbeitnehmerversicherung als Pflichtversicherte behandelt würden, obwohl sie nach den niederländischen Rechtsvorschriften nicht zu diesem Kreis der Versicherten gehörten. Diese Politik bilde aber keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Beiträgen für die Arbeitnehmerversicherungen. |
17 |
Der Umstand, dass der Betroffene in der Praxis vom zuständigen Träger zumindest für einen Teil der Sozialversicherungen in den Niederlanden als Versicherter betrachtet werde und damit tatsächlich sozialen Schutz durch die Versicherungen genieße, verstärke die Bindung an die Niederlande. Wenn hingegen bei der Beurteilung, wie eng die Anknüpfung an das Unionsgebiet sei, nicht von einer Zugehörigkeit zum System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats ausgegangen werden könne, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob diese Zugehörigkeit eine notwendige Voraussetzung sei, um die Verordnung Nr. 1408/71 auf Tätigkeiten außerhalb des Unionsgebiets anwenden zu können. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1986, van Roosmalen, 300/84, Slg. 1986, 3097, und Lopes da Veiga und Aldewereld) sei in diesem Punkt nicht eindeutig. |
18 |
Der Hoge Raad der Nederlanden sieht sich daher vor die Frage gestellt, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles eine hinreichend enge Anknüpfung an das Unionsgebiet bestehe. Falls Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar sei, nimmt das vorlegende Gericht an, dass dann die betreffende Person nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung den niederländischen Rechtsvorschriften unterliege. |
19 |
Vor diesem Hintergrund hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
|
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
20 |
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt. |
21 |
Während die niederländische Regierung und die Europäische Kommission meinen, dass diese Frage zu bejahen sei, ist Herr Bakker gegenteiliger Ansicht. |
22 |
Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich bestimmt, dass eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt. |
23 |
Demnach unterliegt eine Person in der Situation von Herrn Bakker in Anbetracht der Erwerbstätigkeit, die sie an Bord eines Schiffes ausübt, das unter niederländischer Flagge fährt, grundsätzlich den niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit. |
24 |
Herr Bakker hat jedoch zwei Argumente vorgetragen, die seiner Meinung nach gegen die Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 auf seine Situation sprechen. |
25 |
Erstens hat er in seinen schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, dass die Baggerschiffe, auf denen er seine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, nicht unter den Begriff „Schiff“ in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c fielen. |
26 |
Dieses Argument kann nicht durchgreifen, da diese Bestimmung keine Bedingung hinsichtlich der Art des „Schiffes“ vorschreibt. Außerdem ergibt sich aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, dass diese Baggerschiffe über ein Schiffszertifikat verfügten und im niederländischen Seeschiffsregister eingetragen waren. |
27 |
Zweitens hat Herr Bakker in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 auf seine Situation nicht anwendbar sei, weil die fraglichen Baggerschiffe vorwiegend in den Hoheitsgewässern Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate eingesetzt gewesen seien. Nach Art. 2 Abs. 1 des am 10. Dezember 1982 in Montego Bay (Jamaika) unterzeichneten Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, das am 16. November 1994 in Kraft getreten sei, vom Königreich der Niederlande am 28. Juni 1996 ratifiziert und mit dem Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 (ABl. L 179, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt worden sei, erstrecke sich die Souveränität eines Küstenstaats jenseits seines Landgebiets und seiner inneren Gewässer auf einen angrenzenden Meeresstreifen, der als Küstenmeer bezeichnet werde. Folglich fielen die auf den fraglichen Baggerschiffen ausgeführten Erwerbstätigkeiten unter die Gerichtsbarkeit des Küstenstaats und nicht unter die des Flaggenmitgliedstaats, also des Königreichs der Niederlande. |
28 |
Hierzu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der bloße Umstand, dass die Tätigkeiten eines Arbeitnehmers außerhalb des Gebiets der Union ausgeübt werden, nicht ausreicht, um die Anwendung der Unionsvorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auszuschließen, wenn das Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an das Gebiet der Union behält. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist eine solche Anknüpfung in dem vom vorlegenden Gericht bestätigten Umstand zu sehen, dass Herr Bakker eine Erwerbstätigkeit auf einem in den Niederlanden registrierten Schiff im Dienst eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile Lopes da Veiga, Randnr. 17, und Aldewereld, Randnr. 14). |
29 |
Außerdem erfordert es weder die Beachtung der Souveränität des Küstenstaats noch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dass einem Arbeitnehmer in der Situation von Herrn Bakker der Vorteil des Sozialversicherungsschutzes nach der Verordnung Nr. 1408/71 durch den Mitgliedstaat, unter dessen Flagge das Schiff fährt, genommen wird, wenn sich dieses Schiff in den Hoheitsgewässern eines anderen Staates als dieses Mitgliedstaats befindet. |
30 |
Daher greift das zweite Argument von Herrn Bakker nicht durch. |
31 |
Das vorlegende Gericht wiederum zweifelt an der Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71, da Herr Bakker nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung falle, weil er mangels Wohnsitzes in den Niederlanden nicht bei den dortigen allgemeinen Sozialversicherungen pflichtversichert sei. |
32 |
Hierzu ist festzustellen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 nur festlegen soll, welche nationalen Rechtsvorschriften auf Personen anzuwenden sind, die einer Beschäftigung an Bord eines Schiffes nachgehen, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt. Diese Bestimmung legt als solche nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muss. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen (vgl. Urteil vom 17. Januar 2012, Salemink, C-347/10, Randnr. 38). |
33 |
Auch wenn die Mitgliedstaaten weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, müssen sie dabei aber gleichwohl das Unionsrecht beachten. Insbesondere darf diese Ausgestaltung nicht bewirken, dass Personen, auf die nach der Verordnung Nr. 1408/71 die fraglichen Rechtsvorschriften anwendbar sind, vom Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschriften ausgeschlossen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Mai 1990, Kits van Heijningen, C-2/89, Slg. 1990, I-1755, Randnr. 20, sowie Salemink, Randnrn. 39 und 40). |
34 |
Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt ausdrücklich, dass eine Person, die einer Beschäftigung an Bord eines Schiffes nachgeht, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt. Diese Bestimmung würde nicht beachtet, wenn den in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c aufgeführten Personen die Wohnsitzvoraussetzung entgegengehalten werden könnte, die in den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für die Aufnahme in das Versicherungssystem vorgesehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Kits van Heijningen, Randnr. 21, und Salemink, Randnr. 41). |
35 |
Deshalb bewirkt Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71, dass den in dieser Bestimmung genannten Personen eine Vorschrift des anwendbaren nationalen Rechts nicht entgegengehalten werden kann, wonach sie nur dann zu dem nach diesem Recht vorgesehenen Versicherungssystem zugelassen sind, wenn sie einen Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Kits van Heijningen, Randnr. 22). |
36 |
Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass diese Betrachtungsweise in der Politik des Landelijk Instituut sociale verzekeringen, die Personen in der Situation von Herrn Bakker als Versicherte betrachtet, de facto umgesetzt wurde. |
37 |
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt. |
Zur zweiten Frage
38 |
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden. |
Kosten
39 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999, ist dahin auszulegen, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Europäischen Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.
Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache C-106/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 11. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2011, in dem Verfahren
M. J. Bakker
gegen
Minister van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Bakker, vertreten durch M. H. Menger und V. J. de Groot, belastingadviseurs,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und C. Schillemans als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Titel II der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. L 38, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Bakker und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär der Finanzen) über die Pflichtversicherung von Herrn Bakker bei den niederländischen Sozialversicherungen im Jahr 2004.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3. Nach Art. 1 Buchst. a Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 bezeichnet der Begriff „Arbeitnehmer“ jede Person, „die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist“.
4. In Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung heißt es:
„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind …“
5. Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71, der zu Titel II („Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“) gehört, sieht vor:
„(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:
…
c) eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates;
…“
Niederländisches Recht
6. Art. 6 der Algemene Ouderdomswet (Gesetz über die Allgemeine Altersversorgung) (Stb. 1956, Nr. 281) bestimmt:
„(1) Versichert nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ist, wer noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und
a) Gebietsansässiger ist;
b) kein Gebietsansässiger ist, jedoch wegen einer in den Niederlanden im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ausgeübten Beschäftigung der Lohnsteuer unterliegt.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
7. Im Jahr 2004 wohnte Herr Bakker, ein niederländischer Staatsangehöriger, in Spanien und war als Arbeitnehmer auf Baggerschiffen, die unter niederländischer Flagge fuhren, bei einem in Rotterdam (Niederlande) ansässigen Unternehmen beschäftigt. Er übte seine Tätigkeiten vorwiegend in den Hoheitsgewässern Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate aus. Die Baggerschiffe waren in das niederländische Seeschiffsregister eingeschrieben.
8. Herr Bakker focht die Festsetzung der von ihm für das Jahr 2004 in den Niederlanden zu entrichtenden Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge an. Da seine Klage gegen diese Festsetzung von der Rechtbank te Breda abgewiesen wurde, wandte er sich an den Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch, der das Urteil der ersten Instanz bestätigte.
9. Der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch war der Ansicht, dass Herr Bakker für das Jahr 2004 als bei den niederländischen Sozialversicherungen versichert angesehen werden könne, obwohl er seine Tätigkeiten außerhalb des Gebiets der Europäischen Union ausgeübt habe. Der Gerechtshof führte zur Begründung hierfür an, dass die niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit durch die Verordnung Nr. 1408/71 und insbesondere durch Titel II dieser Verordnung auf Herrn Bakker anwendbar seien. Er stellte u. a. fest, dass Herr Bakker seine Tätigkeiten im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung auf Seeschiffen ausgeübt habe, die unter niederländischer Flagge, also unter der Flagge eines Mitgliedstaats, führen. Der Umstand, dass diese Schiffe während der Baggertätigkeiten in Hoheitsgewässern außerhalb der Union vor Anker gelegen hätten, sei nicht maßgeblich, da Art. 13 Abs. 2 Buchst. c keine Beschränkung nach der Art des Schiffes oder nach dem Ort der Tätigkeiten vorsehe.
10. Der mit der Kassationsbeschwerde befasste Hoge Raad der Nederlanden ist hingegen der Meinung, dass berechtigte Zweifel bestünden, ob Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 im vorliegenden Fall anwendbar sei.
11. Seiner Ansicht nach hat der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch zu Recht festgestellt, dass der Betroffene bei Zugrundelegung allein des niederländischen innerstaatlichen Rechts im Jahr 2004 nicht bei den Sozialversicherungen pflichtversichert gewesen sei, weil er in diesem Jahr nicht in den Niederlanden gewohnt habe und dort auch nicht beschäftigt gewesen sei. Das vorlegende Gericht bezweifelt jedoch die Annahme – auf die sich der Gerechtshof te ’s-Hertogenbosch gestützt hat –, dass der Betroffene im Jahr 2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 gefallen sei, so dass Titel II dieser Verordnung auf seine Situation anwendbar gewesen sei.
12. In diesem Zusammenhang merkt das vorlegende Gericht an, dass die Definition des Arbeitnehmers in Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 erfordere, dass der Betroffene gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die dort beschrieben seien, pflichtversichert oder freiwillig versichert sei. Daher fragt es sich, ob es möglich sei, dass jemand in der Situation von Herrn Bakker, der bei Zugrundelegung allein der innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht pflichtversichert sei, weil er nicht in den Niederlanden wohne, dennoch die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 dadurch erlangen könne, dass die Vorschriften über die Bestimmung des anwendbaren Rechts in Titel II dieser Verordnung das Recht dieses Mitgliedstaats als anwendbar bezeichneten.
13. Der Hoge Raad der Nederlanden ist der Ansicht, dass diese Frage im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit der Vorschriften des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 zu bejahen sei.
14. Das vorlegende Gericht stellt sich aber die Frage, ob die Anwendbarkeit des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 daran scheitere, dass der Betroffene seine Tätigkeiten außerhalb des in Art. 299 EG bezeichneten Hoheitsgebiets verrichtet habe. Es zieht die Rechtsprechung des Gerichtshofs heran, wonach die unionsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auch auf Tätigkeiten anwendbar seien, die außerhalb des Gebiets der Union ausgeübt würden, wenn das Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an dieses Gebiet behalte (Urteil vom 29. Juni 1994, Aldewereld, C-60/93, Slg. 1994, I-2991, Randnr. 14). Das vorlegende Gericht erachtet auch das Urteil vom 27. September 1989, Lopes da Veiga (9/88, Slg. 1989, 2989, Randnr. 17), für maßgeblich, das ebenfalls Seeleute betroffen habe und in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass es darauf ankomme, ob das Arbeitsverhältnis des Betroffenen eine hinreichend enge Anknüpfung an das niederländische Hoheitsgebiet aufweise.
15. Im Jahr 2004 sei im Rahmen der vom Landelijk Instituut sociale verzekeringen (Landessozialversicherungsinstitut) im Bereich der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer verfolgten Politik der Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 auf Seeleute mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums, die in einem dieser Staaten wohnten und auf einem Schiff beschäftigt seien, das nicht die Flagge eines Mitgliedstaats führe, schon dann angewendet worden, wenn der Arbeitgeber in den Niederlanden ansässig gewesen sei.
16. Diese Politik habe zur Folge, dass Arbeitnehmer wie Herr Bakker von der Arbeitnehmerversicherung als Pflichtversicherte behandelt würden, obwohl sie nach den niederländischen Rechtsvorschriften nicht zu diesem Kreis der Versicherten gehörten. Diese Politik bilde aber keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Beiträgen für die Arbeitnehmerversicherungen.
17. Der Umstand, dass der Betroffene in der Praxis vom zuständigen Träger zumindest für einen Teil der Sozialversicherungen in den Niederlanden als Versicherter betrachtet werde und damit tatsächlich sozialen Schutz durch die Versicherungen genieße, verstärke die Bindung an die Niederlande. Wenn hingegen bei der Beurteilung, wie eng die Anknüpfung an das Unionsgebiet sei, nicht von einer Zugehörigkeit zum System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats ausgegangen werden könne, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob diese Zugehörigkeit eine notwendige Voraussetzung sei, um die Verordnung Nr. 1408/71 auf Tätigkeiten außerhalb des Unionsgebiets anwenden zu können. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1986, van Roosmalen, 300/84, Slg. 1986, 3097, und Lopes da Veiga und Aldewereld) sei in diesem Punkt nicht eindeutig.
18. Der Hoge Raad der Nederlanden sieht sich daher vor die Frage gestellt, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles eine hinreichend enge Anknüpfung an das Unionsgebiet bestehe. Falls Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar sei, nimmt das vorlegende Gericht an, dass dann die betreffende Person nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung den niederländischen Rechtsvorschriften unterliege.
19. Vor diesem Hintergrund hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Zuweisungsregeln des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Folge anwendbar, dass die niederländischen Rechtsvorschriften als anwendbar bestimmt werden und demzufolge Beiträge für die niederländischen Sozialversicherungen in einem Fall wie dem vorliegenden erhoben werden können, in dem ein in Spanien wohnender Arbeitnehmer mit niederländischer Staatsangehörigkeit als Seemann im Dienst eines in den Niederlanden ansässigen Arbeitgebers tätig ist und seine Arbeit an Bord von Baggerschiffen verrichtet, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Union unter niederländischer Flagge fahren, obwohl er bei Zugrundelegung allein der niederländischen innerstaatlichen Rechtsvorschriften als Folge des Umstands, dass er nicht in den Niederlanden wohnt, nicht dem niederländischen System der sozialen Sicherheit angehört?
2. Inwieweit ist hierbei von Belang, dass bei der Durchführung der niederländischen Sozialversicherungen eine Politik verfolgt wird, nach der Seeleute in einem Fall wie dem vorliegenden vom zuständigen Träger unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht als Versicherte betrachtet werden?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
20. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt.
21. Während die niederländische Regierung und die Europäische Kommission meinen, dass diese Frage zu bejahen sei, ist Herr Bakker gegenteiliger Ansicht.
22. Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich bestimmt, dass eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt.
23. Demnach unterliegt eine Person in der Situation von Herrn Bakker in Anbetracht der Erwerbstätigkeit, die sie an Bord eines Schiffes ausübt, das unter niederländischer Flagge fährt, grundsätzlich den niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit.
24. Herr Bakker hat jedoch zwei Argumente vorgetragen, die seiner Meinung nach gegen die Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 auf seine Situation sprechen.
25. Erstens hat er in seinen schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, dass die Baggerschiffe, auf denen er seine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, nicht unter den Begriff „Schiff“ in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c fielen.
26. Dieses Argument kann nicht durchgreifen, da diese Bestimmung keine Bedingung hinsichtlich der Art des „Schiffes“ vorschreibt. Außerdem ergibt sich aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, dass diese Baggerschiffe über ein Schiffszertifikat verfügten und im niederländischen Seeschiffsregister eingetragen waren.
27. Zweitens hat Herr Bakker in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 auf seine Situation nicht anwendbar sei, weil die fraglichen Baggerschiffe vorwiegend in den Hoheitsgewässern Chinas und der Vereinigten Arabischen Emirate eingesetzt gewesen seien. Nach Art. 2 Abs. 1 des am 10. Dezember 1982 in Montego Bay (Jamaika) unterzeichneten Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, das am 16. November 1994 in Kraft getreten sei, vom Königreich der Niederlande am 28. Juni 1996 ratifiziert und mit dem Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 (ABl. L 179, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt worden sei, erstrecke sich die Souveränität eines Küstenstaats jenseits seines Landgebiets und seiner inneren Gewässer auf einen angrenzenden Meeresstreifen, der als Küstenmeer bezeichnet werde. Folglich fielen die auf den fraglichen Baggerschiffen ausgeführten Erwerbstätigkeiten unter die Gerichtsbarkeit des Küstenstaats und nicht unter die des Flaggenmitgliedstaats, also des Königreichs der Niederlande.
28. Hierzu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der bloße Umstand, dass die Tätigkeiten eines Arbeitnehmers außerhalb des Gebiets der Union ausgeübt werden, nicht ausreicht, um die Anwendung der Unionsvorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auszuschließen, wenn das Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an das Gebiet der Union behält. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist eine solche Anknüpfung in dem vom vorlegenden Gericht bestätigten Umstand zu sehen, dass Herr Bakker eine Erwerbstätigkeit auf einem in den Niederlanden registrierten Schiff im Dienst eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile Lopes da Veiga, Randnr. 17, und Aldewereld, Randnr. 14).
29. Außerdem erfordert es weder die Beachtung der Souveränität des Küstenstaats noch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dass einem Arbeitnehmer in der Situation von Herrn Bakker der Vorteil des Sozialversicherungsschutzes nach der Verordnung Nr. 1408/71 durch den Mitgliedstaat, unter dessen Flagge das Schiff fährt, genommen wird, wenn sich dieses Schiff in den Hoheitsgewässern eines anderen Staates als dieses Mitgliedstaats befindet.
30. Daher greift das zweite Argument von Herrn Bakker nicht durch.
31. Das vorlegende Gericht wiederum zweifelt an der Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71, da Herr Bakker nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung falle, weil er mangels Wohnsitzes in den Niederlanden nicht bei den dortigen allgemeinen Sozialversicherungen pflichtversichert sei.
32. Hierzu ist festzustellen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 nur festlegen soll, welche nationalen Rechtsvorschriften auf Personen anzuwenden sind, die einer Beschäftigung an Bord eines Schiffes nachgehen, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt. Diese Bestimmung legt als solche nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muss. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen (vgl. Urteil vom 17. Januar 2012, Salemink, C-347/10, Randnr. 38).
33. Auch wenn die Mitgliedstaaten weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, müssen sie dabei aber gleichwohl das Unionsrecht beachten. Insbesondere darf diese Ausgestaltung nicht bewirken, dass Personen, auf die nach der Verordnung Nr. 1408/71 die fraglichen Rechtsvorschriften anwendbar sind, vom Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschriften ausgeschlossen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Mai 1990, Kits van Heijningen, C-2/89, Slg. 1990, I-1755, Randnr. 20, sowie Salemink, Randnrn. 39 und 40).
34. Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt ausdrücklich, dass eine Person, die einer Beschäftigung an Bord eines Schiffes nachgeht, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt. Diese Bestimmung würde nicht beachtet, wenn den in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c aufgeführten Personen die Wohnsitzvoraussetzung entgegengehalten werden könnte, die in den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für die Aufnahme in das Versicherungssystem vorgesehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Kits van Heijningen, Randnr. 21, und Salemink, Randnr. 41).
35. Deshalb bewirkt Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71, dass den in dieser Bestimmung genannten Personen eine Vorschrift des anwendbaren nationalen Rechts nicht entgegengehalten werden kann, wonach sie nur dann zu dem nach diesem Recht vorgesehenen Versicherungssystem zugelassen sind, wenn sie einen Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Kits van Heijningen, Randnr. 22).
36. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass diese Betrachtungsweise in der Politik des Landelijk Instituut sociale verzekeringen, die Personen in der Situation von Herrn Bakker als Versicherte betrachtet, de facto umgesetzt wurde.
37. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt.
Zur zweiten Frage
38. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
39. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999, ist dahin auszulegen, dass er einer gesetzlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegensteht, die eine in einer Situation wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindliche Person, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, aber nicht in diesem wohnt, auf einem Baggerschiff beschäftigt ist, das unter der Flagge dieses Mitgliedstaats fährt, und ihre Tätigkeiten außerhalb des Hoheitsgebiets der Europäischen Union verrichtet, vom Anschluss an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats ausschließt.