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Document 62011CJ0056

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 15. November 2012.
    Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G. gegen Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH.
    Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf.
    Gemeinschaftlicher Sortenschutz – Verordnung (EG) Nr. 2100/94 – Aufbereitung – Auskunftspflicht des Aufbereiters gegenüber dem Sortenschutzinhaber – Vorgaben hinsichtlich Zeitpunkt und Inhalt des Auskunftsverlangens.
    Rechtssache C‑56/11.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:713

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

    15. November 2012 ( *1 )

    „Gemeinschaftlicher Sortenschutz — Verordnung (EG) Nr. 2100/94 — Aufbereitung — Auskunftspflicht des Aufbereiters gegenüber dem Sortenschutzinhaber — Vorgaben hinsichtlich Zeitpunkt und Inhalt des Auskunftsverlangens“

    In der Rechtssache C-56/11

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. Januar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2011, in dem Verfahren

    Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G.

    gegen

    Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Richters A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel sowie der Richterin M. Berger,

    Generalanwalt: N. Jääskinen,

    Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2012,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G., vertreten durch die Rechtsanwälte C. Bittner und F. Eckard,

    der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte K. von Gierke und J. Forkel,

    der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Schima, M. Vollkommer, F. Wilman und I. Galindo Martin als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Juni 2012

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) und von Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 (ABl. L 173, S. 14) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 (ABl. L 328, S. 6) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1768/95).

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Raffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G. (im Folgenden: RWZ) und der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV) über das von dieser an RWZ gerichtete Auskunftsverlangen betreffend die Wirtschaftsjahre für zertifiziertes Saatgut 2005/06 und 2006/07.

    Rechtlicher Rahmen

    Verordnung Nr. 2100/94

    3

    Nach Art. 11 der Verordnung Nr. 2100/94 steht das Recht auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz dem „Züchter“ zu, also der „Person …, die die Sorte hervorgebracht oder entdeckt und entwickelt hat bzw. ihrem Rechtsnachfolger“.

    4

    Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen“) dieser Verordnung bestimmt:

    „(1)   Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im folgenden ‚Inhaber‘ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.

    (2)   Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte … der Zustimmung des Inhabers:

    a)

    Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung),

    Der Inhaber kann seine Zustimmung von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.

    …“

    5

    Art. 14 („Abweichung vom gemeinschaftlichen Sortenschutz“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

    „Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 2 können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf.“

    6

    Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 sieht vor:

    „Die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts werden vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einer Durchführungsordnung gemäß Artikel 114 nach Maßgabe folgender Kriterien festgelegt:

    Kleinlandwirte sind nicht zu Entschädigungszahlungen an den Inhaber des Sortenschutzes verpflichtet. …

    andere Landwirte sind verpflichtet, dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird; die tatsächliche Höhe dieser angemessenen Entschädigung kann im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen, wobei berücksichtigt wird, inwieweit von der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 in Bezug auf die betreffende Sorte Gebrauch gemacht wird;

    die Landwirte sowie die Erbringer vorbereitender Dienstleistungen übermitteln den Inhabern des Sortenschutzes auf Antrag relevante Informationen; …“

    Verordnung Nr. 1768/95

    7

    Art. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 lautet:

    „(1)   Die in Artikel 1 genannten Bedingungen sind von dem Sortenschutzinhaber, der insoweit den Züchter vertritt, und von dem Landwirt so umzusetzen, dass die legitimen Interessen des jeweils anderen gewahrt bleiben.

    (2)   Die legitimen Interessen sind dann als nicht gewahrt anzusehen, wenn eines oder mehrere Interessen verletzt werden, ohne dass der Notwendigkeit eines vernünftigen Interessenausgleichs oder der Verhältnismäßigkeit der effektiven Umsetzung der Bedingung gegenüber ihrem Zweck Rechnung getragen wurde.“

    8

    Art. 5 dieser Verordnung, der die dem Sortenschutzinhaber geschuldete Entschädigung regelt, bestimmt:

    „(1)   Die Höhe der dem Sortenschutzinhaber zu zahlenden angemessenen Entschädigung gemäß Artikel 14 Absatz 3 vierter Gedankenstrich der [Verordnung Nr. 2100/94] kann zwischen dem Betriebsinhaber und dem betreffenden Landwirt vertraglich vereinbart werden.

    (2)   Wurde ein solcher Vertrag nicht geschlossen oder ist ein solcher nicht anwendbar, so muss der Entschädigungsbetrag deutlich niedriger sein als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz derselben Sorte der untersten zur amtlichen Zertifizierung zugelassenen Kategorie verlangt wird.

    (5)   Liegt im Falle von Absatz 2 keine Vereinbarung im Sinne von Absatz 4 vor, so beläuft sich die Entschädigung auf 50 % des Betrags, der für die Erzeugung des Vermehrungsmaterials in Lizenz gemäß Absatz 2 verlangt wird.

    …“

    9

    Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1768/95 sieht zur Überwachung der Erfüllung der Pflichten des Landwirts durch den Inhaber vor:

    „Damit der Sortenschutzinhaber überwachen kann, ob die Bestimmungen des Artikels 14 der [Verordnung Nr. 2100/94] nach Maßgabe dieser Verordnung erfüllt sind, soweit es sich um die Erfüllung der Pflichten des betreffenden Landwirts handelt, muss dieser Landwirt auf Verlangen des Sortenschutzinhabers

    a)

    Nachweise für die von ihm übermittelten Aufstellungen von Informationen gemäß Artikel 8 erbringen, so durch Vorlage der verfügbaren einschlägigen Unterlagen, wie Rechnungen, verwendete Etiketten oder andere geeignete Belege, wie sie gemäß Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich verlangt werden, und die sich beziehen sollen

    auf die Erbringung von Dienstleistungen zwecks der Aufbereitung des Ernteerzeugnisses einer dem Sortenschutzinhaber gehörenden Sorte durch Dritte oder

    im Falle des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe e auf die Belieferung mit Vermehrungsmaterial einer dem Sortenschutzinhaber gehörenden Sorte

    oder durch den Nachweis von Anbauflächen oder Lagerungseinrichtungen;

    b)

    den gemäß Artikel 4 Absatz 3 oder gemäß Artikel 7 Absatz 5 vorgeschriebenen Nachweis.“

    10

    Art. 8 („Information durch den Landwirt“) der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmt in den Abs. 3 und 4:

    „(3)   Die Angaben gemäß Absatz 2 Buchstaben b, c, d und e beziehen sich auf das laufende Wirtschaftsjahr sowie auf ein oder mehrere der drei vorangehenden Wirtschaftsjahre, für die der Landwirt auf ein Auskunftsersuchen hin, das der Sortenschutzinhaber gemäß den Bestimmungen der Absätze 4 oder 5 gemacht hatte, nicht bereits früher relevante Informationen übermittelt hatte.

    Jedoch soll es sich bei dem ersten Wirtschaftsjahr, auf das sich die Information beziehen soll, um das Jahr handeln, in dem entweder erstmals ein Auskunftsersuchen zu der betreffenden Sorte gestellt und an den betreffenden Landwirt gerichtet wurde, oder alternativ in dem Jahr, in dem der Landwirt Vermehrungsmaterial der betroffenen Sorte oder Sorten erwarb, wenn beim Erwerb eine Unterrichtung zumindest darüber erfolgte, dass ein Antrag auf Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz gestellt oder ein solcher Schutz erteilt wurde, sowie über die Bedingungen der Verwendung dieses Vermehrungsmaterials.

    (4)   Der Sortenschutzinhaber nennt in seinem Auskunftsersuchen seinen Namen und seine Anschrift, den Namen der Sorte, zu der er Informationen anfordert, und nimmt Bezug auf das betreffende Sortenschutzrecht.

    Auf Verlangen des Landwirts ist das Ersuchen schriftlich zu stellen und die Sortenschutzinhaberschaft nachzuweisen. Unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 5 wird das Ersuchen direkt bei dem betreffenden Landwirt gestellt.“

    11

    Art. 9 („Information durch den Aufbereiter“) dieser Verordnung lautet:

    „(1)   Die Einzelheiten zu den einschlägigen Informationen, die der Aufbereiter dem Sortenschutzinhaber gemäß Artikel 14 Absatz 3 Unterabsatz 6 der [Verordnung Nr. 2100/94] übermitteln muss, können zwischen dem Sortenschutzinhaber und dem betreffenden Aufbereiter vertraglich geregelt werden.

    (2)   Wurde ein solcher Vertrag nicht geschlossen oder ist ein solcher nicht anwendbar, so muss der Aufbereiter auf Verlangen des Sortenschutzinhabers unbeschadet der Auskunftspflicht nach Maßgabe anderer Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten eine Aufstellung der relevanten Informationen übermitteln. Als relevante Informationen gelten folgende Auskünfte:

    a)

    Name des Aufbereiters, Wohnsitz und Anschrift seines Betriebs,

    b)

    Aufbereitung des Ernteguts einer oder mehrerer dem Sortenschutzinhaber gehörenden Sorten durch den Aufbereiter zum Zwecke des Anbaus, sofern die betreffende Sorte dem Aufbereiter angegeben wurde oder auf andere Weise bekannt war,

    c)

    im Falle der Übernahme dieser Aufbereitung, Angabe der Menge des zum Anbau aufbereiteten Ernteguts der betreffenden Sorte und der aufbereiteten Gesamtmenge,

    d)

    Zeitpunkt und Ort der Aufbereitung gemäß Buchstabe c und

    e)

    Name und Anschrift desjenigen, für den die Aufbereitung gemäß Buchstabe c übernommen wurde mit Angabe der betreffenden Mengen.

    (3)   Die Angaben gemäß Absatz 2 Buchstaben b, c, d und e beziehen sich auf das laufende Wirtschaftsjahr sowie auf ein oder mehrere der drei vorangehenden Wirtschaftsjahre, für die der Sortenschutzinhaber nicht bereits ein früheres Auskunftsersuchen gemäß den Bestimmungen der Absätze 4 oder 5 angefordert hat. Jedoch soll es sich bei dem ersten Jahr, auf das sich die Information beziehen soll, um das Jahr handeln, in dem erstmals ein Auskunftsersuchen zu der betreffenden Sorte und dem betreffenden Aufbereiter gestellt wurde.

    (4)   Die Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 4 gelten sinngemäß.

    …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    12

    RWZ ist eine landwirtschaftliche Zentralgenossenschaft, die den Landwirten die Aufbereitung von Saatgut anbietet, bei der das Ernteerzeugnis für seine Lagerung und seinen künftigen Anbau aufbereitet wird.

    13

    Diese Dienstleistung richtet sich zum einen an die u. a. durch STV vertretenen Sortenschutzinhaber, die das zertifizierte Saatgut im Rahmen des Vertragsanbaus im Hinblick auf sein Inverkehrbringen vermehren ließen.

    14

    Zum anderen richtet sich diese Dienstleistung an Landwirte, die den Anbau von Saatgut nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 durchführen.

    15

    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass RWZ im Rahmen des Vertragsanbaus für die von STV vertretenen Sortenschutzinhaber in den Wirtschaftsjahren 2005/06 und 2006/07 Aufbereitungen für verschiedene Landwirte durchführte.

    16

    Auf der Grundlage der Vertragsanbauerklärungen, die STV von den betreffenden Landwirten übermittelt wurden, übersandte sie RWZ zwei Serien von Ersuchen um Auskunft über von RWZ vorgenommene Aufbereitungshandlungen:

    mit Schreiben vom 30. Juni 2006, 7. August 2006, 15. September 2006 und 30. April 2007 betreffend das Wirtschaftsjahr 2005/06 und

    mit Schreiben vom 25. und 29. Juni 2007, 23. November 2007 und 29. Mai 2008 betreffend das Wirtschaftsjahr 2006/07.

    17

    Diesen Ersuchen, die auf Auskunft darüber gerichtet waren, ob RWZ die fraglichen geschützten Sorten aufbereitet hatte, wer jeweils die Auftraggeber waren und welche Mengen aufbereitet wurden, waren Übersichten beigefügt, die neben der geschützten Sorte und dem betroffenen Wirtschaftsjahr, Namen und Anschrift des den Nachbau betreibenden Landwirts verzeichneten, aber keine Kopien der Anbauerklärungen und auch keine anderen Belege enthielten.

    18

    RWZ kam diesen Ersuchen nicht nach und führte dafür drei Gründe an. Erstens müsse ein Auskunftsersuchen Anhaltspunkte dafür enthalten, dass sie nach Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 auskunftspflichtige Aufbereitungshandlungen vorgenommen habe. Zweitens seien rechtlich nur Auskunftsersuchen von Belang, die innerhalb des Wirtschaftsjahrs gestellt würden, auf das sich die verlangte Auskunft beziehe. Drittens könnten aus Aufbereitungshandlungen, die im Rahmen eines Vertragsanbaus für den Sortenschutzinhaber stattfänden, keine Anhaltspunkte für einen möglichen Nachbau hergeleitet werden.

    19

    STV obsiegte mit ihrer Klage gegen RWZ vor dem erstinstanzlichen Gericht, das der Auffassung war, dass für Auskunftsersuchen keine Ausschlussfrist gelte und die Vertragsanbauerklärungen ausreichende Anhaltspunkte für die Begründung der Auskunftspflicht des Aufbereiters darstellten, da der Landwirt, der einen Anbau aufgrund eines Vermehrungsvertrags durchführe, über die konkrete Möglichkeit zu einem Nachbau verfüge. RWZ legte gegen dieses Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein.

    20

    Das Oberlandesgericht Düsseldorf, das sich nicht sicher ist, wie Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 und Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1768/95 auszulegen sind, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Wird die in Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 und in Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1768/95 geregelte Auskunftspflicht des Aufbereiters nur begründet, wenn das Auskunftsverlangen des Sortenschutzinhabers vor Ablauf des von dem Ersuchen betroffenen (bei mehreren: letzten) Wirtschaftsjahrs beim Aufbereiter zugeht?

    2.

    Falls die Frage zu 1. bejaht wird:

    Liegt ein „fristwahrendes“ Auskunftsverlangen schon dann vor, wenn der Sortenschutzinhaber in seinem Ersuchen behauptet, über Anhaltspunkte dafür zu verfügen, dass der Aufbereiter Erntegut, welches ein im Verlangen namentlich bezeichneter Landwirt durch Anbau von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte gewonnen hat, zum Zwecke des Nachbaus aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt, oder sind dem Aufbereiter darüber hinaus die behaupteten Anhaltspunkte (z. B. durch Übersendung einer Kopie der Nachbauerklärung des Landwirts) im Auskunftsersuchen nachzuweisen?

    3.

    Können sich Anhaltspunkte, die die Auskunftspflicht des Aufbereiters begründen, daraus ergeben, dass der Aufbereiter als Beauftragter des Sortenschutzinhabers einen Vermehrungsvertrag zur Erzeugung von Verbrauchssaatgut der geschützten Sorte abwickelt, den der Sortenschutzinhaber mit einem die Vermehrung durchführenden Landwirt abgeschlossen hat, wenn und weil der Landwirt im Rahmen der Durchführung des Vermehrungsvertrags faktisch die Möglichkeit erhält, einen Teil des Vermehrungssaatguts zu Nachbauzwecken zu verwenden?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten Frage

    21

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 dahin auszulegen ist, dass die Auskunftspflicht eines Aufbereiters bezüglich geschützter Sorten erloschen ist, wenn das Auskunftsersuchen des Inhabers dieser Sorten nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs bei ihm eingeht, auf das sich das Ersuchen bezieht.

    22

    Wie sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 ergibt, ist der Aufbereiter verpflichtet, die Angaben gemäß Abs. 2 Buchst. b, c, d und e dieses Artikels zu erteilen, sofern sich diese Angaben auf das Wirtschaftsjahr beziehen, in dem das Ersuchen gestellt wurde.

    23

    Demnach ist der Aufbereiter grundsätzlich nicht auskunftspflichtig, wenn ein Ersuchen, das sich auf ein bestimmtes Wirtschaftsjahr bezieht, nach dessen Abschluss bei ihm eingeht.

    24

    Nach Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 können sich die verlangten Angaben jedoch auch auf eines oder mehrere der vorangehenden Wirtschaftsjahre beziehen, für die der Sortenschutzinhaber nicht bereits ein Ersuchen gestellt hat. Insoweit heißt es in dieser Bestimmung, dass es sich bei dem ersten Jahr, auf das sich die Information beziehen soll, um das Jahr handeln soll, in dem erstmals ein Auskunftsersuchen zu der betreffenden Sorte und dem betreffenden Aufbereiter gestellt wurde.

    25

    Es ergibt sich folglich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung, dass der Sortenschutzinhaber ein Auskunftsersuchen an den Aufbereiter richten kann, das sich auf ein oder mehrere dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehende Wirtschaftsjahre bezieht, sofern er im ersten dieser vorangehenden Wirtschaftsjahre erstmals ein Auskunftsersuchen zu der betreffenden Sorte und dem betreffenden Aufbereiter gestellt hat.

    26

    Für diese Auslegung spricht auch das Ziel der Verordnung Nr. 1768/95, mit der nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 die legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts gewahrt werden sollen. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 stellt nämlich klar, dass zu deren Wahrung ein vernünftiger Interessenausgleich notwendig ist.

    27

    In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 in seiner französischen Sprachfassung im Unterschied zu zahlreichen anderen Sprachfassungen die Möglichkeit, Auskunft zu verlangen, nicht auf die dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehenden drei Wirtschaftsjahre beschränkt.

    28

    Es widerspräche aber, entgegen dem Vorbringen von STV, zum einen dem in Randnr. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Ziel der Verordnung Nr. 1768/95, wenn die dem Aufbereiter obliegende Auskunftspflicht keiner zeitlichen Beschränkung unterläge.

    29

    Zum anderen beschränkt Art. 8 Abs. 3 dieser Verordnung, der die Auskunftspflicht des Landwirts anordnet, die Möglichkeit für den Pflanzenzüchter, Informationen zu verlangen, ausdrücklich auf diejenigen Informationen, die sich höchstens auf die drei dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehenden Wirtschaftsjahre beziehen. Da die Auskunftspflicht des Landwirts mit der dem Aufbereiter obliegenden Auskunftspflicht praktisch identisch ist, besteht kein Grund, bei den Zeiträumen, die die Auskunftsersuchen der Sortenschutzinhaber erfassen können, nach den Adressaten der Ersuchen zu unterscheiden.

    30

    Mit Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 in dieser Auslegung lassen sich die beiderseitigen Interessen am besten wahren, da zum einen die Pflanzenzüchter bei der Stellung ihrer Auskunftsersuchen über eine gewisse Flexibilität verfügen und zum anderen die Aufbereiter die verlangten Informationen nur für eine beschränkte Zeit aufbewahren müssen, und zwar nach einer entsprechenden Vorankündigung.

    31

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass STV zwei Serien von Auskunftsersuchen an RWZ zum Wirtschaftsjahr 2005/06 – mit Schreiben vom 30. Juni, 7. August und 15. September 2006 sowie vom 30. April 2007 – und zum Wirtschaftsjahr 2006/07 – mit Schreiben vom 25. und 29. Juni 2007, 23. November 2007 und 29. Mai 2008 – gerichtet hat.

    32

    Da das Wirtschaftsjahr nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 am 1. Juli beginnt und am 30. Juni des Kalenderjahrs endet und sich anhand der Angaben in der Vorlageentscheidung nicht feststellen lässt, für welche geschützten Sorten STV die Ersuchen gestellt hat und ob es sich um die ersten Ersuchen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung handelt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, welche dieser Ersuchen fristgemäß gestellt wurden.

    33

    Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1768/95 dahin auszulegen ist, dass die Auskunftspflicht eines Aufbereiters bezüglich geschützter Sorten besteht, wenn sich das auf ein bestimmtes Wirtschaftsjahr beziehende Auskunftsersuchen vor dem Ablauf dieses Wirtschaftsjahrs gestellt wurde. Jedoch kann eine Auskunftspflicht auch hinsichtlich der Informationen bestehen, die sich auf die bis zu drei Wirtschaftsjahre beziehen, die dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehen, sofern der Sortenschutzinhaber im ersten der von dem Auskunftsersuchen betroffenen vorangehenden Wirtschaftsjahre erstmals ein Ersuchen zu denselben Sorten an denselben Aufbereiter gerichtet hat.

    Zur zweiten und zur dritten Frage

    34

    Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1768/95 zum einen dahin auszulegen sind, dass der Umstand, dass ein Landwirt eine geschützte Sorte für den Sortenschutzinhaber im Vertragsanbau nachgebaut hat, einen Anhaltspunkt darstellt, der die Auskunftspflicht begründet, die dem Aufbereiter obliegt, der Verbrauchssaatgut dieser Sorte aufbereitet hat, und zum anderen dahin, dass der Sortenschutzinhaber in seinem Auskunftsersuchen die Anhaltspunkte, mit denen er seinen Auskunftsanspruch begründet, nachweisen muss.

    35

    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1768/95, in dem die formalen Anforderungen festgelegt sind, denen ein Auskunftsersuchen des Sortenschutzinhaber an den Aufbereiter genügen muss, keineswegs verlangt, dass dem Ersuchen die Belege für die angeführten Anhaltspunkte beigefügt sind. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 1 dieser Verordnung sieht sogar vor, dass ein Auskunftsersuchen mündlich gestellt werden kann.

    36

    Was die Fälle des Vertragsanbaus betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Erwerb von Vermehrungsmaterial einer dem Sortenschutzinhaber gehörenden geschützten Pflanzensorte durch einen Landwirt als ein Anhaltspunkt zu betrachten ist, der die Auskunftspflicht dieses Landwirts gegenüber dem Sortenschutzinhaber begründen kann (vgl. Urteil vom 10. April 2003, Schulin, C-305/00, Slg. 2003, I-3525, Randnr. 65).

    37

    Dass ein Landwirt eine geschützte Sorte für den Sortenschutzinhaber im Vertragsanbau nachgebaut hat, stellt nämlich einen Hinweis darauf dar, dass er über Saatgut der geschützten Sorte verfügt, für deren Anbau er sich möglicherweise auf das Privileg des Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 berufen möchte.

    38

    Dieser Umstand allein kann jedoch nicht ohne Weiteres zu einem Auskunftsanspruch des Sortenschutzinhabers gegenüber dem Aufbereiter führen.

    39

    Nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 besteht ein solcher Anspruch zwar, wenn sich ein Landwirt auf das ihm durch diesen Artikel eingeräumte Privileg berufen hat oder berufen will, doch hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Anspruch dem Aufbereiter gegenüber nur dann besteht, wenn der Sortenschutzinhaber über einen Anhaltspunkt dafür verfügt, dass der Aufbereiter das durch Anbau von Vermehrungsgut der geschützten Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zum Zweck des Anbaus aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2004, Brangewitz, C-336/02, Slg. 2004, I-9801, Randnr. 53).

    40

    In diesem Zusammenhang kann die Tatsache, dass ein Landwirt eine geschützte Sorte im Vertragsanbau nachbaut, für sich allein keinen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass ein Aufbereiter das durch Anbau von Vermehrungsgut dieser Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zu Nachbauzwecken aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt.

    41

    Unter den Umständen des vorliegenden Falles könnte es sich dabei höchstens um einen von mehreren Faktoren handeln, die den Schluss zulassen, dass ein solcher Anhaltspunkt vorliegt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Sachverhalt zu würdigen, um festzustellen, ob dies im Ausgangsrechtsstreit der Fall ist.

    42

    Auf die zweite und die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1768/95 dahin auszulegen ist, dass das Auskunftsersuchen des Inhabers einer geschützten Sorte an einen Aufbereiter nicht die Nachweise für die darin geltend gemachten Anhaltspunkte enthalten muss. Ferner kann die Tatsache, dass ein Landwirt eine geschützte Sorte im Vertragsanbau nachbaut, für sich allein keinen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass ein Aufbereiter das durch Anbau von Vermehrungsgut dieser Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zu Nachbauzwecken aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt. Jedoch kann diese Tatsache je nach den sonstigen Umständen des Falles den Schluss zulassen, dass ein solcher Anhaltspunkt vorliegt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit ist.

    Kosten

    43

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 9 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Auskunftspflicht eines Aufbereiters bezüglich geschützter Sorten besteht, wenn sich das auf ein bestimmtes Wirtschaftsjahr beziehende Auskunftsersuchen vor dem Ablauf dieses Wirtschaftsjahrs gestellt wurde. Jedoch kann eine Auskunftspflicht auch hinsichtlich der Informationen bestehen, die sich auf die bis zu drei Wirtschaftsjahre beziehen, die dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehen, sofern der Sortenschutzinhaber im ersten der von dem Auskunftsersuchen betroffenen vorangehenden Wirtschaftsjahre erstmals ein Ersuchen zu denselben Sorten an denselben Aufbereiter gerichtet hat.

     

    2.

    Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in Verbindung mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1768/95 in der durch die Verordnung Nr. 2605/98 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Auskunftsersuchen des Sortenschutzinhabers an einen Aufbereiter nicht die Nachweise für die darin geltend gemachten Anhaltspunkte enthalten muss. Ferner kann die Tatsache, dass ein Landwirt eine geschützte Sorte im Vertragsanbau nachbaut, für sich allein keinen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass ein Aufbereiter das durch Anbau von Vermehrungsgut dieser Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zu Nachbauzwecken aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt. Jedoch kann diese Tatsache je nach den sonstigen Umständen des Falles den Schluss zulassen, dass ein solcher Anhaltspunkt vorliegt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit ist.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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