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Document 62011CJ0034

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 15. November 2012.
    Europäische Kommission gegen Portugiesische Republik.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Kontrolle der Umweltbelastung – Grenzwerte für die PM10-Konzentrationen in der Luft.
    Rechtssache C‑34/11.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:712

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

    15. November 2012 ( *1 )

    „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Kontrolle der Umweltbelastung — Grenzwerte für die PM10-Konzentrationen in der Luft“

    In der Rechtssache C-34/11

    betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 21. Januar 2011,

    Europäische Kommission, vertreten durch P. Guerra e Andrade, A. Alcover San Pedro und S. Petrova als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Klägerin,

    gegen

    Portugiesische Republik, vertreten durch L. Inez Fernandes und M. J. Lois als Bevollmächtigte,

    Beklagte,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E. Levits und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

    Generalanwältin: E. Sharpston,

    Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2012,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152, S. 1) verstoßen hat, dass sie nicht sichergestellt hat, dass in Bezug auf die Gebiete und Ballungsräume Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul die Konzentration von PM10 in der Luft die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzwerte nicht überschreitet.

    Rechtlicher Rahmen

    Richtlinie 96/62/EG

    2

    Nach Art. 11 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Jahresberichte über die Einhaltung der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte vorzulegen.

    Richtlinie 1999/30/EG

    3

    In Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41) heißt es:

    „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten PM10-Konzentrationen in der Luft die Grenzwerte des Anhangs III Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

    …“

    4

    Werden diese Grenzwerte durch PM10-Konzentrationen in der Luft infolge von Naturereignissen überschritten, die den normalen, durch natürliche Quellen bedingten Hintergrundwert signifikant überschreiten, hat der betreffende Mitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 4 dieser Richtlinie die Kommission darüber unter Beibringung des erforderlichen Nachweises zu unterrichten.

    5

    In Anhang III der Richtlinie sind zwei Arten von Grenzwerten für PM10-Partikel festgelegt, wobei zwei Stufen unterschieden werden, die wiederum in zwei Zeiträume unterteilt sind. Für die Zeiträume der Stufe 1 – vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2009 – sind dies zum einen der 24-Stunden-Grenzwert von 50 μg/m3, der nicht öfter als 35-mal im Jahr überschritten werden darf, und zum anderen der Jahresgrenzwert von 40 μg/m3, der nicht überschritten werden darf. Für die Zeiträume der Stufe 2 – ab dem 1. Januar 2010 – beträgt der 24-Stunden-Grenzwert, der nicht öfter als 7-mal im Jahr überschritten werden darf, 50 μg/m3 und der Jahresgrenzwert 20 μg/m3.

    6

    Für die Zwecke der in Art. 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Beurteilung ist zwischen „Gebiet“ und „Ballungsraum“ zu unterscheiden.

    7

    Nach Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 1999/30 bezeichnet der Ausdruck Gebiet „einen von den Mitgliedstaaten abgegrenzten Teil ihres Hoheitsgebiets“.

    8

    In Art. 2 Nr. 9 dieser Richtlinie wird der Ausdruck Ballungsraum als „ein Gebiet mit mehr als 250000 Einwohnern oder, falls 250000 oder weniger Einwohner in dem Gebiet wohnen, einer Bevölkerungsdichte pro km2, die nach Auffassung der Mitgliedstaaten die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität rechtfertigt“ definiert.

    Richtlinie 2008/50

    9

    Die am 11. Juni 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/50 stellt eine Kodifikation von fünf Gesetzgebungsakten im Bereich der Kontrolle und Beurteilung der Luftqualität, u. a. der Richtlinien 96/62 und 1999/30, dar.

    10

    Die genannten Richtlinien wurden durch Art. 31 der Richtlinie 2008/50 mit Wirkung vom 11. Juni 2010 aufgehoben; die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung oder Anwendung dieser Richtlinien blieben davon unberührt.

    11

    Art. 13 („Grenzwerte und Alarmschwellen für den Schutz der menschlichen Gesundheit“) der Richtlinie 2008/50 sieht in seinem Abs. 1 vor:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte für Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid in der Luft die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.

    Die Einhaltung dieser Anforderungen wird nach Anhang III beurteilt.

    Die in Anhang XI festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 22 Absatz 3 und Artikel 23 Absatz 1 anzuwenden.“

    12

    Die in Anhang III der Richtlinie 1999/30 festgelegten PM10-Grenzwerte wurden unverändert in Anhang XI der Richtlinie 2008/50 übernommen.

    13

    Hingegen enthält die Richtlinie 2008/50 in ihrem Art. 22 spezielle Bestimmungen hinsichtlich der Verlängerung der Fristen, innerhalb deren die Grenzwerte erreicht werden müssen, und insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Pflicht zu ihrer Anwendung.

    14

    Art. 22 Abs. 2 und 4 dieser Richtlinie bestimmt:

    „(2)   Können in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum die Grenzwerte für PM10 nach Maßgabe des Anhangs XI aufgrund standortspezifischer Ausbreitungsbedingungen, ungünstiger klimatischer Bedingungen oder grenzüberschreitender Einträge nicht eingehalten werden, so werden die Mitgliedstaaten bis zum 11. Juni 2011 von der Verpflichtung zur Einhaltung dieser Grenzwerte ausgenommen, sofern die in Absatz 1 festgelegten Bedingungen erfüllt sind und der Mitgliedstaat nachweist, dass alle geeigneten Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene getroffen wurden, um die Fristen einzuhalten.

    (4)   Ein Mitgliedstaat, der der Ansicht ist, dass Absatz 1 oder Absatz 2 anwendbar ist, teilt dies der Kommission mit und übermittelt ihr den Luftqualitätsplan gemäß Absatz 1 einschließlich aller relevanten Informationen, die die Kommission benötigt, um festzustellen, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei berücksichtigt die Kommission die voraussichtlichen Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen auf die gegenwärtige und die zukünftige Luftqualität in den Mitgliedstaaten sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der gegenwärtigen Gemeinschaftsmaßnahmen und der von der Kommission vorzuschlagenden geplanten Gemeinschaftsmaßnahmen auf die Luftqualität.

    Hat die Kommission neun Monate nach Eingang dieser Mitteilung keine Einwände erhoben, gelten die Bedingungen für die Anwendung von Absatz 1 bzw. Absatz 2 als erfüllt.

    Werden Einwände erhoben, kann die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, Anpassungen vorzunehmen oder neue Luftqualitätspläne vorzulegen.“

    Vorverfahren

    15

    Bei der Prüfung der von der Portugiesischen Republik für die Jahre 2005, 2006 und 2007 vorgelegten, auf die Richtlinien 96/62 und 1999/30 gestützten Jahresberichte über die Einhaltung der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte stellte die Kommission fest, dass diese Werte innerhalb des genannten Zeitraums in acht Gebieten und Ballungsräumen, nämlich Braga, Vale do Ave, Vale de Sousa, Porto Litoral, Zona de Influência de Estarreja, Área Metropolitana de Lisboa Norte, Área Metropolitana de Lisboa Sul und Setúbal, überschritten worden waren.

    16

    Da die Kommission der Ansicht war, dass die Portugiesische Republik somit ihren Verpflichtungen nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 nicht nachgekommen sei, richtete sie am 2. Februar 2009 an diesen Mitgliedstaat ein Mahnschreiben, in dem sie u. a. ausführte, dass die festgestellten Grenzwertüberschreitungen eine langfristige Tendenz der Nichtbeachtung der genannten Verpflichtungen widerspiegelten.

    17

    Dem Schreiben war eine Liste der Gebiete beigefügt, in denen die genannten Überschreitungen der PM10-Grenzwerte festgestellt worden waren; die Kommission forderte die portugiesischen Behörden auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten eine Stellungnahme abzugeben.

    18

    In ihrer Antwort vom 6. April 2009 wies die Portugiesische Republik darauf hin, dass sie am 5. März 2009 gemäß Art. 22 der Richtlinie 2008/50 einen Antrag auf Verlängerung der Fristen für die Einhaltung der in ihrem Anhang XI aufgeführten Grenzwerte gestellt habe, da ihres Erachtens die Voraussetzungen für eine solche Verlängerung in Bezug auf die Ballungsräume Vale do Ave, Vale de Sousa, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte, Área Metropolitana de Lisboa Sul und Setúbal vorlägen.

    19

    Hinsichtlich des Ballungsraums Setúbal führten die portugiesischen Behörden aus, sie hätten bereits vor dem Mahnschreiben erläutert, dass die Überschreitung der Grenzwerte auf Naturereignissen wie den in Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 1999/30 angeführten beruht habe, und schilderten die zur Ermittlung der Bedeutung des Einflusses dieser Naturereignisse angewandte Methode.

    20

    Desgleichen informierte die Portugiesische Republik die Kommission hinsichtlich der Gebiete Braga und Zona de Influência de Estarreja darüber, dass Programme zur Verbesserung der Luftqualität ausgearbeitet würden, und beantragte, die für die Erreichung der festgelegten Grenzwerte vorgesehene Frist zu verlängern.

    21

    Mit Entscheidung vom 26. November 2009 erhob die Kommission Einwände gegen die von der Portugiesischen Republik am 5. März 2009 nach Art. 22 der Richtlinie 2008/50 beantragte Ausnahme und lehnte diesen Antrag ab.

    22

    Am 22. März 2010 richtete die Kommission in Anbetracht der in der Entscheidung vom 26. November 2009 erhobenen Einwände und der oben genannten Jahresberichte eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Portugiesische Republik.

    23

    In ihrem Antwortschreiben vom 9. Juni 2010 räumte die Portugiesische Republik unter Berufung auf eine Reihe laufender Maßnahmen und unter Hervorhebung ihrer Absicht, die bereits unternommenen Anstrengungen zur Erreichung der umfassenden Einhaltung der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte fortzuführen, die Überschreitung dieser Werte in den Gebieten und Ballungsräumen Aveiro/Ílhavo, Zona de Influência de Estarreja, Porto Litoral, Braga und Área Metropolitana de Lisboa Norte ein.

    24

    Da diese Antwort die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

    Zur Klage

    Vorbringen der Parteien

    25

    Die Kommission macht, gestützt auf die in ihrer Entscheidung vom 26. November 2009 erhobenen Einwände und die von der Portugiesischen Republik für die Jahre 2005, 2006 und 2007 vorgelegten Jahresberichte über die Einhaltung der Grenzwerte für die PM10-Konzentration, geltend, dass diese Werte in den Gebieten und Ballungsräumen Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul überschritten worden seien.

    26

    Die genannten Berichte deuteten darauf hin, dass die fraglichen Grenzwerte in mehreren Gebieten und Ballungsräumen auch weiterhin überschritten würden, und zeigten in einigen Fällen eine langfristige Tendenz ihrer Überschreitung. Diese Feststellung werde durch den Bericht für das Jahr 2009, den die Portugiesische Republik am 30. September 2010 übermittelt habe, in Bezug auf die Gebiete und Ballungsräume Braga, Porto Litoral, Aveiro/Ílhavo, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul bestätigt. Im letztgenannten Ballungsraum bestünden Überschreitungen an einigen Probenahmestellen, auch unter Berücksichtigung der Naturereignisse, fort. Außerdem sei das Gebiet Aveiro/Ílhavo in den dem Mahnschreiben und der mit Gründen versehenen Stellungnahme vorausgegangenen Berichten nicht aufgeführt gewesen.

    27

    Die Portugiesische Republik bestreitet zunächst, dass die Überschreitungen der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte eine langfristige Tendenz in Portugal widerspiegelten.

    28

    Sodann macht sie geltend, dass die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht klargestellt habe, auf welche Gebiete und Ballungsräume sich der gegen sie erhobene Vorwurf beziehe.

    29

    Nach dem Hinweis auf mehrere Maßnahmen der portugiesischen Behörden, die eine positive Entwicklung in Bezug auf die Verringerung der Überschreitungen der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte zeigten, räumt die Portugiesische Republik schließlich aufgrund der verfügbaren Daten des Berichts für das Jahr 2009 ein, dass hinsichtlich der Gebiete und Ballungsräume, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien, der 24-Stunden-Grenzwert für PM10 weiterhin überschritten werde, nicht aber der Jahresgrenzwert, der seit 2008 in keinem dieser Gebiete und Ballungsräume mehr überschritten worden sei.

    30

    Daher beantragt sie, die vorliegende Klage insoweit abzuweisen, als die Vorwürfe bestritten werden.

    31

    In ihrer Erwiderung hebt die Kommission hervor, dass die behördliche Kontrolle der Luftqualität nach dem durch die Richtlinien 96/62 und 2008/50 geschaffenen System den Mitgliedstaaten obliege, was zum einen in deren Zuständigkeit für die Abgrenzung der Gebiete und Ballungsräume, für die Erstellung der Listen der Gebiete und Ballungsräume, in denen die für die fraglichen Schadstoffe geltenden Grenzwerte überschritten würden, für die Bestimmung der Orte, an denen bestimmte Maßnahmen zu ergreifen seien, und für die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, zum Ausdruck komme und zum anderen in der Verpflichtung, rechtzeitig Informationen über etwaige Überschreitungen der Grenzwerte in Form eines Berichts vorzulegen.

    32

    Folglich könne die Kommission die Einhaltung der für die betreffenden Schadstoffe geltenden Grenzwerte nur auf der Grundlage der vom Mitgliedstaat selbst mitgeteilten Werte kontrollieren, die im Übrigen innerhalb einer Frist von neun Monaten nach Ende des in Rede stehenden Jahres übermittelt würden. Sie könne also nur die während des Zeitraums, auf den sich die von der Portugiesischen Republik übermittelten Berichte erstreckten, eingetretene Überschreitung der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte feststellen.

    33

    Der Umstand, dass die genannten Grenzwerte in einigen Gebieten über mehrere Jahre weiterhin überschritten worden seien, offenbare ein systembedingtes Problem, dessen sich der betroffene Mitgliedstaat, da er selbst die Daten erhoben und die Überschreitung der Grenzwerte festgestellt habe, voll und ganz bewusst sein müsse.

    34

    Die Kommission gehe deshalb davon aus, dass das System der Richtlinien im Bereich der Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität ihr die Prüfung des Vorliegens eines etwaigen Verstoßes allein anhand der ihr zur Verfügung gestellten zulässigen Beweismittel, d. h. der von den Mitgliedstaaten gelieferten Daten, erlaube und dass es Sache des betroffenen Mitgliedstaats sei, ihre Schlussfolgerungen auf der Grundlage aktuellerer Daten zu widerlegen, die zum Nachweis dafür geeignet seien, dass die für die betreffenden Schadstoffe geltenden Grenzwerte nunmehr eingehalten würden. Fehle es an einer solchen Reaktion des betroffenen Mitgliedstaats, müsse die Kommission davon ausgehen, dass der Verstoß andaure, und könne beim Gerichtshof dessen Feststellung beantragen.

    35

    Im vorliegenden Fall macht die Kommission geltend, sie habe im Vorverfahren stets gefordert, dass die Portugiesische Republik die in der Richtlinie 2008/50 festgesetzten Grenzwerte einhalte. Die Anträge der vorliegenden Vertragsverletzungsklage bezögen sich somit nicht auf vergangene Jahre, sondern auf einen aktuellen Verstoß, dessen Fortdauern die Portugiesische Republik nur widerlegen könne, indem sie den Beweis erbringe, dass der Richtlinie innerhalb der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nachgekommen worden sei. Daher müsse dieser Mitgliedstaat dartun, dass der Verstoß nicht mehr vorliege, indem er neue Daten vorlege, die belegen könnten, dass er abgestellt worden sei. Da die Portugiesische Republik diese Daten nicht vorlege, sei zu folgern, dass ein Verstoß vorliege.

    36

    Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass sie in der vorliegenden Rechtssache kein Interesse daran habe, dass der Gerichtshof über vergangene Geschehnisse befinde, da sie keinen Vorteil von einem Urteil hätte, mit dem ein in der Vergangenheit liegender Sachverhalt festgestellt werde. Sollte der Gerichtshof feststellen, dass die Portugiesische Republik in den Jahren 2005 bis 2007 gegen eine Richtlinie verstoßen habe, die zwar damals gegolten habe, mittlerweile aber außer Kraft getreten sei, hätte ein solches Urteil im Prinzip keinerlei praktische Wirksamkeit.

    37

    Zum Vorbringen der Portugiesischen Republik, wonach die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme die nicht betroffenen Gebiete und Ballungsräume nicht genau angegeben habe, macht diese geltend, der Portugiesischen Republik seien in Anbetracht dessen, dass sie die einzige Informationsquelle hinsichtlich der Überschreitung der für die PM10-Konzentration geltenden Grenzwerte sei, die Orte bekannt, an denen diese Grenzwerte überschritten worden seien. Da die fraglichen Gebiete Gegenstand eines Befreiungsantrags gewesen seien, über den die Kommission am 26. November 2009 entschieden habe, sei dieser Mitgliedstaat hinreichend über den Gegenstand des Rechtsstreits informiert, denn er habe den Sachverhalt nicht bestritten und selbst in seinen späteren Erklärungen Gebiete angeführt, in denen die genannten Grenzwerte überschritten worden seien. Außerdem seien die fraglichen Gebiete im Mahnschreiben aufgeführt worden und hätten sich in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht geändert.

    38

    Da die Portugiesische Republik in ihrer Klagebeantwortung einräume, dass nach den letzten verfügbaren Daten die Einhaltung des 24-Stunden-Grenzwerts für PM10 in vier Gebieten oder Ballungsräumen noch immer nicht sichergestellt sei, wohingegen es ihr zwischenzeitlich gelungen sei, die Einhaltung des Jahresgrenzwerts für PM10 sicherzustellen, bestehe zudem zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung das einzige Ziel der vorliegenden Klage darin, feststellen zu lassen, dass hinsichtlich des 24-Stunden-Grenzwerts für PM10 in den fraglichen vier Gebieten oder Ballungsräumen weiterhin eine Vertragsverletzung dieses Mitgliedstaats vorliege, da er nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe.

    39

    Die Portugiesische Republik entgegnet in ihrer Gegenerwiderung, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anhand der Lage zu beurteilen sei, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist befunden habe (vgl. u. a. Urteile vom 20. März 2003, Kommission/Italien, C-143/02, Slg. 2003, I-2877, Randnr. 11, und vom 12. Juni 2003, Kommission/Spanien, C-446/01, Slg. 2003, I-6053, Randnr. 15).

    40

    Bei Ablauf dieser Frist, d. h. am 7. Juni 2010, hätten die verfügbaren Daten die Maßnahmen für das Jahr 2009 und die von der Portugiesischen Republik in ihrer Antwort angeführten Gebiete und Ballungsräume betroffen. Das Urteil des Gerichtshofs müsse sich somit auf diesen Zeitpunkt beziehen; die Ausführungen der Kommission hinsichtlich des Zeitpunkts, auf den sich das Urteil beziehen solle, seien nach der oben genannten Rechtsprechung unbegründet.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    41

    Mit ihrer Klage beantragt die Kommission die Feststellung, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 der Richtlinie 2008/50 verstoßen hat, dass sie nicht sichergestellt hat, dass die Konzentration von PM10 in der Luft die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzwerte nicht überschreitet.

    42

    Auch wenn die Portugiesische Republik gegen die vorliegende Klage keine Einrede der Unzulässigkeit erhoben hat, ist vorab gleichwohl festzustellen, dass der Gerichtshof von Amts wegen prüfen kann, ob die Voraussetzungen des Art. 258 AEUV für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage erfüllt sind (vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1992, Kommission/Italien, C-362/90, Slg. 1992, I-2353, Randnr. 8, vom 26. Januar 2012, Kommission/Slowenien, C-185/11, Randnr. 28, und vom 8. März 2012, Kommission/Portugal, C-524/10, Randnr. 64).

    43

    Unter diesem Blickwinkel ist zu prüfen, ob die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage eine zusammenhängende und genaue Darstellung der Rügen enthalten, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, die Tragweite des gerügten Verstoßes gegen das Unionsrecht richtig zu erfassen, was notwendig ist, damit der Gerichtshof überprüfen kann, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Februar 2007, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-199/04, Slg. 2007, I-1221, Randnrn. 20 und 21, sowie vom 24. März 2011, Kommission/Slowenien, C-365/10, Randnr. 19).

    44

    Wie sich nämlich insbesondere aus Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der einschlägigen Rechtsprechung zu dieser Vorschrift ergibt, muss jede Klageschrift den Streitgegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten, wobei diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge in der Klageschrift müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (vgl. u. a. Urteile vom 15. Juni 2010, Kommission/Spanien, C-211/08, Slg. 2010, I-5267, Randnr. 32, vom 26. Januar 2012, Kommission/Slowenien, Randnr. 29, und vom 19. April 2012, Kommission/Niederlande, C-141/10, Randnr. 15).

    45

    Im vorliegenden Fall geht aus den Anträgen in der Klageschrift der Kommission hervor, dass ihre Klage sich nur auf die Gebiete und Ballungsräume Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul bezieht. Hinsichtlich der Frage, welche Art von PM10-Grenzwerten überschritten wurde, hat die Kommission den Gegenstand ihrer Klage überdies in ihrer Erwiderung allein auf die 24-Stunden-Grenzwerte für PM10 beschränkt.

    46

    Hingegen stellt die Kommission weder in den Anträgen in der Klageschrift noch in deren Begründung klar, für welche Jahre die Vertragsverletzung gerügt wird. Durch die Berufung allein auf die Richtlinie 2008/50 beschränkt sie ihr Vorbringen allerdings darauf, dass es sich um einen gegenwärtigen Verstoß handele und dass die Entscheidung des Gerichtshofs sich auf die Gegenwart und nicht auf die Vergangenheit beziehen müsse, ohne jedoch den maßgeblichen Zeitraum zu präzisieren.

    47

    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die fehlende Angabe eines unverzichtbaren Elements des Inhalts einer Klageschrift wie des Zeitraums, in dem die Portugiesische Republik nach dem Vorbringen der Kommission gegen das Unionsrecht verstoßen haben soll, nicht den Anforderungen an Kohärenz, Klarheit und Genauigkeit genügt.

    48

    Da die Kommission den genauen Zeitraum, auf den sich der vorgeworfene Verstoß beziehen soll, nicht angibt und zudem keine einschlägigen Beweise vorbringt, sondern lediglich hervorhebt, dass sie in der vorliegenden Rechtssache kein Interesse daran habe, dass der Gerichtshof über vergangene Ereignisse entscheide, da sie keinen Vorteil von einem Urteil hätte, mit dem ein in der Vergangenheit liegender Sachverhalt festgestellt werde, verkennt sie darüber hinaus nicht nur offensichtlich die Pflichten sowohl des Gerichtshofs als auch ihre eigenen, die sich aus der in den Randnrn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergeben, sondern versetzt den Gerichtshof auch nicht in die Lage, seine Kontrolle in Bezug auf die vorliegende Vertragsverletzungsklage auszuüben.

    49

    Jedoch hat, wie aus den Akten hervorgeht, die Prüfung der Jahresberichte für 2005, 2006 und 2007, die die Portugiesische Republik der Kommission vorgelegt hat, gezeigt, dass die 24-Stunden-Grenzwerte für PM10 in mehreren Gebieten und Ballungsräumen überschritten wurden. Auf der Grundlage dieser Berichte übersandte die Kommission der Portugiesischen Republik ein Mahnschreiben, in dem sie die Auffassung vertrat, dass dieser Mitgliedstaat gegen die Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 verstoße. Schließlich hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass zum einen die Beweismittel, auf die sie ihre Klage stütze, in den Daten bestünden, die sich aus den Jahresberichten für 2005, 2006 und 2007 ergäben, und dass es sich zum anderen in Anbetracht dessen, dass kein allgemeiner und fortgesetzter Verstoß gegen die genannten Verpflichtungen vorgelegen habe, nicht um ein systembedingtes Problem handle.

    50

    Aus diesen schlüssigen Indizien lässt sich ableiten, dass der Verstoß gegen die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 vorgesehenen Verpflichtungen jedenfalls die Überschreitung der 24-Stunden-Grenzwerte für PM10 in der Luft betrifft und den Zeitraum der Jahre 2005 bis 2007 in den Gebieten und Ballungsräumen Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul umfasst.

    51

    Daher ist festzustellen, dass die vorliegende Vertragsverletzungsklage in den so abgesteckten Grenzen für zulässig erklärt werden kann.

    52

    Zur Begründetheit der vorliegenden Klage genügt der Hinweis, dass die Portugiesische Republik in ihren Stellungnahmen die Überschreitung der Grenzwerte für die 24-Stunden-Konzentration von PM10 in der Luft in dem in Randnr. 50 des vorliegenden Urteils festgestellten Umfang einräumt.

    53

    Folglich ist der Klage in diesem Umfang stattzugeben.

    54

    Nach dieser Klarstellung ist festzustellen, dass die Klage, soweit sie sich auf die Zeit nach dem Jahr 2007 bezieht, aus den in den Randnrn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen nicht den Anforderungen an Klarheit und Genauigkeit entspricht und deshalb als unzulässig abzuweisen ist.

    55

    Infolgedessen ist die Richtlinie 2008/50, anders als die Kommission nach den Anträgen in ihrer Klageschrift offenbar meint, nicht zu berücksichtigen. Diese Richtlinie ist nämlich auf den dem betroffenen Mitgliedstaat vorgeworfenen Sachverhalt, der vor dem 11. Juni 2008, dem Tag ihrer Veröffentlichung und ihres Inkrafttretens, liegt, nicht anwendbar.

    56

    Nach alledem ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 verstoßen hat, dass sie in den Jahren 2005 bis 2007 nicht sichergestellt hat, dass in den Gebieten und Ballungsräumen Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul die 24-Stunden-Konzentration von PM10 in der Luft die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzwerte nicht überschreitet.

    Kosten

    57

    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 138 Abs. 3 Satz 1 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt.

    58

    Im vorliegenden Rechtsstreit ist zu berücksichtigen, dass die Rüge der Kommission, mit der ein Verstoß gegen die sich aus Art. 13 der Richtlinie 2008/50 ergebenden Verpflichtungen in der Zeit nach dem Jahr 2007 geltend gemacht wird, für unzulässig erklärt worden ist.

    59

    Infolgedessen sind der Kommission und der Portugiesischen Republik jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft verstoßen, dass sie in den Jahren 2005 bis 2007 nicht sichergestellt hat, dass in den Gebieten und Ballungsräumen Braga, Porto Litoral, Área Metropolitana de Lisboa Norte und Área Metropolitana de Lisboa Sul die 24-Stunden-Konzentration von PM10 in der Luft die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzwerte nicht überschreitet.

     

    2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

     

    3.

    Die Europäische Kommission und die Portugiesische Republik tragen ihre eigenen Kosten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.

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