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Document 62011CC0215

Schlussanträge des Generalanwalts P. Mengozzi vom 28. Juni 2012.
Iwona Szyrocka gegen SiGer Technologie GmbH.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy we Wrocławiu (Polen).
Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 – Europäisches Mahnverfahren – Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls, der nicht die nach den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen formellen Voraussetzungen erfüllt – Erschöpfender Charakter der Voraussetzungen, die der Antrag erfüllen muss – Möglichkeit, die bis zur Begleichung der Hauptforderung auflaufenden Zinsen zu verlangen.
Rechtssache C‑215/11.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:400

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 28. Juni 2012 ( 1 )

Rechtssache C-215/11

Iwona Szyrocka

gegen

SiGer Technologie GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy we Wrocławiu [Bezirksgericht Wrocław])

„Europäisches Mahnverfahren — Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 — Formelle Voraussetzungen des Antrags — Zeitraum, für den Zinsen auf die Forderung verlangt werden können — Zeitraum bis zum Zahlungstag“

I – Einleitung

1.

Im vorliegenden Verfahren hat der Sąd Okręgowy we Wrocławiu dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens ( 2 ) (im Folgenden: Verordnung) vorgelegt.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

2.

Art. 1 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung hat Folgendes zum Ziel:

a)

Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und Verringerung der Verfahrenskosten durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, und

b)

Ermöglichung des freien Verkehrs Europäischer Zahlungsbefehle in den Mitgliedstaaten durch Festlegung von Mindestvorschriften, bei deren Einhaltung die Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen.

(2)   Diese Verordnung stellt es dem Antragsteller frei, eine Forderung im Sinne von Artikel 4 im Wege eines anderen Verfahrens nach dem Recht eines Mitgliedstaats oder nach Gemeinschaftsrecht durchzusetzen.“

3.

Art. 4 der Verordnung lautet:

„Das Europäische Mahnverfahren gilt für die Beitreibung bezifferter Geldforderungen, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls fällig sind.“

4.

In Art. 7 der Verordnung heißt es:

„(1)   Der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls ist unter Verwendung des Formblatts A gemäß Anhang I zu stellen.

(2)   Der Antrag muss Folgendes beinhalten:

…;

b)

die Höhe der Forderung einschließlich der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsen, Vertragsstrafen und Kosten;

c)

bei Geltendmachung von Zinsen der Zinssatz und der Zeitraum, für den Zinsen verlangt werden, es sei denn, gesetzliche Zinsen werden nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats automatisch zur Hauptforderung hinzugerechnet;

d)

den Streitgegenstand einschließlich einer Beschreibung des Sachverhalts, der der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsforderung zugrunde liegt;

e)

eine Bezeichnung der Beweise, die zur Begründung der Forderung herangezogen werden;

(3)   In dem Antrag hat der Antragsteller zu erklären, dass er die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, und anerkannt, dass jede vorsätzliche falsche Auskunft angemessene Sanktionen nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats nach sich ziehen kann.

…“

5.

Art. 8 der Verordnung sieht vor:

„Das mit einem Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls befasste Gericht prüft so bald wie möglich anhand des Antragsformulars, ob die in den Artikeln 2, 3, 4, 6 und 7 genannten Voraussetzungen erfüllt sind und ob die Forderung begründet erscheint. Diese Prüfung kann im Rahmen eines automatisierten Verfahrens erfolgen.“

6.

Art. 9 der Verordnung lautet:

„(1)   Das Gericht räumt dem Antragsteller die Möglichkeit ein, den Antrag zu vervollständigen oder zu berichtigen, wenn die in Artikel 7 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind und die Forderung nicht offensichtlich unbegründet oder der Antrag unzulässig ist. Das Gericht verwendet dazu das Formblatt B gemäß Anhang II.

(2)   Fordert das Gericht den Antragsteller auf, den Antrag zu vervollständigen oder zu berichtigen, so legt es dafür eine Frist fest, die ihm den Umständen nach angemessen erscheint. Das Gericht kann diese Frist nach eigenem Ermessen verlängern.“

7.

In Art. 12 der Verordnung heißt es:

„(1)   Sind die in Artikel 8 genannten Voraussetzungen erfüllt, so erlässt das Gericht so bald wie möglich … einen Europäischen Zahlungsbefehl unter Verwendung des Formblatts E gemäß Anhang V.

(3)   In dem Europäischen Zahlungsbefehl wird der Antragsgegner davon in Kenntnis gesetzt, dass er

a)

entweder den im Zahlungsbefehl aufgeführten Betrag an den Antragsteller zahlen kann

oder

b)

gegen den Europäischen Zahlungsbefehl bei dem Ursprungsgericht Einspruch einlegen kann …

(4)   In dem Europäischen Zahlungsbefehl wird der Antragsgegner davon unterrichtet, dass

a)

der Zahlungsbefehl ausschließlich auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers erlassen und vom Gericht nicht nachgeprüft wurde,

b)

der Zahlungsbefehl vollstreckbar wird, wenn nicht bei dem Gericht nach Artikel 16 Einspruch eingelegt wird,

c)

im Falle eines Einspruchs das Verfahren von den zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt wird, es sei denn, der Antragsteller hat ausdrücklich beantragt, das Verfahren in diesem Fall zu beenden.

…“

8.

Art. 16 Abs. 3 der Verordnung sieht vor:

„(3) Der Antragsgegner gibt in dem Einspruch an, dass er die Forderung bestreitet, ohne dass er dafür eine Begründung liefern muss.“

9.

Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung bestimmt:

„(1) Wird innerhalb der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist Einspruch eingelegt, so wird das Verfahren vor den zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt, es sei denn, der Antragsteller hat ausdrücklich beantragt, das Verfahren in einem solchen Fall zu beenden.“

10.

Art. 25 der Verordnung lautet:

„(1)   Die Gerichtsgebühren eines Europäischen Mahnverfahrens und eines ordentlichen Zivilprozesses, der sich an die Einlegung eines Einspruchs gegen den Europäischen Zahlungsbefehl in einem Mitgliedstaat anschließt, dürfen insgesamt nicht höher sein als die Gerichtsgebühren eines ordentlichen Zivilprozesses ohne vorausgehendes Europäisches Mahnverfahren in diesem Mitgliedstaat.

(2)   Für die Zwecke dieser Verordnung umfassen die Gerichtsgebühren die dem Gericht zu entrichtenden Gebühren und Abgaben, deren Höhe nach dem nationalen Recht festgelegt wird.“

11.

Art. 26 der Verordnung („Verhältnis zum nationalen Prozessrecht“) sieht vor:

„Sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind, richten sich nach den nationalen Rechtsvorschriften.“

B – Nationales Recht

12.

Der Sąd Okręgowy we Wrocławiu hat in seinem Vorlagebeschluss eine Reihe von Vorschriften des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs (im Folgenden: ZVGB) angeführt, die im vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung sein könnten, wie die Art. 126, 128 und 187 § 1, die den Inhalt der Schriftsätze und der Klageschrift regeln und vorschreiben, welche Schriftstücke für die Zustellung an die Gegenpartei einzureichen sind, sowie die Art. 130 § 1 und 394 § 1 Punkt 1, die das anzuwendende Verfahren regeln, falls der eingereichte Antrag unter formellen Mängeln leidet, sowie die Möglichkeiten der Beschwerde gegen die Entscheidungen des zuständigen Gerichts.

13.

Das vorlegende Gericht hat ferner Art. 481 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuchs (im Folgenden: ZGB) angeführt, wonach der Gläubiger, wenn der Schuldner mit der Erfüllung einer Geldleistung in Verzug ist, Zinsen für den Zeitraum des Verzugs verlangen kann, selbst wenn er keinen Schaden erlitten hat und der Verzug eine Folge von Umständen ist, die der Schuldner nicht zu vertreten hat ( 3 ), sowie Art. 190 ZVGB, der die gerichtliche Geltendmachung künftiger, sich wiederholender Leistungen erlaubt, wenn dem das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis nicht entgegensteht.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

14.

Die in Polen wohnhafte Iwona Szyrocka hat am 23. Februar 2011 einen Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls gegen SiGer Technologie GmbH mit Sitz in Tangermünde (Deutschland) beim Sąd Okręgowy in Wrocław eingereicht.

15.

Im Rahmen dieses Verfahrens ergaben sich folgende Fragen, nämlich,

ob sich die Prüfung, die dem Erlass des Zahlungsbefehls nach Art. 8 der Verordnung vorausgeht, auch auf die formellen Voraussetzungen nach den Vorschriften des Staates, in dem der Antrag gestellt wurde, oder nur auf die in der fraglichen Verordnung genannten erstreckt ( 4 );

ob die Forderung von Verzugszinsen bereits bei der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls fällig sein muss;

ob der Antragsteller im Antrag jedes Mal die Höhe der Zinsen angeben muss und die sogenannten offenen Zinsen verlangen kann, d. h. die Zinsen, die bis zu dem Zeitpunkt errechnet werden, zu dem die im Antrag geltend gemachte Geldforderung beglichen wird;

wie das Gericht seine Entscheidung, derartige Zinsen zuzusprechen, unter Berücksichtigung des Inhalts des amtlichen Formblatts E für den Europäischen Zahlungsbefehl (Anhang V der Verordnung) zu formulieren hat.

16.

Das vorlegende Gericht sieht ein Problem bei der Auslegung der Verordnung und hat daher dem Gerichtshof die folgenden acht Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist Art. 7 der Verordnung dahin auszulegen, dass er

a)

sämtliche Voraussetzungen, die ein Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls erfüllen muss, erschöpfend regelt,

oder dahin, dass er

b)

lediglich die Mindestvorschriften für einen solchen Antrag bestimmt und in Bezug auf die in dieser Vorschrift nicht geregelten Fragen die nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden sind?

2.

Ist, falls die Frage 1 b zu bejahen ist, wenn der Antrag die formellen Voraussetzungen nach dem Recht des Mitgliedstaats nicht erfüllt (z. B. es wurde keine Abschrift des Antrags für die Gegenseite beigefügt, oder der Wert des Streitgegenstands ist nicht angegeben), der Antragsteller zur Vervollständigung des Antrags nach den nationalen Rechtsvorschriften, entsprechend Art. 26 der Verordnung, oder aber nach Art. 9 der Verordnung aufzufordern?

3.

Ist Art. 4 der Verordnung dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift genannten Merkmale einer Geldforderung, d. h. die bezifferte Höhe sowie die Fälligkeit der Forderung zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls, sich ausschließlich auf die Hauptforderung beziehen, oder dahin, dass sie sich auch auf die Forderung von Verzugszinsen beziehen?

4.

Ist Art. 7 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung dahin auszulegen, dass im Europäischen Mahnverfahren, wenn das Recht des Ursprungsmitgliedstaats keine automatische Hinzurechnung der Zinsen vorsieht, neben der Hauptforderung geltend gemacht werden können:

a)

sämtliche Zinsen einschließlich der sogenannten offenen Zinsen (berechnet ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zu einem nicht durch ein Datum bestimmten Zahlungstag, z. B. „ab dem 20. März 2011 bis zum Zahlungstag“);

b)

nur die ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls berechneten Zinsen;

c)

ausschließlich die ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zur Einreichung des Antrags berechneten Zinsen?

5.

Wie muss, falls die Frage 4 a zu bejahen ist, nach der Verordnung die Entscheidung des Gerichts zu den Zinsen im Zahlungsbefehl formuliert werden?

6.

Wer muss, falls die Frage 4 b zu bejahen ist, die Höhe des Zinsbetrags angeben, der Antragsteller oder das Gericht von Amts wegen?

7.

Ist, falls die Frage 4 c zu bejahen ist, der Antragsteller verpflichtet, die Höhe der berechneten Zinsen im Antrag anzugeben?

8.

Muss das Gericht, wenn der Antragsteller die bis zur Einreichung des Antrags verlangten Zinsen nicht berechnet, diese von Amts wegen berechnen oder stattdessen den Antragsteller zur Vervollständigung des Antrags nach Art. 9 der Verordnung auffordern?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

17.

Die Kommission, die österreichische und die portugiesische und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die finnische und die polnische Regierung haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

18.

An der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2012 haben die Kommission sowie die finnische und die polnische Regierung teilgenommen.

V – Zur ersten Vorlagefrage

19.

Mit der ersten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob die formellen Voraussetzungen, die der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls erfüllen muss, ausschließlich in Art. 7 der Verordnung geregelt sind oder ob der Antrag darüber hinaus auch die weiteren Voraussetzungen nach den nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigen muss.

20.

Der Wortlaut der Verordnung zeigt, dass das Verfahren zur Erwirkung eines Europäischen Zahlungsbefehls und die etwaigen entsprechenden nationalen Verfahren selbständig nebeneinander stehen.

21.

Dies ergibt sich erstens daraus, dass das Europäische Mahnverfahren nach Art. 1 und dem 10. Erwägungsgrund der Verordnung eine zusätzliche und fakultative Alternative für den Antragsteller darstellt, durch das die nach nationalem Recht vorgesehenen Mechanismen zur Beitreibung unbestrittener Forderungen weder ersetzt noch harmonisiert werden, sondern das neben diese als weiteres Instrument zum Schutz der Rechte des Antragstellers tritt.

22.

Der Betroffene ist somit nicht daran gehindert, einen Zahlungsbefehl unter Inanspruchnahme eines anderen, nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats oder nach dem Gemeinschaftsrecht zur Verfügung stehenden Verfahrens zu erwirken.

23.

Die Ausführungen oben in Nr. 20 werden zweitens bestätigt durch den 16. Erwägungsgrund, wonach das Gericht den Zahlungsbefehl nur aufgrund der Angaben in dem Antragsformular erlässt, das der Verordnung als Anhang beigefügt ist und in dem die in Art. 7 der Verordnung genannten Daten erfasst werden, ohne dass das europäische Recht die Möglichkeit vorsieht, einen darüber hinausgehenden Inhalt aufzunehmen.

24.

Die Verwendung von Formularen für die Abwicklung der einzelnen Verfahrensabschnitte wird vom 11. Erwägungsgrund vorgesehen, um den Zugang zum Verfahren zu erleichtern, den Kosten- und Zeitaufwand zu verringern und die Verfahrensabwicklung zu vereinheitlichen.

25.

Damit wird die Selbständigkeit des Europäischen Mahnverfahrens im Verhältnis zu den nationalen Mahnverfahren noch deutlicher, da es durch die Verwendung der genannten Formblätter möglich ist, die Formvorschriften und daraus folgenden Ungleichheiten der nationalen Rechtsordnungen zu überwinden sowie ein Verfahrensinstrument zu schaffen, das im gesamten Unionsgebiet grundsätzlich gleich ist und sich damit von den in den Mitgliedstaaten geltenden ähnlichen Verfahrensinstrumenten unterscheidet.

26.

Schließlich spricht Art. 26 der Verordnung für die Selbständigkeit des Europäischen Mahnverfahrens gegenüber den nationalen Mahnverfahren, da er bestimmt, dass die nationalen Rechtsvorschriften nur auf die verfahrensrechtlichen Fragen Anwendung finden, die in der Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind.

27.

Wenn sich nämlich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, bezüglich bestimmter Aspekte des Verfahrens die staatliche Regelung neben die Verordnung zu stellen, dann hat er dies ausdrücklich durch Verweis auf die staatliche Regelung getan ( 5 ).

28.

Die Regelung des Art. 26 sowie die in Nr. 27 und Fn. 5 genannten Verweise ließen sich nicht begründen, wenn tatsächlich gewollt gewesen wäre, dass die Regelung der Verordnung auch in den von ihr geregelten Punkten durch die Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergänzt wird, da in diesem Fall weder hätte erwähnt werden müssen, dass das nationale Recht nur auf die verfahrensrechtlichen Fragen, die in der Verordnung nicht geregelt sind, anwendbar ist, noch hätte geregelt werden müssen, wann das Recht der Mitgliedstaaten dagegen Anwendung findet.

29.

Die Selbständigkeit des Gemeinschaftsverfahrens gegenüber dem nationalen Verfahren wird auch deutlich, wenn man den Zweck der Verordnung betrachtet, wie er aus ihren Artikeln und Erwägungsgründen hervorgeht.

30.

Art. 1 Abs. 1, der ausdrücklich das Ziel der Verordnung bestimmt, stellt nämlich klar, dass die Verordnung ( 6 ) durch die Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens die Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und die Verringerung der Verfahrenskosten ( 7 ) sowie die Ermöglichung des freien Verkehrs Europäischer Zahlungsbefehle in den Mitgliedstaaten durch Festlegung von Mindestvorschriften zum Ziel hat, bei deren Einhaltung die Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen ( 8 ).

31.

Im 29. Erwägungsgrund der Verordnung heißt es ferner, dass die Verordnung zum Ziel hat, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein einheitliches, zeitsparendes und effizientes Instrument zur Beitreibung der genannten Forderungen zu schaffen; ausweislich der Erwägungsgründe 6 und 8 machen nämlich der erschwerte Zugang zu einer effizienten Rechtsprechung bei grenzüberschreitenden Rechtssachen und die Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt aufgrund des unterschiedlichen Funktionierens der verfahrensrechtlichen Instrumente, die den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, eine Gemeinschaftsregelung erforderlich, die für Gläubiger und Schuldner in der gesamten Europäischen Union gleiche Bedingungen gewährleistet ( 9 ), weil Zahlungsverzug eine der hauptsächlichen Bedrohungen für die Existenz der Unternehmen ist und für den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze verantwortlich ist.

32.

Deswegen wurden einheitliche gemeinsame Mindestvorschriften des Verfahrensrechts für die Erwirkung des Europäischen Zahlungsbefehls eingeführt, die jedoch nur dann dazu dienen können, das in den Nrn. 30 und 31 genannte Ziel zu erreichen, wenn deren Selbständigkeit gegenüber den bereits bestehenden ähnlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten sichergestellt ist.

33.

Könnten nämlich die nationalen Vorschriften die in Frage stehenden Vorschriften ergänzen, wäre das Ziel der Verordnung verfehlt, da dies dazu führen würde, dass die Verfahren nicht vereinheitlicht und vereinfacht würden, sondern dass so viele verschiedene Verfahren geschaffen würden, wie es Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gibt, die darüber hinaus aus Vorschriften bestünden, die sowohl aus den Mitgliedstaaten als auch aus dem Unionsrecht stammten.

34.

Es liegt zudem auf der Hand, dass der gleiche Zugang zum Mahnverfahren für jeden Gläubiger und jeden Schuldner der Union nur erreicht werden kann, wenn sichergestellt ist, dass von den einzuhaltenden Vorschriften vorher abstrakt Kenntnis genommen werden kann, ohne dass im Augenblick der Entscheidung über die Stellung eines Antrags auf Erlass des Zahlungsbefehls stets konkret zu prüfen ist, welche nationale Rechtsvorschrift bei dem angerufenen Gericht gilt.

35.

Diese Möglichkeit der Kenntnisnahme kann nur erreicht werden, wenn das einzuhaltende Verfahren über die größtmögliche Vereinfachung hinaus von vornherein im gesamten Unionsgebiet einheitlich ist (vorbehaltlich der Verweise auf die dort geltenden nationalen Bestimmungen).

36.

Hieraus folgt, dass in Anbetracht sowohl des Wortlauts als auch des Zwecks der Rechtsvorschrift einer Auslegung der fraglichen Verordnung zu folgen ist, die die Selbständigkeit des in ihr geregelten Verfahrens im Verhältnis zu den Verfahren wahrt, die in den einzelnen Mitgliedstaaten gelten.

37.

Insbesondere ist davon auszugehen, dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Zahlungsbefehls nur in Art. 7 der Verordnung enthalten sind und dass, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, der Zahlungsbefehl erlassen werden muss, ohne dass es auf die nationalen Vorschriften ankommt, da dieser Zahlungsbefehl als europäische und nicht nationale Maßnahme ( 10 ) neben die nationalen Instrumente zur Forderungsbeitreibung tritt, ohne diese zu verdrängen.

38.

Im vorliegenden Fall kann der Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls, wenn die in Art. 7 genannten formellen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht allein deswegen abgelehnt werden, weil die weiter gehenden Voraussetzungen, die das nationale Recht für ähnliche Verfahren aufstellt und die in der mündlichen Verhandlung angeführt worden sind, wie die Voraussetzungen bezüglich der Anzahl der eingereichten Abschriften des Antrags und der Angabe des Werts des Streitgegenstands in nationaler Währung, nicht erfüllt sind.

39.

Insbesondere können die etwaigen Fragen bezüglich der Gerichtsgebühren, die die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung und in ihren Erklärungen erwähnt hat, kein Hindernis für den Erlass der begehrten Maßnahme darstellen, wobei allerdings die Höhe der genannten Gebühren gemäß Art. 25 der Verordnung nach den nationalen Rechtsvorschriften festgelegt wird.

40.

Abschließend schlage ich dem Gerichtshof daher vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass er vorbehaltlich der besonderen Verweise auf das Recht der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen, die ein Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls erfüllen muss, erschöpfend regelt.

41.

Die Antwort auf die erste Vorlagefrage macht eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage nicht erforderlich.

VI – Zur dritten und zur vierten Vorlagefrage

42.

Mit der dritten Vorlagefrage möchte der Sąd Okręgowy we Wrocławiu wissen, ob Art. 4 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass die in dieser Vorschrift genannten Merkmale einer Geldforderung, d. h. die bezifferte Höhe sowie die Fälligkeit der Forderung zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls, sich ausschließlich auf die Hauptforderung beziehen, oder dahin, dass sie sich auch auf die Forderung von Verzugszinsen beziehen.

43.

Mit der vierten Vorlagefrage stellt der Sąd Okręgowy we Wrocławiu eine Reihe von Fragen bezüglich der Zinsen, die im fraglichen Mahnverfahren beantragt werden können.

44.

Insbesondere möchte es wissen, ob nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. c neben der Hauptforderung geltend gemacht werden können:

a)

sämtliche Zinsen einschließlich der sogenannten offenen Zinsen, berechnet ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zu einem nicht durch ein Datum bestimmten Zahlungstag;

b)

nur die ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls berechneten Zinsen;

c)

ausschließlich die ab einem exakt bestimmten Fälligkeitsdatum bis zur Einreichung des Antrags berechneten Zinsen.

45.

Die beiden Fragen sind meines Erachtens gemeinsam zu behandeln, da das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen will, ob in Anbetracht aller Vorschriften der Verordnung, insbesondere der Art. 4 und 7 Abs. 2 Buchst. c, die Zahlung aller Art von Zinsen einschließlich der sogenannten offenen Zinsen beantragt werden kann, d. h. der Zinsen, die ab dem Fälligkeitsdatum bis zum Zahlungstag berechnet werden (im vorliegenden Fall Verzugszinsen).

46.

Ich weise gleich darauf hin, dass dem vorlegenden Gericht nicht darin gefolgt werden kann, dass es hinsichtlich der Möglichkeit, sogenannte offene Zinsen zu beantragen, unterschiedliche Schlussfolgerungen zieht, je nachdem ob Art. 4 der Verordnung dahin ausgelegt wird, dass sich die Merkmale der dort genannten Geldforderung, d. h. die bezifferte Höhe sowie die Fälligkeit der Forderung zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls, ausschließlich auf die Hauptforderung beziehen, oder dahin, dass sie sich auch auf die Forderung von Verzugszinsen beziehen ( 11 ).

47.

Zum einen nämlich wird Art. 4 damit nicht im Licht der sonstigen, die Frage der Zinsen betreffenden Artikel der Verordnung ausgelegt.

48.

Art. 4 der Verordnung bestimmt, dass das Europäische Mahnverfahren für die Beitreibung bezifferter Geldforderungen gilt, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags fällig sind, und unterscheidet durch Verwendung eines allgemeinen und besonders weit formulierten Begriffs der Forderung nicht ausdrücklich zwischen Hauptforderung und Zinsen.

49.

Neben dieser Vorschrift ist jedoch auch Art. 7 der Verordnung zu berücksichtigen, wonach der Antrag auf Erlass des Zahlungsbefehls „die Höhe der Forderung einschließlich der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsen, Vertragsstrafen und Kosten“ (Abs. 2 Buchst. b) und, wenn Zinsen geltend gemacht werden, den Zinssatz und den Zeitraum, für den Zinsen verlangt werden (Abs. 2 Buchst. c), sowie „den Streitgegenstand einschließlich einer Beschreibung des Sachverhalts, der der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsforderung zugrunde liegt“ (Abs. 2 Buchst. d), beinhalten muss.

50.

Während Art. 4 allgemein bestimmt, welchen Inhalt der Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls haben kann (die Beitreibung von Forderungen und somit den Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags), benennt Art. 7 förmlich die einzelnen Teile, aus denen sich die Forderung zusammensetzt, nämlich Hauptforderung, Zinsen, Vertragsstrafen und Kosten (Abs. 2 Buchst. b).

51.

Zum anderen lässt die oben in Nr. 46 angeführte Auffassung des vorlegenden Gerichts außer Acht, dass sich die Möglichkeit, Zinsen – gegebenenfalls auch offene Zinsen – zu fordern, aus der Natur der Hauptforderung und der Zinsforderung sowie der Natur der wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Forderungen ableitet.

52.

Die Zinsen stellen nämlich eine Geldforderung dar, die sich von der Hauptforderung nur dadurch unterscheidet, dass sie zu dieser Forderung, von der sie abhängt, akzessorisch ist und dass ihr Umfang an den Zeitablauf geknüpft ist und sich dementsprechend ändert.

53.

Es bestehen keine darüber hinausgehenden wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Forderungen (so dass Art. 7 mit der Feststellung in Abs. 2 Buchst. c und d, dass der Antrag auf Erlass des Zahlungsbefehls Geldforderungen zum Gegenstand hat, die aus Zinsen und Hauptbetrag bestehen, diese Unterscheidung zwischen Zinsen und Hauptbetrag nur vornimmt, weil die Geltendmachung der Zinsforderung nur eine Möglichkeit darstellt), und die Zinsforderung folgt grundsätzlich der Hauptforderung und deren Schicksal, so dass festgestellt werden kann, dass Zinsen beantragt werden können, sofern es um einen gerichtlich einklagbaren Hauptbetrag geht.

54.

Die erwähnte Beziehung zwischen der Hauptforderung und der Zinsforderung ist somit dadurch gekennzeichnet, dass

1.

die Zinsen geschuldet sind, weil der Hauptbetrag zu zahlen ist (d. h. fällig ist) und die entsprechende Zahlung noch nicht erfolgt ist (bei Verzugszinsen nicht zu dem vereinbarten oder gesetzlich vorgeschriebenen Termin);

2.

die Nebenforderungen sich im Laufe der Zeit mit der Hauptforderung verbinden und zu einem bestimmten Teil des entsprechenden Betrags werden.

55.

Die Beantwortung der Frage, ob im Wege des Europäischen Zahlungsbefehls die Zahlung von Zinsen, gegebenenfalls auch von offenen Zinsen, beantragt werden kann, kann somit nicht nur von der Auslegung des Art. 4 und von dem Umstand abhängen, dass diese Nebenforderungen im Sinne des Art. 4 eine bezifferte Höhe aufweisen und fällig sind.

56.

Die klagbaren Forderungen (Hauptforderung, Zinsen, Vertragsstrafen und Kosten) sind somit unter Gesamtwürdigung der Art. 4 und 7 zu bestimmen, und vor allem die Frage, ob die Zinsen geltend gemacht werden können, beantwortet sich aus der oben genannten Akzessorietät zwischen diesen und der Hauptforderung.

57.

Wie vorstehend ausgeführt, ist die Frage des Sąd Okręgowy we Wrocławiu zu prüfen, ob im fraglichen Mahnverfahren auch die Zinsen geltend gemacht werden können, die bis zum Zeitpunkt der Zahlung anfallen, oder nur die Zinsen, die bei Einreichung des Antrags oder bei Erlass des Zahlungsbefehls geschuldet sind.

58.

Die Antwort ergibt sich aus den Vorschriften und dem Zweck der Verordnung, dem Gegenstand der betreffenden Gesamtregelung sowie den Merkmalen der Tätigkeit des angerufenen Gerichts.

59.

Erstens weise ich darauf hin, dass der bereits angeführte Art. 7, der die formellen Voraussetzungen des Antrags regelt und ausdrücklich die Möglichkeit erwähnt, Zinsen zu verlangen, dem Antragsteller aufgibt (Abs. 2 Buchst. c), den Zinssatz und den Zeitraum anzugeben, für den Zinsen verlangt werden, nicht aber auch den genauen Termin zu nennen, bis zu dem die Zinsen verlangt werden.

60.

Diese Bestimmung beschränkt weder ihren Anwendungsbereich auf die Zinsen, die bis zur Einreichung des Antrags oder des Erlasses des Europäischen Zahlungsbefehls geschuldet sind, noch schreibt sie vor, die geschuldeten Zinsen genau zu beziffern.

61.

Die gleichen Überlegungen gelten für Art. 4, der für die Feststellung, welche Forderungen Gegenstand des in Frage stehenden Zahlungsbefehls sein können, in Verbindung mit Art. 7 zu lesen ist, wie oben in den Nrn. 47 bis 50 und 56 ausgeführt.

62.

Hieraus ergibt sich, dass die Vorschriften der Verordnung, die die klagbaren Forderungen bestimmen, indem sie die Bedingungen der Antragstellung regeln, einer Geltendmachung auch der offenen Zinsen, für die weder der Endtermin noch der endgültige Gesamtbetrag angegeben werden können, nicht entgegenstehen.

63.

Zu demselben Ergebnis gelangt man auch, wenn man den Zweck der Verordnung prüft.

64.

Wie bei der Prüfung der ersten Vorlagefrage dargelegt ( 12 ), führt die Verordnung eine einheitliche prozessuale Regelung ein, die es erlauben soll, gerichtliche Titel für grenzüberschreitende Geldforderungen mit geringem Streitwert zu erwirken, die in den Mitgliedstaaten frei verkehren können, wenn Mindestvorschriften eingehalten werden, die die Zwischenverfahren für die Anerkennung und Vollstreckung entfallen lassen. Auf diese Weise gelangt sie auch zu dem praktischen Ergebnis, dass die betreffende Streitigkeit vereinfacht und beschleunigt wird (fünfter Erwägungsgrund der Verordnung) und dass unbestrittene Forderungen rasch und effizient beigetrieben werden können (sechster Erwägungsgrund der Verordnung).

65.

Folgte man einer Auslegung der Verordnung dahin gehend, dass die Geltendmachung von sogenannten offenen Zinsen neben dem Hauptbetrag ausgeschlossen ist, wäre dies eine Missachtung der in Nr. 64 genannten Gebote.

66.

Wollte man nämlich von den Gläubigern verlangen, dass sie ihren Antrag auf den Hauptbetrag beschränken und eventuell die bei Antragstellung oder allenfalls bei Erlass des Zahlungsbefehls fälligen Zinsen hinzusetzen, wären diese Gläubiger gezwungen, mehrere Anträge zu stellen, nämlich den ersten zur Erwirkung des Hauptbetrags und der fälligen Zinsen, die anderen für die Zinsen, die danach fällig werden.

67.

Auf diese Weise wäre die Schaffung eines einheitlichen gerichtlichen Titels, der in den Mitgliedstaaten frei verkehren könnte, erschwert, und die Gesamtforderung wäre in ihre verschiedenen Bestandteile zerlegt, so dass es eine Vermehrung der gerichtlichen Titel gäbe, die einen Anstieg der Zahl der Prozesse und des Kosten- und Zeitaufwands bewirken würde, wodurch die Beitreibung der geschuldeten Beträge erschwert würde, nicht zuletzt deshalb, weil viele Verfahren statt einem Verfahren eingeleitet würden.

68.

Der Gläubiger könnte ferner dazu veranlasst sein, beim Gericht einen Zahlungsbefehl nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten statt nach der in Rede stehenden Verordnung zu beantragen, wenn in der ersten Variante, wie es nach der Darstellung des vorlegenden Gerichts in Polen der Fall ist, ein Titel erwirkt werden könnte, der die Gesamtforderung einschließlich der bis zum Tag der Zahlung anfallenden Zinsen zum Gegenstand hat, da in der zweiten Variante nur der Hauptbetrag und ein Teil der Zinsen beantragt werden könnten.

69.

Zu demselben Ergebnis wie in Nr. 62 gelangt man schließlich, wenn man den Gegenstand der fraglichen Gesamtregelung und die Merkmale der Tätigkeit des angerufenen Gerichts berücksichtigt.

70.

Zum einen hat die Verordnung, wie in den Nrn. 20 und 36 festgestellt, ein einheitliches Verfahren eingeführt, das im Verhältnis zu den nationalen Verfahren eigenständig ist und den Erlass von Zahlungsbefehlen zum Gegenstand hat, dabei jedoch nur die im Zusammenhang mit dem Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls stehenden prozessualen Fragen regelt, wie sich auch aus dem Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert ergibt (auf das im fünften Erwägungsgrund der Verordnung verwiesen wird). Das Grünbuch nennt von Anfang an als Ziel die Einführung eines spezifischen Verfahrens zur raschen und effizienten Beitreibung voraussichtlich unbestrittener Forderungen, das in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise etabliert wäre.

71.

Zum anderen erfolgt der Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls ohne materiell-rechtliche Prüfung der Begründetheit des Antrags.

72.

Gemäß den Art. 8 und 12 Abs. 4 ist nämlich lediglich die formelle Prüfung erforderlich, ob die von der Verordnung aufgestellten prozessualen Voraussetzungen erfüllt sind und ob die Forderung besteht, wobei die Prüfung auf der Darlegung des Antragstellers in dem von ihm eingereichten Antragsformular beruht und nicht verlangt, dass eine Nachprüfung des Wahrheitsgehalts der Darlegungen stattfindet. Aus diesem Grund wird der Schuldner mit Erlass des Zahlungsbefehls davon unterrichtet, dass der Zahlungsbefehl ausschließlich auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers erlassen wurde.

73.

Im Rahmen des Europäischen Verfahrens findet somit ein effektives gerichtliches Erkenntnisverfahren nicht statt; dieses wird erst im etwaigen nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt, weshalb sich die Tätigkeit des angerufenen Gerichts unterschiedlich gestaltet, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt es mit der Sache befasst wird.

74.

In der von den Rechtsvorschriften der Union geregelten nichtstreitigen Phase prüft das Gericht nur die formelle Ordnungsmäßigkeit des Antrags auf der Grundlage der Darlegungen des Gläubigers. In dem vom Recht der Mitgliedstaaten geregelten Rechtsbehelfsverfahren dagegen, in dem es um die effektive Feststellung der behaupteten Forderung geht, wird das Gericht im Rahmen des Erkenntnisverfahrens tätig ( 13 ).

75.

Der eventuell geringere Schutz des Schuldners in der Phase, die mit dem Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls seinen Abschluss findet, ist die notwendige Folge davon, dass der Erlass des Zahlungsbefehls so einfach und einheitlich wie möglich gestaltet sein muss. Der geringere Schutz wird zunächst dadurch ausgeglichen, dass nach Art. 16 Abs. 3 der Schuldner seinen Einspruch einlegen kann, ohne dass er dafür eine Begründung liefern muss, und damit nach Art. 17 erreicht, dass das Verfahren im ordentlichen Zivilprozess weitergeführt wird, und sodann dadurch, dass der Gläubiger nach Art. 7 Abs. 3 erklären muss, dass er wahrheitsgemäße Angaben macht und dass er weiß, dass falsche Auskünfte Sanktionen nach sich ziehen können ( 14 ).

76.

Nur infolge des Einspruchs wird daher das zuständige Gericht, worauf die Kommission in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, Bestand und Höhe der Hauptforderung und der Zinsen – auch der offenen – vollständig materiell-rechtlich prüfen und dabei gegebenenfalls das der Beziehung zugrunde liegende Gesetz (oder gegebenenfalls die Gesetze) gründlich beurteilen.

77.

Die Verordnung betrifft somit das Verfahren und befasst sich mit den Bedingungen, unter denen für eine Forderung ein in den Mitgliedstaaten frei verkehrender Zahlungsbefehl erwirkt werden kann, beschäftigt sich dagegen nicht mit materiell-rechtlichen Aspekten, insbesondere, soweit hier von Belang, nicht mit der Feststellung, welche Zinsen verlangt werden können.

78.

Nach den bisher angestellten Erwägungen ist somit in Anbetracht des Wortlauts der in Rede stehenden Verordnung, des Zwecks der Verordnung sowie des Gegenstands der fraglichen Regelung und der Merkmale der Tätigkeit des angerufenen Gerichts festzustellen, dass im Hinblick auf das Verfahren zur Erwirkung eines gerichtlichen Titels die Verordnung (und das innerstaatliche Gesetz, sofern auf dieses verwiesen wird oder Verfahrensregelungen fehlen) anzuwenden ist, während im Hinblick auf die Art der Zinsen, die verlangt werden können (gleiche Ergebnisse sind allerdings für alle Bestandteile der Forderung zu formulieren), folgerichtig das materielle Recht, das für die zwischen den Parteien bestehende Beziehung gilt, Anwendung zu finden hat.

79.

Sieht das materielle Recht vor, dass der Gläubiger die sogenannten offenen Zinsen beantragen kann, hat er die Möglichkeit, diese auch im Verfahren nach der Verordnung zu erwirken.

80.

Gewährt dagegen das materielle Recht nur die Zinsen, die am Tag der Antragstellung oder des Erlasses des Zahlungsbefehls fällig sind, muss der Gläubiger seinen Antrag so fassen, dass er dieser Regelung entspricht.

81.

Falls daher im vorliegenden Fall der Gläubiger nach dem materiellen Recht, das die Beziehungen zwischen ihm und dem Schuldner regelt (ausweislich des Vorlagebeschlusses das polnische Recht), auch die Zahlung der sogenannten offenen Zinsen verlangen kann, hat das vorlegende Gericht beim Erlass des Zahlungsbefehls auch diese Zinsen zuzusprechen.

82.

Im Übrigen ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine Forderung einschließlich der sogenannten offenen Zinsen aufgrund des für den Vertrag geltenden materiellen Rechts (das die Parteien häufig ausdrücklich wählen oder das ihnen jedenfalls vorher bekannt ist) der Höhe nach reduziert werden sollte, weil das Verfahren nach der fraglichen Verordnung in Anspruch genommen wird, obwohl es eine dahin gehende ausdrückliche Vorschrift nicht gibt.

83.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist der Auffassung, dass die Zinsen nur bis zum Erlass des Zahlungsbefehls beantragt werden könnten.

84.

Die im Anhang I der fraglichen Verordnung enthaltene Anleitung zum Ausfüllen des Antragsformulars nenne nämlich unter Bezugnahme auf Feld 7 des Antragsformulars ausschließlich das Verfahren zur Erlangung der Zinsen bis zur Entscheidung des Gerichts auf Antrag des Gläubigers (genauer gesagt wird darauf hingewiesen, dass insoweit das letzte Kästchen des genannten Feldes 7 leer zu lassen ist).

85.

Ein weiteres Argument, das für diese Lösung spreche, ergebe sich daraus, dass das Formblatt für den Erlass des Zahlungsbefehls (Formblatt E Anhang V der Verordnung) es dem angerufenen Gericht erlaube, unter der Position „Zinsen“ den Zeitpunkt des Erlasses des Zahlungsbefehls anzugeben, sofern der Gläubiger dies beantrage.

86.

Hierzu beziehe ich mich auf meine bisherigen Ausführungen und weise darauf hin, dass entgegen der Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs die betreffende Anleitung lediglich Beispiele für mögliche konkrete Fälle betrifft.

87.

Das Antragsformblatt gibt die Möglichkeit, den Zinsantrag den konkreten Bedürfnissen des Gläubigers unabhängig von der Anleitung zum Ausfüllen anzupassen.

88.

Es ist nämlich möglich, den Code, der in das Feld 7 des genannten Formblatts für die Zinsen einzutragen ist, aus der Codenummer 06 und dem Buchstaben E (die beide für „Sonstige“ stehen) zu bilden und dann den unteren Teil dieses Feldes, der den Hinweis „Bitte näher erläutern im Falle von Code 6 und/oder E“ enthält, sowie gegebenenfalls das Feld 11 („Zusätzliche Erklärungen und weitere Angaben [falls erforderlich]“) auszufüllen.

89.

Damit kann der Gläubiger sehr wohl die Zinsen bis zur begehrten Fälligkeit beantragen, gegebenenfalls auch bis zum Zeitpunkt der Erfüllung, ohne sie sofort beziffern zu müssen.

90.

Dies ergibt sich auch daraus, dass die abschließende Erläuterung im Antragsformblatt nicht verlangt, dass die genaue Höhe angegeben wird, sondern dass sie sich lediglich auf die Bezahlung der „Hauptforderung in der oben genannten Höhe, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen“ bezieht, die Wendung „in der oben genannten Höhe“ also nicht in Bezug auf die Zinsen verwendet.

91.

Im Hinblick auf das Formblatt für den Erlass des Zahlungsbefehls (Formblatt E Anhang V der Verordnung), in dessen Tenor für die Zinsen die Angabe des „Betrags“ vorgesehen ist, weise ich darauf hin, dass das Gericht nicht daran gehindert ist, dem Schuldner statt der Zahlung eines bezifferten Betrags, der unter Bezugnahme auf einen spezifisch angegebenen Zeitpunkt berechnet ist, die Zahlung dessen aufzugeben, „was am Zahlungstag geschuldet ist“.

92.

Die portugiesische Regierung schließt sich der von der Regierung des Vereinigten Königreichs gewählten Lösung an, insbesondere weil Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung vorsieht, dass der Zahlungsbefehl den Hinweis an den Schuldner enthält, dass er den im Zahlungsbefehl angegebenen Betrag an den Antragsteller zahlen kann.

93.

Hierzu verweise ich auf meine Ausführungen und betone, dass der Adressat bei Eingang des zugestellten Zahlungsbefehls sehr wohl in der Lage ist, anhand einer einfachen mathematischen Operation zu errechnen, was am Zahlungstag geschuldet ist; sollte er mit dem Betrag, der bezogen auf den im Zahlungsbefehl genannten Zinssatz und Zeitpunkt, ab dem die Zinsen geschuldet werden, ermittelt wird, nicht einverstanden sein, kann er Einspruch einlegen.

94.

Ferner können die standardisierten Bestimmungen der oben genannten Formulare und die beigefügten entsprechenden Anleitungen dem Gläubiger nicht das Recht nehmen, alle ihm am Zahlungstag geschuldeten Zinsen zu beantragen, wenn es nach dem für das Vertragsverhältnis geltenden materiellen Recht möglich ist; bei einer Betrachtung der Verordnung als Ganzem nämlich wird offenbar, dass ihm dies nicht versperrt ist.

95.

Die von der portugiesischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs vorgeschlagene Lösung würde dagegen die Ziele der Verordnung offensichtlich vereiteln, nämlich die vereinfachte und beschleunigte Beilegung von Streitigkeiten und die rasche und effiziente Beitreibung nicht bestrittener Forderungen, und könnte die Gläubiger dazu veranlassen, nicht dem hier fraglichen Verfahren, sondern den nationalen Mahnverfahren den Vorzug zu geben, die die vollständige Erfüllung ihrer Forderungen sicherstellen würden.

96.

Abschließend schlage ich dem Gerichtshof daher vor, auf die dritte und die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 4 und 7 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung dahin auszulegen sind, dass im Europäischen Mahnverfahren neben der Hauptforderung alle Zinsen geltend gemacht werden können, die aufgrund des für das Vertragsverhältnis geltenden materiellen Rechts beansprucht werden können, somit je nach Fall sowohl die Zinsen, die ab dem genau angegebenen Fälligkeitstag bis zum unbestimmten Zahlungstag errechnet werden, als auch die Zinsen, die bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls errechnet werden.

VII – Zur fünften Vorlagefrage

97.

Mit der fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht, falls die Frage 4 a zu bejahen ist, wissen, wie nach der Verordnung die Entscheidung des Gerichts zu den Zinsen im Zahlungsbefehl formuliert werden muss.

98.

Hierzu weise ich darauf hin, dass sich am Ende des betreffenden Formblatts ein entsprechendes Feld befindet, in das nach der Hauptforderung die Zinsen eingetragen werden können.

99.

Handelt es sich um sogenannte offene Zinsen und können diese aufgrund des dem Vertrag zugrunde liegenden materiellen Rechts zuerkannt werden, ordnet das Gericht, da es den Betrag nicht beziffern kann, innerhalb des in Nr. 98 genannten Feldes unter der Position „Zinsen“ in der Spalte „Datum“ lediglich an, dass die Zinsen bis zum Zeitpunkt der Erfüllung zu zahlen sind, während es in der Spalte „Betrag“ den entsprechenden Zinssatz einträgt.

100.

Selbstverständlich ist jedoch jede sonstige im Wesentlichen entsprechende Angabe zulässig, die geeignet ist, den Inhalt der Entscheidung des Gerichts deutlich zu machen (hierzu verweise ich auf die Lösungen, die in den Schriftsätzen nicht nur der Kommission, sondern auch der polnischen und der österreichischen Regierung vorschlagen worden sind).

101.

In Bezug auf die Fälle jedoch (die nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts auch zur Vorlagefrage 4 a und zur Vorlagefrage 5 gehören), in denen die Zahlung der Zinsen bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls verlangt wird, kann das Gericht, da es den Zinssatz und den Referenzzeitraum kennt, die Berechnung vornehmen und im Feld am Ende des in Nr. 98 genannten Formblatts den geschuldeten Zinsbetrag einsetzen.

102.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die fünfte Vorlagefrage zu antworten, dass nach der Verordnung die Entscheidung des Gerichts zu den Zinsen im Zahlungsbefehl wie folgt formuliert werden kann:

Handelt es sich um sogenannte offene Zinsen und können diese aufgrund des dem Vertrag zugrunde liegenden materiellen Rechts zuerkannt werden, trägt das Gericht innerhalb des entsprechenden Feldes am Ende des Formblatts für den Zahlungsbefehl, das für die Angabe des Zahlungsbetrags vorgesehen ist, unter der Position „Zinsen“ in der Spalte „Datum“ ein, dass die Zinsen bis zum Zeitpunkt der Erfüllung geschuldet sind, und nennt in der Spalte „Betrag“ den entsprechenden Zinssatz, wobei jedoch jede andere im Wesentlichen entsprechende Angabe zulässig ist, die geeignet ist, den Inhalt der Entscheidung deutlich zu machen;

wird die Zinszahlung bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls verlangt, kann das Gericht die Berechnung vornehmen und im Feld am Ende des letztgenannten Formblatts den geschuldeten Zinsbetrag einsetzen.

103.

Angesichts der Antwort auf die vierte und die fünfte Vorlagefrage brauchen die sechste und die siebte Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden.

VIII – Zur achten Vorlagefrage

104.

Mit der achten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Gericht, wenn der Antragsteller die bis zur Einreichung des Antrags verlangten Zinsen nicht berechnet, diese von Amts wegen berechnen oder stattdessen den Antragsteller zur Vervollständigung des Antrags nach Art. 9 der Verordnung auffordern muss.

105.

Hierzu beziehe ich mich auf meine bisherigen Ausführungen und weise darauf hin, dass der Gläubiger nach Art. 7 der Verordnung den Zinsbetrag nicht, um die Unzulässigkeit oder die Zurückweisung des Antrags zu vermeiden, berechnen muss, auch wenn er ihn berechnen kann.

106.

Das Gericht kann die Zinsen berechnen, sofern der Antragsteller die hierfür notwendigen Tatsachen vorgetragen hat (wie Währung, Zinssatz und Zeitpunkt, ab dem die Nebenforderungen zu berechnen sind).

107.

Sind die für die Berechnung erforderlichen Daten nicht angegeben worden oder unvollständig, räumt das Gericht dem Antragsteller gemäß Art. 9 der Verordnung die Möglichkeit ein, den Antrag innerhalb einer dem Gericht angemessen erscheinenden Frist zu vervollständigen oder zu berichtigen, wenn die Forderung nicht offensichtlich unbegründet oder der Antrag unzulässig ist ( 15 ).

108.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die achte Vorlagefrage wie folgt zu antworten:

Hat der Antragsteller die bis zur Einreichung des Antrags verlangten Zinsen nicht berechnet, muss das Gericht diese Berechnung vornehmen, sofern der Gläubiger die hierfür erforderlichen Tatsachen vorgetragen hat;

sind die für die Berechnung erforderlichen Daten nicht angegeben worden oder unvollständig, räumt das Gericht dem Antragsteller gemäß Art. 9 der Verordnung die Möglichkeit ein, den Antrag innerhalb einer dem Gericht angemessen erscheinenden Frist zu vervollständigen oder zu berichtigen, wenn die Forderung nicht offensichtlich unbegründet oder der Antrag unzulässig ist.

IX – Ergebnis

109.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Sąd Okręgowy we Wrocławiu wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens ist dahin auszulegen, dass er vorbehaltlich der besonderen Verweise auf das Recht der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen, die ein Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls erfüllen muss, erschöpfend regelt.

2.

Die Art. 4 und 7 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1896/2006 sind dahin auszulegen, dass im Europäischen Mahnverfahren neben der Hauptforderung alle Zinsen geltend gemacht werden können, die aufgrund des für das Vertragsverhältnis geltenden materiellen Rechts beansprucht werden können, somit je nach Fall sowohl die Zinsen, die ab dem genau angegebenen Fälligkeitstag bis zum unbestimmten Zahlungstag errechnet werden, als auch die Zinsen, die bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls errechnet werden.

3.

Nach der Verordnung Nr. 1896/2006 kann die Entscheidung des Gerichts zu den Zinsen im Zahlungsbefehl wie folgt formuliert werden:

a)

Handelt es sich um sogenannte offene Zinsen und können diese aufgrund des dem Vertrag zugrunde liegenden materiellen Rechts zuerkannt werden, trägt das Gericht innerhalb des entsprechenden Feldes am Ende des Formblatts für den Zahlungsbefehl, das für die Angabe des Zahlungsbetrags vorgesehen ist, unter der Position „Zinsen“ in der Spalte „Datum“ ein, dass die Zinsen bis zum Zeitpunkt der Erfüllung geschuldet sind, und nennt in der Spalte „Betrag“ den entsprechenden Zinssatz, wobei jedoch jede andere im Wesentlichen entsprechende Angabe zulässig ist, die geeignet ist, den Inhalt der Entscheidung deutlich zu machen;

b)

wird die Zinszahlung bis zur Einreichung des Antrags oder bis zum Erlass des Zahlungsbefehls verlangt, kann das Gericht die Berechnung vornehmen und im Feld am Ende des letztgenannten Formblatts den geschuldeten Zinsbetrag einsetzen.

4.

Hat der Antragsteller die bis zur Einreichung des Antrags verlangten Zinsen nicht berechnet, muss das Gericht diese Berechnung vornehmen, sofern der Gläubiger die hierfür erforderlichen Tatsachen vorgetragen hat.

5.

Sind die für die Berechnung erforderlichen Daten nicht angegeben worden oder unvollständig, räumt das Gericht dem Antragsteller gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1896/2006 die Möglichkeit ein, den Antrag innerhalb einer dem Gericht angemessen erscheinenden Frist zu vervollständigen oder zu berichtigen, wenn die Forderung nicht offensichtlich unbegründet oder der Antrag unzulässig ist.


( 1 ) Originalsprache: Italienisch.

( 2 ) ABl. L 399, S. 1.

( 3 ) Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts im Vorlagebeschluss unter Nr. 8 ist die Verpflichtung zur Leistung von Verzugszinsen nach der Auslegung der genannten Rechtsvorschrift durch den Beschluss des Sąd Najwyższy (oberstes polnisches Gericht) vom 5. April 1991 termingebunden. Die Forderung wird am ersten Tag nach Ablauf der Frist zur Erfüllung der Hauptleistung fällig und erhöht sich sukzessiv um die nachfolgenden Verzugstage. Eine Zinsforderung entsteht daher bereits am ersten Verzugstag, und der Gläubiger erwirbt den Zinsanspruch einzeln für jeden Tag der gesamten Verzugsdauer. Die Leistung der Zinsen gilt als eine im Verhältnis zur Hauptforderung wiederkehrende akzessorische Leistung. Nach polnischem Recht ist es zulässig, die Zahlung künftiger Zinsen bis zum Zahlungstag zu fordern, und diese Forderung kann zusammen mit der Hauptforderung geltend gemacht werden.

( 4 ) Diese Frage ergab sich insbesondere daraus, dass die Gläubigerin zum einen den Wert des Streitgegenstands nicht in polnischer Währung angegeben hatte (obwohl er zur Berechnung der Antragsgebühr erforderlich war), dass sie zum anderen in Feld 7 des Antragsformulars A den Zinscode unrichtig vermerkt hatte, da sie nicht unter Verwendung des entsprechenden Zeichens angegeben hatte, in welchem Umfang Zinsen zu berechnen sind, und dass sie schließlich nicht vermerkt hatte, von welchen Beträgen Zinsen zuerkannt werden sollen.

( 5 ) Wie z. B. in Art. 7 Abs. 3 bezüglich der Sanktionen, die bei einer falschen Auskunft im Antrag zu ergreifen sind, in Art. 10 Abs. 2 bezüglich der Folgen hinsichtlich des Teils der ursprünglichen Forderung, für den das nationale Gericht die Voraussetzungen für den Erlass des Zahlungsbefehls als nicht erfüllt angesehen hat, in Art. 11 Abs. 3, der dem Betroffenen das Recht einräumt, ein anderes Verfahren auch bei Zurückweisung seines Antrags in Anspruch zu nehmen, und in Art. 12 Abs. 5, wonach das Gericht sicherstellt, dass der Zahlungsbefehl dem Antragsgegner gemäß den nationalen Rechtsvorschriften zugestellt wird.

( 6 ) Dieselben Ziele werden auch im neunten Erwägungsgrund genannt.

( 7 ) Dies auch mit Hilfe von Formblättern für die Abwicklung des Verfahrens gemäß den Erwägungsgründen 11 und 16.

( 8 ) Dies wegen des gegenseitigen Vertrauens in die ordnungsgemäße Rechtspflege in den Mitgliedstaaten, wie im 27. Erwägungsgrund ausgeführt.

( 9 ) Nach dem fünften Erwägungsgrund bezweckt die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Mahnverfahrens zur Beitreibung unbestrittener Forderungen gerade die einfachere und schnellere Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert.

( 10 ) Da er aufgrund einer den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfahrensregelung erlassen wird, die von einer Verordnung eingeführt wurde.

( 11 ) Ich bin deshalb nicht mit den Feststellungen des vorlegenden Gerichts in Nr. 9 der Begründung des Vorlagebeschlusses einverstanden, wo es heißt: „Die Annahme, dass die in Art. 4 der Verordnung genannten Forderungsmerkmale auch auf die Zinsforderung anzuwenden sind, würde bedeuten, dass ein Antragsteller lediglich die Zuerkennung von Zinsen für den Zeitraum ab Fälligkeit dieser Forderung maximal bis zur Einreichung des Antrags verlangen kann. Unter diesen Umständen bedürften die übrigen vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen keiner Beantwortung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“

( 12 ) Vgl. insbesondere Nrn. 30 und 31.

( 13 ) Die Verordnung hat ein sogenanntes (zumindest tendenziell) reines Mahnverfahren eingeführt, d. h. ein Verfahren, in dem das Gericht den Zahlungsbefehl ohne materiell-rechtliche Prüfung der Begründetheit des Antrags erlässt (in den anderen sogenannten „beweispflichtigen Verfahren“ gibt es dagegen eine solche Kontrolle, und der Gläubiger muss daher das Bestehen seiner Forderung beweisen). In den „reinen“ Verfahren wird der augenscheinlich geringere Schutz des Schuldners dadurch ausgeglichen, dass der Schuldner ausgesprochen leicht gegen den Zahlungsbefehl Einspruch einlegen kann (ohne diesen begründen zu müssen).

( 14 ) Es handelt sich um eine Vorschrift, die sich auf das für die Rechtsordnungen des common law typische Institut des Affidavit bezieht.

( 15 ) Es sei denn, gesetzliche Zinsen werden nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. c automatisch zur Hauptforderung hinzugerechnet.

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