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Document 62010CC0378

    Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 15. Dezember 2011.
    VALE Építési kft.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Legfelsőbb Bíróság - Ungarn.
    Art. 49 AEUV und 54 AEUV - Niederlassungsfreiheit - Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität - Grenzüberschreitende Umwandlung - Ablehnung der Eintragung in das Handelsregister.
    Rechtssache C-378/10.

    Sammlung der Rechtsprechung 2012 -00000

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:841

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    NIILO JÄÄSKINEN

    vom 15. Dezember 2011 ( 1 )

    Rechtssache C-378/10

    VALE Építési kft

    (Vorabentscheidungsersuchen des Magyar Köztársaság Legfelsőbb Bírósága [Oberstes Gericht Ungarn])

    „Niederlassungsfreiheit — Art. 49 AEUV und 54 AEUV — Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat mit einer Änderung des anwendbaren nationalen Rechts (‚grenzüberschreitende Neugründung einer Kapitalgesellschaft‘) — Nationale Regelung, die es nicht erlaubt, eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft als Rechtsvorgängerin einer Gesellschaft in das nationale Handelsregister einzutragen — Nationale Regelung, die eine solche Eintragung erlaubt, wenn diese Rechtsvorgängerin eine in Ungarn gegründete Gesellschaft ist“

    I – Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Problematik der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt. Das dem Gerichtshof vorgelegte Ersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 48 EG (jetzt Art. 49 AEUV und 54 AEUV) und erging im Rahmen eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Anschluss an die Verlegung einer Gesellschaft italienischen Rechts nach Ungarn durch die Verlegung ihres Gesellschaftssitzes, die ihre Löschung im italienischen Handelsregister, eine Änderung des anwendbaren Rechts und ihre Neugründung als Gesellschaft ungarischen Rechts, die sich als Universalrechtsnachfolgerin der genannten italienischen Gesellschaft bezeichnet, implizierte.

    2.

    Die in dieser Rechtssache in Rede stehende ungarische Regelung erlaubt es, als Rechtsvorgängerin einer Gesellschaft eine in Ungarn gegründete Gesellschaft in das nationale Handelsregister einzutragen. Dagegen erlaubt diese Regelung nicht die Eintragung eines solchen Vermerks, wenn, wie im Fall des Ausgangsverfahrens, die Rechtsvorgängerin eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft ist.

    3.

    Diese Rechtssache steht im Kontext einer Reihe von Urteilen des Gerichtshofs zum Europäischen Gesellschaftsrecht, wie den Urteilen Daily Mail and General Trust, Centros, Überseering, Inspire Art, SEVIC Systems und Cartesio ( 2 ). Sie weist dennoch einen innovativen Aspekt auf, da der Gerichtshof aufgefordert ist, über den Umfang der Pflichten eines Aufnahmemitgliedstaats im Fall der „grenzüberschreitenden Neugründung einer Kapitalgesellschaft“ zu entscheiden ( 3 ).

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    4.

    Weder das Primär- noch das Sekundärrecht enthält eine Regelung der grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats oder der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer solchen Gesellschaft ( 4 ).

    5.

    Jedoch enthält die Verordnung Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) ( 5 ) in Art. 8 detaillierte Bestimmungen in Bezug auf die Verlegung des Sitzes einer SE. Ebenso eröffnet die Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SEC) ( 6 ) den Europäischen Genossenschaften die Möglichkeit einer Verlegung ihres Sitzes. Außerdem schafft die Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften ( 7 ) einen rechtlichen Rahmen für solche Verschmelzungen.

    B – Nationales Recht

    6.

    Die wesentlichen Vorschriften des nationalen Rechts sind in zwei Regelungen enthalten ( 8 ).

    7.

    Es handelt sich zum einen um das Gesetz Nr. V von 2006 über die Publizität in Gesellschaftsrechtssachen, das gerichtliche Registerverfahren und die freiwillige Liquidation (A cégnyilvánosságról, a bírósági cégeljárásról és a végelszámolásról szóló 2006. évi V. törvény) ( 9 ) (im Folgenden: Gesetz über das Registerverfahren). Die relevanten Bestimmungen dieses Gesetzes finden sich in den Art. 24 bis 29 und in Art. 57 Abs. 4.

    8.

    Zum anderen handelt es sich um das Gesetz Nr. IV von 2006 über Handelsgesellschaften (A gazdasági társaságokról szóló 2006. évi IV. törvény) ( 10 ) (im Folgenden: Gesetz über Handelsgesellschaften). Die für die vorliegende Rechtssache relevanten Bestimmungen dieses Gesetzes finden sich u. a. in den Art. 3, 69 Abs. 1 sowie den Art. 71, 73, 74 und 75.

    III – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    9.

    Die VALE Costruzioni Srl (im Folgenden: VALE Costruzioni), Gesellschaft mit beschränkter Haftung italienischen Rechts, wurde am 16. November 2000 in das Handelsregister der Stadt Rom (Italien) eingetragen.

    10.

    Am 3. Februar 2006 beantragte VALE Costruzioni unter Hinweis auf ihre Absicht, ihren Sitz und ihre Tätigkeit nach Ungarn zu verlegen und ihre Tätigkeit in Italien einzustellen, ihre Löschung im Handelsregister.

    11.

    Die zuständige Registerbehörde in Rom entsprach diesem Antrag und löschte VALE Costruzioni am 13. Februar 2006 im Handelsregister. Der Akte ist zu entnehmen, dass in dem Register unter der Überschrift „Löschung und Sitzverlegung“ vermerkt ist, dass die Gesellschaft „ihren Sitz nach Ungarn verlegt [hat]“. Der Auszug aus dem italienischen Handelsregister zeigt, dass VALE Costruzioni Ungarn als ihren Sitzstaat bezeichnet und dabei die Adresse in Budapest (Ungarn) genannt hat.

    12.

    Am 14. November 2006, also neun Monate später, genehmigten der Geschäftsführer von VALE Costruzioni und eine weitere natürliche Person in Rom die Satzung von VALE Építési kft (im Folgenden: VALE Építési), Gesellschaft mit beschränkter Haftung ungarischen Rechts, im Hinblick auf eine Eintragung in das ungarische Handelsregister. Die Präambel des Gesellschaftsvertrags enthält den Hinweis, dass „die ursprünglich in Italien nach italienischem Recht gegründete Gesellschaft … beschlossen [hat], ihren Sitz nach Ungarn zu verlegen und nach ungarischem Recht tätig zu werden“. Gemäß dem Gesellschaftsvertrag wurde die Hälfte des Gesellschaftskapitals in dem nach ungarischem Recht erforderlichen Umfang eingebracht und am 14. Dezember 2006 auf das in Ungarn auf den Namen der VALE Építési eröffnete Konto eingezahlt. Nach dem Gesellschaftsvertrag liegt der Sitz an derselben Adresse in Budapest.

    13.

    Am 19. Januar 2007 beantragte der Vertreter von VALE Építési beim Fővárosi Bíróság (Gericht von Budapest, Ungarn) als Cégbíróság (Handelsregistergericht) die Eintragung der Gesellschaft nach ungarischem Recht. In seinem Antrag gab er VALE Costruzioni als Rechtsvorgängerin von VALE Építési an.

    14.

    Dieses Gericht, das in erster Linie für die Führung des Handelsregisters zuständig ist, wies den Eintragungsantrag der VALE Építési zurück. Der Fővárosi Ítélőtábla (Bezirksgerichtshof von Budapest), bei dem diese Gesellschaft ein Rechtsmittel einlegte, bestätigte diesen Zurückweisungsbeschluss. In seiner Entscheidung führte er aus, dass die in Italien gegründete und eingetragene Gesellschaft nach den in Ungarn für Gesellschaften geltenden Regeln ihren Gesellschaftssitz nicht nach Ungarn verlegen und sich nicht in der beantragten Form eintragen lassen könne. Nach dem Gesetz über das Registerverfahren sei es nicht möglich, als Rechtsvorgänger eine nicht ungarische Gesellschaft zu nennen. Im Handelsregister könnten nur die in den Art. 24 bis 29 dieses Gesetzes aufgeführten Vermerke eingetragen werden.

    15.

    VALE Építési legte eine Kassationsbeschwerde beim Magyar Köztársaság Legfelsőbb Bírósága (Oberster Gerichtshof der Republik Ungarn), dem vorlegenden Gericht, ein, mit der sie geltend macht, dass die Entscheidung die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Art. 43 EG und 48 EG verletze, da sie nicht zwischen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer Gesellschaft, die weder die Änderung der ursprünglichen Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft noch eine Änderung des anwendbaren Rechts zur Folge habe, und der grenzüberschreitenden Umwandlung einer Gesellschaft, die zu einer solchen Änderung führe, unterscheide.

    16.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht die praktische Schwierigkeit der vorliegenden Rechtssache darin, dass das Handelsregister nach einem „Fallsystem“ aufgebaut sei, bei dem der Inhalt der verschiedenen Fälle durch die Art. 24 bis 29 des Gesetzes über das Registerverfahren bestimmt werde. Ein Unternehmen, das seine Niederlassungsfreiheit nicht durch eine Sitzverlegung nach Ungarn, sondern durch Gründung einer neuen ungarischen Gesellschaft ausüben und in der Satzung vermerken wolle, dass es zuvor in einem anderen Mitgliedstaat tätig gewesen sei, könne nur durch Angabe des Datums der Umwandlung auf diesen Umstand hinweisen. Insoweit bestätigt das vorlegende Gericht die Beurteilung des Fővárosi Bíróság, indem es ausführt, dass eine Verlegung des Sitzes der Gesellschaft, die mit einer Neugründung der Gesellschaft nach ungarischem Recht einhergehe, und der Vermerk über ihren italienischen Gründer, wie VALE Építési beantrage, nach ungarischem Recht nicht als Umwandlung angesehen werden könne.

    17.

    Unter diesen Umständen hat das nationale Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Ist der Aufnahmemitgliedstaat in einem Fall, in dem eine in einem anderen Mitgliedstaat (Herkunftsmitgliedstaat) gegründete Gesellschaft ihren Sitz in den Aufnahmemitgliedstaat verlegt und zu diesem Zweck gleichzeitig ihre Löschung im Handelsregister des Herkunftsmitgliedstaats erwirkt, die Gesellschafter einen neuen Gesellschaftsvertrag nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats schließen und die Gesellschaft ihre Eintragung in das Handelsregister des Aufnahmemitgliedstaats nach dem Recht dieses Staates beantragt, an die Art. 43 EG und 48 EG gebunden?

    2.

    Falls Frage 1 zu bejahen ist: Sind in diesem Fall die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass sie einer Regelung oder Praxis eines (Aufnahme-)Mitgliedstaats entgegenstehen, die verhindert, dass eine rechtmäßig in irgendeinem anderen (Herkunfts-)Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft ihren Sitz in den Aufnahmemitgliedstaat verlegt und ihre Tätigkeit dort nach dem Recht dieses Staates fortsetzt?

    3.

    Spielt es für die Beantwortung der zweiten Frage eine Rolle, aus welchem Grund der Aufnahmemitgliedstaat die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister verweigert, konkret

    dass die Gesellschaft in dem im Aufnahmemitgliedstaat geschlossenen Gesellschaftsvertrag als Rechtsvorgängerin die im Herkunftsmitgliedstaat gegründete Gesellschaft anführt, die im Handelsregister gelöscht wurde, und die Eintragung dieser Gesellschaft als ihre Rechtsvorgängerin in das Handelsregister des Aufnahmemitgliedstaats beantragt?

    Muss im Fall einer grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Umwandlung der Aufnahmemitgliedstaat bei der Entscheidung über den Antrag auf Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister die Eintragung der Sitzverlegung durch den Herkunftsmitgliedstaat in sein Handelsregister berücksichtigen? Wenn ja, in welchem Umfang?

    4.

    Darf der Aufnahmemitgliedstaat bei der Entscheidung über den Antrag einer eine grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Umwandlung durchführenden Gesellschaft auf Eintragung in das Handelsregister dieses Staates seine gesellschaftsrechtsrechtlichen Vorschriften über innerstaatliche Umwandlungen von Gesellschaften anwenden und von dieser Gesellschaft die Erfüllung sämtlicher Erfordernisse verlangen, die nach seinem Gesellschaftsrecht für innerstaatliche Umwandlungen vorgesehen sind (z. B. Erstellung einer Bilanz und eines Vermögensverzeichnisses), oder muss er vielmehr auf der Grundlage der Art. 43 EG und 48 EG zwischen grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Umwandlungen einerseits und innerstaatlichen Umwandlungen andererseits differenzieren? Wenn ja, in welchem Umfang?

    IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

    18.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 28. Juli 2010 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden. Schriftliche Erklärungen sind abgegeben worden von VALE Építési, der ungarischen und der deutschen Regierung, Irland, der italienischen und der österreichischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission und der EFTA- Überwachungsbehörde.

    19.

    Zur Ergänzung der Verfahrensunterlagen hat der Gerichtshof an die italienische Regierung und den Vertreter von VALE Építési schriftliche Fragen zur Tragweite der italienischen Vorschriften sowie zum vorliegenden Sachverhalt gerichtet. Die Antworten sind am 22. Juli 2011 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

    20.

    VALE Építési, die ungarische und die deutsche Regierung, Irland, die italienische und die österreichische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs, die Kommission und die EFTA-Überwachungsbehörde waren in der mündlichen Verhandlung, die am 14. September 2011 stattgefunden hat, vertreten.

    V – Würdigung

    A – Einleitung

    21.

    Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht in einem Fall der Sitzverlegung oder gar der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft, die in einem Mitgliedstaat A rechtmäßig gegründet und dann im Handelsregister dieses Staates gelöscht wurde, um, verbunden mit einer Änderung des anwendbaren Rechts, ihren Sitz in einen Mitgliedstaat B zu verlegen und dort ins Handelsregister eingetragen zu werden, anwendbar ist und, falls diese Frage bejaht wird, welche Wirkung dies hat. Da die Vorschriften des ungarischen Rechts die Eintragung einer solchen Gesellschaft mit der Nennung einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats als Rechtsvorgängerin nicht erlauben, fragt das vorlegende Gericht, wie im Hinblick auf die Bestimmungen des Unionsrechts zur Niederlassungsfreiheit zu entscheiden ist.

    22.

    Vor dem Hintergrund der dem Gerichtshof vorliegenden Problematik schlage ich vor, die Fragen in zwei Teilen zu behandeln, einem ersten Teil, der die Anwendbarkeit der Art. 49 AEUV und 54 AEUV ( 11 ) im Bereich der Umwandlung von Gesellschaften betrifft, und einem zweiten Teil hinsichtlich der Auswirkung der Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit auf nationale Vorschriften, die geeignet sind, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken.

    23.

    Drei Punkte sollten jedoch sogleich angesprochen werden, bevor mit der Würdigung der Vorlagefragen begonnen wird. Erstens haben manche Verfahrensbeteiligten Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geäußert. Zweitens ist es meines Erachtens unerlässlich, die anzuwendende Terminologie klarzustellen. Drittens betrifft eine letzte wesentliche Vorfrage die Rechtspersönlichkeit von VALE Costruzioni zum Zeitpunkt des Eintragungsantrags in Ungarn.

    B – Zur Zulässigkeit

    24.

    In ihren schriftlichen Erklärungen bemerken die Regierung des Vereinigten Königreichs und die EFTA-Überwachungsbehörde in Bezug auf die letzten beiden Fragen, dass die Vorlageentscheidung Lücken enthalte, die zur Unzulässigkeit der Vorlagefragen führen könnten. Diese Entscheidung erläutere nämlich nicht die Rechtsfolgen, die im italienischen Recht an die Löschung der VALE Costruzioni im Handelsregister geknüpft seien. Die ungarische Regierung und die Kommission machen geltend, dass sich aus der genannten Entscheidung nicht ergebe, ob VALE Costruzioni nach ihrer Löschung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe oder nicht. Die ungarische und die österreichische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs bemerken darüber hinaus, dass die Satzung von VALE Építési von zum Teil anderen Personen genehmigt worden sei als den Gesellschaftern von VALE Costruzioni. Schließlich ist nach Ansicht Irlands nicht klar, ob die Verlegung des Sitzes der „Gesellschaft“ den satzungsmäßigen oder den tatsächlichen Sitz betrifft.

    25.

    Die Zulässigkeit der Vorlagefragen erscheint mir jedoch nicht zweifelhaft. Dies ergibt sich meines Erachtens aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach dieser im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV grundsätzlich gehalten ist, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen ( 12 ). Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind ( 13 ).

    26.

    Dies ist aber hier offensichtlich nicht der Fall. Trotz der Ungenauigkeiten der Vorlageentscheidung hinsichtlich der Besonderheiten des italienischen Rechts verfügt der Gerichtshof meines Erachtens über genügend Angaben, um entscheiden zu können. Die Vorlagefragen fügen sich korrekt in den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen ein und betreffen ein tatsächliches Problem, das Folgen für den gesamten Binnenmarkt haben kann. Außerdem handelt es sich um Fragen, die der Gerichtshof noch nicht genau beantwortet hat.

    27.

    Im Übrigen erscheint die Problematik der Rechtsfolgen, die mit der Löschung einer Kapitalgesellschaft im italienischen Handelsregister verbunden sind, eine vom vorlegenden Gericht ausdrücklich erwähnte Tatsache, besonders komplex und ihre Auslegung alles andere als eindeutig.

    C – Zur genauen Einstufung des vorliegenden Falles

    28.

    Meines Erachtens ist es entscheidend, die Terminologie zu präzisieren, die bei der Definition der Natur des Akts der Gründung von VALE Építési anzuwenden ist, die durch Personen erfolgte, die als Gesellschaft mit beschränkter Haftung italienischen Rechts, nämlich VALE Costruzioni, wirtschaftlich tätig gewesen sind und die wünschen, dass VALE Építési Rechtsnachfolgerin von VALE Costruzioni werde.

    29.

    Der Akte ist zu entnehmen, dass eine ungarische Gesellschaft mit beschränkter Haftung offensichtlich ihren Sitz innerhalb des Landes an einen anderen Ort verlegen kann. In einem solchen Fall ändert sich weder die Rechtsform noch das anwendbare Recht, und die juristische Person bleibt dieselbe.

    30.

    Darüber hinaus kann nach ungarischem Recht „eine Handelsgesellschaft … durch Umwandlung gegründet werden (d. h. durch Änderung der Gesellschaftsform, durch Verschmelzung oder Spaltung)“ ( 14 ). Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann z. B. in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Mit einer solchen Änderung der Gesellschaftsform wird eine neue juristische Person geschaffen, sie ist aber Gesamtrechtsnachfolgerin der umgewandelten juristischen Person, die ihre Rechtsfähigkeit im Zeitpunkt der Umwandlung verliert ( 15 ). Nach ungarischem Recht kann der Wechsel der Gesellschaftsform auch durch Sitzverlegung im Inland erfolgen ( 16 ).

    31.

    Der hier vollzogene Vorgang unterscheidet sich von einer inländischen Sitzverlegung dadurch, dass seine Durchführung die Gründung einer neuen juristischen Person und die Löschung der bestehenden Gesellschaft erfordert, da im ungarischen Recht eine grenzüberschreitende Sitzverlegung einer im Ausland gegründeten Gesellschaft nicht vorgesehen ist.

    32.

    Darüber hinaus betont das vorlegende Gericht, dass nach ungarischem Recht der Fall der Mobilität einer Gesellschaft, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, nicht als „Umwandlung einer Gesellschaft“ eingestuft werden könne, da das ungarische Gesellschaftsrecht nur die drei oben genannten Umwandlungsformen kenne.

    33.

    Überdies haben VALE Costruzioni und VALE Építési nach Unionsrecht die gleiche Gesellschaftsform, nämlich die der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ( 17 ). Es ist offensichtlich, dass in der nationalen Rechtsordnung keinerlei Bedürfnis besteht, die Umwandlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine gleichartige Gesellschaft vorzusehen, wenn es sich nicht um eine Verschmelzung oder eine Spaltung handelt.

    34.

    Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist es meines Erachtens sachgerecht, den hier fraglichen Vorgang als „grenzüberschreitende Neugründung einer Gesellschaft“ zu bezeichnen. Ein solcher Vorgang beinhaltet die Verlegung des Gesellschaftssitzes unter Änderung des anwendbaren Rechts (diese Änderung folgt aus dem Erfordernis, eine neue Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats zu gründen, um die Tätigkeit der ursprünglichen Gesellschaft fortsetzen zu können) und die Löschung der ursprünglichen Gesellschaft im Herkunftsmitgliedstaat.

    35.

    Ich bemerke im Übrigen, dass das von den Gesellschaften und ihren Gesellschaftern verfolgte Ziel ebenso durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung hätte erreicht werden können, bei der VALE Costruzioni gemäß der Richtlinie 2005/56 mit VALE Építési verschmolzen worden wäre ( 18 ).

    D – Zur rechtlichen Existenz von VALE Costruzioni nach italienischem Recht

    1. Vorbemerkungen

    36.

    Der Gerichtshof hat wiederholt ausgeführt, dass eine Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, keine Realität hat ( 19 ). Aus dieser Sicht handelt es sich hier um die Umwandlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung italienischen Rechts in eine Gesellschaft ungarischen Rechts. Eine solche Umwandlung ist jedoch weder im gegenwärtigen Unionsrecht ( 20 ) noch im ungarischen Recht vorgesehen.

    37.

    Es ist zu betonen, dass die Antragstellerin im Rahmen des Verfahrens der Eintragung in Ungarn eine in Gründung befindliche ungarische Gesellschaft (nämlich VALE Építési) ist, die, wie es scheint, in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine beschränkte Handlungsbefugnis hat, obwohl sie nicht eingetragen ist. Darüber hinaus besitzt diese ungarische Gesellschaft nach den Angaben des Vertreters von VALE Építési in der mündlichen Verhandlung Vermögenswerte, die einem Teil des für die Eintragung erforderlichen Gesellschaftskapitals entsprechen sollen, sowie eine Geschäftsführung und Gesellschafter, die jedoch nicht mit denen der italienischen Gesellschaft identisch sein sollen.

    38.

    Da die Gesellschaft VALE Costruzioni im Handelsregister in Italien gelöscht wurde, stellt sich die Frage nach der Existenz einer Rechtsvorgängerin von VALE Építési.

    39.

    Zur notwendigen Klärung einiger Punkte des nationalen Rechts sind die italienische Regierung und VALE Építési aufgefordert worden, zu ergänzenden Fragen Stellung zu nehmen.

    2. Standpunkte der italienischen Regierung und von VALE Építési

    40.

    Die erste Frage, die der Gerichtshof an die italienische Regierung gerichtet hat, betraf die Bedingungen, die eine italienische Gesellschaft, die sich durch Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes in eine Gesellschaft umwandeln möchte, die unter das Recht eines anderen Mitgliedstaats fällt, erfüllen muss. In ihrer Antwort bestätigt diese Regierung, dass nach italienischem Recht die Verlegung des gesetzlichen Sitzes einer in Italien gegründeten Gesellschaft in einen anderen Staat möglich sei. Nach italienischem Recht sei die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes nur wirksam, wenn dabei die Vorschriften der beiden betroffenen Mitgliedstaaten beachtet würden. Die Gesellschaft bestehe nur dann als juristische Person italienischen Rechts weiter, wenn sich die Staaten, zwischen denen die Verlegung stattfinde, in Bezug auf die Folgen eines solchen Vorgangs einig seien. Sollte die Sitzverlegung mit dem Wunsch der Gesellschaft verbunden sein, nicht mehr dem italienischen Recht zu unterstehen, könne die Löschung im Handelsregister erst vorgenommen werden, nachdem die Eintragung der Gesellschaft im Ausland erfolgt sei ( 21 ).

    41.

    Die zweite Frage des Gerichtshofs an die italienische Regierung betraf die Folgen der Löschung einer Gesellschaft im Handelsregister nach italienischem Recht. Nach den Ausführungen dieser Regierung führt die Löschung von Kapitalgesellschaften nach der Reform des italienischen Gesellschaftsrechts im Jahr 2003 zum Erlöschen. Die Frage stelle sich jedoch weiterhin, wenn Rechtsbeziehungen oder Vermögenswerte nach der Löschung weiterbestünden oder zutage träten. Es sei jedoch möglich, die Löschung der Kapitalgesellschaft aufzuheben, was zur Folge habe, dass die betroffene Gesellschaft bis zum Beweis des Gegenteils als weiterhin aktiv angesehen werde. Die italienische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass der aktuell im Handelsregister eingetragene Vermerk „Verlegung nach Ungarn“ auf einen Antrag der Gesellschafter auf Aufhebung rückwirkend aufgehoben werden könne, wenn die Löschung der Gesellschaft im Register auf einer rechtswidrigen Entscheidung beruht habe. In diesem Fall wäre das Problem der Existenz oder Nichtexistenz von VALE Costruzioni zwangsläufig verschwunden.

    42.

    Die an VALE Építési gerichtete Frage betraf in erster Linie Beweise für den Willen von VALE Costruzioni, eine Umwandlung vorzunehmen. In ihrer Antwort betont VALE Építési wiederholt, dass die Umwandlung und die Verlegung des Gesellschaftssitzes von VALE Costruzioni nach Ungarn auf der Absicht beruhe, tatsächlich und dauerhaft eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. VALE Építési macht geltend, dass diese Entscheidung, die VALE Costruzioni in aller Form lange vor ihrer Löschung im Gesellschaftsregister getroffen habe, eine anhaltende und ausdrückliche Absicht der Gesellschafter beweise, die von dem relativ langen Zeitraum zwischen der Löschung von VALE Costruzioni in Italien und dem Antrag auf Eintragung von VALE Építési in Ungarn nicht berührt werde.

    3. Würdigung

    43.

    Unter Berücksichtigung der vorstehenden Punkte kann die Situation aus zwei verschiedenen Blickwinkeln gewürdigt werden.

    44.

    Zum einen existiert VALE Costruzioni nicht mehr im Sinne des italienischen Rechts, und die im italienischen Recht anerkannte Verlegung kann nicht erreicht werden, da die Gesellschaft nicht mehr besteht. Es stellt sich dann aber die Frage, wem die Vermögenswerte der Gesellschaft gehören, insbesondere das Kapital, das im Hinblick auf die Eintragung in Ungarn eingezahlt wurde, und wer die Verantwortung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber Dritten trägt ( 22 ). Insbesondere ist die Natur der Verhältnisses zwischen den Gesellschaftern der gelöschten Gesellschaft zu prüfen.

    45.

    Zum anderen existiert VALE Építési noch nicht als juristische Person im ungarischen Recht, da die Eintragung dieser Gesellschaft in Ungarn abgelehnt worden ist. Dennoch hatte diese sich in Gründung befindliche Gesellschaft die für ein Auftreten als Partei vor dem nationalen Gericht und vor dem Gerichtshof erforderliche Klagebefugnis.

    46.

    Diese beiden Aspekte können zu abgehobenen Debatten führen, die sich auf die klassischen Theorien über die Existenz und die Natur juristischer Personen stützen und insbesondere das Fortbestehen ihrer Identität für einen bestimmten Zeitraum im Fall der Umwandlung oder Rechtsnachfolge betreffen. Meines Erachtens sollten jedoch für die Anwendung der Vorschriften des Unionsrechts über die Niederlassungsfreiheit die Realitäten des praktischen Wirtschaftslebens mehr Gewicht haben als die theoretischen Aspekte des Rechts der juristischen Personen.

    47.

    In dieser Hinsicht möchte ich an die Formulierung von Generalanwalt Darmon in der Rechtssache Daily Mail and General Trust zur Zielsetzung des Niederlassungsrechts erinnern, wonach sich niederlassen „heißt, sich in eine nationale Wirtschaft integrieren“ und „[d]er Begriff der Niederlassung … selbst wesentlich wirtschaftlich [ist]. Er verlangt immer ein tatsächliches wirtschaftliches Band.“ ( 23 ) Ferner ist, wie Generalanwalt La Pergola in der Rechtssache Centros festgestellt hat, „[d]as Niederlassungsrecht … wesentlich für die Verwirklichung der vom Vertrag vorgegebenen Ziele, der unterschiedslos allen Bürgern der Gemeinschaft die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung anhand der vom nationalen Recht gebotenen Instrumente sichern und ihnen die Chance der Marktteilnahme bieten will“, und [„e]s geht … um den Schutz der Gelegenheit einer wirtschaftlichen Initiative und zugleich der geschäftlichen Freiheit, sich der in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten angebotenen Mittel zu bedienen“ ( 24 ).

    48.

    Im Fall von VALE Costruzioni geht es um eine wirtschaftliche Einheit, die von den Gesellschaftern nach italienischem Recht gegründet wurde, um deren gegenseitige Verpflichtungen, um das Gesellschaftsvermögen und um einen Gesellschaftszweck der Fortsetzung der Tätigkeit von VALE Costruzioni in Ungarn in der Form einer entsprechenden Gesellschaft nach ungarischem Recht. Auch wenn diese Gesellschaft ihre Eigenschaft als juristische Person nach italienischem Recht verloren und ihre Nachfolgerin sie nach ungarischem Recht noch nicht erworben hat, müssen VALE Építési oder ihre Gesellschafter sich in Ungarn auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, um dort eine wirtschaftliche Tätigkeit, wie sie in der Satzung der gelöschten Gesellschaft und der Satzung der sich in Gründung befindlichen Gesellschaft definiert ist.

    49.

    Dieser Aspekt, der auf die Absicht der Gesellschaft abstellt, ist meines Erachtens entscheidend bei der Würdigung der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit ( 25 ). Nicht die italienische Gesellschaft, die als solche wahrscheinlich nicht besteht, aber wieder entstehen kann, sondern die in Gründung befindliche ungarische Gesellschaft und die daran beteiligten natürlichen Personen machen die Niederlassungsfreiheit geltend.

    50.

    Unter diesen Umständen ist es für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit nicht entscheidend, ob VALE Costruzioni nach Februar 2006 weiterhin existierte oder ob sie wegen einer möglicherweise fehlerhaften Eintragung im Gesellschaftsregister von Rom vorzeitig zu bestehen aufgehört hat. Auf alle Fälle gibt es natürliche Personen, Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die die Niederlassungsfreiheit in einem Mitgliedstaat ausgeübt haben und die weiterhin die Absicht haben, sie in dem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Somit fällt die Situation unter Art. 54 AEUV oder Art. 49 AEUV.

    51.

    Hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Vorschriften des AEU-Vertrags lege ich Wert auf die Klarstellung, dass die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter keine entscheidende Rolle spielen sollte: Auch wenn es sich um italienische Staatsangehörige handelt, liegt das grenzüberschreitende Element in Richtung Ungarn vor, und selbst wenn es sich um ungarische Staatsangehörige handeln sollte, wäre das Ergebnis das gleiche, weil die Gesellschafter bei dieser Fallgestaltung das Unternehmen von Italien in ihr Heimatland zurückführen würden.

    52.

    Dagegen handelt es sich bei dem rechtlichen Fortbestand der ersten Gesellschaft zum Zeitpunkt des rechtlichen Entstehens der Gesellschaft, die als ihre Rechtsnachfolgerin bestimmt ist, um einen anderen Aspekt, bei dem es auf die Bedingungen ankommt, die der Aufnahmestaat festgelegt hat, um die in Gründung befindliche Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin der ersten Gesellschaft ansehen zu können. Die italienischen Rechtsvorschriften sowie die entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts ( 26 ) gehen von dem Grundsatz aus, dass die Rechtsnachfolge nur möglich ist, wenn der Nachfolger existiert, bevor der Vorgänger seine Rechtsfähigkeit verliert. Die Tragweite dieses Grundsatzes ist im Rahmen der dritten und der vierten Frage zu würdigen.

    E – Zur Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit in der vorliegenden Rechtssache (erste und zweite Frage)

    53.

    Die Mobilität von Gesellschaften innerhalb des Binnenmarkts kann vielfältige Formen annehmen, wie die Gründung von Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen, die Sitzverlegung oder die grenzüberschreitende Verschmelzung. Die Problematik des Gesellschaftsrechts fällt zum einen auf der Ebene des Primärrechts unter die Niederlassungsfreiheit und zum anderen auf der Ebene des Sekundärrechts unter speziellere gesetzliche Durchführungsbestimmungen.

    54.

    Es ist allgemein bekannt, dass die gesetzliche Harmonisierung in diesem Bereich in der Europäischen Union noch lange nicht erreicht ist. Dennoch ist der Unionsgesetzgeber in spezifischen Bereichen bereits tätig geworden.

    55.

    So sieht z. B. die Verordnung Nr. 2157/2001 ( 27 ) vor, dass eine Europäische Gesellschaft ihren Sitz unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen kann, ohne dass eine solche Verlegung zur Gründung einer neuen juristischen Person führt. Dennoch umfasst eine solche Verlegung zwangsläufig eine Änderung des auf diese Gesellschaft anwendbaren nationalen Rechts. Ebenso erlaubt die Verordnung Nr. 1435/2003 ( 28 ) eine solche Verlegung des Sitzes für Europäische Genossenschaften. Überdies betrifft die Richtlinie 2005/56 Situationen, in denen eine Gesellschaft mit einer in einem anderen Mitgliedstaat errichteten Gesellschaft fusioniert.

    56.

    Das Phänomen der Sitzverlegung ist dem Unionsrecht somit nicht fremd. Natürlich gilt die in den oben angeführten Bestimmungen vorgesehene Möglichkeit nur für die Gesellschaftstypen, die unter die genannte Bestimmung fallen. Trotzdem existiert eine solche Möglichkeit, und der vom Unionsgesetzgeber vorgeschlagene Ansatz ist auf den drei Gebieten recht kohärent.

    57.

    Hinsichtlich der Umwandlung einer juristischen Person einer Rechtsordnung in eine andere gibt es außer den drei erwähnten Beispielen keine Regelung auf europäischer Ebene. Infolgedessen ist es beim derzeitigen Stand des Unionsrechts Sache der Mitgliedstaaten, die Modalitäten in Bezug auf eine solche Umwandlung zu regeln. In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, dass Art. 293 EG den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegte, soweit erforderlich untereinander Verhandlungen einzuleiten, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaften, die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen und die Verschmelzung von Gesellschaften, die den Rechtsordnungen verschiedener Mitgliedstaaten unterstehen, sicherzustellen. Art. 293 EG wurde aber durch den Vertrag von Lissabon aufgehoben, so dass das Primärrecht nicht mehr die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vorsieht, untereinander Übereinkünfte über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften zu schließen.

    58.

    Ungeachtet der verschiedenen rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsrecht, dem nationalen Steuerrecht und dem internationalen Privatrecht war es aber der Gerichtshof, der durch seine Grundsatzurteile, mit denen der Weg für eine grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften frei gemacht wurde, die hauptsächlichen Impulse für die Entwicklung des Gesellschaftsrechts der Union gegeben hat.

    59.

    So gewährleisten die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit das Recht auf Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nicht nur für die Staatsangehörigen der Union gemäß Art. 49 AEUV, sondern auch für die in Art. 54 AEUV genannten Gesellschaften. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen diese Bestimmungen insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen, sie verbieten es aber auch, die Niederlassung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats oder einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern ( 29 ).

    60.

    Die Mitgliedstaaten haben nämlich insbesondere seit dem Urteil Überseering die Gesellschaften, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat rechtmäßig gegründet worden sind, auch ohne konkrete Verbindung mit diesem Staat anzuerkennen. Sobald eine Gesellschaft rechtswirksam gegründet worden ist, kann sie die Niederlassungsfreiheit in der Union ausüben ( 30 ).

    61.

    Diese in der Rechtsprechung verankerte Mobilität kann ihre Grenze in innerstaatlichen Maßnahmen finden, die geeignet sind, die Wahrnehmung der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Solche Maßnahmen sind jedoch nur zulässig, wenn sie vier Voraussetzungen erfüllen, und zwar müssen sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten legitimen Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist ( 31 ).

    62.

    Die genannte Grenze ergibt sich auch aus dem Begriff des Rechtsmissbrauchs, den die Mitgliedstaaten präzisieren und umsetzen können ( 32 ).

    63.

    Unabhängig von der sehr weiten Auslegung der Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit, die ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts ist, ergibt sich eine andere Begrenzung der Mobilität einer Gesellschaft aus dem Recht, nach dem die fragliche Gesellschaft gegründet worden ist und dessen Relevanz vom Gerichtshof betont wird. In der Rechtssache Überseering hat er auch betont, dass die Modalitäten der Sitzverlegung nach den nationalen Rechtsvorschriften zu beurteilen sind, nach denen diese Gesellschaft gegründet worden ist ( 33 ).

    64.

    Im Urteil Cartesio hat der Gerichtshof auch entschieden, dass „[e]in Mitgliedstaat … somit sowohl die Anknüpfung bestimmen [kann], die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Diese Befugnis umfasst die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitgliedstaats vorsieht.“ ( 34 )

    65.

    Damit wird jedoch auf eine Situation abgestellt, in der keine Änderung des anwendbaren Rechts erfolgt. Wie der Gerichtshof aber im Urteil Cartesio auch ausgeführt hat, ist der Fall einer Verlegung des Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat ohne Änderung des für sie maßgeblichen Rechts von dem Fall zu unterscheiden, dass eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts verlegt und dabei in eine dem nationalen Recht des zweiten Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird ( 35 ). In diesem zweiten Fall kann die im Urteil Cartesio angesprochene Befugnis insbesondere nicht rechtfertigen, dass der Mitgliedstaat der Gründung die Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt, daran hindert, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht dieses anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist ( 36 ).

    66.

    Daraus folgt, dass eine Änderung des anwendbaren Rechts sich zwangsläufig auf die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auswirkt.

    67.

    Was dagegen den Aufnahmemitgliedstaat anbelangt, ist auf die Entscheidung im Urteil SEVIC Systems in Bezug auf eine diskriminierende Ablehnung der Eintragung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung trotz der im nationalen Recht vorgesehenen Möglichkeit, inländische Verschmelzungen einzutragen, hinzuweisen. Nach Auffassung des Gerichtshofs „fallen in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen, die den Zugang zu einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitzmitgliedstaat und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in jenem Staat dadurch ermöglichen oder auch nur erleichtern, dass sie die tatsächliche Teilnahme der betroffenen Wirtschaftsbeteiligten am Wirtschaftsleben des letztgenannten Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen gestatten, die für die inländischen Wirtschaftsbeteiligten gelten“ ( 37 ).

    68.

    Wie die EFTA-Überwachungsbehörde ausführt, sollte den Gesellschaften im Binnenmarkt das Recht eingeräumt werden, das auf sie anwendbare Gesellschaftsrecht frei zu wählen. Eine solche Wahlfreiheit würde den Gesellschaften ermöglichen, die günstigsten Wirtschaftsbedingungen und das vorteilhafteste gesellschaftsrechtliche System zu wählen ( 38 ). Gesellschaften wünschen nämlich im Allgemeinen ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, um einen besseren Zugang zu Finanzierungen und Kostenreduzierungen zu erlangen. Überdies ist es möglich, dass der überwiegende Teil der Aktivitäten einer Gesellschaft künftig in einem anderen Mitgliedstaat ausgeführt wird. Die grenzüberschreitende Neugründung einer Gesellschaft, verbunden mit einer Änderung des anwendbaren Rechts, ist somit eine besondere Form der Ausübung der Niederlassungsfreiheit, die mit grenzüberschreitenden Verschmelzungen vergleichbar ist. Eine solche Neugründung fällt somit unter die wirtschaftlichen Aktivitäten, bezüglich deren die Mitgliedstaaten die in Art. 49 AEUV vorgesehene Niederlassungsfreiheit zu beachten haben.

    69.

    Infolgedessen gelten die die Niederlassungsfreiheit betreffenden Artikel des AEU-Vertrags für eine grenzüberschreitende Neugründung einer Gesellschaft, die mit einer Änderung des anwendbaren Rechts, der Verlegung des Sitzes und der Gründung einer Gesellschaft gemäß dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats, welche die Rechte und Pflichten der genannten Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin übernimmt, verbunden ist. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die fraglichen nationalen Bestimmungen und Praktiken geeignet sind, diese Grundfreiheit zu behindern, was meines Erachtens hier der Fall sein dürfte.

    F – Zu den Beschränkungen und ihrer Rechtfertigung (dritte und vierte Frage)

    70.

    Der Gerichtshof hat in Randnr. 112 des Urteils Cartesio festgestellt, dass eine Gesellschaft in eine Gesellschaft des Rechts eines anderen Mitgliedstaats umgewandelt werden kann, „soweit dies nach diesem Recht möglich ist“ ( 39 ). Meines Erachtens ist es offensichtlich, dass sich der Gerichtshof mit dem Ausdruck „diesem Recht“ auf das Recht des Aufnahmemitgliedstaats bezieht. Kann man das Urteil dahin auslegen, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft, bei der sich das anwendbare Recht ändert, willkürlich entweder verbieten oder erlauben kann? Meines Erachtens ist dies nicht möglich.

    71.

    Wie dargelegt vereint der vorliegende Fall die Elemente zweier Vorgänge, die auf nationaler Ebene nach ungarischem Recht erlaubt und anerkannt sind, in einem grenzüberschreitenden Rahmen: die Verlegung einer Gesellschaft und die Umwandlung einer Gesellschaft in eine andere im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zwischen diesen beiden Gesellschaften. Das ungarische Recht erlaubt ausdrücklich, dass die Verlegung und die Umwandlung im Rahmen eines einzigen Vorgangs erfolgen ( 40 ).

    72.

    Meines Erachtens verlangt der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, wie ihn der Gerichtshof im Urteil SEVIC Systems angewandt hat, dass der Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich die grenzüberschreitende Neugründung einer Gesellschaft erlaubt.

    73.

    Zwar kann der Aufnahmemitgliedstaat der Gesellschaft auferlegen, alle Voraussetzungen zu schaffen, die nach nationalem Recht für entsprechende Situationen gelten. Er kann jedoch nicht interne Regeln anwenden, die geeignet sind, die grenzüberschreitende Neugründung allein aus dem Grund zu verhindern, dass das nationale Gesellschaftsrecht eine solche grenzüberschreitende Neugründung nicht vorsieht. Dies gilt insbesondere für Hindernisse, die sich aus den Modalitäten der Eintragung von Vermerken in das maßgebliche nationale Register ergeben. In Randnr. 30 des Urteils SEVIC Systems hat der Gerichtshof entschieden, dass, falls in einem Mitgliedstaat die Eintragung der Verschmelzung einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in das Handelsregister generell verweigert wird, grenzüberschreitende Verschmelzungen auch dann verhindert werden, wenn Interessen im Zusammenhang mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie der Wahrung der Wirksamkeit der Steueraufsicht und der Lauterkeit des Handelsverkehrs nicht bedroht sind. Zudem würde eine solche Regelung über das hinausgehen, was zur Erreichung der verfolgten Ziele, nämlich zum Schutz der besagten Interessen, erforderlich ist.

    74.

    Infolgedessen ist meines Erachtens die in Randnr. 112 des Urteils Cartesio genannte Voraussetzung dahin auszulegen, dass der Aufnahmestaat im Ausgangsverfahren die Möglichkeit hatte, die nationalen Vorschriften über die Gründung und Umwandlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung anzuwenden und VALE Építési die Verpflichtungen aufzuerlegen, die im innerstaatlichen Recht in solchen Fällen vorgesehen sind.

    75.

    Es obliegt somit VALE Építési, alle Voraussetzungen zu erfüllen, die nach dem nationalen Recht für Gesellschaften mit beschränkter Haftung gelten, z. B. in Bezug auf das Gesellschaftskapital, die Gesellschafter und die Regelungen in der Satzung. Überdies kann der Aufnahmestaat, um die Übertragung der Aktiva und Passiva auf die neue Gesellschaft überprüfen zu können, eine Kontinuität der Buchführung zwischen den beiden Gesellschaften verlangen und fordern, dass die Eröffnungsbilanz der in Gründung befindlichen Gesellschaft der Abschlussbilanz der Vorgängergesellschaft entspricht. Meines Erachtens kann dieser Mitgliedstaat auch verlangen, dass die Aktiva und Passiva von einem Revisor erfasst und überprüft werden, um die Einhaltung der Regeln über das Gesellschaftskapital sicherzustellen.

    76.

    Darüber hinaus bin ich mit der Kommission der Ansicht, dass der Mitgliedstaat auf grenzüberschreitende Situationen auch spezifische Regeln anwenden kann, soweit dies durch die Besonderheit dieser Situationen gerechtfertigt ist, vorausgesetzt, diese Regeln sind weder diskriminierend noch unverhältnismäßig. Wenn z. B. nach nationalem Recht die in das Register eingetragenen Vermerke gutgläubigen Dritten entgegengehalten werden können und konstitutive Wirkung haben und dabei die verschuldensunabhängige Haftung des Staates im Fall ihrer Unrichtigkeit auslösen, sind diese Grundsätze nicht auf Angaben anzuwenden, die von den Behörden anderer Mitgliedstaaten stammen und deren Richtigkeit vom Aufnahmestaat nicht überprüft werden kann.

    77.

    Die vorrangige Frage ist somit, ob die in Gründung befindliche Gesellschaft fordern kann, dass die Gesellschaft des anderen Mitgliedstaats als ihre Rechtsvorgängerin eingetragen wird. Meines Erachtens ist diese Frage zu bejahen, soweit die genannte Gesellschaft beweisen kann, dass die Nachfolge nach dem Recht des Herkunftsstaats erlaubt ist. Meines Erachtens kann die Übertragung von Aktiva zwischen der Vorgängergesellschaft und der in Gründung befindlichen Gesellschaft nur nach der ursprünglichen Rechtsordnung erfolgen.

    78.

    Dagegen stimme ich hinsichtlich der Kredite und der anderen Verbindlichkeiten der Vorgängergesellschaft mit der Ansicht der EFTA-Überwachungsbehörde überein, dass eine Eintragung der Rechtsnachfolge im ungarischen Handelsregister geeignet ist, die Gläubiger zu schützen, da das Urteil Cartesio das „Verschwinden“ einer Gesellschaft ohne jegliche Liquidation ermöglicht hat. Das innerstaatliche Recht muss einer Gesellschaft ermöglichen, bekannt zu geben, dass sie Nachfolgerin einer anderen Gesellschaft ist, was bedeutet, dass die in Gründung befindliche Gesellschaft die gesamten Rechte und Pflichten ihrer Vorgängergesellschaft übernimmt ( 41 ).

    79.

    Eine solche Gesamtübertragung ist jedoch nicht möglich, wenn die Vorgängergesellschaft zum Zeitpunkt der Eintragung der Nachfolgegesellschaft ihre Eigenschaft als juristische Person bereits verloren hat. In diesem Fall wäre der Inhaber der Rechte und Pflichten der Vorgängergesellschaft entweder eine faktische Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder die Gesellschafter als Kollektiv oder als Einzelpersonen. In einem solchen Fall ist keine Gesamtrechtsnachfolge zwischen den beiden Gesellschaften möglich. Daraus folgt meines Erachtens, dass im vorliegenden Fall die ungarischen Behörden VALE Építési nicht als Rechtsnachfolgerin von VALE Costruzioni anerkennen müssen, wenn nicht die Löschung von VALE Costruzioni im Handelsregister in Italien zuvor aufgehoben wird.

    VI – Ergebnis

    80.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Magyar Köztársaság Legfelsőbb Bíróság wie folgt zu antworten:

    1.

    Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV sind auf einen Fall der „grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft“ anwendbar, d. h., wenn eine in einem Mitgliedstaat (Herkunftsmitgliedstaat) gegründete Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat (Aufnahmemitgliedstaat) verlegt und – aus diesem Grund – im Handelsregister des Herkunftsstaats gelöscht wurde und die Anteilseigner der Gesellschaft den Gesellschaftsvertrag für die neue Gesellschaft, der im Einklang mit dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats abgefasst wurde, billigen und diese letztgenannte Gesellschaft ihre Eintragung im Handelsregister des Aufnahmemitgliedstaats gemäß dem Recht dieses Staates beantragt.

    2.

    Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen einer Regelung oder einer Praxis eines Aufnahmemitgliedstaats entgegen, die einer ordnungsgemäß nach dem Recht eines anderen Herkunftsmitgliedstaats gegründeten Gesellschaft das Recht verweigern, ihren Gesellschaftssitz in den Aufnahmemitgliedstaat zu verlegen und dort ihre Tätigkeit als nach dem Recht dieses Staates gegründete Gesellschaft fortzusetzen, es sei denn, diese Beschränkung wird in nicht diskriminierender Weise angewandt, ist aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, ist geeignet, die Verwirklichung des von ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, dieses Ziel zu erreichen.

    3.

    Bei einer grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft hat die betreffende Gesellschaft in ihrem Eintragungsantrag durch glaubhafte Mittel, gestützt auf beglaubigte Nachweise, zu beweisen, dass die in dem anderen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft als ihre Rechtsvorgängerin anzusehen ist. Die Tatsache, dass die Gesellschaft beantragt, diese Rechtsvorgängerin in das Handelsregister des Aufnahmemitgliedstaats einzutragen, stellt als solche keinen gültigen Grund für die Zurückweisung ihres Antrags auf Eintragung in das Handelsregister dar.

    4.

    Bei einer grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft können die Mitgliedstaaten die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Verlegung des Gesellschaftssitzes und über die innerstaatlichen Umwandlungen vorschreiben, sofern diese in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, geeignet sind, die Verwirklichung des von ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zu dessen Erreichung erforderlich ist. Die Mitgliedstaaten können jedoch auch die Anwendung spezifischer Vorschriften auf grenzüberschreitende Sachverhalte vorschreiben, sofern diese Vorschriften die Gesellschaften, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen möchten, nicht stärker belasten als bei einer innerstaatlichen Sitzverlegung oder Umwandlung.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Urteile vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (81/87, Slg. 1988, 5483), vom 9. März 1999, Centros (C-212/97, Slg. 1999, I-1459), vom 5. November 2002, Überseering (C-208/00, Slg. 2002, I-9919), vom 30. September 2003, Inspire Art (C-167/01, Slg. 2003, I-10155), vom 13. Dezember 2005, SEVIC Systems (C-411/03, Slg. 2005, I-10805), und vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C-210/06, Slg. 2008, I-9641).

    ( 3 ) In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Vorgang als „grenzüberschreitende Neugründung einer Kapitalgesellschaft“ bezeichnen. Die Gründe dafür werden später dargelegt.

    ( 4 ) Ich erinnere daran, dass die Kommission in ihrer Mitteilung vom 21. Mai 2003 betreffend die Modernisierung des Gesellschaftsrechts (KOM[2003] 284 endg.) ihre Absicht mitteilte, einen Vorschlag für eine vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Gesellschaftssitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen auszuarbeiten, und sie führte in dieser Hinsicht eine öffentliche Konsultation durch, die am 15. April 2004 geschlossen wurde. Die Kommission hat jedoch bis heute noch keinen solchen Vorschlag erlassen.

    ( 5 ) ABl. L 294, S. 1.

    ( 6 ) ABl. L 207, S. 1.

    ( 7 ) ABl. L 310, S. 1.

    ( 8 ) Der Inhalt dieser Regelungen wird in den folgenden Nummern dargestellt, soweit er erheblich erscheint.

    ( 9 ) Magyar Közlöny 2006/1 (I. 4.), 4. Januar 2006, S. 99.

    ( 10 ) Magyar Közlöny 2006/1 (I. 4.), 4. Januar 2006, S. 24.

    ( 11 ) Neue Nummerierung infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon.

    ( 12 ) Vgl. u. a. Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C-395/08 und C-396/08, Slg. 2010, I-5119, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 13 ) Ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. Urteile vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a. (C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2005, I-4233, Randnr. 22), vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli (C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 27), sowie Bruno u. a., in Fn. 12 angeführt (Randnr. 19).

    ( 14 ) Vgl. Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes über die Handelsgesellschaften.

    ( 15 ) Vgl. Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes über die Handelsgesellschaften. Art. 57 Abs. 3 des Gesetzes über das Registerverfahren sieht vor: „Im Fall der Änderung der Gesellschaftsform ist die Umwandlung der Gesellschaft dem mit der Führung des Handelsregisters betrauten und nach dem Sitz der Rechtsvorgängerin zuständigen Gericht binnen 60 Tagen ab der Unterzeichnung oder dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags mitzuteilen. Gleichzeitig ist die Löschung der Vorgängergesellschaft im Handelsregister zu beantragen.“ Aus diesem Wortlaut scheint sich zu ergeben, dass die Änderung der Gesellschaftsform mehr als Gesamtrechtsnachfolge zwischen zwei juristischen Personen mit derselben Identität denn als Umwandlung der Rechtsform ein und derselben juristischen Person konzipiert ist.

    ( 16 ) Vgl. Art. 57 Abs. 4 des Gesetzes über das Registerverfahren.

    ( 17 ) Hinsichtlich der Regelung für solche Gesellschaften auf europäischer Ebene vgl. z. B. De Kluiver, H.-J., „Europe and the Private Company – An Introduction“, in De Kluiver, H.-J., und Van Gerven, W. M. (Hrsg.), The European private company?, Maklu, Antwerpen, 1995, S. 23. Eine solche Form fällt in den Anwendungsbereich der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8, vgl. ihren Art. 1), ist aber vom Anwendungsbereich der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 26, S. 1, vgl. auch ihren Art. 1), ausgeschlossen.

    ( 18 ) Die Technik der grenzüberschreitenden Verschmelzung wird häufig in den Vereinigten Staaten benutzt, um das für ein Unternehmen geltende Recht von dem eines Bundesstaats zu dem eines anderen zu ändern. Vgl. Armour, J., und Ringe, W.-G., „European Company Law 1999-2010: Renaissance and Crisis“, Common Market Law Review, Bd. 48 (2011), Nr. 1, S. 125 bis 174, insbesondere S. 161 f.

    ( 19 ) Urteile Daily Mail and General Trust (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 19) und Cartesio (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 104).

    ( 20 ) Vgl. Dokument KOM(2003) 284 endg.

    ( 21 ) Es ist festzustellen, dass die italienischen Behörden diese Reihenfolge im vorliegenden Fall offenbar nicht beachtet haben.

    ( 22 ) Diese Frage ist offenbar besonders relevant, solange die Gesellschaft nicht aufgelöst ist. Nach dem Urteil Cartesio (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 112) konnte die Italienische Republik die Liquidation nicht als Voraussetzung für die Verlegung des Gesellschaftssitzes, die mit einer Änderung des anwendbaren Rechts verbunden ist, fordern.

    ( 23 ) Vgl. Nrn. 3 und 5 der Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Daily Mail and General Trust (Urteil in Fn. 2 angeführt).

    ( 24 ) Vgl. Nr. 20 der Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola in der Rechtssache Centros (Urteil in Fn. 2 angeführt).

    ( 25 ) Wie dargelegt wurde die Satzung von VALE Építési von zum Teil anderen Gesellschaftern genehmigt als denjenigen von VALE Costruzioni.

    ( 26 ) Vgl. Art. 8 der Verordnung Nr. 2157/2001, wonach die Löschung im Handelsregister erst nach der neuen Eintragung erfolgt. Vgl. auch sinngemäß Art. 13 der Richtlinie 2005/56.

    ( 27 ) Vgl. Art. 8 dieser Verordnung.

    ( 28 ) Vgl. Art. 7 dieser Verordnung.

    ( 29 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Daily Mail and General Trust (in Fn. 2 angeführt, Randnrn. 15 und 16).

    ( 30 ) In Fn. 2 angeführte Urteile Centros (Randnr. 26), Überseering (Randnr. 95) und Inspire Art (Randnr. 137).

    ( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2009, Kommission/Österreich (C-564/07, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 32 ) Vgl. Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie die in Fn. 2 angeführten Urteile Centros (Randnr. 24) und Inspire Art (Randnr. 136).

    ( 33 ) Urteil Überseering (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 70).

    ( 34 ) Urteil Cartesio (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 110).

    ( 35 ) Ebd., Randnr. 111.

    ( 36 ) Ebd., Randnr. 112.

    ( 37 ) Urteil SEVIC Systems (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 18).

    ( 38 ) Vgl. in diesem Sinne die Untersuchung Impact assessment on the Directive on the cross-border transfer of registered office, SEC(2007) 1707, S. 11.

    ( 39 ) Urteil Cartesio (in Fn. 2 angeführt, Randnr. 112).

    ( 40 ) Art. 57 des Gesetzes über die Eintragung von Gesellschaften.

    ( 41 ) Was die Wirkungen einer solchen Erklärung im Steuerbereich betrifft, muss die Würdigung zum einen die Vermeidung von Rechtsmissbrauch und zum anderen die Rechtsprechung des Gerichtshofs betreffend steuerliche Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit berücksichtigen.

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