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Document 62010CC0348

Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 7. Juli 2011.
Norma-A SIA und Dekom SIA gegen Latgales plānošanas reģions.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Augstākās tiesas Senāts - Lettland.
Öffentliche Aufträge - Richtlinie 2004/17/EG - Art. 1 Abs. 3 Buchst. b - Richtlinie 92/13/EWG - Art. 2d Abs. 1 Buchst. b - Begriff der ‚Dienstleistungskonzession‘ - Dienstleistungen des öffentlichen Busverkehrs - Recht zum Betreiben eines Dienstes und Zahlung eines Ausgleichs für Verluste an den Diensterbringer - Infolge der nationalen Rechtsvorschriften und des Vertrags begrenztes Betriebsrisiko - Vergabenachprüfungsverfahren - Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG auf vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66/EG geschlossene Verträge.
Rechtssache C-348/10.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 -00000

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:468

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 7. Juli 2011(1)

Rechtssache C‑348/10

SIA „Norma-A“

SIA „Dekom“

gegen

Ludzas novada dome

Vorabentscheidungsersuchen des Latvijas Republikas Augstākās tiesas Senāta Administratīvo lietu departaments (Senat für Verwaltungsstreitsachen des Obersten Gerichtshofs der Republik Lettland)

„Unterscheidung zwischen ‚öffentlichem Dienstleistungsauftrag‘ und ‚öffentlicher Dienstleistungskonzession‘– Öffentlicher Busverkehr – Rechtsbehelfe im Bereich der Vergabe von Aufträgen – Unmittelbare Anwendbarkeit und Rückwirkung einer Richtlinie“






Inhaltsverzeichnis


I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

B – Nationales Recht

II – Sachverhalt

III – Vorlagefrage

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

V – Vorbringen

VI – Würdigung

A – Erste Vorlagefrage: die Alternative Vertrag oder Dienstleistungskonzession

B – Zweite Vorlagefrage: unmittelbare Anwendbarkeit der
Richtlinie 1992/13 in der Fassung der Richtlinie 2007/66

C – Dritte Vorlagefrage: mögliche Rückwirkung der
Richtlinie 1992/13

VII – Ergebnis

Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren hat der Gerichtshof Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu den Kriterien für die Unterscheidung zwischen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen und öffentlichen Dienstleistungskonzessionen im Sinne des Unionsrechts zu vertiefen und zu präzisieren, in welchen Fällen eine Richtlinie, die nicht innerhalb der vorgesehenen Frist umgesetzt worden ist, unmittelbar anwendbar ist. Zudem kann er erneut die notwendige Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Union und den Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Unionsrechts darstellen.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.        In der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge(2) sowie der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste(3) wurden damals die im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geltenden Bestimmungen zusammengefasst(4). Dabei sollten die vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegten Koordinierungsinstrumente im Sinne der Klarheit eine systematische Regelung erfahren. Auf dieser Linie werden die verwendeten Kategorien und Begriffe in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b und d der Richtlinie 2004/17(5) folgendermaßen definiert:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die Definitionen dieses Artikels.

a)       ‚Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren der in Artikel 2 Absatz 2 aufgeführten Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmern, Lieferanten oder Dienstleistern geschlossene entgeltliche schriftliche Verträge;

d)       ‚Dienstleistungsaufträge‘ sind Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang XVII, die keine Bau- oder Lieferaufträge sind.“

2.        Nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 ist eine „Dienstleistungskonzession“ ein Vertrag, der von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.

3.        Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/17 gilt die Richtlinie „für Auftraggeber, die öffentliche Auftraggeber oder öffentliche Unternehmen sind und eine Tätigkeit im Sinne der Art. 3 bis 7 ausüben“.

4.        Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17 bestimmt, dass „die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Schiene, automatische Systeme, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Kabel“ unter die Richtlinie fallen.

5.        Gegenstand der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor(6) in ihrer Fassung durch die Richtlinie 2007/66/EG vom 11. Dezember 2007(7) ist wiederum die wirksame Anwendung der Richtlinie 2004/17 sowie der Richtlinie 2004/18. Hierzu bestimmt ihr Art. 2d Abs. 1 Buchst. b:

„(1)       Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

b)       bei einem Verstoß gegen Artikel 1 Absatz 5, Artikel 2 Absatz 3 oder Artikel 2a Absatz 2 der vorliegenden Richtlinie, falls dieser Verstoß dazu führt, dass der Bieter, der eine Nachprüfung beantragt, nicht mehr die Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags Rechtsschutz zu erlangen, und dieser Verstoß verbunden ist mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2004/17/EG, falls der letztgenannte Verstoß die Aussichten des Bieters, der eine Nachprüfung beantragt, auf die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt hat“.

6.        Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 in ihrer Fassung durch die Richtlinie 2007/66 sieht vor:

„(1)       Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass eine Nachprüfung gemäß Artikel 2d Absatz 1 innerhalb der folgenden Fristen beantragt werden muss:

b)       und in jedem Fall vor Ablauf einer Frist von mindestens sechs Monaten, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde“.

B –    Nationales Recht

7.        Die einschlägigen nationalen Bestimmungen sind erstens das Likums par pašvaldībām (Gesetz über lokale Gebietskörperschaften)(8), dessen Art. 15 die Zuständigkeit für das öffentliche Transportwesen den Selbstverwaltungsorganen der lokalen Gebietskörperschaften zuweist.

8.        Zweitens ist das Publiskās un privātās partnerības likums (Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor)(9) zu nennen, nach dessen Art. 1 Abs. 7 ein Vertrag über eine Dienstleistungskonzession ein Vertrag ist, dem zufolge ein privater Auftragnehmer auf Verlangen eines öffentlichen Auftraggebers Dienstleistungen im Sinne des Anhangs 2 des Publisko iepirkumu likums (Gesetz über öffentliche Aufträge, im Folgenden: ÖAG) erbringt und als Gegenleistung bzw. als wesentlichen Bestandteil der Gegenleistung das Recht zur Nutzung dieser Dienstleistungen erhält, aber gleichzeitig die mit ihrer Erbringung verbundenen Risiken oder einen wesentlichen Teil dieser Risiken trägt.

9.        Nach Art. 1 Abs. 8 dieses Gesetzes ist unter dem Recht zur Nutzung der Dienstleistungen der Anspruch auf ein von den Endnutzern der Dienstleistungen zu zahlendes Entgelt oder auf eine Gegenleistung des öffentlichen Vertragspartners zu verstehen, deren Höhe sich nach der Nachfrage nach diesen Dienstleistungen durch die Endnutzer richtet, oder aber der Anspruch sowohl auf ein von den Endnutzern der Dienstleistungen zu zahlendes Entgelt als auch auf eine Gegenleistung des öffentlichen Vertragspartners.

10.      Gemäß Art. 1 Abs. 9 sind unter einem mit den Dienstleistungen verbundenen Betriebsrisiko die wirtschaftlichen Risiken zu verstehen, wenn die Einnahmen des privaten Auftragnehmers entweder von der Nachfrage nach diesen Dienstleistungen durch die Endnutzer (Nachfragerisiko) oder davon abhängen, dass die Dienstleistungen den Endnutzern nach Maßgabe der im Konzessionsvertrag niedergelegten Bedingungen angeboten werden (Verfügbarkeitsrisiko), letztlich also, wenn die Einnahmen sowohl vom Nachfragerisiko als auch vom Verfügbarkeitsrisiko abhängen.

11.      Im Zusammenhang mit diesem Verfahren ist auch das Sabiedriskā transporta pakalpojumu likums (Gesetz über öffentliche Beförderungsdienste, im Folgenden: ÖBG)(10) von Bedeutung, dessen Art. 8 Abs. 1 bestimmt, dass, soweit dieses Gesetz nichts anderes vorsieht, der Auftraggeber den öffentlichen Beförderungsdienst nach Maßgabe des ÖAG oder des Gesetzes zur Regelung der Konzessionsvergabe organisiert.

12.      Art. 10 Abs. 1 ÖBG bestimmt, dass an den Beförderungsunternehmer nach Maßgabe der Art. 11 und 12 dieses Gesetzes ein Ausgleich für die Verluste und Kosten gezahlt wird, die im Zusammenhang mit der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes entstanden sind. Art. 10 Abs. 3 sieht vor, dass zu den Verlusten im Sinne dieses Gesetzes auch die Kosten für die Dienste zählen, wenn der Auftraggeber den öffentlichen Beförderungsdienst nach den Vorgaben des ÖAG organisiert hat.

13.      Nach Art. 11 Abs. 1 ÖBG erhält der Beförderungsunternehmer einen Ausgleich für seine im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beförderungsdienst entstandenen Verluste:

„11.       zulasten der hierfür vorgesehenen Rücklagen im Staatshaushalt für Strecken, die zu einem regionalen Netz von lokaler Bedeutung gehören;

12.       zulasten des Haushalts lokaler Gebietskörperschaften, wenn die Strecken zu einem regionalen Netz von lokaler Bedeutung gehören, soweit der öffentliche Beförderungsdienst die Grenze der im Staatshaushalt vorgesehenen Rücklagen für die Sicherstellung des Dienstes übersteigt; …“

14.      Stellt der Staat Mindestanforderungen an die Qualität der öffentlichen Beförderungsdienste auf, die ein nach Gewinn strebender Beförderungsunternehmer nicht erfüllen müsste und deren Erfüllung zusätzliche Kosten verursacht, hat der Beförderungsunternehmer gemäß Art. 12 Abs. 1 ÖBG gegenüber dem Staat einen Anspruch auf Ausgleich dieser Kosten. Art. 12 Abs. 2 bestimmt, dass Beförderungsunternehmer, die Beförderungsdienste im Rahmen des öffentlichen Beförderungswesens erbringen, die Ausgleichszahlung nach Abs. 1 erhalten, wenn die Mindestanforderungen an die Qualität nach der Aufnahme des Beförderungsdienstes aufgestellt wurden.

15.      Schließlich sieht Art. 2 des aufgrund des ÖBG erlassenen Ministru Kabineta noteikums Nr. 1226, Sabiedriskā transporta pakalpojumu sniegšanā radušos zaudējumu un izdevumu kompensēšanas un sabiedriskā transporta pakalpojuma tarifa noteikšanas kārtība (Dekret Nr. 1226 des Ministerrats über den Ausgleich von Kosten und Verlusten aufgrund der Erbringung von öffentlichen Beförderungsdiensten und zur Festlegung der Tarife für öffentliche Beförderungsdienste, im Folgenden: Dekret Nr. 1226)(11) vor, dass der Beförderungsunternehmer einen Ausgleich für folgende im Zusammenhang mit der Erfüllung des Vertrags über öffentliche Beförderungsdienste entstandenen Verluste erhält:

„1.       Die mit der Erfüllung des Vertrags über öffentliche Beförderungsdienste zusammenhängenden unumgänglichen Kosten, soweit sie die Einnahmen übersteigen;

2.       die Kosten, die durch die Anwendung der vom Auftraggeber festgelegten Tarife verursacht werden;

3.       die Kosten, die dadurch entstehen, dass der Auftraggeber eine Herabsetzung des Beförderungspreises für bestimmte Kategorien von Fahrgästen vorschreibt.“

16.      Nach Art. 3 des Dekrets hat der Beförderungsunternehmer einen Anspruch auf Ausgleich der Kosten, die in Erfüllung der vom Auftraggeber oder durch eine rechtliche Regelung nach der Aufnahme der öffentlichen Beförderungsdienste aufgestellten Mindestanforderungen an die Qualität entstanden sind, soweit diese Kosten die mit den zuvor aufgestellten Qualitätsanforderungen zusammenhängenden Kosten übersteigen.

17.      Gemäß Art. 39 des Dekrets Nr. 1226 stellt der Auftraggeber die tatsächlichen Verluste anhand der Gesamteinnahmen aus dem Vertrag über die Erbringung der Beförderungsdienste unter Abzug der nachgewiesenen Kosten, die durch die Erbringung der öffentlichen Beförderungsdienste entstanden sind, fest. Einnahmen im Sinne dieser Bestimmung sind die Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrscheinen einschließlich der Beförderungsabonnements und ähnliche Einnahmen aus dem Vertrag über öffentliche Beförderungsdienste.

18.      Der Auftraggeber legt die Höhe der Ausgleichszahlung fest, indem er zu den nach Maßgabe des Art. 39 des Dekrets Nr. 1226 ermittelten Verlusten den Betrag der Gewinne addiert. Dieser errechnet sich aus der Multiplikation der Einnahmen mit einer prozentualen Gewinnspanne, die sich durch die Erhöhung des durchschnittlichen EURIBOR-Satzes während der zwölf Monate des Referenzjahres um 2,5 % ergibt (Art. 40).

19.      Der Betrag des Verlustausgleichs darf die errechneten tatsächlichen Verluste nicht übersteigen, wenn der Beförderungsunternehmer die vom Auftraggeber festgelegten Tarife (Beförderungspreis) angewandt hat (Art. 49).

20.      Wird der Auftrag für die Erbringung des öffentlichen Beförderungsdiensts nach Maßgabe des ÖAG vergeben, so wird die Höhe des Ausgleichs auf der Grundlage des Unterschieds zwischen dem im Vertrag festgelegten Entgelt für die öffentlichen Beförderungsdienste und den tatsächlichen Einnahmen errechnet (Art. 50).

21.      Wird der Vertrag über öffentliche Beförderungsdienste aufgelöst, so gilt nach Art. 57 des Dekrets Nr. 1226 Folgendes:

1.       Der Beförderungsunternehmer erstattet dem Auftraggeber die zuviel gezahlten Beträge, wenn während der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdiensts die Höhe des Verlustausgleichs den ermittelten tatsächlichen Ausgleichsbetrag übersteigt und der Auftrageber diese Geldbeträge für den Verlustausgleich zugunsten anderer Beförderungsunternehmer verwendet.

2.       Der Auftraggeber zahlt einen Verlustausgleich, wenn während der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdiensts die Höhe des Verlustausgleichs niedriger war als der ermittelte tatsächliche Ausgleichsbetrag.

II – Sachverhalt

22.      Wie sich dem Vorlagebeschluss ergibt, veröffentlichte der Ludzas rajona padome (Kreistag von Ludza) am 17. Juni 2009 die Ausschreibung für die Erbringung von öffentlichen Busverkehrsleistungen in der Stadt Ludza und auf den Nahverkehrsstrecken des Kreises Ludza. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens reichten am 6. August 2009 ihr Angebot ein.

23.      Durch Entscheidung vom 31. August 2009 erhielt das Unternehmen SIA Ludzas autotransporta uzņēmums (im Folgenden: SIA Ludzas ATU) den Zuschlag. Am 2. September 2009 beschloss der Ludzas novada dome(12), den Auftrag an dieses Unternehmen zu vergeben.

24.      Am 16. September fochten die Klägerinnen diese Entscheidung bei Gericht an und beantragen darüber hinaus, die Aussetzung ihrer Vollziehung anzuordnen. Der Administratīvā rajona tiesa (Verwaltungsgericht) ordnete die einstweilige Aussetzung mit Beschluss von 16. Oktober 2009 an, der im Berufungsverfahren durch die Entscheidung des Administratīvā apgabaltiesa (Berufungsgericht) vom 14. Dezember 2009 bestätigt wurde.

25.      Dessen ungeachtet hatte der Kreistag bereits am 9. Oktober 2009 mit der SIA Ludzas ATU den Konzessionsvertrag geschlossen, so dass die Klägerinnen am 26. November 2009 beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Nichtigerklärung des Vertrags stellten.

26.      Das Verwaltungsgericht wies den Antrag auf Nichtigerklärung des Vertrags mit Entscheidung vom 3. Dezember 2009 zurück, da er sich nach bürgerlichem Recht richte und deshalb nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte falle.

27.      Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht mit Entscheidung vom 11. Mai 2010 aufgehoben, mit der allerdings der Antrag der Klägerinnen in der Sache mit der sich aus dem Vorlagebeschluss ergebenden Begründung zurückgewiesen wurde, dass sie „kein subjektives Recht auf Nichtigerklärung des Vertrags hätten“.

28.      Die Klägerinnen legten beim Obersten Gerichtshof Lettlands Rechtsmittel ein und brachten vor, dass die Richtlinie 2007/66 ihnen ein subjektives Recht auf die Nichtigerklärung des Vertrags verleihe. Sie räumten zwar ein, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Frist für die Umsetzung der Richtlinie noch nicht abgelaufen gewesen sei, doch könne ihnen nicht ein Recht versagt werden, das sich aus den Zielen der Richtlinie ergebe.

III – Vorlagefrage

29.      Vor dem soeben dargestellten Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof Lettlands das folgende Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt, das aus drei Fragen besteht:

1.       Ist Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17/EG dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vertrag, durch den dem Auftragnehmer das Recht eingeräumt wird, öffentliche Busverkehrsdienste zu erbringen, um eine öffentliche Dienstleistungskonzession handelt, wenn ein Teil der Gegenleistung in dem Recht zur Nutzung der öffentlichen Beförderungsleistungen besteht, der öffentliche Auftraggeber aber gleichzeitig an den Dienstleistungserbringer für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt und darüber hinaus die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Dienstleistungserbringung und die Vertragsbestimmungen das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko begrenzen?

2.       Sofern die erste Frage zu verneinen ist: Ist Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG seit dem 21. Dezember 2009 in Lettland unmittelbar anwendbar?

3.       Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Ist Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13/EWG dahin auszulegen, dass er auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 in innerstaatliches Recht vergeben wurden?

30.      Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass der erste Zweifel des vorlegenden Gerichts, wie im Vorlagebeschluss dargelegt wird, die Einordnung des Vertrags über die Erbringung von öffentlichen Beförderungsdiensten als „Dienstleistungskonzession“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 betrifft, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

1.       Ein Teil der Gegenleistung besteht in dem Recht zur Nutzung des öffentlichen Beförderungsdienstes (der Dienstleistungserbringer erhält die Gegenleistung durch die Zahlungen Dritter, der Fahrgäste);

2.       der öffentliche Auftraggeber zahlt an den Dienstleistungserbringer nach Maßgabe der Vorschriften des Mitgliedstaats einen Ausgleich für Verluste, die ihm infolge der Dienstleistungen entstehen;

3.       das mit dem öffentlichen Beförderungsdienst verbundene Betriebsrisiko ist durch die Vorschriften zur Regelung der Organisation dieser Dienste und die vertraglichen Vereinbarungen beschränkt.

31.      Mit der zweiten Frage möchte der Oberste Gerichtshof Lettlands wissen, ob ausgehend von der Tatsache, dass Lettland in der Zeit vom 21. Dezember 2009 bis zum 14. Juni 2007 seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie 2007/66 nicht nachgekommen war, Art. 2d Abs. 1 Buchst. b dahin auszulegen ist, dass er auch auf die in der Richtlinie 2004/17 geregelten und vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 in innerstaatliches Recht vergebenen Aufträge anwendbar ist. Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 ein Bieter die Nachprüfung eines Vertrags vor Ablauf der Frist von sechs Monaten, gerechnet von dem Tag an, an dem der Vertrag geschlossen wurde, beantragen kann. Legt man im Ausgangsverfahren daher den Tag des Vertragsschlusses (den 9. Oktober 2009) zugrunde, hätte den Klägerinnen dieses Recht auch noch am 21. Dezember 2009 zugestanden (nachdem die Frist zur Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht abgelaufen war).

32.      Zusammenfassend bestehen nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs Lettlands Zweifel im Hinblick auf die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 und Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1993/13, die für die Entscheidung, ob die Klägerinnen das Recht haben, bei Gericht die Nichtigerklärung des Vertrags zu beantragen, von maßgeblicher Bedeutung sind.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

33.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 9. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

34.      Norma‑A und Dekom, die Regierungen Österreichs und Lettlands sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

35.      In der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2011 sind die Vertreter von Norma‑A und Dekom, der Latgales plānošanas reģions (Planungsregion Latgale)(13), der lettischen Regierung sowie der Kommission erschienen und haben mündliche Ausführungen gemacht.

V –    Vorbringen

36.      Zur Frage der Einordnung des Vertrags, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, bringen Norma‑A und Dekom sowie die österreichische Regierung und die Kommission im Wesentlichen vor, dass es sich um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne der Richtlinie 2004/17 handele, während die lettische Regierung meint, es sei eine Konzession. Während erstere der Ansicht sind, dass das von der Auftragnehmerin eingegangene Risiko für die Annahme einer Konzession nicht ausreiche, kommen die Regierung Lettlands und die Latgales plānošanas reģions zu dem Ergebnis, dass das fragliche wirtschaftliche Risiko beträchtlich sei und ausreiche, um von einer Dienstleistungskonzession sprechen zu können.

37.      Zur zweiten und zur dritten Frage bringen die Kommission, die österreichische und die lettische Regierung sowie die Latgales plānošanas reģions vor, die Richtlinie 2007/66 sei auf Verträge, die vor dem Ablauf der Frist für ihre Umsetzung geschlossen worden seien, nicht anwendbar. Die österreichische Regierung macht insoweit geltend, dass die für eine unmittelbare Anwendbarkeit erforderlichen Voraussetzungen der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit nicht erfüllt seien, wenngleich es sich dabei um eine rein hypothetische Feststellung handele, da die Verfahrensabschnitte im vorliegenden Verfahren bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist durchgeführt worden seien und kein Raum für die Annahme bestehe, dass die Richtlinie eine Rückwirkung vorsehe und die Nichtigerklärung sämtlicher vor dem Ablauf dieser Frist geschlossenen Verträge erforderlich mache. Jede andere Lösung liefe, worauf auch die lettische Regierung hinweist, dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider. Die Kommission wiederum kommt im Rahmen einer gemeinsamen Beantwortung der beiden letzten Fragen zu der Auffassung, dass die traditionell für die unmittelbare Anwendbarkeit der in Rede stehenden Richtlinie geforderten Voraussetzungen vorlägen, sie aber nicht auf Verträge angewandt werden könne, die vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist geschlossen worden seien.

38.      Norma‑A und Dekom vertreten schließlich die Ansicht, dass nach Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie 2007/66 ein Rechtsunterworfener einen Anspruch auf Zugang zu den Gerichten habe, um innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit seinem Abschluss die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags beantragen zu können. Da im vorliegenden Fall die Frist zur Umsetzung der Richtlinie nicht abgelaufen gewesen sei, sei Art. 2d anwendbar, obwohl der Vertrag früher geschlossen worden sei. Die Mitgliedstaaten seien aus denselben Gründen, aus denen sie vom Erlass von Vorschriften, die das von der Richtlinie vorgegebene Ergebnis gefährden könnten, Abstand nehmen müssten, verpflichtet, das nationale Recht im Einklang mit der Richtlinie auszulegen. Im vorliegenden Fall ergebe sich das subjektive Recht, ein derartiges Rechtsmittel bei einem unabhängigen Organ einzulegen, aus dem mit der Richtlinie verfolgten Zweck.

VI – Würdigung

A –    Erste Vorlagefrage: die Alternative Vertrag oder Dienstleistungskonzession

39.      Die Einordnung des im Rahmen des Ausgangsverfahrens streitigen Rechtsgeschäfts fällt in die alleinige Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, das vom Gerichtshof nur eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts erwarten kann (statt aller, Urteil vom 13. Oktober 2005, Parking Brixen, C‑458/03, Slg. 2005, S. I‑8585, Randnr. 32).

40.      Insoweit ist die Frage, ob es sich um eine „Dienstleistungskonzession“ oder um einen „öffentlichen Dienstleistungsauftrag“ handelt, allein im Licht des Unionsrechts zu beurteilen (so die Urteile vom 18. Juli 2007, Kommission/Italien, C‑382/05, Slg. 2007, I‑6657, Randnr. 31, und vom 15. Oktober 2008, Acoset, C‑196/08, Slg. 2009, I‑9913, Randnr. 38).

41.      Aus der Zusammenschau der Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d der Richtlinie 2004/17 ergibt sich, dass es sich bei Dienstleistungsaufträgen um zwischen einem oder mehreren der in Art. 2 Abs. 2 aufgeführten Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmern, Lieferanten oder Dienstleistern geschlossene entgeltliche schriftliche Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang XVII der Richtlinie handelt, zu denen, soweit es hier von Interesse ist, der Landverkehr gehört.

42.      Nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie ist eine „Dienstleistungskonzession“ ein Vertrag, der von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen „ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises“ besteht.

43.      Der Unterschied zwischen den beiden Rechtsgeschäften liegt im Wesentlichen in der Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen (Urteil vom 10. März 2011, Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, C‑274/09, Slg. 2011, I‑0000, Randr. 24).

44.      Aus der Richtlinie ergibt sich nicht, worin die Gegenleistung für eine aufgrund eines Vertrags erbrachte Dienstleistung besteht. Soweit sie bestimmt, dass es sich um eine Dienstleistungskonzession handelt, wenn diese Gegenleistung in einem Recht zur Nutzung besteht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass der wesentliche Unterschied zwischen beiden Rechtsgeschäften zunächst darin besteht, dass die Vergütung für die Dienstleistung unmittelbar vom öffentlichen Auftraggeber oder von Dritten gezahlt wird (Urteil Eurawasser, Randnr. 51). Letztlich führt ein solcher Unterschied jedoch zum Kriterium der Übernahme des Risikos in Verbindung mit der Ungewissheit über das Ergebnis eines Rechtsgeschäfts, das zur Befriedigung der jeweiligen Interessen der Beteiligten abgeschlossen wurde.

45.      Das von Dritten geleistete Entgelt für die Dienstleistung war ein bestimmendes Kriterium für die Einordnung des Rechtsgeschäfts als Dienstleistungskonzession, denn es bedeutet, dass das Betriebsrisiko beim Auftragnehmer liegt. Gelegentlich hat, worauf Generalanwalt Mazák in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler(14) hingewiesen hat, der mittelbare Charakter der Vergütung für sich allein dem Gerichtshof für die Feststellung genügt, dass der fragliche Vertrag eine Dienstleistungskonzession darstellt(15). 

46.      Entscheidend ist meiner Ansicht nach jedoch das Merkmal der Übernahme des Risikos. Dies ergibt sich daraus, dass die unmittelbare Vergütung für die Dienstleistung durch den öffentlichen Auftraggeber nicht bedeutet, dass notwendigerweise und in jedem Fall von einem Dienstleistungsauftrag auszugehen ist. Der Grund besteht darin, dass der Gerichtshof, wie Generalanwalt Mazák in den angeführten Schlussanträgen (Nrn. 28 und 29) dargelegt hat, die „Hilfskriterien“ benannt hat, die bei Vorliegen einer unmittelbaren Vergütung darauf schließen lassen, dass der Dienstleistungserbringer das Betriebsrisiko übernommen hat; diese Übernahme führt letztlich dazu, das Rechtsgeschäft trotz einer unmittelbaren Vergütung als Konzession einzuordnen(16). 

47.      Da das Risiko untrennbar mit der wirtschaftlichen Nutzung der Dienstleistung verbunden ist (Urteil Eurawasser, Randnr. 66), ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass seine Übernahme durch den Dienstleistungserbringer bedeutet, dass der mit dem öffentlichen Auftraggeber geschlossene Vertrag unter den Begriff der Dienstleistungskonzession fällt.

48.      Der Rechtsprechung zufolge ist das wirtschaftliche Betriebsrisiko der Dienstleistung als das Risiko zu verstehen, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein (Urteile Eurawasser, Randnrn. 66 und 67, und Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 37), das sich „im Risiko der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung äußern kann“ (Urteil Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, mit Hinweis auf die Urteile Contse u. a., Randnr. 22, sowie Hans & Christophorus Oymanns, Randnr. 74).

49.      Hingegen sind Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben, für die Einordnung eines Vertrags als öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession nicht entscheidend, da diese Risiken jedem Vertrag immanent sind (Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 38). Infolgedessen sind Risiken im Zusammenhang mit Variablen, deren Vorliegen ausschließlich vom jeweiligen Wirtschaftsteilnehmer abhängen, ohne Relevanz.

50.      Zusammenfassend muss das von einem Dienstleistungserbringer übernommene Risiko für die Annahme einer Konzession kein „absolut gesehen erhebliches“ Risiko sein, sondern nur ein „wesentlicher Teil“ des Risikos, das der öffentliche Auftraggeber auf jeden Fall übernehmen würde, wenn er die in Rede stehende Dienstleistung selbst erbrächte(17). 

51.      Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass es in Fällen, in denen die öffentlich‑rechtliche Ausgestaltung, der die Nutzung der Dienstleistung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht unterworfen ist, die wirtschaftlichen Risiken vermindert, den öffentlichen Auftraggebern weiterhin freistehen muss, Dienstleistungen mittels einer Konzession erbringen zu lassen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Erbringung der öffentlichen Dienstleistung so am besten sicherzustellen ist. Es wäre daher widersinnig, mit dem einzigen Ziel, über ein ausreichendes übertragbares Risikovolumen zu verfügen, um den Auftrag rechtlich als Dienstleistungskonzession einordnen zu können, zu verlangen, dass ein höheres wirtschaftliches Risiko geschaffen wird, als es in dem betreffenden Sektor aufgrund der für ihn geltenden Regelungen besteht (Urteil Eurawasser, Randnrn. 72 bis 76). Entscheidend ist vielmehr, dass ein wesentlicher Teil des mit der wirtschaftlichen Nutzung der Dienstleistung untrennbar verbundenen Risikos übertragen wird, unabhängig davon, wie hoch das absolute Risiko für sich betrachtet ist.

52.      Vor diesem Hintergrund stellt der Oberste Gerichtshof Lettlands seine erste Frage im Zusammenhang mit einem Vertrag, bei dem „ein Teil der Gegenleistung in dem Recht zur Nutzung der öffentlichen Beförderungsleistungen besteht“, während einerseits der öffentliche Auftraggeber „an den Dienstleistungserbringer für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt“ und andererseits „die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Dienstleistungserbringung und die Vertragsbestimmungen das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko begrenzen“.

53.      Das vorlegende Gericht erläutert, dass der Dienstleistungserbringer die Gegenleistung durch die Zahlungen Dritter, der Fahrgäste, erhält. Aus dieser Sicht würde es sich daher im Lichte des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d der Richtlinie 2004/17 um einen typischen Fall einer Dienstleistungskonzession handeln.

54.      Das der Nutzung der Dienstleistung innewohnende Risiko ist jedoch durch die nationalen Vorschriften, die ihre Erbringung regeln, hier das ÖBG, begrenzt; es handelt sich also nicht um ein Risiko, das für eine im Rahmen der absoluten Freiheit der Märkte erbrachte Dienstleistung charakteristisch ist. Andererseits gleicht der öffentliche Auftraggeber bestimmte Verluste des Dienstleistungserbringers aus, wenn auch in den Grenzen des Risikos, die sich aus der öffentlich‑rechtlichen Ausgestaltung ergeben, der die Nutzung der Dienstleistung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht unterworfen ist.

55.      Wie ich soeben ausgeführt habe, ergibt sich das relevante Risiko aus der Ausgestaltung der Dienstleistung (Nrn. 51 f.). Dieses Risiko muss in wesentlichem Umfang vom Auftragnehmer getragen werden, denn die Höhe des übernommenen Risikos ist, wie ich in Fn. 17 anmerke, letztlich und unabhängig von der Art der für die Dienstleistung erbrachten Gegenleistung dafür entscheidend, ob das Rechtsgeschäft als Vertrag oder als Dienstleistungskonzession eingeordnet wird.

56.      Das vorlegende Gericht weist bereits darauf hin, dass in diesem Fall der Auftragnehmer das Betriebsrisiko nicht vollständig trägt. Tatsächlich trägt er nicht einmal einen wesentlichen Teil des Betriebsrisikos (Randnr. 13 des Vorlagebeschlusses).

57.      Aus der Zusammenschau der einschlägigen Bestimmungen und dem Inhalt des Vertrags ergibt sich, dass dem Auftragnehmer im Zusammenhang mit der Dienstleistungserbringung ein Ausgleich für folgende Verluste gewährt wurde: A) die mit der Erfüllung des Vertrags zusammenhängenden unumgänglichen Kosten, soweit sie die Einnahmen übersteigen, B) die Kosten, die durch die Anwendung der vom Auftraggeber festgelegten Tarife verursacht werden, C) die Kosten, die dadurch entstehen, dass der Auftraggeber eine Herabsetzung des Beförderungspreises für bestimmte Kategorien von Fahrgästen vorschreibt, und D) die Kosten, die in Erfüllung der nach der Aufnahme der öffentlichen Beförderungsdienste aufgestellten Mindestanforderungen an die Qualität entstanden sind, soweit diese Kosten die mit den zuvor aufgestellten Qualitätsanforderungen zusammenhängenden Kosten übersteigen.

58.      Zudem ist zu dem Betrag des Verlustausgleichs die Gewinnspanne zu addieren, die sich durch die Erhöhung des durchschnittlichen EURIBOR-Satzes während der zwölf Monate des Referenzjahrs um 2,5 % ergibt.

59.      Demnach werden sowohl die Verluste, die sich aus der Erbringung der Dienstleistung ergeben, in Höhe der Betriebskosten ausgeglichen, als auch die Gewinneinbußen.

60.      Diese Angaben des Obersten Gerichtshofs Lettlands sind grundsätzlich aussagekräftig genug, um dem vorlegenden Gericht die Feststellung zu ermöglichen, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsgeschäft um einen Dienstleistungsauftrag handelt. Den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen, die den Kontext und den Inhalt des hier untersuchten Rechtsgeschäfts definieren, sind meiner Meinung nach hinreichend klare Angaben zu entnehmen, die den Schluss zulassen, dass es sich um einen echten Dienstleistungsauftrag handelt.

61.      Die Regierung Lettlands und die Latgales plānošanas reģions wenden jedoch eine Reihe von Gründen ein, um eine Übernahme der Risiken durch den öffentlichen Auftraggeber und damit einen Auftrag ausschließen zu können: im Wesentlichen das hohe Risikoniveau der Nachfrage, die Verringerung der Verlustrückstellungen im Staatshaushalt, nicht wiederzuerlangende Investitionskosten, die Erweiterung oder Einschränkung von Routen und Strecken usw.

62.      An dieser Stelle ist zu wiederholen, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, die verschiedenen Angaben zum Sachverhalt zu beurteilen, die die lettische Regierung und die Latgales plānošanas reģions in der mündlichen Verhandlung gemacht haben, und noch weniger, in dem Streit über das Wesen und die Reichweite der angeblichen Unterschiede zwischen den zum Zeitpunkt des Zuschlags in Betracht gezogenen Geschäftsprognosen und denen, sie sich infolge einer ungünstigeren Konjunktur tatsächlich verwirklichen ließen, zu schlichten.

63.      Da jedoch letztlich, worauf bereits in Nr. 40 hingewiesen wurde, die Einordnung des Rechtsgeschäfts in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt, ist klarzustellen, dass dem Obersten Gerichtshof Lettlands die Feststellung obliegt, bis zu welchem Punkt die von der lettischen Regierung und der Latgales plānošanas reģions geltend gemachten Umstände geeignet sind, den Schluss zu widerlegen, zu dem der Wortlaut der anwendbaren Vorschriften und der Vertragsbestimmungen jedoch naturgegeben führt. Dies ist insbesondere der Fall, weil der Oberste Gerichtshof Lettlands im Rahmen der ersten Frage feststellt, dass einerseits der öffentliche Auftraggeber an den Dienstleistungserbringer für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt, und andererseits die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Dienstleistungserbringung und die Vertragsbestimmungen das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko „begrenzen“. Die Feststellung, inwieweit dies bis zu dem Punkt zutrifft, dass das für die Einordnung des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts relevante Risiko von der einen oder der anderen Partei übernommen wird, ist eine Aufgabe, die allein in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt, das allein in der Lage ist, die Umstände und Variablen des Falles in ihrer vollständigen und umfassenden Dimension zu beurteilen.

64.      Zusammenfassend fällt die Einordnung des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts zwar in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, und der Gerichtshof hat lediglich die Aufgabe, ihm eine Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die ihm hierbei dienlich sein kann, doch lassen die gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen bereits den Schluss zu, dass dieses Geschäft die Merkmale eines Dienstleistungsauftrags aufweist. Angesichts seiner Zuständigkeit muss jedoch das vorlegende Gericht nach Prüfung der konkreten, von den Parteien im Ausgangsverfahren angeführten Umständen feststellen, bis zu welchem Punkt diese Schlussfolgerung im Lichte des Unionsrechts zutreffend und geeignet ist.

B –    Zweite Vorlagefrage: unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 1992/13 in der Fassung der Richtlinie 2007/66

65.      Geht man von der Annahme aus, dass es sich um einen Dienstleistungsauftrag handelt, wäre die Richtlinie 1992/13 sachlich anwendbar. Es stellt sich sodann die Frage, ob Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 in der Fassung der Richtlinie 2007/66 nach dem 21. Dezember 2009, dem Datum des Ablaufs der Frist für die Umsetzung der Richtlinie in Lettland, unmittelbar anwendbar ist und ob, wenn dies der Fall ist, diese Bestimmung gemäß Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie auch auf Aufträge Anwendung findet, die vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist vergeben wurden.

66.      Diese beiden Fragen entsprechen der ersten und der zweiten Frage des Obersten Gerichtshofs Lettlands. Meines Erachtens kann im Gegensatz zur Auffassung der österreichischen Regierung die dritte Frage nur nach der zweiten beantwortet werden, denn um feststellen zu können, ob Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 eine rückwirkende Anwendung von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b ermöglicht, muss zuvor festgestellt werden, ob Letzterer seit dem 21. Dezember 2009 ohne Weiteres anwendbar war. Erst wenn feststeht, dass die Richtlinie 1992/13 seit diesem Datum unmittelbar anwendbar war, kann geprüft werden, ob dies auch für die Bestimmung gilt, die der Anwendbarkeit des Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie möglicherweise eine gewisse Rückwirkung verleiht.

67.      Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Republik Lettland nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2007/66 „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft [gesetzt hat], die erforderlich sind, um [der] Richtlinie [2007/66] spätestens am 20. Dezember 2009 nachzukommen“. Die Umsetzung dieser Vorschrift in nationales Recht erfolgte erst mit Wirkung vom 15. Juni 2010, so dass zuerst die Frage beantwortet werden muss, ob sie im Zeitraum vom 21. Dezember 2009 bis zum 14. Juni 2010 in der Republik Lettland unmittelbar anwendbar war, obwohl Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, nach dem die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Vergabe von Aufträgen keine aufschiebende Wirkung haben, „dafür Sorge [tragen], dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt“, nicht umgesetzt wurde.

68.      Der Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie bzw. ihre unzureichende Umsetzung ist nur eine der Voraussetzungen, die die Rechtsprechung für eine unmittelbare Anwendung einer nicht umgesetzten Richtlinie verlangt (statt aller Urteil vom 6. Mai 1980, Kommission/Belgien, 102/79, Slg. 1982, 1473, Randnr. 12). Hinzu kommt einerseits, dass sie den Einzelnen subjektive Rechte verleihen müssen, die sie gerichtlich geltend machen können (Urteil vom 19. Januar 1982, Ursula Becker, 8/81, Slg. 1982, 3301, Randnr. 25) und andererseits, dass ihre Bestimmungen unbedingt und hinreichend genau erscheinen müssen (so erst vor Kurzem das Urteil vom 12. Mai 2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein‑Westfalen, C‑115/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 54)(18).

69.      Es ist klar, dass im Sachverhalt, auf den die Vorlagefrage zurückgeht, die erste der genannten Voraussetzungen vorliegt und auch die zweite erfüllt ist, denn die in Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 niedergelegte Verpflichtung der Mitgliedstaaten findet zwangsläufig im Anspruch des Einzelnen auf wirksame Nachprüfungsverfahren gegen Entscheidungen über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags Niederschlag. Als Verpflichtung, die den Mitgliedstaaten zur „Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe von Aufträgen“, wie es im 34. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt, handelt es sich selbstverständlich um eine Garantie im Interesse des Rechts der Bürger auf einen effektiven Rechtsschutz im Bereich des öffentlichen Auftragswesens.

70.      Die enge Verbindung zwischen Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 und dem Recht auf einen gerichtlichen Rechtsschutz führt zu der Frage, ob – wie in der mündlichen Verhandlung in Erwägung gezogen worden ist – angesichts dessen, dass es um die Wirksamkeit eines Rechts geht, das den Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Primärrechts der Union entgegengehalten werden kann, den Klägerinnen der Zugang zu dem von ihnen begehrten Nachprüfungsverfahren im Ausgangsverfahren tatsächlich in jedem Fall hätte zuerkannt werden müssen und daher auch unabhängig von der Richtlinie und selbstverständlich von jeder nationalen Umsetzungsbestimmung. Meiner Ansicht nach muss dies grundsätzlich so sein, wenngleich der Umstand, dass das Recht auf einen Rechtsbehelf ein typisches Recht auf Leistung ist, es erforderlich macht, dass für seine effektive Wahrnehmung der Gesetzgeber tätig wird. Dies veranlasst mich zur Prüfung, in welchem Umfang diese Tätigkeit im vorliegenden Fall erfolgt ist(19). 

71.      Was die dritte Voraussetzung für die Anwendbarkeit einer nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinie anbelangt, also die Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit des Regelungsgehalts des Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2007/66, stimme ich der Kommission zu, wenn sie darauf hinweist, dass die geprüfte Vorschrift substanziell denen des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665/EWG(20) entspricht, die im Urteil vom 2. Juni 2005, Koppensteiner (C‑15/04, Slg. 2005, I‑4855, Randnr. 38), als „unbedingt und hinreichend genau, um ein Recht für einen Einzelnen zu begründen“, qualifiziert wurden.

72.      Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass für die Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer‑ und Bauaufträge die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen vorgenommen oder veranlasst werden kann; Entscheidungen, die nach Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Richtlinie nachprüfbar sein müssen.

73.      Wenn diese Bestimmungen der Richtlinie 89/665 für „unbedingt und hinreichend genau“ gehalten wurden, muss dies auch – unter den noch darzulegenden Vorbehalten – für die des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 gelten, denn dieser legt mit absoluter Genauigkeit die Voraussetzungen fest, unter denen eine unabhängige Nachprüfungsstelle den Auftrag für unwirksam zu erklären hat, d. h., soweit dies hier von Bedeutung ist: A) Erstens ist ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 bzw. Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie nachzuweisen. Es handelt sich dabei um Bestimmungen, die die Beachtung bestimmter Aussetzungsfristen im Rahmen von Ausschreibungsverfahren vorschreiben. B) Zweitens muss durch die Verletzung dem Bewerber, der die Nachprüfung begehrt, die Möglichkeit einer Nachprüfung vor der Vergabe des Auftrags entzogen worden sein. C) Darüber hinaus muss die Verletzung dieser Bestimmungen mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2004/18 einhergehen. D) Schließlich muss die Verletzung die Möglichkeit für den Mitbewerber, den Zuschlag zu erhalten, beeinträchtigt haben.

74.      Allerdings weist die Richtlinie 1992/13 an einem Punkt die von der österreichischen Regierung gerügte Unbestimmtheit auf, denn in ihr wird nicht angegeben, welche die „von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle“ zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Auftrags ist. Insoweit fehlt es an dem geringsten erforderlichen Eingriff des Gesetzgebers, auf den ich in Nr. 71 mit dem Hinweis darauf Bezug genommen habe, dass der Dienstleistungscharakter des Nachprüfungsrechts das Zusammenwirken mit dem nationalen Recht unumgänglich macht.

75.      Meiner Ansicht nach darf dies nicht zum Ausschluss der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 in der Republik Lettland seit dem 21. Dezember 2009 führen, da, worauf die österreichische Regierung zutreffend hinweist, die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts in Verbindung mit der Verpflichtung zum effizienten Schutz der Rechte der Bürger das vorlegende Gericht auf der Linie mit dem Urteil vom 17. September 1997, Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft (C‑54/96, Slg. 1997, I‑4961), zu der Prüfung veranlassen muss, ob nach Maßgabe der innerstaatlichen Zuständigkeitsbestimmungen die Feststellung eines für die Nachprüfung im Sinne der Richtlinie 1992/13 zuständigen Gerichts möglich ist, sei es, weil es sich um eine Instanz handelt, die nach dem nationalen Recht für die Kontrolle der Verfahren über die Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, sei es, weil möglicherweise bestimmte Auffangmechanismen für die Zuweisung der Zuständigkeit vorgesehen sind(21). 

C –    Dritte Vorlagefrage: mögliche Rückwirkung der Richtlinie 1992/13

76.      Nachdem festgestellt worden ist, dass Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 in der Fassung der Richtlinie 2007/66 in der Republik Lettland seit dem Ablauf der Frist für ihre Umsetzung anwendbar sein könnte, bleibt zu prüfen, ob der in Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 vorgesehene Zeitraum von sechs Monaten ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde, in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens als Frist für den in dieser Bestimmung geregelten Nachprüfungsantrag gilt, mit anderen Worten, ob sich die Möglichkeit einer Nachprüfung gemäß der Richtlinie 1992/13 auf Verträge erstreckt, die während der sechs Monate vor dem Tag, an dem die Richtlinie unmittelbar anwendbar wurde, geschlossen wurden. Unter diesen Voraussetzungen wäre sie im vorliegenden Fall anwendbar, denn der streitige Vertrag wurde am 9. Oktober 2009 geschlossen.

77.      Meiner Ansicht nach ist grundsätzlich einzuräumen, dass im Interesse einer besseren Wirksamkeit der Richtlinie ihre Anwendbarkeit auf sämtliche Verträge, die vor dem als Frist für ihre Umsetzung bestimmten Datum geschlossen wurden, in Betracht gezogen werden kann, u. a., weil auf diese Weise die Gefahr des vorschnellen Abschlusses von Verträgen zur Verhinderung ihrer Anwendbarkeit vermieden würde. Ebenso würde auf diese Weise vermieden, dass sich im Laufe der Zeit eine Rechtslage konsolidiert, durch die die Ineffizienz der Wahrnehmung des gerichtlichen Rechtsschutzes durch den Einzelnen begünstigt wird. In diese Richtung geht zudem auch der Geist, der dem Urteil des Gerichtshofs vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonia (C‑129/96, Slg. 1997, I‑7411), auf das sich Norma‑A und Dekom berufen haben, in dem Sinne, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in der Zeit vor dem für die Umsetzung einer Richtlinie festgelegten Datum die Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele nicht zu gefährden.

78.      Dessen ungeachtet und unabhängig davon, dass der Schaden für die Rechtssicherheit, die jede rückwirkende Anwendung impliziert, nicht außer Acht gelassen werden darf, machen die Struktur und der Inhalt der Richtlinie ihre Rückwirkung – abgesehen davon, dass es in ihr an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf eine Rückwirkung fehlt – unmöglich.

79.      Nach der Richtlinie 1992/13 können nur Verträge nachprüfbar sein, die in dem von der Richtlinie vorgezeichneten rechtlichen Rahmen geschlossen wurden, denn die Gründe für ihre Nachprüfung entsprechen den in ihr aufgestellten Voraussetzungen für einen Vertragsschluss. Daher konnte keiner der vor dem Inkrafttreten der Richtlinie geschlossenen Verträge den in ihr vorgesehenen Verfahrensvoraussetzungen genügen, insbesondere nicht den Fristen für die Aussetzung, deren Verletzung durch Art. 2d Abs. 1 Buchst. b geahndet wird.

80.      Es hätte deshalb keinen Sinn, wenn eine Anfechtung rückwirkend ermöglicht würde, die auf keinen anderen Grund gestützt werden könnte als die Nichterfüllung von Voraussetzungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Gegenstands des Rechtsmittels nicht verlangt werden konnten.

VII – Ergebnis

81.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Fragen des Obersten Gerichtshofs Lettlands Folgendes zu antworten:

1.       Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17/EG ist dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vertrag, durch den dem Auftragnehmer als Teil der Gegenleistung das Recht eingeräumt wird, öffentliche Beförderungsleistungen zu erbringen, grundsätzlich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag handelt, wenn ihm der öffentliche Auftraggeber gleichzeitig für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt, und die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Dienstleistungserbringung und die Vertragsbestimmungen das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko begrenzen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, bis zu welchem Punkt die Umstände des Falles im Lichte des Rechts der Union eine andere Einordnung erforderlich machen.

2.       Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG kann seit dem 21. Dezember 2009 in Lettland unmittelbar anwendbar sein, soweit ein für die Entscheidung in Nachprüfungsverfahren im Sinne dieser Richtlinie zuständiges Organ existiert. Dies festzustellen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

3.       Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 1992/13 ist dahin auszulegen, dass er auf öffentliche Aufträge, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 in innerstaatliches Recht vergeben wurden, keine Anwendung findet.


1 –      Originalsprache: Spanisch.


2 –      ABl. L 134, S. 114.


3 –      ABl. L 134, S. 1.


4 –      In der Richtlinie 2004/18 werden in einer Art Einheitskodex die sektorialen Regelungen der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1), der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) und der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) zusammengefasst, in der Richtlinie 2004/17 die Vorschriften der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199, S. 84).


5 –      Bekanntermaßen sind die begrifflichen Überlegungen zu den in der Richtlinie 2004/17 definierten Kategorien wegen ihrer Ähnlichkeit auch auf Art. 1 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2004/18 anwendbar. In diesem Sinne vgl. statt aller Urteil vom 10. September 2009, Eurawasser (C‑206/08, Slg. 2009, I‑8377, Randnr. 43). Zum Entstehen beider Richtlinien vgl. die jeweiligen Ausgaben von Jan M. Hebly, European Public Procurement: Legislative History of the „Utilities“ Directive 2004/17/EC, Wolters Kluwer, Alphen aan den Rijn, 2008, und European Public Procurement: Legislative History of the „Classic“ Directive 2004/18/EC, Wolters Kluwer, Alphen aan den Rijn, 2007.


6 –      ABl. L 76, S. 14.


7 –      ABl. L 335, S. 31.


8 –      Latvijas Vēstnesis Nr. 61 vom 24. Mai 1994, S. 192.


9 –      Latvijas Vēstnesis Nr. 107 vom 9. Juli 2009, S. 4093, in Kraft seit dem 1. Oktober 2009. Bis zum 30. September 2009 war das Koncesiju likums (Gesetz über Konzessionen) in Kraft, in dessen Art. 1 die Konzession definiert war als „die Übertragung des Rechts auf Erbringung von Dienstleistungen oder das ausschließliche Recht auf Bewirtschaftung der dem Konzessionsnehmer im Rahmen der Konzession zur Verfügung gestellten Mittel in einem bestimmten Zeitraum aufgrund eines zwischen dem Konzessionsgeber und dem Konzessionsnehmer geschlossenen Vertrags“.


10 –      Latvijas Vēstnesis Nr. 106 vom 4. Juli 2007, S. 3682.


11 –      Latvijas Vēstnesis Nr. 183 vom 20. November 2009, S. 4169. Es hat das Dekret Nr. 672 des Ministerrats vom 2. Oktober 2007 (Latvijas Vēstnesis Nr. 175 vom 31. Oktober 2007, S. 3751) ersetzt und ist seit dem 21. Juni 2009 in Kraft.


12 –      Dieses Organ hat in der Zwischenzeit die Aufgaben des Kreistags übernommen, wenngleich beide über einen gewissen Zeitraum nebeneinander bestanden zu haben scheinen.


13 –      Diese Körperschaft ist als Beklagte des Ausgangsverfahrens an die Stelle des Ludzas novada pašvaldība (Autonome Verwaltung des Bezirks Ludza) getreten.


14 –      Schlussanträge vom 9. September 2010, Nr. 25, Fn. 14.


15 –      Zum Beispiel Urteile vom 6. April 2006, ANAV (C‑410/04, Slg. 2006, I‑3303, Randr. 16), und vom 13. November 2008, Coditel Brabant (C‑324/07, Slg. 2008, I‑8457, Randr. 24).


16 –      Urteile vom 27. Oktober 2005, Contse u. a. (C‑234/03, Slg. 2005, I‑9315), vom 18. Juli 2007, Kommission/Italien (C‑382/05, Slg. 2007, I‑6657), und vom 11. Juni 2009, Hans & Christophorus Oymanns (C‑300/07, Slg. 2009, I‑4779). Zu diesen Kriterien zählen die Übertragung der Haftung für Schäden aufgrund eines Fehlverhaltens bei der Erbringung der Dienstleistung oder eine gewisse wirtschaftliche Freiheit bei der Festlegung der Bedingungen für die Erbringung der Dienstleistung.


17 –      Meiner Ansicht nach wird zufällig an dieser Stelle die Tatsache relevant, dass nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 die Gegenleistung für eine Dienstleistungskonzession ausschließlich im Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Die Kombination beider Komponenten bei der Gegenleistung für eine Dienstleistung, die rechtlich nur ein Vertrag oder eine Konzession sein kann, macht die Abwägung ihres jeweiligen spezifischen Gewichts erforderlich. Dabei handelt es sich um eine Operation, für die aus meiner Sicht kein anderes Kriterium gelten kann als das des Umfangs des von dem Dienstleistungserbringer eingegangenen Risikos, für dessen Bestimmung darauf abzustellen ist, in welchem Maß die Zahlung für das Nutzungsrecht eine bedeutende Reduzierung des der unternehmerischen Tätigkeit innewohnenden Risikos impliziert.


18 –      In der Lehre vgl. statt aller K. Lenaerts und P. van Nuffel, European Union Law, Sweet & Maxwell, 3. Aufl., London, 2011, S. 22-080 ff.


19 –      Ohne dass hier auf die Frage nach dem Bestehen eines Rechts auf einen gerichtlichen Rechtsschutz, das als konstitutives Element des Erbes der Union als Rechtsgemeinschaft den Schlussstein des Gesamtgebäudes der Gemeinschaftsrechtsordnung darstellen würde, eingegangen werden müsste, soll nicht außer Acht gelassen werden, dass die Richtlinie 1992/13 in ihrer ursprünglichen Fassung bereits das Recht auf Anfechtung der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber gewährleistete, und in der Richtlinie die Effizienz der im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge bereits bestehenden Nachprüfungsverfahren verbessert wurde. Eine andere Frage ist es, dass diese Verbesserung im Wege der Einführung von Sanktionen im Sinne der Unwirksamkeit des Vertrags unter gewissen Voraussetzungen erreicht und damit über die bloße Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs hinausgegangen wurde. Es muss in der Tat berücksichtigt werden, dass die Wiedergutmachung zum Ausgleich einer Rechtsverletzung eine, wenn auch „zweitrangige“, legitime Form des Rechtsschutzes darstellt. Vgl. hierzu Wilfried Erbguth, „Primär- und Sekundärrechtsschutz im öffentlichen Recht“, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 61, Berlin, 2002, S. 221 ff.


20 –      Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33).


21 –      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Vorbringen von Norma‑A und Dekom (S. 6 f. der französischen Fassung ihrer schriftlichen Erklärungen) seit dem 1. Februar 2004 in der Republik Lettland eine Verwaltungsgerichtsbarkeit existiert, der durch Art. 184 des Verwaltungsverfahrensgesetzes die Zuständigkeit für die Entscheidung über Rechtsmittel bezüglich der Wirksamkeit von öffentlich-rechtlichen Verträgen zugewiesen ist.

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