Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62010CC0078

Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 16. Dezember 2010.
Marc Berel und andere gegen Administration des douanes de Rouen und andere.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d’appel de Rouen - Frankreich.
Zollkodex der Gemeinschaften - Art. 213, 233 und 239 - Gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Schuldner für ein und dieselbe Zollschuld - Erlass von Einfuhrabgaben - Erlöschen der Zollschuld - Keine Möglichkeit eines Gesamtschuldners, sich auf den einem anderen Gesamtschuldner gewährten Erlass zu berufen.
Rechtssache C-78/10.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-00717

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:790

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Verica Trstenjak

vom 16. Dezember 2010(1)

Rechtssache C‑78/10

Bérel u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Rouen [Frankreich])

„Zollunion – Erlass von Einfuhrzöllen – Stellvertretung – Gesamtschuld – Möglichkeit, sich auf den Erlass einer Zollschuld gegenüber einem Gesamtschuldner zu berufen“

I –    Einleitung

1.        In dem vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt uns die Cour d’appel de Rouen (im Folgenden: vorlegendes Gericht) die Frage, ob sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der gesamtschuldnerisch für eine Zollschuld haftet, erfolgreich darauf berufen kann, dass die Zollbehörden die Zollschuld gegenüber einem weiteren Gesamtschuldner teilweise erlassen haben und aus diesem Grund auch seine Zollschuld entsprechend zu mindern sei.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht(2)

2.        Art. 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichteten Personen(3) bestimmen:

„Artikel 3

Ist eine Zollschuld gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 entstanden, so ist zur Erfüllung dieser Schuld die Person verpflichtet, die die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat.

Ferner sind nach den geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Erfüllung dieser Zollschuld gesamtschuldnerisch verpflichtet:

a)       Personen, die an diesem vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt waren, sowie Personen, die die betreffende Ware erworben haben oder im Besitz hatten;

b)       alle weiteren Personen, die für dieses vorschriftswidrige Verbringen verantwortlich sind.

Artikel 4

(1) Ist eine Zollschuld gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c) der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 entstanden, so ist zur Erfüllung dieser Schuld die Person verpflichtet, die die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat.

Ferner sind nach den geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Erfüllung dieser Zollschuld gesamtschuldnerisch verpflichtet:

a)       Personen, die an der Entziehung aus zollamtlicher Überwachung beteiligt waren, sowie Personen, die die betreffende Ware erworben haben oder im Besitz hatten;

b)       alle weiteren Personen, die für diese Entziehung verantwortlich sind.

(2) Ferner ist die Person gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet, die die Verpflichtungen einzuhalten hat, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer eingangsabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das diese Ware überführt worden ist, ergeben.“

3.        Diese Bestimmungen sind mit Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften(4) (im Folgenden: ZK) aufgehoben worden.

4.        Im ersten Titel des ZK werden allgemeine Punkte geregelt. Das erste Kapitel in diesem Titel regelt den Geltungsbereich des ZK und grundlegende Begriffsbestimmungen. In diesem Kapitel befindet sich Art. 4 ZK, dessen Punkte 9 und 12 definieren:

„…

9. Zollschuld: die Verpflichtung einer Person, die für eine bestimmte Ware im geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Einfuhrabgaben (Einfuhrzollschuld) oder Ausfuhrabgaben (Ausfuhrzollschuld) zu entrichten;

12. Zollschuldner: eine zur Erfüllung der Zollschuld verpflichtete Person;

…“

5.        Das zweite Kapitel des ersten Titels regelt insbesondere die Rechte und Pflichten der Personen nach dem Zollrecht. Der erste Abschnitt dieses zweiten Kapitels regelt die Stellvertretung. Dieser Abschnitt besteht aus Art. 5 ZK, der bestimmt:

„(1) Unter den Voraussetzungen des Artikels 64 Absatz 2 und vorbehaltlich der im Rahmen des Artikel 243 Absatz 2 Buchstabe b) erlassenen Vorschriften kann sich jedermann gegenüber den Zollbehörden bei der Vornahme der das Zollrecht betreffenden Verfahrenshandlungen vertreten lassen.

(2) Die Vertretung kann sein

–        direkt, wenn der Vertreter in Namen und für Rechnung eines anderen handelt;

–        indirekt, wenn der Vertreter in eigenem Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt.

(4) Der Vertreter muss erklären, für die vertretene Person zu handeln; er muss ferner angeben, ob es sich um eine direkte oder indirekte Vertretung handelt, und Vertretungsmacht besitzen.

Personen, die nicht erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, oder die erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, gelten als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd.

(5) Die Zollbehörden können von einer Person, die erklärt, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, den Nachweis für ihre Vertretungsmacht verlangen.“

6.        Im 7. Titel des ZK wird die Zollschuld geregelt. Das zweite Kapitel dieses Titels befasst sich mit dem Entstehen der Zollschuld. Die Art. 202 und 203, die sich in diesem Kapitel befinden, lauten:

„Artikel 202

(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a)       wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder

b)       wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

(3) Zollschuldner sind:

–        die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;

–        die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie damit vorschriftswidrig handeln;

–        die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war.

Artikel 203

(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

–        wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(3) Zollschuldner sind:

–        die Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat;

–        die Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren, obwohl sie wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass sie die Ware der zollamtlichen Überwachung entziehen;

–        die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass diese der zollamtlichen Überwachung entzogen worden war;

–        gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben.

…“

7.        Art. 213, der sich ebenfalls in diesem Kapitel befindet, regelt:

„Gibt es für eine Zollschuld mehrere Zollschuldner, so sind diese gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet.“

8.        Art. 233 ZK, der sich in Titel 7, Kapitel 4 des ZK befindet, in dem das Erlöschen der Zollschuld geregelt wird, bestimmt:

„Unbeschadet der geltenden Vorschriften über die Verjährung der Zollschuld sowie über die Nichterhebung des Betrags der Zollschuld in den Fällen, in denen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gerichtlich festgestellt worden ist, erlischt die Zollschuld

a)       durch Entrichtung des Abgabenbetrages;

b)       durch Erlass des Abgabenbetrages;  

...“

9.        Das 5. Kapitel des 7. Titels regelt die Erstattung und den Erlass der Abgaben. Art. 239 ZK, der sich in diesem Kapitel befindet, regelt:

„(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

–        werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

–        ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2) Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Jedoch können

–        in begründeten Ausnahmefällen die Zollbehörden diese Frist verlängern…“

10.      Art. 86 Abs. 4 der an die Stelle des ZK getretenen, aber zeitlich auf den vorliegenden Fall nicht anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex)(5) bestimmt:

„(1) Unbeschadet des Artikels 68 und der geltenden Vorschriften über die Nichterhebung des der Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags im Falle einer gerichtlich festgestellten Insolvenz des Zollschuldners erlischt die Einfuhr- oder Ausfuhrzollschuld:

b)       vorbehaltlich des Absatzes 4 durch Erlass des Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags;

(4) Sind mehrere Personen zur Entrichtung des der Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags verpflichtet und werden die Abgaben erlassen, so erlischt die Zollschuld nur für die Personen, denen der Erlass gewährt wird.

…“

11.      Art. 878 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften(6) (im Folgenden: ZK-DVO) lautet:

„(1) Der Antrag auf Erstattung oder Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – nachstehend ‚Antrag auf Erstattung oder Erlass‘ genannt – ist vom Zollschuldner oder von den Personen, die seine Rechte und Pflichten übernommen haben, zu stellen.

Der Antrag auf Erstattung oder Erlass kann auch vom Stellvertreter der im vorstehenden Unterabsatz erwähnten Personen gestellt werden.

…“

12.      Art. 899 der Verordnung Nr. 2454/93 bestimmt:

„Wenn die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, unbeschadet anderer Umstände, die im Rahmen des in Artikel 905 bis 909 vorgesehenen Verfahrens von Fall zu Fall zu beurteilen sind, feststellt,

–        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhrabgaben. Als ‚Beteiligter‘ gilt die Person im Sinne von Artikel 878 Absatz 1 sowie gegebenenfalls jede andere Person, die bei der Erledigung der Zollförmlichkeiten für die betreffenden Waren tätig geworden ist oder die die für die Erledigung dieser Förmlichkeiten erforderlichen Anweisungen gegeben hat;

–        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhrabgaben ab.“

13.      In der Fassung nach der Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003(7) lautet diese Bestimmung wie folgt:

„(1) Stellt die Entscheidungsbehörde, bei der eine Erstattung oder ein Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex beantragt worden ist, fest,

–        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in den Artikeln 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhr oder Ausfuhrabgaben;

–        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben ab.

(3) Als ‚Beteiligte(r)‘ im Sinn des Artikels 239 Absatz 1 Zollkodex und im Sinn dieses Artikels gelten die Person oder die Personen nach Artikel 878 Absatz 1 oder ihr Vertreter sowie gegebenenfalls jede andere Person, die zur Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die in Frage stehenden Waren tätig geworden ist oder die Anweisungen gegeben hat, die zur Erfüllung dieser Förmlichkeiten notwendig waren.

…“

14.      Mit der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 zur Änderung der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften(8) wurde in Art. 900 Abs. 1 ZK-DVO ein Buchst. o ergänzt. Dieser lautet wie folgt:

„1. Die Einfuhrabgaben werden erstattet oder erlassen, wenn

o)       die Zollschuld auf andere als die in Artikel 201 des Zollkodex beschriebene Weise entsteht und der Beteiligte durch Vorlage eines Ursprungszeugnisses, einer Warenverkehrsbescheinigung, eines internen gemeinschaftlichen Versandscheins oder einer anderen entsprechenden Unterlage nachweist, dass im Fall der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Artikel 890 erfüllt sind.“

B –    Nationales Recht

15.      Art. 1208 des französischen Code civil lautet:

„Wird einer der Gesamtschuldner von dem Gläubiger vor Gericht in Anspruch genommen, so kann er alle in der Natur der Verbindlichkeit begründeten und alle ihm persönlich oder allen Gesamtschuldnern gemeinschaftlich zustehenden Einreden geltend machen. Einreden, die einigen der übrigen Gesamtschuldner nur persönlich zustehen, kann er nicht geltend machen.“

III – Der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Rechtsstreit

A –    Sachverhalt und Verfahren vor den Zollbehörden

16.      Das Unternehmen Asia Pulp & Paper France (im Folgenden: APP) hat das Unternehmen Rijn Schelde Mondia France (im Folgenden: Mondia) mit dem Transport und der Einfuhr von Papier aus Indonesien beauftragt. Mondia ist auf die Abwicklung von Geschäften der Ein- und Ausfuhr von Forsterzeugnissen (Papier, Altpapier, Zellstoff) spezialisiert. Mondia besitzt eine Betriebsgenehmigung für Zolllager in Rouen und Le Havre, die der Regelung über Zwischenlagerräume und ‑plätze („magasins et aires de dépôt temporaires“) unterliegen. Diese dienen der Zwischenlagerung von Waren, deren zollrechtliche Bestimmung nicht innerhalb eines Tages nach ihrer Ankunft in der Union erfolgt. Waren aus solchen Zwischenlagerräumen und -plätzen dürfen nach den einschlägigen Regelungen erst dann in das Zollgebiet der Union eingeführt werden, wenn sie zuvor zur Einfuhr angemeldet worden sind.

17.      Mondia hat ihrerseits die Société de manutention de produits chimiques et miniers (im Folgenden: Maprochim), eine Zollagentin, damit beauftragt, auf ihre Anweisungen hin insbesondere Einfuhranmeldungen vorzunehmen und die anfallenden Abgaben zu begleichen.

18.      Die Waren, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, wurden bei ihrer Ankunft in Frankreich zunächst in den Zwischenlagerräumen und -plätzen Mondias zwischengelagert. Im Laufe des Jahres 2000 führten die französischen Zollbehörden eine Untersuchung über die von Mondia und Maprochim abgewickelten Ein- und Ausfuhrgeschäfte in Le Havre und Rouen für die Jahre 1998 und 1999 durch. Dabei stellte sich heraus, dass Mondia gegen die Art. 202 und 203 ZK verstoßen hatte, indem sie einen Teil der betroffenen Waren ohne Anmeldung in das Zollgebiet der Union verbracht hatte und ein anderer Teil der Waren erst dann zur Einfuhr angemeldet worden war, nachdem diese bereits in die Union verbracht worden waren. In der Folge setzten die französischen Zollbehörden die von Mondia und APP gemäß diesen Vorschriften geschuldeten Abgabenbeträge fest und teilte ihnen diese mit.(9)

19.      Am 31. Oktober 2000 stellte Mondia bei den französischen Zollbehörden Anträge auf Erlass ihrer Zollschulden gemäß Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO. Diese Anträge begründete sie damit, dass bei einer ordnungsgemäßen Anmeldung ein Anspruch auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte und dass sie ohne betrügerische Absicht und nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt habe.

20.      Die französischen Zollbehörden waren zwar der Auffassung, dass Mondia nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt hatte, hielten aber nicht sich selbst, sondern die Kommission für zuständig für diese Beurteilung. Später entschieden sie, dass sie selbst und somit nicht die Kommission für diese Beurteilung zuständig seien. Sie baten die Kommission allerdings um Hinweise. Daraufhin teilte die Kommission den französischen Zollbehörden mit, dass Mondia nach ihrer Auffassung offensichtlich fahrlässig gehandelt habe.(10)

21.      In der Folge wiesen die französischen Zollbehörden die Anträge Mondias auf Erlass des Abgabenbetrags nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO zunächst zurück. Nachdem Mondia weitere Informationen vorgelegt hatte, gaben sie ihren Anträgen in den Entscheidungen vom 6. Februar und 3. März 2006 teilweise statt und erließen somit Mondia einen Teil der Abgabenbeträge. Als Folge forderten die französischen Zollbehörden von Mondia nur die Zahlung der um den erlassenen Betrag geminderten Abgabenbeträge.

22.      Von APP, die selbst keinen Antrag auf Erlass gestellt hat, forderten die französischen Zollbehörden dagegen weiterhin die vollen, nicht geminderten Abgabenbeträge.

23.      Der Zollagentin Maprochim warfen die französischen Zollbehörden vor, sich an dem Verstoß von Mondia gegen Art. 203 ZK beteiligt zu haben. Maprochim habe die zollrechtliche Anmeldung für einen Teil der betroffenen Waren verspätet vorgenommen, obwohl sie wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Waren die Zwischenlagerräume bzw. ‑plätze bereits verlassen hatten und ausgeliefert worden waren. Aus diesem Grund forderten die französischen Zollbehörden von Maprochim einen entsprechenden Abgabenbetrag ein.

24.      Maprochim stellte daraufhin einen Antrag auf Erlass nach Art. 236 ZK in Verbindung mit Art. 890 ZK-DVO. Dieser Antrag wurde von den französischen Zollbehörden mit der Begründung zurückgewiesen, dass Art. 236 ZK in Verbindung mit Art. 890 ZK-DVO auf eine nach Art. 203 ZK entstandene Zollschuld nicht zur Anwendung komme. Art. 236 ZK finde nämlich nur auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben Anwendung, die nicht gesetzlich geschuldet gewesen seien. Eine nachträgliche Vorlage von Ursprungsbescheinigungen führe nicht dazu, dass eine Zollschuld nach Art. 203 ZK gar nicht erst entstanden sei, sondern könne lediglich zu einem nachträglichen Erlass nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 890 ZK-DVO führen.

B –    Verfahren vor den nationalen Gerichten und Vorlagefrage

25.      Mondia, APP und Maprochim haben Klage vor dem Tribunal d’instance du Havre und dem Tribunal d’instance de Rouen erhoben. Die Klagen vor dem Tribunal d’instance du Havre sind wegen Konnexität an das Tribunal d’instance de Rouen verwiesen worden. Am 16. November 2007 ist das Vermögen von Maprochim im Wege einer Universalsukzession auf das Unternehmen Port Angot développement (im Folgenden: PAD) übergegangen, so dass Letzteres als Rechtsnachfolger der Maprochim in den Rechtsstreit eingetreten ist.

26.      In seinem Urteil vom 11. April 2008 hat das Tribunal d’instance de Rouen u. a. festgestellt, dass

–        die französischen Zollbehörden Mondia zu Recht einen teilweisen Erlass des Abgabenbetrags gemäß Art. 239 ZK und Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO gewährt hätten;

–        Mondia bei diesem Antrag auf Erlass nicht als Stellvertreterin von APP im Sinne des Art. 5 ZK gehandelt habe;

–        Mondia allerdings nach Art. 1208 des französischen Code civil als Stellvertreterin von APP anzusehen sei, da nach dieser Vorschrift ein Gesamtschuldner die weiteren Gesamtschuldner notwendigerweise vertrete.

27.      Als Folge hat das Tribunal d’instance de Rouen den Mondia gewährten Erlass auch zugunsten von APP berücksichtigt und die gegenüber APP festgestellten Abgabenbeträge entsprechend gemindert.

28.      Gegen dieses Urteil des Tribunal d’instance de Rouen haben einerseits die französischen Zollbehörden, andererseits Mondia, APP und PAD Berufung vor dem vorlegenden Gericht eingelegt. Sie streiten insbesondere darüber, ob der Mondia gewährte teilweise Erlass auch zugunsten von APP und PAD berücksichtigt werden muss.

29.      Am 17. Oktober 2008 wurde hinsichtlich PAD ein Insolvenzverfahren eingeleitet und Maître Bérel zum Bevollmächtigten bestimmt.

30.      Mit Urteil vom 28. Januar 2010 hat das vorlegende Gericht teilweise über die Berufungen entschieden, das Verfahren im übrigen ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Vorlagefrage gestellt:

Verwehren es die Art. 213, 233 und 239 ZK, dass ein Gesamtschuldner einer Zollschuld, dem diese nicht erlassen worden ist, sich gegenüber der für die Erhebung zuständigen Behörde auf den gemäß Art. 239 ZK gegenüber einem anderen Gesamtschuldner ergangenen Erlassbescheid beruft, um der Zahlung der Steuerschuld zu entgehen?

IV – Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

31.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 8. Februar 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

32.      Im Laufe des Verfahrens haben APP, Maître Bérel für PAD, die französische Regierung und die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

33.      Am 11. November 2010 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der Prozessvertreter von APP, der französischen Regierung und der Kommission teilgenommen, ihren Vortrag ergänzt und auf Fragen geantwortet haben.

V –    Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

34.      Nach der Auffassung von APP muss der Mondia gewährte teilweise Erlass auch ihr zugutekommen.

35.      Bei ihrem Antrag auf Erlass habe Mondia sie vertreten. Ein Antrag auf Erlass könne nämlich auch von einem Stellvertreter gestellt werden. Zwar habe Mondia nicht ausdrücklich erklärt, dass sie den Antrag auf Erlass auch im Namen von APP gestellt habe. In einer Situation wie der vorliegenden komme das Offenkundigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 4 ZK aber nicht zur Anwendung. Anders als bei einer Einfuhranmeldung bestehe nämlich bei einem Antrag auf Erlass keine Unsicherheit hinsichtlich des Hauptschuldners der Zollschuld. In diesem Fall seien die gesamtschuldnerisch verpflichteten Zollschuldner bereits bekannt. Zudem habe APP offensichtlich ein großes Interesse an dem Erlass.

36.      Weiter prüften die Zollbehörden bei einem Antrag auf Erlass nach Art. 239 Abs. 1 und 2 ZK und Art. 899 ZK-DVO, der von dem mit der Einfuhr beauftragten Unternehmen gestellt werde, nicht nur die objektiven Voraussetzungen für einen Erlass, sondern auch die subjektiven Voraussetzungen aller beteiligten Wirtschaftsteilnehmer. Es sei offensichtlich, dass APP die subjektiven Voraussetzungen von Art. 239 Abs. 1 und 2 ZK und Art. 899 ZK-DVO erfülle. Ein Unternehmen wie APP, das die Dienste eines anderen Unternehmens wie Mondia in Anspruch nehme, könne sich nach der Rechtsprechung nicht auf seine Unerfahrenheit bei Zollformalitäten berufen. Vielmehr müsse es sich das Verhalten seines Vertreters zurechnen lassen. Im Umkehrschluss komme einem Unternehmen wie APP im vorliegenden Fall zugute, dass das Verhalten seines Vertreters nicht offensichtlich fahrlässig gewesen sei. Wenn Mondia nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt habe, müsse dies erst recht für APP als weniger erfahrenen Wirtschaftsteilnehmer gelten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Benachrichtigung der Zollbehörden durch Mondia auf einen Hinweis von APP an Mondia zurückzuführen sei und dass APP im Laufe des Verfahrens nicht der Vorwurf gemacht worden sei, fahrlässig gehandelt zu haben.

37.      Im Übrigen entfalte der teilweise Erlass gegenüber Mondia auch Wirkungen zugunsten von APP. Art. 233 ZK sehe vier Fallgruppen vor, in denen die Zollschuld erlösche. Dazu gehöre nach Art. 233 Buchst. b ZK auch der Erlass. Diese Bestimmung sehe nicht vor, dass die Wirkungen des Erlasses auf einen bestimmten Zollschuldner beschränkt seien. Die Regeln über das Regime der Gesamtschuld richteten sich nach dem Recht der Mitgliedstaaten. Aus den Regeln des französischen Code civil, insbesondere dessen Art. 1208, ergebe sich, dass der teilweise Erlass gegenüber Mondia auch gegenüber APP wirke. Die Zollbehörden hätten sich nämlich nicht darauf beschränkt, die Zollschuld nur gegenüber Mondia zu erlassen. Für den Fall, dass sich das Regime der Gesamtschuld nicht aus dem Recht der Mitgliedstaaten, sondern aus dem Unionsrecht ergebe, sei entsprechend der im Code civil enthaltenen Wertungen zum selben Ergebnis zu kommen.

38.      Maître Bérel trägt für PAD vor, dass das Entrichten der Zollschuld durch einen Gesamtschuldner nach Art. 233 Abs. 1 Buchst. a ZK zum Erlöschen der Zollschuld führe, was sich auch zugunsten der weiteren Gesamtschuldner auswirke. Dies müsse auch dann gelten, wenn die Zollschuld einem der Gesamtschuldner nach Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK erlassen werde.

39.      Die Wirkungen eines Erlasses für die Gesamtschuldner richteten sich mangels unionsrechtlicher Regelungen nach nationalem Recht. Daher komme vorliegend der französische Code civil zur Anwendung. Aus diesem ergebe sich, dass sich der Erlass für Mondia auch zugunsten ihrer Gesamtschuldner APP und PAD auswirke. Eine solche Lösung wahre auch den unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz.

40.      Schließlich hätten die französischen Zollbehörden der Entscheidung über den teilweisen Erlass für Mondia auch eine Wirkung zugunsten von APP und PAD zugemessen. Sie hätten APP und Maprochim nämlich darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung über deren Widersprüche erst dann ergehen werde, wenn sie über Mondias Antrag auf Erlass entschieden haben würden.

41.      Nach Auffassung der französischen Regierung können sich APP und PAD bzw. Maprochim nicht auf den teilweisen Erlass gegenüber Mondia berufen. Art. 239 ZK sei restriktiv auszulegen. Nach dessen Abs. 2 könne ein Antrag auf Erlass nur innerhalb einer bestimmten Frist gestellt werden. Mondia habe innerhalb der vorgesehenen Frist einen entsprechenden Antrag gestellt. Sie habe allerdings nicht erklärt, dass sie auch für APP und Maprochim gehandelt habe. Daher habe Mondia ihren Antrag auf Erlass nicht als Stellvertreterin von APP und Maprochim gestellt.

42.      Weiter sei Voraussetzung für einen Erlass nach Art. 239 ZK, dass der Antragsteller keine betrügerische Absicht gehabt und nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Die Beurteilung eines offensichtlich fahrlässigen Verhaltens hänge insbesondere von der Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründe, sowie von der Berufserfahrung und der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers ab. Die Zollbehörden müssten die individuelle Situation und das individuelle Verhalten des jeweiligen Wirtschaftsteilnehmers bewerten. Daher könne eine Entscheidung nach Art. 239 ZK nicht automatisch auf andere, gesamtschuldnerisch haftende Zollschuldner erstreckt werden.

43.      Schließlich sei die automatische Berücksichtigung eines Erlasses zugunsten der weiteren Gesamtschuldner nicht vereinbar mit dem Ziel, die Eigenmittel der Union zu bewahren.

44.      Nach Auffassung der Kommission wirkt sich der teilweise Erlass einer Zollschuld nach Art. 239 ZK gegenüber einem Gesamtschuldner nicht auf die weiteren Gesamtschuldner aus.

45.      Aus Art. 4 Punkt 9 und Punkt 12 ZK ergebe sich, dass eine Zollschuld eine Verbindung zwischen einer Zollbehörde und einer Person, und nicht zwischen einer Zollbehörde und einer Transaktion sei.

46.      Die in Art. 233 ZK aufgeführten Tatbestände für den Erlass einer Zollschuld seien im Hinblick auf das Ziel, die Eigenmittel der Union zu bewahren, restriktiv auszulegen. Diese Bestimmung könne daher nicht so ausgelegt werden, dass ein Erlass absolute Wirkung gegenüber allen Gesamtschuldnern habe. Vielmehr ergebe sich aus Art. 239 ZK, dass ein Erlass nur relative Wirkung habe. Voraussetzung für einen Erlass nach dieser Vorschrift sei nämlich nicht nur, dass eine bestimmte objektive Situation vorliege, sondern auch, dass der jeweilige Antragsteller subjektiv keine betrügerische Absicht gehabt und nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Daher könne ein Erlass nach Art. 239 ZK nur für den jeweiligen Antragsteller gelten. Dies entspreche auch dem Willen des Unionsgesetzgebers, der mit der Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung das Risiko der Eintreibbarkeit der Zollschuld habe mindern wollen.

47.      Nach dem System des ZK obliege es somit jedem Zollschuldner, einen Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK zu stellen. Zwar sei es möglich, dass ein Gesamtschuldner einen anderen bei einem solchen Antrag vertrete. Die Regeln über die Stellvertretung im Zollrecht ergäben sich aber nicht aus dem nationalen Recht, sondern aus Art. 5 ZK. Da Mondia bei ihrem Antrag auf Erlass nicht als Stellvertreterin für APP oder Maprochim aufgetreten sei, lägen die Voraussetzungen für eine Stellvertretung nach Art. 5 ZK nicht vor. Ohnehin habe Mondia in ihrem Antrag keine Angaben zum Verhalten von APP gemacht, so dass nicht hätte geprüft werden können, ob APP eine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne.

VI – Rechtliche Würdigung

48.      Im vorliegenden Fall sind drei Wirtschaftsteilnehmer, und zwar Mondia, APP und Maprochim, die Rechtsvorgängerin von PAD, gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Abgabenbeträgen verpflichtet. Einem dieser Gesamtschuldner, Mondia, sind die Abgabenbeträge teilweise nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO erlassen worden.

49.      Das vorlegende Gericht hat über die Berufungen gegen ein Urteil zu entscheiden, in dem für Recht erkannt worden ist, dass der teilweise Erlass zugunsten von Mondia auch Wirkungen zugunsten ihres Gesamtschuldners APP entfaltet. Diese Feststellung hat das erstinstanzliche Gericht auf Art. 1208 des französischen Code civil gestützt, nach dem sich ein Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger der Gesamtschuld insbesondere auf alle in der Natur der Verbindlichkeit begründeten oder allen Gesamtschuldnern gemeinschaftlich zustehenden Einreden und Einwendungen berufen kann. Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Vorgehensweise mit den Art. 213, 233 und 239 ZK.

50.      Kern des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens ist somit die Frage, ob die Art. 213, 233 und 239 ZK der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen der gegenüber dem Gesamtschuldner Mondia gewährte teilweise Erlass auch Wirkungen zugunsten der weiteren Gesamtschuldner entfaltet, was zu einer entsprechenden Minderung der Abgabenbeträge für diese führen würde (B). Bevor ich auf diese Frage eingehen werde, möchte ich zunächst kurz auf die Gründe eingehen, aus denen Mondia im vorliegenden Fall nicht als Stellvertreterin von APP oder Maprochim bzw. PAD angesehen werden kann (A).

A –    Keine Stellvertretung im Sinne des Art. 5 ZK

51.      Das vorlegende Gericht hat festgestellt, dass Mondia nicht als Stellvertreterin im Sinne des Art. 5 ZK angesehen werden kann, weil sie den Antrag auf Erlass der Zollschuld nur in ihrem eigenem Namen und nicht auch im Namen von APP und Maprochim gestellt hat. Der Offenkundigkeitsgrundsatz nach Art. 5 Abs. 4 ZK stehe im vorliegenden Fall der Annahme einer Stellvertretung im Sinne dieser Vorschrift entgegen.

52.      Soweit APP im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren Gründe dafür vorträgt, aus denen das Offenkundigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 4 ZK bei einem Antrag auf Erlass nicht zur Anwendung kommen bzw. Mondia den Antrag auf Erlass konkludent auch in ihrem Namen gestellt haben soll, scheint mir dieser Vortrag bereits über den Rahmen der Vorlagefrage hinauszugehen. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV bestimmt lediglich das vorlegende Gericht den Gegenstand der Vorlagefrage. Die Bestimmung der Vorlagefrage ist somit der Parteiherrschaft entzogen.(11) Da das vorlegende Gericht hinsichtlich Art. 5 ZK keine Vorlagefrage gestellt hat, möchte ich im Folgenden lediglich ergänzend ausführen, dass es eine Stellvertretung nach Art. 5 ZK zu Recht verneint hat.

53.      Die Stellvertretung im Zollrechtsverfahren ist in Art. 5 ZK geregelt. Nach Art. 5 Abs. 1 ZK kann sich jedermann gegenüber den Zollbehörden bei der Vornahme der das Zollrecht betreffenden Verfahrenshandlungen vertreten lassen. Diese Vertretung kann nach Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 erster Spiegelstrich ZK direkt sein, wenn der Vertreter im Namen und für Rechnung eines anderen handelt. Sie kann nach Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 zweiter Spiegelstrich ZK auch indirekt sein, wenn der Vertreter in eigenem Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt. Art. 878 ZK-DVO stellt klar, dass sich ein Zollschuldner auch bei einem Antrag auf Erlass vertreten lassen kann.

54.      Um eine wirksame Stellvertretung im Zollrechtsverfahren annehmen zu können, müssen allerdings die Voraussetzungen von Art. 5 ZK vorliegen, zu denen insbesondere das Offenkundigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 ZK zählt. Danach muss der Stellvertreter erklären, für die vertretene Person zu handeln. Er muss weiter angeben, ob es sich um eine direkte oder indirekte Vertretung handelt. Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 ZK stellt klar, dass der Vertreter in einem Fall, in dem es an der Offenlegung mangelt, als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd gilt.

55.      In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht zunächst festgehalten, dass Mondia den Antrag auf Erlass ausdrücklich nur in ihrem eigenen Namen gestellt hat. Weiter könne aus dem Hinweis Mondias darauf, dass sie Waren im Namen von APP zur Einfuhr angemeldet habe, noch nicht darauf geschlossen werden, dass Mondia konkludent auch im Namen von APP gehandelt habe. Ferner habe auch jegliche Angabe darüber gefehlt, ob es sich um eine direkte oder indirekte Stellvertretung handelte. Aus diesem Grund habe Mondia die Anträge auf Erlass nicht als Stellvertreterin von APP gestellt.

56.      Soweit APP Einwände gegen diese Feststellung erhebt, vermögen diese nicht zu überzeugen.

57.      Erstens findet das Offenkundigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 4 ZK entgegen der Auffassung von APP auch Anwendung auf einen Antrag auf Erlass. Wie das vorlegende Gericht zu Recht festgestellt hat, stellt das Offenkundigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 4 ZK eine allgemein anwendbare Regelung dar, die auch für einen Antrag auf Erlass gilt.(12) Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung dieser Bestimmung zu Beginn des Zollkodex, dem Titel des betreffenden Kapitels „Verschiedene allgemeine Vorschriften, …“ und nicht zuletzt dem Wortlaut der Bestimmung.

58.      Zweitens kann in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht angenommen werden, dass Mondia konkludent im Namen von APP gehandelt hat. Wie das vorlegende Gericht zu Recht festgestellt hat, ergibt sich allein aus dem Umstand, dass APP Mondia mit der Einfuhranmeldung der betroffenen Waren beauftragt hat, nicht zwangsläufig, dass Mondia auch bei ihren Anträgen auf Erlass nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 ZK-DVO im Namen von APP hat handeln wollen. Ein Antrag auf Erlass kann nämlich nur dann Erfolg haben, wenn der Antragsteller weder mit betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Beim Nachweis dieser subjektiven Voraussetzung müssen die Interessen des Wirtschaftsteilnehmers, der die betroffenen Waren tatsächlich eingeführt hat, und die des Wirtschaftsteilnehmers, in dessen Namen die Waren eingeführt worden sind bzw. hätten eingeführt werden sollen, nicht zwangsläufig gleichläufig sein. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen der Stellvertreter sein eigenes Verhalten dadurch zu rechtfertigen versucht, dass er dem Auftraggeber die Verantwortung für die zollrechtliche Zuwiderhandlung anlastet. Allein aus dem Umstand, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Waren im fremden Namen zur Einfuhr angemeldet hat, können die Zollbehörden somit nicht schließen, dass er zwangsläufig auch einen Antrag auf Erlass im fremden Namen stellen möchte.

59.      Entgegen der Auffassung von APP hat das vorlegende Gericht somit zu Recht festgestellt, dass Mondia den Antrag auf Erlass nicht als Stellvertreterin im Sinne des Art. 5 ZK gestellt hat.

B –    Zur Wirkung eines teilweisen Erlasses nach Art. 239 Abs. 1 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO für die weiteren Gesamtschuldner

60.      Das vorlegende Gericht hat über die Berufungen gegen ein Urteil zu entscheiden, in dem für Recht erkannt worden ist, dass Mondia bei ihrem Antrag auf Erlass zwar nicht nach Art. 5 ZK als Stellvertreterin von APP gehandelt habe, aber als gesamtschuldnerisch verpflichtete Zollschuldnerin die weitere Gesamtschuldnerin APP nach Art. 1208 des französischen Code civil notwendigerweise mitvertreten habe.

61.      Hierzu ist zunächst anzumerken, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Stellvertretung im Zollverfahren in Art. 5 ZK geregelt sind. Dieser geht aufgrund seines Verordnungscharakters nach Art. 249 Abs. 2 EG den Regelungen des nationalen Rechts vor, so dass eine nationale Bestimmung wie Art. 1208 des französischen Code civil nicht herangezogen werden kann, um im Widerspruch zu Art. 5 ZK eine wirksame Stellvertretung im Zollverfahren zu begründen.

62.      Allerdings geht es vorliegend weniger um eine Stellvertretung im eigentlichen Sinne. Vielmehr geht es um die Frage, ob der teilweise Erlass der Zollschuld gegenüber einem Gesamtschuldner wie Mondia sich auch zugunsten von APP und Maprochim als weitere Gesamtschuldner auswirkt. Diese Frage der Wirkung eines Erlasses für die weiteren Gesamtschuldner ist in Art. 5 ZK nicht geregelt.

63.      Im Weiteren ist demnach zunächst zu ermitteln, ob die Antwort auf diese Frage im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten zu suchen ist.

1.      Zum anwendbaren Recht

64.      Art. 213 ZK bestimmt, dass für den Fall, in dem es für eine Zollschuld mehrere Zollschuldner gibt, diese Zollschuldner gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet sind. Darüber hinaus finden sich im ZK keine weiteren Vorschriften, die das Regime der Gesamtschuld ausdrücklich ausgestalten.

65.      Es stellt sich somit die Frage, ob insofern das Recht der Mitgliedstaaten zur Anwendung kommt. Dies kann nur dann angenommen werden, wenn ein Verweis auf das nationale Recht entweder ausdrücklich vorgesehen ist oder sich aus den betreffenden Bestimmungen des Unionsrechts ergibt, dass der Unionsgesetzgeber diese Frage dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen wollte.(13)

66.      Einen ausdrücklichen Verweis auf die nationalen Vorschriften sieht der ZK an dieser Stelle nicht vor. Er sieht auch keinen Verweis auf das „geltende Recht“ vor, was nach Art. 4 Nr. 23 ZK als Verweis auf das nationale Recht zu verstehen ist, wenn keine entsprechende Regelung auf unionsrechtlicher Ebene vorhanden ist. Vielmehr spricht die historisch-genetische Auslegung von Art. 213 ZK, also der Vergleich zwischen dieser Vorschrift und den entsprechenden Vorgängerbestimmungen, gegen einen umfassenden Verweis auf das nationale Recht. Die Art. 3 und 4 der Verordnung Nr. 1031/88, die vor Inkrafttreten des ZK galten, sahen nämlich ausdrücklich vor, dass sich die gesamtschuldnerische Verpflichtung der Zollschuldner „nach den geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten“ richten solle. Art. 213 ZK sieht einen solchen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten nicht mehr vor. Von einem umfassenden Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten kann daher nicht ausgegangen werden.

67.      Daher muss hinsichtlich der Einzelheiten des Regimes der Gesamtschuld zunächst geprüft werden, ob sich aus dem Unionsrecht Vorgaben ergeben. Soweit es keine solchen Vorgaben gibt, kommt ergänzend das nationale Recht der Mitgliedstaaten zur Anwendung.

68.      Im vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob sich aus dem ZK Vorgaben hinsichtlich der Wirkung eines teilweisen Erlasses eines Abgabenbetrags für einen Gesamtschuldner nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO zugunsten der weiteren Gesamtschuldner entnehmen lassen.

2.      Zu den Vorgaben des ZK

69.      Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Frage lediglich das Verhältnis zwischen APP und PAD einerseits und den französischen Zollbehörden andererseits betrifft. Es geht somit um das Verhältnis zwischen Zollschuldnern und Zollbehörden, nicht dagegen um das Verhältnis zwischen den einzelnen Zollschuldnern. Diese Unterscheidung scheint mir deswegen bedeutend zu sein, weil die rechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Zollbehörden und den Zollschuldnern unmittelbare Auswirkungen auf die Zollabgaben und somit auf die Eigenmittel der Union hat. Es spricht einiges dafür, dass die Antwort auf Fragen, die das Erlöschen der Zollschuld im Verhältnis zu den Zollbehörden und somit die Eigenmittel der Union unmittelbar betreffen, einheitlich im ZK geregelt sind. Dagegen hat die rechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den einzelnen Gesamtschuldnern, insbesondere die Frage, in welchem Umfang diese im Innenverhältnis letztlich jeweils für die Zollschuld einstehen müssen, keine unmittelbare Auswirkung auf die Eigenmittel. Hier scheint mir also beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts durchaus mehr Spielraum für die nationalen Rechtsordnungen zu bestehen.

70.      APP und Maprochim stützen ihre Auffassung, nach welcher der Erlass zugunsten von Mondia auch zu ihren Gunsten wirken müsse, zunächst auf den Wortlaut von Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK. Nach dieser Vorschrift erlischt eine Zollschuld durch den Erlass des Abgabenbetrags. In der Tat könnte diese Bestimmung allein unter Berücksichtigung ihres Wortlauts durchaus so ausgelegt werden, dass der Erlass gegenüber einem der Gesamtschuldner zu einem Erlöschen der Zollschuld hinsichtlich aller Gesamtschuldner führt.

71.      Weiter verweisen sie auf den systematischen Zusammenhang zwischen Art. 233 Abs. 1 Buchst. a und b ZK. Art. 233 Abs. 1 Buchst. a ZK ist ein weiterer Erlöschenstatbestand, dem zufolge eine Zollschuld bei ihrer Entrichtung durch einen der Gesamtschuldner erlischt. Dass im Fall des Art. 233 Abs. 1 Buchst. a ZK nicht nur der entrichtende, sondern auch die weiteren Gesamtschuldner von der Zollschuld befreit werden, leuchtet ein. Schließlich zeichnet sich eine Gesamtschuld dadurch aus, dass der Gläubiger die Schuld zwar von jedem Gesamtschuldner einfordern kann, allerdings nur ein Mal.(14) Mit Verweis darauf, dass Art. 233 Abs. 1 ZK sowohl im Falle des Bewirkens der Zollschuld als auch im Falle ihres Erlasses den Begriff des Erlöschens verwendet, könnte somit argumentiert werden, dass nicht nur das Bewirken der Zollschuld nach Buchst. a, sondern auch der Erlass des Abgabenbetrags nach Buchst. b zum Erlöschen der Zollschuld für alle Gesamtschuldner führt.

72.      Eine solche Auslegung von Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK, die teilweise im Schrifttum vertreten wird,(15) wäre aber nicht mit den Zielsetzungen vereinbar, die von den Art. 202, 203, 213, 233 und 239 ZK verfolgt werden und würde deren effet utile unterlaufen.

73.      Zunächst ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 202 Abs. 3 ZK und Art. 203 Abs. 3 ZK nicht nur derjenige für die Zollschuld haftet, der die zollrechtliche Zuwiderhandlung selbst begeht (jeweils erster Gedankenstrich), sondern auch derjenige, der sich an dieser Zuwiderhandlung beteiligt hat (jeweils zweiter Gedankenstrich), sowie andere Wirtschaftsteilnehmer (siehe die weiteren Gedankenstriche der jeweiligen Absätze). Diese Mehrfachabsicherung soll das Risiko der Uneintreibbarkeit der Zollschuld in den Fällen mindern, in denen eine ordnungsgemäße Anmeldung unterblieben ist. Sie ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass Zölle zu den Eigenmitteln der Union gehören und somit Bestandteil des Unionshaushalts sind. Bei der Auslegung von Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK und Art. 239 ZK ist somit auch der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Eigenmittel der Union zu schützen. Dieses Ziel darf nicht durch die Einführung neuer Erlöschensgründe für die Zollschuld in Frage gestellt werden.(16)

74.      Weiter ist festzuhalten, dass Mondia im vorliegenden Fall die Zollschuld nach Art. 239 ZK und Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO erlassen worden ist. Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO betrifft insbesondere die Fälle, in denen Waren vor ihrer Einfuhr nicht ordnungsgemäß angemeldet worden sind und aufgrund dieses Verstoßes die Zollschuld nach den Art. 202 und 203 ZK entstanden ist. In diesem Fall werden bei der Bestimmung der Zollschuld weder die Möglichkeit einer Unionsbehandlung noch die einer Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung berücksichtigt. Allerdings sieht Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO für Fälle, in denen diese Vorteile bei einer ordnungsgemäßen Anmeldung hätten berücksichtigt werden können, aus Gründen der Billigkeit die Möglichkeit eines nachträglichen Erlasses vor. Ein solcher Erlass aus Billigkeitsgründen steht indes nicht nur unter der Voraussetzung, dass bei ordnungsgemäßer Anmeldung ein Anspruch auf Unionsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sondern auch unter der subjektiven Voraussetzung, dass dem Antragsteller weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

75.      Eine Auslegung von Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK, der zufolge der teilweise Erlass gegenüber Mondia nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 ZK-DVO automatisch auch zugunsten ihrer Gesamtschuldner APP und Maprochim (bzw. PAD) wirkt, würde den vorgenannten Zielsetzungen nicht hinreichend Rechnung tragen. Denn zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum die Union im vorliegenden Fall nur deswegen auf Eigenmittel verzichten soll, weil ein Erlass zwar gegenüber Mondia gerechtfertigt ist, aber nicht notwendigerweise auch gegenüber den weiteren Gesamtschuldnern. Dem oben erwähnten(17) Grundsatz der Mehrfachabsicherung entspricht vielmehr, dass die Zollbehörden sich in einem solchen Fall an die weiteren Gesamtschuldner halten müssen, soweit diesen der entsprechende Betrag nicht erlassen worden ist.(18) Zum anderen scheint es mir auch aus Gründen der Billigkeit nicht gerechtfertigt zu sein, dass ein Zollschuldner, der möglicherweise mit betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, in den Genuss eines Erlasses kommen soll, nur weil er gesamtschuldnerisch haftet und einem anderen Gesamtschuldner unter Berücksichtigung dessen eigenen Verhaltens ein Erlass gewährt worden ist.(19)

76.      Eine Auslegung, nach welcher der Erlass nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO nur zugunsten des Antragstellers gilt, der die Voraussetzungen dieser Bestimmungen erfüllt, trägt zudem dem Grundsatz Rechnung, dass der Erlass eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem darstellt, so dass die Vorschriften, die einen Erlass vorsehen, eng auszulegen sind.(20)

77.      Einer solchen Auslegung steht ferner auch nicht der Wortlaut von Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK entgegen. Diese Bestimmung kann nämlich so ausgelegt werden, dass sie lediglich das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Zollschuldner und den Zollbehörden regelt. Soweit Art. 233 Abs. 1 Buchst. b ZK anordnet, dass die Zollschuld durch den Erlass erlischt, ist damit im vorliegenden Fall lediglich das Verhältnis zwischen Mondia und den Zollbehörden gemeint, nicht aber das Verhältnis zwischen APP und Maprochim bzw. PAD einerseits und den Zollbehörden andererseits.

78.      Schließlich ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass eine solche Auslegung der Rechtslage nach Art. 86 Abs. 4 des modernisierten Zollkodex entspricht, nach dem der Erlass nur zugunsten des jeweiligen Gesamtschuldners wirkt. Diese Vorschrift ist zwar ratione temporis auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dem Gesetzgebungsverfahren, das zum Erlass des modernisierten Zollkodex geführt hat, kann allerdings kein Hinweis darauf entnommen werden, dass der Unionsgesetzgeber an diesem Punkt die bestehende Rechtslage ändern wollte. Insofern kann die Regelung in Art. 86 Abs. 4 des modernisierten Zollkodex zur Bestätigung der Auslegung herangezogen werden, nach der ein Erlass nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO nur zugunsten des jeweiligen Antragstellers wirkt.

3.      Zu den weiteren Argumenten von APP und PAD

79.      Soweit APP und PAD weitere Argumente vorbringen, aufgrund deren der teilweise Erlass gegenüber Mondia auch ihnen gegenüber gelten soll, vermögen diese nicht zu überzeugen.

80.      Erstens trägt APP vor, dass der Erlass zugunsten Mondias sich ihr gegenüber deswegen auswirken müsse, weil die französischen Zollbehörden bei Prüfung des Antrags auf Erlass von Mondia inzident auch geprüft hätten bzw. hätten prüfen müssen, ob APP keine betrügerische Absicht gehabt habe und nicht offensichtlich fahrlässig gewesen sei.

81.      Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

82.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Gewährung eines Erlasses nach Art. 239 ZK und Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO nur auf einen Antrag des jeweiligen Zollschuldners hin gewährt wird.(21) Dieser ist innerhalb einer bestimmten Frist zu stellen, die im Regelfall zwölf Monate nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner beträgt. Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, hat weder APP selbst einen fristgemäßen Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK und Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO gestellt, noch hat Mondia ihren Antrag auf Erlass als Stellvertreterin von APP gestellt.

83.      Ohnehin scheint mir bereits die Prämisse von APP unrichtig zu sein, der zufolge die französischen Zollbehörden im Rahmen der Prüfung des Antrags von Mondia implizit auch das Verhalten von APP geprüft hätten bzw. hätten prüfen müssen. Grundsätzlich müssen die Zollbehörden bei einem Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO die subjektiven Voraussetzungen dieser Bestimmungen nur in Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller prüfen. Zwar muss sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich in Hinblick auf seine Einfuhren durch einen Zollagenten vertreten lässt, das offensichtlich fahrlässige Verhalten seines Stellvertreters zurechnen lassen.(22) Dies ist naheliegend, da sich der Vertretene das Verhalten des Vertreters wie sein eigenes zurechnen lassen muss. In einem solchen Fall kann ein Antrag des Vertretenen auf Erlass voraussetzen, dass auch das Verhalten seines Stellvertreters inzident geprüft wird. Daraus lässt sich entgegen der Auffassung von APP aber nicht herleiten, dass im umgekehrten Fall, also bei einem Antrag des Stellvertreters auf Erlass inzident auch eine Prüfung erfolgen muss, ob der Vertretene eine betrügerische Absicht hatte oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Der Vertretene handelt nämlich nicht im Namen des Stellvertreters, so dass sich der Stellvertreter bei der Beurteilung seines eigenen Verhaltens das Verhalten des Vertretenen nicht zwangsweise zurechnen lassen muss.

84.      Zweitens versucht APP ihre Auffassung, der zufolge der Erlass gegenüber Mondia auch ihr gegenüber gilt, auf Art. 899 ZK-DVO zu stützen. Aus dieser Bestimmung ergebe sich, dass in einem Fall wie dem vorliegenden infolge des Antrags von Mondia auch ein Erlass hinsichtlich der Zollschuld von APP hätte geprüft werden müssen. Dies stützt APP darauf, dass diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut eine Prüfung des Verhaltens aller Beteiligten vorsehe.

85.      Auch dem kann nicht gefolgt werden. Art. 899 ZK-DVO kann nicht entnommen werden, dass ein Zollschuldner mit seinem Antrag auf Erlass eine Pflicht für die Zollbehörden auslöst, in Hinblick auf alle für die Zollschuld haftenden Gesamtschuldner zu prüfen, ob diese mit betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt haben.

86.      Zunächst legt bereits der Wortlaut von Art. 899 ZK-DVO eine solche Auslegung nicht nahe. Dort ist lediglich die Rede von „dem Beteiligten“ im Singular, und nicht von „den Beteiligten“ im Plural. Es ist somit offensichtlich nur der jeweilige Antragsteller gemeint.

87.      Weiter spricht gegen die Auffassung von APP auch die Regelung in Art. 899 ZK-DVO, nach der die Zollbehörden über den Antrag auf der Grundlage der in dem Antrag vorgebrachten Gründe entscheiden. Wie oben dargelegt wurde,(23) können die Interessen der einzelnen Gesamtschuldner bei einem Antrag auf Erlass durchaus gegenläufig sein. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in seinem Antrag zwangsläufig auch die Gründe vorbringt, die für die weiteren Beteiligten günstig sind.

88.      Drittens verweist Maître Bérel für PAD darauf, dass auch Maprochim von der Entscheidung der Zollbehörden über den teilweisen Erlass für Mondia erfasst sei. Die französischen Zollbehörden hätten APP und Maprochim nämlich darauf hingewiesen, dass sie eine Entscheidung über ihre Widersprüche erst dann treffen würden, wenn sie über den Antrag Mondias auf Erlass entschieden haben würden.

89.      Hierzu genügt es anzumerken, dass es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV nicht Aufgabe des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts ist, den Inhalt einer Entscheidung der nationalen Behörden festzustellen. Der Gerichtshof hat somit grundsätzlich von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen.(24) Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass das vorlegende Gericht von einem Verständnis der Entscheidungen der Zollbehörden ausgeht, nach dem in diesen nur die Zollschuld von Mondia teilweise erlassen worden ist.

C –    Zusammenfassung

90.      Aus den Art. 213, 233 und 239 ZK ergibt sich nach alledem, dass eine Entscheidung der Zollbehörden über den teilweisen Erlass nach Art. 239 ZK und Art. 900 Abs. 1 Buchst. o ZK-DVO zugunsten eines gesamtschuldnerisch verpflichteten Zollschuldners keine automatische Wirkung zugunsten der weiteren Gesamtschuldner dieser Zollschuld entfalten kann. Diese Bestimmungen stehen somit der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegen, die eine solche Wirkung vorsieht.





VII – Ergebnis

91.      Auf der Grundlage der vorgenannten Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Vorlagefrage zu antworten:

Die Art. 213, 233 und 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften sind so auszulegen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden ein Gesamtschuldner einer Zollschuld, dem diese nicht erlassen worden ist, sich nicht auf einen nach Art. 239 dieser Verordnung in Verbindung mit Art. 900 Abs. 1 Buchst. o der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 gegenüber einem anderen Gesamtschuldner ergangenen Erlassbescheid berufen kann, um der Zahlung der Zollschuld zu entgehen.



1 –      Originalsprache: Deutsch; Verfahrenssprache: Französisch


2 – In Anlehnung an die im EUV und im AEUV verwendeten Bezeichnungen wird der Begriff „Unionsrecht“ als Gesamtbegriff für Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht verwendet. Soweit es im Folgenden auf einzelne primärrechtliche Bestimmungen ankommt, werden die ratione temporis geltenden Vorschriften angeführt.


3 – ABl. L 102, S. 5.


4 – ABl. L 302, S. 1.


5 – ABl. L 145, S. 1.


6 – ABl. L 253, S. 1.


7 – ABl. L 187, S. 16.


8 – ABl. L 346, S. 1.


9 – Von APP und Maprochim sind auch weitere Abgaben (Steuern etc.) eingefordert worden, die allerdings für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht von Bedeutung sind.


10 – Hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens vor den nationalen Behörden und der Kommission sei auf den Beschluss des Gerichts vom 25. Januar 2007, Rijn Schelde Mondia France/Kommission (T-55/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) verwiesen.


11 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. März 1963, Da Costa u. a. (28/62 bis 30/62, Slg. 1963, 65, 81), vom 1. März 1973, Bollmann (62/72, Slg. 1973, 269, Randnr. 4), vom 10. Juli 1997, Palmisani (C‑261/95, Slg. 1997, I‑4025, Randnr. 31), und vom 12. Februar 2008, Kempter (C‑2/06, Slg. 2008, I‑411, Randnrn. 41 f.).


12 – So auch Reiche, K., in: Witte, P., Zollkodex, Beck, 4. Aufl. 2006, Art. 5, Randnr. 5.


13 – Urteile vom 18. Dezember 2007, Société Pipeline Méditerranée et Rhône (C‑314/06, Slg. 2007, I-12273, Randnr. 21), vom 22. Mai 2003, Kommission/Deutschland (C-103/01, Slg. 2003, I-5369, Randnr. 33), vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a. (C‑296/95, Slg. 1998, I-1605, Randnr. 30), und vom 17. Juni 2010, Agra (C‑75/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 32 ff.).


14 – Witte, P., in Witte, P. (bereits in Fn. 12 angeführt), Art. 233, Randnr. 12.


15 – Vgl. Henke, R., Huchatz, W., „Das neue Abgabenverwaltungsrecht für Ein- und Ausfuhrabgaben“, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern, 1996, S. 226 ff., 231.


16 – Urteile des Gerichtshofs vom 14. November 2002, SPKR (C‑112/01, Slg. 2002, I‑10655, Randnr. 31), vom 2.  April 2009, Elshani (C‑459/07, Slg. 2009, I‑2759, Randnr. 31), und vom 29. April 2010, Dansk Transport og Logistik (C‑230/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 51).


17 – Siehe Nr. 73 dieser Schlussanträge.


18 – Witte, P. (bereits in Fn. 14 angeführt), Art. 233, Randnr. 12.


19 – In diesem Sinne auch Witte, P. (bereits in Fn. 14 angeführt), Art. 213, Randnr. 11, und Art. 233, Randnr. 12. Dort wird darauf hingewiesen, dass der Erlass einer Zollschuld gegenüber einem Zollschuldner aus Billigkeitsgründen geboten ist und dass in diesem Rahmen nachgeholt werde, was im Rahmen des Auswahlermessens nicht möglich war.


20 – Urteile des Gerichtshofs vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke (C‑48/98, Slg. 1999, I‑7877, Randnr. 52), und vom 13. März 2003, Niederlande/Kommission (C‑156/00, Slg. 2003, I‑2527, Randnr. 91).


21 – Andere Vorschriften über den Erlass sehen dagegen eine Berücksichtigung von Amts wegen vor, vgl. Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 ZK.


22 – Urteil des Gerichtshofs vom 20. November 2008, Heuschen & Schrouff Oriental Foods Trading/Kommission (C‑38/07 P, Slg. 2008, I‑8599, Randnrn. 53 und 54).


23 – Nr. 58 dieser Schlussanträge.


24 – Vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2008, Heinrich Bauer Verlag (C-360/06, Slg. 2008, I‑7333, Randnr. 15), und vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, Slg. 2004, I‑5257, Randnr. 42).

Top