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Document 62009CJ0523

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. Juli 2011.
Rakvere Piim AS und Maag Piimatööstus AS gegen Veterinaar- ja Toiduamet.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tartu ringkonnakohus - Estland.
Gemeinsame Agrarpolitik - Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen der Milcherzeugung.
Rechtssache C-523/09.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-05935

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:460

Rechtssache C-523/09

Rakvere Piim AS

und

Maag Piimatööstus AS

gegen

Veterinaar- ja Toiduamet

(Vorabentscheidungsersuchen des Tartu ringkonnakohus)

„Gemeinsame Agrarpolitik – Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen der Milcherzeugung“

Leitsätze des Urteils

Rechtsangleichung – Amtliche Kontrolle von Futtermitteln und Lebensmitteln – Finanzierung – Gebühren, die für Untersuchungen und Hygienekontrollen der Milcherzeugung geschuldet werden

(Verordnung Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 27 Abs. 3, 4 und 6 und Anhang IV Abschnitt B)

Art. 27 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz ist dahin gehend auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat auch dann, wenn die Kosten, die von den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Untersuchungen und Hygienekontrollen getragen werden, niedriger als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge sind, die für die Anwendung von Art. 27 Abs. 6 der Verordnung aufgestellten Voraussetzungen aber nicht erfüllt sind, gestattet, Gebühren in Höhe dieser Mindestbeträge zu erheben, ohne auf nationaler Ebene eine Durchführungsmaßnahme erlassen zu müssen.

(vgl. Randnr. 29 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

7. Juli 2011(*)

„Gemeinsame Agrarpolitik – Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen der Milcherzeugung“

In der Rechtssache C‑523/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tartu Ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 6. November 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2009, in dem Verfahren

Rakvere Piim AS,

Maag Piimatööstus AS

gegen

Veterinaar- ja Toiduamet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑J. Kasel (Berichterstatter) sowie der Richter E. Levits und M. Safjan,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Marcoulli und B. Schima als Bevollmächtigte im Beistand von C. Ginter, avocat,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 3, Abs. 4 Buchst. a und Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel‑ und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165, S. 1, berichtigt in ABl. L 191, S. 1, und ABl. 2007, L 204, S. 29).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Gesellschaften estnischen Rechts Rakvere Piim AS (im Folgenden: Rakvere Piim) und Maag Piimatööstus AS (im Folgenden: Maag) und dem Veterinaar‑ ja Toiduamet (Veterinär‑ und Lebensmittelamt) über die Berechnung der Gebühren, die für Untersuchungen und Hygienekontrollen der Milcherzeugung geschuldet werden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 26 der Verordnung Nr. 882/2004 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemessene finanzielle Mittel für die amtlichen Kontrollen verfügbar sind, und zwar aus beliebigen Mitteln, die sie für angemessen halten, einschließlich einer allgemeinen Besteuerung oder der Einführung von Gebühren oder Kostenbeiträgen, damit die erforderlichen personellen und sonstigen Mittel bereitgestellt werden können.“

4        Art. 27 Abs. 3, 4 und 6 der Verordnung Nr. 882/2004 bestimmt:

„(3)      Unbeschadet der Absätze 4 und 6 dürfen die Gebühren, die in Verbindung mit den in Anhang IV Abschnitt A und Anhang V Abschnitt A genannten konkreten Tätigkeiten erhoben werden, nicht niedriger sein als die in Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B angegebenen Mindestbeträge. Während eines Übergangszeitraums bis zum 1. Januar 2008 können die Mitgliedstaaten bezüglich der in Anhang IV Abschnitt A genannten Tätigkeiten jedoch weiterhin die nach der Richtlinie 85/73/EWG geltenden Beträge erheben.

Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B werden insbesondere zur Berücksichtigung der Inflation nach dem in Artikel 62 Absatz 3 genannten Verfahren mindestens alle zwei Jahre auf den neuesten Stand gebracht.

(4)      Die gemäß Absatz 1 oder 2 zum Zwecke von amtlichen Kontrollen erhobenen Gebühren:

a)      dürfen nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI,

und

b)      können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten Beträgen entsprechen.

(6)      Zur Berücksichtigung der vom Futtermittel- oder Lebensmittelunternehmen eingesetzten Systeme für Eigenkontrollen und Rückverfolgung sowie des im Rahmen der amtlichen Kontrollen festgestellten Umfangs der Einhaltung der Vorschriften können die Mitgliedstaaten, wenn die amtlichen Kontrollen für eine bestimmte Art von Futtermitteln oder Lebensmitteln oder von Tätigkeiten mit geringerer Häufigkeit durchgeführt werden oder wenn sie den in Absatz 5 Buchstaben b) bis d) genannten Kriterien Rechnung tragen wollen, den Beitrag für die amtlichen Kontrollen auf einen Betrag festlegen, der niedriger als die in Absatz 4 Buchstabe b) genannten Mindestbeträge ist, vorausgesetzt der betreffende Mitgliedstaat übermittelt der Kommission einen Bericht, in dem Folgendes angegeben ist:

a)      die Art des betreffenden Futtermittels oder Lebensmittels oder der betreffenden Tätigkeit;

b)      die in den betreffenden Futtermittel- oder Lebensmittelunternehmen durchgeführten Kontrollen,

und

c)      die Methode für die Berechnung der Reduzierung der Gebühr.“

5        Gemäß Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 werden die Mindestbeträge der auf die Milcherzeugung anwendbaren Gebühren oder Kostenbeiträge auf „1 EUR je 30 Tonnen“ und „danach 0,5 EUR je Tonne“ festgelegt.

6        Anhang VI der Verordnung Nr. 882/2004 sieht vor, dass bei der Berechnung der Gebühren folgende Kriterien zu berücksichtigen sind:

„1.      Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals,

2.      Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten,

3.      Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.“

 Nationales Recht

7        § 351 Abs. 1 des Gesetzes über das Veterinärwesen (Veterinaarkorralduse seadus, RT I 1999, 58, 608) in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung der im RT I 2008, 30, 191, bekannt gemachten Änderung lautet:

„Die Veterinärkontrollgebühr (im Folgenden: Kontrollgebühr) ist ein Betrag, der unter Berücksichtigung der in den Art. 27 bis 29 der Verordnung … Nr. 882/2004 … niedergelegten Grundsätze und Ziele für die Vornahme von Handlungen der Veterinärkontrolle von Tieren und tierischen Erzeugnissen, die Behandlung entsprechender Anträge und die Ausstellung von Dokumenten in der in diesem Gesetz festgelegten Höhe zu entrichten ist. Die Kontrollgebühr ist auf das Verrechnungskonto des Veterinaar‑ ja Toiduamet innerhalb des Gruppenkontos der Staatskasse des Finanzministeriums einzuzahlen. Die Ausgaben für die Veterinärkontrolltätigkeit umfassen die Kosten für die Entsendung eines Kontrollbeamten zur Vornahme von Kontrollen auf einem Betriebsschiff.“

8        § 353 („Grundsätze für die Bestimmung der Kontrollgebühr und Höhe der Kontrollgebühr“) des Gesetzes über das Veterinärwesen bestimmt:

„(1)      Die Höhe der Kontrollgebühr wird auf der Grundlage der Personal‑ und Sachkosten berechnet, die für die Vornahme von Handlungen der Veterinärkontrolle von Tieren und tierischen Erzeugnissen durch das Veterinaar‑ ja Toiduamet anfallen.

(2)      Die Kontrollgebühr wird für die Vornahme der in der Verordnung … Nr. 882/2004 … aufgeführten Handlungen der Veterinärkontrolle wie folgt erhoben:

3)      im Fall der Verarbeitung von Milch zahlt der Verarbeiter die Kontrollgebühr für die Veterinärkontrolltätigkeit entsprechend der Menge der verarbeiteten Milch;

(3)      Für die Vornahme der in Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 aufgeführten Handlungen der Veterinärkontrolle wird die Kontrollgebühr gemäß den in Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B der Verordnung … Nr. 882/2004 … festgelegten Mindestbeträgen erhoben.

(4)      Unternehmer im Bereich Tiere und tierische Erzeugnisse, ausgenommen solche, in deren Betrieb es um kleine Erzeugnismengen geht, wie sie auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 des Nahrungsmittelgesetzes (Toiduseadus) festgelegt worden sind, zahlen eine Kontrollgebühr für die Bestimmung des Gehalts an Schadstoffen in Tieren und tierischen Erzeugnissen wie folgt:

3)      Ankäufer von Milch – 35 Cent je 1 000 Liter Milch;

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

9        Im Zeitraum Februar 2008 bis Januar 2009 erließ das Veterinaar- ja Toiduamet gegenüber Rakvere Piim und Maag mehrere Bescheide über die Erhebung der für die Milcherzeugung geschuldeten Kontrollgebühr.

10      Für ihre gegen diese Bescheide beim Tartu Halduskohus (Verwaltungsgericht Tartu) erhobenen Klagen machten Rakvere Piim und Maag geltend, dass die nationalen Vorschriften über die Kontrollgebühr u. a. im Widerspruch zur Verordnung Nr. 882/2004 stünden, da die erhobenen Gebühren die tatsächlichen Kosten der Kontrollen überstiegen.

11      Nach Abweisung dieser Klagen legten Rakvere Piim und Maag Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Vor diesem Gericht machen sie insbesondere geltend, dass ein Unternehmer, dem ein Bescheid über die Erhebung der Kontrollgebühr zugestellt worden sei, nach den nationalen Rechtsvorschriften keine Möglichkeit habe, zu überprüfen, ob in diesen Vorschriften tatsächlich vorgesehen sei, dass ihm gegenüber ein Bescheid über die Erhebung einer Gebühr für die durchgeführten Kontrollen in Höhe des von ihm verlangten Betrags erlassen werde. Zudem ergebe sich der entsprechende Betrag aus einer nicht unmittelbar anwendbaren Unionsverordnung, die unabhängig vom Willen des nationalen Gesetzgebers geändert werden könne. Wenn der nationale Gesetzgeber die Höhe der Kontrollgebühr auf der Grundlage des sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ermessens selbst festzulegen habe, dann sei eine bloße Verweisung auf die in der Verordnung Nr. 882/2004 vorgesehene sogenannte „Mindesthöhe“ nicht mit den Anforderungen der estnischen Verfassung vereinbar.

12      Das Veterinaar- ja Toiduamet trägt insbesondere vor, dass das nationale Recht unmittelbar oder unter Verweisung auf die Vorschriften der Verordnung Nr. 882/2004 alle Merkmale der Kontrollgebühr regele. Alle Merkmale der Kontrollgebühr seien im Gesetz sowie in der Verordnung Nr. 882/2004 vorgesehen, keines davon sei der Verwaltungspraxis überlassen. Die in dem Gesetz vorgenommenen Verweisungen auf die Unionsverordnung führten nicht dazu, dass die fragliche Regelung gegen die estnische Verfassung verstoße, da Unionsverordnungen fester Bestandteil der nationalen Rechtsordnung seien.

13      Am 18. September 2009 teilte Maag dem vorlegenden Gericht mit, dass Rakvere Piim aufgrund einer Verschmelzung zwischen ihr und dieser Gesellschaft erloschen sei. Mit Entscheidung vom 23. September 2009 gestattete das Tartu Ringkonnakohus Maag, im Verfahren an die Stelle von Rakvere Piim zu treten.

14      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, möchte das Tartu Ringkonnakohus zum einen wissen, ob das Gesetz über das Veterinärwesen als Durchführungsmaßnahme im Einklang mit der Verordnung Nr. 882/2004 steht, und fragt zum anderen nach dem Umfang des Handlungsspielraums, über den die nationalen Gesetzgeber bei der Anwendung dieser Verordnung verfügen. Außerdem möchte es wissen, ob die Grenzen dieses Handlungsspielraums im vorliegenden Fall beachtet wurden und ob der nationale Gesetzgeber sich zu Recht auf die in der Verordnung Nr. 882/2004 vorgesehenen Mindestbeträge stützen konnte, obwohl diese die tatsächlichen Kosten der Kontrollen übersteigen.

15      Daher hat das Tartu Ringkonnakohus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 27 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 882/2004 dahin auszulegen, dass er nicht verbietet, von einem Unternehmer für die in Anhang IV Abschnitt A dieser Verordnung genannten Tätigkeiten auch dann eine Gebühr in Höhe der in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung festgesetzten Mindestbeträge zu erheben, wenn die Kosten, die die zuständigen Behörden in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI dieser Verordnung getragen haben, diese Mindestbeträge unterschreiten?

2.      Ist ein Mitgliedstaat unter den in der vorstehenden Frage genannten Bedingungen berechtigt, für die in Anhang IV Abschnitt A der Verordnung Nr. 882/2004 genannten Tätigkeiten Gebühren festzulegen, die niedriger sind als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung festgesetzten Mindestbeträge, wenn die Kosten, die die zuständigen Behörden in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI der Verordnung getragen haben, diese Mindestbeträge unterschreiten, ohne dass die in Art. 27 Abs. 6 der Verordnung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt wären?

 Zu den Vorlagefragen

16      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 27 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 882/2004 dahin gehend auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat auch dann, wenn die Kosten, die von den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Untersuchungen und Hygienekontrollen getragen werden, niedriger als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge sind, die für die Anwendung von Art. 27 Abs. 6 der Verordnung aufgestellten Voraussetzungen aber nicht erfüllt sind, gestattet, Gebühren in Höhe dieser Mindestbeträge zu erheben, ohne auf nationaler Ebene eine Durchführungsmaßnahme erlassen zu müssen.

17      Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen einer Verordnung aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen haben, ohne dass die nationalen Behörden Durchführungsmaßnahmen erlassen müssten (vgl. Urteile vom 17. Mai 1972, Leonesio, 93/71, Slg. 1972, 287, Randnr. 5, und vom 24. Juni 2004, Handlbauer, C‑278/02, Slg. 2004, I‑6171, Randnr. 25).

18      Dennoch kann es vorkommen, dass manche Verordnungsbestimmungen zu ihrer Durchführung des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten bedürfen (Urteil Handlbauer, Randnr. 26).

19      Somit ist zu klären, ob Art. 27 Abs. 3 und 4 sowie Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Festlegung der in diesen Bestimmungen genannten Mindestbeträge einen Wertungsspielraum lassen oder den Erlass zusätzlicher Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten erfordern.

20      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Art. 27 Abs. 3 der Verordnung Nr. 882/2004 bestimmt, dass die Gebühren, die die Mitgliedstaaten in Anwendung dieser Verordnung erheben, nicht niedriger sein dürfen als die insbesondere in ihrem Anhang IV Abschnitt B angegebenen Mindestbeträge.

21      Zum anderen ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 882/2004 in ihrem Anhang IV Abschnitt B für die verschiedenen Tierarten Mindestbeträge vorsieht, die angesichts ihrer Genauigkeit und Vollständigkeit nicht den Erlass irgendeiner zusätzlichen Durchführungsmaßnahme durch die Mitgliedstaaten erfordern.

22      Daraus folgt, dass die so festgesetzten Mindestbeträge als Untergrenze anzusehen sind, von der die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht abweichen dürfen.

23      Dass die von den Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 882/2004 nicht höher sein dürfen als die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit den Kontrollen getragenen Kosten, entkräftet die vorstehende Auslegung nicht, da diese Bestimmung so zu verstehen ist, dass damit nur für die nicht pauschalen Gebühren, die die Mitgliedstaaten erheben können, eine Obergrenze festgesetzt wird.

24      Hingegen findet diese Obergrenze keine Anwendung auf die Gebühren, die nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung Nr. 882/2004, also als Pauschale, festgelegt werden.

25      Was nämlich erstens die Gebühren betrifft, die pauschal auf der Grundlage der Kosten festgesetzt werden, die die zuständigen Behörden in einem bestimmten Zeitraum tragen, ist darauf hinzuweisen, dass die Höhe dieser Kosten bei der Festsetzung der Pauschalen bereits berücksichtigt wurde. Überdies gehört es, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, zum Wesen einer pauschal festgesetzten Gebühr, dass sie in bestimmten Fällen die tatsächlichen Kosten für die Maßnahmen, die mit ihr finanziert werden sollen, übersteigt und in anderen Fällen niedriger ist (Urteil vom 19. März 2009, Kommission/Deutschland, C‑270/07, Slg. 2009, I‑1983, Randnr. 32).

26      Was zweitens die Gebühren betrifft, die auf die in Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 vorgesehenen Mindestbeträge festgesetzt wurden, ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber diese Beträge festgesetzt hat, ohne in irgendeiner Weise auf die von den zuständigen Behörden tatsächlich getragenen Kosten Bezug zu nehmen. Diese Kosten können daher von den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, um die entsprechenden Gebühren allgemein niedriger festzusetzen als in Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 vorgesehen.

27      Die Auslegung, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht allgemein und nach ihrem Ermessen von den in Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 enthaltenen Mindestbeträgen abweichen können, wird durch den Umstand bestätigt, dass selbst die Ausübung der in Art. 27 Abs. 6 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis, die es diesen Staaten gestattet, den Betrag der Gebühr für die amtliche Kontrolle in Bezug auf ein bestimmtes Unternehmen niedriger festzusetzen als die in Anhang IV vorgesehenen Mindestbeträge, von gewissen Voraussetzungen abhängt. In einer Situation wie der von dem vorlegenden Gericht beschriebenen erlaubt es Art. 27 Abs. 6 der Verordnung Nr. 882/2004 einem Mitgliedstaat daher nicht, die fraglichen Gebühren niedriger als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge festzusetzen.

28      Daraus folgt, dass Art. 27 Abs. 3 und 4 sowie Anhang IV Abschnitt B der Verordnung Nr. 882/2004 den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Festlegung der in diesen Bestimmungen genannten Mindestbeträge keinen Wertungsspielraum lassen und nicht den Erlass zusätzlicher Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten erfordern.

29      Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 27 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 882/2004 dahin gehend auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat auch dann, wenn die Kosten, die von den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Untersuchungen und Hygienekontrollen getragen werden, niedriger als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge sind, die für die Anwendung von Art. 27 Abs. 6 der Verordnung aufgestellten Voraussetzungen aber nicht erfüllt sind, gestattet, Gebühren in Höhe dieser Mindestbeträge zu erheben, ohne auf nationaler Ebene eine Durchführungsmaßnahme erlassen zu müssen.

 Kosten

30      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 27 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz ist dahin gehend auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat auch dann, wenn die Kosten, die von den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Untersuchungen und Hygienekontrollen getragen werden, niedriger als die in Anhang IV Abschnitt B dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge sind, die für die Anwendung von Art. 27 Abs. 6 der Verordnung aufgestellten Voraussetzungen aber nicht erfüllt sind, gestattet, Gebühren in Höhe dieser Mindestbeträge zu erheben, ohne auf nationaler Ebene eine Durchführungsmaßnahme erlassen zu müssen.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Estnisch.

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