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Document 62009CJ0494

    Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 17. Februar 2011.
    Bolton Alimentari SpA gegen Agenzia delle Dogane - Ufficio delle Dogane di Alessandria.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Commissione tributaria provinciale di Alessandria - Italien.
    Vorabentscheidungsersuchen - Zulässigkeit - Zollrecht - Zollkontingent - Zollkodex - Art. 239 - Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Art. 308a, 308b und 905 - Verordnung (EG) Nr. 975/2003 - Thunfisch - Ausschöpfung des Kontingents - Eröffnungsdatum - Sonntag.
    Rechtssache C-494/09.

    Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-00647

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:87

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

    17. Februar 2011(*)

    „Vorabentscheidungsersuchen – Zulässigkeit – Zollrecht – Zollkontingent – Zollkodex – Art. 239 – Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 – Art. 308a, 308b und 905 – Verordnung (EG) Nr. 975/2003 – Thunfisch – Ausschöpfung des Kontingents – Eröffnungsdatum – Sonntag“

    In der Rechtssache C‑494/09

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale di Alessandria (Italien) mit Entscheidung vom 18. November 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 2009, in dem Verfahren

    Bolton Alimentari SpA

    gegen

    Agenzia delle Dogane – Ufficio delle Dogane di Alessandria

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter D. Šváby, E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz (Berichterstatter),

    Generalanwalt: J. Mazák,

    Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2010,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Bolton Alimentari SpA, vertreten durch M. Merola und C. Santacroce, avvocati,

    –        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon, D. Recchia und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) sowie der Art. 308a bis 308c und 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 (ABl. L 62, S. 6, im Folgenden: Durchführungsverordnung).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bolton Alimentari SpA (im Folgenden: Bolton) und der Agenzia delle Dogane – Ufficio delle Dogane di Alessandria (im Folgenden: Agenzia) über den Ausschluss von Bolton von einem Zollkontingent, das am Sonntag, dem 1. Juli 2007, an dem die italienischen Zollstellen geschlossen waren, eröffnet wurde und am Tag seiner Eröffnung ausgeschöpft war.

     Rechtlicher Rahmen

    3        Art. 239 des Zollkodex bestimmt:

    „(1)      Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

    –        werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

    –        ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

    (2)      Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

    …“

    4        In Art. 308a der Durchführungsverordnung heißt es:

    „(1)      Ist durch eine Rechtsvorschrift der Gemeinschaft die Eröffnung von Zollkontingenten vorgesehen, so werden diese, sofern keine anderen Bestimmungen entgegenstehen, in der Reihenfolge der Daten verwaltet, in der die Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommen wurden.

    (4)      Vorbehaltlich des Absatzes 8 gewährt die Kommission die Zuteilungen nach dem Zeitpunkt der Annahme der entsprechenden Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, soweit die Restmenge des betreffenden Zollkontingents ausreicht. Die Ziehungsanträge werden in der zeitlichen Reihenfolge der Annahme der Anmeldungen bearbeitet.

    (5)      Die Mitgliedstaaten übermitteln unverzüglich alle zulässigen Ziehungsanträge an die Kommission unter Angabe des in Absatz 4 erwähnten Datums und der genauen in der jeweiligen Zollanmeldung beantragten Menge.

    (7)      Sind die beantragten Mengen höher als die verfügbare Restmenge des Kontingents, so erfolgt die Zuteilung anteilig.

    (8)      Zur Durchführung dieses Artikels gilt für alle am 1., 2. und 3. Januar von den Zollbehörden angenommenen Anmeldungen der 3. Januar als Annahmetag. Fällt einer dieser Tage auf einen Samstag oder Sonntag, so gilt der 4. Januar als Annahmetag.

    …“

    5        Art. 308b der Durchführungsverordnung sieht vor:

    „(1)      Die Kommission nimmt an jedem Arbeitstag Zuteilungen vor, außer

    –        an Feiertagen für die Europäischen Organe in Brüssel

    (2)      Unbeschadet des Artikels 308a Absatz 8 werden bei Zuteilungen alle mit einer Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr gestellten, noch nicht entschiedenen Anträge berücksichtigt, die bis zu zwei Tage vor der Zuteilung angenommen und der Kommission übermittelt worden sind.“

    6        In Art. 308c der Durchführungsverordnung heißt es:

    „(1)      Ein Zollkontingent gilt als kritisch, sobald 90 % der Ausgangsmenge ausgeschöpft sind oder die zuständigen Behörden es als kritisch einstufen.

    (2)      Ein Zollkontingent gilt bereits ab dem Tag seiner Eröffnung als kritisch,

    c)      wenn ein in den beiden vorausgegangenen Jahren eröffnetes äquivalentes Zollkontingent am letzten Tag des dritten Monats seines Geltungszeitraums erschöpft war oder eine größere Ausgangsmenge hatte als das betreffende Zollkontingent.

    …“

    7        Art. 899 der Durchführungsverordnung bestimmt:

    „(1)      Stellt die Entscheidungsbehörde, bei der eine Erstattung oder ein Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex beantragt worden ist, fest,

    –        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in den Artikeln 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben;

    –        dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben ab.

    (2)      In allen anderen Fällen, ausgenommen bei einer Befassung der Kommission gemäß Artikel 905, entscheidet die Entscheidungsbehörde von sich aus, die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

    Ist Artikel 905 Absatz 2 zweiter Anstrich anwendbar, so können die Zollbehörden erst entscheiden, die in Frage stehenden Abgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn das nach den Artikeln 906 bis 909 eingeleitete Verfahren abgeschlossen ist.

    …“

    8        In Art. 905 der Durchführungsverordnung heißt es:

    „(1)      Lässt die Begründung des Antrags auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung im Verfahren gemäß den Artikeln 906 bis 909,

    –        wenn diese Behörde der Auffassung ist, dass sich der besondere Fall aus Pflichtverletzungen der Kommission ergibt oder

    (2)      Die Übermittlung gemäß Absatz 1 erfolgt nicht, wenn

    –        die Kommission im Verfahren der Artikel 906 bis 909 bereits eine Entscheidung über einen Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen getroffen hat;

    –        die Kommission bereits mit einem Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen befasst ist.

    …“

    9        Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 975/2003 des Rates vom 5. Juni 2003 zur Eröffnung und Verwaltung eines Zollkontingents für Einfuhren von Thunfisch in Dosen der KN-Codes 1604 14 11, 1604 14 18 und 1604 20 70 (ABl. 141, S. 1) bestimmt:

    „Ab dem 1. Juli 2003 gilt für Einfuhren von Thunfisch in Dosen der KN-Codes 1604 14 11, 1604 14 18 und 1604 20 70 gleich welchen Ursprungs im Rahmen des gemäß dieser Verordnung eröffneten Zollkontingents ein Zollsatz von 12 %.“

    10      Art. 2 der Verordnung Nr. 975/2003 lautet:

    „Das Zollkontingent wird jährlich für zunächst fünf Jahre eröffnet. Die Kontingentsmenge wird für die ersten beiden Jahre wie folgt festgelegt:

    –        25 000 Tonnen vom 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2004,

    –        25 750 Tonnen vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2005.“

    11      Art. 6 der Verordnung bestimmt:

    „Diese Verordnung kann im zweiten Jahr nach der Eröffnung des Kontingents überprüft werden, um die Kontingentsmenge an den Bedarf des Gemeinschaftsmarktes anzupassen. Ist diese Überprüfung jedoch drei Monate vor dem 30. Juni 2005 nicht abgeschlossen, so wird das Kontingent automatisch für eine Menge von 25 750 Tonnen um ein weiteres Jahr verlängert. In der Folge werden die Zollkontingente regelmäßig um ein Jahr für dieselbe Menge verlängert, es sei denn eine Änderung wird spätestens drei Monate vor Ablauf des aktuellen Kontingents angenommen.“

    12      Art. 8 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

    „Die Kommission wird von dem mit Artikel 247a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 eingesetzten Ausschuss für den Zollkodex … unterstützt.“

     Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    13      Für die Einfuhr von Thunfisch in Dosen aus Thailand wurden gemäß der Verordnung Nr. 975/2003 Zollkontingente eröffnet, die Bolton in den Jahren 2005 und 2006 in Anspruch nahm.

    14      Um das Zollkontingent auch für den Zeitraum 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2008 in Anspruch nehmen zu können, reichte Bolton für Thunfisch in Dosen aus Thailand Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ein, die von den italienischen Zollstellen aufgrund der sonntäglichen Schließung erst am 2. Juli angenommen wurden.

    15      Ihren schriftlichen Erklärungen zufolge begann die Kommission am 4. Juli 2007 mit der Zuteilung des fraglichen Zollkontingents in der zeitlichen Reihenfolge der Daten der Annahmen der Zollanmeldungen. Nach Zuweisung des Zollkontingents zu den Ziehungsanträgen, für die die Anmeldungen am 1. Juli 2007 angenommen worden waren, war das Zollkontingent am Tag seiner Eröffnung ausgeschöpft. Daher wurde der Ziehungsantrag von Bolton nicht berücksichtigt, weshalb diese den vollen Zollsatz auf die Einfuhren zahlen musste.

    16      Wie aus den schriftlichen Erklärungen der Kommission hervorgeht, beantragte die Agenzia am 16. Juli 2007 bei ihr die Regularisierung der Ziehungsanträge, die von der Zuteilung des Zollkontingents ausgeschlossen waren, weil sie von den italienischen Zollstellen erst am 2. Juli 2007 angenommen worden waren. Dabei stützte sich die Agenzia auf die am 30. Oktober 2007 vom Ausschuss für den Zollkodex erlassene Verwaltungsabsprache über die Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente (TAXUD 3439/2006 – Rev.1‑IT, im Folgenden: Verwaltungsabsprache). Sie machte geltend, dass die am Sonntag, dem 1. Juli 2007 von den Zollbehörden anderer Mitgliedstaaten angenommenen Anmeldungen nach Nr. 15 der Verwaltungsabsprache von der Kommission zusammen mit den in Italien am Montag, dem 2. Juli 2007 angenommenen Anmeldungen hätten bearbeitet werden müssen. Sie berief sich außerdem darauf, dass Art. 308a Abs. 8 der Durchführungsverordnung auf die Bearbeitung der in den ersten drei Tagen des Jahres angenommenen Anträge auf den vorliegenden Fall hätte analog angewandt werden müssen.

    17      Am 16. August 2007 antwortete die Kommission mit dem Schreiben TAXUD B4 D (2007) 9241 (im Folgenden: TAXUD-Mitteilung), dass eine Regularisierung der Ziehungsanträge mit dem Annahmedatum 2. Juli 2007 nicht möglich gewesen sei. Die Zuteilung der Zollkontingente erfolge nach Art. 308a Abs. 4 der Durchführungsverordnung in zeitlicher Reihenfolge, woran die Verwaltungsabsprache nichts ändern könne.

    18      Bolton beantragte die Erstattung des zusätzlichen Zollbetrags, den sie für ihre Einfuhren entrichten musste, wobei sie sich auf den Umstand berief, dass sie keine Gelegenheit gehabt habe, mit den anderen Importeuren der Union hinsichtlich der Zulassung zu dem fraglichen Zollkontingent gerecht und in nicht diskriminierender Weise in Wettbewerb zu treten. Mit Entscheidung vom 17. November 2008 lehnte die Direzione regionale per il Piemonte e la Valle d’Aosta – Ufficio delle Dogane di Alessandria die beantragte Erstattung ab. Um die Aufhebung dieser Entscheidung zu erreichen, rief Bolton das vorlegende Gericht an.

    19      Die Commissione tributaria provinciale di Alessandria hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.      Ist Art. 239 des Zollkodex in dem Sinne auszulegen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Mitgliedstaat der Ansicht ist, dass der Europäischen Kommission keine Unregelmäßigkeit vorgeworfen werden kann, und auch keiner der anderen in Art. 905 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehenen Fälle vorliegt, dieser Staat über den Erstattungsantrag des Zollschuldners nach Art. 899 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 autonom entscheiden kann?

    2.      Falls Frage 1 zu bejahen ist: Kann der Ausdruck „besonderer Fall“ in Art. 239 des Zollkodex auf den Fall bezogen werden, dass ein Gemeinschaftsimporteur von einem Zollkontingent, dessen Eröffnungsdatum auf einen Sonntag fällt, aufgrund der sonntäglichen Schließung der Zollbehörden des betreffenden Mitgliedstaats ausgeschlossen wird?

    3.      Sind die Art. 308a bis 308c der Verordnung Nr. 2454/93 sowie die einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsabsprache in dem Sinne auszulegen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden der Mitgliedstaat bei der Kommission vorab die Aussetzung des betreffenden Zollkontingents hätte beantragen müssen, um die gerechte und nicht diskriminierende Behandlung der italienischen Importeure im Vergleich zu den Importeuren anderer Mitgliedstaaten zu ermöglichen?

    4.      Können der Ausschluss Boltons von dem von der Kommission festgelegten Kontingent und die Mitteilung der TAXUD als Maßnahmen angesehen werden, die mit den Art. 308a bis 308c der Verordnung Nr. 2454/93 sowie mit den einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsabsprache im Einklang stehen?

     Zu den Vorlagefragen

     Zur Zulässigkeit

    20      Die italienische Regierung hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig. Bolton hätte die Entscheidung der Kommission, mit der diese sie von dem Zollkontingent ausgeschlossen habe, und die TAXUD-Mitteilung beim Gericht der Europäischen Union anfechten müssen. Dem Urteil vom 9. März 1994, TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, Slg. 1994, I‑833), zufolge sei es nicht zulässig, dass Bolton vor den nationalen Gerichten angeblich von der Kommission bei der Anwendung des Unionsrechts begangene Fehler geltend mache.

    21      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Fragen 1 bis 3 sich nicht auf die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Kommission beziehen, sondern nur die nach dem Unionsrecht bestehenden Pflichten der nationalen Behörden betreffen. Somit kann die eventuell für Bolton bestehende, von der italienischen Regierung angeführte Möglichkeit, das Gericht anzurufen, nur Auswirkungen auf die Zulässigkeit der vierten Frage haben und nicht auf die des Vorabentscheidungsersuchens insgesamt.

    22      Zur Zulässigkeit der vierten Frage ist darauf hinzuweisen, dass die für den Rechtsuchenden bestehende Möglichkeit, beim angerufenen Gericht die Unwirksamkeit von Bestimmungen in Rechtsakten der Union geltend zu machen, zwar voraussetzt, dass die Partei nicht berechtigt war, gemäß Art. 263 AEUV unmittelbar gegen diese Bestimmungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Nichtigerklärung hätte beantragen können (vgl. Urteile TWD Textilwerke Deggendorf, Randnr. 23, und vom 29. Juni 2010, E und F, C‑550/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 45 und 46).

    23      Jedoch ergibt sich aus dieser Rechtsprechung auch, dass eine solche Direktklage ohne jeden Zweifel zulässig sein muss (vgl. Urteil E und F, Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ermöglichen die Feststellungen im Vorabentscheidungsersuchen und das Vorbringen der italienischen Regierung es dem Gerichtshof nicht, festzustellen, dass eine solche Direktklage ohne jeden Zweifel zulässig gewesen wäre.

    24      Was insbesondere die „Entscheidung“ der Kommission betrifft, durch die Bolton der italienischen Regierung zufolge vom Zollkontingent ausgeschlossen wurde, ist festzustellen, dass weder das Vorabentscheidungsersuchen noch die Erklärungen der Parteien erkennen lassen, wann und inwieweit diese Entscheidung Bolton zur Kenntnis gebracht wurde. Außerdem wurde diese Entscheidung dem Gerichtshof nicht vorgelegt, so dass er nicht in der Lage ist, zu prüfen, ob sie an Bolton gerichtet war oder, sollte dies nicht der Fall sein, diese Gesellschaft von ihr im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar und individuell betroffen war. Der Gerichtshof kann somit nicht beurteilen, ob eine von Bolton gegen diese Entscheidung erhobene Klage ohne jeden Zweifel zulässig gewesen wäre.

    25      Unter diesen Voraussetzungen sind die Vorlagefragen insgesamt als zulässig anzusehen.

     Zur Begründetheit

     Zur vierten Frage

    26      Mit seiner vierten Frage, die an erster Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 308a bis 308c der Durchführungsverordnung und die einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsabsprache dahin auszulegen sind, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch die Kommission entgegenstehen, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Tatsache von einem Zollkontingent ausgeschlossen wird, dass dieses Kontingent am Tag seiner Eröffnung, einem Sonntag, an dem die Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem der betreffende Wirtschaftsteilnehmer seinen Sitz hat, geschlossen waren, vollständig ausgeschöpft war.

    27      Nach Art. 308a Abs. 1 der Durchführungsverordnung werden die Zollkontingente in der Reihenfolge verwaltet, in der die Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommen werden, „sofern keine anderen Bestimmungen entgegenstehen“.

    28      Art. 308a Abs. 4 der Durchführungsverordnung bestimmt, dass die Kommission die Zuteilungen „vorbehaltlich des Absatzes 8“ nach dem Datum der Annahme der entsprechenden Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr gewährt. In Satz 2 dieses Absatzes wird klargestellt, dass die Ziehungsanträge in der zeitlichen Reihenfolge dieser Daten bearbeitet werden.

    29      Nach dem erwähnten Abs. 8 gilt zur Durchführung von Art. 308a für alle am 1., 2. und 3. Januar von den Zollbehörden angenommenen Anmeldungen der 3. Januar als Annahmetag. Abs. 8 stellt auch klar, dass wenn einer dieser Tage auf einen Samstag oder Sonntag fällt, der 4. Januar als Annahmetag gilt.

    30      Dem Wortlaut dieser Vorschriften ist zu entnehmen, dass die Zuteilungen grundsätzlich in der Reihenfolge gewährt werden, in der die Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommen werden, unabhängig vom Tag oder der Woche, an dem bzw. in der diese Anmeldungen angenommen wurden.

    31      Wenn Art. 308a Abs. 8 Satz 2 der Durchführungsverordnung für die Fälle, in denen der 1., 2. oder 3. Januar auf einen Samstag oder Sonntag fällt, ausdrücklich eine abweichende Regelung vorsieht, setzt dies zwingend das Bestehen einer allgemeinen Regel voraus, nach der sich die zeitliche Reihenfolge unabhängig vom Tag oder der Woche, an dem bzw. in der diese Anmeldung angenommen wurde, ausschließlich nach dem Zeitpunkt der Annahme der entsprechenden Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr richtet.

    32      Diese Auslegung wird durch die Systematik von Art. 308a der Durchführungsverordnung gestützt, indem Abs. 4 dieser Vorschrift klarstellt, dass eine Abweichung von dieser allgemeinen Regel nur für den Fall vorgesehen ist, dass die Umstände des Abs. 8 vorliegen, d. h. bei Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr am 1., 2. oder 3. Januar.

    33      Der Umstand, dass die von den nationalen Zollbehörden sonntags angenommenen Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr nach Nr. 15 der Verwaltungsabsprache von der Kommission montags bearbeitet werden, kann nicht das ausdrückliche und eindeutige Ergebnis der Auslegung von Art. 308a der Durchführungsverordnung in Frage stellen. Denn die Verwaltungsabsprache kann ihrer rechtlichen Natur nach nicht zu einer Abweichung von den in diesem Artikel festgelegten Regeln führen und darf daher nicht in einer diesem Artikel widersprechenden Weise ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteile vom 11. September 2008, Deutschland u. a./Kronofrance, C‑75/05 P und C‑80/05 P, Slg. 2008, I‑6619, Randnr. 61, und vom 7. Juli 2009, Kommission/Griechenland, C‑369/07, Slg. 2009, I‑5703, Randnr. 112).

    34      Ebenso ist für die Auslegung von Art. 308a der Durchführungsverordnung der von Bolton geltend gemachte Umstand unerheblich, dass die Kommission zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis von der sonntäglichen Schließung der Zollstellen in Italien gehabt und die Gefahr bestanden habe, dass das fragliche Kontingent bereits in den ersten Tagen seiner Eröffnung ausgeschöpft sein würde.

    35      Bolton zufolge hätte die Kommission entweder die Eröffnung dieses Kontingents auf einen Montag verschieben oder die in Italien angenommenen Ziehungsanträge montags zusammen mit den sonntags in anderen Mitgliedstaaten angenommenen Anträgen bearbeiten müssen, um so für alle Wirtschaftsteilnehmer der Union einen nicht diskriminierenden Zugang zum fraglichen Kontingent sicherzustellen.

    36      Es ist darauf hinzuweisen, dass die sonntägliche Schließung der Zollstellen in Italien der Kommission nicht zurechenbar ist und dass sie schon allein deshalb nicht verpflichtet ist, einer unterschiedlichen Behandlung der italienischen Wirtschaftsteilnehmer abzuhelfen, die sich daraus ergibt, dass die Tage, an denen die Zollstellen in Italien geöffnet sind, nicht mit denen in anderen Mitgliedstaaten übereinstimmen.

    37      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Art. 308a bis 308c der Durchführungsverordnung dahin auszulegen sind, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch die Kommission nicht entgegenstehen, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Tatsache von einem Zollkontingent ausgeschlossen wird, dass dieses Kontingent am Tag seiner Eröffnung, einem Sonntag, an dem die Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem der betreffende Wirtschaftsteilnehmer seinen Sitz hat, geschlossen waren, vollständig ausgeschöpft war.

     Zur dritten Frage

    38      Mit seiner dritten Frage, die an zweiter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 308a bis 308c der Durchführungsverordnung und die einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsabsprache dahin auszulegen sind, dass sie einen Mitgliedstaat verpflichten, bei der Kommission die Aussetzung eines Zollkontingents zu beantragen, um eine gerechte und nicht diskriminierende Behandlung der Importeure zu garantieren, wenn die Öffnung dieses Zollkontingents auf einen Sonntag fällt, einen Tag, an dem die Zollstellen in dem betreffenden Mitgliedstaat geschlossen sind, und wenn die Gefahr besteht, dass dieses Kontingent bereits am Tag seiner Eröffnung ausgeschöpft sein wird, da die Zollstellen in anderen Mitgliedstaaten sonntags geöffnet sind.

    39      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die mögliche Pflicht eines Mitgliedstaats, die Aussetzung eines Zollkontingents zu beantragen, voraussetzt, dass die Kommission tatsächlich in der Lage ist, die Eröffnung des Zollkontingents aufgrund der sonntäglichen Schließung der Zollstellen in einem Mitgliedstaat auszusetzen.

    40      Die Art. 308a bis 308c der Durchführungsverordnung sehen aber unter solchen Umständen keine Aussetzung der Eröffnung eines Zollkontingents vor.

    41      Außerdem wäre, worauf die Kommission hingewiesen hat, eine solche Aussetzung eines Zollkontingents unzulässig, da sie zwangsläufig dazu führen würde, dass die Eröffnung eines derartigen Kontingents in der gesamten Union von den in einem einzigen Mitgliedstaat bestehenden Besonderheiten abhängig gemacht würde.

    42      Was schließlich die Regelungen der Verwaltungsabsprache betrifft, ist zu betonen, dass sie, wie in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde, nicht zu einer Abweichung von den in dieser Durchführungsverordnung festgelegten Regeln führen dürfen.

    43      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Art. 308a bis 308c der Durchführungsverordnung dahin auszulegen sind, dass sie einen Mitgliedstaat nicht verpflichten, bei der Kommission die Aussetzung eines Zollkontingents zu beantragen, um eine gerechte und nicht diskriminierende Behandlung der Importeure zu gewährleisten, wenn die Öffnung dieses Zollkontingents auf einen Sonntag fällt, einen Tag, an dem die Zollstellen in dem betreffenden Mitgliedstaat geschlossen sind, und wenn die Gefahr besteht, dass dieses Kontingent bereits am Tag seiner Eröffnung ausgeschöpft sein wird, da die Zollstellen in anderen Mitgliedstaaten sonntags geöffnet sind.

     Zur ersten Frage

    44      Mit seiner ersten Frage, die an dritter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Zollbehörde eines Mitgliedstaats autonom über den Antrag auf Erstattung nach Art. 239 Abs. 2 des Zollkodex entscheiden kann, wenn sie der Ansicht ist, dass der Kommission keine Unregelmäßigkeit vorgeworfen werden könne und dass der fragliche Antrag zu keinem der anderen in Art. 905 Abs. 1 der Durchführungsverordnung genannten Fälle gehöre.

    45      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Zollbehörden nach Art. 899 Abs. 2 der Durchführungsverordnung in allen anderen Fällen, d. h. außerhalb der vorliegend nicht einschlägigen Fälle nach Abs. 1 dieser Vorschrift, „ausgenommen bei einer Befassung der Kommission gemäß Artikel 905“ für die Entscheidung über die Erstattung von Zöllen zuständig sind.

    46      Da die zuständige italienische Zollbehörde der Auffassung war, dass die besondere Situation, in der sich Bolton befinde, nicht aus einem Verstoß der Kommission gegen ihr obliegende Pflichten herrühre und dass der fragliche Erstattungsantrag zu keinem der anderen Fälle des Art. 905 Abs. 1 der Durchführungsverordnung gehöre, ergibt sich zwingend, dass die italienische Zollbehörde, bei der Bolton den Antrag nach Art. 239 Abs. 2 des Zollkodex stellte, für die Entscheidung zuständig war, ob die beantragte Erstattung zu gewähren war.

    47      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Zollbehörde eines Mitgliedstaats in anderen als den in Art. 899 Abs. 1 der Durchführungsverordnung bezeichneten Fällen befugt ist, selbst über den Antrag auf Erstattung nach Art. 239 Abs. 2 des Zollkodex zu entscheiden, wenn sie der Ansicht ist, dass der Kommission keine Unregelmäßigkeit vorgeworfen werden könne und dass der fragliche Antrag zu keinem der anderen in Art. 905 Abs. 1 der Durchführungsverordnung genannten Fälle gehöre.

     Zur zweiten Frage

    48      Mit seiner zweiten Frage, die an letzter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 239 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er den Fall betrifft, dass ein Unionsimporteur von einem Zollkontingent, dessen Eröffnungsdatum auf einen Sonntag fällt, aufgrund der sonntäglichen Schließung der Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, ausgeschlossen wird.

    49      Für die Beantwortung dieser Frage ist vorab zu prüfen, ob Art. 239 des Zollkodex unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens grundsätzlich anwendbar ist.

    50      Nach Ansicht der italienischen Regierung ist die Anwendung von Art. 239 des Zollkodex ausgeschlossen, da sie zur Folge hätte, dass das Zollkontingent über die mengenmäßige Beschränkung, wie sie sich aus den Art. 2 und 6 der Verordnung Nr. 975/2003 ergebe, nämlich 25 750 Tonnen, hinaus erweitert würde.

    51      Gewiss würde die Erstattung der Einfuhrzölle nach Art. 239 des Zollkodex im Ausgangsverfahren bedeuten, dass die von Importeuren wie Bolton vorgenommenen Einfuhren trotz der Ausschöpfung des fraglichen Zollkontingents aufgrund der Erstattung des Unterschiedsbetrags zwischen den normalen Einfuhrzöllen und den sich aus der Anwendung des für dieses Zollkontingent geltenden Präferenzzollsatzes ergebenden Einfuhrzöllen tatsächlich diesem Präferenzzollsatz unterlägen.

    52      Eine solche Folge kann aber nicht die Anwendung von Art. 239 des Zollkodex unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ausschließen, wie sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck dieser Vorschrift ergibt.

    53      Zunächst enthält der Wortlaut von Art. 239 des Zollkodex keinerlei Hinweis, der darauf schließen ließe, dass die Anwendung dieser Vorschrift unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ausgeschlossen wäre.

    54      Sodann ist zu beachten, dass es sich bei Art. 239 des Zollkodex um eine allgemeine Billigkeitsklausel handelt (Urteile vom 3. April 2008, Militzer & Münch, C‑230/06, Slg. 2008, I‑1895, Randnr. 50, und vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission, C‑204/07 P, Slg. 2008, I‑6135, Randnr. 85).

    55      Da es den Importeuren, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind, in dem die Zollstellen am Tag der Eröffnung eines Zollkontingents geschlossen sind, nicht möglich ist, die Annahme der Anmeldungen zum zollrechtlich freien Verkehr an demselben Tag zu erreichen wie die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer, entspricht es der Billigkeit, dieser nachteiligen Situation durch die Anwendung von Art. 239 des Zollkodex abzuhelfen.

    56      Ginge man schließlich davon aus, dass diese Vorschrift unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, wäre es nach den Bestimmungen des Zollrechts der Union nicht möglich, der nachteiligen Situation, in der sich Wirtschaftsteilnehmer in einem Mitgliedstaat im Vergleich zu ihren in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Konkurrenten befinden, Rechnung zu tragen, was dem Zweck der genannten Vorschrift zuwiderliefe.

    57      Demnach können die in den Randnrn. 50 und 51 des vorliegenden Urteils dargelegten wirtschaftlichen Folgen, die sich zwangsläufig aus der Anwendung von Art. 239 des Zollkodex ergeben, die Anwendbarkeit dieser Vorschrift unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens grundsätzlich nicht in Frage stellen.

    58      Was die Frage betrifft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 239 des Zollkodex im Ausgangsverfahren vorliegen, ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit Sache des vorlegenden Gerichts ist, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, während es Sache des Gerichtshofs ist, diesem Gericht alle insoweit erforderlichen Hinweise zum Unionsrecht zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2010, Genc, C‑14/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 31).

    59      Zu diesem Zweck ist darauf hinzuweisen, dass Einfuhrzölle nach Art. 239 Abs. 1 des Zollkodex in Verbindung mit Art. 899 Abs. 2 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung erstattet werden können, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

    60      Nach ständiger Rechtsprechung setzt ein solcher besonderer Fall voraus, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil C.A.S./Kommission, Randnr. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    61      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich Bolton zwar in derselben Lage befindet wie die anderen in Italien niedergelassenen Thunfischimporteure. Dieser Umstand schließt es jedoch nicht aus, die Lage von Bolton und der anderen in Italien niedergelassenen Thunfischimporteure im Vergleich zu in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Thunfischimporteuren als außergewöhnlich anzusehen, da das Bestehen eines gemeinsamen Zollgebiets notwendig impliziert, dass die betroffenen Importeure in der gesamten Union berücksichtigt werden.

    62      Was die Voraussetzungen des Fehlens einer betrügerischen Absicht und offensichtlicher Fahrlässigkeit betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es im Ausgangsverfahren keinen Hinweis auf eine betrügerische Absicht oder Fahrlässigkeit seitens Bolton gibt.

    63      Für den Fall, dass das vorlegende Gericht aufgrund dieser Erwägungen zu der Entscheidung gelangt, dass dem Erstattungsantrag von Bolton stattzugeben ist, ist schließlich noch klarzustellen, dass der zu erstattende Betrag nicht dem Unterschiedsbetrag zwischen den normalen Zöllen und dem für das Zollkontingent geltenden Präferenzzollsatz entsprechen, sondern sich nur auf einen Teil dieses Unterschiedsbetrags belaufen kann, da, wie aus den Erklärungen der Kommission hervorgeht, die Ziehungsanträge für das fragliche Zollkontingent nur in Höhe von 73,89302 % berücksichtigt wurden.

    64      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 239 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er den Fall erfassen kann, dass ein Unionsimporteur von einem Zollkontingent, dessen Eröffnungsdatum auf einen Sonntag fällt, aufgrund der sonntäglichen Schließung der Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, ausgeschlossen wird.

     Kosten

    65      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

    1.      Die Art. 308a bis 308c der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 sind dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch die Kommission nicht entgegenstehen, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Tatsache von einem Zollkontingent ausgeschlossen wird, dass dieses Kontingent am Tag seiner Eröffnung, einem Sonntag, an dem die Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem der betreffende Wirtschaftsteilnehmer seinen Sitz hat, geschlossen waren, vollständig ausgeschöpft war.

    2.      Die Art. 308a bis 308c der Verordnung Nr. 2454/93 in der Fassung der Verordnung Nr. 214/2007 sind dahin auszulegen, dass sie einen Mitgliedstaat nicht verpflichten, bei der Kommission die Aussetzung eines Zollkontingents zu beantragen, um eine gerechte und nicht diskriminierende Behandlung der Importeure zu gewährleisten, wenn die Öffnung dieses Zollkontingents auf einen Sonntag fällt, einen Tag, an dem die Zollstellen in dem betreffenden Mitgliedstaat geschlossen sind, und wenn die Gefahr besteht, dass dieses Kontingent bereits am Tag seiner Eröffnung ausgeschöpft sein wird, da die Zollstellen in anderen Mitgliedstaaten sonntags geöffnet sind.

    3.      Die Zollbehörde eines Mitgliedstaats besitzt in anderen als den in Art. 899 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 in der Fassung der Verordnung Nr. 214/2007 bezeichneten Fällen die Zuständigkeit, selbst über den Antrag auf Erstattung nach Art. 239 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 zu entscheiden, wenn diese Behörde der Ansicht ist, dass der Kommission keine Unregelmäßigkeit vorgeworfen werden könne und dass der fragliche Antrag zu keinem der anderen in Art. 905 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 genannten Fälle gehört.

    4.      Art. 239 der Verordnung Nr. 2913/92 in der Fassung der Verordnung Nr. 1791/2006 ist dahin auszulegen, dass er den Fall erfassen kann, dass ein Importeur der Europäischen Union von einem Zollkontingent, dessen Eröffnungsdatum auf einen Sonntag fällt, aufgrund der sonntäglichen Schließung der Zollstellen in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist, ausgeschlossen wird.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Italienisch.

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