Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62009CJ0273

    Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 22. Dezember 2010.
    Premis Medical BV gegen Inspecteur van de Belastingdienst/Douane Rotterdam, kantoor Laan op Zuid.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Rechtbank Haarlem - Niederlande.
    Verordnung (EG) Nr. 729/2004 - Einreihung der Ware ‚Gehhilfe-Rollator‘ in die Kombinierte Nomenklatur - Position 9021 - Position 8716 - Berichtigung - Gültigkeit.
    Rechtssache C-273/09.

    Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-13783

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:809

    Rechtssache C‑273/09

    Premis Medical BV

    gegen

    Inspecteur van de Belastingdienst/Douane Rotterdam, kantoor Laan op Zuid

    (Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Haarlem)

    „Verordnung (EG) Nr. 729/2004 – Einreihung der Ware ‚Gehhilfe-Rollator‘ in die Kombinierte Nomenklatur – Position 9021 – Position 8716 – Berichtigung – Gültigkeit“

    Leitsätze des Urteils

    Gemeinsamer Zolltarif – Tarifpositionen – Gehhilfe-Rollatoren, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind

    (Verordnung Nr. 729/2004 der Kommission)

    Die Verordnung Nr. 729/2004 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur in der Fassung der am 7. Mai 2004 veröffentlichten Berichtigung ist ungültig, soweit zum einen durch die Berichtigung der Anwendungsbereich der ursprünglichen Verordnung auf Gehhilfe-Rollatoren erstreckt worden ist, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind, und zum anderen die Verordnung in der berichtigten Fassung diese Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der Kombinierten Nomenklatur einreiht.

    Die am 7. Mai 2004 veröffentlichte Berichtigung geht über die bloße Korrektur eines Fehlers hinaus und ändert in Wirklichkeit den Inhalt der Verordnung Nr. 729/2004, indem sie diese auf Gehhilfe-Rollatoren anwendbar macht.

    Derartige Erzeugnisse können nicht in die Position 8716 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht werden. Ein Fahrzeug kann nur dann in diese Position eingereiht werden, wenn es ein- oder mehrrädrig und zum Befördern von Personen oder Gütern bestimmt ist. Gehhilfe-Rollatorn weisen diese Merkmale nicht auf. Sie sind speziell so gebaut, dass sie Personen mit motorischen Schäden ermöglichen, eigenständig zu gehen, indem sie das Fehlen des für das Gehen erforderlichen Gleichgewichts ausgleichen. Damit erfüllen sie eine vergleichbare Funktion wie Krücken, was für ihre Einreihung in die Position 9021 der der Kombinierten Nomenklatur spricht.

    (vgl. Randnrn. 36, 46, 53, 55, 59 und Tenor)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

    22. Dezember 2010(*)

    „Verordnung (EG) Nr. 729/2004 – Einreihung der Ware ‚Gehhilfe-Rollator‘ in die Kombinierte Nomenklatur – Position 9021 – Position 8716 – Berichtigung – Gültigkeit“

    In der Rechtssache C‑273/09

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank Haarlem (Niederlande) mit Entscheidung vom 18. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2009, in dem Verfahren

    Premis Medical BV

    gegen

    Inspecteur van de Belastingdienst/Douane Rotterdam, kantoor Laan op Zuid

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter), E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz,

    Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

    Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2010,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Premis Medical BV, vertreten durch A. Jansen und M. Hoeijmans, advocaten,

    –        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon und W. Roels als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 729/2004 der Kommission vom 15. April 2004 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 113, S. 5) in der Fassung der am 7. Mai 2004 veröffentlichten Berichtigung (ABl. L 173, S. 9, im Folgenden: Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Premis Medical BV (im Folgenden: Premis Medical) und dem Inspecteur van de Belastingdienst/Douane Rotterdam, kantoor Laan op Zuid (im Folgenden: Inspecteur) über die Einreihung der Ware „Gehhilfe-Rollator“ in die Kombinierte Nomenklatur (im Folgenden: KN) gemäß der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung.

     Rechtlicher Rahmen

     Einreihung der Waren

    3        Die KN wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl. L 28, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung: Nr. 2658/87) eingeführt. Sie beruht auf dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (HS) und dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986, die im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. L 198, S. 1) genehmigt wurden.

    4        Die Verordnung Nr. 2658/87 ermächtigt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, den Inhalt einer Tarifposition zu klären. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung bestimmt insoweit:

    „Nach dem in Artikel 10 festgelegten Verfahren werden alle Maßnahmen erlassen, die nachstehende Fragen betreffen:

    a)      Anwendung der [KN] und des Taric, insbesondere in Bezug auf:

    –        die Einreihung von Waren in die in Artikel 8 genannten Nomenklaturen;

    –        die Erläuterungen;

    …“

    5        Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 lautet:

    „Die Kommission wird von dem durch Artikel 247 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 … eingesetzten Ausschuss für den Zollkodex unterstützt.“

    6        Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 wird von der Kommission jährlich aktualisiert. Mit ihrer Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 vom 11. September 2003 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 (ABl. L 281, S. 1) erließ die Kommission eine ab 1. Januar 2004 anwendbare vollständige Fassung der KN.

    7        Kapitel 90 des Abschnitts XVIII des Teils II der KN trägt die Überschrift „Optische, fotografische oder kinematografische Instrumente, Apparate und Geräte; Mess-, Prüf- oder Präzisionsinstrumente, -apparate und -geräte; medizinische und chirurgische Instrumente, Apparate und Geräte; Teile und Zubehör für diese Instrumente, Apparate und Geräte“.

    8        Position 9021 der KN lautet:

    „9021 Orthopädische Apparate und Vorrichtungen, einschließlich Krücken sowie medizinisch-chirurgische Gürtel und Bandagen; Schienen und andere Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen; künstliche Körperteile und Organe; Schwerhörigengeräte und andere Vorrichtungen zum Tragen in der Hand oder zum Implantieren in den oder zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen:

    9021 90 – andere:

    …      

    9021 90 90 – – andere“.

    9        Anmerkung 6 zu dem genannten Kapitel 90 lautet:

    „Im Sinne der Position 9021 gelten als ‚orthopädische Apparate und Vorrichtungen‘ Apparate und Vorrichtungen

    –        zum Verhüten oder Korrigieren körperlicher Fehlbildungen oder

    –        zum Stützen oder Halten von Körperteilen oder Organen nach einer Krankheit, Operation oder Verletzung.

    …“

    10      In den HS-Erläuterungen heißt es zu der genannten Position 9021:

    „…

    V.       Andere Vorrichtungen zum Tragen in der Hand oder zum Implantieren in den oder zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen

    Zu dieser Gruppe gehören insbesondere:

    1)      Sprechhilfegeräte für Personen, die nach Verletzung oder durch eine chirurgische Operation den Geberauch ihrer Stimmbänder verloren haben. …

    2)      Schrittmacher z. B. zum Anregen eines funktionsgestörten Herzmuskels. …

    3)      Blindenleitgeräte. …

    4)      Vorrichtungen, die in den Körper eingepflanzt werden, um die chemische Funktion eines Organs (z. B. das Absondern von Insulin) zu unterstützen oder zu ersetzen.

    …“

    11      In den KN-Erläuterungen zu Position 9021 der KN heißt es:

    „Der Begriff ‚Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen‘ im Sinne dieser Position erfasst nur Vorrichtungen, die wirklich die Funktion des beschädigten Körperteils oder des Körpergebrechens übernehmen oder ersetzen.

    Nicht hierher gehören Vorrichtungen, die lediglich dazu dienen, die Folgen von körperlichen Funktionsschäden oder Gebrechen zu mildern.

    …“

    12      Kapitel 87 des Abschnitts XVII des Teils II der KN trägt die Überschrift „Zugmaschinen, Kraftwagen, Krafträder, Fahrräder und andere nicht schienengebundene Landfahrzeuge, Teile davon und Zubehör“.

    13      Position 8716 der KN lautet:

    „8716 Anhänger, einschließlich Sattelanhänger, für Fahrzeuge aller Art; andere nicht selbstfahrende Fahrzeuge; Teile davon:

    8716 80 00       – andere Fahrzeuge“.

    14      In den HS-Erläuterungen zu der genannten Position 8716 heißt es:

    „Zu dieser Position gehören mit Ausnahme der in den vorhergehenden Positionen aufgeführten Fahrzeuge eine Gruppe nicht selbstfahrender ein- oder mehrrädriger Fahrzeuge zum Befördern von Personen oder Gütern. Hierher gehören ferner Spezialfahrzeuge ohne Räder, z. B. Schlitten und Schleifen.

    Die Fahrzeuge dieser Position sind dazu gebaut, von anderen Fahrzeugen (Zugmaschinen, Kraftwagen, Kraftkarren, Krafträdern, Fahrrädern usw.) gezogen, mit der Hand gezogen oder geschoben, mit dem Fuß angeschoben oder von Tieren gezogen zu werden.

    …“

     Verordnung Nr. 729/2004

    15      Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 729/2004 werden die in Spalte 1 der Tabelle im Anhang der Verordnung beschriebenen Waren unter die in Spalte 2 der Tabelle genannten KN-Codes eingereiht.

    16      Nach dem fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung entsprechen die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen der Stellungnahme des Ausschusses für den Zollkodex.

    17      Durch die Berichtigung vom 7. Mai 2004 hat die Verordnung Nr. 729/2004 einen neuen Anhang erhalten, in dem keine der im ursprünglichen Anhang der Verordnung beschriebenen Waren genannt ist.

    18      Bei den in Spalte 1 der Tabelle im Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung beschriebenen Waren handelt es sich um Folgende:

    „…

    5.      Ein Gehhilfe-Rollator, bestehend aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen. Er ist mit einer Sitz-/Trageplatte und einem Drahtkorb ausgestattet. Für den Transport kann das Erzeugnis zusammengeklappt werden.

    Das Erzeugnis ist seiner Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt. Es gestattet einer Person, sich vorwärts zu bewegen, indem sie den Gehhilfe-Rollator vor sich herschiebt, der die notwendige Stütze bietet.“

    19      Nach Spalte 2 ist der in Nr. 5 der Tabelle beschriebene „Gehhilfe-Rollator“ in die Unterposition 8716 80 00 der KN einzureihen, was in Spalte 3 wie folgt begründet wird:

    „Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der [KN] sowie dem Wortlaut der KN-Codes 8716 und 8716 80 00.

    Das Erzeugnis ist keine orthopädische Vorrichtung der Position 9021, da es nicht den Bedingungen der Anmerkung 6 des Kapitels 90 entspricht.

    Das Erzeugnis ist kein Rollstuhl für Behinderte der Position 8713.“

    20      Nach dem fünften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung „[hat der] Ausschuss für den Zollkodex … für die Erzeugnisse Nrn. 1, 2, 4 und 5 der beigefügten Tabelle nicht innerhalb der ihm von seinem Vorsitzenden gesetzten Frist Stellung genommen“.

    21      Nach dem sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung „[entsprechen die] in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen … für das Erzeugnis Nr. 3 der beigefügten Tabelle der Stellungnahme des Ausschusses für den Zollkodex“.

     Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    22      Am 17. August 2007 beantragte Premis Medical beim Inspecteur eine verbindliche Zolltarifauskunft für einen Gehhilfe-Rollator, bestehend aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen, seiner Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt (im Folgenden: Gehhilfe-Rollator), der ihrer Ansicht nach in die Unterposition 9021 90 90 der KN einzureihen ist.

    23      Am 12. Oktober 2007 erteilte der Inspecteur eine verbindliche Zolltarifauskunft, in der er die fragliche Ware in die Unterposition 8716 80 00 der KN einreihte. Premis Medical legte hiergegen am 21. November 2007 Einspruch ein.

    24      Am 15. Februar 2008 meldete Premis Medical einen Posten Gehhilfe-Rollatoren zum zollrechtlich freien Verkehr unter der Unterposition 8716 80 00 der KN an, woraufhin der Inspecteur einen Bescheid erließ, mit dem er die Zahlung von Zoll verlangte. Am 5. März 2008 legte die Klägerin Einspruch gegen diesen Bescheid ein.

    25      Mit Schreiben vom 9. und 23. Mai 2008 erhob Premis Medical bei der Rechtbank Haarlem Klage gegen die beiden Entscheidungen des Inspecteur, mit denen ihre Einsprüche zurückgewiesen worden waren.

    26      Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, dass die Berichtigung vom 7. Mai 2004 durch Ersetzung der Liste der im Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 genannten Waren den Anwendungsbereich dieser Verordnung geändert habe. Zur Einreihung des Gehhilfe-Rollators in die KN stellt das Gericht zunächst fest, dass die KN-Erläuterung zu Position 9021 der KN den Begriff „[Vorrichtungen zum] Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen“ deutlich einschränke und deshalb außer Betracht bleiben müsse. Sodann erläutert das Gericht, dass der Gehhilfe-Rollator eine Vorrichtung sei, die dazu diene, einen Funktionsschaden oder ein Gebrechen, die Gehschwierigkeit, zu beheben, und dass er in der Hand gehalten werde. Weiter führt das Gericht aus, dass der Gehhilfe-Rollator nicht der Definition des Begriffs „Fahrzeug“ im Sinne der Position 8716 der KN entspreche, dessen wesentliches Merkmal sei, dass es zum Befördern von Personen oder Gütern bestimmt sei.

    27      Die Rechtbank Haarlem hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.       Ist die Verordnung (EG) Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung gültig in dem Sinne, dass der der Berichtigung beigefügte Anhang der gültige Anhang ist? Wenn ja:

    2.       Ist die Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung ungültig, weil die Kommission in dieser Verordnung den Geltungsbereich der Position 9021 der KN eingeschränkt hat? Wenn ja:

    3.       Ist die Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung ungültig, weil die Kommission den Rollator nicht richtig in die KN eingereiht hat?

     Zu den Vorlagefragen

    28      Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung gültig ist, soweit zum einen durch die betreffende Berichtigung die in der Tabelle im Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 genannten Waren ersetzt worden sind und zum anderen in Nr. 5 der Tabelle in diesem Anhang die im Ausgangsverfahren fraglichen Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der KN eingereiht werden.

    29      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass am Wortlaut eines förmlich angenommenen Rechtsakts nur noch rein orthografische oder grammatikalische Anpassungen vorgenommen werden dürfen (vgl. Urteile vom 23. Februar 1988, Vereinigtes Königreich/Rat, 131/86, Slg. 1988, 905, Randnr. 35, und vom 15. Juni 1994, Kommission/BASF u. a., C‑137/92 P, Slg. 1994, I‑2555, Randnr. 68).

    30      Um zu beurteilen, ob es sich bei der Berichtigung vom 7. Mai 2004 um die bloße Korrektur eines Fehlers ohne Auswirkung auf den Inhalt der Verordnung Nr. 729/2004 handelt, ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung für die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteil vom 2 Juni 1994, AC‑ATEL Electronics Vertriebs, C‑30/93, Slg. 1994, I‑2305, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    31      Hierzu ist festzustellen, dass der Basistext einer Verordnung über die zolltarifliche Einreihung im Allgemeinen auf die Waren Bezug nimmt, die in einem Anhang beschrieben sind, der der Verordnung zum Zweck der Einreihung dieser Waren in die KN beigefügt ist.

    32      Im vorliegenden Fall betrifft der Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 in der ursprünglichen Fassung nur Waren anderer Art als diejenigen, die im Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung aufgeführt sind. Die Kommission hat hierzu erläutert, dass in der ursprünglichen Fassung der Verordnung Nr. 729/2004 irrtümlich als Anhang dieser Verordnung der Anhang einer anderen Verordnung über die Einreihung bestimmter Waren in die KN wiedergegeben worden sei und dass mit der am 7. Mai 2004 veröffentlichten Berichtigung lediglich dieser Fehler habe korrigiert werden sollen.

    33      Die mit der Berichtigung vom 7. Mai 2004 vorgenommenen Änderungen betreffen aber nicht nur den Anhang der Verordnung Nr. 729/2004, sondern auch deren Erwägungsgründe.

    34      Nach dem fünften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 729/2004 in der ursprünglichen Fassung entsprachen nämlich die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen der Stellungnahme des Ausschusses für den Zollkodex. Dagegen hat der Ausschuss laut fünftem Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung zu verschiedenen Erzeugnissen des Anhangs – darunter der Gehhilfe-Rollator – nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist Stellung genommen.

    35      Daraus folgt, dass die Kommission beim Erlass der Verordnung Nr. 729/2004 am 15. April 2004 nicht die zolltarifliche Einreihung der später im Anhang der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung genannten Gehhilfe-Rollatoren gemeint haben kann.

    36      Aufgrund dieser Umstände ist festzustellen, dass die am 7. Mai 2004 veröffentlichte Berichtigung über die bloße Korrektur eines Fehlers hinausgeht und in Wirklichkeit den Inhalt der Verordnung Nr. 729/2004 geändert hat, indem sie diese auf Gehhilfe-Rollatoren anwendbar gemacht hat.

    37      Zweitens ist zu prüfen, ob die Kommission mit der Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung Gehhilfe-Rollatoren rechtsgültig in die Position 8716 der KN einreihen konnte.

    38      Die Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung wurde auf der Grundlage insbesondere von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2658/87 erlassen, durch die die KN eingeführt wurde, die wiederum auf dem HS beruht.

    39      Aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. a erster Gedankenstrich in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 geht hervor, dass die Kommission, unterstützt durch den Ausschuss für den Zollkodex, Maßnahmen bezüglich der Anwendung der KN erlassen kann.

    40      Nach der Rechtsprechung hat die Kommission zwar ein weites Ermessen bei der näheren Angabe des Inhalts der Tarifpositionen, nicht aber das Recht, den Inhalt der Tarifpositionen zu ändern, die auf der Grundlage des HS geschaffen worden sind (vgl. Urteile vom 7. Juli 2005, Jacob Meijer und Eagle International Freight, C‑304/04 und C‑305/04, Slg. 2005, I‑6251, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 27. April 2006, Kawasaki Motors Europe, C‑15/05, Slg. 2006, I‑3657, Randnr. 35).

    41      Zu prüfen ist somit, ob die Kommission im vorliegenden Fall dadurch, dass sie Waren wie die Gehhilfe-Rollatoren in die Position 8716 der KN statt in die Position 9021 der KN eingereiht hat, den Inhalt dieser beiden Tarifpositionen geändert hat.

    42      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom 18. Juli 2007, Olicom, C‑142/06, Slg. 2007, I‑6675, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 11. Dezember 2008, Kip Europe u. a., C‑362/07 und C–363/07, Slg. 2008, I‑9489, Randnr. 26).

    43      Außerdem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dieser Ware innewohnt, wobei sich dies anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (vgl. u. a. Urteil vom 17. März 2005, Ikegami, C‑467/03, Slg. 2005, I‑2389, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    44      Im vorliegenden Fall ist der Beschreibung in der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass der Gehhilfe-Rollator aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen besteht und dass er mit einer Sitz-/Trageplatte und einem Drahtkorb ausgestattet ist. Für den Transport kann das Erzeugnis zusammengeklappt werden. Wie Premis Medical in der Sitzung bestätigt hat, gibt es keinen Standard-Rollator; Gehhilfe-Rollatoren können auch ohne Korb und ohne Sitzfläche erworben werden. Auch die Belastbarkeit, die Sitzhöhe und -breite, das Gewicht und der Raddurchmesser können sich unterscheiden.

    45      Überdies steht fest, dass das Erzeugnis seiner Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt ist. Es gestattet einer Person, sich vorwärts zu bewegen, indem sie den Gehhilfe-Rollator vor sich herschiebt, der die notwendige Stütze bietet.

    46      Zur Position 8716 der KN, die u. a. „andere nicht selbstfahrende Fahrzeuge“ umfasst, geht aus den entsprechenden HS-Erläuterungen hervor, dass ein Fahrzeug nur dann in diese Position eingereiht werden kann, wenn es ein- oder mehrrädrig ist und zum Befördern von Personen oder Gütern bestimmt ist. Offenkundig weist der Gehhilfe-Rollator diese Merkmale nicht auf, da er speziell so gebaut ist, dass er Personen mit Funktionsschäden der Beine, Muskeln oder Gelenke ermöglicht, eigenständig zu gehen.

    47      Die bloße Tatsache, dass der betreffende Gehhilfe-Rollator diesen Personen zugleich ermöglichen kann, Güter zu transportieren und sich gegebenenfalls auszuruhen, indem sie auf dem Sitz Platz nehmen, stellt diese Feststellung nicht in Frage. Geht man nämlich davon aus, dass dieser Gehhilfe-Rollator, der speziell so gebaut ist, dass er Personen beim Gehen hilft, entsprechend dem Vorbringen der Kommission mehrere verschiedene Funktionen erfüllen kann, ist er nach der das Ganze kennzeichnenden Hauptfunktion einzureihen.

    48      Zur Position 9021 der KN, die nach Ansicht der Klägerin des Ausgangsverfahrens von der Kommission für die zolltarifliche Einreihung hätte gewählt werden müssen, ist darauf hinzuweisen, dass sich die zu Kapitel 90 der KN gehörenden Instrumente und Apparate im Allgemeinen durch ihre sorgfältige Fertigung und ihre große Präzision kennzeichnen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2002, Lohmann und Medi Bayreuth, C‑260/00 bis C‑263/00, Slg. 2002, I‑10045, Randnr. 37).

    49      Im Einzelnen bezieht sich diese Position u. a. auf „orthopädische Apparate und Vorrichtungen, einschließlich Krücken“ und „andere Vorrichtungen zum Tragen in der Hand oder zum Implantieren in den oder zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen“.

    50      Der Wortlaut dieser Bestimmung steht einer Einreihung von Gehhilfe-Rollatoren, da sie einen Funktionsschaden bei ihren Benutzern beheben, die sich ihrer bedienen, um sicher gehen zu können, in die Position 9021 KN nicht entgegen.

    51      Zum Vergleich des Gehhilfe-Rollators mit „Krücken“ als „orthopädische Apparate und Vorrichtungen“ ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Hauptfunktion von Krücken darin besteht, einen Funktionsschaden oder ein Gebrechen der unteren Gliedmaßen zu beheben, so dass die von einer solchen Behinderung betroffene Person in der Lage ist, mit Hilfe von Krücken eigenständig zu gehen. Insofern sind Krücken für einen Gehbehinderten zum Gehen unerlässlich (vgl. Urteil vom 24. März 1994, 3M Medica, C‑148/93, Slg. 1994, I‑1123, Randnr. 15).

    52      Die Hauptfunktion eines Gehhilfe-Rollator besteht ebenfalls darin, einer Person als Stütze beim Gehen zu dienen. Auch wenn er anders als Krücken den Gebrauch der beiden unteren Gliedmaßen voraussetzt, behebt er, wie Krücken, einen Funktionsschaden oder ein Gebrechen, das im Allgemeinen darin besteht, dass es der betroffenen Person unmöglich ist, die Bewegung der unteren Gliedmaßen zu koordinieren und dabei das für das Gehen erforderliche Gleichgewicht zu halten.

    53      Daraus folgt, dass ein Gehhilfe-Rollator einer Person erlaubt, das Fehlen des für das Gehen erforderlichen Gleichgewichts in einer Weise auszugleichen, die es ihr ermöglicht, eigenständig zu gehen. Da die Fähigkeit, das Fehlen des Gleichgewichts beim Gehen auszugleichen, dem Gehen selbst innewohnt, erfüllt ein solcher Rollator eine vergleichbare Funktion wie Krücken.

    54      Ein Gehhilfe-Rollator ermöglicht mit anderen Worten einer Person, eine Leistung auszuführen, die darin besteht, sich sicher auf den eigenen Beinen zu bewegen, und zu der der Betreffende ohne diese Unterstützung genau wie ohne Unterstützung durch Krücken aufgrund seines Gesundheitszustands nicht imstande wäre.

    55      Dass ein Gehhilfe-Rollator die gleiche Funktion wie Krücken erfüllen kann, ist ein Umstand, der für seine Einreihung in die Position 9021 der KN spricht.

    56      Dieser Einreihung stehen die KN-Erläuterungen zu Position 9021 der KN nicht entgegen, wonach die betreffenden Vorrichtungen „wirklich die Funktion des beschädigten Körperteils oder des Körpergebrechens übernehmen oder ersetzen [müssen]“ und nicht hierher „Vorrichtungen [gehören], die lediglich dazu dienen, die Folgen von körperlichen Funktionsschäden oder Gebrechen zu mildern“.

    57      Ein Gehhilfe-Rollator übernimmt oder ersetzt nämlich die Funktion des beschädigten Körperteils oder des Körpergebrechens im Sinne der KN-Erläuterungen zu Position 9021 der KN, da dieses Erzeugnis der betroffenen Person ermöglicht, das Fehlen des für das Gehen erforderlichen Gleichgewichts auszugleichen. Im Übrigen wird ein Gehhilfe-Rollator, wie Premis Medical in der Sitzung hervorgehoben hat, speziell den Bedürfnissen seines Benutzers angepasst.

    58      Mit der Einreihung von Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der KN hat die Kommission folglich den Geltungsbereich von Position 9021 der KN eingeschränkt und den von Position 8716 der KN erweitert und damit die Grenzen ihres Ermessens überschritten.

    59      Auf die vorgelegten Fragen ist daher zu antworten, dass die Verordnung Nr. 729/2004 in der berichtigten Fassung ungültig ist, soweit zum einen durch die Berichtigung der Anwendungsbereich der ursprünglichen Verordnung auf Gehhilfe-Rollatoren erstreckt worden ist, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind, und zum anderen die Verordnung in der berichtigten Fassung diese Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der KN einreiht.

     Kosten

    60      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

    Die Verordnung (EG) Nr. 729/2004 der Kommission vom 15. April 2004 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur in der Fassung der am 7. Mai 2004 veröffentlichten Berichtigung ist ungültig, soweit zum einen durch die Berichtigung der Anwendungsbereich der ursprünglichen Verordnung auf Gehhilfe-Rollatoren erstreckt worden ist, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind, und zum anderen die Verordnung in der berichtigten Fassung diese Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der Kombinierten Nomenklatur einreiht.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Niederländisch.

    Top