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Document 62009CJ0241

    Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 9. Dezember 2010.
    Fluxys SA gegen Commission de régulation de l’électricité et du gaz (CREG).
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Bruxelles - Belgien.
    Vorabentscheidungsersuchen - Zuständigkeit des Gerichtshofs - Teilweise Klagerücknahme durch den Kläger des Ausgangsverfahrens - Änderung des rechtlichen Bezugsrahmens - Für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erforderliche Antwort des Gerichtshofs - Erledigung.
    Rechtssache C-241/09.

    Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-12773

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:753

    Rechtssache C‑241/09

    Fluxys SA

    gegen

    Commission de régulation de l’électricité et du gaz (CREG)

    (Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Bruxelles)

    „Vorabentscheidungsersuchen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Teilweise Klagerücknahme durch den Kläger des Ausgangsverfahrens – Änderung des rechtlichen Bezugsrahmens – Für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erforderliche Antwort des Gerichtshofs – Erledigung“

    Leitsätze des Urteils

    Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen

    (Art. 267 AEUV)

    Es ist unerlässlich, dass der Gerichtshof über den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits verfügt, da die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem Gerichtshof zweckdienliche Antworten ermöglichen müssen, sondern auch die Regierungen der Mitgliedstaaten sowie die sonstigen Beteiligten in die Lage versetzen sollen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird; dabei ist zu berücksichtigen, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden. Daher muss sich der Gerichtshof hinsichtlich der Erheblichkeit der ihm vorgelegten Fragen zwar weitestgehend auf die Beurteilung durch das nationale Gericht verlassen können, er muss jedoch auch in die Lage versetzt werden, alle mit der Wahrnehmung seiner eigenen Aufgabe zusammenhängenden Fragen zu beurteilen, vor allem um gegebenenfalls, wie es die Pflicht jedes Gerichts ist, festzustellen, ob er zuständig ist.

    Bei einer im Rahmen eines Rechtsstreits über die Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der die Tarife für die Fernleitung von Gas unter Verstoß gegen ein nationales Gesetz festgesetzt wurden, gestellten Vorabentscheidungsfrage zur Auslegung der Richtlinie 2003/55 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30 sieht sich der Gerichtshof nicht mehr in der Lage, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden, wenn zum einen dieses Gesetz nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens vom Verfassungsgericht des betroffenen Mitgliedstaats aufgehoben wurde, so dass der innerstaatliche rechtliche Rahmen des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr der vom nationalen Gericht in seiner Vorlageentscheidung beschriebene ist, und zum anderen die Klägerin die Klagegründe zurückgenommen hat, mit denen sie den Verstoß gegen das beanstandete nationale Gesetz gerügt hat.

    (vgl. Randnrn. 30-31, 33-34)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    9. Dezember 2010(*)

    „Vorabentscheidungsersuchen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Teilweise Klagerücknahme durch den Kläger des Ausgangsverfahrens – Änderung des rechtlichen Bezugsrahmens – Für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erforderliche Antwort des Gerichtshofs – Erledigung“

    In der Rechtssache C‑241/09

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour d’appel de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 29. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2009, in dem Verfahren

    Fluxys SA

    gegen

    Commission de régulation de l’électricité et du gaz (CREG)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters A. Prechal,

    Generalanwältin: V. Trstenjak,

    Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2010,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Fluxys SA, vertreten durch R. Gonne, avocat,

    –        der Commission de régulation de l’électricité et du gaz (CREG), vertreten durch L. Cornelis und P. de Bandt, avocats,

    –        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von J.‑F. De Bock, avocat,

    –        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

    –        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet und B. Schima als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. September 2010

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 2 und 18 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57, und – Berichtigung – ABl. 2004, L 16, S. 75) sowie von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. September 2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (ABl. L 289, S. 1).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fluxys SA (im Folgenden: Fluxys), der mit dem Betrieb des Erdgasfernleitungsnetzes in Belgien betrauten Betreiberin, und der Commission de régulation de l’électricité et du gaz (Regulierungskommission für Elektrizität und Gas, im Folgenden: CREG) wegen deren Entscheidung vom 6. Juni 2008, mit der die Tarife für die Fernleitung von Gas zur Verteilung auf dem nationalen Markt für die Zeit von 2008 bis 2011 festgesetzt wurden.

     Rechtlicher Rahmen

     Unionsrecht

    3        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/55 sieht vor:

    „Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen. Sie regelt die Organisation und Funktionsweise des Erdgassektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Erteilung von Fernleitungs-, Verteilungs-, Liefer- und Speichergenehmigungen für Erdgas sowie den Betrieb der Netze.“

    4        Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2003/55 definiert den Begriff der „Fernleitung“ im Sinne der Richtlinie wie folgt:

    „Transport von Erdgas durch ein Hochdruckfernleitungsnetz, mit Ausnahme von vorgelagerten Rohrleitungsnetzen, zum Zweck der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung“.

    5        Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2003/55 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines System für den Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilernetz und zu den [Flüssigerdgas-]Anlagen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden, einschließlich Versorgungsunternehmen, und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung von einer in Artikel 25 Absatz 1 vorgesehenen Regulierungsbehörde vor deren Inkrafttreten genehmigt werden und dass die Tarife und – soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen – die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.“

    6        Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1775/2005 bestimmt:

    „Die von den Regulierungsbehörden gemäß Artikel 25 Absatz 2 der Richtlinie [2003/55] genehmigten Tarife oder Methoden zu ihrer Berechnung, die die Fernleitungsnetzbetreiber anwenden, sowie die gemäß Artikel 18 Absatz 1 der genannten Richtlinie veröffentlichten Tarife müssen transparent sein, der Notwendigkeit der Netzintegrität und deren Verbesserung Rechnung tragen, die Ist-Kosten widerspiegeln, soweit diese Kosten denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen, transparent sind und gleichzeitig eine angemessene Kapitalrendite umfassen, sowie gegebenenfalls die Tarifvergleiche der Regulierungsbehörden berücksichtigen. Die Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung müssen nicht diskriminierend angewandt werden.

    ...“

     Nationales Recht, wie es sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt

    7        Die Verteilung von Erdgas ist in Belgien im Gesetz vom 12. April 1965 über die Fernleitung gasförmiger und anderer Stoffe über Rohrleitungen (Moniteur belge vom 7. Mai 1965, S. 5260) geregelt. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass sich die im Ausgangsrechtsstreit zum Zeitpunkt dieser Entscheidung maßgeblichen Vorschriften aus diesem Gesetz in der Fassung des Gesetzes vom 10. März 2009 zur Änderung des Gesetzes vom 12. April 1965 über die Fernleitung gasförmiger und anderer Stoffe über Rohrleitungen (Moniteur belge vom 31. März 2009, S. 25173, im Folgenden: Gasgesetz) ergeben.

    8        Art. 1 Abs. 7 bis des Gasgesetzes definiert „Durchleitung“ wie folgt:

    „Tätigkeit, die in der Beförderung von Erdgas ohne Verteilung oder Versorgung auf belgischem Hoheitsgebiet besteht“.

    9        Art. 15/5 quater dieses Gesetzes sieht vor:

    „§ 1      Der Betreiber des Erdgasfernleitungsnetzes, der Betreiber einer Erdgasspeicheranlage und der Betreiber einer [Flüssigerdgas-]Anlage legen der [CREG] jeweils einen Antrag auf Genehmigung ihrer jeweiligen Tarife und ihrer Tarife für Zusatzleistungen vor. Sie machen diese genehmigten Tarife jeweils für die betreffende Tätigkeit bekannt, entsprechend den Grundsätzen dieses Kapitels.

    ...

    § 4      Die Betreiber legen der [CREG] einen Vorschlag der Einnahmen und Tarife zur Genehmigung vor, der auf der Grundlage der in Art. 15/5 bis genannten Gesamteinnahmen erarbeitet wurde.

    ...“

    10      In Art. 15/5 quinquies § 1 des Gesetzes heißt es:

    „… [D]ie Bestimmungen dieses Kapitels und der Königlichen Verordnung vom 8. Juni 2007 über die Methode zur Ermittlung der Gesamteinnahmen einschließlich des angemessenen Gewinns, über die allgemeine Tarifstruktur, die Grundprinzipien der Tarifierung, die Verfahren, die Bekanntmachung der Tarife, die Jahresberichte, die Buchführung, die Kostenkontrolle, die Einnahmenüberschüsse der Betreiber und die objektive Formel der Indexierung, wie sie in dem Gesetz vom 12. April 1965 über die Fernleitung gasförmiger und anderer Stoffe über Rohrleitungen in der Fassung der Bekanntmachung im Moniteur belge vom 29. Juni 2007 vorgesehen sind, sind auf die Tarife für die Durchleitung von Erdgas und auf den Betreiber eines Erdgasfernleitungsnetzes, der eine Durchleitungstätigkeit ausübt, mit folgenden Ausnahmen anwendbar:

    1.      Die Tarife gelten für den vom Betreiber des Fernleitungsnetzes und den Benutzern dieses Netzes vertraglich festgelegten Zeitraum;

    2.      zur Gewährleistung einer längerfristigen Preisstabilität kann der in Art. 15/5 bis § 2 vorgesehene Regulierungszeitraum vier Jahre überschreiten;

    3.      der angemessene Gewinn für die Durchleitung wird nach den Art. 4 bis 8 der oben genannten Königlichen Verordnung vom 8. Juni 2007 bestimmt, wobei

    a)      der Anfangswert der regulierten Aktiva der Durchleitung zum 31. Dezember 2007 auf Vorschlag des Betreibers von der [CREG] unter Berücksichtigung aller in Belgien belegenen für die Durchleitung benutzten Transportanlagen genehmigt wird;

    b)      das Produkt des Koeffizienten beta und der Risikoprämie, als Komponente der in Art. 6 der oben genannten Königlichen Verordnung vorgesehenen Rendite R, auf 7 % festgesetzt wird;

    ...“

    11      Art. 15/19 des Gasgesetzes bestimmt, dass Verträge, die vor dem 1. Juli 2004 nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/296/EWG des Rates vom 31. Mai 1991 über den Transit von Erdgas über große Netze (ABl. L 147, S. 37) geschlossen wurden (im Folgenden: Altverträge), gültig bleiben und weiter nach den Bestimmungen dieser Richtlinie durchgeführt werden.

     Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    12      Im Jahr 2007 legte Fluxys nach Art. 15/5 quater des Gasgesetzes der CREG den Zeitraum 2008–2011 betreffende Tarifvorschläge zum einen für die Fernleitung von Gas zur Verteilung in einem anderen Staat (im Folgenden: Durchleitung) und zum anderen für die Fernleitung von Gas zur Verteilung in Belgien (im Folgenden: Weiterleitung) und die Lagerung zur Genehmigung vor.

    13      Bezüglich der Tarifvorschläge für die Durchleitung erließ die CREG am 15. Mai und 6. Juni 2008 zwei Entscheidungen. Mit Urteil der Cour d’appel de Bruxelles vom 10. November 2008 wurden die Wirkungen dieser Entscheidungen ausgesetzt, da sie dem ersten Anschein nach rechtswidrig seien.

    14      Bezüglich der von Fluxys eingereichten Tarifvorschläge für die Weiterleitung und Lagerung verweigerte die CREG die Genehmigung; sie setzte mit Entscheidung vom 19. Dezember 2007 selbst vorläufige Tarife fest und gab dem Unternehmen auf, ein neues Budget mit neuen Tarifvorschlägen vorzulegen. Nach Vorlage dieser Vorschläge erließ die CREG am 6. Juni 2008 eine neue Entscheidung, mit der sie vorläufige Tarife für die Weiterleitung und Lagerung festlegte. In dieser Entscheidung gab sie an, dass sie auf der Grundlage der Angaben von Fluxys nicht in der Lage gewesen sei, den verschiedenen Beförderungstätigkeiten von Fluxys die jeweiligen Kosten zuzuordnen, und dass sie daher eine Neuberechnung vorgenommen und die Kosten neu auf diese Tätigkeiten verteilt habe. Auf der Grundlage dieser Berechnung beschloss die CREG, für die Weiterleitung Tarife festzulegen, die unter den von Fluxys vorgeschlagenen lagen.

    15      Fluxys wandte sich gegen die von der CREG zur Festsetzung der Tarife für die Weiterleitung und Lagerung angewandte Methode und erhob am 27. Juni 2008 eine Klage bei der Cour d’appel de Bruxelles auf Aussetzung und Nichtigerklärung dieser Tarifentscheidung vom 6. Juni 2008. Sie macht geltend, dass die CREG einen Teil der die Weiterleitung betreffenden Betriebskosten zu Unrecht der Durchleitung zugewiesen habe. Die CREG habe insbesondere das Gasgesetz, in dem die Berechnung für die Durchleitungstarife einerseits und die Weiterleitungs- und Lagerungstarife andererseits unterschiedlich geregelt sei, nicht beachtet, weil sie auf alle Tarife dieselben Regeln angewandt habe.

    16      Die CREG macht im Ausgangsrechtsstreit u. a. geltend, dass die Rechtsvorschriften der Europäischen Union, insbesondere die Richtlinie 2003/55, einer nationalen Regelung wie der nach belgischem Recht geltenden entgegenstünden, die für die verschiedenen Arten der Erdgasfernleitung unterschiedliche Tarifierungsmethoden vorsehe.

    17      In der Vorlageentscheidung weist die Cour d’appel de Bruxelles darauf hin, dass die Entscheidung des Rechtsstreits mit der Prüfung der belgischen Rechtsvorschriften, insbesondere von Art. 15/5 quinquies des Gasgesetzes in der Fassung des Gasgesetzes von 2009, verknüpft sei, aus dem sich ergebe, dass die Methode zur Festsetzung der Durchleitungstarife eine andere sei als diejenige zur Festsetzung der Tarife für die anderen Erdgasfernleitungstätigkeiten. Nach diesen Rechtsvorschriften könnten bei der Festsetzung der Durchleitungstarife die mit dem Betrieb des Netzes für sämtliche Tätigkeiten des Betreibers verbundenen Kosten nicht berücksichtigt werden. In Anbetracht dieser Erwägungen setzte das vorlegende Gericht die Entscheidung der CREG vom 6. Juni 2008 aus.

    18      In diesem Zusammenhang hat die Cour d’appel de Bruxelles das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage vorgelegt:

    Stehen die Art. 1, 2 und 18 der Richtlinie 2003/55 und Art. 3 der Verordnung Nr. 1775/2005 nationalen Rechtsvorschriften entgegen, mit denen eine spezielle Tarifregelung für die Tätigkeit der Durchleitung geschaffen wird, die von den Regeln abweicht, die für die Tätigkeit der Beförderung gelten, so dass innerhalb der Tätigkeit der Beförderung eine Unterscheidung zwischen „Weiterleitung“ und „Durchleitung“ geschaffen wird?

     Verfahren vor dem Gerichtshof

    19      Mit Schreiben vom 7. April 2010, das am 28. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, haben die Vertreter von Fluxys dem Gerichtshof mitgeteilt, dass „mit der CREG … Einvernehmen über die Anwendung eines Tarifsystems erzielt worden [ist], das nicht mehr auf einer Unterscheidung zwischen der Beförderung zu nationalen Zwecken und der Durchleitung beruht, sondern auf der Grundlage ein und derselben Methodologie die Kosten der Dienste widerspiegelt, die für die jeweilige Tätigkeit erbracht und dieser eigen sind“. In diesem Schreiben hieß es ferner, dass „Fluxys, wie in dieser Übereinkunft vorgesehen, sämtliche vor der Cour d’appel de Bruxelles gegen die Entscheidungen der CREG geltend gemachten Klagegründe, einschließlich derjenigen, mit denen die Unterscheidung zwischen Durchleitung und Fernleitung im Inland gerügt wird, fallen gelassen hat“, mit Ausnahme eines Klagegrundes, der sich auf die unter eine Ausnahmeregelung fallenden Altverträge beziehe.

    20      Auf dieses Schreiben hin hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht gebeten, ihn über die Folgen dieser Klagerücknahme für das Vorabentscheidungsverfahren zu unterrichten.

    21      Mit am 17. Mai 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schreiben hat die Cour d’appel de Bruxelles mitgeteilt, dass sie das Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalte, da die Entscheidung der CREG vom 6. Juni 2008 trotz der teilweisen Klagerücknahme von Fluxys nicht zurückgenommen worden sei und Fluxys „ihren Antrag auf Nichtigerklärung“ dieser Entscheidung aufrechterhalte, soweit es um andere als die zurückgenommenen, die Nichteinhaltung der Vorschriften des Gasgesetzes über die Tarifberechnungsmethode betreffenden Klagegründe gehe. Sie hat dem Gerichtshof weiter mitgeteilt, dass die Klagerücknahme nach Art. 825 der belgischen Prozessordnung nur gültig sei, wenn sie „von der Gegenpartei angenommen werde“, und dass die CREG diese Klagerücknahme im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht angenommen habe. Schließlich sei sie, „da es sich um ein Gebiet handelt, das zur öffentlichen Ordnung gehört“, zu unbeschränkter Nachprüfung befugt, so dass sie nicht nur über Klagegründe befinden dürfe, die von den Parteien geltend gemacht würden.

    22      Mit bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schreiben vom 1. Juni 2010 hat die belgische Regierung dem Gerichtshof mitgeteilt, dass das Gasgesetz nach einem dieses Gesetz betreffenden Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission gemäß Art. 258 AEUV durch das Gesetz vom 29. April 2010 zur Änderung des Gesetzes vom 12. April 1965 über die Fernleitung gasförmiger und anderer Stoffe durch Rohrleitungen in Bezug auf Durchleitungstarife (Moniteur belge vom 21. Mai 2010, S. 31397) geändert worden sei.

    23      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich außerdem, dass die belgische Cour constitutionnelle (Verfassungsgerichtshof) das genannte Gesetz vom 10. März 2009 mit Urteil vom 8. Juli 2010 wegen Unvereinbarkeit mit der Richtlinie 2003/55 und der Verordnung Nr. 1775/2005 mit Wirkung ex tunc aufgehoben hat.

     Zur Frage der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

    24      Mit Schreiben vom 17. November 2010 hat die CREG die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt und im Wesentlichen geltend gemacht, dass „die Frage der Gültigkeit und der zeitlichen Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung für sogenannte [Altverträge] in Art. 32 Abs. 1 der Gasrichtlinie“ streitig erörtert werden müsse, da sich die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen auf Gesichtspunkte und Erwägungen gestützt habe, die völlig neu seien und zu denen die CREG nicht habe Stellung nehmen können.

    25      Nach Art. 61 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann dieser von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auf Antrag der Parteien die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. u. a. Urteil vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, Slg. 2009, I‑7633, Randnr. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    26      Dagegen ist in der Satzung und der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht vorgesehen, dass die Parteien eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einreichen können (vgl. Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 32).

    27      Der Gerichtshof ist nach Anhörung der Generalanwältin der Ansicht, dass der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen ist, da die Vorlagefrage nicht mehr zu beantworten ist.

     Zum Vorabentscheidungsersuchen

    28      Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und in deren Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 15. Juni 1995, Zabala Erasun u. a., C‑422/93 bis C‑424/93, Slg. 1995, I‑1567, Randnr. 14).

    29      Macht das nationale Gericht jedoch von diesem Beurteilungsermessen Gebrauch, erfüllt es in Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof eine Aufgabe, die beiden gemeinsam übertragen ist, um die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung des Unionsrechts zu sichern. Daher gehören die Probleme, die sich aus der Ausübung dieses Beurteilungsermessens durch das nationale Gericht ergeben können, und die im Rahmen von Art. 267 AEUV zwischen diesem und dem Gerichtshof bestehenden Beziehungen ausschließlich in den Bereich des Unionsrechts (vgl. Urteil Zabala Erasun u. a., Randnr. 15).

    30      Dafür ist es unerlässlich, dass der Gerichtshof über den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits verfügt, da die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem Gerichtshof zweckdienliche Antworten ermöglichen müssen, sondern auch die Regierungen der Mitgliedstaaten sowie die sonstigen Beteiligten in die Lage versetzen sollen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird; dabei ist zu berücksichtigen, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Urteil vom 1. April 1982, Holdijk u. a., 141/81 bis 143/81, Slg. 1982, 1299, Randnr. 6, und Beschluss vom 28. Juni 2000, Laguillaumie, C‑116/00, Slg. 2000, I‑4979, Randnr. 14).

    31      Daher muss sich der Gerichtshof hinsichtlich der Erheblichkeit der ihm vorgelegten Fragen zwar weitestgehend auf die Beurteilung durch das nationale Gericht verlassen können, er muss jedoch auch in die Lage versetzt werden, alle mit der Wahrnehmung seiner eigenen Aufgabe zusammenhängenden Fragen zu beurteilen, vor allem um gegebenenfalls, wie es die Pflicht jedes Gerichts ist, festzustellen, ob er zuständig ist (Urteil Zabala Erasun u. a., Randnr. 16).

    32      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Schreiben, die der Gerichtshof nach Eingang des Vorabentscheidungsersuchens erhalten hat, dass Fluxys ihre Klage beim vorlegenden Gericht hinsichtlich der Klagegründe zurückgenommen hat, mit denen die Rechtswidrigkeit der Methode geltend gemacht wird, die die CREG in der vor dem vorlegenden Gericht angefochtenen Entscheidung bei der Tariffestsetzung angewandt hat, und dass sie die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidungen vor der Cour d’appel de Bruxelles nur noch insoweit weiterverfolgt, als es um die unter die Ausnahmeregelung des Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2003/55 fallenden Altverträge geht. Zum anderen sind die vom vorlegenden Gericht anzuwendenden Rechtsvorschriften nach dem Urteil der Cour constitutionnelle vom 8. Juli 2010 nicht mehr diejenigen, die im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens berücksichtigt wurden.

    33      Unter diesen Umständen kann der Gerichtshof nur feststellen, dass zum einen der innerstaatliche rechtliche Rahmen des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr der von der Cour d’appel de Bruxelles in ihrer Vorlageentscheidung beschriebene ist, auch wenn sich diesem Gericht zufolge nach den aufgrund des genannten Urteils der Cour constitutionnelle wieder geltenden nationalen Rechtsvorschriften dieselbe Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht stellt wie nach den Rechtsvorschriften, die mit diesem Urteil aufgehoben wurden, und dass zum anderen die Klägerin des Ausgangsverfahrens sich nicht mehr auf einen Verstoß der CREG gegen Art. 15/5 quinquies des Gasgesetzes beruft.

    34      Daraus folgt, dass sich der Gerichtshof in Anbetracht der Entwicklung des Rechtsstreits vor dem vorlegenden Gericht, sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch hinsichtlich des anwendbaren Rechts, nicht mehr in der Lage sieht, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden.

     Kosten

    35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    Die Vorlagefrage in der Rechtssache C‑241/09 ist nicht mehr zu beantworten.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Französisch.

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