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Document 62009CC0159

    Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 7. September 2010.
    Lidl SNC gegen Vierzon Distribution SA.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de commerce de Bourges - Frankreich.
    Richtlinien 84/450/EWG und 97/55/EG - Zulässigkeitsvoraussetzungen für vergleichende Werbung - Preisvergleich in Bezug auf eine Auswahl von Nahrungsmitteln, die von zwei konkurrierenden Supermarktketten verkauft werden - Waren für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung - Irreführende Werbung - Vergleich in Bezug auf eine nachprüfbare Eigenschaft.
    Rechtssache C-159/09.

    Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-11761

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:499

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    PAOLO MENGOZZI

    vom 7. September 20101(1)

    Rechtssache C‑159/09

    Lidl SNC

    gegen

    Vierzon Distribution SA

    (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de commerce de Bourges, Frankreich)

    „Vergleichende Werbung – Vergleich mit den von einer konkurrierenden Supermarktkette praktizierten Preisen – Waren für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung“





    1.        Der Gerichtshof hat sich bereits bei mehreren Anlässen mit der vergleichenden Werbung befasst und eine Rechtsprechung entwickelt, die nunmehr recht umfangreich ist. In der vorliegenden Rechtssache betrifft die vom vorlegenden Gericht, dem Tribunal de commerce de Bourges, aufgeworfene Frage jedoch einen neuen Aspekt, nämlich die Möglichkeit, die Bestimmungen über die vergleichende Werbung auf einen Vergleich anzuwenden, der Nahrungsmittel betrifft.

    2.        In diesem Zusammenhang ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen darum, eine nationale französische Rechtsprechung, die dahin geht, die Rechtmäßigkeit einer vergleichenden Werbung für Nahrungsmittel, die schon ihrer Natur nach als nicht vergleichbar angesehen werden, auszuschließen, zu bestätigen oder zu verwerfen.

    I –    Rechtlicher Rahmen

    3.        Die Bestimmungen, die zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage heranzuziehen sind, sind ausschließlich Vorschriften des Rechts der Union. Wie das vorlegende Gericht nämlich in seinem Beschluss ausführt, beschränken sich die anwendbaren nationalen Bestimmungen, d. h. die Art. 121-8 und 121-9 des Code de la consommation (Verbrauchergesetzbuch), auf eine Wiedergabe des Wortlauts der seinerzeit anwendbaren Vorschriften des Rechts der Union.

    A –    Die Richtlinie 84/450/EWG in der durch die Richtlinie 97/55/EG geänderten Fassung

    4.        Die in der vorliegenden Rechtssache maßgebliche rechtliche Regelung ist die Richtlinie 84/450/EWG(2) (im Folgenden auch: Richtlinie) in der durch die Richtlinie 97/55/EG(3) geänderten Fassung.

    5.        Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie definiert als „‚irreführende Werbung‘ jede Werbung, die in irgendeiner Weise – einschließlich ihrer Aufmachung – die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder aus diesen Gründen einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist“. Die folgende Nr. 2a definiert dagegen als vergleichende Werbung „jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht“.

    6.        Art. 3 der Richtlinie lautet:

    „Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irreführend ist, sind alle ihre Bestandteile zu berücksichtigen, insbesondere in ihr enthaltene Angaben über:

    a)      die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Zusammensetzung, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung, die Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, die geografische oder kommerzielle Herkunft oder die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse oder die Ergebnisse und wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen;

    b)      den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, und die Bedingungen unter denen die Waren geliefert oder die Dienstleistungen erbracht werden;

    c)      die Art, die Eigenschaften und die Rechte des Werbenden, wie seine Identität und sein Vermögen, seine Befähigungen und seine gewerblichen, kommerziellen oder geistigen Eigentumsrechte oder seine Auszeichnungen oder Ehrungen.“

    7.        Art. 3a sieht vor:

    „(1)      Vergleichende Werbung gilt, was den Vergleich anbelangt, als zulässig, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

    a)      Sie ist nicht irreführend im Sinne des Artikels 2 Nummer 2, des Artikels 3 und des Artikels 7 Absatz 1;

    b)      sie vergleicht Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung;

    c)      sie vergleicht objektiv eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften dieser Waren und Dienstleistungen, zu denen auch der Preis gehören kann;

    d)      sie verursacht auf dem Markt keine Verwechslung zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Marken, den Handelsnamen, anderen Unterscheidungszeichen, den Waren oder den Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers;

    e)      durch sie werden weder die Marken, die Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren, die Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft;

    f)      bei Waren mit Ursprungsbezeichnung bezieht sie sich in jedem Fall auf Waren mit der gleichen Bezeichnung;

    g)      sie nutzt den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise aus;

    h)      sie stellt nicht eine Ware oder eine Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung einer Ware oder Dienstleistung mit geschützter Marke oder geschütztem Handelsnamen dar.

    …“

    8.        Art. 7 der Richtlinie schließlich lautet wie folgt:

    „(1)      Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Verbraucher, der einen Handel, ein Gewerbe, ein Handwerk oder einen freien Beruf ausübenden Personen sowie der Allgemeinheit vorsehen.

    (2)      Absatz 1 gilt nicht für vergleichende Werbung, soweit es sich um den Vergleich handelt.

    …“

    B –    Die Richtlinie 84/450/EWG in ihrer später durch die Richtlinie 2005/29/EG geänderten Fassung

    9.        Durch die Richtlinie 2005/29/EG(4) wurde die Richtlinie 84/450/EWG erneut geändert. Was die vorliegende Rechtssache angeht, bezog sich die Änderung insbesondere auf die Art. 3a und 7.

    10.      Art. 3a der Richtlinie 84/450/EWG ist nun wie folgt formuliert:

    „(1)      Vergleichende Werbung gilt, was den Vergleich anbelangt, als zulässig, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

    a)      Sie ist nicht irreführend im Sinne der Artikel 2 Nummer 2, Artikel 3 und Artikel 7 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie oder im Sinne der Artikel 6 und 7 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern;

    b)      sie vergleicht Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung;

    c)      sie vergleicht objektiv eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften dieser Waren und Dienstleistungen, zu denen auch der Preis gehören kann;

    d)      durch sie werden weder die Marken, die Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren, die Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft;

    e)      bei Waren mit Ursprungsbezeichnung bezieht sie sich in jedem Fall auf Waren mit der gleichen Bezeichnung;

    f)      sie nutzt den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise aus;

    g)      sie stellt nicht eine Ware oder eine Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung einer Ware oder Dienstleistung mit geschützter Marke oder geschütztem Handelsnamen dar;

    h)      sie begründet keine Verwechslungsgefahr bei den Gewerbetreibenden zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Warenzeichen, Warennamen, sonstigen Kennzeichen, Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers.“

    11.      Art. 7 lautet nun:

    „(1)      Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber vorsehen.

    (2)      Absatz 1 gilt nicht für vergleichende Werbung, soweit es sich um den Vergleich handelt.

    …“

    12.      Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war die Richtlinie 2005/29/EG bereits in Kraft getreten. Noch nicht abgelaufen war dagegen die auf den 12. Juni 2007 festgesetzte Frist für ihre Umsetzung in den nationalen Rechtsordnungen(5).

    C –    Die Richtlinie 2005/29/EG

    13.      Die Art. 6 und 7 der Richtlinie 2005/29/EG, auf die Art. 3a der Richtlinie 84/450/EWG jetzt für die Definition des Begriffs der irreführenden Werbung verweist, sind den „irreführenden Handlungen“ bzw. den „irreführenden Unterlassungen“ gewidmet.

    14.      Art. 6 sieht vor:

    „Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:

    a)      das Vorhandensein oder die Art des Produkts;

    b)      die wesentlichen Merkmale des Produkts

    (2)      Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte, und Folgendes beinhaltet:

    a)      jegliche Art der Vermarktung eines Produkts, einschließlich vergleichender Werbung, die eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet;

    …“

    15.      Art. 7 ist wie folgt formuliert:

    „(1)      Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.

    (2)      Im Falle der Aufforderung zum Kauf gelten folgende Informationen als wesentlich, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben:

    a)      die wesentlichen Merkmale des Produkts in dem für das Medium und das Produkt angemessenen Umfang;

    c) der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben …“

    16.      Im Anschluss an die Richtlinie 2005/29/EG sind die Vorschriften über irreführende und vergleichende Werbung in der Richtlinie 2006/114/EG(6) ohne wesentliche Änderungen konsolidiert worden.

    II – Sachverhalt und Vorabentscheidungsfrage

    17.      Die Streitigkeit vor dem innerstaatlichen Gericht betrifft zwei Firmen, die Supermärkte betreiben. Es handelt sich um die Firma Lidl und um die Firma Vierzon. Die Letztgenannte, die unter dem Firmenzeichen Leclerc tätig ist, veröffentlichte am 23. September 2006 in einer lokalen Tageszeitung eine vergleichende Werbung, in der die jeweils einen Einkauf in vier verschiedenen Supermärkten betreffenden Kassenbons verglichen wurden.

    18.      Die Listen der erworbenen Waren mit den jeweiligen Preisen umfassten für jeden der Supermärkte 34 Artikel: Es handelte sich um zu einem großen Teil austauschbare Waren des täglichen Gebrauchs, hauptsächlich Nahrungsmittel. Die Marken der verschiedenen Artikel waren nicht angegeben. Der Gesamtpreis jedes auf diese Weise individualisierten „Einkaufswagens“ zeigte, dass der Supermarkt Leclerc der vorteilhafteste von allen mit einem Gesamtbetrag von 46,30 Euro für die angegebenen Waren war. Der Supermarkt Lidl kam auf den zweiten Platz mit einem Gesamtpreis von 51,40 Euro. Die beiden anderen Supermärkte waren noch teurer. Die Wiedergabe der vier Warenlisten und der entsprechenden Preise war von einem Slogan begleitet, mit dem unterstrichen wurde, dass die Supermärkte mit dem Firmenzeichen Leclerc die billigsten seien.

    19.      Wegen dieser Werbung verklagte Lidl die Firma Vierzon beim vorlegenden Gericht, da sie insbesondere die Vorschriften über vergleichende Werbung verletzt sah.

    20.      Das vorlegende Gericht hält eine Auslegung des Rechts der Union auf dem Gebiet der vergleichenden Werbung für erforderlich für die Entscheidung des Rechtsstreits; es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist Art. 3a der Richtlinie 84/450/EWG in der durch die Richtlinie 97/55/EG geänderten Fassung dahin auszulegen, dass nach ihm vergleichende Preiswerbung für Waren für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung, d. h. für Waren, die einen ausreichenden Grad an wechselseitiger Austauschbarkeit aufweisen, allein deshalb unzulässig ist, weil es sich um Nahrungsmittel handelt und die Essbarkeit jedes einzelnen dieser Nahrungsmittel, jedenfalls der Genuss, der bei ihrem Verzehr empfunden wird, je nach den Umständen und dem Ort ihrer Herstellung, nach den verwendeten Zutaten und nach der Erfahrung des Herstellers stark variiert?

    III – Verfahren vor dem Gerichtshof

    21.      Der Vorlagebeschluss ist bei der Kanzlei am 8. Mai 2009 eingegangen. Schriftliche Erklärungen haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die tschechische, die österreichische und die französische Regierung sowie die Kommission eingereicht.

    22.      In der Sitzung vom 1. Juli 2010 sind die Parteien des Ausgangsverfahrens, die französische Regierung und die Kommission aufgetreten.

    IV – Zur Vorabentscheidungsfrage

    A –    Die Zulässigkeit der Frage

    23.      In ihren schriftlichen Erklärungen vertritt die französische Regierung hauptsächlich die Auffassung, dass die Vorabentscheidungsfrage als unzulässig anzusehen sei. Der Vorlagebeschluss enthalte nämlich keine ausreichenden Angaben, um die Waren, die Gegenstand der vergleichenden Werbung seien, und deren spezifische Merkmale genau zu identifizieren.

    24.      Es ist jedoch anzumerken, dass die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage, mag sie auch im Zusammenhang mit einem verhältnismäßig summarisch beschriebenen Sachverhalt stehen, in Wirklichkeit eine reine Rechtsfrage ist, die als solche klar formuliert ist. Eine detaillierte Kenntnis der spezifischen tatsächlichen Umstände, die die Streitigkeit vor dem innerstaatlichen Gericht ausgelöst haben, ist – mag sie auch nicht ohne Nutzen sein – nicht unbedingt dafür erforderlich, eine – juristische und abstrakte – Antwort auf eine gleichfalls abstrakte Frage zu geben.

    25.      Außerdem ist auch darauf hinzuweisen, dass eine Wiedergabe der vergleichenden Werbung, die Gegenstand der Streitigkeit vor dem vorlegenden Gericht ist, den Erklärungen einer der am Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligten als Anlage beigefügt worden ist und daher jetzt Teil der Verfahrensakten ist. Selbst die französische Regierung hat sich in der mündlichen Verhandlung in Formulierungen geäußert, die das Problem der Zulässigkeit als gelöst erscheinen lassen.

    26.      Die Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

    B –    Die Rolle der Richtlinie 2005/29/EG

    27.      Ein der vorliegenden Rechtssache eigenes Problem, das insbesondere in den Erklärungen der österreichischen Regierung aufgeworfen wird, betrifft die eventuelle Rolle, die der Richtlinie 2005/29/EG bei der Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage zuzuerkennen ist. Wie ich bereits oben bei der Darlegung des rechtlichen Rahmens aufgezeigt habe, war diese Richtlinie zur hier maßgeblichen Zeit bereits in Kraft, aber die Frist für ihre Umsetzung war noch nicht abgelaufen.

    28.      In solchen Fällen schreibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs vor, die Vorschriften des nationalen Rechts so weit wie möglich nicht in einer Weise auszulegen, die die Erreichung der Ziele einer Richtlinie, deren Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, erheblich beeinträchtigt(7).

    29.      Im vorliegenden Fall bin ich jedoch der Ansicht, dass die grundlegende Frage darin besteht, ob die eventuelle Berücksichtigung der Richtlinie 2005/29/EG die Lösung, die dem innerstaatlichen Gericht an die Hand zu geben ist, konkret verändern könnte. Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.

    30.      Vor allem merke ich an, dass durch die Richtlinie 2005/29/EG, soweit hier von Bedeutung, nur einige Präzisierungen auf dem Gebiet der irreführenden Werbung eingeführt worden sind: Die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage betrifft jedoch nicht die Bedingungen, unter denen eine Werbung als irreführend qualifiziert werden kann, sondern nur die Möglichkeit, auf Nahrungsmittel generell die die Zulässigkeit vergleichender Werbung betreffenden Bedingungen anzuwenden. Der Umstand, dass eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen der vergleichenden Werbung darin besteht, dass diese nicht irreführender Natur ist, ändert nichts daran, dass die Frage sich nicht auf die Definition der irreführenden Werbung bezieht.

    31.      Auch wenn man die durch die Richtlinie 2005/29/EG eingeführten Änderungen berücksichtigen wollte, erscheint mir auf jeden Fall klar, dass sich keine besondere Schwierigkeit ergeben würde. Konkret hat sich diese Richtlinie nämlich darauf beschränkt, vor allem mit ihren Art. 6 und 7, auf die in dem neu formulierten Art. 3a der Richtlinie 84/450/EWG verwiesen wird, eine Reihe von Klarstellungen vorzunehmen, durch die der in der Richtlinie 84/450/EG in der durch die Richtlinie 97/55 geänderten Fassung enthaltene Begriff der irreführenden Werbung präzisiert, aber nicht geändert und noch weniger verfälscht wird. Es ist daher nicht zu erkennen, wie eine Auslegung des Begriffs der irreführenden Werbung, die nur auf den zu der hier maßgeblichen Zeit geltenden – unbestimmteren und allgemeineren – Wortlaut der Richtlinie 84/450/EWG fokussiert ist, „die Erreichung des mit [der neueren] Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden“ könnte(8).

    32.      Ich halte es daher nicht für erforderlich, dass der Gerichtshof bei der Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts den Inhalt der Richtlinie 2005/29/EG berücksichtigt.

    C –    Die Natur der geltend gemachten Rechte

    33.      Die beim vorlegenden Gericht anhängige Streitigkeit betrifft zwei Private. Man könnte sich daher fragen, ob die aufgeworfene Frage eine sogenannte „horizontale“ Anwendung einer Richtlinie impliziert, die im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs steht, nach der eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und daher ihm gegenüber eine unmittelbare Berufung auf die Richtlinie nicht möglich ist(9).

    34.      Ich merke jedoch an, dass das innerstaatliche Gericht – wie die französische Regierung in ihren Erklärungen zutreffend festgestellt hat – im Rahmen der vorliegenden Streitigkeit dazu aufgerufen ist, eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts auszulegen, durch die die Richtlinie 84/450/EWG in der durch die Richtlinie 97/55/EG geänderten Fassung im Wesentlichen Wort für Wort umgesetzt wird.

    35.      Betrachtet man insbesondere die Verpflichtung der nationalen Gerichte, nationale Bestimmungen zur Umsetzung einer Richtlinie so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in dieser festgelegte Ergebnis zu erreichen(10), ergibt sich folglich auch unter diesem Gesichtspunkt kein Problem der Unzulässigkeit und/oder der Erheblichkeit der vom Tribunal de commerce de Bourges gestellten Vorabentscheidungsfrage.

    D –    Die Richtlinie 84/450/EWG und die vergleichende Werbung: allgemeine Erwägungen

    36.      Art. 3a der Richtlinie, der die Zulässigkeitsbedingungen der vergleichenden Werbung im Allgemeinen aufzählt, soll „den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher fördern …, indem den Mitbewerbern erlaubt wird, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen, und zugleich Praktiken verboten werden, die den Wettbewerb verzerren, die Mitbewerber schädigen und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflussen können“(11).

    37.      Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der Gerichtshof ständig die Verpflichtung bekräftigt, die Bestimmungen der Richtlinie in einem der vergleichenden Werbung günstigen Sinne auszulegen, wobei jedoch stets darauf zu achten ist, dass die Verbraucher gegebenenfalls vor irreführender Werbung geschützt werden(12).

    38.      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der vergleichenden Werbung im Sinne der Richtlinie sehr weit ist. Die einzige Voraussetzung für das Vorhandensein einer vergleichenden Werbung ist nämlich, dass eine Äußerung in einer beliebigen Form vorliegt, die – auch nur mittelbar – auf einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die dieser anbietet, Bezug nimmt. Es ist nicht einmal erforderlich, dass ein wirklicher und echter Vergleich zwischen Erzeugnissen und Dienstleistungen des Werbenden einerseits und denjenigen des Mitbewerbers andererseits vorliegt(13).

    39.      Die in der Richtlinie enthaltene Regelung der vergleichenden Werbung ist darüber hinaus abschließend. Folglich dürfen eventuelle strengere nationale Vorschriften auf diesem Gebiet keine Anwendung finden(14).

    E –    Die Zulässigkeitsbedingungen der vergleichenden Werbung im Allgemeinen

    40.      Die Zulässigkeitsbedingungen der vergleichenden Werbung im Allgemeinen werden in Art. 3a Abs. 1 der Richtlinie genannt. Insgesamt handelt es sich um acht Bedingungen, die kumulativer Natur sind: Es genügt, dass nur eine von ihnen nicht beachtet worden ist, um die vergleichende Werbung unzulässig zu machen(15). Für die Beantwortung der vorliegenden Vorabentscheidungsfrage sind jedoch nur die ersten drei Bedingungen erheblich. Die anderen Bedingungen betreffen nämlich die Verwendung von oder die Bezugnahme auf Marken, Unterscheidungszeichen und Handelsnamen und sind deswegen hier nicht anwendbar.

    41.      Die erste Bedingung für die Zulässigkeit vergleichender Werbung betrifft ihre nicht irreführende Natur. Ich hatte bereits Gelegenheit, auf dieses Erfordernis hinzuweisen, und werde im Weiteren darauf zurückkommen(16). Es bleibt jedoch der Umstand, dass das vorlegende Gericht in seiner Frage den Gerichtshof nicht zum Begriff der irreführenden Werbung befragt: Die Frage betrifft nämlich ausschließlich die Möglichkeit, die Vorschriften über vergleichende Werbung generell und abstrakt auf Nahrungsmittel anzuwenden.

    42.      Unmittelbarer erheblich für die vorliegende Rechtssache sind dagegen die zweite und die dritte Zulässigkeitsbedingung. Die zweite Bedingung schreibt – wie dargelegt – vor, dass die vergleichende Werbung „Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung [vergleicht]“. Dazu hat die Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung des Wohlwollens gegenüber der vergleichenden Werbung, das der Richtliniengeber bekundet hat, klargestellt, dass die genannte Zulässigkeitsbedingung nicht zu eng ausgelegt werden darf. Insbesondere ist diese Bedingung in dem Sinne ausgelegt worden, dass die Waren, die Gegenstand des Vergleichs sind, „für den Verbraucher einen hinreichenden Grad an Austauschbarkeit“ aufweisen müssen(17).

    43.      Die dritte Zulässigkeitsbedingung schließlich schreibt vor, dass die vergleichende Werbung „objektiv eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften …, zu denen auch der Preis gehören kann“, der verglichenen Waren vergleicht. Dazu ist zu präzisieren, das zulässig eine vergleichende Werbung ist, in der – wie im vorliegenden Fall – der Preis das einzige Element ist, auf dessen Grundlage die Waren verglichen werden(18).

    44.      An diesem Punkt werde ich – nach Klärung der Frage, welches die in der vorliegenden Rechtssache erheblichen Bedingungen der Zulässigkeit vergleichender Werbung sind – dazu übergehen, den Kern des vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Problems zu untersuchen, d. h. die Anwendbarkeit der genannten Bedingungen auf einen Vergleich von Nahrungsmitteln.

    F –    Die Anwendung der Richtlinie auf eine vergleichende Werbung für Nahrungsmittel

    45.      Wie dargelegt, betrifft der zentrale Kern der vom vorlegenden Gericht gestellten Vorabentscheidungsfrage die Möglichkeit, die Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der vergleichenden Werbung generell auf einen Vergleich von Nahrungsmitteln anzuwenden. Dazu merke ich an, dass die Werbung, über die im Ausgangsverfahren gestritten wird, in Wirklichkeit nicht nur Nahrungsmittel betrifft. Zum Beispiel finden wir in den letzten Positionen der Liste der verglichenen Waren einige Waschmittel. Jedenfalls besteht die große Mehrheit der verglichenen Waren tatsächlich aus Nahrungsmitteln, was den Wortlaut der Vorabentscheidungsfrage erklärt und rechtfertigt.

    46.      Der Umstand, dass der Vergleich sich im vorliegenden Fall nicht auf einzelne Waren, sondern auf Warenlisten bezieht, schafft kein Problem für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung. Dieser besondere Typ von Werbung ist nämlich von der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter der Voraussetzung bereits als zulässig anerkannt worden, dass die in die verglichenen Listen aufgenommenen Waren ihrerseits paarweise miteinander vergleichbar sind(19). Die Nachprüfung, ob diese Zulässigkeitsbedingung erfüllt ist, ist natürlich Sache des vorlegenden Gerichts, aber auf der Grundlage des Akteninhalts scheint man bejahen zu können, dass die in Frage stehende Bedingung erfüllt ist, da die in jeden „Einkaufswagen“ eingestellten Waren in einer spezifischen Reihenfolge aufgelistet sind und als austauschbar mit denjenigen erscheinen, die in allen anderen „Einkaufswagen“ in der gleichen Position stehen.

    47.      Die Richtlinie 84/450/EG enthält keine ausdrückliche Ausnahme oder besondere Bestimmung für Nahrungsmittel. Es ist daher nicht zu erkennen, auf welcher Grundlage eine vergleichende Werbung für Nahrungsmittel generell als unzulässig angesehen werden könnte, insbesondere im Licht des Auslegungsgrundsatzes, der gebietet, im Zweifel stets einer der vergleichenden Werbung günstigen Auslegung der Richtlinie den Vorzug zu geben(20). Außerdem hat der Gerichtshof sich bereits mit vergleichender Werbung für Nahrungsmittel befasst, und es hat sich bei diesen Anlässen nie ein mit der vermeintlichen Nichtanwendbarkeit der Richtlinie auf derartige Erzeugnisse verknüpftes Problem ergeben(21). Schließlich darf man auch nicht vergessen, dass sich unter den in Art. 3a Abs. 1 der Richtlinie genannten Bedingungen für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung in Buchst. f eine Waren mit Ursprungsbezeichnung betreffende Bestimmung findet, die keinen Sinn hätte, wenn Nahrungsmittel nicht Gegenstand eines Vergleichs sein könnten.

    48.      Weiter oben habe ich bereits darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass die verglichenen Waren dem gleichen Bedarf entsprechen oder dieselbe Zweckbestimmung haben, wie es Art. 3a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie fordert, nach der Auslegung durch den Gerichtshof bedeutet, dass diese Waren einen hinreichenden Grad an Austauschbarkeit aufweisen müssen(22). Mir erscheint klar, dass diese Formel nicht erfordert, dass die verglichenen Nahrungsmittel dieselben geschmacklichen Merkmale haben. Selbstverständlich gilt insoweit die Voraussetzung, dass der Tatbestand der irreführenden Werbung nicht erfüllt ist, wie man im Weiteren sehen wird. Der Gerichtshof ist demselben Gedankengang gefolgt, als er die Zulässigkeit einer vergleichenden Werbung bejaht hat, die eine Ware ohne Ursprungsbezeichnung mit einer Ware vergleicht, die mit einer solchen versehen ist(23).

    49.      Wie die Kommission zutreffenderweise in ihren schriftlichen Erklärungen festgestellt hat, verlöre die vergleichende Werbung im Übrigen, wenn sie rechtmäßig nur bei gleichen oder jedenfalls in ihren Merkmalen vollständig austauschbaren Waren erfolgen dürfte, zu einem großen Teil ihren Sinn, der gerade darin besteht, verschiedene Waren zu vergleichen, indem man ihre jeweiligen Vorzüge (und Mängel) herausstellt.

    50.      Zu den spezifischen Modalitäten der Prüfung des Vorliegens eines hinreichenden Grades an Austauschbarkeit der verglichenen Waren hat die Rechtsprechung des Gerichtshofs einige Anhaltspunkte vorgegeben. Es handelt sich um eine Würdigung, die Sache des nationalen Gerichts ist, das diese auf der Grundlage der Ziele der Richtlinie und der von der Rechtsprechung festgelegten Grundsätze vornehmen muss. Dieses Gericht muss bei der Durchführung seiner Prüfung sowohl den augenblicklichen Zustand des Marktes als auch dessen Entwicklungsmöglichkeiten berücksichtigen, ohne sich notwendigerweise auf die in nur einem Mitgliedstaat oder einem bestimmten Gebiet bestehenden Verbrauchsgewohnheiten zu beschränken. Bei einer solchen kann außerdem das Image, das der Werbende der Ware geben will, eine Rolle spielen(24).

    51.      Es ist nicht möglich, a priori anzugeben, welchen Faktoren das nationale Gericht eine entscheidende Bedeutung für die Würdigung der Austauschbarkeit der verglichenen Waren für die Verbraucher beimessen wird: Es handelt sich nämlich um eine Würdigung, die für Fall unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des Sachverhalts vorzunehmen ist(25). Gesichtspunkte wie die Qualität der verglichenen Waren oder deren Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sortiment können dabei aber wichtige Faktoren sein, sofern sie einen Einfluss auf die Substituierbarkeit der verglichenen Waren für die Verbraucher haben können.

    52.      Unter dem Vorbehalt also, dass die zwischen den verglichenen Nahrungsmitteln bestehenden geschmacklichen Unterschiede eine vergleichende Werbung nicht rechtswidrig machen, wird eine solche Werbung nur unter der Voraussetzung zulässig sein, dass a) zwischen den Waren eine hinreichende Austauschbarkeit besteht, was von dem nationalen Gericht zu prüfen sein wird, b) die Werbung nicht irreführend ist (ich werde auf diesen Aspekt in den nächsten Absätzen zurückkommen) und c) die anderen in Art. 3a Abs. 1 der Richtlinie genannten Bedingungen der Zulässigkeit erfüllt sind.

    53.      Nähme man die vollständige geschmackliche Gleichwertigkeit zu den Kriterien der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung für Nahrungsmittel hinzu, so erhielte man das gleiche Ergebnis, wie wenn man die Richtlinie für überhaupt nicht anwendbar auf diese Waren erklärte. Wie die Regierung der Tschechischen Republik in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, würde eine solche vom Richtliniengeber nicht vorgesehene Bedingung in die Kontrolle der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung nämlich ein Element subjektiver Art einführen, das es einem Wettbewerber stets erlauben würde, eine vergleichende Werbung seines Mitbewerbers mit der Behauptung zu blockieren, dass zwischen den jeweiligen Waren qualitative und/oder geschmackliche Unterschiede bestünden.

    G –    Die Nachprüfung der nicht irreführenden Natur der Werbung

    54.      Wie ich bereits festgestellt habe, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht darum, ihm Hinweise auf dem Gebiet der irreführenden Werbung an die Hand zu geben. Da die nicht irreführende Natur der Werbung jedoch eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer vergleichenden Werbung ist und da man sich fragen könnte, ob der für Nahrungsmittel geltende Begriff der irreführenden Werbung sich von dem „gewöhnlichen“ Begriff unterscheidet, erscheint es mir angebracht, dazu einige kurze Erwägungen anzustellen.

    55.      Die allgemeine Definition der irreführenden Werbung findet sich, wie wir gesehen haben, in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 84/450/EG(26). Diese Definition hat zwei wesentliche Bestandteile. Erstens täuscht die irreführende Werbung die Personen, an die sie sich richtet (oder kann sie zumindest potenziell täuschen). Zweitens kann die irreführende Werbung infolge ihrer erstgenannten Charakteristik das wirtschaftliche Verhalten des Publikums, an das sie sich richtet, beeinflussen oder auch einen Mitbewerber der Person, die Urheber der Werbung ist, schädigen.

    56.      Die Beurteilung, ob eine Werbung irreführend ist, ist stets Sache des nationalen Gerichts: Es handelt sich nämlich um eine Prüfung, die auf der Grundlage der Besonderheiten jedes konkreten Falls insbesondere unter Berücksichtigung der Verbraucher, an die sich die Werbung richtet, vorzunehmen ist, wobei als Bezugsgröße das Profil eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu verwenden ist(27).

    57.      Ohne dem nationalen Gericht seine insoweit bestehende ausschließliche Zuständigkeit nehmen zu wollen, erscheint es mir im vorliegenden Fall möglich, einige Anhaltspunkte zu bestimmen, die man sich bei der Feststellung wird vor Augen halten müssen, ob die Verbraucher, die Adressaten der zu prüfenden vergleichenden Werbung sind, getäuscht worden sind oder Gefahr liefen, getäuscht zu werden.

    58.      Vor allem kann der Umstand, dass in der vorliegenden vergleichenden Werbung die Marke der verglichenen Waren nicht angegeben wird, nicht als irreführende Werbung angesehen werden. Zwar hat der Gerichtshof nämlich bejaht, dass in einigen Fällen die Nichtangabe der Marken der verglichenen Waren eine irreführende Werbung darstellen kann. Wie im Urteil Pippig präzisiert worden ist, ist dies jedoch nur dann der Fall, wenn die Marke der Produkte die Entscheidung der Verbraucher spürbar beeinflussen kann, weil der Vergleich konkurrierende Produkte betrifft, deren jeweilige Marken deutliche Unterschiede hinsichtlich ihres Ansehens aufweisen(28).

    59.      Mit anderen Worten kann die Nichtangabe der Marken nur in eher begrenzten Fällen eine irreführende Werbung darstellen: Die vom Gerichtshof im Urteil Pippig festgelegte Referenzschwelle liegt sehr hoch. In jenem Fall handelte es sich nämlich um die unterlassene Angabe der Marken für Brillengläser, also eine Ware, die sich, was Preis und Austauschbarkeit angeht, im Vergleich zu einer Reihe von Nahrungsmittelarten des Grundbedarfs in einer ganz anderen Kategorie befindet. Und man darf auch nicht vergessen, dass der Gerichtshof auch in jenem Fall jedenfalls dem nationalen Gericht die Entscheidung darüber überlassen hat, ob die Werbung irreführend ist oder nicht.

    60.      Folglich – wobei weiterhin feststeht, dass nur das vorlegende Gericht über diesen Punkt wird entscheiden können – kann die Nichtangabe der Marken der verglichenen Waren meines Erachtens nur schwer ein Verhalten darstellen, das den Tatbestand der irreführenden Werbung erfüllt. Anders gelagert wäre dagegen der Fall, wenn z. B. die Nichtangabe der Marken der verglichenen Waren von dem Werbenden dazu verwendet würde, bei den Verbrauchern eine falsche Vorstellung von diesen Waren zu erzeugen. Man könnte an den Fall eines Vergleichs denken, der so konzipiert ist, dass in irreführender Weise suggeriert wird, dass die zu einem erheblich niedrigeren Preis angebotene Ware dieselbe Marke trage wie die teurere Ware.

    61.      Die Nichtangabe der Marken könnte dagegen von Bedeutung sein, wenn sie es unmöglich machen würde, die Waren zu identifizieren, die verglichen werden. Wie in der Rechtsprechung nämlich festgestellt worden ist, müssen die Waren, die Gegenstand des Vergleichs sind, „individuell und konkret erkennbar“ sein(29). Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Werbung die Waren allgemein („Margarine“, „Brotaufstrich“, „Tomatensauce“ usw.) und ohne Angabe ihrer Marke identifiziert, könnte die Gefahr bestehen, dass die verglichenen Waren nicht mit hinreichender Genauigkeit zu identifizieren sein könnten. Jedenfalls handelt es sich auch hier um eine Beurteilung, die Sache des nationalen Gerichts ist. Falls nämlich z. B. die verglichenen Waren die einzigen dieser Art sind, die in den betroffenen Supermärkten verkauft werden (d. h., um die Beispiele aus dem vorhergehenden Absatz wieder aufzugreifen, die einzige Margarine, die einzige Tomatensauce usw.) oder schon ihrer Natur nach vollkommen austauschbar mit den mit ihnen konkurrierenden Waren sind, wird sich kein Problem der fehlenden oder unmöglichen Identifizierung dieser Waren stellen.

    62.      Ebenso hat der Gerichtshof festgestellt, dass auch die Art und Weise, in der die spezifischen Waren zur Zusammenstellung des „Einkaufswagens“, der Gegenstand der vergleichenden Werbung ist, ausgewählt werden, abstrakt eine irreführende Werbung darstellen könnte. Insbesondere könnte dies geschehen, wenn die Auswahl der Waren bei den Verbrauchern den irrigen Glauben hervorrufen würde, dass alle Waren des Werbenden billiger als alle Waren seiner Mitbewerber seien(30). Ich merke jedoch an, dass derartige Feststellungen in der Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht erheblich sind. Sie sind vom Gerichtshof nämlich in Bezug auf einen Sachverhalt herausgearbeitet worden, in dem die vergleichende Werbung nicht bestimmte Waren, sondern das allgemeine Niveau der von den konkurrierenden Supermärkten praktizierten Preise verglich. Im vorliegenden Fall haben wir es dagegen nicht mit allgemeinen Behauptungen in Bezug auf die Preise zu tun, die in einem Supermarkt immer eher niedriger seien als in einem anderen. Die vergleichende Werbung, zu der das vorlegende Gericht sich äußern muss, vergleicht nämlich, wie wir gesehen haben, eine ganz genaue und bestimmte Zahl von Waren, die bei konkurrierenden Supermärkten verkauft werden. Der Umstand, dass dieser Vergleich mit einem die größeren Vorzüge des Supermarkts des Werbenden betreffenden allgemeinen Slogan ohne irgendeine mengenmäßige und/oder zahlenmäßige Angabe verbunden ist, erscheint mir völlig unerheblich.

    V –    Ergebnis

    63.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorabentscheidungsfrage des Tribunal de commerce de Bourges wie folgt zu beantworten:

    Nach der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung ist eine vergleichende Werbung zulässig, die allein auf der Grundlage des Preises Nahrungsmittel vergleicht, die zwar geschmacklich unterschiedlich sind, jedoch einen hinreichenden Grad an Austauschbarkeit aufweisen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die Einhaltung dieser Bedingung sowie der anderen in Art. 3a der Richtlinie 84/450/EWG vorgesehenen Bedingungen und insbesondere der das Verbot irreführender Werbung betreffenden Bedingung zu prüfen.


    1 – Originalsprache: Italienisch.


    2 – Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung (ABl. L 250, S. 17).


    3 – Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (ABl. L 290, S. 18).


    4 – Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22).


    5 – Vgl. Art. 19 der Richtlinie 2005/29/EG.


    6 – Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung) (ABl. L 376, S. 21).


    7 – Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnr. 123), und vom 23. April 2009, VTB-VAB (C‑261/07 und C‑299/07, Slg. 2006, I‑2949, Randnr. 39).


    8 – Urteil VTB-VAB, oben in Fn. 7 angeführt, Randnr. 39.


    9 – Vgl. z. B. zuletzt Urteil vom 19. Januar 2010, Kücükdevici (C‑555/07, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    10 – Vgl. z. B. zuletzt Urteil vom 28. Januar 2010, Uniplex (C‑406/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    11 – Urteil vom 18. Juni 2009, L’Oréal u. a. (C‑487/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 68).


    12 – Ebd., Randnr. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung.


    13 – Urteil vom 25. Oktober 2001, Toshiba Europe (C‑112/99, Slg. 2001, I‑7945, Randnr. 31).


    14 – Urteil vom 8. April 2003, Pippig Augenoptik (C‑44/01, Slg. 2003, I‑3095, Randnr. 44). Dagegen hatte die Richtlinie in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung nur eine Mindestharmonisierung vorgenommen, die dem nationalen Gesetzgeber erlaubte, strengere Vorschriften anzuwenden, insbesondere zum Schutz der Verbraucher (Randnr. 40), unter der Bedingung, dass in die Vorschriften über vergleichende Werbung hinsichtlich der Form und des Inhalts des Vergleichs nicht eingegriffen wird (Randnr. 44). Allerdings ist anzumerken, dass die rechtliche Regelung der Union nach der Richtlinie 2005/29/EG jetzt auch in einigen Bereichen der Regelung der irreführenden Werbung als abschließend anzusehen ist, da es den Mitgliedstaaten jetzt nur freisteht, strengere Vorschriften auf diesem Gebiet zum Schutz von Gewerbetreibenden und Mitbewerbern vorzusehen (vgl. den sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29/EG sowie die neue Fassung des Art. 7 der Richtlinie 84/450/EWG).


    15 – Vgl. den elften Erwägungsgrund der Richtlinie 97/55/EG, nach dem die „Bedingungen für die vergleichende Werbung … kumulativ sein … und uneingeschränkt eingehalten werden [sollten]“. Vgl. auch Urteil Pippig Augenoptik, oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 54.


    16 – Siehe unten, Nrn. 54 ff.


    17 – Urteile vom 19. September 2006, Lidl Belgium (C‑356/04, Slg. 2006, I‑8501, Randnr. 26), und vom 19. April 2007, De Landtsheer Emmanuel (C‑381/05, Slg. 2007, I‑3115, Randnr.44).


    18 – Vgl. den achten Erwägungsgrund der Richtlinie 97/55/EG, in dem es heißt: „Ein Vergleich, der sich lediglich auf den Preis von Waren oder Dienstleistungen bezieht, sollte zulässig sein, wenn dabei bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Insbesondere darf er nicht irreführend sein.“ Vgl. auch Urteil Lidl Belgium, oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 56.


    19 – Urteil Lidl Belgium, oben in Fn. 17 angeführt, Randnrn. 34 bis 36.


    20 – Siehe oben, Nr. 37.


    21 – Vgl. z. B. Urteile Lidl Belgium und De Landtsheer Emmanuel, beide oben in Fn. 17 angeführt.


    22 – Siehe oben, Nr. 42.


    23 – Urteil Landtsheer Emmanuel, oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 66.


    24 – Ebd., Randnrn. 33 bis 37 und 43.


    25 – Ich verweise dafür auf meine Schlussanträge vom 30. November 2006 in der Rechtssache De Landtsheer Emmanuel, oben in Fn. 17 angeführt, Nrn. 98 bis 105.


    26 – Urteil Lidl Belgium, oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 76.


    27 – Urteil vom 16. Januar 1992, X (C‑373/90, Slg. 1992, I‑131, Randnr. 15), Urteile Pippig Augenoptik, oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 55, und Lidl Belgium, oben in Fn. 17 angeführt, Randnrn. 77 und 78 und die dort angeführte Rechtsprechung.


    28 – Urteil Pippig Augenoptik, oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 53.


    29 – Urteil Lidl Belgium, oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 61.


    30 – Ebd., Randnr. 83.

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