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Document 62008CJ0297

Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 4. März 2010.
Europäische Kommission gegen Italienische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Umwelt - Richtlinie 2006/12/EG - Art. 4 und 5 - Abfallbewirtschaftung - Bewirtschaftungsplan - Angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen - Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt - Höhere Gewalt - Störung der öffentlichen Ordnung - Organisierte Kriminalität.
Rechtssache C-297/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-01749

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:115

Rechtssache C-297/08

Europäische Kommission

gegen

Italienische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2006/12/EG – Art. 4 und 5 – Abfallbewirtschaftung – Bewirtschaftungsplan – Angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen – Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt – Höhere Gewalt – Störung der öffentlichen Ordnung – Organisierte Kriminalität“

Leitsätze des Urteils

1.        Umwelt – Abfälle – Richtlinie 2006/12 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten

(Richtlinie 2006/12 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 3)

2.        Umwelt – Abfälle – Richtlinie 2006/12 – Verpflichtung der zuständigen Behörden, einen oder mehrere Abfallbewirtschaftungspläne zu erstellen – Kriterien für die Lage von Beseitigungsanlagen

(Richtlinie 2006/12 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 5 Abs. 2)

3.        Umwelt – Abfälle – Richtlinie 2006/12 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten – Entscheidung über Abfallbewirtschaftungspläne auf regionaler Grundlage

(Richtlinie 2006/12 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1)

4.        Mitgliedstaaten – Verpflichtungen – Verstoß – Rechtfertigung – Höhere Gewalt – Voraussetzungen

(Art. 258 AEUV)

5.        Umwelt – Abfälle – Richtlinie 2006/12 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Verwertung oder Beseitigung von Abfällen zu gewährleisten

(Richtlinie 2006/12 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1)

1.        Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 über Abfälle haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu treffen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu errichten, die es zum einen der Gemeinschaft insgesamt erlauben müssen, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und zum anderen jedem einzelnen Mitgliedstaat, diese Autarkie anzustreben. Hierzu müssen die Mitgliedstaaten die geografischen Gegebenheiten oder den Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigen.

Hinsichtlich der Errichtung eines solchen integrierten Netzes verfügen die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum bei der Wahl der räumlichen Grundlage, die sie für geeignet halten, um in Bezug auf die Abfallbeseitigungskapazität eine nationale Entsorgungsautarkie zu erreichen und somit der Gemeinschaft zu erlauben, ihrerseits die Entsorgungsautarkie zu gewährleisten.

Wegen der Besonderheit bestimmter Abfallarten wie z. B. der gefährlichen Abfälle kann es sachgerecht sein, ihre Behandlung zum Zweck ihrer Beseitigung in einer Anlage oder in wenigen Anlagen auf nationaler Ebene oder sogar, wie es die Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 3 der Richtlinie 2006/12 ausdrücklich vorsehen, im Rahmen einer Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten zusammenzuführen.

(vgl. Randnrn. 61-63)

2.        Eine der wichtigsten dieser Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verpflichtung aus der Richtlinie 2006/12 über Abfälle, Abfallbewirtschaftungspläne zu erstellen, die insbesondere Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung des Einsammelns, Sortierens und Behandelns von Abfällen vorsehen können, zu ergreifen haben, ist die in Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene, die darin besteht, zu versuchen, den Abfall in einer so nahe wie möglich gelegenen Anlage zu verwerten.

Die Kriterien für die Lage von Abfallbeseitigungsorten müssen im Licht der Ziele der Richtlinie 2006/12 gewählt werden, zu denen u. a. der Gesundheits- und der Umweltschutz sowie die Errichtung eines integrierten und angemessenen Netzes von Beseitigungsanlagen gehören, wobei es dieses Netz insbesondere gestatten muss, dass die Abfälle in einer so nahe wie möglich gelegenen geeigneten Anlage beseitigt werden. So müssen diese Lagekriterien u. a. den Abstand solcher Orte von Habitaten, in denen die Abfälle entstehen, das Verbot der Ansiedlung von Anlagen in der Nähe sensibler Gebiete und das Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur für die Beförderung der Abfälle, etwa die Anbindung an Verkehrsnetze, umfassen.

Was ungefährliche Siedlungsabfälle betrifft, die grundsätzlich keiner besonderen Anlagen wie derjenigen bedürfen, die für die Behandlung gefährlicher Abfälle erforderlich sind, müssen sich die Mitgliedstaaten um die Schaffung eines Netzes bemühen, das es ermöglicht, dem Bedarf an Abfallbeseitigungsanlagen möglichst nahe den Orten der Abfallentstehung zu entsprechen, unbeschadet der Möglichkeit, ein solches Netz im Rahmen interregionaler oder gar grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu organisieren, die dem Grundsatz der Nähe genügt.

(vgl. Randnrn. 64-66)

3.        Hat ein Mitgliedstaat im Rahmen seines oder seiner Abfallbewirtschaftungspläne im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 über Abfälle im Besonderen die Entscheidung getroffen, die Abdeckung seines Hoheitsgebiets auf regionaler Grundlage zu organisieren, ist daraus zu folgern, dass jede mit einem Regionalplan ausgestattete Region grundsätzlich die Behandlung und Beseitigung ihrer Abfälle möglichst nahe am Ort ihrer Entstehung zu gewährleisten hat. Denn der für die Umweltpolitik der Gemeinschaft in Art. 191 AEUV aufgestellte Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, bedeutet, dass es Sache jeder Region, Gemeinde oder anderen Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfälle sicherzustellen; diese sind daher möglichst nahe am Ort ihrer Entstehung zu beseitigen, um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken.

Verfügt in einem solchen von einem Mitgliedstaat festgelegten innerstaatlichen Netz eine Region in erheblichem Umfang und über einen nennenswerten Zeitraum nicht über eine ausreichende Infrastruktur, um ihren Abfallbeseitigungsbedarf zu decken, kann daher geschlossen werden, dass solche erheblichen Unzulänglichkeiten auf regionaler Ebene geeignet sind, das genannte innerstaatliche Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu beeinträchtigen, das sich nicht in dem von der Richtlinie 2006/12 geforderten Sinne als integriert und angemessen und als geeignet erweisen wird, dem betreffenden Mitgliedstaat zu ermöglichen, für sich das Ziel der Entsorgungsautarkie im Sinne von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie anzustreben.

(vgl. Randnrn. 67-68)

4.        Das Verfahren nach Art. 258 AEUV beruht auf der objektiven Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt.

Wenn eine solche Feststellung getroffen worden ist, ist es unerheblich, ob der betreffende Mitgliedstaat den Verstoß absichtlich oder fahrlässig begangen hat oder ob der Verstoß auf technischen Schwierigkeiten des Mitgliedstaats beruht.

Was den von der örtlichen Bevölkerung gegen die Ansiedlung bestimmter Beseitigungsanlagen geleisteten Widerstand betrifft, kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf interne Umstände, wie z. B. im Stadium der Durchführung einer Handlung der Gemeinschaft auftretende Schwierigkeiten einschließlich solcher, die mit dem Widerstand von Privatpersonen in Zusammenhang stehen, berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben. Das Gleiche gilt für die Existenz krimineller Aktivitäten oder die Tätigkeit von Personen, die als am Rande der Legalität agierend dargestellt wurden, im Sektor der Abfallbewirtschaftung.

Auch in Bezug auf die Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen durch Unternehmen, die mit dem Bau bestimmter Abfallbeseitigungsanlagen beauftragt waren, setzt der Begriff der höheren Gewalt zwar keine absolute Unmöglichkeit voraus, erfordert aber, dass der Nichteintritt der fraglichen Tatsache auf vom Willen desjenigen, der sich auf höhere Gewalt beruft, unabhängigen, ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen beruht, deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können.

(vgl. Randnrn. 81-85)

5.        Zwar legt Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 über Abfälle die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um sicherzustellen, dass Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt beseitigt werden, inhaltlich nicht genau fest, er ist aber für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, wobei er ihnen allerdings einen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen belässt.

Es ist somit grundsätzlich nicht möglich, aus der Unvereinbarkeit einer tatsächlichen Situation mit den in diesem Art. 4 Abs. 1 festgelegten Zielen unmittelbar abzuleiten, dass der betreffende Mitgliedstaat zwangsläufig gegen die ihm durch diese Vorschrift auferlegten Verpflichtungen zum Erlass der Maßnahmen verstoßen hat, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. Das Fortbestehen einer solchen tatsächlichen Situation kann jedoch, namentlich wenn dies zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Umwelt über einen längeren Zeitraum führt, ohne dass die zuständigen Behörden eingreifen, darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten den ihnen durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessensspielraum überschritten haben.

(vgl. Randnrn. 96-97)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

4. März 2010(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2006/12/EG – Art. 4 und 5 – Abfallbewirtschaftung – Bewirtschaftungsplan – Angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen – Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt – Höhere Gewalt – Störung der öffentlichen Ordnung – Organisierte Kriminalität“

In der Rechtssache C‑297/08

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 3. Juli 2008,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Recchia, C. Zadra und J.‑B. Laignelot als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von K. Bacon, Barrister,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2009,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie für die Region Campania nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die Abfälle verwertet und beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet und ohne dass die Umwelt geschädigt wird, und insbesondere dadurch, dass sie kein angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen errichtet hat, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. L 114, S. 9) verstoßen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

2        Mit der Richtlinie 2006/12 wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) kodifiziert.

3        Die Erwägungsgründe 2, 6 und 8 bis 10 der Richtlinie 2006/12 haben folgenden Wortlaut:

„(2)      Jede Regelung der Abfallbewirtschaftung muss als wesentliche Zielsetzung den Schutz der menschlichen Gesundheit sowie der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der Sammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen haben.

(6)      Zur Erreichung eines hohen Umweltschutzniveaus haben die Mitgliedstaaten nicht nur für eine verantwortungsvolle Beseitigung und Verwertung der Abfälle zu sorgen, sondern auch Maßnahmen zu treffen, um das Entstehen von Abfällen zu begrenzen, und zwar insbesondere durch die Förderung sauberer Technologien und wiederverwertbarer und wiederverwendbarer Erzeugnisse, wobei bestehende oder potenzielle Absatzmöglichkeiten für verwertete Abfälle zu berücksichtigen sind.

(8)      Es ist für die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit wichtig, dass sie die Entsorgungsautarkie erreicht, und es ist wünschenswert, dass jeder einzelne Mitgliedstaat diese Autarkie anstrebt.

(9)      Damit diese Ziele erreicht werden, sollten die Mitgliedstaaten Abfallbewirtschaftungspläne erstellen.

(10)      Das Verbringen von Abfällen ist zu vermindern; zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Bewirtschaftungspläne die erforderlichen Maßnahmen treffen.“

4        Art. 4 der Richtlinie 2006/12 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfälle verwertet oder beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können, insbesondere ohne dass

a)      Wasser, Luft, Boden und die Tier- und Pflanzenwelt gefährdet werden;

b)      Geräusch‑ oder Geruchsbelästigungen verursacht werden;

c)      die Umgebung und das Landschaftsbild beeinträchtigt werden.

(2)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten.“

5        Art. 5 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen – in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, wenn sich dies als notwendig oder zweckmäßig erweist – Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, die den derzeit modernsten, keine übermäßig hohen Kosten verursachenden Technologien Rechnung tragen. Dieses Netz muss es der Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, wobei die geografischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.

(2)      Das in Absatz 1 genannte Netz muss es gestatten, dass die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten.“

6        Art. 7 der Richtlinie 2006/12 bestimmt:

„(1)      Zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 3, 4 und 5 erstellt (erstellen) die in Artikel 6 genannte(n) zuständige(n) Behörde(n) so bald wie möglich einen oder mehrere Abfallbewirtschaftungspläne. Diese Pläne umfassen insbesondere Folgendes:

a)      Art, Menge und Ursprung der zu verwertenden oder zu beseitigenden Abfälle;

b)      allgemeine technische Vorschriften;

c)      besondere Vorkehrungen für bestimmte Abfälle;

d)      geeignete Flächen für Deponien und sonstige Beseitigungsanlagen.

(2)      In den in Absatz 1 genannten Plänen können beispielsweise angegeben sein:

c)      Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung des Einsammelns, Sortierens und Behandelns von Abfällen.

(3)      Die Mitgliedstaaten arbeiten bei der Erstellung dieser Pläne gegebenenfalls mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission zusammen. Sie übermitteln diese Pläne der Kommission.

…“

 Nationales Recht

7        Die Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12 wurden durch das Decreto legislativo Nr. 152 vom 3. April 2006 über Umweltnormen (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 96 vom 14. April 2006) in italienisches Recht umgesetzt.

8        Art. 178 Abs. 2 dieses Decreto bestimmt:

„Abfälle müssen verwertet oder beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können, insbesondere ohne dass

a)      Wasser, Luft, Boden und die Tier- und Pflanzenwelt gefährdet werden;

b)      Geräusch- oder Geruchsbelästigungen verursacht werden;

c)      die Umgebung und das Landschaftsbild, die nach geltendem Recht geschützt sind, beeinträchtigt werden.“

9        Art. 182 Abs. 3 dieses Decreto sieht vor:

„Die Abfallbeseitigung erfolgt über ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen unter Einsatz der besten verfügbaren Techniken und unter Berücksichtigung des Gesamt-Kosten-Nutzen-Verhältnisses, um

a)      die Autarkie auf dem Gebiet der Beseitigung ungefährlicher Siedlungsabfälle in optimalen räumlichen Bereichen zu erreichen;

b)      zu ermöglichen, dass die Abfälle in einer der hierzu geeigneten, den Orten der Entstehung und Sammlung am nächsten gelegenen Anlagen beseitigt werden, um das Verbringen dieser Abfälle zu vermindern, wobei die geografischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden;

c)      Methoden und Technologien einzusetzen, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Umwelt- und Gesundheitsschutzes zu gewährleisten.“

10      In der Legge regionale della regione Campania (Regionalgesetz für die Region Campania) Nr. 10/93 sulle „Norme e procedure per lo smaltimento dei rifitui in Campania“ (über Normen und Verfahren für die Abfallbeseitigung in der Region Campania) vom 10. Februar 1993 wurden 18 einheitliche räumliche Gebiete festgelegt, in denen die Bewirtschaftung der Beseitigung der in den jeweiligen Einzugsgebieten entstandenen Siedlungsabfälle im Wege des Anschlusszwangs für die in diesen Gebieten belegenen Gemeinden vorzunehmen war.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

11      Die vorliegende Klage betrifft die Region Campania, die 551 Gemeinden, u. a. auch die Stadt Neapel, umfasst. Diese Region hat Probleme mit der Bewirtschaftung und Beseitigung von Siedlungsabfällen.

12      Nach den Angaben der Italienischen Republik in ihrer Klagebeantwortung wurde in dieser Region im Jahr 1994 der Notstand ausgerufen und es wurde ein Commissario delegato (bevollmächtigter Kommissar) ernannt, der die Aufgaben und Befugnisse auf sich vereinigte, die üblicherweise anderen öffentlichen Einrichtungen übertragen sind, um rasch die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die gemeinhin als „Abfallkrise“ bezeichnete Situation zu bewältigen.

13      Im Jahr 1997 wurde ein Bewirtschaftungsplan für Siedlungsabfälle gebilligt. Er sah ein System von Industrieanlagen zur thermischen Abfallverwertung vor, das durch ein auf der Ebene der Region Campania organisiertes System differenzierter Sammlung gespeist werden sollte.

14      Durch Ordinanza ministeriale (Ministeriellen Beschluss) Nr. 2774 vom 31. März 1998 wurde die Entscheidung getroffen, ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen, um für einen Zeitraum von zehn Jahren die Abfallbehandlung privaten Wirtschaftsteilnehmern zu übertragen, die in der Lage sind, Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall sowie zur Verbrennung und zur thermischen Verwertung zu errichten.

15      Im Laufe des Jahres 2000 erhielten die zur Impregilo‑Gruppe gehörenden Gesellschaften Fibe SpA und Fibe Campania SpA den Zuschlag für die fraglichen Aufträge. Diese Gesellschaften sollten sieben Einrichtungen zur Erzeugung von Brennstoff aus Abfall und zwei Anlagen zur thermischen Verwertung in Acerra und Santa Maria La Fossa errichten und betreiben. Die Gemeinden in der Region Campania waren verpflichtet, die Behandlung ihrer Abfälle diesen Gesellschaften anzuvertrauen.

16      Die Ausführung des Plans stieß jedoch auf Schwierigkeiten, zum einen aufgrund des Widerstands der Wohnbevölkerung bestimmter Gegenden gegen die ausgewählten Standorte und zum anderen wegen der geringen Menge eingesammelter und dem regionalen Dienst übergebener Abfälle. Außerdem verzögerte sich der Bau der Anlagen, und es wurden Mängel bei deren Planung festgestellt, so dass sich die Abfälle, da sie in den fraglichen Einrichtungen nicht behandelt werden konnten, auf den verfügbaren Deponien und Lagerplätzen bis zur Überlastungsgrenze ansammelten.

17      Die Staatsanwaltschaft Neapel leitete auch ein Untersuchungsverfahren zum Nachweis von Betrugsdelikten im Rahmen der öffentlichen Aufträge ein. Die Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall in der Region Campania wurden daher gerichtlich beschlagnahmt, was die Anpassung ihrer Ausstattung unmöglich machte. Schließlich wurden die Verträge zwischen der Verwaltung und der Fibe SpA sowie der Fibe Campania SpA aufgelöst, jedoch soll die Neuvergabe dieser Aufträge zur Abfallbeseitigung in dieser Region im Wege der Ausschreibung insbesondere aufgrund einer unzureichenden Anzahl zulässiger Angebote mehrfach gescheitert sein.

 Vorverfahren

18      Die Lage in der Region Campania wurde zwischen den Dienststellen der Kommission und den italienischen Behörden erörtert. So erläuterte der Commissario delegato für die Abfallkrise in einer Note vom 16. Mai 2007 der Kommission die Gründe, die zum Erlass des Decreto legge Nr. 61 vom 11. Mai 2007 geführt hatten, das „außerordentliche Maßnahmen zur Bewältigung der krisenhaften Lage auf dem Sektor der Abfallbeseitigung in der Region Campania“ vorsah, zu denen u. a. der Bau vier neuer Deponien in den Gemeinden Serre, Savignano Irpino, Tezigno und Sant’Arcangelo Trimonte gehörte.

19      Dieser Note zufolge waren die vorgesehenen Sondermaßnahmen gerechtfertigt, „um der Seuchengefahr oder anderen Krisen im Gesundheitsbereich vorzubeugen und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen“. In diesem Dokument wurde eingeräumt, dass „die Krise letztlich dadurch verschärft wurde, dass es an geeigneten Deponien für eine endgültige Beseitigung der Abfälle fehlte“, und dieser Zustand wurde als „alarmierende soziale Lage, als Gefährdung der Grundrechte der Bürger der Region Campania und als auch unter umweltpolitischen Gesichtspunkten äußerst besorgniserregend eingestuft“, denn „die außerhalb der Kontrolle durch die zuständigen öffentlichen Einrichtungen entstandenen illegalen Deponien, die spontan entstandenen oder absichtlich gelegten Brände abgelagerter Abfälle sind geeignet, die Umwelt dadurch zu schädigen, dass Schadstoffe (insbesondere Dioxin) in die Atmosphäre emittiert und in den Boden eingetragen werden, was die Gefahr einer irreparablen Schädigung der wasserführenden Schichten heraufbeschwört“.

20      Da die Kommission der Ansicht war, dass die von der Italienischen Republik ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichten, um ein hohes Niveau des Umwelt- und Gesundheitsschutzes zu gewährleisten, insbesondere ein angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu errichten, und dass dieser Mitgliedstaat daher gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12 verstoßen habe, übersandte sie ihm am 29. Juni 2007 ein Mahnschreiben, in dem sie ihn zur Stellungnahme binnen einem Monat nach Erhalt dieses Schreibens aufforderte.

21      Auf Einladung der Italienischen Republik begab sich im Juli 2007 eine Abordnung der Kommission nach Neapel, um mit den Behörden zusammenzutreffen und an Ort und Stelle Feststellungen zur tatsächlichen Lage zu treffen.

22      Mit Schreiben vom 3. August 2007 antwortete die Italienische Republik auf das Mahnschreiben und fügte als Anlage eine Note des Generaldirektors des Ministero dell’ambiente e della tutela del territorio – Direzione per la qualità della vita (Ministerium für Umwelt- und Landschaftsschutz – Direktion „Lebensqualität“) vom 2. August 2007 bei. Aufgrund der bei ihr eingegangenen Informationen hielt es die Kommission für angezeigt, die Beschwerdepunkte auf einen Verstoß gegen die Art. 3 und 7 der Richtlinie 2006/12 zu erweitern, und übersandte dementsprechend diesem Mitgliedstaat am 23. Oktober 2007 ein ergänzendes Mahnschreiben, in dem sie ihn zur Stellungnahme binnen zwei Monaten nach dessen Erhalt aufforderte.

23      Am 20. November 2007 fand ein erneutes Treffen in Brüssel statt, bei dem die Italienische Republik einen neuen Vorschlag für einen Abfallbewirtschaftungsplan für die Region Campania vorlegte und eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung der Lage, insbesondere des Fortgangs der Errichtung bestimmter Infrastrukturanlagen wie Deponien, abgab. Dieser Plan wurde am 28. Dezember 2007 angenommen.

24      Mit Schreiben vom 24. Dezember 2007 antwortete die Italienische Republik auf das ergänzende Mahnschreiben und fügte ihrer Antwort eine Note des Ministeriums für Umwelt- und Landschaftsschutz vom 21. Dezember 2007 bei.

25      Am 28. Januar 2008 fand in Rom ein „Paket-Treffen“ zwischen der Italienischen Republik und der Kommission statt, bei dem die Italienische Republik zur Frage der Abfallbewirtschaftung in der Region Campania den Inhalt eines neuen Plans vorstellte, mit dem die Krise bis Ende November 2008 bewältigt werden sollte.

26      In Anbetracht der von der Italienischen Republik in ihren diversen Schreiben gelieferten sowie der aus anderen Quellen, wie Medien, Verbänden, Organisationen und Privatpersonen, stammenden Informationen sandte die Kommission diesem Mitgliedstaat am 1. Februar 2008 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, mit der sie ihn aufforderte, dieser Stellungnahme wegen der Dringlichkeit der Lage binnen einem Monat nachzukommen. Die Italienische Republik antwortete auf diese Stellungnahme mit der Kommission am 4. März 2008 übermitteltem Schreiben, dem drei Noten von Verantwortungsträgern der Region beigefügt waren.

27      In Anbetracht dieser Informationen hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

28      Mit Beschluss vom 2. Dezember 2008 hat der Präsident des Gerichtshofs das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Italienischen Republik zugelassen.

 Zur Klage

29      Die Kommission stützt ihre Klage auf den Vorwurf, die Italienische Republik habe zum einen dadurch gegen die Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12 verstoßen, dass sie kein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen errichtet habe, das geeignet sei, auf der Grundlage des Kriteriums der räumlichen Nähe die Autarkie auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung zu gewährleisten, und zum anderen dadurch, dass diese Situation eine Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt heraufbeschworen habe.

30      Nach Ansicht der Kommission erkennt die Italienische Republik die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung an. Sie hält dies u. a. durch den Inhalt der von der Italienischen Republik im Vorverfahren gegebenen Antworten für erwiesen. So habe die italienische Regierung in ihrer Antwort auf das ursprüngliche Mahnschreiben den 1997 gebilligten regionalen Abfallbewirtschaftungsplan dargestellt und eingeräumt, dass „das integrierte Abfallbewirtschaftungssystem, obwohl es in dem Regionalplan zutreffend umschrieben wurde, gegenwärtig noch immer nicht verwirklicht“ worden sei, und zwar insbesondere wegen der summierten Verzögerungen beim Bau zweier in Acerra und Santa Maria La Fossa vorgesehener Verbrennungsanlagen sowie der Schließung von Deponien. Damit hätten die italienischen Behörden die „Lähmung des Systems“ sowie die illegale oder unkontrollierte Ablagerung von Abfällen eingeräumt, die sie als „in der Region Campania verbreitetes und von Zweigen der organisierten Kriminalität gelenktes Phänomen [eingestuft hätten], zu dem die Justizbehörden verschiedene Untersuchungsverfahren eingeleitet“ hätten.

31      In ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme habe die Italienische Republik bestätigt, dass das Problem nicht gelöst sei, und aus den von diesem Mitgliedstaat gegebenen Antworten – so die Kommission –, insbesondere aus den Zeiträumen, die zur Errichtung der im letzten Bewirtschaftungsplan vorgesehenen Infrastruktureinrichtungen erforderlich seien, sowie aus den innerstaatlichen Presseveröffentlichungen gehe hervor, dass dieser Mitgliedstaat bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch weit davon entfernt gewesen sei, ein auf dem Kriterium der Nähe beruhendes integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen geschaffen zu haben.

32      Im Übrigen werde das Andauern der Vertragsverletzung durch bestimmte Informationen bestätigt, die nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eingegangen seien. So habe die Italienische Republik in Mitteilungen an die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union vom 21. und 28. April 2008 eingeräumt, dass die an den Standorten Savignano Irpino und Sant’Arcangelo Trimonte vorgesehenen Deponien frühestens im Juli 2008 in Betrieb genommen würden und somit bis zu diesem Zeitpunkt nur die im Gebiet der Gemeinde Serre gelegene Deponie von Macchia Soprana für die gesamte Region Campania in Betrieb sein werde.

33      Die Kommission stützt sich ferner auf eine am 4. Juni 2008 übermittelte Note, mit der ihr die Italienische Republik das Decreto legge Nr. 90 vom 23. Mai 2008 (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 120 vom 23. Mai 2008, im Folgenden: Decreto legge Nr. 90) notifiziert habe. Dieses Decreto legge sei seinem Wortlaut nach ein Eingeständnis der Missstände des Abfallbeseitigungssystems in der Region Campania. Die Kommission weist zudem darauf hin, dass der wegen der Abfallkrise ausgerufene Notstand zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage nicht aufgehoben gewesen sei und bis zum 31. Dezember 2009 habe aufrechterhalten werden müssen.

34      Es ist jedoch festzustellen, dass die Italienische Republik entgegen dem Vorbringen der Kommission bestreitet, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12 verstoßen zu haben. Daher ist zu prüfen, ob die Rügen, auf die die Kommission ihre Klage stützt, begründet sind.

 Zum Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

35      Nach Ansicht der Kommission kann nur dann davon ausgegangen werden, dass ein Mitgliedstaat ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen, wie nach Art. 5 der Richtlinie 2006/12 erforderlich, eingerichtet hat, wenn er über eine Gesamtheit technischer Strukturen verfügt, die zum einen ermöglichen sollen, dass Abfälle, die nicht verwertet und/oder wiederverwendet werden können, ohne Gefährdung der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung beseitigt werden, und zum anderen, dass zum Zweck der Einhaltung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe die Aufnahmekapazität der zur Abfallbeseitigung bestimmten Einrichtungen wie Verbrennungsanlagen und Deponien den Abfallmengen entspricht, die in der betreffenden Region gegebenenfalls zu beseitigen sind.

36      In dieser Hinsicht weise das in der Region Campania eingerichtete System jedoch unzweifelhaft Mängel auf. So erfasse die differenzierte Sammlung nur 10,6 % der entstandenen Abfälle gegenüber einem Gemeinschaftsdurchschnitt von 33 % und einem innerstaatlichen Durchschnitt, der zwischen 19,4 % für die Regionen Mittelitaliens und 38,1 % für die Regionen im Norden dieses Mitgliedstaats schwanke.

37      Ferner werde der größte Teil der Abfälle in der Region Campania deponiert oder illegal abgelagert, obwohl die Deponien möglichst wenig genutzt werden sollten, weil sie die für die Umwelt schlechteste Lösung darstellten. Darüber hinaus seien die zur Beseitigung der Abfälle bestimmten Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall unzulänglich und beschränkten sich in Wirklichkeit auf deren Behandlung, so dass die Abfälle anschließend zum Zweck ihrer endgültigen Beseitigung zu anderen Einrichtungen befördert werden müssten.

38      Die in den Gemeinden Acerra und Santa Maria La Fossa vorgesehenen Verbrennungsanlagen hätten den Betrieb noch immer nicht aufgenommen, und in der gesamten Region gebe es nur eine einzige legale in Betrieb befindliche Deponie, die in Serre, deren Aufnahmekapazität weit unter dem tatsächlichen Bedarf liege. Schließlich seien viele Tonnen Abfall zur Beseitigung nach Deutschland und in andere Regionen Italiens befördert worden, und es sei ein Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden, das weitere Verbringungen vorsehe.

39      Nach Angaben der Kommission beliefen sich zusätzlich zu den auf kommunalen Lagerplätzen der Entsorgung harrenden 110 000 bis 120 000 Tonnen Müll die in öffentlichen Straßen herumliegenden Abfälle am 2. März 2008 auf 55 000 Tonnen. Der Gerichtshof habe aber im Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, Slg. 2005, I‑3331), entschieden, dass ein System von Deponien, das einer Überlastung nahe sei, und die Existenz von Ablagerungen im ganzen Land einen Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12 darstellten.

40      Die Italienische Republik beantragt, die Klage abzuweisen. Ihrer Ansicht nach beruht der Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12 auf einer unzureichenden Untersuchung der historischen Gründe für die in der Region Campania herrschende ernste Lage. Außerdem habe die Italienische Republik alle erdenklichen Anstrengungen unternommen, um diese Krise einzudämmen, sei es durch Einsatz erheblicher administrativer und militärischer Mittel, sei es durch die getätigten hohen finanziellen Investitionen (400 Millionen Euro zwischen 2003 und 2008).

41      Was die Abfallsammlung betrifft, erkennt die Italienische Republik zwar an, dass die von der Kommission als regionaler Durchschnitt vorgelegten Zahlen zuträfen, sie weist jedoch darauf hin, dass außerordentliche Initiativen zur Sammlung ergriffen worden seien und ganz allgemein eine Erhöhung des Umfangs der differenzierten Sammlung in der Region Campania unterstützt werde, die durch die Anwendung des Beschlusses Nr. 3639/08 des Präsidenten des Ministerrats weiter zunehmen müsste. So seien zwischen dem 14. Januar und dem 1. März 2008 348 000 Tonnen Abfälle, insbesondere in den Straßen, eingesammelt und in Sicherheit gebracht worden. Gegenwärtig übersteige die Gesamtkapazität zur Abfallbeseitigung den täglichen Anfall in der Region. 530 Gemeinden hätten erste Maßnahmen getroffen, um die differenzierte Sammlung durchzuführen, 73 Gemeinden (etwa 370 000 Einwohner) hätten Prozentsätze von 50 % bis 90 % erreicht, während sich 134 Gemeinden (etwa 1 Million Einwohner) zwischen 25 % und 50 % bewegten.

42      Im Übrigen seien im Juni 2008 die Deponie in Savignano Irpino und danach die in San Arcangelo Trimonte eröffnet worden. Hinsichtlich der Verbrennungsanlagen sehe der in dem Decreto legge Nr. 90 vorgesehene neue Plan zusätzlich zu den Verbrennungsanlagen in Acerra und Santa Maria La Fossa den Bau zweier weiterer in Neapel und Salerno vor. Ferner befänden sich weitere Infrastruktureinrichtungen wie die Deponien in Chiaiano, Terzigno, Sant Tammaro und Andretta oder auch die Anlagen zur thermischen Verwertung in Acerra und Salerno im Bau.

43      In Bezug auf die sieben Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall, von denen die Kommissionen behauptet, sie seien noch nicht betriebsbereit, macht die Italienische Republik geltend, dass die in diesen Anlagen festgestellten Störungen auf Vertragsverletzungen oder gar unerlaubte oder kriminelle Handlungen zurückzuführen seien, auf die sie keinen Einfluss habe.

44      Was die Deponien angeht, räumt die Italienische Republik zwar ein, dass zu dem in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Zeitpunkt nur die Deponie von Macchia Soprana in Serre in Betrieb gewesen sei, sie betont jedoch, dass die Eröffnung weiterer Deponien durch die Protestaktionen der Bevölkerung, die sogar den Einsatz bewaffneter Kräfte erforderlich gemacht hätten, verhindert worden sei.

45      Alle diese Umstände seien geeignet, einen Fall höherer Gewalt im Sinne der Rechtsprechung zu begründen.

46      Die Italienische Republik ist daher der Ansicht, dass der Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12 nicht ihrer Untätigkeit zuzurechnen sei, und sie unterstreicht darüber hinaus, dass die unzulässige Ablagerung von Abfällen im Gebiet der Region Campania Gegenstand ständiger Verbesserungsbemühungen sei und zu keinem Zeitpunkt eine von den nationalen Behörden vorgeschlagene, angeregte oder gebilligte Lösung gewesen sei; diese hätten alles in ihren Kräften Stehende getan, um – auch durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel – die Beseitigung dieser Abfälle zu gewährleisten.

47      Zur Möglichkeit der Annahme eines Falles höherer Gewalt erinnert die Kommission in ihrer Erwiderung daran, dass dieser Begriff verlange, dass die in Rede stehende Tatsache oder ihr Nichteintritt „auf Umstände zurückzuführen ist, die derjenige, der sich darauf beruft, nicht zu vertreten hat, die anomal und unvorhersehbar sind und deren Folgen auch bei aller Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können“ (Urteil vom 8. März 1988, McNicholl u. a., 296/86, Slg. 1988, 1491, Randnr. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Zudem könnten dann, wenn eine Tatsache einen Fall höherer Gewalt habe darstellen können, seine Auswirkungen nur für eine gewisse Zeit andauern, nämlich für die Zeit, die eine Verwaltung bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt hätte, um der ihrem Einfluss entzogenen Krise ein Ende zu setzen (Urteil vom 11. Juli 1985, Kommission/Italien, 101/84, Slg. 1985, 2629, Randnr. 16).

49      Die Kommission weist jedoch darauf hin, dass die Unzulänglichkeit des Abfallbeseitigungssystems in der Region Campania seit dem Jahr 1994 bestehe. Die Proteste und Störungen der öffentlichen Ordnung durch die ortsansässige Bevölkerung seien vorhersehbar gewesen, und sie seien insofern nicht außergewöhnlich, als die Krise und die Proteste, zu denen sie geführt habe, gerade das Ergebnis des anhaltenden Versäumnisses der nationalen Behörden seien, ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/12 nachzukommen.

50      Zur Präsenz krimineller Vereinigungen weist die Kommission darauf hin, dass dieser Umstand, wäre er nachgewiesen, den Verstoß des Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/12 nicht rechtfertigen könnte (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2007, Kommission/Italien, C‑263/05, Slg. 2007, I‑11745, Randnr. 51).

51      Was schließlich den Umstand betrifft, dass die Unternehmen, die als Bieter einen Zuschlag erhalten hatten, ihre vertraglichen Verpflichtungen zur Bereitstellung von Abfallbehandlungsanlagen nicht erfüllt haben, ist die Kommission der Ansicht, dies könne insbesondere deshalb kein ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Umstand sein, weil die Behörden entgegen dem Vorbringen der Italienischen Republik spezielle Klauseln hätten vorsehen können, um sich dagegen zu wappnen.

52      Zu der von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten strafrechtlichen Verfolgung einiger Verantwortlicher dieser Unternehmen und zur Schwierigkeit der Behörden, andere Bieter zu finden, die die betreffenden Tätigkeiten übernommen hätten, führt die Kommission aus, dass sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen könne, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2007, Kommission/Italien, Randnr. 51).

53      Das Vereinigte Königreich beschränkt seine Stellungnahme auf die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 2006/12. Es ist der Ansicht, dass die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dieser Bestimmung, anders als es die Kommission durch die Erhebung der vorliegenden Klage nahelege, auf nationaler Ebene, nicht aber auf regionaler Ebene gälten. So seien die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe, wonach das integrierte und angemessene Netz von Beseitigungsanlagen „es der Gemeinschaft insgesamt erlauben [muss], die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen [muss], diese Autarkie anzustreben“, und zwar „in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen“, auf das Gebiet der Gemeinschaft oder eines Staates, nicht aber das einer Region bezogen zu verstehen.

54      Dementsprechend teilt dieser Mitgliedstaat nicht den Standpunkt der Kommission, dass ein Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12 vorliege, wenn in einer bestimmten Region eines Mitgliedstaats die Abfallbeseitigungsanlagen nicht ausreichten, um dem Entsorgungsbedarf dieser Region zu entsprechen. Die Mitgliedstaaten könnten nämlich – wie es das Vereinigte Königreich für gefährliche Abfälle geregelt habe – die Lösung wählen, bestimmte Arten von Abfällen aus einer Region zu verbringen, um sie in Anlagen in anderen Regionen behandeln und beseitigen zu lassen, sofern gewährleistet sei, dass das innerstaatliche Netz an Abfallbeseitigungsanlagen den gesamten innerstaatlichen Bedarf decke.

55      Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätige diese nationale Ausrichtung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie, und im Übrigen spreche der Wortlaut von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. L 312, S. 3) für eine solche Auslegung, denn in diesem Artikel der neuen Abfallrichtlinie heiße es, dass „[d]ie Grundsätze der Nähe und der Entsorgungsautarkie … nicht [bedeuten], dass jeder Mitgliedstaat über die gesamte Bandbreite von Anlagen zur endgültigen Verwertung verfügen muss“.

56      Die Italienische Republik schließt sich der Meinung des Vereinigten Königreichs an und verweist darauf, dass der Einfluss der Region Campania auf die Entstehung von Abfällen in Italien begrenzt sei.

57      Die Kommission, die die Ansicht vertritt, dass die vom Vereinigten Königreich aufgeworfenen Auslegungsfragen im Rahmen der vorliegenden Klage nicht von Belang seien, räumt ein, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die für die Abfallbewirtschaftung angemessene Verwaltungsebene zu bestimmen. So genüge es für die Einhaltung von Art. 5 der Richtlinie 2006/12, wenn ein Mitgliedstaat nur über eine einzige innerstaatliche Einrichtung, sofern diese die Behandlung der entstandenen Abfälle abdecke, oder nur über einige Spezialanlagen verfüge, wie z. B. diejenigen zur Behandlung gefährlicher Abfälle im Vereinigten Königreich.

58      Sie unterstreicht jedoch, dass bei der Feststellung, wie die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auszulegen seien, auch die Art der Abfälle und die entstandene Abfallmenge zu berücksichtigen seien. Der Hausmüll entstehe aber an Ort und Stelle und täglich, was grundsätzlich eine nahezu unverzügliche und ortsnahe Sammlung und Behandlung erforderlich mache.

59      Die Italienische Republik habe als geografischen Parameter für die Entsorgungsautarkie und die Nähe die Lösung einer Bewirtschaftung auf der Ebene des optimalen räumlichen Bereichs („ambito territoriale ottimale“) gewählt. Die Kommission beanstande insoweit nicht, dass dieser Mitgliedstaat für die Errichtung eines integrierten Systems der Abfallbewirtschaftung und -beseitigung diese Verwaltungsebene herangezogen habe. Sie mache ihm vielmehr den Vorwurf, ein solches System nicht in der Region Campania eingerichtet zu haben, wo ganz konkret die Abfälle nicht in Anlagen nahe dem Ort ihrer Entstehung beseitigt würden und wo die Verbringung von Abfällen in andere Regionen oder andere Mitgliedstaaten nur punktuelle Ad‑hoc‑Maßnahmen in der Gesundheits- und Umweltkrise gewesen und daher kein Bestandteil eines integrierten Systems von Beseitigungsanlagen seien.

 Würdigung durch den Gerichtshof

60      Aufgrund der von der Kommission im Vorverfahren geltend gemachten Argumente und der im Verfahren vor dem Gerichtshof eingereichten Schriftsätze ist festzustellen, dass die Kommission mit ihrer Klage ganz allgemein auf die Frage der Abfallbeseitigung in der Region Campania und, wie aus ihrer Antwort auf den vom Vereinigten Königreich eingereichten Streithilfeschriftsatz hervorgeht, im Besonderen auf die Beseitigung der Siedlungsabfälle abzielt. Ungeachtet ihrer Antwort auf eine in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage ersucht sie den Gerichtshof daher nicht um die Feststellung einer Vertragsverletzung der Italienischen Republik in Bezug auf die besondere Gruppe der gefährlichen Abfälle, die teilweise unter die Richtlinie 91/689/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle (ABl. L 377, S. 20) fallen.

61      Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu treffen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu errichten, die es zum einen der Gemeinschaft insgesamt erlauben müssen, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und zum anderen jedem einzelnen Mitgliedstaat, diese Autarkie anzustreben. Hierzu müssen die Mitgliedstaaten die geografischen Gegebenheiten oder den Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigen.

62      Hinsichtlich der Errichtung eines solchen integrierten Netzes verfügen die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum bei der Wahl der räumlichen Grundlage, die sie für geeignet halten, um in Bezug auf die Abfallbeseitigungskapazität eine nationale Entsorgungsautarkie zu erreichen und somit der Gemeinschaft zu erlauben, ihrerseits die Entsorgungsautarkie zu gewährleisten.

63      Wie das Vereinigte Königreich zutreffend ausgeführt hat, kann es wegen der Besonderheit bestimmter Abfallarten wie z. B. der gefährlichen Abfälle sachgerecht sein, ihre Behandlung zum Zweck ihrer Beseitigung in einer Anlage oder in wenigen Anlagen auf nationaler Ebene oder sogar, wie es die Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 3 der Richtlinie 2006/12 ausdrücklich vorsehen, im Rahmen einer Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten zusammenzuführen.

64      Der Gerichtshof hat jedoch bereits hervorgehoben, dass eine der wichtigsten dieser Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verpflichtung aus der Richtlinie 2006/12, Abfallbewirtschaftungspläne zu erstellen, die insbesondere „Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung des Einsammelns, Sortierens und Behandelns von Abfällen“ vorsehen können, zu ergreifen haben, die in Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene ist, die darin besteht, zu versuchen, den Abfall in einer so nahe wie möglich gelegenen Anlage zu verwerten (vgl. Urteil vom 9. Juni 2009, Kommission/Deutschland, C‑480/06, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 37).

65      So hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass die Kriterien für die Lage von Abfallbeseitigungsorten im Licht der Ziele der Richtlinie 2006/12 gewählt werden müssen, zu denen u. a. der Gesundheits- und der Umweltschutz sowie die Errichtung eines integrierten und angemessenen Netzes von Beseitigungsanlagen gehören, wobei es dieses Netz insbesondere gestatten muss, dass die Abfälle in einer so nahe wie möglich gelegenen geeigneten Anlage beseitigt werden. So müssen diese Lagekriterien u. a. den Abstand solcher Orte von Habitaten, in denen die Abfälle entstehen, das Verbot der Ansiedlung von Anlagen in der Nähe sensibler Gebiete und das Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur für die Beförderung der Abfälle, etwa die Anbindung an Verkehrsnetze, umfassen (vgl. Urteil vom 1. April 2004, Commune de Braine-le-Château u. a., C‑53/02 und C‑217/02, Slg. 2004, I‑3251, Randnr. 34).

66      Was ungefährliche Siedlungsabfälle betrifft, die grundsätzlich keiner besonderen Anlagen wie derjenigen bedürfen, die für die Behandlung gefährlicher Abfälle erforderlich sind, müssen sich die Mitgliedstaaten um die Schaffung eines Netzes bemühen, das es ermöglicht, dem Bedarf an Abfallbeseitigungsanlagen möglichst nahe den Orten der Abfallentstehung zu entsprechen, unbeschadet der Möglichkeit, ein solches Netz im Rahmen interregionaler oder gar grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu organisieren, die dem Grundsatz der Nähe genügt.

67      Hat demnach, wie die Kommission ausgeführt hat, ein Mitgliedstaat im Rahmen seines oder seiner „Abfallbewirtschaftungspläne“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 im Besonderen die Entscheidung getroffen, die Abdeckung seines Hoheitsgebiets auf regionaler Grundlage zu organisieren, ist daraus zu folgern, dass jede mit einem Regionalplan ausgestattete Region grundsätzlich die Behandlung und Beseitigung ihrer Abfälle möglichst nahe am Ort ihrer Entstehung zu gewährleisten hat. Denn der für die Umweltpolitik der Gemeinschaft in Art. 191 AEUV aufgestellte Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, bedeutet, dass es Sache jeder Region, Gemeinde oder anderen Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfälle sicherzustellen; diese sind daher möglichst nahe am Ort ihrer Entstehung zu beseitigen, um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken (vgl. Urteil vom 17. März 1993, Kommission/Rat, C‑155/91, Slg. 1993, I‑939, Randnr. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Verfügt in einem solchen von einem Mitgliedstaat festgelegten innerstaatlichen Netz eine Region in erheblichem Umfang und über einen nennenswerten Zeitraum nicht über eine ausreichende Infrastruktur, um ihren Abfallbeseitigungsbedarf zu decken, kann daher geschlossen werden, dass solche erheblichen Unzulänglichkeiten auf regionaler Ebene geeignet sind, das genannte innerstaatliche Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu beeinträchtigen, das sich nicht in dem von der Richtlinie 2006/12 geforderten Sinne als integriert und angemessen und als geeignet erweisen wird, dem betreffenden Mitgliedstaat zu ermöglichen, für sich das Ziel der Entsorgungsautarkie im Sinne von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie anzustreben.

69      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission betont hat, die Italienische Republik selbst die Entscheidung getroffen hat, die Abfälle auf der Ebene der Region Campania als dem „optimalen räumlichen Bereich“ zu bewirtschaften. Wie der Legge regionale von 1993 und dem regionalen Abfallbewirtschaftungsplan von 1997 in der Fassung des Plans von 2007 zu entnehmen ist, hat sie nämlich beschlossen, zur Erreichung einer regionalen Entsorgungsautarkie die Gemeinden der Region Campania zu verpflichten, die in ihrem jeweiligen Gebiet gesammelten Abfälle dem regionalen Dienst zu übergeben, wobei eine solche Verpflichtung im Übrigen erforderlich sein kann, um einen für die Wirtschaftlichkeit der Entsorgungsanlagen unerlässlichen Auslastungsgrad sicherzustellen, und dadurch bestehende Entsorgungskapazitäten erhalten werden können, die zur Verwirklichung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie auf einzelstaatlicher Ebene beitragen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2001, DaimlerChrysler, C‑324/99, Slg. 2001, I‑9897, Randnr. 62).

70      Da zudem nach den Angaben der Italienischen Republik zum einen die in der Region Campania anfallenden Siedlungsabfälle etwa 7 %, also einen nicht zu vernachlässigenden Teil des in ganz Italien entstehenden Abfalls ausmachten und zum anderen der Anteil der Bevölkerung in dieser Region an der Gesamtbevölkerung Italiens etwa 9 % beträgt, ist ein beträchtliches Kapazitätsdefizit in dieser Region bei der Beseitigung ihrer Abfälle geeignet, den betreffenden Mitgliedstaat ernsthaft in seinen Möglichkeiten zu beeinträchtigen, das Ziel einer nationalen Entsorgungsautarkie anzustreben.

71      Demnach ist zu prüfen, ob diese Region innerhalb des nationalen italienischen Netzes von Abfallbeseitigungsanlagen über hinreichende Anlagen verfügt, die eine Beseitigung der Siedlungsabfälle nahe dem Ort ihrer Entstehung ermöglichen.

72      Die Italienische Republik hat insoweit eingeräumt, dass die Zahl der in Betrieb befindlichen Anlagen, seien es Deponien, Verbrennungsanlagen oder Zentralen zur thermischen Verwertung, nicht ausreiche, um den Abfallbeseitigungsbedarf in der Region Campania zu decken.

73      Sie hat nämlich zugegeben, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist für die gesamte Region Campania nur eine einzige Deponie in Betrieb gewesen sei, dass sich durch die Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall in dieser Region die endgültige Beseitigung der Abfälle nicht sicherstellen lasse und dass die in Acerra und Santa Maria La Fossa vorgesehenen Verbrennungsanlagen noch immer nicht in Betrieb seien.

74      Wie aus dem 1997 gebilligten regionalen Abfallbewirtschaftungsplan und den von den italienischen Behörden zur Bewältigung der Abfallkrise angenommenen Nachfolgeplänen hervorgeht, sind diese Behörden u. a. davon ausgegangen, dass weitere Deponien wie die in Savignano Irpino und Sant’Arcangelo Trimonte den Betrieb hätten aufnehmen, zu den in Acerra und Santa Maria La Fossa vorgesehenen Verbrennungsanlagen zwei weitere hätten hinzukommen und die tatsächliche Betriebsbereitschaft der Anlagen zur Herstellung von Brennstoff aus Abfall hätte hergestellt werden müssen, um den Entsorgungsbedarf für Siedlungsabfälle in der Region Campania zu decken.

75      Art. 5 der Richtlinie 2006/12 erlaubt bei der Bewirtschaftung der Abfallbeseitigung zwar eine Zusammenarbeit zwischen Regionen und sogar zwischen Mitgliedstaaten, jedoch war es im vorliegenden Fall selbst mit Unterstützung anderer italienischer Regionen und der deutschen Behörden nicht möglich, die strukturellen Mängel in Bezug auf die Anlagen zu beheben, die für die Beseitigung der in der Region Campania entstandenen Siedlungsabfälle erforderlich sind. Dafür legen die erheblichen Abfallmengen Zeugnis ab, die sich in den öffentlichen Straßen dieser Region angehäuft haben.

76      Durch den, gemessen am nationalen und gemeinschaftsweiten Durchschnitt, geringen Anteil an differenzierter Sammlung der Abfälle in der Region Campania wurde die Lage zudem nur noch verschärft.

77      Die Italienische Republik hat vor dem Gerichtshof geltend gemacht, sie bemühe sich, der Lage in der Region Campania Herr zu werden, und sie hat ihn über die tatsächliche Inbetriebnahme der Deponien in Savignano Irpino und San Arcangelo Trimonte nach dem 2. Mai 2008 sowie über die in dem neuen Plan vom 23. Mai 2008 vorgesehenen Maßnahmen unterrichtet, zu denen die Errichtung von vier weiteren Deponien, der Bau zweier weiterer Verbrennungsanlagen und der Bau der Anlagen zur thermischen Verwertung in Acerra und Salerno gehörten. Zudem zeige sich beim Anteil an differenzierter Sammlung eine deutliche Verbesserung, und die Tageskapazität zur Abfallbeseitigung in der Region liege über dem Anfall, so dass die Abfallkrise als gelöst bezeichnet werden könne.

78      Auch wenn diese Maßnahmen zeigen, dass gewisse Initiativen ergriffen wurden, um die Schwierigkeiten in der Region Campania zu überwinden, erkennt die Italienische Republik damit doch eindeutig an, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist die in der Region Campania bestehenden und betriebsbereiten Anlagen den in dieser Region tatsächlich bestehenden Abfallbeseitigungsbedarf bei Weitem nicht decken konnten.

79      Im Übrigen ist auf jeden Fall auf die zahlreichen Entscheidungen des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. u. a. Urteile vom 14. September 2004, Kommission/Spanien, C‑168/03, Slg. 2004, I‑8227, Randnr. 24, und vom 27. Oktober 2005, Kommission/Luxemburg, C‑23/05, Slg. 2005, I‑9535, Randnr. 9).

80      Die Italienische Republik macht ferner geltend, dass die vorgeworfene Vertragsverletzung nicht ihr, sondern vielmehr bestimmten Ereignissen zuzurechnen sei, die, wie der Widerstand der Bevölkerung gegen die Einrichtung von Deponien im Gebiet ihrer Gemeinden, die Existenz krimineller Aktivitäten in der Region und die Tatsache, dass die Vertragspartner der Verwaltung ihre Verpflichtungen beim Bau bestimmter in der Region benötigter Anlagen nicht erfüllt hätten, einen Fall höherer Gewalt darstellten.

81      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nach Art. 258 AEUV auf der objektiven Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt beruht (vgl. Urteile vom 1. März 1983, Kommission/Belgien, 301/81, Slg. 1983, 467, Randnr. 8, und vom 4. Mai 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑508/03, Slg. 2006, I‑3969, Randnr. 67).

82      Wenn, wie im vorliegenden Fall eine solche Feststellung getroffen worden ist, ist es unerheblich, ob der betreffende Mitgliedstaat den Verstoß absichtlich oder fahrlässig begangen hat oder ob der Verstoß auf technischen Schwierigkeiten des Mitgliedstaats beruht (Urteil vom 1. Oktober 1998, Kommission/Spanien, C‑71/97, Slg. 1998, I‑5991, Randnr. 15).

83      Was den von der örtlichen Bevölkerung gegen die Ansiedlung bestimmter Beseitigungsanlagen geleisteten Widerstand betrifft, kann sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf interne Umstände, wie z. B. im Stadium der Durchführung einer Handlung der Gemeinschaft auftretende Schwierigkeiten einschließlich solcher, die mit dem Widerstand von Privatpersonen in Zusammenhang stehen, berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben (vgl. Urteile vom 7. April 1992, Kommission/Griechenland, C‑45/91, Slg. 1992, I‑2509, Randnrn. 20 und 21, und vom 9. Dezember 2008, Kommission/Frankreich, C‑121/07, Slg. 2008, I‑9159, Randnr. 72).

84      Zur Existenz krimineller Aktivitäten oder zur Tätigkeit von Personen, die als „am Rande der Legalität“ agierend dargestellt wurden, im Sektor der Abfallbewirtschaftung genügt der Hinweis, dass dieser Umstand, wäre er nachgewiesen, den Verstoß dieses Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/12 nicht rechtfertigen könnte (Urteil vom 18. Dezember 2007, Kommission/Italien, Randnr. 51).

85      Auch in Bezug auf die Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen durch Unternehmen, die mit dem Bau bestimmter Abfallbeseitigungsanlagen beauftragt waren, genügt der Hinweis darauf, dass der Begriff der höheren Gewalt zwar keine absolute Unmöglichkeit voraussetzt, aber erfordert, dass der Nichteintritt der fraglichen Tatsache auf vom Willen desjenigen, der sich auf höhere Gewalt beruft, unabhängigen, ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen beruht, deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (Urteil McNicholl u. a., Randnr. 11).

86      Eine umsichtige Verwaltung hätte jedoch die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um sich entweder gegen die Nichterfüllung der fraglichen Verträge in der Region Campania zu wappnen oder sicherzustellen, dass die tatsächliche und fristgerechte Errichtung der zur Beseitigung der Abfälle in der Region benötigten Anlagen trotz dieser Verfehlungen gewährleistet gewesen wäre.

87      Zu dem an die Kommission gerichteten Vorwurf, mit dem die Italienische Republik beanstandet, dass diese die vorliegende Klage erst Jahre nach dem Eintritt der Abfallkrise und gerade zu dem Zeitpunkt erhoben habe, zu dem dieser Mitgliedstaat die eine Bewältigung der Krise ermöglichenden Maßnahmen getroffen habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des Art. 258 AEUV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Anwendung finden, ohne dass die Kommission eine bestimmte Frist zu wahren hätte (vgl. u. a. Urteile vom 16. Mai 1991, Kommission/Niederlande, C‑96/89, Slg. 1991, I‑2461, Randnr. 15, und vom 24. April 2007, Kommission/Niederlande, C‑523/04, Slg. 2007, I‑3267, Randnr. 38). Die Kommission verfügt somit in Bezug auf den Zeitpunkt der Klageerhebung über ein Ermessen, das daher grundsätzlich nicht der Nachprüfung durch den Gerichtshof unterliegt (Urteil vom 10. Mai 1995, Kommission/Deutschland, C‑422/92, Slg. 1995, I‑1097, Randnr. 18).

88      Demnach ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie im Rahmen der regionalen Abfallbewirtschaftung in der Region Campania nicht sichergestellt hat, dass diese Region über genügend Anlagen verfügt, die es ihr erlauben, ihre Siedlungsabfälle nahe dem Ort ihrer Entstehung zu beseitigen, ihrer Pflicht, ein angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, das es ihr ermöglicht, das Ziel der Entsorgungsautarkie anzustreben, nicht nachgekommen ist und somit gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 der Richtlinie 2006/12 verstoßen hat.

 Zum Verstoß gegen Art. 4 der Richtlinie 2006/12

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

89      Die Kommission unterstreicht, dass die Italienische Republik zu keiner Zeit das Vorliegen einer sich aus dem Fehlen eines integrierten und angemessenen Netzes von Abfallbeseitigungsanlagen ergebenden äußerst bedenklichen Lage für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bestritten habe. Sie habe die Situation vielmehr ausdrücklich eingeräumt.

90      Gestützt u. a. auf die Urteile vom 26. April 2007, Kommission/Italien (C‑135/05, Slg. 2007, I‑3475), und vom 24. Mai 2007, Kommission/Spanien (C‑361/05), meint die Kommission, es sei nicht zu bestreiten, dass die in den öffentlichen Straßen herumliegenden und die auf den Lagerplätzen ihrer Entsorgung harrenden Abfälle eine signifikante Beeinträchtigung von Umwelt und Landschaft sowie eine echte Bedrohung sowohl der Umwelt als auch der menschlichen Gesundheit darstellten. Derartige Anhäufungen könnten nämlich zur Kontamination des Bodens und der wasserführenden Schichten, zur Emission von Schadstoffen in die Atmosphäre aufgrund von sich selbst entzündenden Abfällen und von der Bevölkerung verursachten Bränden, zu einer daraus entstehenden Verunreinigung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und des Trinkwassers oder auch zur Entwicklung von Gestank führen.

91      Gestützt auf eine Studie der Dienststellen des Commissario delegato trägt die Italienische Republik vor, dass die Lage in der Region Campania unter dem Gesichtspunkt der Abfallbewirtschaftung weder für die öffentliche Sicherheit noch für die menschliche Gesundheit nachteilige Folgen gehabt habe. Außerdem sei die von der Kommission erhobene Rüge zu allgemein gehalten, da nicht genau angegeben werde, auf welchen der drei in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2006/12 genannten Fälle sich die vorliegende Klage beziehe.

92      Außerdem erbringe die Kommission keine Beweise, die ihre Behauptungen stützten. Sie beschränke sich darauf, auf die Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil vom 26. April 2007, Kommission/Italien, zur Existenz illegaler Deponien in Italien abzustellen. Im Übrigen versuche sie aus dem Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2006/12 ohne Weiteres eine Zuwiderhandlung gegen Art. 4 dieser Richtlinie abzuleiten.

93      Schließlich hätten die italienischen Behörden die Auswirkungen der in den Straßen abgelagerten Abfälle auf die Gesundheit der Menschen streng überwacht, es sei aber im Zusammenhang mit den vorhandenen wilden Deponien weder eine Zunahme von Infektionskrankheiten noch eine solche der durch Tumoren oder angeborene Missbildungen verursachten Sterblichkeit beobachtet worden. Was die Verseuchung der wasserführenden Schichten betrifft, hätten diese und das Grundwasser, abgesehen von zwei vereinzelten Überschreitungen in begrenzten Gebieten, keine chemischen oder biologischen Anomalien aufgewiesen. Das Gleiche gelte für die Auswirkungen des Rauchs der durch die Müllhaufen ausgelösten Brände auf die Bevölkerung, bei denen mit einer Ausnahme keinerlei Gefährdung festgestellt worden sei.

94      Zu der Studie, auf die sich die Italienische Republik stützt und der zufolge „selbst in der Phase äußerster Zuspitzung der Krise in der Region Campania keine nachteiligen Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit und insbesondere die Gesundheit der Bevölkerung festgestellt wurden“, trägt die Kommission vor, dass die Ergebnisse dieser von der Weltgesundheitsorganisation mitgezeichneten Studie „für das Gebiet im Nordosten der Provinz Neapel und im Südwesten der Provinz Caserta den Befund einer Anomalie bestätigen; dabei handelt es sich auch um das Gebiet, in dem die illegalen Praktiken der Beseitigung und Verbrennung festen Hausmülls und gefährlicher Abfälle am häufigsten anzutreffen sind“. Diese Studie habe darüber hinaus „die Annahme [bestätigt], dass eine Konzentration überhöhter Sterblichkeits- und Missbildungsraten eher in den Gebieten anzutreffen sei, in denen die größte Dichte an bekannten Abfallbeseitigungsstandorten herrsche“, und sie zeige auf jeden Fall, dass „die geringe Auflösung der Gesundheitsdaten und … die unzureichenden umweltbezogenen Daten … wahrscheinlich zu einer Unterschätzung der Gefahr führen“.

95      Die Italienische Republik untermauere ihre Behauptung, es habe keine nachteiligen Folgen für die Gesundheit gegeben, nicht nur nicht durch von ihr selbst vorgelegte wissenschaftliche Nachweise, sie scheine auch den Verstoß gegen Art. 4 der Richtlinie 2006/12 von der tatsächlichen Existenz von Gesundheitsproblemen abhängig zu machen, die unmittelbar der Abfallkrise zuzurechnen seien. Die Kommission ist demgegenüber jedoch der Ansicht, dass die sich aus Art. 4 dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen vorbeugenden Charakter hätten. So hätten die Mitgliedstaaten die zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Im vorliegenden Fall stehe jedoch die Gefährdungslage für die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung fest, sie bestehe seit langer Zeit und sei das Ergebnis des Verhaltens oder eher der Untätigkeit der zuständigen italienischen Behörden.

 Würdigung durch den Gerichtshof

96      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um sicherzustellen, dass Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt beseitigt werden, zwar inhaltlich nicht genau festlegt, dass er aber für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, wobei er ihnen allerdings einen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen belässt (Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien, C‑365/97, Slg. 1999, I‑7773, Randnr. 67, und vom 18. November 2004, Kommission/Griechenland, C‑420/02, Slg. 2004, I‑11175, Randnr. 21).

97      Es ist somit grundsätzlich nicht möglich, aus der Unvereinbarkeit einer tatsächlichen Situation mit den in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 festgelegten Zielen unmittelbar abzuleiten, dass der betreffende Mitgliedstaat zwangsläufig gegen die ihm durch diese Vorschrift auferlegten Verpflichtungen zum Erlass der Maßnahmen verstoßen hat, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die Umwelt zu schädigen. Das Fortbestehen einer solchen tatsächlichen Situation kann jedoch, namentlich wenn dies zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Umwelt über einen längeren Zeitraum führt, ohne dass die zuständigen Behörden eingreifen, darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten den ihnen durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessensspielraum überschritten haben (Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien, Randnr. 68, und vom 18. November 2004, Kommission/Griechenland, Randnr. 22).

98      Was den territorialen Umfang des gerügten Verstoßes angeht, ist der Umstand, dass die Klage der Kommission auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Italienische Republik allein in der Region Campania gegen ihre Verpflichtung verstoßen hat, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, ohne Bedeutung für die etwaige Feststellung einer Vertragsverletzung (vgl. Urteil vom 9. November 1999, Kommission/Italien, Randnr. 69).

99      Die Nichterfüllung der Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 beschwört nämlich wegen der Natur dieser Verpflichtung das Risiko herauf, dass die menschliche Gesundheit gefährdet und die Umwelt geschädigt wird, sei es auch nur in einem kleinen Teil des Gebiets eines Mitgliedstaats (Urteil vom 9. November 1999, Kommission/Italien, Randnr. 70), wie dies im Übrigen in der Rechtssache der Fall war, in der das Urteil vom 7. April 1992, Kommission/Griechenland, ergangen ist.

100    Folglich ist zu prüfen, ob die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass es die Italienische Republik bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist über einen längeren Zeitraum unterlassen hatte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die in der Region Campania entstandenen Abfälle verwertet oder beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können.

101    Zwar muss die Kommission in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachweisen, indem sie dem Gerichtshof die für die Prüfung dieser Vertragsverletzung erforderlichen Anhaltspunkte liefert, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen darf (Urteil vom 22. Januar 2009, Kommission/Portugal, C-150/07, Randnr. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung), doch ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die nationalen Bestimmungen, mit denen die wirksame Durchführung der Richtlinie 2006/12 sichergestellt werden soll, in der Praxis korrekt angewandt werden, die Kommission, die nicht über eigene Ermittlungsbefugnisse auf diesem Gebiet verfügt, weitgehend auf die Angaben etwaiger Beschwerdeführer, öffentlicher oder privater Einrichtungen, der Presse und des betreffenden Mitgliedstaats selbst angewiesen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland, Randnr. 43, und vom 26. April 2007, Kommission/Italien, Randnr. 28).

102    Das bedeutet insbesondere, dass es dann, wenn die Kommission genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts im Gebiet des beklagten Mitgliedstaats beigebracht hat, diesem obliegt, diese Angaben und deren Folgen substantiiert zu bestreiten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien, Randnrn. 84 und 86, und vom 22. Dezember 2008, Kommission/Spanien, C‑189/07, Randnr. 82).

103    Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Italienische Republik nicht bestreitet, dass sich bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist zusätzlich zu den auf kommunalen Lagerplätzen der Entsorgung harrenden 110 000 bis 120 000 Tonnen Müll die in öffentlichen Straßen herumliegenden Abfälle auf 55 000 Tonnen beliefen. Jedenfalls ergeben sich diese Daten aus der Note des Commissario delegato vom 2. März 2008, die der Antwort dieses Mitgliedstaats auf die mit Gründen versehene Stellungnahme als Anlage beigefügt war. Außerdem ergriff nach den Angaben dieses Staates die wegen dieser Anhäufung aufgebrachte Bevölkerung die Initiative und setzte zum Schaden der Umwelt und ihrer eigenen Gesundheit die Müllhaufen in Brand.

104    Aufgrund dessen ist daher offenkundig, dass dieser Mitgliedstaat in der Region Campania nicht in der Lage war, der ihm nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2006/12 obliegenden Verpflichtung nachzukommen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten.

105    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass wegen der besonderen Natur von Abfällen deren Ansammlung, noch bevor sie die Gesundheit gefährden, angesichts der beschränkten Aufnahmekapazität der einzelnen Region oder des einzelnen Ortes eine Gefahr für die Umwelt darstellt (Urteil vom 9. Juli 1992, Kommission/Belgien, C‑2/90, Slg. 1992, I‑4431, Randnr. 30).

106    Durch eine derartige Anhäufung so erheblicher Abfallmengen in den öffentlichen Straßen und auf provisorischen Lagerplätzen, wie sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist in der Region Campania anzutreffen war, waren daher im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/12 unzweifelhaft „Wasser, Luft, Boden und die Tier- und Pflanzenwelt gefährdet“. Außerdem werden durch solche Abfallmengen unausweichlich „Geruchsbelästigungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie verursacht, insbesondere dann, wenn die Abfälle lange Zeit unter offenem Himmel auf Straßen und Wegen gelagert werden.

107    Im Übrigen können in Anbetracht dessen, dass keine ausreichenden Deponien zur Verfügung standen, durch die Existenz solcher Abfallmengen außerhalb geeigneter und zugelassener Deponien im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/12 „die Umgebung und das Landschaftsbild beeinträchtigt werden“.

108    Angesichts des substantiierten Vorbringens der Kommission, insbesondere der einzelnen Berichte, die die italienischen Behörden selbst erstellt und den europäischen Organen übermittelt haben, sowie der Presseveröffentlichungen, die die Kommission ihrer Klageschrift als Anlage beigefügt hat, und unter Berücksichtigung der in den Randnrn. 80 und 81 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann sich die Italienische Republik nicht auf die Behauptung beschränken, der ihr zur Last gelegte Sachverhalt sei nicht erwiesen oder die Ablagerung von Abfällen in den Straßen, insbesondere in Neapel, habe von ihr nicht beeinflusst werden können.

109    Wie die Kommission zutreffend vorträgt, hat zudem Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 in dem Sinne vorbeugenden Charakter, dass die Mitgliedstaaten während der Verwertung und Beseitigung der Abfälle die menschliche Gesundheit nicht gefährden dürfen.

110    Die Italienische Republik hat jedoch die Gefährlichkeit der Lage in der Region Campania für die menschliche Gesundheit u. a. in den Berichten und Noten, die sie den europäischen Organen übermittelt hat, selbst eingeräumt. Die Erwägungsgründe des Decreto legge Nr. 90, das die Italienische Republik der Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union notifiziert hat, nehmen ausdrücklich Bezug auf die „erschwerten sozialen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Bedingungen, die sich aus dem [Abfallbewirtschaftungs‑]Notstand ergeben, die geeignet sind, die Grundrechte der Bevölkerung in der Region Campania schwerwiegend zu beeinträchtigen, die … einer Gefährdung in den Bereichen der Hygiene, der Gesundheit und der Umwelt ausgesetzt ist“.

111    Das Vorbringen der Italienischen Republik im Rahmen der vorliegenden Klage, mit dem sie zeigen wollte, dass diese Situation in der Praxis folgenlos geblieben sei oder zumindest nur geringe Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit gehabt habe, ist demnach nicht geeignet, die Feststellung zu entkräften, dass die besorgniserregende Situation der Ansammlung von Abfällen in den öffentlichen Straßen die Gesundheit der Bevölkerung unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 mit Sicherheit gefährdet hat.

112    Folglich ist der von der Kommission erhobene Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 4 der Richtlinie 2006/12 für begründet zu erklären.

113    Nach alledem ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie für die Region Campania nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die Abfälle verwertet und beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet und ohne dass die Umwelt geschädigt wird, und insbesondere dadurch, dass sie kein angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen errichtet hat, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12 verstoßen hat.

 Kosten

114    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung trägt das Vereinigte Königreich seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Italienische Republik hat dadurch, dass sie für die Region Campania nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die Abfälle verwertet und beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet und ohne dass die Umwelt geschädigt wird, und insbesondere dadurch, dass sie kein angemessenes und integriertes Netz von Beseitigungsanlagen errichtet hat, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 der Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle verstoßen.

2.      Die Italienische Republik trägt die Kosten.

3.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.

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