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Document 62008CJ0165

    Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 16. Juli 2009.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Polen.
    Genetisch veränderte Organismen - Saatgut - Verbot des Inverkehrbringens - Verbot der Aufnahme in den nationalen Sortenkatalog - Richtlinien 2001/18/EG und 2002/53/EG - Berufung auf ethische und religiöse Gründe - Beweislast.
    Rechtssache C-165/08.

    Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-06843

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:473

    Rechtssache C-165/08

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    gegen

    Republik Polen

    „Genetisch veränderte Organismen – Saatgut – Verbot des Inverkehrbringens – Verbot der Aufnahme in den nationalen Sortenkatalog – Richtlinien 2001/18/EG und 2002/53/EG – Berufung auf ethische und religiöse Gründe – Beweislast“

    Leitsätze des Urteils

    1.        Vertragsverletzungsklage – Streitgegenstand – Klageschrift

    (Art. 226 EG)

    2.        Umwelt – Absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen – Richtlinie 2001/18 – Gemeinsamer Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten – Richtlinie 2002/53

    (Richtlinie 2001/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 22 und 23; Richtlinie 2002/53 des Rates, Art. 4 Abs. 4, Art. 16 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17)

    1.        Eine nach Art. 226 EG erhobene Klage muss eine zusammenhängende und genaue Darstellung der Rügen enthalten, damit der Mitgliedstaat und der Gerichtshof die Tragweite des gerügten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht richtig erfassen können, was notwendig ist, damit der betreffende Staat sich sachgerecht verteidigen und der Gerichtshof überprüfen kann, ob die behauptete Vertragsverletzung vorliegt.

    Daran fehlt es, wenn die Kommission genaue Ausführungen nur zu einigen Artikeln einer Richtlinie macht, bevor sie den Schluss zieht, dass die streitigen nationalen Vorschriften mit dem System des freien Verkehrs, das mit dieser Richtlinie insgesamt und insbesondere den genannten Artikeln dieser Richtlinie eingeführt wurde, unvereinbar sind. Folglich ist die Klage nur insoweit zulässig, als ein Verstoß gegen die genannten Artikel der Richtlinie geltend gemacht wird, nicht aber insoweit, als sie auf die Feststellung eines Verstoßes gegen die Richtlinie insgesamt gerichtet ist.

    (vgl. Randnrn. 43, 46, 48)

    2.        Ein Mitgliedstaat, der den freien Verkehr mit Saatgut genetisch veränderter Sorten und die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den nationalen Sortenkatalog verbietet, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2001/18 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220 sowie aus den Art. 4 Abs. 4 und 16 der Richtlinie 2002/53 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten.

    Was die Richtlinie 2001/18 betrifft, verpflichten ihre Art. 22 und 23 die Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von genetisch veränderten Organismen (GVO) als Produkte oder in Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht zu verbieten, einzuschränken oder zu behindern, sofern sie sich nicht unter Beachtung der insoweit in der zweitgenannten Vorschrift aufgestellten präzisen Voraussetzungen auf die Möglichkeit berufen, die dort vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu erlassen. Eine einseitige nationale Maßnahme in Form eines generellen Verbots der Vermarktung des Saatguts von GVO verstößt somit offenkundig gegen die Bestimmungen dieser Art. 22 und 23.

    Ein solches generelles Verbot verstößt auch offenkundig gegen Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2002/53, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Saatgut von Sorten, die entsprechend dieser Richtlinie zugelassen wurden, keinen Verkehrsbeschränkungen hinsichtlich der Sorte zu unterwerfen, sofern sie sich nicht auf die hier nicht anwendbaren Ausnahmen nach Abs. 2 dieses Artikels berufen. Insoweit steht fest, dass eine Reihe der Sorten, die entsprechend dieser Richtlinie zugelassen wurden und demgemäß im gemeinsamen Sortenkatalog gemäß Art. 17 der Richtlinie aufgeführt sind, genetisch veränderte Sorten sind.

    Außerdem ergibt sich insbesondere aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/53, dass die Aufnahme von genetisch veränderten Sorten in den nationalen Sortenkatalog nicht generell verboten werden darf. Aus Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie geht nämlich insbesondere hervor, dass die eventuelle Ablehnung der Aufnahme einer Sorte in den nationalen Katalog allein wegen des Umstands, dass sie genetisch verändert ist, nur dann gerechtfertigt ist, wenn nicht alle angemessenen Maßnahmen ergriffen worden sind, um nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu vermeiden, was insbesondere dann nicht der Fall sein kann, wenn eine Sorte nach den Vorschriften der Richtlinie 2001/18 zugelassen worden ist.

    (vgl. Randnrn. 61-64, Tenor 1)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    16. Juli 2009(*)

    „Genetisch veränderte Organismen – Saatgut – Verbot des Inverkehrbringens – Verbot der Aufnahme in den nationalen Sortenkatalog – Richtlinien 2001/18/EG und 2002/53/EG – Berufung auf ethische und religiöse Gründe – Beweislast“

    In der Rechtssache C‑165/08

    betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 15. April 2008,

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Doherty und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Klägerin,

    gegen

    Republik Polen, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

    Beklagte,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), P. Kūris und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,

    Generalanwalt: J. Mazák,

    Kanzler: R. Grass,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. L 106, S. 1) insgesamt und insbesondere ihren Art. 22 und 23 sowie aus der Richtlinie 2002/53/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten (ABl. L 193, S. 1), insbesondere ihren Art. 4 Abs. 4 und Art. 16, verstoßen hat, dass sie den freien Verkehr mit Saatgut genetisch veränderter Sorten und die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den nationalen Sortenkatalog verbietet.

     Rechtlicher Rahmen

     Gemeinschaftsrecht

     Die Richtlinie 2001/18

    2        Die Richtlinie 2001/18 wurde auf der Grundlage von Art. 95 EG erlassen. Ziel dieser Richtlinie ist nach ihrem Art. 1 entsprechend dem Vorsorgeprinzip die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten und der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zum einen bei der absichtlichen Freisetzung genetisch veränderter Organismen (im Folgenden: GVO) in die Umwelt zu anderen Zwecken als dem Inverkehrbringen in der Europäischen Gemeinschaft und zum anderen beim Inverkehrbringen von GVO als Produkt oder in Produkten in der Gemeinschaft.

    3        Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/18 wird erläutert:

    „Es ist besonders wichtig, dass die in einem Mitgliedstaat anerkannten ethischen Grundsätze beachtet werden. Die Mitgliedstaaten können ethische Aspekte berücksichtigen, wenn GVO absichtlich freigesetzt oder als Produkte oder in Produkten in den Verkehr gebracht werden.“

    4        Die Erwägungsgründe 56 bis 58 dieser Richtlinie lauten:

    „(56) Wird ein Produkt, das GVO als Produkte oder in Produkten enthält, in den Verkehr gebracht, und ist dieses Produkt nach dieser Richtlinie ordnungsgemäß zugelassen worden, so darf ein Mitgliedstaat die absichtliche Freisetzung von GVO als Produkte oder in Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten, einschränken oder behindern. Für den Fall einer Bedrohung der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt sollte ein Sicherheitsverfahren vorgesehen werden.

    (57)      Die Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien der Kommission sollte gehört werden, um Ratschläge zu ethischen Fragen allgemeiner Art betreffend die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von GVO einzuholen. Diese Konsultationen sollten die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ethische Fragen unberührt lassen.

    (58)      Die Mitgliedstaaten sollten jeden Ausschuss hören können, den sie zu ihrer Beratung über die ethischen Implikationen der Biotechnologie eingesetzt haben.“

    5        Teil B der Richtlinie 2001/18 regelt die Voraussetzungen, unter denen Zustimmungen zur absichtlichen Freisetzung von GVO zu anderen Zwecken als dem Inverkehrbringen erteilt werden.

    6        Teil C dieser Richtlinie, der die Art. 12 bis 24 umfasst, regelt die Zustimmungen zum Inverkehrbringen von GVO als Produkte oder in Produkten.

    7        Art. 22 („Freier Verkehr“) der Richtlinie 2001/18 bestimmt:

    „Unbeschadet des Artikels 23 dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von GVO als Produkte oder in Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten, einschränken oder behindern.“

    8        Art. 23 („Schutzklausel“) dieser Richtlinie lautet:

    „(1)      Hat ein Mitgliedstaat aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen, die er seit dem Tag der Zustimmung erhalten hat und die Auswirkungen auf die Umweltverträglichkeitsprüfung haben, oder aufgrund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer oder zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse berechtigten Grund zu der Annahme, dass ein GVO als Produkt oder in einem Produkt, der nach dieser Richtlinie vorschriftsmäßig angemeldet wurde und für den eine schriftliche Zustimmung erteilt worden ist, eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann er den Einsatz und/oder Verkauf dieses GVO als Produkt oder in einem Produkt in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend einschränken oder verbieten.

    Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Falle einer ernsten Gefahr Notfallmaßnahmen, beispielsweise die Aussetzung oder Beendigung des Inverkehrbringens, getroffen werden, einschließlich der Unterrichtung der Öffentlichkeit.

    Der Mitgliedstaat unterrichtet unter Angabe von Gründen und Vorlage der neubewerteten Umweltverträglichkeitsprüfung sowie gegebenenfalls der neuen oder zusätzlichen Information, auf die sich sein Beschluss stützt, unverzüglich die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten über die gemäß diesem Artikel ergriffenen Maßnahmen, wobei er ferner angibt, ob und auf welche Weise die Bedingungen für die Zustimmung geändert werden sollten oder ob die Zustimmung aufgehoben werden sollte.

    (2)      Eine Entscheidung hierüber ergeht innerhalb von 60 Tagen nach dem Verfahren des Artikels 30 Absatz 2. …“

    9        Art. 29 dieser Richtlinie bestimmt:

    „(1)      Die Kommission kann von sich aus oder auf Ersuchen des Europäischen Parlaments oder des Rates unbeschadet der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ethische Fragen jeden Ausschuss, den sie zu ihrer Beratung über die ethischen Implikationen der Biotechnologie eingesetzt hat, wie z. B. die Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien, zu allgemeinen ethischen Fragen hören.

    Die Anhörung kann auch auf Antrag eines Mitgliedstaates erfolgen.

    (3)      Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Verwaltungsverfahren werden durch Absatz 1 nicht berührt.“

    10      Art. 36 der Richtlinie 2001/18 lautet:

    „(1)      Die Richtlinie 90/220/EWG wird zum 17. Oktober 2002 aufgehoben.

    (2)      Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach der Übereinstimmungstabelle in Anhang VIII zu lesen.“

     Die Richtlinie 2002/53

    11      Wie aus ihrem Art. 1 Abs. 1 hervorgeht, gilt die Richtlinie 2002/53 „für die Zulassung von Sorten von Betarüben, Futterpflanzen, Getreide, Kartoffeln sowie Öl- und Faserpflanzen zu einem gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten, deren Saat- oder Pflanzgut gemäß den Bestimmungen der Richtlinien über den Verkehr mit Betarübensaatgut (2002/54/EG [des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Betarübensaatgut] [ABl. L 193, S. 12]), mit Futterpflanzensaatgut (66/401/EWG [des Rates vom 14. Juni 1966 über den Verkehr mit Futterpflanzensaatgut] [ABl. 1966, Nr. 125, S. 2298]), mit Getreidesaatgut (66/402/EWG [des Rates vom 14. Juni 1966 über den Verkehr mit Getreidesaatgut] [ABl. 1966, Nr. 125, S. 2309]), mit Pflanzkartoffeln (2002/56/EG [des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln] [ABl. L 193, S. 60]) und mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen (2002/57/EG [des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen] [ABl. L 193, S. 74]) gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht werden darf“. Nach Art. 1 Abs. 2 wird dieser gemeinsame Katalog „auf der Grundlage der nationalen Kataloge der Mitgliedstaaten aufgestellt“.

    12      Art. 4 der Richtlinie 2002/53, der eine Reihe von Voraussetzungen aufstellt, die die Mitgliedstaaten bei der Zulassung einer Sorte beachten müssen, sieht in seinem Abs. 4 vor:

    „Genetisch veränderte Sorten im Sinne des Artikels 2 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 90/220/EWG dürfen nur zugelassen werden, wenn alle entsprechenden Maßnahmen getroffen wurden, um nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu vermeiden.“

    13      Art. 16 der Richtlinie 2002/53 bestimmt:

    „(1)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass mit der Bekanntmachung nach Artikel 17 Saat- und Pflanzgut von Sorten, die nach den Bestimmungen dieser Richtlinie oder nach Grundsätzen, die denen dieser Richtlinie entsprechen, zugelassen worden sind, ab dem Zeitpunkt der in Artikel 17 genannten Veröffentlichung keinen Verkehrsbeschränkungen hinsichtlich der Sorte unterliegt.

    (2)      Ein Mitgliedstaat kann auf Antrag nach dem in Artikel 23 Absatz 2 oder – im Fall genetisch veränderter Sorten – dem in Artikel 23 Absatz 3 genannten Verfahren ermächtigt werden, in der Gesamtheit oder in einem Teil seines Gebiets die Verwendung der Sorte zu untersagen oder geeignete Bedingungen für den Anbau der Sorte und in dem im folgenden Buchstaben c) vorgesehenen Fall Bedingungen für die Verwendung der aus dem Anbau hervorgegangenen Produkte vorzuschreiben,

    a)      wenn nachgewiesen wird, dass sich der Anbau dieser Sorte hinsichtlich des Pflanzenschutzes auf den Anbau anderer Sorten oder Arten oder auf die Umwelt schädlich auswirken könnte; oder

    b)      wenn auf der Grundlage von amtlichen Anbauprüfungen in dem Antrag stellenden Mitgliedstaat in entsprechender Anwendung von Artikel 5 Absatz 4 festgestellt worden ist, dass die Sorte in keinem Teil seines Gebiets den Ergebnissen entspricht, die mit einer anderen in seinem Gebiet zugelassenen vergleichbaren Sorte erzielt worden sind, oder wenn allgemein bekannt ist, dass die Sorte aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihrer Reifeklasse in keinem Teil seines Gebiets zum Anbau geeignet ist. Der Antrag muss vor Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Zulassung gestellt werden; oder

    c)      wenn es – abgesehen von den Gründen, die beim Verfahren des Artikels 10 Absatz 2 bereits geltend gemacht wurden oder geltend gemacht werden konnten – triftige Gründe für die Annahme gibt, dass die Sorte ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt darstellt.“

    14      Art. 17 dieser Richtlinie lautet:

    „Die Kommission veröffentlicht laufend entsprechend den Mitteilungen der Mitgliedstaaten im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Reihe C, unter der Bezeichnung ‚Gemeinsamer Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten‘ alle Sorten, deren Saat- und Pflanzgut gemäß dem Artikel 16 im Hinblick auf die Sorte keinen Verkehrsbeschränkungen unterliegt …“

     Nationales Recht

    15      Art. 5 Abs. 4 des Saatgutgesetzes vom 26. Juni 2003 (Dz. U. Nr. 137, Position 1299) in der Fassung des Gesetzes vom 27. April 2006 (Dz. U. Nr. 92, Position 639, im Folgenden: Saatgutgesetz) bestimmt, dass „[g]enetisch veränderte Sorten ... nicht in den nationalen Katalog aufgenommen [werden]“.

    16      Art. 57 Abs. 3 des Saatgutgesetzes sieht vor, dass „Saatgut genetisch veränderter Sorten … im Gebiet der Republik Polen nicht zum Verkehr zugelassen werden [kann]“. Nach Art. 67 Abs. 1 dieses Gesetzes ist das Inverkehrbringen von Saatgut unter Verstoß gegen den genannten Art. 57 Abs. 3 mit Geldstrafe bedroht.

     Vorverfahren

    17      Nach einem ersten Schriftwechsel mit der Republik Polen am 19. Juni und 19. Juli 2006 richtete die Kommission auf der Grundlage von Art. 226 EG am 18. Oktober 2006 ein Mahnschreiben an diesen Mitgliedstaat. Die Kommission machte darin geltend, dass Art. 5 Abs. 4 und Art. 57 Abs. 3 des Saatgutgesetzes (im Folgenden: streitige nationale Vorschriften) gegen die Richtlinie 2001/18, insbesondere ihre Art. 22 und 23, sowie gegen die Richtlinie 2002/53, insbesondere ihren Art. 4 Abs. 4 und 16, verstießen.

    18      Mit Schreiben vom 20. Dezember 2006 entgegnete die Republik Polen, dass sie nicht gegen ihre Verpflichtungen verstoßen habe. Sie berief sich insbesondere auf das Vorsorgeprinzip und die Gefahren unumkehrbarer Folgen für die Biodiversität und die Umwelt im Allgemeinen sowie für den polnischen Agrarsektor im Besonderen, die die nicht besonders klaren Bewertungsgrundsätze, die unzureichenden Kontrollen und Garantien sowie die lückenhaften Regeln auf dem Gebiet der Koexistenz von Kulturen in der Richtlinie 2001/18 bestehen ließen. Außerdem seien die Sorten, die in den mit der Richtlinie 2002/53 geschaffenen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten aufgenommen worden seien, nicht in der spezifisch polnischen Umwelt getestet worden und böten daher keine hinreichenden Garantien dafür, dass langfristig negative Auswirkungen ausblieben.

    19      Zudem berief sich die Republik Polen auf befürchtete Beeinträchtigungen der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt, auf den starken Widerstand der breiten Öffentlichkeit in Polen gegen GVO und auf die Notwendigkeit – entsprechend dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/18 – der Beachtung der ethischen Grundsätze und trug dazu vor, dass es der Ethik widerspreche, Vorschriften in die polnische Rechtsordnung einzuführen, denen eine Mehrheit der polnischen Gesellschaft nicht zustimme.

    20      Die Kommission, die diese Antwort nicht zufriedenstellte, richtete am 29. Juni 2007 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Polen und forderte sie auf, binnen zwei Monaten ab Erhalt dieser Stellungnahme die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um ihr nachzukommen.

    21      In ihrer Antwort mit Datum vom 28. August 2007 wiederholte die Republik Polen im Wesentlichen die bereits in Beantwortung des Mahnschreibens entwickelte Argumentation. Außerdem berief sie sich darauf, dass die einstimmige Annahme von Entschließungen durch die Versammlungen der polnischen Woiwoden im Jahr 2006 dahin gehend, dass die Gebiete der Woiwodschaften von genetisch veränderten Kulturen und GVO frei bleiben müssten, zeige, dass die streitigen nationalen Vorschriften in den Bereich der öffentlichen Sittlichkeit fielen, weshalb solche Maßnahmen bereits auf der Grundlage von Art. 30 EG zulässig seien, ohne dass es erforderlich sei, zu diesem Zweck die besonderen Verfahren heranzuziehen, die das von der Kommission angeführte Sekundärrecht vorsehe.

    22      Unter diesen Umständen hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

     Zur Klage

     Vorbringen der Parteien

    23      In ihrer Klageschrift macht die Kommission geltend, Art. 57 Abs. 3 des Saatgutgesetzes sei unvereinbar mit dem durch die Richtlinie 2001/18 errichteten System des freien Verkehrs insgesamt und insbesondere mit den Art. 22 und 23 dieser Richtlinie. Art. 22 dieser Richtlinie schreibe nämlich vor, dass jeder GVO, zu dessen Inverkehrbringen eine Zustimmung entsprechend der Richtlinie erteilt worden sei, in der gesamten Gemeinschaft frei genutzt werden könne. Art. 23 der Richtlinie 2001/18, der für die Möglichkeit, nach einer im Einzelfall durchgeführten Analyse gegenüber einzelnen GVO Schutzmaßnahmen zu erlassen, einen strikten Rahmen aufstelle, impliziere, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen einer gesamten Kategorie von GVO in ihrem Hoheitsgebiet nicht allgemein – und erst recht nicht außerhalb des in dieser Vorschrift vorgesehenen Verfahrens – verbieten könnten.

    24      Ebenso gebe Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2002/53 den Mitgliedstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass das Saatgut einer Sorte nach deren Aufnahme in den gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten keinen Verkehrsbeschränkungen unterliege. Schon jetzt gebe es aber annähernd 70 genetisch veränderte Sorten, für die nach der Richtlinie 2001/18 eine Zustimmung erteilt worden sei und die in den genannten gemeinsamen Katalog aufgenommen worden seien.

    25      Im Übrigen erlaube es die Richtlinie 2002/53, die die Festlegung einheitlicher Qualitätsanforderungen bezwecke, die geeignet seien, den freien Verkehr der Sorten zu fördern, den Mitgliedstaaten nicht, die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in ihren nationalen Katalog allgemein zu verbieten. Wenn ein GVO insbesondere nach der mit der Richtlinie 2001/18 vorgeschriebenen gründlichen wissenschaftlichen Bewertung zugelassen werde, lasse sich nicht mehr vertreten, dass er eine Gefahr für die Gesundheit oder die Umwelt darstelle, die es nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/53 rechtfertigen könnte, diesen GVO nicht in den nationalen Sortenkatalog aufzunehmen.

    26      Zu den von der Republik Polen im Vorverfahren erhobenen Einwänden trägt die Kommission vor, dass die von diesem Mitgliedstaat geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der angeblichen Unzulänglichkeiten der Richtlinie 2001/18 auf dem Gebiet des Umwelt- und Gesundheitsschutzes die Auslegung, die ihren Vorschriften zu geben sei, nicht beeinflussen könnten und jedenfalls unbegründet seien. Die mit der Richtlinie 2001/18 eingeführten Verfahren garantierten nämlich entsprechend dem Vorsorgeprinzip für jeden einzelnen GVO eine strenge Bewertung der eventuellen Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit und sähen wirksame Kontroll- und Schutzmechanismen vor.

    27      Mit der allgemeinen Bezugnahme auf ethische Grundsätze in der Antwort auf das Mahnschreiben werde kein präzises ethisches Argument hinsichtlich der Freisetzung von GVO verbunden. Zudem gehe aus dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/18 hervor, dass ethische Erwägungen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie umfasst seien, so dass ein Verbot von nach dieser Richtlinie zugelassenen Erzeugnissen nicht außerhalb der mit ihr eingeführten Verfahren beschlossen werden dürfe. Außerdem sei nach ständiger Rechtsprechung eine Berufung auf Art. 30 EG nicht mehr zulässig, wenn gemeinschaftsrechtliche Vorschriften den entsprechenden Bereich detailliert und harmonisiert regelten, was bei den Richtlinien 2001/18 und 2002/53 in Bezug auf den Handel mit GVO der Fall sei.

    28      In ihrer Klagebeantwortung trägt die Republik Polen vor, dass die Klage unzulässig sei, weil die zu ungenauen Rügen der Kommission es ihr nicht erlaubten, den genauen Gegenstand der Klage zu erkennen und demnach ihre Verteidigung sachgerecht zu gestalten. Denn obwohl die Kommission insbesondere die Feststellung beantrage, dass die Republik Polen die Richtlinien 2001/18 und 2002/53 „insgesamt“ missachtet habe, und die in der Klageschrift angeführten präzisen Vorschriften offensichtlich nur als Beispiel dienten, gebe die Kommission insoweit keine Erläuterungen.

    29      In der Sache macht die Republik Polen geltend, dass die Rechtsprechung entgegen dem Vorbringen der Kommission bestätige, dass ein Rückgriff auf Art. 30 EG nur dann nicht mehr möglich sei, wenn die vorgenommene gemeinschaftliche Harmonisierung die Maßnahmen einschließe, die zur Verwirklichung des konkreten Ziels, das mit dieser Bestimmung des EG-Vertrags gewahrt werden solle, erforderlich seien. Ethische Erwägungen seien den Richtlinien 2001/18 und 2002/53, die ausschließlich auf den Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit abzielten, aber gerade fremd. Überdies bleibe gemäß dem 57. Erwägungsgrund und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18 die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung ethischer Fragen in Verbindung mit GVO ausdrücklich gewahrt.

    30      Im vorliegenden Fall seien Grundsätze der christlichen und humanistischen Ethik, die von der Mehrheit der polnischen Bevölkerung geteilt würden, Leitbild für den Erlass der streitigen nationalen Vorschriften gewesen.

    31      Dazu beruft sich die Republik Polen nacheinander auf eine christliche Lebensauffassung, die dem entgegenstehe, dass lebende, von Gott geschaffene Organismen manipuliert und zu materiellen Objekten gewerblicher Eigentumsrechte umgeformt würden, auf ein christliches und humanistisches Verständnis des Fortschritts und der Entwicklung, das Respekt gegenüber dem Entwurf der Schöpfung und die Suche nach einer Harmonie zwischen dem Menschen und der Natur gebiete, und schließlich auf christliche und humanistische Grundsätze betreffend die soziale Ordnung, da die Reduzierung lebender Organismen auf den Rang eines Produkts zu rein kommerziellen Zwecken insbesondere die Grundlagen der Gesellschaft untergraben könnte.

    32      In ihrer Erwiderung macht die Kommission geltend, dass die Klage nicht unzulässig sei. Denn ihre Rügen und Argumente seien im Mahnschreiben, in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift klar und identisch formuliert dargelegt worden.

    33      Was die Richtlinie 2001/18 anbelange, seien die Art. 22 und 23 dieser Richtlinie, die ausdrücklich genannt worden seien, weil sie den Eckstein des geschaffenen Systems des freien Verkehrs bildeten, und darüber hinaus gerade dieses System und der Geist der Richtlinie sowie ihre Vorschriften insgesamt missachtet worden. In Bezug auf die Richtlinie 2002/53 trägt die Kommission dagegen vor, dass ihre Klage speziell die Art. 4 Abs. 4 und 16 dieses Rechtsakts betreffe und nicht diesen insgesamt.

    34      Hinsichtlich der Begründetheit bekräftigt die Kommission, dass die Fragen in Verbindung mit der Zulassung und dem Inverkehrbringen von Saatgut von GVO abschließend harmonisiert worden seien, wobei die Richtlinie 2001/18 zudem – insbesondere in ihrem Art. 29 – die Berücksichtigung ethischer Fragen einbeziehe, so dass sich ein Mitgliedstaat nicht mehr auf Art. 30 EG berufen könne.

    35      Im Übrigen hegt die Kommission Zweifel hinsichtlich der Sachgründe, die zum Erlass der streitigen nationalen Vorschriften geführt hätten. Zum einen habe die Republik Polen keine Umstände vorgetragen, mit denen belegt werde, dass sie sich beim Erlass der in Rede stehenden Verbote von den ethischen und religiösen Erwägungen habe leiten lassen, auf die sie sich vor dem Gerichtshof berufe. Zum anderen seien die in der Klagebeantwortung angeführten ausführlichen Gründe religiöser und ethischer Art im Vorverfahren, in dem die Republik Polen vor allem auf Erwägungen hinsichtlich der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit verwiesen habe, nicht geltend gemacht worden.

    36      Ferner könne sich ein Mitgliedstaat nicht auf die Wahrnehmung durch einen Teil der öffentlichen Meinung stützen, um einseitig eine Harmonisierungsmaßnahme der Gemeinschaft in Frage zu stellen.

    37      In ihrer Gegenerwiderung macht die Republik Polen geltend, dass die Erläuterungen, mit denen die Kommission die Zulässigkeit der Klage zu begründen suche und auf einen angeblichen Verstoß gegen das System und den Geist der Richtlinie 2001/18 hinweise, unzulässig seien, da sie verspätet und zugleich zu vage seien. Jedenfalls fehle diesen Erläuterungen die Grundlage, und sei es nur deshalb, weil mit dieser Richtlinie mehrere Systeme betreffend das Inverkehrbringen von GVO, ihre absichtliche Freisetzung und schließlich ihre unabsichtliche Freisetzung geschaffen würden.

    38      Zur Sache trägt die Republik Polen vor, dass dann, wenn in einer Richtlinie wesentliche Aspekte, die eine Kategorie von Erzeugnissen kennzeichneten, nicht berücksichtigt würden, die vorgenommene Harmonisierung nicht als vollständig gelten könne. Die von der Kommission vertretene These habe im vorliegenden Fall zur Folge, dass die ethischen Aspekte in Verbindung mit GVO, deren Bedeutung vom Gemeinschaftsgesetzgeber in den Erwägungsgründen und Bestimmungen der Richtlinie 2001/18 anerkannt worden sei, dennoch im Rahmen der mit dieser Richtlinie eingerichteten Verfahren wie auch bei den anerkannten Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten nicht mehr berücksichtigt werden könnten.

    39      Angesichts ihrer ethischen Ziele seien die streitigen nationalen Vorschriften in Wirklichkeit nur im Hinblick auf die Art. 28 EG und 30 EG und nicht am Maßstab der Richtlinien 2001/18 und 2002/53 zu beurteilen. Da die Kommission allerdings keinen Verstoß gegen Art. 28 EG geltend gemacht und auch nicht in Abrede gestellt habe, dass diese nationalen Vorschriften den in Art. 30 EG aufgestellten Erfordernissen insbesondere der Verhältnismäßigkeit genügen könnten, könne vor dem Gerichtshof nur über die Frage gestritten werden, ob sich ein Mitgliedstaat im Bereich des Handels mit GVO weiterhin auf ethische Erwägungen berufen könne.

    40      Im Übrigen meint die Republik Polen, dass die Kommission, der die Beweislast für die behauptete Vertragsverletzung obliege, nicht nachgewiesen habe, dass die von ihr abgegebenen Erläuterungen ethischer Art nicht zuträfen. Entgegen dem Vorbringen der Kommission stehe es einem Mitgliedstaat frei, die im Vorverfahren geltend gemachten Verteidigungsmittel vor dem Gerichtshof hierarchisch zu gliedern und einige davon zu Lasten anderer näher zu auszuführen.

    41      Außerdem betont die Republik Polen, dass allgemein bekannt sei, dass zur Zeit der Abstimmung über die streitigen nationalen Vorschriften die Mehrheit der Abgeordneten politischen Parteien angehört hätten, für die der katholische Glaube einen zentralen Wert darstelle, so dass es in keiner Weise verwunderlich sei, dass sie sich von allgegenwärtigen und von ihren Wählern geteilten christlichen und humanistischen Werten und weniger von wissenschaftlich komplexen und schwer zu fassenden Erwägungen im Hinblick auf die Umwelt oder die öffentliche Gesundheit hätten leiten lassen.

     Würdigung durch den Gerichtshof

     Zum Gegenstand der Klage und zur Zulässigkeit

    42      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der einschlägigen Rechtsprechung ergibt, dass die Klageschrift den Streitgegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und dass diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge der Klageschrift müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (vgl. u. a. Urteil vom 12. Februar 2009, Kommission/Polen, C‑475/07, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43      Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass eine nach Art. 226 EG erhobene Klage eine zusammenhängende und genaue Darstellung der Rügen enthalten muss, damit der Mitgliedstaat und der Gerichtshof die Tragweite des gerügten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht richtig erfassen können, was notwendig ist, damit der betreffende Staat sich sachgerecht verteidigen und der Gerichtshof überprüfen kann, ob die behauptete Vertragsverletzung vorliegt (vgl. u. a. Urteil Kommission/Polen, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    44      Im vorliegenden Fall genügt, was erstens den Teil der Klage betreffend die Richtlinie 2002/53 anbelangt, der Hinweis, dass die Kommission trotz der relativen Mehrdeutigkeit des Antrags in der Klageschrift in diesem Punkt in ihrer Erwiderung bestätigt hat, dass die Klage auf die Feststellung eines Verstoßes der Republik Polen gegen ihre Verpflichtungen allein aus den im Antrag ausdrücklich genannten Vorschriften, also Art. 4 Abs. 4 und 16 dieser Richtlinie gerichtet sei. Da die Kommission im Übrigen sowohl im Vorverfahren als auch in der Klageschrift die Gründe, aus denen sie annahm, dass die streitigen nationalen Vorschriften gegen diese beiden Vorschriften verstießen, klar dargelegt hat und die Republik Polen demnach genügend Zeit hatte, sich insoweit sachgerecht zu verteidigen, kann dieser Teil der Klage nicht als unzulässig angesehen werden.

    45      Was zweitens die Zulässigkeit des Teils der Klage in Bezug auf die Richtlinie 2001/18 betrifft, ist festzustellen, dass die Kommission ihre Rügen hinsichtlich der Art. 22 und 23 dieser Richtlinie verständlich und hinreichend genau formuliert hat. Dagegen hat sie nicht mit der erforderlichen Klarheit dargelegt, aus welchen Gründen sie der Ansicht ist, dass die Republik Polen gegen ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie insgesamt verstoßen habe.

    46      Die Kommission beschränkt sich nämlich in der Klageschrift zunächst auf die Wiedergabe allein der Bestimmungen des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/18, der eine Definition der GVO enthält, sowie derjenigen der Art. 19 Abs. 1 und 2, 22 und 23 Abs. 1 dieser Richtlinie in deren Teil C über das Inverkehrbringen von GVO. Genaue Ausführungen enthält die Klageschrift sodann nur zu den Art. 22 und 23, bevor der Schluss gezogen wird, dass die streitigen nationalen Vorschriften „mit dem System des freien Verkehrs, das mit dieser Richtlinie insgesamt und insbesondere ihren Art. 22 und 23 eingeführt wurde, unvereinbar [sind]“.

    47      Wie die Republik Polen zu Recht vorträgt, wird mit einer solchen lapidaren Behauptung in keiner Weise erläutert, warum die Richtlinie 2001/18, die u. a. einen Teil B über die absichtliche Freisetzung von GVO zu anderen Zwecken als dem Inverkehrbringen und einen Teil D mit Vorschriften über Vertraulichkeit, die Kennzeichnung und den Informationsaustausch enthält, „insgesamt“ missachtet worden sei, wie es im Klageantrag heißt.

    48      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Klage hinsichtlich ihres die Richtlinie 2001/18 betreffenden Teils nur insoweit zulässig ist, als ein Verstoß gegen die Art. 22 und 23 dieser Richtlinie geltend gemacht wird, nicht aber insoweit, als sie auf die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Richtlinie „insgesamt“ gerichtet ist.

     Zur Begründetheit

    49      Die Republik Polen hat ihre Argumentation in ihrer Klagebeantwortung und in ihrer Gegenerwiderung ausschließlich auf ethische oder religiöse Gründe gestützt, die den streitigen nationalen Vorschriften zugrunde lägen.

    50      Die Republik Polen bestreitet nicht, dass mit den in den streitigen nationalen Vorschriften niedergelegten Verboten die Richtlinien 2001/18 und 2002/53 missachtet würden, sofern sich bestätigen sollte, dass der Handel mit Saatgut genetisch veränderter Sorten und deren Aufnahme in den gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten nur von diesen Richtlinien geregelt würde; dass sei vorliegend aber nicht der Fall. Da mit den fraglichen nationalen Vorschriften ethische Ziele verfolgt würden, die nicht zu den Zielen des Schutzes der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit sowie des freien Verkehrs gehörten, die diese Richtlinien kennzeichneten, würden sie von deren Anwendungsbereich nicht erfasst, so dass die damit unter potenziellem Verstoß gegen Art. 28 EG bewirkten Hemmnisse für den freien Verkehr von GVO gegebenenfalls nach Art. 30 EG gerechtfertigt werden könnten.

    51      Für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache ist es allerdings nicht erforderlich, sich zu der Frage zu äußern, ob, inwieweit und unter welchen eventuellen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten befugt bleiben, sich auf ethische oder religiöse Argumente zu berufen, um den Erlass innerstaatlicher Maßnahmen zu rechtfertigen, die – wie die streitigen nationalen Vorschriften – von den Vorschriften der Richtlinien 2001/18 und 2002/53 abweichen.

    52      Im vorliegenden Fall genügt nämlich die Feststellung, dass die Republik Polen, der im entsprechenden Fall die Beweislast obläge, jedenfalls nicht nachgewiesen hat, dass mit den streitigen nationalen Vorschriften tatsächlich die geltend gemachten religiösen und ethischen Ziele, die die Kommission im Übrigen in Zweifel zieht, verfolgt werden.

    53      Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es den Mitgliedstaaten, nachzuweisen, dass die Voraussetzungen, die eine Abweichung von Art. 28 EG ermöglichen, vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien, C‑110/05, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 62). Wenn ein Mitgliedstaat, gegen den eine Vertragsverletzungsklage erhoben wird, sich zu seiner Verteidigung auf eine Rechtfertigung aus Art. 30 EG beruft, hat der Gerichtshof somit diese Rechtfertigung insbesondere nur insoweit zu prüfen, als feststeht oder gebührend belegt wird, dass mit den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich die Ziele verfolgt werden, die ihnen der beklagte Mitgliedstaat insoweit zuschreibt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile des Gerichtshofs vom 8. Februar 1983, Kommission/Vereinigtes Königreich, 124/81, Slg. 1983, 203, Randnr. 35, vom 15. November 2005, Kommission/Österreich, C‑320/03, Slg. 2005, I‑9871, Randnr. 71, und vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C‑141/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 47).

    54      Was insbesondere die von der Republik Polen im Rahmen der vorliegenden Rechtssache geltend gemachte Rechtfertigung mit dem Schutz der öffentlichen Sittlichkeit anbelangt, ist erstens festzustellen, dass so allgemeine Behauptungen wie die von diesem Mitgliedstaat im Vorverfahren vorgetragenen, mit denen auf Befürchtungen in Bezug auf die Umwelt und die öffentliche Gesundheit, auf einen starken Widerstand der polnischen Bevölkerung gegen GVO und auf den Umstand, dass die Versammlungen der Woiwoden Entschließungen dahin gehend angenommen hätten, das die Gebiete der Woiwodschaften von genetisch veränderten Kulturen und GVO frei bleiben müssten, einem solchen Beweiserfordernis nicht genügen.

    55      Es zeigt sich nämlich, dass die öffentliche Sittlichkeit unter solchen Umständen in Wirklichkeit nicht als eigenständiger Wert geltend gemacht wird, sondern mit der Rechtfertigung mit dem Schutz der Umwelt und der Gesundheit zusammenfällt, Aspekten, die im vorliegenden Fall gerade Gegenstand der Richtlinie 2001/18 sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 1998, Compassion in World Farming, C‑1/96, Slg. 1998, I‑1251, Randnr. 66).

    56      Ein Mitgliedstaat kann sich jedoch nicht auf den Standpunkt eines Teils der öffentlichen Meinung stützen, um eine von den Gemeinschaftsorganen erlassene Harmonisierungsmaßnahme einseitig in Frage zu stellen (vgl. Urteil Compassion in World Farming, Randnr. 67). Wie der Gerichtshof in einer Rechtssache, die eben die Richtlinie 2001/18 betraf, ausgeführt hat, kann sich ein Mitgliedstaat insbesondere nicht im Stadium der Durchführung einer Handlung der Gemeinschaft auf auftretende Schwierigkeiten einschließlich solcher, die mit dem Widerstand von Privatpersonen in Zusammenhang stehen, berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2008, Kommission/Frankreich, C‑121/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 72).

    57      Zweitens ist in Bezug auf die spezifischen religiösen oder ethischen Argumente, die die Republik Polen erstmals im Rahmen ihrer beim Gerichtshof eingereichten Klagebeantwortung und Gegenerwiderung vorgetragen hat, festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat nicht nachgewiesen hat, dass dem Erlass der streitigen nationalen Vorschriften tatsächlich solche Erwägungen zugrunde lagen.

    58      Die Republik Polen hat sich nämlich im Wesentlichen eher auf eine Art allgemeine Vermutung dahin gehend bezogen, dass die im vorliegenden Fall eingetretene Entwicklung nicht überraschen könne. Zum einen wird der Umstand angeführt, dass allgemein bekannt sei, dass die polnische Gesellschaft den christlichen und katholischen Werten fundamentale Bedeutung beimesse. Zum anderen betont die Republik Polen, dass sich die politischen Parteien, die zur Zeit des Erlasses der streitigen nationalen Vorschriften über eine Mehrheit im polnischen Parlament verfügt hätten, gerade zu solchen Werten bekannt hätten. Unter diesen Umständen lasse sich vernünftigerweise annehmen, dass die Abgeordneten, die im Allgemeinen nicht über eine wissenschaftliche Bildung verfügten, eher von den religiösen oder ethischen Anschauungen beeinflusst würden, die sie somit allgemein in ihrem politischen Handeln leiteten, als von anderen Erwägungen insbesondere in Verbindung mit komplexen wissenschaftlichen Beurteilungen betreffend den Schutz der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit.

    59      Solche Erwägungen reichen indessen nicht aus, um nachzuweisen, dass der Erlass der streitigen nationalen Vorschriften tatsächlich an den in der Klagebeantwortung und der Gegenerwiderung beschriebenen Gründen ethischer und religiöser Art ausgerichtet war, zumal die Republik Polen ihre Verteidigung im Vorverfahren hauptsächlich auf die Unzulänglichkeiten ausgerichtet hatte, die die Richtlinie 2001/18 aus ihrer Sicht im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip und angesichts der Gefahren, die sie für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit mit sich bringe, aufweise.

    60      Daher bleibt für die Entscheidung über die Klage der Kommission festzustellen, dass entsprechend dem Vorbringen der Kommission generelle Verbote wie die in den streitigen nationalen Vorschriften aufgestellten gegen die Verpflichtungen der Republik Polen aus den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2001/18 sowie den Art. 4 Abs. 4 und 16 der Richtlinie 2002/53 verstoßen.

    61      Zum einen verpflichten die Art. 22 und 23 der Richtlinie 2001/18 die Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von GVO als Produkte oder in Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht zu verbieten, einzuschränken oder zu behindern, sofern sie sich nicht unter Beachtung der insoweit in der zweitgenannten Vorschrift aufgestellten präzisen Voraussetzungen auf die Möglichkeit berufen, die dort vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu erlassen. Eine einseitige nationale Maßnahme in Form eines generellen Verbots der Vermarktung des Saatguts von GVO, wie sie Art. 57 Abs. 3 des Saatgutgesetzes vorsieht, verstößt somit offenkundig gegen die Bestimmungen dieser Art. 22 und 23.

    62      Ein solches generelles Verbot verstößt auch offenkundig gegen Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2002/53, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Saatgut von Sorten, die entsprechend dieser Richtlinie zugelassen wurden, keinen Verkehrsbeschränkungen hinsichtlich der Sorte zu unterwerfen, sofern sie sich nicht auf die hier nicht anwendbaren Ausnahmen nach Abs. 2 dieses Artikels berufen. Wie die Kommission vorgetragen hat, steht insoweit fest, dass eine Reihe der Sorten, die entsprechend dieser Richtlinie zugelassen wurden und demgemäß im gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten gemäß Art. 17 der Richtlinie aufgeführt sind, genetisch veränderte Sorten sind.

    63      Zum anderen ergibt sich insbesondere aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/53, dass die Aufnahme von genetisch veränderten Sorten in den nationalen Sortenkatalog nicht generell verboten werden darf, wie es in Art. 5 Abs. 4 des Saatgutgesetzes vorgesehen ist. Aus Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie geht nämlich insbesondere hervor, dass die eventuelle Ablehnung der Aufnahme einer Sorte in den nationalen Katalog allein wegen des Umstands, dass sie genetisch verändert ist, nur dann gerechtfertigt ist, wenn nicht alle angemessenen Maßnahmen ergriffen worden sind, um nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu vermeiden, was, wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, insbesondere dann nicht der Fall sein kann, wenn eine Sorte nach den Vorschriften der Richtlinie 2001/18 zugelassen worden ist.

    64      Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2001/18 sowie aus den Art. 4 Abs. 4 und 16 der Richtlinie 2002/53 verstoßen hat, dass sie den freien Verkehr mit Saatgut genetisch veränderter Sorten und die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den nationalen Sortenkatalog verbietet.

    65      Wie sich aus Randnr. 48 des vorliegenden Urteils ergibt, ist die Klage hingegen als unzulässig abzuweisen, soweit sie auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Republik Polen gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/18 insgesamt verstoßen hat.

     Kosten

    66      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 69 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof allerdings die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Im vorliegenden Fall ist die Republik Polen zwar mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen, doch ist zu berücksichtigen, dass die Klage der Kommission teilweise für unzulässig erklärt wurde. Angesichts der Umstände des vorliegenden Falls ist zu entscheiden, dass die Republik Polen neben ihren eigenen Kosten zwei Drittel der Kosten der Kommission trägt. Die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

    1.      Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates sowie aus den Art. 4 Abs. 4 und 16 der Richtlinie 2002/53/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten verstoßen, dass sie den freien Verkehr mit Saatgut genetisch veränderter Sorten und die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den nationalen Sortenkatalog verbietet.

    2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    3.      Die Republik Polen trägt ihre eigenen Kosten sowie zwei Drittel der Kosten der Kommission.

    4.      Die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Polnisch.

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