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Document 62008CC0392

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 10. Dezember 2009.
Europäische Kommission gegen Königreich Spanien.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 96/82/EG - Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen - Art. 11 Abs. 1 Buchst. c - Pflicht zur Erarbeitung von Notfallplänen - Frist.
Rechtssache C-392/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-02537

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:773

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 10. Dezember 2009(1)

Rechtssache C‑392/08

Europäische Kommission

gegen

Königreich Spanien

„Richtlinie 96/82/EG (Seveso II) – Externe Notfallpläne – Frist“





I –    Einleitung

1.        Die Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen(2) (nachfolgend: Seveso-II-Richtlinie) bezweckt den Schutz gegenüber Unfallrisiken bei der industriellen Verwendung bestimmter Substanzen. Sie verlangt daher insbesondere, dass für die erfassten Betriebe so genannte interne und externe Notfallpläne erstellt werden.

2.        Die Kommission beanstandet, dass die spanischen Behörden nicht für alle betroffenen Betriebe externe Notfallpläne erstellt haben. Spanien hält dem entgegen, es gebe keine Frist für die Festlegung dieser Pläne. Auch würden noch interne Notfallpläne und Informationen der Betriebe fehlen.

II – Rechtlicher Rahmen

3.        Die maßgeblichen Regelungen über Notfallpläne sind in Art. 11 der Seveso-II-Richtlinie niedergelegt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass für alle unter Art. 9 fallenden Betriebe

a)      durch den Betreiber ein interner Notfallplan für Maßnahmen innerhalb des Betriebs erstellt wird, und zwar

–        bei neuen Betrieben vor der Inbetriebnahme;

–        bei bestehenden, bisher nicht unter die Richtlinie 82/501/EWG fallenden Betrieben innerhalb von drei Jahren ab dem in Art. 24 Abs. 1 genannten Zeitpunkt;

–        bei sonstigen Betrieben innerhalb von zwei Jahren ab dem in Art. 24 Abs. 1 genannten Zeitpunkt;

–        bei Betrieben, die später in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie gemäß Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 für den betreffenden Betrieb gilt;

b)      die zuständigen Behörden von dem Betreiber die für die Erstellung externer Notfallpläne erforderlichen Informationen innerhalb der nachstehenden Fristen erhalten:

–        bei neuen Betrieben vor der Inbetriebnahme;

–        bei bestehenden, bisher nicht unter die Richtlinie 82/501/EWG fallenden Betrieben, innerhalb von drei Jahren ab dem in Art. 24 Abs. 1 genannten Zeitpunkt;

–        bei sonstigen Betrieben innerhalb von zwei Jahren ab dem in Art. 24 Abs. 1 genannten Zeitpunkt;

–        bei Betrieben, die später in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie gemäß Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 für den betreffenden Betrieb gilt;

c)      die von dem Mitgliedstaat hierzu benannten Behörden einen externen Notfallplan für Maßnahmen außerhalb des Betriebs erstellen.

(2)      Notfallpläne müssen erstellt werden, um

–        Schadensfälle einzudämmen und unter Kontrolle zu bringen, so dass die Folgen möglichst gering gehalten und Schäden für Mensch, Umwelt und Sachen begrenzt werden können;

–        Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt vor den Folgen schwerer Unfälle einzuleiten;

–        notwendige Informationen an die Öffentlichkeit sowie betroffene Behörden oder Dienststellen in dem betreffenden Gebiet weiterzugeben;

–        Aufräumarbeiten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Umwelt nach einem schweren Unfall einzuleiten.

Die Notfallpläne enthalten die in Anhang IV genannten Informationen.

(3)      Unbeschadet der Verpflichtungen der zuständigen Behörden sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen internen Notfallpläne unter Beteiligung der im Betrieb tätigen Personen, einschließlich des relevanten langfristig beschäftigten Personals von Subunternehmen, erstellt werden und die Öffentlichkeit zu den externen Notfallplänen gehört wird, wenn diese erstellt oder aktualisiert werden.

(4)      Die Mitgliedstaaten führen ein System ein, das sicherstellt, dass die internen und externen Notfallpläne in angemessenen Abständen von höchstens drei Jahren durch die Betreiber und die bezeichneten Behörden überprüft, erprobt und erforderlichenfalls überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht werden. Bei dieser Überprüfung werden Veränderungen in den betreffenden Betrieben und den betreffenden Notdiensten, neue technische Erkenntnisse und Erkenntnisse darüber, wie bei schweren Unfällen zu handeln ist, berücksichtigt.

(4a)      …

(5)      …

(6)      Die zuständige Behörde kann aufgrund der Informationen in dem Sicherheitsbericht entscheiden, dass sich die Erstellung eines externen Notfallplans nach Abs. 1 erübrigt; die Entscheidung ist zu begründen.“

4.        Die Seveso-II-Richtlinie war nach Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 bis zum 3. Februar 1999 umzusetzen.

III – Verfahren und Anträge

5.        Nach einem Bericht der Kommission über die Anwendung der Seveso-II-Richtlinie(3) waren in Spanien, wie in anderen Mitgliedstaaten, Ende des Jahres 2002 noch nicht alle notwendigen externen Notfallpläne im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. c erstellt. Nach einer weiteren Anfrage der Kommission teilte Spanien im Jahr 2006 mit, dass erst 35,2 % aller erforderlichen externen Notfallpläne erstellt seien.

6.        Die Kommission kam daher zu dem Ergebnis, dass Spanien seine Verpflichtungen aus Art. 11 der Seveso-II-Richtlinie verletzt habe und forderte diesen Mitgliedstaat am 23. März 2007 zur Stellungnahme auf (Mahnschreiben). Da nach der Antwort vom 25. Juni 2007 immer noch externe Notfallpläne fehlten, richtete die Kommission am 23. Oktober 2007 eine begründete Stellungnahme an Spanien und setzte darin eine letzte Frist von zwei Monaten, um die Verletzung des Gemeinschaftsrechts zu beenden.

7.        Nach Prüfung der spanischen Antwort vom 10. Januar 2008 blieb die Kommission bei ihrer Auffassung und erhob die vorliegende Klage.

8.        Die Kommission beantragt,

festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen Art. 11 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen verstoßen hat, dass es nicht für alle unter Art. 9 dieser Richtlinie fallenden Betriebe externe Notfallpläne aufgestellt hat;

dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.

9.        Spanien beantragt,

die Klage abzuweisen und

der klagenden Institution die Kosten aufzuerlegen.

IV – Rechtliche Würdigung

10.      Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. c der Seveso-II-Richtlinie erstellen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten für alle von der Richtlinie erfassten Betriebe einen externen Notfallplan für Maßnahmen außerhalb des Betriebs.

11.      Spanien trägt allerdings vor, die fehlenden externen Notfallpläne hätten noch nicht erstellt werden müssen. Art. 11 Abs. 1 Buchst. c der Seveso-II-Richtlinie enthält nämlich keine Frist für die Erstellung externer Notfallpläne.

12.      Wenn eine Richtlinienbestimmung keine gesonderte Frist für ihre Umsetzung enthält, gilt normalerweise die allgemeine Umsetzungsfrist.(4) Beide Parteien verweisen allerdings zu Recht auf Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Seveso-II-Richtlinie, der den Betreibern der Betriebe längere Fristen eröffnet, um Informationen zu übermitteln, die für die externen Notfallpläne erforderlich sind. Daher können die externen Notfallpläne nicht erstellt werden, bevor die Informationen eingegangen sind.

13.      Die Kommission nimmt an, die Pflicht zur Erstellung der externen Notfallpläne sei an die Fristen für die Übermittlung der erforderlichen Informationen gebunden.

14.      Allerdings können die Fristen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Seveso-II-Richtlinie nicht unmittelbar auf Buchst. c übertragen werden. Denn die zuständigen Behörden benötigen ausreichend Zeit um nach Eingang der Informationen einen externen Notfallplan zu erstellen.

15.      Somit kann der Richtlinie keine eindeutige Frist für die Erstellung der externen Notfallpläne entnommen werden.

16.      Gleichwohl enthält Art. 11 Abs. 1 Buchst. c der Seveso-II-Richtlinie eine unbedingte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die für die Ziele der Richtlinie von großer Bedeutung ist. Wie Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich festhält, müssen öffentliche Stellen im Übrigen nach dem Prinzip der guten Verwaltungsführung, das auch die Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu beachten haben,(5) ihren Verpflichtungen innerhalb einer angemessenen Frist nachkommen. Daher dürfen die Mitgliedstaaten die Erstellung der externen Notfallpläne nicht über Gebühr verzögern.(6)

17.      Somit wäre zu klären, welche Zeitspanne für die Erstellung eines externen Notfallplans angemessen ist. Dies ist grundsätzlich anhand aller maßgeblichen Umstände zu klären.(7) Zwar kann es insoweit auf die Umstände jedes einzelnen Falls ankommen,(8) doch kann die Kommission grundsätzlich den Vorwurf eines landesweiten Verstoßes unter Bezugnahme auf Statistiken schlüssig darlegen. Auf Einzelfälle ist bei dieser Vorgehensweise nur einzugehen, soweit sich die Verteidigung des Mitgliedstaats auf Einzelfälle stützt.

18.      Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass in Spanien seit vielen Jahren nicht für alle erfassten Betriebe die notwendigen externen Notfallpläne vorliegen. Zwar sind die Zahlen nicht ausreichend detailliert dargestellt, um festzustellen, in welchen Fällen die Fristen für die Übermittlung der notwendigen Informationen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Seveso-II-Richtlinie schon länger abgelaufen sind. Spanien verteidigt sich aber nicht mit dem Argument, die Zeit hätte für die Festlegung externer Notfallpläne nicht ausgereicht. Daher ist davon auszugehen, dass ausreichend Zeit für die Erstellung dieser Notfallpläne zur Verfügung stand.

19.      Spanien begründet das Fehlen externer Notfallpläne vielmehr damit, dass die zuständigen Behörden zunächst die internen Notfallpläne und die Informationen der Betriebe abwarten müssten. Diesem Vorbringen ist zuzugeben, dass ohne diese Maßnahmen der Betriebe die externen Notfallpläne nicht erstellt werden können.

20.      Die Mitgliedstaaten sind jedoch nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a und b der Seveso-II-Richtlinie verpflichtet, für die fristgemäße Erfüllung dieser Betriebspflichten zu sorgen.(9) Spanien kann sein Versäumnis, rechtzeitig externe Notfallpläne zu erstellen, nicht damit rechtfertigen, dieser vorgelagerten Pflicht nicht nachgekommen zu sein.

21.      Der Klage ist daher stattzugeben.

V –    Zu den Kosten

22.      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

VI – Ergebnis

23.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Das Königreich Spanien hat dadurch gegen Art. 11 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen verstoßen, dass es nicht für alle unter Art. 9 dieser Richtlinie fallenden Betriebe externe Notfallpläne aufgestellt hat.

2.      Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. 1997, L 10, S. 13, in der Fassung durch die Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82, ABl. L 345, S. 97.


3 – Entwurf des Berichts über die Durchführung der Richtlinie 96/82/EWG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen im Zeitraum 2000-2002, http://ec.europa.eu/environment/seveso/pdf/report_de.pdf, besucht am 12. November 2009.


4 – Vgl. das Urteil vom 2. August 1993, Kommission/Spanien (C‑355/90, Slg. 1993, I‑4221, Randnr. 11), zur Ausweisung besonderer Schutzgebiete für Vögel.


5 – Urteil vom 21. Juni 2007, Laub (C‑428/05, Slg. 2007, I‑5069, Randnr. 25).


6 – Dementsprechend hat der Gerichtshof in den Urteilen vom 12. März 2009, Kommission/Luxemburg (C‑289/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), sowie Kommission/Belgien (C‑342/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), vom 2. April 2009, Kommission/Österreich (C‑401/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), und vom 15. Oktober 2009, Kommission/Portugal (C‑30/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), bereits festgestellt, dass die betroffenen Mitgliedstaaten Art. 11 der Seveso-II-Richtlinie verletzt haben, weil noch nicht für alle Betriebe externe Notfallpläne bestanden.


7 – Siehe zur angemessenen Dauer des Verfahrens vor Gericht die Urteile vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission (C‑385/07 P, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 181 m.w.N.), und vom 3. September 2009, Papierfabrik August Koehler/Kommission (C‑322/07 P, C‑327/07 P und C‑338/07 P, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 144 m.w.N.). Vgl. zur Prüfung der angemessenen Frist für die Umsetzung eines Urteils in einem Vertragsverletzungsverfahren das Urteil vom 4. Juni 2009, Kommission/Griechenland (C‑568/07, Slg. 2009, I-0000, Randnrn. 51 ff.).


8 – So in den in Fn. 7 zitierten Urteilen zur Dauer von Gerichtsverfahren.


9 – Vgl. das Urteil Kommission/Portugal (zitiert in Fn. 6, Randnr. 17).

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