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Document 62008CC0325
Opinion of Advocate General Sharpston delivered on 16 July 2009. # Olympique Lyonnais SASP v Olivier Bernard and Newcastle UFC. # Reference for a preliminary ruling: Cour de cassation - France. # Article 39 EC - Freedom of movement for workers - Restriction - Professional football players - Obligation to sign the first professional contract with the club which provided the training - Player ordered to pay damages for infringement of that obligation - Justification - Objective of encouraging the recruitment and training of young professional players. # Case C-325/08.
Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 16. Juli 2009.
Olympique Lyonnais SASP gegen Olivier Bernard und Newcastle UFC.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Frankreich.
Art. 39 EG - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Beschränkung - Berufsfußballspieler - Verpflichtung zum Abschluss des ersten Vertrags als Berufsspieler mit dem ausbildenden Verein - Verurteilung des Spielers zu Schadensersatz wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung - Rechtfertigung - Zweck, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsspielern zu fördern.
Rechtssache C-325/08.
Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 16. Juli 2009.
Olympique Lyonnais SASP gegen Olivier Bernard und Newcastle UFC.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Frankreich.
Art. 39 EG - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Beschränkung - Berufsfußballspieler - Verpflichtung zum Abschluss des ersten Vertrags als Berufsspieler mit dem ausbildenden Verein - Verurteilung des Spielers zu Schadensersatz wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung - Rechtfertigung - Zweck, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsspielern zu fördern.
Rechtssache C-325/08.
Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-02177
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:481
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
ELEANOR SHARPSTON
vom 16. Juli 20091(1)
Rechtssache C‑325/08
Olympique Lyonnais
gegen
Olivier Bernard and Newcastle United
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de Cassation [Frankreich])
„Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Nationale Bestimmung, durch die ein Fußballspieler verpflichtet wird, den Verein, der ihn ausgebildet hat, zu entschädigen, wenn er nach Abschluss seiner Ausbildung einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein in einem anderen Mitgliedstaat abschließt – Beeinträchtigung der Freizügigkeit – Rechtfertigungsgrund der Notwendigkeit, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsberufsspielern zu fördern“
1. Für die Anhänger der „schönsten Nebensache der Welt“ ist sie eine Leidenschaft – ja sogar eine Religion(2). Treue Fans reisen in Massen durch die gesamte Union, um ihre Mannschaft bei jedem Spiel zu unterstützen, und die zu erwartenden Leistungen möglicher Neuzugänge (gegebenenfalls Transfers von anderen Vereinen und Nachwuchsspieler aus den eigenen Reihen) sind von höchster Bedeutung. Für begabte Jugendliche, die von einem Talentscout entdeckt und von einem guten Verein in die Lehre genommen werden (d. h. einen Ausbildungsvertrag erhalten), eröffnet sich wie von Zauberhand der Weg zu einer Karriere als Berufsfußballer. Früher oder später tritt jedoch neben den Traum vom fußballerischen Ruhm unweigerlich auch die schnöde Realität, das höchstmögliche Einkommen während der begrenzten Zeit als Berufsspieler bei dem Klub zu erzielen, der das attraktivste Gehaltspaket anzubieten bereit ist. Gleichzeitig sehen es die Vereine verständlicherweise nicht gern, wenn „ihre“ besten jungen Hoffnungsträger, in deren Ausbildung sie hohe Summen investiert haben, von anderen Klubs abgeworben werden. Handelt es sich bei dem ausbildenden Verein um einen kleinen und verhältnismäßig armen und bei dem abwerbenden Verein um einen großen und bedeutend reicheren Klub, bringen derartige Manöver das (wirtschaftliche und sportliche) Überleben des kleineren Vereins ernsthaft in Gefahr.
2. Der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich kurz darstellen. Einem jungen Fußballer wurde von dem französischen Verein, der ihn drei Jahre lang ausgebildet hatte, ein Vertrag als Berufsspieler angeboten. Er lehnte ab und nahm stattdessen ein anderweitiges Angebot, für einen englischen Klub als Profifußballer zu spielen, an. Gemäß der damals in Frankreich geltenden Regelung für den Berufsfußball machte er sich damit gegenüber dem französischen Verein schadensersatzpflichtig. Dieser Verein verklagte den Spieler und den englischen Klub vor den französischen Gerichten auf Zahlung eines Betrags in Höhe des Jahresentgelts, das der Spieler erhalten hätte, wenn er den Vertrag mit dem französischen Verein geschlossen hätte.
3. Hierzu möchte die Cour de Cassation wissen, ob die beschriebene Regelung gegen den in Art. 39 EG verankerten Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit verstößt und, falls ja, ob sie mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsberufsspielern zu fördern.
Einschlägige Bestimmungen
Gemeinschaftsrecht
4. Art. 39 gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Diese Freizügigkeit gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern insbesondere das Recht, a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort eine Beschäftigung auszuüben.
Nationale Bestimmungen
5. Zur maßgebenden Zeit(3) war in Art. L. 120‑2 des französischen Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt: „Niemand darf die Rechte der Person oder die individuellen oder kollektiven Freiheiten durch eine Maßnahme beschränken, die nicht durch das Wesen der zu erfüllenden Aufgabe gerechtfertigt und in Bezug auf den verfolgten Zweck nicht verhältnismäßig ist.“
6. Nach Art. L. 122‑3‑8 des Code du travail konnte ein befristeter Arbeitsvertrag nur im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien, im Fall eines schwerwiegenden Fehlverhaltens oder bei Eintritt höherer Gewalt vorzeitig aufgelöst werden. Kündigte der Arbeitgeber den Vertrag vorzeitig ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen, hatte der Arbeitnehmer Anspruch aus Schadensersatz in Höhe mindestens des Gehalts, das er bei Einhalten der vereinbarten Vertragslaufzeit erhalten hätte. Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer hatte der Arbeitgeber Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens.
7. Damals enthielt der Code du sport (Sportgesetzbuch) keine Bestimmungen über die Ausbildung von Berufssportlern, sieht jetzt aber in seinem Art. L. 211‑5 vor, dass in Profiausbildungsverträge eine Verpflichtung des Auszubildenden aufgenommen werden kann, nach Abschluss der Ausbildung einen Arbeitsvertrag mit dem ausbildenden Verein mit einer Laufzeit von höchstens drei Jahren abzuschließen.
8. Darüber hinaus war die Beschäftigung von Fußballspielern in Frankreich in der Charte du football professionnel (Berufsfußball-Charta) geregelt, die einem Tarifvertrag für diesen Sektor gleichkommt. Titel III, Kapitel IV der Charta (in der Fassung von 1997/98) betraf die Kategorie der sogenannten „joueurs espoir“ – vielversprechende Spieler im Alter von 16 bis 22 Jahren, die eine Laufbahn als Berufsfußballer anstreben und bei einem professionellen Verein im Rahmen eines befristeten Vertrags als Auszubildende beschäftigt sind. In Art. 23 der Charta(4) hieß es u. a.:
„…
Bei regulärem Ablauf des Vertrags ist der Verein berechtigt, von der Gegenpartei den Abschluss eines Vertrags als Berufsspieler zu verlangen.
…
1. Hat der Verein diese Möglichkeit nicht genutzt, kann der Spieler seine Situation auf folgende Weise regeln:
a) Abschluss eines Berufsspielervertrags mit dem Verein seiner Wahl, ohne dass dem bisherigen Verein eine Entschädigung geschuldet wird;
…
2. Lehnt es der Spieler ab, einen Vertrag als Berufsspieler abzuschließen, kann er während eines Zeitraums von drei Jahren ohne schriftliche Zustimmung des Vereins, in dem er als ‚joueur espoir‘ gespielt hat, mit keinem anderen Verein der [französischen nationalen Fußballliga] einen Vertrag welcher Kategorie auch immer schließen …
…“
9. Anders als heute war zur maßgebenden Zeit in der Charta – deren Geltungsbereich damals auf Frankreich beschränkt war und immer noch beschränkt ist – die Frage ungeregelt, inwieweit eine Entschädigungspflicht zwischen Vereinen besteht, wenn ein Spieler von einem Verein ausgebildet worden ist und dann einen Vertrag mit einem anderen Verein abschließt. Den Angaben des Bevollmächtigten der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung zufolge lehnt sich die nunmehr in Frankreich geltende Regelung eng an die derzeitigen FIFA-Regeln an, die nachstehend aufgeführt sind.
Internationale Regeln
10. Mit Blick auf Transfers zwischen Fußballvereinen in verschiedenen Ländern enthält das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern jetzt Bestimmungen über eine Ausbildungsentschädigung für die Fälle, dass ein Spieler seinen ersten Profivertrag unterzeichnet oder vor dem Ende der Spielzeit, in der er 23 Jahre alt wird, transferiert wird. Diese Regeln wurden gemeinsam mit der Kommission im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bosman(5) erarbeitet.
11. Gemäß Art. 20 und Anhang 4 des FIFA-Reglements erhalten die Vereine, die den Spieler ausgebildet haben, bei der Unterzeichnung des ersten Profivertrags durch den Spieler und in der Folgezeit bei jedem Transfer als Berufsspieler bis zum Ende der Spielzeit, in der dieser 23 Jahre alt wird, eine Ausbildungsentschädigung.
12. Wenn ein Spieler zum ersten Mal als Berufsspieler registriert wird, zahlt der Verein, für den der Spieler registriert wird, allen Vereinen, die zu seiner Ausbildung beigetragen haben, eine Ausbildungsentschädigung anteilig gemäß der Zeit, die der Spieler bei den betreffenden Vereinen verbracht hat. Bei späteren Wechseln ist vom neuen Verein nur für die Zeitdauer, während deren der Spieler von dem betreffenden Verein ausgebildet worden ist, eine Ausbildungsentschädigung an den ehemaligen Verein zu entrichten.
13. Die Vereine sind nach Maßgabe ihrer finanziellen Aufwendungen für die Ausbildung der Spieler in Kategorien eingeteilt. Die für die einzelnen Kategorien festgelegten Trainingskosten entsprechen dem Betrag, der zur Ausbildung eines Spielers für ein Jahr erforderlich ist, multipliziert mit dem sogenannten Spielerfaktor, der durch das Verhältnis zwischen der Zahl der Spieler bestimmt wird, die zur Hervorbringung eines Berufsspielers auszubilden sind.
14. Die Höhe der Entschädigung richtet sich nach dem finanziellen Aufwand, den der neue Verein gehabt hätte, wenn er den Spieler selbst ausgebildet hätte. Grundsätzlich berechnet sich die Entschädigung bei der erstmaligen Registrierung als Berufsspieler durch die Multiplikation der Trainingskosten des neuen Vereins mit der Zahl der Trainingsjahre. Bei nachfolgenden Transfers berechnet sich die Entschädigung durch die Multiplikation der Trainingskosten des neuen Vereins mit der Zahl der Trainingsjahre beim ehemaligen Verein.
15. Bei Spielerwechseln innerhalb der EU oder des EWR gilt jedoch Folgendes: Wechselt ein Spieler von einem Verein einer niedrigeren Kategorie zu einem Verein einer höheren Kategorie, errechnet sich die Ausbildungsentschädigung gemäß den durchschnittlichen Trainingskosten der beiden Vereine; wechselt ein Spieler von einem Verein einer höheren Kategorie zu einem Verein einer tieferen Kategorie, errechnet sich die Ausbildungsentschädigung gemäß den Trainingskosten des Vereins der niedrigeren Kategorie.
16. Darüber hinaus ist in Art. 21 und Anhang 5 ein „Solidaritätsmechanismus“ vorgesehen. Wird ein Spieler vor Ablauf seines Vertrags transferiert, erhalten alle Vereine, die zwischen seinem 12. und seinem 23. Geburtstag zu seinem Training und seiner Ausbildung beigetragen haben, einen Teil der Entschädigung, die an seinen ehemaligen Verein entrichtet wird. Der Anteil beträgt insgesamt höchstens 5 % der Gesamtentschädigung und wird nach Spielzeiten unter den betreffenden Vereinen aufgeteilt.
17. Ebenso wie in Frankreich existierten zur maßgebenden Zeit keine derartigen internationalen Regeln.
Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen
18. 1997 unterzeichnete Olivier Bernard mit dem französischen Fußballverein Olympique Lyonnais einen Vertrag als „joueur espoir“ für drei Spielzeiten mit Wirkung von 1. Juli 1997. Noch vor Ablauf dieses Vertrags bot ihm Olympique Lyonnais einen Vertrag als Berufsspieler mit einer Laufzeit von einem Jahr ab 1. Juli 2000 an. Herr Bernard (der offenbar mit dem vorgeschlagenen Gehalt nicht zufrieden war) lehnte das Angebot ab und schloss im August 2000 einen Profivertrag mit dem englischen Verein Newcastle United(6).
19. Als Olympique Lyonnais von diesem Vertrag erfuhr, verklagte der Verein Herrn Bernard vor dem Conseil de Prud’hommes in Lyon und nahm ihn und Newcastle United gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch. Der eingeklagte Betrag belief sich auf 53 357,16 Euro – was der Vorlageentscheidung zufolge dem Entgelt entspricht, das Herr Bernard während eines Jahres erhalten hätte, wenn er den von Olympique Lyonnais angebotenen Vertrag geschlossen hätte.
20. Der Conseil de Prud’hommes war der Ansicht, dass Herr Bernard den Vertrag einseitig beendet habe, und verurteilte ihn und Newcastle United gemäß Art. L. 122‑3‑8 des Code du travail gesamtschuldnerisch zur Leistung von Schadensersatz an Olympique Lyonnais in Höhe von 22 867,35 Euro. Der Unterschied zwischen dem beantragten und dem zuerkannten Schadensersatzbetrag wurde in der Entscheidung nicht begründet.
21. Auf das von den Beklagten eingelegte Rechtsmittel entschied die Cour d’Appel, Lyon, dass Art. 23 der Fußball-Charta rechtswidrig sei. Die damit auferlegte Beschränkung verstoße gegen den fundamentalen Grundsatz der freien Ausübung einer Berufstätigkeit sowie gegen Art. L. 120‑2 des Code du travail. Insbesondere gebe es keine Bestimmung über die Entrichtung einer Ausbildungsentschädigung im Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung. Die Verpflichtung eines Spielers, weiterhin für den Verein zu arbeiten, der ihn ausgebildet habe, stelle eine Beschränkung der Vertragsfreiheit dar, die unabhängig von den Ausbildungskosten im Hinblick auf den Schutz der berechtigten Interessen des Vereins unverhältnismäßig sei.
22. Keines dieser beiden Gerichte hielt es für notwendig, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, obwohl dies von Newcastle United beantragt worden war. Die Cour d’Appel führte – wenngleich ihre Entscheidung auf französischem Recht beruhte – allerdings aus, dass die mit Art. 23 der Fußball-Charta auferlegte Verpflichtung auch gegen Art. 39 EG verstoße.
23. Olympique Lyonnais legte daraufhin Rechtsmittel bei der Cour de Cassation ein. Diese hebt hervor, dass Olympique Lyonnais ihren Anspruch auf die Nichterfüllung der Verpflichtung von Herrn Bernard zum Abschluss eines Vertrags mit dem Verein, der ihn ausgebildet habe, und nicht auf das Verbot des Abschlusses eines Vertrags mit einem anderen Verein in der französischen Liga stütze. Die fragliche Verpflichtung verbiete einem Spieler zwar nicht, mit einem ausländischen Verein einen Vertrag zu schließen, sei aber geeignet, ihn davon abzuhalten, weil er sich dadurch schadensersatzpflichtig machen könne. Andererseits sei eine solche Verpflichtung möglicherweise durch das berechtigte Interesse des Vereins gerechtfertigt, einen Nachwuchsspieler zu behalten, den er gerade erst ausgebildet habe.
24. Die Cour de Cassation verweist darauf, das gemäß dem Urteil Bosman Art. 39 EG „der Anwendung von durch Sportverbände aufgestellten Regeln entgegen [steht], nach denen ein Berufsfußballspieler, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, bei Ablauf des Vertrages, der ihn an einen Verein bindet, nur dann von einem Verein eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt werden kann, wenn dieser dem bisherigen Verein eine Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung gezahlt hat“, und ist der Ansicht, dass der vorliegende Fall eine ernste Schwierigkeit bei der Auslegung von Art. 39 EG aufwerfe.
25. Sie ersucht daher um Vorabentscheidung folgender Fragen:
1. Steht der in Art. 39 EG aufgestellte Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, wonach sich ein „joueur espoir“, der nach Abschluss seiner Ausbildungszeit einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union schließt, einer Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz aussetzt?
2. Wenn dies bejaht wird: Stellt die Notwendigkeit, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsberufsspielern zu fördern, ein rechtmäßiges Ziel oder einen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses dar, mit dem eine solche Einschränkung gerechtfertigt werden kann?
26. Olympique Lyonnais und Newcastle United, die Regierungen Frankreichs, Italiens, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Olympique Lyonnais, die französische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 5. Mai 2009 mündlich verhandelt.
Würdigung
Vorbemerkung
Tragweite der Fragen
27. Ich halte es für wichtig, im Auge zu behalten, dass die sportliche Betätigung nur und eben deswegen in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, weil und soweit sie in dem vom diesem Recht geregelten Bereich des Wirtschaftslebens und der individuellen Tätigkeiten und Freiheiten ausgeübt wird. Dies ist auch die grundlegende Prämisse, von der das Urteil Bosman ausgeht(7).
28. Wenn also die Grundsätze und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens Anwendung finden, dann ist potenziell auch die Entscheidung des Gerichtshofs im vorliegenden Fall für einen weiteren Kreis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aller Sektoren, für die diese Grundsätze und Vorschriften gelten, von Bedeutung.
29. Die niederländische Regierung weist daher zu Recht darauf hin, dass es hier um die allgemeine Situation eines Arbeitgebers geht, der zu finanziellen Aufwendungen für die Ausbildung eines Arbeitnehmers bereit ist, es aber nicht gern sieht, wenn der Arbeitnehmer mit seinen erworbenen wertvollen Fähigkeiten sofort davonzieht und sie in den Dienst eines konkurrierenden Arbeitgebers stellt. Diese Situation wird insofern vom Gemeinschaftsrecht berührt, als jede Beschränkung der dem Arbeitnehmer zustehenden Freiheit, sich anderweitig um Stellen zu bewerben oder eine Beschäftigung aufzunehmen, eine Beschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft darstellen könnte.
30. Bei der Prüfung, ob eine unzulässige Beschränkung der Freizügigkeit vorliegt, kommt es meines Erachtens auf die besonderen Merkmale des Sports im Allgemeinen und des Fußballs im Besonderen nicht entscheidend an. Allerdings müssen sie bei der Untersuchung möglicher Rechtfertigungsgründe für solche Beschränkungen sorgfältig berücksichtigt werden – genauso wie den besonderen Merkmalen jedes anderen Sektors Rechnung zu tragen wäre, wenn die in diesem Bereich geltenden Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen geprüft werden.
31. Allerdings reichen die dem Gerichtshof vorliegenden Ausführungen meines Erachtens nicht aus, um sich angemessen zu der allgemeinen Problematik zu äußern. Die niederländische Regierung, die in ihren schriftlichen Erklärungen die generellere Fragestellung angesprochen hat, war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten, und keiner der anwesenden Verfahrensbeteiligten hat – trotz entsprechender Anregung seitens des Gerichtshofs – die Frage weiter vertieft. Angesichts dessen will ich die Tragweite des vorliegenden Falls nicht im Einzelnen ausleuchten und schlage dem Gerichtshof vor, seine Entscheidung auf die speziellen Verhältnisse des Ausgangsverfahrens zu beschränken.
Umfang der beanstandeten Regelung
32. Wie sowohl Newcastle United als auch die Regierung des Vereinigten Königreichs hervorheben, sieht Art. 23 der Fußball-Charta keine ausdrückliche Schadensersatzpflicht eines Spielers vor, der nach Abschluss seiner Ausbildung bei einem französischen Verein einen Vertrag mit einem Verein in einem anderen Mitgliedstaat abschließt.
33. Die Vorlagefragen zielen jedoch nicht auf die gemeinschaftsrechtliche Konformität einer konkreten Rechtsvorschrift ab, sondern einer Regelung, „wonach sich ein ‚joueur espoir‘, der nach Abschluss seiner Ausbildungszeit einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union schließt, einer Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz aussetzt“. Dies ist nämlich die Wirkung, die nach Auffassung des Conseil de Prud’hommes Art. 23 der Fußball-Charta und Art. L. 122‑3‑8 des Code du travail entfalten, und weder die Cour d’Appel noch die Cour de Cassation halten diese Auslegung für fehlerhaft, sondern weisen lediglich darauf hin, dass durch die genannte Wirkung höherrangiges Recht verletzt ist oder verletzt sein könnte.
34. Dementsprechend hat sich der Gerichtshof mit der beschriebenen Wirkung zu befassen, auf welche kodifizierten Normen sie auch immer zurückzuführen sein mag.
Frage 1: Vereinbarkeit mit Art. 39 EG
35. Die erste Frage lässt sich kurz und einfach beantworten: Grundsätzlich steht Art. 39 EG einer Regelung, die die beschriebene Wirkung nach sich zieht, entgegen. Die Begründung dieses Ergebnisses findet sich mehr oder weniger ausführlich in den meisten der dem Gerichtshof eingereichten Erklärungen.
36. Die Ausübung des Sports fällt insoweit unter das Gemeinschaftsrecht, als sie zum Wirtschaftsleben im Sinne von Art. 2 EG gehört. Die entgeltliche Beschäftigung von professionellen oder semiprofessionellen Fußballern ist Bestandteil des Wirtschaftslebens(8).
37. Art. 39 EG erstreckt sich nicht nur auf behördliche Maßnahmen, sondern auch auf Vorschriften anderer Art, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit dienen, wozu auch von Fußballverbänden aufgestellte Regeln gehören(9). Alle im vorliegenden Fall angeführten Bestimmungen fallen in die eine oder die andere dieser Kategorien.
38. Soweit ein französischer Spieler mit Wohnsitz in Frankreich einen Arbeitsvertrag mit einem Fußballverein in einem anderen Mitgliedstaat schließt, handelt es sich nicht um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, der vom Gemeinschaftsrecht nicht erfasst wäre. Es liegt vielmehr eine Bewerbung um eine tatsächlich angebotene Stelle vor, auf die Art. 39 EG ausdrücklich Anwendung findet.
39. Regeln können die Freizügigkeit von Arbeitnehmern beeinträchtigen, wenn sie einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, von seinem Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat Gebrauch zu machen, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden(10), es sei denn, das potenzielle Hindernis für den Gebrauch des Freizügigkeitsrechts ist zu ungewiss und wirkt zu indirekt(11).
40. Regeln, aufgrund deren beim Transfer eines Berufsfußballers die Zahlung einer Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung zwischen Vereinen zu entrichten ist, stellen grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar. Selbst dann, wenn diese Regeln auch für Transfers zwischen Vereinen im selben Mitgliedstaat gelten, sind sie geeignet, die Freizügigkeit der Spieler einzuschränken, die ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen(12). Regeln, die vorsehen, dass ein Berufsfußballspieler seine Tätigkeit nicht bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen neuen Verein ausüben kann, wenn dieser Verein dem bisherigen Verein nicht eine Transferentschädigung gezahlt hat, beeinträchtigen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer(13).
41. Wenn aber eine Regel, aufgrund deren der neue Arbeitgeber dem bisherigen Arbeitgeber einen Geldbetrag zu zahlen hat, grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt, so muss dies ebenso oder umso mehr gelten, wenn die Zahlungsverpflichtung den Arbeitnehmer selbst trifft. Er muss dann nämlich entweder den neuen Arbeitgeber zur Übernahme seiner Zahlungsverpflichtung bewegen oder den Betrag aus eigenen Mitteln bestreiten, die geringer sein dürften als diejenigen eines Arbeitgebers. Das potenzielle Hindernis für den Gebrauch des Freizügigkeitsrechts ist auch nicht zu ungewiss und wirkt auch nicht zu indirekt. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags ist ein wichtiger Faktor, der jeden Arbeitnehmer unmittelbar trifft, wenn dieser die Ablehnung eines Beschäftigungsangebots zugunsten eines anderen erwägt(14).
42. Hieran ändert meines Erachtens auch das Vorbringen von Olympique Lyonnais nichts, das dahin geht, dass Art. 39 EG einen Sachverhalt wie den des Streitfalls nicht berühre, da mit dieser Vorschrift Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, nicht jedoch eine Beschränkung der Vertragsfreiheit im Rahmen gegenseitiger belastender Verpflichtungen erfasst werden solle und/oder da der Rechtsstreit als ein Fall (angeblichen) unlauteren Wettbewerbs eigentlich in den Bereich des Wettbewerbsrechts falle.
43. Was den ersten Punkt betrifft, erfasst Art. 39 EG nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sehr wohl Beschränkungen der Vertragsfreiheit, wenn diese einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, von seinem Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat Gebrauch zu machen, jedenfalls wenn sie von behördlichen Maßnahmen oder Vorschriften ausgehen, die der kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit dienen. Zum zweiten Punkt ist zu sagen, dass der Rechtsstreit zwischen Olympique Lyonnais und Newcastle United zwar durchaus wettbewerbsrechtliche Fragen betreffen mag, dass diese vom vorlegenden Gericht jedoch nicht angesprochen worden sind, so dass die Mitgliedstaaten und die Kommission keine Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern. Selbst wenn aber der Rechtsstreit Fragen des Wettbewerbsrechts aufwürfe, stünde dies allein der Anwendung der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht entgegen(15).
Frage 2: Möglicher Rechtfertigungsgrund
44. Nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, sind unter Umständen gleichwohl zulässig, wenn sie einen mit dem Vertrag zu vereinbarenden berechtigten Zweck verfolgen. Hierzu müssen sie jedoch vier weitere Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist(16).
45. Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Einstellung und Ausbildung junger Profifußballer einen mit dem Vertrag zu vereinbarenden berechtigten Zweck darstellt. In diesem Punkt sind sich nicht nur all diejenigen einig, die Ausführungen gemacht haben, sondern auch der Gerichtshof selbst hat sich in diesem Sinne geäußert(17). Im vorliegenden Fall wird auch keineswegs der Vorwurf erhoben, dass die fraglichen Bestimmungen in diskriminierender Weise angewandt würden.
46. Wie der Gerichtshof im Urteil Bosman ausgeführt hat(18), kann die sportliche Zukunft der jungen Spieler unmöglich mit Sicherheit vorhergesehen werden. Nur eine begrenzte Anzahl von ihnen wird als Berufssportler weiterspielen, so dass keine Garantie besteht, dass sich ein Auszubildender tatsächlich als Aktivposten für den ausbildenden oder irgendeinen anderen Verein erweist. Bestimmungen wie die hier fraglichen sind daher vielleicht nicht ausschlaggebend, um Vereine zur Einstellung und Ausbildung junger Spieler zu ermutigen. Allerdings gewährleisten sie, dass die Vereine von der Einstellung und Ausbildung nicht durch die Möglichkeit abgehalten werden, dass ihre finanziellen Aufwendungen für die Ausbildung einem anderen Verein zugute kommen, ohne dass sie selbst dafür entschädigt werden. Eine Argumentation, dass in dieser Weise wirkende Bestimmungen aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, erscheint einleuchtend.
47. Einerseits gehört der Profifußball nicht einfach nur zum Wirtschaftsleben, sondern er hat in Europa auch erhebliche gesellschaftliche Bedeutung. Da er nach allgemeiner Ansicht in einer Beziehung zum Amateursport steht und mit diesem viele Tugenden gemeinsam hat, besteht in der Öffentlichkeit weitgehend Konsens, dass die Ausbildung und Einstellung junger Spieler gefördert werden und nicht mit nachteiligen Folgen verbunden sein sollte. Insbesondere hat der Europäische Rat von Nizza im Jahr 2000 anerkannt, dass „[d]ie Gemeinschaft … die sozialen, erzieherischen und kulturellen Funktionen berücksichtigen [muss], die für den Sport so besonders charakteristisch sind, damit die für die Erhaltung seiner gesellschaftlichen Funktion notwendige Ethik und Solidarität gewahrt und gefördert werden“(19). Darüber hinaus wird sowohl im Weißbuch Sport der Kommission(20) als auch in der Entschließung des Parlaments hierzu(21) die Bedeutung der Ausbildung besonders betont.
48. Andererseits messen auf allgemeinerer Ebene, wie die niederländische Regierung ausgeführt hat, die vom Europäischen Rat im März 2000 beschlossene Lissabon-Strategie und die verschiedenen seither zu ihrer Umsetzung verabschiedeten Beschlüsse und Leitlinien im Bereich der Bildung, Ausbildung und des lebensbegleitenden Lernens der Berufsausbildung in allen Sektoren überragende Bedeutung zu. Wenn die Arbeitgeber die Gewissheit haben, dass sie von den Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer, die sie ausbilden, über einen vernünftigen Zeitraum hinweg profitieren können, bietet dies einen Anreiz, Ausbildung anzubieten, was auch im Interesse der Arbeitnehmer selbst liegt.
49. Weniger einleuchtend ist hingegen die Annahme, dass eine Regelung wie die im vorliegenden Fall geeignet ist, die Verwirklichung dieses Ziels zu gewährleisten, und dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
50. Alle, die Ausführungen gemacht haben, darunter auch Olympique Lyonnais, sind sich einig, dass lediglich eine Maßnahme, durch die die Vereine entsprechend den ihnen tatsächlich entstandenen Ausbildungskosten entschädigt würden, in diesem Sinne angemessen und verhältnismäßig sei. Folglich sei keine Entschädigung zulässig, die sich nach dem voraussichtlichen Einkommen des Spielers oder nach dem voraussichtlichen (entgangenen) Gewinn des Vereins berechnet.
51. Diese Sicht halte ich für richtig. Was die beiden letztgenannten Berechnungskriterien betrifft, könnte das Ergebnis beim ersten durch den Verein manipuliert werden und wäre das Ergebnis beim zweiten zu ungewiss. Außerdem scheinen beide keine besondere Sachnähe zu der zentralen Frage aufzuweisen, wie die Anwerbung und Ausbildung junger Spieler gefördert (oder zumindest nicht von ihr abgeschreckt) werden soll. Eine an den tatsächlichen Ausbildungskosten orientierte Entschädigung erscheint erheblich sachnäher. Allerdings wurden eine Reihe weiterer Vorbehalte geltend gemacht.
52. Erstens würde, da nur eine Minderheit der in Ausbildung befindlichen Spieler später einen Marktwert im Berufsfußball erlange, während eine erheblich größere Menge von Spielern ausgebildet werden müsse, um diese Minderheit hervorzubringen, von finanziellen Aufwendungen für die Ausbildung abgeschreckt, wenn bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung lediglich die Kosten für die Ausbildung des individuellen Spielers berücksichtigt würden. Es sei daher angebracht, wenn ein Verein, der einen von einem anderen Verein ausgebildeten Spieler beschäftige, eine Entschädigung zahle, die einem sachgerechten Anteil der gesamten von dem anderen Verein für Ausbildung aufgewandten Kosten entspreche.
53. Zweitens bestehe die Möglichkeit, dass die Ausbildung eines bestimmten Spielers bei mehreren Vereinen erfolgt sei, so dass eine etwa geschuldete Entschädigung anhand einer angemessenen Berechnungsmethode anteilig unter den betreffenden Vereinen aufgeteilt werden müsse.
54. Diese Einwände erscheinen beide relevant für die Entscheidung, ob eine bestimmte Entschädigungsregelung in Bezug auf das Ziel, die Anwerbung und Ausbildung junger Berufsfußballspieler zu fördern, angemessen und verhältnismäßig ist.
55. Für weniger überzeugend halte ich einen dritten erhobenen Einwand, nämlich dass die Entschädigungspflicht lediglich den neuen Arbeitgeber und nicht den ehemaligen Auszubildenden treffen sollte.
56. Diese These lässt sich meines Erachtens nicht uneingeschränkt aufrechterhalten. Grundsätzlich können die Fähigkeiten und Kenntnisse, die dem Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt einen Wert verleihen, auf eigene Kosten des Betreffenden, auf Kosten der Allgemeinheit oder auf Kosten eines Arbeitgebers erworben werden, der ihn als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung ausbildet. Wenn im letztgenannten Fall bei Ablauf der Ausbildungszeit die Bilanz von Ausbildungskosten und erbrachter Arbeitsleistung zeigt, dass die Ausbildungskosten noch nicht in voller Höhe ausgeglichen worden sind, erscheint es nicht unangemessen, den Auszubildenden zum „Kontoausgleich“ zu verpflichten, indem er entweder als Arbeitnehmer weitere Arbeitsleistungen erbringt oder (wenn er das nicht will) eine entsprechende Entschädigung zahlt. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Ausbildungsentschädigung mag zwar einen Arbeitnehmer davon abhalten, einen Vertrag mit einem anderen Arbeitgeber im selben oder in einem anderen Mitgliedstaat zu schließen, es ist aber kein besonderer Grund ersichtlich, ihn auf Kosten des ausbildenden Arbeitgebers in eine für den Abschluss eines solchen Vertrags günstigere Ausgangsposition zu versetzen als einen Bewerber, der sich auf eigene Kosten hat ausbilden lassen.
57. Allerdings werden diese Überlegungen je nachdem, wie die Ausbildung in einem bestimmten Sektor allgemein strukturiert ist, zu modifizieren sein. Wenn – wie dies der Fall zu sein scheint – die Ausbildung von Berufsfußballspielern normalerweise auf Kosten der Vereine erfolgt, dürfte eine Entschädigungsregelung zwischen den Vereinen ohne Einbeziehung der Spieler angemessen sein. Ich möchte auch betonen, dass – sollte der Spieler in irgendeinem Umfang selbst zur Zahlung einer Ausbildungsentschädigung verpflichtet sein – sich der Betrag dann ausschließlich nach den Kosten für seine individuelle Ausbildung berechnen sollte, ohne dass es auf die Gesamtaufwendungen für Ausbildung ankommt. Wenn n Spieler ausgebildet werden müssen, um einen beruflich erfolgreichen Spieler hervorzubringen, so beläuft sich der Aufwand des ausbildenden Vereins (und die Ersparnis für den neuen Verein) auf die Kosten für die Ausbildung dieser n Spieler. Im Fall der Zahlung einer Entschädigung zwischen den Vereinen scheinen diese Kosten eine angemessene und verhältnismäßige Berechnungsgrundlage darzustellen. Im Fall einer Entschädigungsleistung des einzelnen Spielers scheinen hingegen nur die auf ihn entfallenden individuellen Kosten relevant zu sein.
58. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Notwendigkeit, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsprofifußballern zu fördern, kann eine Verpflichtung zur Zahlung einer Ausbildungsentschädigung rechtfertigen, die geschuldet wird, wenn eine Pflicht, nach Abschluss der Ausbildung eine bestimmte (nicht übermäßig lange) Zeitspanne(22) beim ausbildenden Verein zu verbleiben, nicht erfüllt wird. Dies gilt jedoch nur, wenn der Entschädigungsbetrag auf den Ausbildungskosten basiert, die dem ausbildenden Verein tatsächlich entstanden sind bzw. die der neue Verein tatsächlich spart, und, soweit die Entschädigung von dem Spieler selbst zu leisten ist, auf die ausstehenden Kosten seiner individuellen Ausbildung beschränkt ist.
Die gegenwärtig geltenden Bestimmungen Frankreichs und der FIFA
59. Viele der Verfahrensbeteiligten, die Ausführungen gemacht haben, haben den Gerichtshof auf die gegenwärtigen Bestimmungen der Art. 21 f. und Anhänge 4 und 5 des FIFA-Reglements bezüglich Status und Transfer von Spielern hingewiesen. Diese Bestimmungen regeln jetzt Sachverhalte wie die Lage, in der sich Herr Bernard befindet, waren zu der für den vorliegenden Fall maßgebenden Zeit aber noch nicht in Kraft. Sie wurden 2001 mit Zustimmung der Kommission erlassen, um eine Rechtslage zu gewährleisten, die mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere dem Urteil Bosman im Einklang steht. Die französische Regierung weist ferner darauf hin, dass die französische Berufsfußball-Charta dieser Linie gefolgt ist und nunmehr entsprechende Bestimmungen zur Regelung innerstaatlicher Sachverhalte enthält.
60. Vor allem die Regierung des Vereinigten Königreichs verweist darauf, dass nach den derzeitigen FIFA-Regeln die Entschädigung nicht vom Spieler, sondern vom Verein entrichtet wird, dass sich die Entschädigung nach den Kosten für die Ausbildung eines Spielers berechnet und dabei entsprechend dem Verhältnis zwischen der Anzahl der Spieler angepasst wird, die zur Hervorbringung eines Berufsspielers auszubilden sind, dass verschiedene Schutz- und Beschränkungsvorschriften die Verhältnismäßigkeit der Entschädigung gegenüber dem verfolgten Ziel herstellen und dass ein Solidaritätsmechanismus eine Aufteilung der Entschädigungssumme bewirkt, wenn mehrere Vereine zu der Ausbildung beigetragen haben.
61. Explizit oder implizit ersuchen diese Verfahrensbeteiligten den Gerichtshof überdies, die derzeit geltenden Regeln abzusegnen.
62. Im vorliegenden Fall, der einen Sachverhalt betrifft, auf den diese Regeln nicht anwendbar waren, erscheint mir eine solche ausdrückliche Billigung jedoch nicht angebracht. Allerdings mögen meine vorstehende Gedankenführung und die Gedankenführung, die der Gerichtshof seinem Urteil zugrunde legen wird, durchaus relevant werden, falls und wenn diese Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht geprüft werden müssen.
Ergebnis
63. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Cour de Cassation vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Art. 39 EG steht grundsätzlich einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, wonach sich ein in der Ausbildung befindlicher Fußballspieler, der nach Abschluss seiner Ausbildungszeit einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats schließt, einer Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz aussetzt.
2. Eine solche Regelung kann jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsprofifußballern zu fördern, sofern der Entschädigungsbetrag auf den Ausbildungskosten basiert, die dem ausbildenden Verein tatsächlich entstanden sind bzw. die der neue Verein tatsächlich spart, und, soweit die Entschädigung von dem Spieler selbst zu leisten ist, auf die gegebenenfalls ausstehenden Kosten seiner individuellen Ausbildung beschränkt ist.
1 – Originalsprache: Englisch.
2 – Wie sich Bill Shankly einmal (vielleicht apokryph) über das Verhältnis zwischen den Fans von Liverpool und Everton geäußert hat: „Manche Leute glauben, beim Fußball gehe es um Leben und Tod. Ich finde diese Einstellung überaus enttäuschend. Ich kann Ihnen nämlich versichern, dass es dabei um viel, viel mehr geht.“ Andere Varianten dessen, was er gesagt (oder auch nicht gesagt) haben mag, lassen sich im Internet nachlesen unter http://www.shankly.com/Webs/billshankly/default.aspx?aid=2517.
3 – Am 1. Mai 2008 ist ein neuer Code in Kraft getreten. Die streitigen Bestimmungen haben sich zwar hinsichtlich der Nummerierung und Darstellung, nicht aber hinsichtlich ihres Inhalts geändert.
4 – Nach dem von der französischen Regierung vorgelegten Exemplar der Charta scheint es sich bei der betreffenden Bestimmung zwar um Art. 23 des Titels III, Kapitel IV der Charta zu handeln, die Verfahrensbeteiligten und die nationalen Gerichte beziehen sich jedoch durchgängig auf Art. 23 der Charta. Zur Vermeidung von Inkohärenz schließe ich mich dem an und bezeichne die Vorschrift als „Art. 23 der Fußball-Charta“. Die gleiche Bestimmung findet sich derzeit in Art. 456 der Charta in ihrer Fassung von 2008/2009.
5 – Urteil vom 15. Dezember 1995 (C‑415/93, Slg. 1995, I‑4921).
6 – Am vorliegenden Fall sind also zwei sehr bekannte und finanzstarke Vereine beteiligt. Die Grundsätze, um die es hier geht, gelten jedoch für alle Berufsfußballvereine, wie reich auch immer der neue oder wie arm auch immer der ausbildende Verein sein mag.
7 – Vgl. insbesondere Randnrn. 73 bis 87 jenes Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch Urteil vom 18. Juli 2006, Meca-Medina und Majcen/Kommission (C‑519/04 P, Slg. 2006, I‑6991, Randnrn. 22 ff.).
8 – Vgl. Urteil Meca-Medina und Majcen, Randnrn. 22 f. und die dort angeführte Rechtsprechung.
9 – Vgl. Urteile vom 12. Dezember 1974, Walrave und Koch (36/74, Slg. 1974, 1405, Randnr. 17), Bosman, Randnr. 82, und vom 13. April 2000, Lehtonen und Castors Braine (C‑176/96, Slg. 2000, I‑2681, Randnr. 35).
10 – Vgl. Urteile Bosman, Randnr. 96, vom 27. Januar 2000, Graf (C‑190/98, Slg. 2000, I‑493, Randnrn. 18 und 23), sowie Lehtonen und Castors Braine, Randnrn. 47 bis 50.
11 – Vgl. Urteil Graf, Randnrn. 23 bis 25.
12 – Vgl. Urteil Bosman, Randnrn. 98 f.
13 – Vgl. Urteil Bosman, Randnr. 100.
14 – Im Gegensatz zur Sachlage, die zum Urteil Graf geführt hat (vgl. insbesondere Randnrn. 13 und 24 jenes Urteils).
15 – Vgl. z. B. Urteil Meca-Medina und Majcen, Randnr. 28.
16 – Vgl. Urteile vom 31. März 1993, Kraus (C‑19/92, Slg. 1993, I‑1663, Randnr. 32), vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, Slg. 1995, 1‑4165, Randnr. 37), und Bosman, Randnr. 104. Die vom Gerichtshof im Französischen durchgehend verwendete Formulierung „raisons impérieuses d’intérêt général“ ist im Englischen auf unterschiedliche Weise übersetzt worden; in der offenbar neuesten Übersetzung „overriding reasons in the public interest“ kommt der Sinn meines Erachtens am besten zum Ausdruck.
17 – Vgl. Urteil Bosman, Randnr. 106.
18 – Randnr. 109.
19 – Anlage IV zu den Schussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Nizza (7., 8. und 9. Dezember 2000).
20 – KOM(2007) 391 endg.
21 – Entschließung vom 8. Mai 2008 (Dokument P6_TA[2008]0198).
22 – Da die berufliche Laufbahn eines Berufsspielers naturgemäß zeitlich begrenzt ist, wäre mithin eine Verpflichtung, die (beispielsweise) ersten zehn Jahre ab Unterzeichnung des ersten Profivertrags bei dem ausbildenden Verein zu verbringen, offensichtlich unzulässig.