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Document 62007CO0512

Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 13. Januar 2009.
Achille Occhetto und Europäisches Parlament gegen Beniamino Donnici.
Rechtsmittel - Vorläufiger Rechtsschutz - Aussetzung des Vollzugs - Mitglieder des Europäischen Parlaments - Prüfung des Mandats - Benennung eines Abgeordneten wegen des Rücktritts von Kandidaten derselben Liste - Prüfung der Wirksamkeit des Rücktritts - Beschluss des Europäischen Parlaments, mit dem das Mandat eines als Abgeordneten benannten Kandidaten für ungültig erklärt wird.
Verbundene Rechtssachen C-512/07 P(R) und C-15/08 P(R).

Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-00001

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:3

Verbundene Rechtssachen C-512/07 P(R) und C-15/08 P(R)

Achille Occhetto

und

Europäisches Parlament

gegen

Beniamino Donnici

„Rechtsmittel – Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Mitglieder des Europäischen Parlaments – Prüfung des Mandats – Berufung eines Listennachfolgers als Abgeordneter wegen Rücktritts von Kandidaten – Prüfung der Wirksamkeit des Rücktritts – Entscheidung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines als Abgeordneten berufenen Kandidaten für ungültig erklärt wird“

Leitsätze des Beschlusses

1.        Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

(Art 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art. 12; Satzung des Gerichtshofs, Art. 57 Abs. 2; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 3 Abs. 3)

2.        Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

(Art. 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art  6; Satzung des Gerichtshofs, Art. 57 Abs. 2; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 3 Abs. 5, 4 Abs. 3 und 9)

3.        Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

(Art. 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art. 12; Satzung des Gerichtshof, Art. 57 Abs. 2)

4.        Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird

(Art. 242 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 10 § 2)

5.        Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird

(Art. 242 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 104 § 2)

1.        Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter begeht keinen offensichtlichen Rechtsfehler in Bezug auf die Reichweite der dem Europäischen Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung zustehenden Befugnisse, wenn er den im genannten Artikel enthaltenen Ausdruck „zur Kenntnis [nehmen]“ dahin auslegt, dass das Parlament in Bezug auf die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse keinerlei Ermessen hat.

Der genannte Artikel sieht ausdrücklich vor, dass das Parlament zum einen die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse „zur Kenntnis [zu nehmen]“ hat und zum anderen über etwaige Anfechtungen nur „auf Grund der Vorschriften dieses Akts“, und zwar „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, befinden darf. Folglich spricht der Wortlaut von Art. 12 des Akts von 1976 auf den ersten Blick für eine enge Auslegung dieser Bestimmung. Außerdem darf das Parlament, was die Prüfung der Mandate der Mitglieder des Parlaments angeht, nach Art. 12 des Akts von 1976 und Art. 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments über die Gültigkeit der Mandate seiner neu gewählten Mitglieder sowie über Anfechtungen befinden, die auf Grund der Vorschriften des Akts von 1976, aber „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, vorgebracht werden können, „nicht aber über diejenigen [Anfechtungen], die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden“. Diese Ausnahmen sind ebenfalls klare Hinweise darauf, dass das Parlament nicht generell befugt ist, über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Wahlverfahren mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden.

(vgl. Randnrn. 30-32, 35)

2.        Ein im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangener Beschluss ist im Hinblick auf die Auslegung des Art. 6 des Aktes von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung nicht offensichtlich rechtsfehlerhaft wenn er feststellt, dass dieser Artikel nur Mitglieder des Europäischen Parlaments betrifft.

Zum einen betrifft der Wortlaut des Art. 6 ausdrücklich „Mitglieder des Europäischen Parlaments“ und zum anderen geht es um das Stimmrecht der Mitglieder, das sich seinem Wesen nach nicht mit der Eigenschaft als Kandidat in Verbindung bringen lässt, der aufgrund des von ihm erreichten Listenplatzes amtlich für gewählt erklärt wird. Zwar darf bei der Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen – ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang und ihre Zielsetzung – nicht streng an ihrem Wortlaut gehaftet werden, jedoch darf dieser Artikel für sich genommen keine allgemeine Befugnis des Parlaments zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Wahlverfahren der Mitgliedstaaten im Hinblick auf alle Grundsätze begründen, die diesem Artikel zugrunde liegen sollen, insbesondere dem in Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltenen.

Nach dem Grundsatz der Normenhierarchie kann eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Parlaments, wie deren Art. 3 Abs. 5, 4 Abs. 3 und 9, keine Abweichung von den Vorschriften des Akts von 1976 erlauben. Diese Geschäftsordnung ist nämlich eine Maßnahme der internen Organisation, die zugunsten des Parlaments keine Zuständigkeiten einführen kann, die nicht ausdrücklich durch einen Rechtsakt, im vorliegenden Fall den Akt von 1976, verliehen werden. Demzufolge sind – zumindest im Rahmen einer Prüfung des fumus boni iuris – die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vielmehr im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Bestimmungen des Akts von 1976 auszulegen und nicht umgekehrt.

(vgl. Randnrn. 40-43, 45-46)

3.        Eine Auslegung, nach der Art. 12 des Akts von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung weder eine Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und dem Parlament noch die Ausübung dieser Zuständigkeiten im Rahmen getrennter Verfahren vorsieht, sondern einen einheitlichen Entscheidungsprozess, an dem sowohl das Parlament als auch die nationalen Behörden beteiligt sind, scheint mit der genannten Bestimmung auf den ersten Blick nicht im Einklang zu stehen. Etwaige Fehler der Handlung einer nationalen Behörde, die Teil eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses ist und aufgrund der die in diesem Bereich geltende Zuständigkeitsverteilung die gemeinschaftliche Beschlussinstanz in der Weise bindet, dass sie den Inhalt der zu treffenden Gemeinschaftsentscheidung bestimmt, können sich nämlich keinesfalls auf die Gültigkeit der Gemeinschaftsentscheidung auswirken. Dieser Schluss ist wichtig für die Auslegung der Zuständigkeitsverteilung nach Art. 12 des Akts von 1976.

Folglich ist ein im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangener Beschluss, der feststellt, dass eventuelle Fehler in einer Entscheidung eines nationalen Wahlbüros, das einen Kandidaten zum Mitglied des Parlaments benannt hat, keine Auswirkungen auf den Beschluss des Parlaments zur Prüfung von dessen Mandat haben, weder mit einem offensichtlichen Rechtsfehler noch mit einem Begründungsmangel behaftet.

(vgl. Randnrn. 50-51, 53-54)

4.        Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die begehrten Maßnahmen in dem Sinne dringlich sein, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Hieraus folgt, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Beurteilung der Dringlichkeit der Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird, allein die Interessen des Antragstellers zu berücksichtigen hat, insbesondere die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für diese Interessen, ohne anderen Gesichtspunkten allgemeiner Art, wie im vorliegenden Fall der Kontinuität der politischen Vertretung, Rechnung zu tragen, die allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden können.

(vgl. Randnrn. 57-58)

5.        Gelangt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes wegen Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird, zu dem Ergebnis, dass die besonderen und unmittelbaren Interessen dieses Mitglieds und dessen Stellvertreters gleichgewichtig sind, berücksichtigt er allgemeinere Interessen – denen in einer solchen Situation besondere Bedeutung zukommt – wie das des betroffenen Mitgliedstaats an der Beachtung seiner wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament und daran, dass im Europäischen Parlament diejenigen Abgeordneten vertreten sind, die nach den innerstaatlichen Vorschriften gewählt und von einem der höchsten Gerichte dieses Mitgliedstaats benannt worden sind, und dasjenige des Parlaments an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidungen, an seiner politischen Legitimität und sein Interesse daran, dass derjenige Kandidat den Sitz innehat, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat. Erst nachdem er festgestellt hat, dass sowohl die besonderen als auch die allgemeinen betroffenen Interessen gleichgewichtig sind, stellt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter auf das Gewicht der für die Voraussetzung des fumus boni iuris vorgetragenen Gründe ab.

(vgl. Randnrn. 66-67, 70)







BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

13. Januar 2009(*)

„Rechtsmittel – Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Mitglieder des Europäischen Parlaments – Prüfung des Mandats – Benennung eines Abgeordneten wegen des Rücktritts von Kandidaten derselben Liste – Prüfung der Wirksamkeit des Rücktritts – Beschluss des Europäischen Parlaments, mit dem das Mandat eines als Abgeordneten benannten Kandidaten für ungültig erklärt wird“

In den verbundenen Rechtssachen C‑512/07 P(R) und C‑15/08 P(R)

betreffend zwei nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs eingelegte Rechtsmittel, die am 22. November 2007 bzw. am 16. Januar 2008 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden sind,

Achille Occhetto, wohnhaft in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigte: P. De Caterini und F. Paola, avvocati, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück, N. Lorenz und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführer,

andere Verfahrensbeteiligte:

Beniamino Donnici, wohnhaft in Castrolibero (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Sanino, G. M. Roberti, I. Perego und P. Salvatore, avvocati,

Antragsteller im ersten Rechtszug,

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung des Generalanwalts M. Poiares Maduro

folgenden

Beschluss

1        Mit ihren Rechtsmitteln beantragen Herr Occhetto und das Europäische Parlament die Aufhebung des Beschlusses des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 15. November 2007, Donnici/Parlament (T‑215/07 R, Slg. 2007, II‑4673, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem dieser den Vollzug des Beschlusses des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Herrn Donnici (2007/2121[REG], im Folgenden: streitiger Beschluss) ausgesetzt hat.

2        Da diese Rechtsmittel ihrem Gegenstand nach miteinander in Zusammenhang stehen, sind sie nach Art. 43 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

 Rechtlicher Rahmen

 Akt von 1976

3        Die Art. 6 bis 8, 12 und 13 Abs. 3 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Anhang des Beschlusses 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 (ABl.  L 278, S. 1), geändert und neu nummeriert durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl. L 283, S. 1, im Folgenden: Akt von 1976), sehen vor:

„Artikel 6

(1)      Die Mitglieder des Europäischen Parlaments geben ihre Stimmen einzeln und persönlich ab. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.

(2)      Die Mitglieder des Europäischen Parlaments genießen die Vorrechte und Befreiungen, die nach dem Protokoll vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften für sie gelten.

Artikel 7

(1)      Die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament ist unvereinbar mit der Eigenschaft als:

–        Mitglied der Regierung eines Mitgliedstaats;

–        Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften;

–        Richter, Generalanwalt oder Kanzler des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften oder des Gerichts erster Instanz;

–        Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank;

–        Mitglied des Rechnungshofs der Europäischen Gemeinschaften;

–        Bürgerbeauftragter der Europäischen Gemeinschaften;

–        Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft;

–        Mitglied von Ausschüssen und Gremien, die auf Grund der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft Mittel der Gemeinschaften verwalten oder eine dauernde unmittelbare Verwaltungsaufgabe wahrnehmen;

–        Mitglied des Verwaltungsrats oder des Direktoriums oder Bediensteter der Europäischen Investitionsbank;

–        im aktiven Dienst stehender Beamter oder Bediensteter der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder der ihnen angegliederten Einrichtungen, Ämter, Agenturen und Gremien oder der Europäischen Zentralbank.

(2)      Ab der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar mit der Eigenschaft als Abgeordneter eines nationalen Parlaments.

Abweichend von dieser Regel und unbeschadet des Absatzes 3

–        können die Abgeordneten des nationalen irischen Parlaments, die in einer folgenden Wahl in das Europäische Parlament gewählt werden, bis zur nächsten Wahl zum nationalen irischen Parlament ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar;

–        können die Abgeordneten des nationalen Parlaments des Vereinigten Königreichs, die während des Fünfjahreszeitraums vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind, bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar.

Artikel 8

Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.

Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen.

Artikel 12

Das Europäische Parlament prüft die Mandate seiner Mitglieder. Zu diesem Zweck nimmt das Europäische Parlament die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden könnten.

Artikel 13

(3)      Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates ausdrücklich der Entzug des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments vorgesehen, so erlischt sein Mandat entsprechend diesen Rechtsvorschriften. Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden setzen das Europäische Parlament davon in Kenntnis.“

 Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments

4        Die Art. 3 und 4 Abs. 3 und 9 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments bestimmen:

„Artikel 3

Prüfung der Mandate

1.      Im Anschluss an die Wahlen zum Europäischen Parlament fordert der Präsident die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf, dem Parlament unverzüglich die Namen der gewählten Mitglieder mitzuteilen, damit sämtliche Mitglieder ihre Sitze im Parlament ab der Eröffnung der ersten Sitzung im Anschluss an die Wahlen einnehmen können.

Gleichzeitig macht der Präsident die genannten Behörden auf die einschlägigen Bestimmungen des Akts [von] 1976 aufmerksam und ersucht sie, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um jedweder Unvereinbarkeit mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments vorzubeugen.

2.      Jedes Mitglied, dessen Wahl dem Parlament bekannt gegeben worden ist, gibt vor der Einnahme seines Sitzes im Parlament eine schriftliche Erklärung dahin gehend ab, dass es kein Amt innehat, das im Sinne des Artikels 7 Absätze 1 und 2 des Akts [von] 1976 mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist. Nach allgemeinen Wahlen ist diese Erklärung, soweit möglich, spätestens sechs Tage vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments abzugeben. Solange das Mandat eines Mitglieds nicht geprüft oder über eine Anfechtung noch nicht befunden worden ist, nimmt das Mitglied unter der Voraussetzung, dass es zuvor die vorgenannte schriftliche Erklärung unterzeichnet hat, an den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten teil.

Steht auf Grund von Tatsachen, die an Hand öffentlich zugänglicher Quellen nachprüfbar sind, fest, dass ein Mitglied ein Amt innehat, das im Sinne des Artikels 7 Absätze 1 und 2 des Akts [von] 1976 mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist, stellt das Parlament nach Unterrichtung durch seinen Präsidenten das Freiwerden des Sitzes fest.

3.      Auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses prüft das Parlament unverzüglich die Mandate und entscheidet über die Gültigkeit der Mandate jedes seiner neu gewählten Mitglieder sowie über etwaige Anfechtungen, die aufgrund der Bestimmungen des Akts [von] 1976 geltend gemacht werden, nicht aber über diejenigen, die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden.

4.      Der Bericht des zuständigen Ausschusses stützt sich auf die offizielle Mitteilung sämtlicher Mitgliedstaaten über die Gesamtheit der Wahlergebnisse unter genauer Angabe der gewählten Kandidaten sowie ihrer etwaigen Stellvertreter einschließlich ihrer Rangfolge aufgrund des Wahlergebnisses.

Das Mandat eines Mitglieds kann nur für gültig erklärt werden, wenn das Mitglied die schriftlichen Erklärungen abgegeben hat, zu denen es aufgrund dieses Artikels sowie Anlage I dieser Geschäftsordnung verpflichtet ist.

Das Parlament kann sich jederzeit auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses zu etwaigen Anfechtungen der Gültigkeit des Mandats eines Mitglieds äußern.

5.      Wird ein Mitglied benannt, weil Bewerber derselben Liste zurücktreten, dann vergewissert sich der für Wahlprüfung zuständige Ausschuss, dass ihr Rücktritt gemäß Geist und Buchstaben des Akts [von] 1976 sowie Artikel 4 Absatz 3 dieser Geschäftsordnung erfolgt ist.

6.      Der zuständige Ausschuss wacht darüber, dass alle Angaben, die die Ausübung des Mandats eines Mitglieds bzw. die Rangfolge der Stellvertreter beeinflussen können, dem Parlament unverzüglich von den Behörden der Mitgliedstaaten und der Union – unter Angabe deren Wirksamwerdens im Falle einer Benennung – übermittelt werden.

Falls zuständige Behörden der Mitgliedstaaten gegen ein Mitglied ein Verfahren eröffnen, das den Verlust des Mandats zur Folge haben könnte, so ersucht der Präsident sie darum, ihn regelmäßig über den Stand des Verfahrens zu unterrichten. Er befasst damit den zuständigen Ausschuss, auf dessen Vorschlag das Parlament Stellung nehmen kann.

Artikel 4

Dauer des Mandats

3.      Jedes zurücktretende Mitglied teilt dem Präsidenten seinen Rücktritt sowie den entsprechenden Stichtag mit, der innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach der Mitteilung liegen muss. Diese Mitteilung erfolgt in Form eines Protokolls, das in Gegenwart des Generalsekretärs oder seines Vertreters aufgenommen, von diesem sowie dem betreffenden Mitglied unterzeichnet und unverzüglich dem zuständigen Ausschuss vorgelegt wird, der sie auf die Tagesordnung seiner ersten Sitzung nach Eingang dieses Dokuments setzt.

Ist der zuständige Ausschuss der Auffassung, dass der Rücktritt nicht mit dem Geist und dem Buchstaben des Akts [von] 1976 vereinbar ist, unterrichtet er hierüber das Parlament, damit dieses einen Beschluss darüber fasst, ob das Freiwerden des Sitzes festgestellt wird oder nicht.

Andernfalls wird das Freiwerden des Sitzes festgestellt, und zwar ab dem Zeitpunkt, der von dem zurücktretenden Mitglied im Rücktrittsprotokoll angegeben wird. Eine Abstimmung des Parlaments findet darüber nicht statt.

9.      Stehen der Annahme oder Beendigung des Mandats offenbar Fehlerhaftigkeit oder Willensmängel entgegen, behält sich das Parlament das Recht vor, das geprüfte Mandat für ungültig zu erklären oder sich zu weigern, das Freiwerden des Sitzes festzustellen.“

 Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments

5        Im vierten Erwägungsgrund des Beschlusses 2005/684/EG, Euratom des Europäischen Parlaments vom 28. September 2005 zur Annahme des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments (ABl. L 262, S. 1, im Folgenden: Abgeordnetenstatut) heißt es: „Die in Artikel 2 geschützte Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten ist regelungsbedürftig und in keinem Text des Primärrechts erwähnt. Erklärungen, in denen sich Abgeordnete verpflichten, das Mandat zu einem bestimmten Zeitpunkt niederzulegen, oder Blanko-Erklärungen über die Niederlegung des Mandats, deren sich eine Partei nach Belieben bedienen kann, sind mit der Freiheit und Unabhängigkeit des Abgeordneten unvereinbar und können daher rechtlich nicht verbindlich sein.“

6        Der fünfte Erwägungsgrund des Abgeordnetenstatuts weist darauf hin, dass dessen Art. 3 Abs. 1 den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Akts von 1976 aufgreift.

7        Die Art. 2 und 30 des Abgeordnetenstatuts bestimmen:

„Artikel 2

(1)      Die Abgeordneten sind frei und unabhängig.

(2)      Vereinbarungen über die Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode sind nichtig.

...

Artikel 30

Dieses Statut tritt am ersten Tag der im Jahre 2009 beginnenden Wahlperiode des Europäischen Parlaments in Kraft.“

 Sachverhalt

8        Der Sachverhalt ist in dem angefochtenen Beschluss in den Randnrn. 6 bis 17 wie folgt dargestellt worden:

„6      ... Beniamino Donnici nahm an der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 12. und 13. Juni 2004 für die gemeinsame Liste ‚Società Civile – Di Pietro Occhetto‘ im Wahlkreis Süditalien teil. Diese Liste gewann zwei Sitze, den ersten in dem genannten Wahlkreis und den zweiten im Wahlkreis Nordwestitalien. Herr A. Di Pietro, der in beiden Wahlkreisen den ersten Platz errang, entschied sich für den Wahlkreis Süditalien.

7      Herr A. Occhetto kam aufgrund der Anzahl der in den beiden Wahlkreisen erhaltenen Stimmen auf Platz zwei der Wahllisten und lag deshalb im Wahlkreis Süditalien vor [Herrn Donnici] und im Wahlkreis Nordwestitalien vor Herrn G. Chiesa. Nachdem sich Herr Di Pietro für den Sitz des Wahlkreises Süditalien entschieden hatte, hätte Herr Occhetto als im Wahlkreis Nordwestitalien gewählt erklärt werden müssen. Herr Occhetto, der seinerzeit ein Mandat im italienischen Senat innehatte, verzichtete jedoch in einer schriftlichen Erklärung, die er am 6. Juli 2004 vor einem Notar unterzeichnete und die am 7. Juli 2004 beim Ufficio elettorale nazionale per il Parlamento europeo presso la Corte di cassazione (Nationales Wahlbüro für das Europäische Parlament bei der Corte di Cassazione, im Folgenden: italienisches Wahlbüro) einging, ‚unwiderruflich‘ für beide Wahlkreise auf ein Mandat als Europaabgeordneter.

8      Nach dieser Verzichtserklärung teilte das italienische Wahlbüro dem Parlament am 12. November 2004 die amtlichen Ergebnisse der europäischen Wahlen mit und fügte eine Liste der gewählten Kandidaten und ihrer Stellvertreter bei. Es erklärte Herrn Chiesa für im Wahlkreis Nordwestitalien und Herrn Di Pietro für im Wahlkreis Süditalien gewählt, so dass [Herr Donnici] der erste nicht gewählte Kandidat in dem letztgenannten Wahlkreis wurde.

9      Bei den Parlamentswahlen in Italien vom 9. und 10. April 2006 wurde Herr Di Pietro zum Abgeordneten im italienischen Parlament gewählt. Er entschied sich mit Wirkung vom 28. April 2006 für sein nationales Mandat. Da diese Funktion nach Art. 7 Abs. 2 des Aktes von 1976 mit der Eigenschaft als Mitglied des Parlaments unvereinbar war, stellte dieses am 27. April 2006 das Freiwerden des fraglichen Sitzes mit Wirkung vom 28. April 2006 fest und unterrichtete die Italienische Republik davon.

10      Herr Occhetto widerrief seine Verzichtserklärung vom 7. Juli 2004 durch eine an das italienische Wahlbüro gerichtete Erklärung vom 27. April 2006, in der er ‚seinen Wunsch [zum Ausdruck brachte], als erster nicht gewählter Kandidat des Wahlkreises Süd[italien] an die Stelle von [Herrn] Di Pietro zu treten, so dass jede anders lautende frühere Willenerklärung als ungültig, unwirksam und jedenfalls widerrufen anzusehen ist … und insoweit auf jeden Fall der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der gewählten Kandidaten bestehende Wille zu berücksichtigen ist‘.

11      Aufgrund dieser Erklärung gab das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 die Wahl von Herrn Occhetto als Mitglied des Parlaments bekannt.

12      Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Verwaltungsgericht der Region Latium, Italien, im Folgenden: Verwaltungsgericht) wies die Klage [von Herrn Donnici] auf Nichtigerklärung dieser Bekanntgabe durch Urteil vom 21. Juli 2006 als unbegründet ab. Es führte im Wesentlichen aus, die Verzichtserklärung von Herrn Occhetto vom 7. Juli 2004 hinsichtlich der Bekanntgabe der gewählten Kandidaten stelle keinen Verzicht auf seinen Listenplatz nach der Wahl dar. Das Wahlergebnis aus Achtung vor dem Willen des Volkes sei als unantastbar und unveränderlich zu betrachten, und eine solche Verzichtserklärung habe keine Auswirkungen auf die Entscheidung über eventuelle Ersetzungen in Fällen von Unvereinbarkeit, Verlust, Nichtwählbarkeit oder Verzicht der Berechtigten auf die Benennung oder das Amt. Mithin habe ein Kandidat, der verzichtet habe, bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Ersetzung das Recht, seinen Verzicht zu widerrufen, um auf den frei gewordenen Sitz nachzurücken.

13      [Herr Donnici] focht ferner die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto als europäischer Abgeordneter anstelle von Herrn Di Pietro beim Parlament an. Diese Anfechtung wurde vom Rechtsausschuss des Parlaments in seiner Sitzung vom 21. Juni 2006 geprüft. Der Ausschuss stellte zunächst fest, dass die Anfechtung gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 unzulässig sei, da sie auf das italienische Wahlgesetz gestützt sei, und schlug sodann dem Parlament einstimmig vor, das Mandat von Herrn Occhetto mit Wirkung vom 8. Mai 2006 für gültig zu erklären. Das Parlament bestätigte das Mandat von Herrn Occhetto am 3. Juli 2006.

14      Der Consiglio di Stato (Staatsrat[, Italien]) gab dem Rechtsmittel [von Herrn Donnici] gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale del Lazio mit Endurteil vom 6. Dezember 2006, das rechtskräftig geworden ist, statt, änderte das Urteil ab und erklärte die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto zum Mitglied des [Europäischen Parlaments] durch das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 für nichtig. Der Consiglio di Stato war erstens der Auffassung, dass die Unterscheidung zwischen dem Verzicht auf die Wahl und dem Verzicht auf den Listenplatz unlogisch sei, da die Wahl sich aus dem Listenplatz ergebe und der Verzicht auf die Wahl impliziere, dass der Betroffene nicht mehr auf dieser Liste stehe, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Wirkungen. Zweitens sei die Behauptung widersprüchlich, dass der Verzicht auf die Wahl keine Auswirkungen auf die Ersetzungen habe und dass der Kandidat, der auf ein Mandat als europäischer Abgeordneter verzichtet, diesen Verzicht widerrufen könne, wenn es um eine Ersetzung gehe. Drittens handele es sich beim Verzicht auf die Wahl um eine unwiderrufliche Erklärung, wenn die zuständige Stelle oder das zuständige Büro, der gegenüber sie abgegeben werde, davon Kenntnis genommen habe, wodurch die ursprünglich vom italienischen Wahlbüro aufgestellte Rangfolge geändert werde.

15      Am 29. März 2007 nahm das italienische Wahlbüro von dem Urteil des Consiglio di Stato Kenntnis und gab die Wahl [von Herrn Donnici] als Mitglied des Europäischen Parlaments für den Wahlkreis Süditalien bekannt, indem es das Mandat von Herrn Occhetto widerrief.

16      Nach Eingang dieser Bekanntgabe beim Parlament nahm dieses im Protokoll der Plenarsitzung vom 23. April 2007 mit folgenden Worten davon Kenntnis:

‚Die zuständigen italienischen Behörden haben mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 29. März 2007 die Bekanntgabe der Wahl von Herrn … Occhetto annulliert und der somit frei gewordene Sitz [Herrn Donnici] zugewiesen wurde.

Solange [sein] Mandat nicht geprüft [ist] oder über eine Anfechtung noch nicht befunden worden ist, [nimmt Herr Donnici] … gemäß Artikel 3 Absatz 2 [der Geschäftsordnung des Parlaments] an den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten teil, unter der Voraussetzung, dass [er] zuvor eine Erklärung abgegeben [hat], wonach [er] kein Amt [innehat], das mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist.‘

17      Inzwischen hatte Herr Occhetto mit Schreiben vom 5. April 2007, das er durch ein Schreiben vom 14. April 2007 ergänzte, den Beschluss angefochten und das Parlament ersucht, die Gültigkeit seines Mandats zu bestätigen und das Mandat [von Herrn Donnici] für ungültig zu erklären. Das Parlament erklärte durch [den streitigen] Beschluss …, der aufgrund des Berichts des Rechtsausschusses vom 22. Mai 2007 (A6‑0198/2007) erging, das Mandat [von Herrn Donnici], dessen Wahl von der zuständigen nationalen Behörde mitgeteilt worden war, als Abgeordneter des Parlaments für ungültig und bestätigte die Gültigkeit des Mandats von Herrn Occhetto. Es beauftragte ferner seinen Präsidenten, diesen Beschluss den zuständigen italienischen Behörden sowie [Herrn Donnici] und Herrn Occhetto zu übermitteln.“

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

9        Mit am 22. Juni 2007 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragener Klageschrift erhob Herr Donnici nach Art. 230 Abs. 4 EG Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. Mit besonderem Schriftsatz beantragte er außerdem, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug dieses Beschlusses auszusetzen.

10      Herr Occhetto und die Italienische Republik wurden als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments bzw. von Herrn Donnici zugelassen.

11      Seine Nichtigkeitsklage stützte Herr Donnici auf zwei Gründe. Zum einen habe das Parlament beim Erlass des streitigen Beschlusses die Regeln und Grundsätze verletzt, denen seine Befugnis zur Prüfung der Mandate seiner Mitglieder unterliege. Zum anderen sei der Beschluss nicht ausreichend begründet.

12      In dem angefochtenen Beschluss hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter zunächst geprüft, ob die Rechtsgründe, auf die Herr Donnici seine Nichtigkeitsklage stützte, auf den ersten Blick stichhaltig erscheinen, um festzustellen, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt ist. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Klagegrund, das Parlament sei für den Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht zuständig gewesen, einiges Gewicht beizumessen sei und dass er nicht ohne eingehende Prüfung zurückgewiesen werden könne, die allein der Richter im Verfahren zur Hauptsache vornehmen könne. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall somit erfüllt.

13      Die beantragte Aussetzung des Vollzugs sei zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen von Herrn Donnici erforderlich, insbesondere weil die Laufzeit eines Mandats eines Mitglieds des Parlaments beschränkt sei und es Herrn Donnici wegen des streitigen Beschlusses unmöglich sei, sein Mandat weiter auszuüben.

14      Schließlich hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter die bestehenden Interessen gegeneinander abgewogen und festgestellt, dass in Anbetracht der offensichtlichen Gleichgewichtigkeit der besonderen und unmittelbaren Interessen von Herrn Donnici und von Herrn Occhetto allgemeinere Interessen zu berücksichtigen seien. Unter besonderer Berücksichtigung des Interesses der Italienischen Republik an der Beachtung seiner wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament und der Solidität und des Gewichts der von Herrn Donnici vorgebrachten Argumente ist er somit zu dem Schluss gelangt, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des streitigen Beschlusses erfüllt seien, und hat daher dem entsprechenden Antrag von Herrn Donnici stattgegeben.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

15      Mit ihren Rechtsmitteln beantragen Herr Occhetto und das Parlament die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Als Rechtsmittelgründe machen sie eine fehlerhafte Beurteilung des fumus boni iuris sowie eine fehlerhafte Beurteilung hinsichtlich der Dringlichkeit und der Interessenabwägung geltend.

16      Herr Donnici und die italienische Regierung beantragen, die Rechtsmittel zurückzuweisen. Das Rechtsmittel von Herrn Occhetto beantragt Herr Donnici bereits als unzulässig zurückzuweisen.

 Zum Rechtsmittel

 Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels von Herrn Occhetto

17      Herr Donnici macht geltend, das Rechtsmittel von Herrn Occhetto sei offenbar im Wesentlichen auf die Annahme gestützt, dass der Verzicht auf das Mandat im vorliegenden Fall mit einem Willensmangel behaftet sei, so dass dieser Verzicht nicht wirksam und es Sache des Parlaments sei, dies bei der Prüfung des Mandats festzustellen. Herr Occhetto habe aber weder vor den nationalen Gerichten noch vor dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Gemeinschaftsrichter einen Willensmangel geltend gemacht. Das Rechtsmittel von Herrn Occhetto sei also im Wesentlichen auf Gesichtspunkte gestützt, die erstmals im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden seien. Außerdem seien mit der Prüfung der für das Vorliegen eines Willensmangels erheblichen Umstände die Feststellung und Würdigung von Tatsachen verbunden, was im Rechtsmittelverfahren nicht möglich sei. Aus diesen Gründen beantragt Herr Donnici, das Rechtsmittel von Herrn Occhetto als unzulässig zurückzuweisen.

18      Hierzu ist festzustellen, dass Herr Occhetto im Rahmen seines Rechtsmittels zwar eine Reihe von Erwägungen zur Wirksamkeit seines Verzichts auf das Mandat und zum Vorliegen eines Willensmangels vorbringt. Das Rechtsmittel wird aber auf eine Reihe von Rechtsmittelgründen gestützt, mit denen zum einen eine fehlerhafte Auslegung der Vorschriften des Akts von 1976 und zum anderen eine fehlerhafte Beurteilung hinsichtlich der Dringlichkeit und der Interessenabwägung gerügt wird.

19      Somit ist festzustellen, dass das Rechtsmittel von Herrn Occhetto zulässig ist.

 Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen eine fehlerhafte Beurteilung des fumus boni iuris gerügt wird

20      Was die Beurteilung des fumus boni iuris durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter angeht, machen die Rechtsmittelführer drei Rechtsmittelgründe geltend:

–        eine fehlerhafte Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976 in Bezug auf die Reichweite der Prüfungsbefugnisse des Parlaments,

–        eine fehlerhafte Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 und seines Anwendungsbereichs sowie eine Verletzung von Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und

–        einen Rechtsfehler und eine widersprüchliche Begründung in Bezug auf die Bestimmung der Auswirkungen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Entscheidung der italienischen Behörden auf den streitigen Beschluss.

 Zum Rechtsmittelgrund der fehlerhaften Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976

–       Vorbringen der Rechtsmittelführer

21      Herr Occhetto und das Parlament sind der Auffassung, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, als er festgestellt habe, dass das Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 die von den zuständigen nationalen Behörden bekannt gegebenen Wahlergebnisse lediglich zur Kenntnis zu nehmen habe und keine grundsätzliche Zuständigkeit für die Kontrolle der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten besitze, diese Bestimmung sowohl im Hinblick auf ihren Wortlaut als auch im Hinblick auf den allgemeinen Kontext, in dem sie stehe, fehlerhaft ausgelegt habe.

22      Zwar müsse das Parlament die Ergebnisse der auf der Grundlage des Rechts der Mitgliedstaaten durchgeführten Prüfungen der nationalen Behörden nach Art. 12 des Akts von 1976 nur „zur Kenntnis [nehmen]“, doch verfüge es auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts über eine autonome Prüfungsbefugnis. Da es sich um ein Verfahren im Zusammenhang mit der Bildung eines Gemeinschaftsorgans handele, bestehe eine gemeinschaftliche Regelungsebene, die zwar nicht auf die Harmonisierung der nationalen Verfahren, aber auf die Einführung eines Mindeststandards abziele, um Verzerrungen aufgrund der Unterschiede zwischen den nationalen Verfahren zu verhindern. In diesem Sinne weise Art. 12 des Akts von 1976 dem Parlament die Befugnis zu, über auf die Vorschriften dieses Akts gestützte Anfechtungen zu befinden. Diese Befugnis sei notwendigerweise nicht nur auf der Grundlage des Wortlauts dieses Akts, sondern auch auf der Grundlage der diesem insgesamt zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze auszuüben.

23      Anders als der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter festgestellt habe, sollten mit Art. 12 Satz 2 des Akts von 1976 mithin nicht die Befugnisse des Parlaments beschränkt werden, sondern die beiden Modalitäten der Ausübung dieser Befugnisse aufgezeigt werden. Während sich das Parlament im Hinblick auf die nach innerstaatlichem Recht erfolgte Prüfung darauf zu beschränken habe, diese zur Kenntnis zu nehmen, stehe ihm im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht die volle Prüfungsbefugnis zu.

24      Die Rechtsmittelführer stützen diese Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976 erstens auf dessen Art. 8, der ihrer Auffassung nach diese Zweistufigkeit der Prüfungsbefugnis des Parlaments bestätigt. Denn mit der Formulierung, dass sich „das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften“ bestimme, aber „vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts“, lege Art. 8 die beiden Parameter für die Ausübung der Prüfungsbefugnis fest.

25      Zweitens bestehe eine institutionelle Praxis des Parlaments, die eindeutig dessen Tendenz erkennen lasse, die Mandate seiner Mitglieder anhand gemeinschaftsrechtlicher Maßstäbe zu prüfen.

26      Diese Praxis werde zum einen belegt durch den Bericht des Parlamentsausschusses für Geschäftsordnung, Wahlprüfung und Fragen der Immunität zur Änderung der die Prüfung der Mandate und die Dauer des Parlamentsmandats betreffenden Art. 7 und 8 der Geschäftsordnung des Parlaments (A3‑0166/94), die Art. 3 bzw. 4 der derzeit geltenden Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments entsprächen.

27      Zum anderen bekräftige das Parlament in Art. 2 seiner Entschließung zu den Anfechtungen und Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Mandate im Zusammenhang mit dem „Tourniquet-System“ (ABl. 1983, C 68, S. 31), dass „Klagen gegen die Gültigkeit von Mandaten neuer Mitglieder oder Anfechtungen und Einsprüche gegen die Gültigkeit bereits geprüfter Mandate, soweit sie auf rechtlichen Bedenken gegen das ‚Tourniquet-System‘ beruhen, unbegründet sind“. Jedenfalls sei es sinnlos, ein komplexes Prüfungssystem auf zwei Stufen – innerstaatlich und gemeinschaftsrechtlich – einzurichten, wenn die gemeinschaftsrechtliche Stufe dann überhaupt nicht zum Zuge komme und das Parlament in Ausübung seiner Prüfungsbefugnis lediglich die auf nationaler Ebene bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis zu nehmen habe.

28      Drittens seien die Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P, Slg. 2005, I‑6051), und des Gerichts vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament (T‑353/00, Slg. 2003, II‑1729), auf die sich der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter gestützt habe, nicht einschlägig. Die diesen Urteilen zugrunde liegende Rechtssache betreffe nämlich die Gültigkeit einer Entscheidung, mit der das Parlament eine Entscheidung der nationalen Stellen über den Entzug des Parlamentsmandats des Betroffenen zur Kenntnis genommen habe, und sei somit im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 2 und nicht Art. 12 des Akts von 1976 zu sehen. Jedenfalls zeige die Geschichte dieser Rechtssache, dass es sich bei der Abgrenzung der Befugnisse des Parlaments im Fall des Verlusts eines parlamentarischen Mandats um eine schwierige Frage handele, die nicht im Rahmen eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung geprüft werden könne.

–       Würdigung

29      Vorab ist festzustellen, dass dieser Rechtsmittelgrund die Reichweite der dem Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 zustehenden Prüfungsbefugnisse betrifft. Um beurteilen zu können, ob der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter diese Bestimmung falsch ausgelegt und damit die Reichweite dieser Befugnisse fehlerhaft beurteilt hat, ist sowohl der Wortlaut der Bestimmung als auch der allgemeine Zusammenhang zu untersuchen, in dem sie steht.

30      Insofern ist zunächst daran zu erinnern, dass Art. 12 des Akts von 1976 ausdrücklich vorsieht, dass das Parlament zum einen die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse „zur Kenntnis [zu nehmen]“ hat und zum anderen über etwaige Anfechtungen nur „auf Grund der Vorschriften dieses Akts“, und zwar „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, befinden darf.

31      Folglich spricht der Wortlaut von Art. 12 des Akts von 1976 auf den ersten Blick für eine enge Auslegung dieser Bestimmung. In diesem Zusammenhang ist, anders als die Rechtsmittelführer meinen, das Urteil des Gerichtshofs Le Pen/Parlament, auf das sich der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter gestützt hat, von besonderer Bedeutung. Die Verwendung des Ausdrucks „zur Kenntnis nehmen“ ist dort nämlich im Kontext des Akts von 1976 dahin ausgelegt worden, dass das Parlament insoweit keinerlei Ermessen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Le Pen/Parlament, Randnr. 20).

32      Außerdem darf das Parlament, was die Prüfung der Mandate der Mitglieder des Parlaments angeht, nach Art. 12 des Akts von 1976 und Art. 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments über die Gültigkeit der Mandate seiner neu gewählten Mitglieder sowie über Anfechtungen befinden, die aufgrund der Vorschriften des Akts von 1976, aber „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, vorgebracht werden können, „nicht aber über diejenigen [Anfechtungen], die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden“. Diese Ausnahmen sind ebenfalls klare Hinweise darauf, dass das Parlament nicht generell befugt ist, über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Wahlverfahren mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil Le Pen/Parlament, Randnr. 51).

33      Ferner kann dem Vorbringen, diese Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976 liefe darauf hinaus, dass die Prüfungsbefugnisse, über die das Parlament nach dieser Bestimmung verfüge, inhaltsleer wären, nicht gefolgt werden. Wie der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter zu Recht ausgeführt hat, ist das Parlament nämlich ohne Weiteres befugt, im Rahmen dieser Bestimmung über die Stellung eines gewählten Kandidaten zu entscheiden, der eine der in Art. 7 des Akts von 1976 aufgeführten Eigenschaften besitzt, die mit der Mitgliedschaft im Parlament unvereinbar sind.

34      Was schließlich die institutionelle Praxis angeht, auf die sich das Parlament beruft, so genügt, unabhängig von der Frage, ob eine einseitige Praxis eines Gemeinschaftsorgans für sich genommen den Gerichtshof bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags oder des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts überhaupt zu binden vermag, der Hinweis, dass die vom Parlament insofern vorgebrachten Anhaltspunkte, nämlich ein Bericht des Parlamentsausschusses für Geschäftsordnung, Wahlprüfung und Fragen der Immunität von 1994 und eine Entschließung von 1983, jedenfalls nicht ausreichen, um eine ständige institutionelle Praxis zu belegen.

35      Mithin ist festzustellen, dass dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter bei der Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976 kein offensichtlicher Rechtsfehler unterlaufen ist.

36      Dieser Rechtsmittelgrund ist also als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum Rechtsmittelgrund der fehlerhaften Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976

37      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter sei insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen, als er davon ausgegangen sei, dass das Parlament nach Art. 6 des Akts von 1976 nur befugt sei, die freie Ausübung des Mandats als Mitglied des Parlaments für die amtierenden Mitglieder des Parlaments zu gewährleisten. Die freie Ausübung sei somit nur im Hinblick auf Vereinbarungen gewährleistet, die die Ausübung des Abgeordnetenmandats beträfen, nicht aber im Hinblick auf Vereinbarungen, mit denen die Ausübung des von den Wählern gewollten Mandats völlig verhindert werde.

38      Nach Auffassung der Rechtsmittelführer ist Art. 6 des Akts von 1976 teleologisch auszulegen: Wenn mit dieser Bestimmung die Handlungsfreiheit der Mitglieder des Parlaments geschützt werden solle, sei es nicht vertretbar, ihren Anwendungsbereich auf die amtierenden Mitglieder des Parlaments zu beschränken. Nach ihrem Sinn und Zweck müsste die Bestimmung auch auf Kandidaten Anwendung finden, die offiziell auf einer Wahlliste stehen, weil diese Kandidaten Mitglieder des Parlaments werden könnten.

39      In diesem Zusammenhang stelle Art. 6 des Akts von 1976, der die Unabhängigkeit der Abgeordneten gebiete und die Entgegennahme von Weisungen verbiete, einen verbindlichen allgemeinen Grundsatz dar, mit dem das reibungslose Funktionieren des Parlaments gewährleistet werden solle. Der in Art. 12 des Akts von 1976 enthaltene Verweis auf die „Vorschriften dieses Akts“ erfasse somit notwendigerweise auch die allgemeinen Grundsätze, die diesem Akt zugrunde lägen und die für die Durchführung der Mandatsprüfung durch das Parlament unabdingbar seien. Diese sich insbesondere aus Art. 6 dieses Akts ergebenden Grundsätze seien in Wirklichkeit das Korrelat des in Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, das zwingender Natur sei, verankerten Grundprinzips, nach dem die Vertragsparteien verpflichtet seien, freie Wahlen „unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten“.

40      Die Rechtsmittelführer stützen diese Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 zum einen auf Art. 2 des Abgeordnetenstatuts, der, auch wenn er noch nicht in Kraft gewesen sei, eine Kodifizierung des normativen Inhalts von Art. 6 und damit des derzeit in diesem Bereich geltenden Gemeinschaftsrechts darstelle. Zum anderen berufen sie sich auf die Bestimmungen von Art. 3 Abs. 5 und Art. 4 Abs. 3 und 9 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments und machen geltend, der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter hätte diese Bestimmungen bei der Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 berücksichtigen müssen und wäre dann zwangsläufig zu dem Ergebnis gelangt, dass die in diesem Art. 6 verankerten Grundsätze auch für Sachverhalte gelten müssten, die Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments haben könnten.

41      Hierzu ist festzustellen, dass, wie der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter zutreffend ausgeführt hat, Art. 6 des Akts von 1976 nach seinem Wortlaut ausdrücklich „Mitglieder des Europäischen Parlaments“ betrifft. Zudem geht es um das Stimmrecht der Mitglieder, das sich seinem Wesen nach nicht mit der Eigenschaft als Kandidat in Verbindung bringen lässt, der aufgrund des von ihm erreichten Listenplatzes amtlich für gewählt erklärt wird.

42      Zwar darf bei der Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen nicht streng an ihrem Wortlaut gehaftet werden, ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang und ihre Zielsetzung. Doch ist, unabhängig von der Frage, ob der Rückgriff auf eine solche Auslegungsmethode im vorliegenden Fall zu einer Auslegung contra legem führen könnte, festzustellen, dass die von den Rechtsmittelführern insoweit vorgebrachten Gesichtspunkte nicht belegen können, dass die von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommene Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 offensichtlich fehlerhaft wäre.

43      Erstens wäre Art. 6 des Akts von 1976, selbst wenn ihm bestimmte allgemeine Grundsätze, insbesondere in Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltene, zugrunde liegen sollten, eine ganz konkrete Ausprägung dieser Grundsätze. Folglich kann Art. 6 für sich genommen keine allgemeine Befugnis des Parlaments zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Wahlverfahren der Mitgliedstaaten im Hinblick auf alle diese Grundsätze und die EMRK begründen.

44      Was zweitens Art. 2 des Abgeordnetenstatuts angeht, so heißt es in dessen viertem Erwägungsgrund, dass „die in Artikel 2 geschützte Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten ... regelungsbedürftig“ sind, weil sie „in keinem Text des Primärrechts erwähnt“ sind. In Verbindung mit dem fünften Erwägungsgrund dieses Statuts, nach dem Art. 3 Abs. 1 des Statuts den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 des Akts von 1976 aufgreift, weisen diese Feststellungen auf den ersten Blick eindeutig darauf hin, dass Art. 2 des Abgeordnetenstatuts keine Kodifikation dieses Art. 6 ist.

45      Drittens hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter zutreffend ausgeführt, dass eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Parlaments nach dem Grundsatz der Normenhierarchie keine Abweichung von den Vorschriften des Akts von 1976 erlauben kann. Diese Geschäftsordnung ist nämlich eine Maßnahme der internen Organisation, die nicht zugunsten des Parlaments Zuständigkeiten einführen kann, die nicht ausdrücklich durch einen Rechtsakt, im vorliegenden Fall den Akt von 1976, verliehen werden (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2008, Marra, C‑200/07 und C‑201/07, Slg. 2008, I‑7929, Randnr. 38). Daraus folgt, dass – zumindest im Rahmen einer Prüfung des fumus boni iuris – die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vielmehr im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Bestimmungen des Akts von 1976 auszulegen sind, und nicht umgekehrt.

46      Mithin ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss im Hinblick auf die Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 nicht mit einem offensichtlichen Rechtsfehler behaftet ist.

47      Folglich ist auch dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum Rechtsmittelgrund einer fehlerhaften Begründung hinsichtlich der Auswirkungen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Entscheidung des italienischen Wahlbüros, mit der Herr Donnici als Mitglied des Parlaments benannt wurde, auf den Beschluss des Parlaments zur Prüfung von dessen Mandat

48      Es wird geltend gemacht, die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei, was die Beurteilung der Auswirkungen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Entscheidung des italienischen Wahlbüros, mit der Herr Donnici als Mitglied des Parlaments benannt worden sei, auf den Beschluss des Parlaments zur Prüfung von dessen Mandat angehe, rechtsfehlerhaft und widersprüchlich. Das Parlament trägt insbesondere vor, der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter habe sich bei der Zurückweisung des Vorbringens des Parlaments, dass sein Beschluss zur Prüfung des Mandats selbst rechtswidrig wäre, wenn er auf einen rechtswidrigen nationalen Rechtsakt gestützt wäre, auf Rechtsprechung berufen, die nicht einschlägig sei, nämlich auf das Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission (C‑97/91, Slg. 1992, I‑6313, Randnrn. 10 bis 12), und den Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 21. Mai 2007, Kronberger/Parlament (T‑18/07 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 38 bis 40), anstatt das Urteil des Gerichtshofs vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission (C‑64/05 P, Slg. 2007, I‑11389), heranzuziehen.

49      Es habe, so das Parlament, es mit dem streitigen Beschluss abgelehnt, das Mandat einer von den nationalen Stellen benannten Person für gültig zu erklären, weil dieser Beschluss gegen den Grundsatz des freien Mandats verstoßen hätte, bei dem es sich um eine Regel handele, die ausdrücklich an das Parlament gerichtet sei und ihm eine Kontrollbefugnis verleihe. Es wäre abwegig, einerseits davon auszugehen, dass die nationalen Gerichte und Behörden verpflichtet seien, das Gemeinschaftsrecht anzuwenden und dabei etwaige entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften beiseite zu lassen, und andererseits anzunehmen, dass das Parlament dazu nicht befugt sei.

50      Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof in dem Urteil Oleificio Borelli/Kommission, das insbesondere die Auslegung von Art. 13 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 355/77 des Rates vom 15. Februar 1977 über eine gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 51, S. 1) betrifft, festgestellt hat, dass ein Vorhaben nur dann für einen Zuschuss aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft in Betracht kommt, wenn es von dem Mitgliedstaat befürwortet wird, in dessen Hoheitsgebiet es durchgeführt werden soll, und dass die Kommission demzufolge im Falle einer ablehnenden Stellungnahme das Verfahren der Prüfung des Vorhabens nach den Vorschriften dieser Verordnung nicht fortsetzen und erst recht nicht die Rechtmäßigkeit der Stellungnahme überprüfen kann. Der Gerichtshof kam danach zu dem Ergebnis, dass etwaige Fehler dieser Stellungnahme sich unter keinen Umständen auf die Gültigkeit der Entscheidung auswirken können, mit der die Kommission den beantragten Zuschuss abgelehnt hat (Urteil Oleificio Borelli/Kommission, Randnrn. 11 und 12).

51      Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter hat unter Heranziehung dieser Rechtsprechung ausgeführt, dass sich etwaige Fehler der Handlung einer nationalen Behörde, die Teil eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses ist und aufgrund der in diesem Bereich geltenden Zuständigkeitsverteilung die gemeinschaftliche Beschlussinstanz in der Weise bindet, dass sie den Inhalt der zu treffenden Gemeinschaftsentscheidung bestimmt, keinesfalls auf die Gültigkeit der Gemeinschaftsentscheidung auswirken können. Dieser Schluss ergibt sich jedoch eindeutig aus den Randnrn. 10 bis 12 des Urteils Oleificio Borelli/Kommission, vor allem wenn man die Zuständigkeitsverteilung nach Art. 12 des Akts von 1976 berücksichtigt.

52      Hingegen hat der Gerichtshof in Randnr. 93 des Urteils Schweden/Kommission, das die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) betrifft, festgestellt, dass Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung nicht zwei Zuständigkeitsbereiche, einen nationalen und einen gemeinschaftlichen, mit unterschiedlichen Zielen voneinander abgrenzen soll, sondern einen Entscheidungsprozess vorsieht, dessen einziger Zweck die Feststellung ist, ob der Zugang zu einem Dokument aufgrund einer der materiellen Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung zu versagen ist, und an dem sowohl das Gemeinschaftsorgan als auch der betreffende Mitgliedstaat beteiligt sind.

53      Durch die Berufung auf dieses Urteil macht das Parlament mithin geltend, dass Art. 12 des Akts von 1976 keine Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und dem Parlament und auch nicht die Ausübung dieser Zuständigkeiten im Rahmen getrennter Verfahren, sondern einen einheitlichen Entscheidungsprozess vorsieht, an dem sowohl das Parlament als auch die nationalen Behörden beteiligt sind. In Anbetracht der in den Randnrn. 29 bis 34 des vorliegenden Beschlusses dargelegten Erwägungen kann davon aber auf den ersten Blick keine Rede sein.

54      Somit ist festzustellen, dass der streitige Beschluss hinsichtlich der Auswirkungen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Entscheidung des italienischen Wahlbüros, mit der Herr Donnici als Mitglied des Parlaments benannt wurde, auf den Beschluss des Parlaments zur Prüfung von dessen Mandat nicht mit einem Begründungsmangel behaftet ist.

55      Demnach ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum Rechtsmittelgrund der fehlerhaften Beurteilung der Dringlichkeit

56      Das Parlament macht geltend, dass die von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommene Beurteilung der Dringlichkeit insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet sei, als der Richter nur auf den Schaden, der Herrn Donnici entstehen könnte, abgestellt habe, ohne dem Schaden Rechnung zu tragen, den die politische Vertretung möglicherweise nehmen könnte. Würde der Vollzug des streitigen Beschlusses nicht ausgesetzt, bliebe der betreffende Sitz von einer Person besetzt, die derselben politischen Richtung angehöre wie Herr Donnici. Mithin könne dessen Interesse die Aussetzung des Vollzugs des streitigen Beschlusses unter dem Gesichtspunkt der politischen Vertretung nicht rechtfertigen.

57      Hierzu ist lediglich festzustellen, dass nach einer ständigen Rechtsprechung Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache ist. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die begehrten Maßnahmen in dem Sinne dringlich sein, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. März 1999, Willeme/Kommission, C‑65/99 P[R], Slg. 1999, I‑1857, Randnr. 62).

58      Daher hatte der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Beurteilung der Dringlichkeit der beantragten Maßnahmen allein die Interessen des Antragstellers zu berücksichtigen, insbesondere die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für diese Interessen, ohne anderen Gesichtspunkten allgemeiner Art, wie im vorliegenden Fall der Kontinuität der politischen Vertretung, Rechnung zu tragen, die allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden können.

59      Somit ist auch der die Beurteilung der Dringlichkeit betreffende Rechtsmittelgrund des Parlaments als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum Rechtsmittelgrund einer rechtsfehlerhaften Interessenabwägung

60      Mit ihrem letzten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter sei bei der Interessenabwägung ein Rechtsfehler unterlaufen. Sie rügen im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes dreierlei.

61      Erstens habe der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter insoweit einen Beurteilungsfehler begangen, als er die Interessen von Herrn Donnici und Herrn Occhetto als gleichgewichtig angesehen habe. Er habe dabei außer Acht gelassen, dass Herr Occhetto mehr Präferenzstimmen auf sich vereinigt habe und somit ein im Verhältnis zu Herrn Donnici vorrangiges Interesse an der Ausübung des parlamentarischen Mandats habe.

62      Zweitens habe der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter das öffentliche Interesse an einem Höchstmaß an politischer Legitimität des Parlaments nicht berücksichtigt, einer Legitimität, die auf der Wahl durch das Volk beruhe. Im vorliegenden Fall hätte der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er das öffentliche Interesse berücksichtigt hätte, die Aussetzung des Vollzugs des streitigen Beschlusses ablehnen müssen, da diese Maßnahme bedeute, dass die Person den Sitz im Parlament innehabe, die weniger Stimmen auf sich vereinigt habe, und damit die politische Legitimität des Parlaments verringert werde. Jedenfalls hätte die Ablehnung der Aussetzung des Vollzugs des streitigen Beschlusses selbst im Falle einer Entscheidung zur Hauptsache zugunsten von Herrn Donnici keinen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Legitimität des Parlaments verursacht, da in der Zeit zwischen der Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung und der Entscheidung zur Hauptsache eine Person Mitglied des Parlaments sei, die durch die Wahl durch das Volk in höherem Maße legitimiert sei.

63      Drittens sei der angefochtene Beschluss insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet, als der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Beurteilung der Dringlichkeit und der Vorrangigkeit der Interessen von Herrn Donnici auf den fumus boni iuris zurückgegriffen habe. Zwar scheine die Rechtsprechung einen gewissen gegenseitigen Ausgleich zwischen der Voraussetzung des fumus boni iuris und derjenigen der Dringlichkeit zuzulassen, doch könne das Vorliegen einer dieser beiden Voraussetzungen nicht das gänzliche Fehlen der anderen ausgleichen.

64      Nach Ansicht der Rechtsmittelführer hätte der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Interessenabwägung aber zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Dringlichkeit im vorliegenden Fall völlig fehlt. Insoweit ergebe sich aus dem Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P‑R, Slg. 2003, I‑7939, Randnr. 106), dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen habe, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Handlung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Handlung entstanden wäre, und – umgekehrt – ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde. Hätte der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im vorliegenden Fall aber den zweiten Teil dieser Prüfung durchgeführt, wäre er zwangsläufig zu dem Schluss gelangt, dass die Aussetzung des Vollzugs des streitigen Beschlusses dessen volle Wirksamkeit auf jeden Fall behindern würde, falls die Nichtigkeitsklage abgewiesen würde. Dass es im vorliegenden Fall ein Element der Dringlichkeit gebe, reiche daher auf keinen Fall aus.

65      Hierzu ist festzustellen, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter in einem ersten Schritt festgestellt hat, dass im Fall der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses im Verfahren zur Hauptsache der Schaden, den Herr Donnici erleiden würde, wenn der Vollzug dieses Beschlusses nicht ausgesetzt würde, nicht wiedergutzumachen wäre, und dann eine Interessenabwägung durchgeführt hat, indem er zunächst auf das Interesse von Herrn Occhetto am Vollzug des die Aufrechterhaltung seines Mandats implizierenden streitigen Beschlusses hingewiesen hat. Wenn, so der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, der Vollzug des streitigen Beschlusses Herrn Donnici einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verursachen drohe, bestehe in dem Fall, dass dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs dieses Beschlusses stattgegeben werde, dasselbe Risiko für Herrn Occhetto, da ein eventuelles die Klage abweisendes Urteil wahrscheinlich erst ergehen werde, nachdem die Restlaufzeit seines Mandats zum größten Teil, wenn nicht gar ganz abgelaufen sei.

66      Nachdem er so zu dem Ergebnis gelangt war, dass die besonderen und unmittelbaren Interessen von Herrn Donnici und Herrn Occhetto gleichgewichtig sind, hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter schließlich die allgemeineren Interessen berücksichtigt, denen in einer solchen Situation besondere Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang hat er ausgeführt, dass die Italienische Republik zwar unbestreitbar ein Interesse an der Beachtung ihrer wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament habe, das Parlament aber ein allgemeines Interesse an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidungen habe. Er war jedoch der Ansicht, dass keines dieser Interessen bei der Interessenabwägung den Vorrang haben könne.

67      Erst nachdem er festgestellt hatte, dass sowohl die besonderen als auch die allgemeinen betroffenen Interessen gleichgewichtig sind, hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter also auf das Gewicht der von Herrn Donnici für die Voraussetzung des fumus boni iuris vorgetragenen Gründe abgestellt und sich insoweit auf eine gefestigte Rechtsprechung berufen, nämlich auf die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat (C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnr. 110), vom 11. April 2002, NDC Health/IMS Health und Kommission (C‑481/01 P[R], Slg. 2002, I‑3401, Randnr. 63), und Le Pen/Parlament (Randnr. 110).

68      Die von den Rechtsmittelführern vorgebrachten Argumente sind nicht geeignet, diese Erwägungen des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters in Frage zu stellen.

69      Zum einen hat die von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommene Interessenabwägung ergeben, dass die besonderen Interessen von Herrn Donnici und Herrn Occhetto gleichgewichtig sind. Diese Gleichgewichtigkeit der Interessen kann aber nicht bedeuten, dass keine Dringlichkeit vorliegt. Vielmehr ist die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens, auf die es bei der Dringlichkeit allein ankommt, im vorliegenden Fall durchaus gegeben, und zwar sowohl bei Herrn Donnici als auch, falls dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs stattgegeben wird, bei Herrn Occhetto.

70      Zum anderen hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, anders als die Rechtsmittelführer meinen, die allgemeineren Interessen des Parlaments, insbesondere sein Interesse an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidungen, gewürdigt. Er hat sie aber, anstatt sie isoliert zu betrachten, zu Recht gegen das Interesse der Italienischen Republik an der Beachtung ihrer wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament abgewogen. Dasselbe gilt für die politische Legitimität des Parlaments und dessen Interesse daran, dass derjenige Kandidat den Sitz innehat, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat. Zwar lassen sich diese Interessen nicht bestreiten, doch darf auch das Interesse der Italienischen Republik daran, dass im Europäischen Parlament diejenigen italienischen Abgeordneten vertreten sind, die nach den innerstaatlichen Vorschriften gewählt und von einem der höchsten Gerichte dieses Mitgliedstaats benannt worden sind, nicht außer Acht gelassen werden.

71      Somit ist auch der Rechtsmittelgrund der rechtsfehlerhaften Interessenabwägung als unbegründet zurückzuweisen.

72      Da alle Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 Kosten

73      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführer mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag von Herrn Donnici dessen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

1.      Die Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

2.      Herr Occhetto und das Europäische Parlament tragen die Kosten von Herrn Donnici.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.

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