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Document 62007CJ0542

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 11. Juni 2009.
Imagination Technologies Ltd gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM).
Rechtsmittel - Gemeinschaftsmarke - Zurückweisung der Anmeldung - Verordnung (EG) Nr. 40/94 - Art. 7 Abs. 3 - Durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft - Benutzung nach dem Anmeldetag.
Rechtssache C-542/07 P.

Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-04937

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:362

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑542/07 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 30. November 2007,

Imagination Technologies Ltd mit Sitz in Kings Langley, Hertfordshire (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: M. Edenborough, Barrister, beauftragt durch P. Brownlow und N. Jenkins, Solicitors,

Rechtsmittelführerin,

anderer Verfahrensbeteiligter:

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch D. Botis als Bevollmächtigten,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter A. Tizzano und J.‑J. Kasel (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2009,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Imagination Technologies Ltd (im Folgenden: Imagination Technologies oder Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 2007, Imagination Technologies/HABM (PURE DIGITAL) (T‑461/04, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem ihre Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 16. September 2004 (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen worden ist, in der die Beschwerdekammer die Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke „PURE DIGITAL“ mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass sie „beschreibend und ohne Unterscheidungskraft“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) sei und dass in Anbetracht der eingereichten Nachweise Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 nicht anwendbar sei.

Rechtlicher Rahmen

2. Die Verordnung Nr. 40/94 ist durch die am 13. April 2009 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung) (ABl. L 78, S. 1) aufgehoben worden. Im vorliegenden Rechtsstreit findet jedoch in Anbetracht des für den Sachverhalt maßgeblichen Zeitpunkts weiterhin die Verordnung Nr. 40/94 Anwendung.

3. Gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 sind von der Eintragung ausgeschlossen

„…

b) Marken, die keine Unterscheidungskraft haben,

c) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können,

…“.

4. Nach Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 finden „[d]ie Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben b), c) und d) keine Anwendung, wenn die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat“.

5. Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 lautet:

„Das Recht aus der Gemeinschaftsmarke kann Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden. Jedoch kann eine angemessene Entschädigung für Handlungen verlangt werden, die nach Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen werden und die nach Veröffentlichung der Eintragung aufgrund der Gemeinschaftsmarke verboten wären. Das angerufene Gericht darf bis zur Veröffentlichung der Eintragung keine Entscheidung in der Hauptsache treffen.“

6. Art. 51 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) Abs. 1 und 2 sieht vor:

„(1) Die Gemeinschaftsmarke wird … für nichtig erklärt,

b) wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

(2) Ist die Gemeinschaftsmarke entgegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b), c) oder d) eingetragen worden, kann sie nicht für nichtig erklärt werden, wenn sie durch Benutzung im Verkehr Unterscheidungskraft für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, erlangt hat.“

Sachverhalt

7. Am 1. Oktober 2001 meldete Imagination Technologies gemäß der Verordnung Nr. 40/94 beim HABM eine Gemeinschaftsmarke an.

8. Dabei handelte es sich um das Wortzeichen „PURE DIGITAL“. Die Marke wurde für folgende Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 und 38 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

– Klasse 9: „Elektrische und elektronische Geräte zur Verwendung in Multimedia-Unterhaltungssystemen; Anlagengeräte für den Empfang, zum Speichern und zur Ausgabe von Ton-, Video- und digitalen Informationen; digitale Videoadapter und interaktive Videoadapter zum Gebrauch mit Computern, Videogeräte; Computerhardware, Computersoftware zur Verwendung mit Multimedia- und Grafikanwendungen; Lautsprecher, Verstärker, Decoder, DVDs und Digitalradiosysteme; Taschencomputergeräte und Kommunikationsgeräte; Karten, Sound-Karten, Cartridges, Bänder, Platten, Kassetten und andere Datenträger, alle zur Aufzeichnung von Daten, Ton und Bildern; Autounterhaltungssysteme, insbesondere Autonavigationssysteme, Autoradios oder Grafikanwendungen auf Autobildschirmen; Teile und Bestandteile und elektronische Bauteile für alle vorstehend genannten Waren“;

– Klasse 38: „Fernübertragung von Informationen, Computerprogrammen und Computer- und Videospielen und ‑programmen; Dienstleistungen im Bereich der elektronischen Mail; Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten zu Computer-Datenbanken und zum Internet mittels Telekommunikation“.

9. Mit Entscheidung vom 12. Dezember 2003 wies der Prüfer des HABM die Anmeldung mit der Begründung zurück, dass die Anmeldemarke beschreibend und ohne Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 40/94 sei. In Anbetracht der von Imagination Technologies vorgelegten Nachweise verneinte der Prüfer außerdem die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94.

10. Am 29. Januar 2004 legte Imagination Technologies gegen diese Entscheidung beim HABM eine Beschwerde ein. Mit der streitigen Entscheidung wies die Zweite Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück und bestätigte damit die Zurückweisung der Anmeldung.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

11. Mit am 1. Dezember 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob Imagination Technologies eine Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung.

12. Sie machte drei Klagegründe geltend:

– Erstens habe die Beschwerdekammer mit ihrer fehlerhaften Feststellung, dass das Zeichen keine originäre Unterscheidungskraft habe, gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen.

– Zweitens habe die Beschwerdekammer gegen Art. 38 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen, weil sie nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen habe, die in dieser Vorschrift vorgesehene Verzichtserklärung zu verlangen.

– Drittens habe die Beschwerdekammer gegen Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen, denn sie habe verkannt, dass die Marke infolge ihrer Benutzung durch Imagination Technologies Unterscheidungskraft erworben habe.

13. Das Gericht hat zunächst die ersten beiden Klagegründe als unbegründet zurückgewiesen und sodann das Vorbringen zu Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 geprüft, und zwar insbesondere das Vorbringen zur Nichtberücksichtigung von Benutzungsnachweisen wegen deren Bezug auf die Zeit nach dem Anmeldetag.

14. Insoweit hat das Gericht unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung (vgl. Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 2002, eCopy/HABM [ECOPY], T‑247/01, Slg. 2002, II‑5301, Randnr. 36, vom 13. Dezember 2004, El Corte Inglés/HABM – Pucci [EMILIO PUCCI], T‑8/03, Slg. 2004, II‑4297, Randnrn. 71 und 72, und vom 15. Dezember 2005, BIC/HABM [Form eines Steinfeuerzeugs], T‑262/04, Slg. 2005, II‑5959, Randnr. 66) in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils zunächst daran erinnert, dass die Unterscheidungskraft einer Marke durch die Benutzung vor ihrem Anmeldetag erworben worden sein müsse.

15. Dazu hat das Gericht ausgeführt, dass allein diese Auslegung mit der Kohärenz des für die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke geltenden Systems der absoluten und relativen Schutzhindernisse vereinbar sei, in dem der Anmeldetag über den Vorrang einer Marke gegenüber einer anderen Marke entscheide. Durch diese Auslegung könne auch vermieden werden, dass ein Anmelder die Länge des Eintragungsverfahrens ungerechtfertigt für den Nachweis ausnutze, dass seine Marke durch ihre Benutzung nach dem Anmeldetag Unterscheidungskraft erworben habe.

16. Das Gericht hat sodann in Randnr. 78 des angefochtenen Urteils das Vorbringen von Imagination Technologies zu Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 mit der Begründung zurückgewiesen, dass diese Bestimmung wegen des berechtigten Vertrauens des Markeninhabers und der in der Zeit seit der Eintragung getätigten Investitionen gerechtfertigt sei, während es im Rahmen einer bloßen Anmeldung keinen Vertrauensschutz geben könne. Darum sei die etwaige Benutzung der Marke nach ihrem Anmeldetag unberücksichtigt zu lassen.

17. In Randnr. 79 des angefochtenen Urteils schließlich hat das Gericht betont, dass Nachweise, die sich auf einen späteren Zeitraum bezögen, keine Rückschlüsse auf die Benutzung der Marke zur Zeit ihrer Anmeldung zuließen (vgl. entsprechend Beschlüsse des Gerichtshofs vom 27. Januar 2004, La Mer Technology, C‑259/02, Slg. 2004, I‑1159, Randnr. 31, und vom 5. Oktober 2004, Alcon/HABM, C‑192/03 P, Slg. 2004, I‑8993, Randnr. 41).

18. Das Gericht hat deshalb auch den dritten Klagegrund als unbegründet zurückgewiesen.

19. Demgemäß hat das Gericht die Klage insgesamt abgewiesen.

Verfahren vor dem Gerichtshof

20. Die Rechtsmittelführerin beantragt,

– das angefochtene Urteil aufzuheben;

– die Erstattung ihrer Kosten im Rechtsmittelverfahren und im Verfahren vor dem Gericht anzuordnen.

21. Das HABM beantragt,

– das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen;

– der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

22. Imagination Technologies macht als einzigen Rechtsmittelgrund geltend, es sei ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94, dass das Gericht entschieden habe, dass die Unterscheidungskraft einer angemeldeten Marke vor dem Anmeldetag erworben worden sein müsse.

23. Die Rechtsmittelführerin ist der Auffassung, dass die erforderliche Unterscheidungskraft nicht notwendig vor dem Anmeldetag bestehen müsse, sondern auch im Verlauf des Eintragungsverfahrens erworben werden könne, und zwar bis zu dem Tag, an dem über die Unterscheidungskraft entschieden werde, d. h. bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das HABM darüber befinde, ob der Anmeldung absolute Eintragungshindernisse entgegenstünden.

24. Die Rechtsmittelführerin verweist zunächst darauf, dass die „Kohärenz des Systems“ der absoluten und relativen Schutzhindernisse, auf die sich das Gericht in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils gestützt habe, schon eine Situation zulasse, die mit der Situation, zu der die von ihr befürwortete Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 führe, vergleichbar sei.

25. Nach Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 nämlich könne, wenn eine erste Marke entgegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, c oder d dieser Verordnung angemeldet worden sei, ihre Eintragung nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn sie inzwischen Unterscheidungskraft erworben habe. Die Eintragung dieser ersten Marke stehe damit einer späteren Anmeldung entgegen, obgleich die erste Marke am Tag der zweiten Anmeldung keine Unterscheidungskraft gehabt habe.

26. Im Kontext des Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 könne also die Beurteilung der Unterscheidungskraft der Marke nach der Eintragung vorgenommen werden. Dabei werde aber nicht verlangt, dass die hierfür relevante Benutzung ebenfalls nach der Eintragung erfolgt sei. Infolgedessen könne die Marke Unterscheidungskraft während des Eintragungsverfahrens erlangen. Wenn Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 den Nachweis des Erwerbs von Unterscheidungskraft durch die Benutzung der Marke nach ihrer Anmeldung zulasse, müsse das Gleiche für Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 gelten.

27. Ferner spreche gegen den Vertrauensschutz, den das Gericht bei seiner Erörterung des Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 in Randnr. 78 des angefochtenen Urteils angeführt habe, dass sich der Inhaber einer fehlerhaft eingetragenen Marke des prekären Charakters seiner Eintragung durchaus bewusst sei.

28. Im Übrigen sei eine auf den Wortlaut abstellende Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94, die die Worte „die Eintragung beantragt wird“ nur auf den Anmeldetag bezöge, unzweckmäßig, da sie alle Vorgänge unberücksichtigt lasse, die sich, wie eine Änderung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses oder eine Zurücknahme der Anmeldung, danach zutragen könnten.

29. Die Rechtsmittelführerin sieht ihre Auffassung auch durch Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 bestätigt, da diese Vorschrift mit ihren Überlegungen zu dem für die Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke maßgeblichen Zeitpunkt in jeder Hinsicht übereinstimme. Sei nämlich der Stichtag der Tag, an dem das HABM über die Unterscheidungskraft befinde, könne gemäß Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 „eine angemessene Entschädigung für Handlungen …, die nach Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorgenommen werden“, nur verlangt werden, wenn es sich tatsächlich um eine unterscheidungskräftige Marke handele.

30. Schließlich beruft sich die Rechtsmittelführerin auf einen in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, wonach relevante Vorgänge, die sich nach Eröffnung des fraglichen gerichtlichen Verfahrens zugetragen hätten, berücksichtigt werden müssten. So habe der Gerichtshof Ereignisse berücksichtigt, die in die Zeit zwischen der Erhebung einer markenrechtlichen Verletzungsklage und der Verkündung der Entscheidung über diese Klage gefallen seien (Urteil vom 27. April 2006, Levi Strauss, C‑145/05, Slg. 2006, I‑3703, Randnr. 37).

31. Ebenso habe das Gericht entschieden, dass Vorgänge in der Zeit nach der Erhebung eines Widerspruchs zu berücksichtigen seien, und zwar bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung (Urteil des Gerichts vom 13. September 2006, MIP Metro/HABM – Tesco Stores [METRO], T‑191/04, Slg. 2006, II‑2855, Randnr. 46).

32. Das HABM ist dementgegen der Ansicht, dass Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 in der streitigen Entscheidung fehlerfrei angewandt worden sei.

33. Zum einen bestätige die auf den Wortsinn abstellende Auslegung des Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94, insbesondere der Worte „die Eintragung beantragt wird“, die Auslegung, wonach die Marke den erforderlichen Grad an Unterscheidungskraft vor dem Anmeldetag erlangt haben müsse.

34. Zum anderen verbiete es eine teleologische Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 in Anbetracht der „Kohärenz des Systems“ der absoluten und relativen Schutzhindernisse, Nachweise für den Erwerb der Unterscheidungskraft einer Marke nach dem Anmeldetag zu berücksichtigen, weil dies das Monopol des Markeninhabers künstlich auszuweiten drohte und Anmelder dazu ermutigte, nicht unterscheidungskräftige Marken so rasch wie möglich allein mit dem Ziel anzumelden, ein früheres Datum für den zeitlichen Rang dieser Zeichen zu erlangen.

35. Wenn das durch die Verordnung Nr. 40/94 geschaffene Schutzsystem in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung eine Ausnahme von dem Grundsatz zulasse, dass nur Zeichen, die den Anforderungen der einschlägigen Vorschriften entsprächen, als Gemeinschaftsmarken geschützt werden könnten, beruhe dies auf der Benutzung des Zeichens, die am Anfang des Schutzzeitraums bereits vorgenommen worden sei.

36. Soweit die Rechtsmittelführerin behaupte, ein berechtigtes Vertrauen erscheine prekär, sei ihr Vorbringen unbegründet, da auch sie selbst nicht in berechtigter Weise darauf habe vertrauen können, dass ihre Marke eingetragen würde. Wären sich alle Anmelder des prekären Charakters ihrer Anmeldung bewusst, müssten sie als bösgläubig angesehen werden, womit die Ausnahmeregelung des Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 ihren Sinn verlöre. Der Ausdruck „Vertrauensschutz“ sei dahin zu verstehen, dass die Eintragung einer Marke eine Rechtsvermutung begründe, dass das Monopolrecht des Markeninhabers gültig sei.

37. Des Weiteren seien die Art. 7 Abs. 3 und 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 inhaltlich und rechtlich so verschieden, dass nicht mit einer Analogie argumentiert werden könne. Das gelte umso mehr, als diese Vorschriften als Ausnahmen von dem Grundsatz, dass ein unter ein absolutes Eintragungshindernis fallendes Zeichen von der Eintragung ausgeschlossen sei, eng ausgelegt werden müssten. Dass es die Vorschrift des Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 überhaupt gebe, belege im Übrigen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber der nach Eintragung erworbenen Unterscheidungskraft nur in diesem Fall habe Wirkungen beilegen wollen.

38. Soweit nach Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Marke an eine Entschädigung verlangt werden könne, berühre diese Vorschrift in keiner Weise die Rechte, die der Zeitrang der eingetragenen Marke ihrem Inhaber verleihe.

39. Würde der Auffassung der Rechtsmittelführerin gefolgt, drohte dies jedenfalls die Grundsätze der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen, weil Anmelder dann versucht wären, die Bearbeitung ihrer Anmeldung systematisch zu verzögern, wodurch sich das Prüfungsverfahren in die Länge zöge, die Verwaltungskosten stiegen und schließlich die Gefahr stiege, dass Dritte Zeichen anmeldeten, die mit den in anhängigen Eintragungsverfahren befindlichen Zeichen identisch seien.

40. Abschließend sei zu der von der Rechtsmittelführerin angeführten Rechtsprechung zu bemerken, dass sie sich auf Rechtssachen beziehe, in denen es um das Erfordernis gegangen sei, die Gültigkeit eines älteren Rechts aus Gesichtspunkten aufrechtzuerhalten, die nach der Eintragung der Marke aufgetreten seien, so dass daraus für die vorliegende Rechtssache nichts gefolgert werden könne.

Würdigung durch den Gerichtshof

41. Für die Entscheidung über den geltend gemachten Rechtsmittelgrund ist daran zu erinnern, dass nach Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 „[d]ie Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben b), c) und d) … keine Anwendung [finden], wenn die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat“.

42. Bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, insbesondere aus der Verwendung der auf die Vergangenheit bezogenen Formulierungen „die Marke … erlangt hat“ und „infolge ihrer Benutzung“, geht hervor, dass die Marke bereits am Anmeldetag durch eine vorherige Benutzung Unterscheidungskraft erlangt haben muss.

43. Diese Feststellung, die sich auf die deutsche Fassung bezieht, wird durch die Prüfung verschiedener anderer Sprachfassungen, so insbesondere der englischen, der französischen, der italienischen und der niederländischen, bestätigt.

44. Im Übrigen spiegelt sich in der Entwicklung der einschlägigen Rechtsvorschriften eindeutig die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers wider, den Schutz als Gemeinschaftsmarke nur denjenigen Marken zu gewähren, deren Unterscheidungskraft durch eine Benutzung vor der Anmeldung erworben wurde.

45. So stimmt Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 im Wesentlichen mit Art. 3 Abs. 3 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 40, S. 1), aufgehoben durch die am 28. November 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung) (ABl. L 299, S. 25) (im Folgenden: Richtlinie 89/104), überein.

46. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 ist wie folgt gefasst:

„Eine Marke wird nicht gemäß Absatz 1 Buchstabe b), c) oder d) von der Eintragung ausgeschlossen oder für ungültig erklärt, wenn sie vor der Anmeldung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat. Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorsehen, dass die vorliegende Bestimmung auch dann gilt, wenn die Unterscheidungskraft erst nach der Anmeldung oder Eintragung erworben wurde.“

47. Insoweit wird im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 89/104 klargestellt, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten das Recht belässt, die durch Benutzung erworbenen Marken weiterhin zu schützen; diese Marken sollen lediglich in ihrer Beziehung zu den durch Eintragung erworbenen Marken berücksichtigt werden.

48. Da jedoch das Gemeinschaftsrecht seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 40/94, mit der eine gemeinschaftliche Regelung für Marken geschaffen werden soll, nicht mehr die Befugnis der Mitgliedstaaten vorsieht, Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung auf Marken anzuwenden, die Unterscheidungskraft nach der Anmeldung oder Eintragung erworben haben, ist der Schluss zu ziehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Schutz von Marken gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 auf die Marken beschränken wollte, die Unterscheidungskraft durch die Benutzung vor der Anmeldung erworben haben.

49. Die auf den Wortlaut abstellende Auslegung sowohl des Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 als auch des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 89/104 erlaubt somit den Schluss, dass die Unterscheidungskraft durch eine Benutzung der Marke vor dem Anmeldetag erworben worden sein muss.

50. Soweit die Rechtsmittelführerin der auf den Wortlaut abstellenden Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 entgegenhält, sie gestatte es nicht, Vorgänge zu berücksichtigen, die sich nach der Anmeldung zutragen könnten, genügt der Hinweis, dass sie nicht dargetan hat, inwiefern eine Änderung des Warenverzeichnisses der Anmeldung oder deren Zurücknahme Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Beurteilung der Unterscheidungskraft der Marke haben könnte. Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen.

51. Im Übrigen ist, wie das Gericht in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, nur diese auf den Wortlaut abstellende Auslegung des Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 mit der Kohärenz des für die Eintragung der Gemeinschaftsmarke geltenden Systems der absoluten und relativen Schutzhindernisse vereinbar, in dem der Anmeldetag über den Vorrang einer Marke gegenüber einer anderen Marke entscheidet.

52. Überdies könnte eine Marke, die an ihrem Anmeldetag ohne Unterscheidungskraft war, im Rahmen eines Widerspruchs oder eines Antrags auf Nichtigerklärung als Grundlage für die Geltendmachung eines relativen Eintragungshindernisses gegen eine andere Marke mit einem späteren Anmeldetag als dem der erstgenannten Marke dienen. Dies wäre umso unannehmbarer, wenn die zweite Marke zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung bereits Unterscheidungskraft besitzt, während die erste noch keine Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben hat.

53. In diesem Zusammenhang kann dem Argument der Rechtsmittelführerin, dass Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 den Nachweis einer nach dem Anmeldetag erfolgten Benutzung schon zulasse, nicht gefolgt werden.

54. Zum einen nämlich ist Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94, da er im Verhältnis zu den in Art. 51 Abs. 1 geregelten absoluten Nichtigkeitsgründen eine Ausnahme normiert, restriktiv auszulegen und kann darum nicht als Grundlage für Analogieschlüsse im Rahmen der Auslegung des Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 dienen.

55. Zum anderen ist, wie es das Gericht in Randnr. 78 des angefochtenen Urteils zutreffend getan hat, darauf hinzuweisen, dass Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 seine Rechtfertigung im Schutz des berechtigten Vertrauens des Markeninhabers in die Eintragung seiner Marke findet und dass dieser Vertrauensschutz die Grundlage dafür bildet, dass der Markeninhaber in der seit der Eintragung verstrichenen Zeit Investitionen tätigen konnte. Es ist jedoch festzustellen, dass ein solches berechtigtes Vertrauen in die Eintragung der Marke bei der Anmeldung nicht geltend gemacht werden kann.

56. In diesem Zusammenhang ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, wonach dem Vertrauensschutz für den Inhaber einer fehlerhaft eingetragenen Marke entgegenstehe, dass er um den prekären Charakter dieser Eintragung wissen müsse, nicht überzeugend. Selbst wenn jeder Inhaber einer fehlerhaft eingetragenen Marke als bösgläubig angesehen werden müsste, führte dies dazu, dass Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, der Bösgläubigkeit des Anmelders zu einem absoluten Nichtigkeitsgrund erhebt, in allen Fällen einer fehlerhaft eingetragenen Marke angewandt werden müsste, so dass Art. 51 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 seines Inhalts beraubt würde.

57. Soweit die Rechtsmittelführerin geltend macht, die Beurteilung der Unterscheidungskraft der Marke nach Maßgabe des Tages, an dem die absoluten Eintragungshindernisse geprüft würden, stimme in jeder Hinsicht mit Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 überein, genügt der Hinweis, dass dieser Artikel, abgesehen davon, dass er ebenso mit der Auslegung in Einklang steht, wonach die Unterscheidungskraft vor der Anmeldung erworben sein muss, die Entschädigungen regelt, die Dritte gegebenenfalls für Handlungen nach der Veröffentlichung der Marke, jedoch vor deren Eintragung leisten müssen. Die Rechtsmittelführerin hat jedoch nicht dargetan, inwiefern die Frage, ob Dritten das Recht aus der Gemeinschaftsmarke entgegengehalten werden kann, die Frage der Unterscheidungskraft der Marke am Anmeldetag berühren könnte.

58. Zu den von der Rechtsmittelführerin für ihre Rechtsauffassung angeführten Urteilen ist zu bemerken, dass der Gerichtshof im Urteil Levi Strauss darüber befunden hat, welche Folgen das Verhalten des Markeninhabers für den Schutzumfang einer rechtmäßig erworbenen Marke hat, während das Gericht im Urteil MIP Metro/HABM – Tesco Stores (METRO) entschieden hat, dass veränderte Umstände zu berücksichtigen sind, die zwischen der Erhebung des Widerspruchs und der Entscheidung über den Widerspruch auftreten.

59. Diese Urteile sind jedoch nicht einschlägig für die Entscheidung über die im vorliegenden Fall aufgeworfene Rechtsfrage, die die Anmeldung einer am Anmeldetag nicht unterscheidungskräftigen Marke betrifft.

60. Nach alledem ist festzustellen, dass das Gericht zu Recht entschieden hat, dass die fragliche Marke vor dem Anmeldetag durch ihre Benutzung Unterscheidungskraft erworben haben muss.

61. Folglich ist der einzige geltend gemachte Rechtsmittelgrund – Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 – unbegründet, so dass das Rechtsmittel zurückzuweisen ist.

Kosten

62. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM beantragt hat, Imagination Technologies die Kosten aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind Imagination Technologies die Kosten aufzuerlegen.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Imagination Technologies Ltd trägt die Kosten.

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