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Document 62007CJ0208
Judgment of the Court (Third Chamber) of 16 July 2009.#Petra von Chamier-Glisczinski v Deutsche Angestellten-Krankenkasse.#Reference for a preliminary ruling: Bayerisches Landessozialgericht - Germany.#Social security - Regulation (EEC) No 1408/71 - Title III, Chapter 1 - Articles 18 EC, 39 EC and 49 EC - Benefits in kind intended to cover the risk of reliance on care - Residence in a Member State other than the competent State - Social security system of the Member State of residence not including benefits in kind linked to the risk of reliance on care.#Case C-208/07.
Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 16. Juli 2009.
Petra von Chamier-Glisczinski gegen Deutsche Angestellten-Krankenkasse.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerisches Landessozialgericht - Deutschland.
Soziale Sicherheit - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Titel III Kapitel 1 - Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG - Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit - Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat - System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats des Wohnorts, das keine Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsieht.
Rechtssache C-208/07.
Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 16. Juli 2009.
Petra von Chamier-Glisczinski gegen Deutsche Angestellten-Krankenkasse.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerisches Landessozialgericht - Deutschland.
Soziale Sicherheit - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Titel III Kapitel 1 - Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG - Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit - Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat - System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats des Wohnorts, das keine Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsieht.
Rechtssache C-208/07.
Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-06095
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:455
Rechtssache C‑208/07
Petra von Chamier-Glisczinski
gegen
Deutsche Angestellten-Krankenkasse
(Vorabentscheidungsersuchen des Bayerischen Landessozialgerichts)
„Soziale Sicherheit – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Titel III Kapitel 1 – Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG – Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit – Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat – System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats des Wohnorts, das keine Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsieht“
Leitsätze des Urteils
1. Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Krankenversicherung
(Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Art. 19 und 22 Abs. 1 Buchst. b)
2. Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen
(Art. 18 EG und 42 EG; Verordnung Nr. 1408/71 des Rates)
1. Wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1386/2001 geänderten Fassung versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – in Fällen der Pflegebedürftigkeit wie dem dieser Person keine Sachleistungen vorsieht, verlangt Art. 19 oder 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung an sich nicht, dass derartige Leistungen von dem zuständigen Träger oder zu dessen Lasten außerhalb des zuständigen Staates erbracht werden.
Jedoch dürfen die Art. 19 und 22 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht dahin ausgelegt werden, dass im Fall eines Wohnorts in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat sich der Zugang des Sozialversicherten zu Sachleistungen ausschließlich nach der Regelung des Wohnmitgliedstaats richtet, so dass, wenn die Rechtsvorschriften dieses Staates keine Gewährung von Sachleistungen bei dem Risiko vorsehen, für das ein Anspruch auf derartige Leistungen geltend gemacht wird, diese Bestimmungen den zuständigen Träger an der Gewährung solcher Sachleistungen hindern würden. Man ginge nämlich gleichzeitig über das Ziel der Verordnung Nr. 1408/71 hinaus und ließe die Zwecke und den Rahmen von Art. 42 EG außer Betracht, legte man die Verordnung so aus, dass sie einem Mitgliedstaat verbietet, Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen einen weiter gehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung dieser Verordnung ergibt.
(vgl. Randnrn. 55-57, Tenor 1)
2. Wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1386/2001 geänderten Fassung versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – bei Pflegebedürftigkeit in bestimmten Fällen keine Sachleistungen vorsieht, steht Art. 18 EG einer nationalen Regelung nicht entgegen, auf deren Grundlage ein zuständiger Träger es ablehnt, Kosten für einen Aufenthalt in einem Pflegeheim im Wohnmitgliedstaat unabhängig von den Regelungen des Art. 19 oder gegebenenfalls Art. 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung für eine unbestimmte Dauer bis zu einer Höhe zu übernehmen, die den Leistungen entspricht, auf die die betreffende Person Anspruch gehabt hätte, wenn ihr dieselbe Pflege in einer zugelassenen Einrichtung im zuständigen Staat erbracht worden wäre.
Da Art. 42 EG nämlich eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht, werden die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt. Somit kann Art. 18 Abs. 1 EG einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist. Ein solcher Umzug kann aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, je nach Kombination der nationalen Regelungen, die nach der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar sind, für die betroffene Person Vorteile oder Nachteile haben.
(vgl. Randnrn. 84-85, 88, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
16. Juli 2009(*)
„Soziale Sicherheit – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Titel III Kapitel 1 – Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG – Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit – Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat – System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats des Wohnorts, das keine Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsieht“
In der Rechtssache C‑208/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bayerischen Landessozialgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2007, in dem Verfahren
Petra von Chamier-Glisczinski
gegen
Deutsche Angestellten-Krankenkasse
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter A. Ó Caoimh (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn von Chamier-Glisczinski als Rechtsnachfolger von Frau von Chamier-Glisczinski, vertreten durch Rechtsanwalt O. Kieferle,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
– der norwegischen Regierung, vertreten durch J. A. Dalbakk, P. Wennerås und K. Fløistad als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. September 2008
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), von Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG sowie von Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl. L 245, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1612/68).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau von Chamier-Glisczinski und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (im Folgenden: DAK) wegen deren Weigerung, bestimmte Kosten für Pflegeleistungen in einem Pflegeheim in Österreich zu übernehmen.
3 Frau von Chamier-Glisczinski verstarb am 20. Mai 2007. Ihr Ehemann führt das Ausgangsverfahren fort.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
4 Laut Art. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 werden für deren Anwendung die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:
„a) ‚Arbeitnehmer‘ oder ‚Selbständiger‘: jede Person,
i) die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;
…
f) i) ‚Familienangehöriger‘: jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt [oder] anerkannt … ist;
…
h) ‚Wohnort‘: der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts;
i) ‚Aufenthalt‘: der vorübergehende Aufenthalt;
…
o) ‚Zuständiger Träger‘:
i) der Träger, bei dem die in Betracht kommende Person im Zeitpunkt des Antrags auf Leistungen versichert ist, …
…
p) ‚Träger des Wohnorts‘ und ‚Träger des Aufenthaltsorts‘: der Träger, der nach den Rechtsvorschriften, die für diesen Träger gelten, für die Gewährung der Leistungen an dem Ort zuständig ist, in dem der Betreffende wohnt oder sich aufhält, oder, wenn ein solcher Träger nicht vorhanden ist, der von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats bezeichnete Träger;
q) ‚Zuständiger Staat‘: der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zuständige Träger seinen Sitz hat;
…“
5 Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.“
6 Gemäß ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchst. a gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die u. a. „Leistungen bei Krankheit“ betreffen.
7 Der in Titel III Kapitel 1 Abschnitt 2 („Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige“) der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltene Art. 19 bestimmt unter der Überschrift „Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat – Allgemeine Regelung“:
„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen … erfüllt, erhält in dem Staat, in dem er wohnt,
a) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre;
b) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohnorts können die Leistungen jedoch vom Träger des Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Familienangehörige, die im Gebiet eines anderen als des zuständigen Staates wohnen, sofern sie nicht aufgrund der Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet sie wohnen, Anspruch auf diese Leistungen haben.
…“
8 Der im gleichen Abschnitt enthaltene Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Überschrift „Aufenthalt außerhalb des zuständigen Staates – Rückkehr oder Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat während eines Krankheits- oder Mutterschaftsfalles – Notwendigkeit, sich zwecks angemessener Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben“ bestimmt:
„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen … erfüllt und
…
b) der, nachdem er zu Lasten des zuständigen Trägers leistungsberechtigt geworden ist, von diesem Träger die Genehmigung erhalten hat, … einen Wohnortwechsel in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats vorzunehmen, …
hat Anspruch auf:
i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;
ii) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.
(2) Die nach Absatz 1 Buchstabe b) erforderliche Genehmigung darf nur verweigert werden, wenn die Rückkehr oder der Wohnortwechsel des Arbeitnehmers oder Selbständigen dessen Gesundheitszustand gefährden oder die Durchführung der ärztlichen Behandlung in Frage stellen würde.
…
(3) Die Absätze 1 und 2 finden entsprechend auf die Familienangehörigen eines Arbeitnehmers oder Selbständigen Anwendung.
…“
9 Nach Art. 36 der Verordnung Nr. 1408/71 sind Aufwendungen für Sachleistungen, die aufgrund u. a. der Art. 19 und 22 der Verordnung vom Träger eines Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährt worden sind, in voller Höhe zu erstatten. Die Erstattungen werden gemäß den Art. 93 bis 95 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) festgesetzt und durchgeführt.
10 Art. 10 in Titel III des Ersten Teils der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:
„(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:
a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
…“
Das deutsche Recht
11 Das Elfte Buch des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB XI) sieht eine Versicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit (im Folgenden: Pflegeversicherung) vor.
12 In ihrer am 20. April 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenen schriftlichen Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofs vom 12. März 2008 hat die deutsche Regierung bestimmte Merkmale dieser Versicherung dargestellt. Aus dieser Antwort ergibt sich im Zusammenhang mit den schriftlichen Erklärungen der Kommission, dass die Pflegeversicherung verschiedene Leistungen zugunsten pflegebedürftiger Personen vorsieht, u. a. eine „Pflegesachleistung“ nach § 36 SGB XI, ein „Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen“ (im Folgenden: Pflegegeld) nach § 37 SGB XI, eine „Kombination von Geldleistung und Sachleistung“ (im Folgenden: Kombinationsleistung) nach § 38 SGB XI sowie eine „Pflege in vollstationären Einrichtungen“ (im Folgenden: vollstationäre Pflege) nach § 43 SGB XI.
13 Nach § 36 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Sachleistungen, die von Mitarbeitern ambulanter Pflegedienste erbracht werden, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag geschlossen hat. Die Kosten für diese Hilfeleistungen werden von der Pflegekasse bis zu einem Höchstbetrag übernommen, dessen Höhe von der Stufe der Pflegebedürftigkeit (im Folgenden: Pflegestufe) des Anspruchsberechtigten abhängt. Für die Pflegestufe III belief sich dieser Höchstbetrag im entscheidungserheblichen Zeitraum auf 2 800 DM (ungefähr 1 432 Euro) monatlich und konnte in Fällen mit einem außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand auf bis zu 3 750 DM (ungefähr 1 918 Euro) monatlich erhöht werden. Die Pflegekasse vergütet die Pflegeeinsätze auf der Grundlage von Tarifen, die in den Versorgungsverträgen mit den jeweiligen ambulanten Pflegeeinrichtungen festgelegt sind. Die häusliche medizinische Behandlungspflege gehört nicht zu den Sachleistungen im Sinne des § 36 SGB XI, sondern wird von der Krankenversicherung gedeckt.
14 Mit dem Pflegegeld nach § 37 SGB XI erhalten Pflegebedürftige einen monatlichen Geldbetrag für die Pflege, wenn sie sich selbst in eigener Verantwortung die von ihnen benötigten Pflege- und Versorgungsleistungen beschaffen. Diesen Geldbetrag kann der Anspruchsberechtigte frei und daher auch für die Bezahlung von Leistungen verwenden, die die Pflegeversicherung nicht absichert oder von Dienstleistern erbracht werden, die keine zugelassenen Pflegedienste sind. Die Höhe des Pflegegeldes richtet sich ebenfalls nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit. Für die Pflegestufe III betrug es im entscheidungserheblichen Zeitraum 1 300 DM (ungefähr 665 Euro) monatlich.
15 § 38 SGB XI regelt die Kombinationsleistungen, d. h. die Kombination von Sachleistungen nach § 36 SGB XI und des Pflegegelds nach § 37 SGB XI. Gemäß § 38 SGB XI kann ein Versicherter, der die ihm nach § 36 SGB XI zustehenden Sachleistungen nicht in voller Höhe in Anspruch nimmt, daneben Pflegegeld nach § 37 SGB XI erhalten, das allerdings um den Prozentsatz gemindert wird, in dem er Sachleistungen nach § 36 SGB XI in Anspruch nimmt. Der Leistungsempfänger hat sich zu entscheiden, in welchem Umfang er die letztgenannten Leistungen in Anspruch nehmen will. Aus den Akten, die dem Gerichtshof übermittelt worden sind, geht hervor, dass die Kombinationsleistungen eine größere Selbstbestimmung bei der Gestaltung der häuslichen Pflege ermöglichen sollen.
16 Soweit die Kosten für Pflegeleistungen die in der Pflegeversicherung vorgesehenen Höchstbeträge übersteigen, sind sie vom Pflegebedürftigen zu tragen.
17 Ferner haben Pflegebedürftige nach § 43 SGB XI, dessen Wortlaut in den Erklärungen der Kommission wiedergegeben wird, Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Pflegeeinrichtung, wenn häusliche Pflege oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheiten des einzelnen Falls nicht in Betracht kommt. In diesen Fällen übernimmt die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der medizinischen Behandlungspflege und die soziale Betreuung pauschal. Im entscheidungserheblichen Zeitraum betrug die Pauschale für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 2 800 DM (ungefähr 1 432 Euro) monatlich und in besonders gelagerten Einzelfällen mit einem außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand 3 300 DM (ungefähr 1 688 Euro). Insgesamt darf der von der Pflegekasse zu übernehmende Betrag 75 % der Gesamtkosten für den Aufenthalt der pflegebedürftigen Person in der Pflegeeinrichtung nicht übersteigen. Ein Versicherter, der vollstationäre Pflege wählt, obwohl dies nach Feststellung der Pflegekasse aufgrund seines Zustands nicht erforderlich ist, hat Anspruch auf einen Zuschuss in Höhe des in § 36 SGB XI für seine Pflegestufe vorgesehenen Höchstbetrags.
18 Darüber hinaus sieht § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, der zu den gemeinsamen Vorschriften des betreffenden Kapitels gehört, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen für vorübergehende Aufenthalte im Ausland, die im Ausgangsverfahren nicht einschlägig sind, vor, dass der Anspruch auf Leistungen ruht, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass diese Bestimmung im Licht des Urteils vom 5. März 1998, Molenaar (C‑160/96, Slg. 1998, I‑843, Randnrn. 39 und 44), gelesen werden muss, in dem der Gerichtshof entschieden hatte, dass es gegen die Art. 19 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verstößt, den Anspruch auf eine Leistung wie das Pflegegeld nach § 37 SGB XI davon abhängig zu machen, dass der Versicherte in dem Staat wohnt, in dem er versichert ist. Laut den Akten, die dem Gerichtshof übersandt worden sind, gehen die deutschen Behörden davon aus, dass zwar diesem Urteil zufolge außerhalb Deutschlands Pflegegeld gezahlt werden muss, da es sich um eine Geldleistung handelt, aber keine Leistungen erbracht werden müssen, die das deutsche Recht als Sachleistungen einstuft, wie Leistungen nach § 36 oder § 43 SGB XI.
19 Aus den Akten, die dem Gerichtshof übersandt worden sind, geht schließlich noch hervor, dass die Pflegekassen nach § 72 SGB XI vollstationäre Pflege im Sinne von § 43 SGB XI nur durch Pflegeeinrichtungen gewähren dürfen, die im Sinne dieser Vorschrift zugelassen sind.
Das österreichische Recht
20 Das österreichische Recht sieht, jedenfalls für Personen, die sich in der Lage von Frau von Chamier-Glisczinski befinden, unstreitig keine Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit vor.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
21 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau von Chamier‑Glisczinski, eine deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in München (Deutschland) aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit von der DAK, dem Sozialversicherungsträger, bei dem sie über ihren Ehemann versichert war, Kombinationsleistungen der Pflegeversicherung nach § 38 SGB XI für die Pflegestufe III erhielt.
22 Das vorlegende Gericht hat dem Gerichtshof als Antwort auf ein Ersuchen um Klarstellung nach Art. 104 § 5 der Verfahrensordnung zwei Schreiben übermittelt, die in der Kanzlei des Gerichtshofs am 11. bzw. 18. April 2008 eingegangen sind und von denen das eine von der Klagepartei des Ausgangsverfahrens, das andere von der DAK stammt.
23 In dem Schreiben der Klagepartei des Ausgangsverfahrens wird u. a. angegeben, dass Herr von Chamier‑Glisczinski vom 1. März 1987 bis 30. Juni 2002 in Deutschland eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe, aber seit August 2001 aufgrund einer Vereinbarung über die Aufhebung seines Arbeitsvertrags von seiner Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung hat Herr von Chamier‑Glisczinski auf Fragen des Gerichtshofs u. a. ausgeführt, dass diese Aufhebungsvereinbarung insbesondere geschlossen worden sei, weil er die häusliche Pflege, die aufgrund des Zustands seiner Ehefrau erforderlich gewesen sei, nicht mehr habe sicherstellen können.
24 Aus der Vorlageentscheidung sowie aus den Akten, die dem Gerichtshof übersandt worden sind, geht hervor, dass Herr von Chamier‑Glisczinski am 27. August 2001 bei der DAK beantragt hatte, die Leistungen der Pflegeversicherung, die Frau von Chamier‑Glisczinski aufgrund der deutschen Vorschriften beanspruchen konnte, in Form der vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI in einem Pflegeheim in Österreich, in dem sie leben wollte, zu gewähren (im Folgenden: Antrag vom 27. August 2001). In der mündlichen Verhandlung hat Herr von Chamier‑Glisczinski hierzu ausgeführt, dass er im Hinblick auf die von ihm geplante Übernahme eines Unternehmens bei Salzburg (Österreich) seine Ehefrau in einem in der Nähe dieser Stadt gelegenen Pflegeheim habe unterbringen wollen.
25 Der Antrag vom 27. August 2001 wurde von der DAK mit Bescheid vom 31. August 2001 u. a. mit der Begründung abgelehnt, dass das österreichische Recht in Fällen wie dem von Frau von Chamier‑Glisczinski für die im Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats Versicherten keine Sachleistungen vorsehe. Frau von Chamier‑Glisczinski habe jedoch Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI für die Pflegestufe III in Höhe von 1 300 DM monatlich.
26 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass sich Frau von Chamier‑Glisczinski vom 17. September 2001 bis 18. Dezember 2003 in einem Pflegeheim in Österreich aufhielt, in das sie – laut Vorlageentscheidung – gezogen war, weil ihr Ehemann sich in Österreich um eine Tätigkeit bewerben wollte.
27 In dem in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils erwähnten Schreiben der Klagepartei wird jedoch angegeben, dass Herr von Chamier‑Glisczinski sich seit August 2001 um eine Anstellung in Österreich bemüht habe, um „sich in der Nähe seiner Ehefrau aufhalten zu können“. Ferner hat Herr von Chamier‑Glisczinski in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er im Hinblick auf die Übernahme des in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Unternehmens die meiste Zeit in Salzburg verbracht, seinen Wohnsitz in München jedoch beibehalten habe. Die Verhandlungen über die Übernahme des Unternehmens seien aber im Februar 2002 gescheitert, so dass er zu diesem Zeitpunkt eine Anstellung in Österreich habe suchen müssen.
28 Mit Bescheid vom 20. März 2002 wies die DAK den Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 31. August 2001 zurück. Aus den Akten, die dem Gerichtshof übersandt wurden, geht hervor, dass der Widerspruch hauptsächlich mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass die vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI nicht „exportiert“ werden könne, da es sich um eine Sachleistung handele. Nach Ansicht der DAK konnte aufgrund des vorerwähnten Urteils Molenaar nur das Pflegegeld als Geldleistung trotz der in § 34 SGB XI vorgesehenen Beschränkung in Österreich gewährt werden. Zudem sei das betreffende Pflegeheim in Österreich nicht im Sinne der Bestimmungen des SGB XI zugelassen gewesen. Selbst die vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI in Deutschland dürfe nur in Einrichtungen erbracht werden, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzbuchs zugelassen seien.
29 In der mündlichen Verhandlung hat Herr von Chamier‑Glisczinski ausgeführt, dass er Ende 2003 ein Gewerbe in Deutschland angemeldet, seinen Wohnsitz nach Laufen (Deutschland) verlegt und seine Ehefrau nach Deutschland zurückgeholt habe. Aus dem in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils erwähnten Schreiben der Klagepartei geht hervor, dass Frau von Chamier‑Glisczinski seit Juli 2004 in einem Pflegeheim in unmittelbarer Nachbarschaft von Laufen, wo ihr Ehemann im April 2004 den Sitz seines Gewerbes begründet hatte, gepflegt werden konnte.
30 Aus dem in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben der DAK geht hervor, dass Herr von Chamier‑Glisczinski bei ihr
– bis zum 30. Juni 2002 als Angestellter freiwillig versichert war;
– im Zeitraum 1. Juli 2002 bis 18. Dezember 2003, in dem er bei der Arbeitsagentur München, von der er Arbeitslosengeld bezog, als arbeitsuchend gemeldet war, pflichtversichert war und
– seit dem 19. Dezember 2003 als Selbständiger versichert ist.
31 Mit Urteil vom 11. Oktober 2005 wies das Sozialgericht München die Klage gegen den Bescheid der DAK vom 20. März 2002 ab.
32 Mit der gegen dieses Urteil beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung begehrt die Klagepartei weiterhin die Erstattung der Kosten der Unterbringung in der Pflegeeinrichtung in Österreich für die Zeit vom 17. September 2001 bis 28. Dezember 2003 in Höhe der Differenz zwischen dem bereits gewährten Pflegegeld nach § 37 SGB XI und dem Betrag, den die deutsche Regelung für die vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI vorsieht.
33 Zur Begründung ihrer Forderungen führt sie aus, faktisch handele es sich aus der Sicht der DAK bei der Sachleistung um eine Geldleistung; es bestehe deshalb kein zulässiges Differenzierungskriterium für den Ausschluss des Exports von Sachleistungen. Ferner verstoße die Verweigerung der Erbringung von Sachleistungen gegen Art. 39 EG in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68, die entsprechend anzuwenden sei. Schließlich liege auch ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG vor.
34 Da das Bayerische Landessozialgericht der Ansicht ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 19 Abs. 1 Buchst. a, gegebenenfalls in Verbindung mit Abs. 2, der Verordnung Nr. 1408/71 im Hinblick auf Art. 18 EG, Art. 39 EG und Art. 49 EG in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 dahin gehend auszulegen, dass der Arbeitnehmer oder Selbständige bzw. der Familienangehörige keine Geld- oder Erstattungsleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts erhält, wenn nach den für letzteren Träger geltenden Rechtsvorschriften keine Sachleistungen, sondern nur Geldleistungen für die bei diesem Versicherten vorgesehen sind?
2. Falls kein derartiger Anspruch besteht, besteht im Hinblick auf Art. 18 EG bzw. Art. 39 EG und Art. 49 EG ein Anspruch auf Kostenübernahme – nach vorheriger Genehmigung – für einen stationären Pflegeheimaufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat gegen den zuständigen Träger in der Höhe der im zuständigen Mitgliedstaat zu gewährenden Leistungen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
35 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage klären lassen möchte, ob die Verordnung Nr. 1408/71, gegebenenfalls im Licht der Art. 18 EG, 39 EG und 49 EG sowie unter Berücksichtigung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68, dahin auszulegen ist, dass eine als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen versicherte pflegebedürftige Person Anspruch auf Leistungen in Form von Kostenerstattung oder Kostenübernahme durch den zuständigen Träger hat, wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem diese Person wohnt – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – für seine Versicherten in Fällen der Pflegebedürftigkeit wie dem dieser Person keine Sachleistungen vorsieht.
36 Die Klagepartei des Ausgangsverfahrens trägt dazu vor, dass eine Sachleistung praktisch in Form einer Kostenerstattung erbracht werden könne und daher kein tatsächliches Hindernis für den Export einer solchen Leistung bestehe. Dem Versicherten stehe folglich ein Anspruch auf Übernahme der entsprechenden Kosten gegen den zuständigen Träger in Höhe der im Mitgliedstaat dieses Trägers zu gewährenden Leistungen zu.
37 Die deutsche und die norwegische Regierung sowie die Kommission sind hingegen der Auffassung, dass Art. 19 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1408/71 Sachleistungen klar von Geldleistungen unterscheide, indem er eine zweigeteilte Regelung einführe, nach der ein Arbeitnehmer oder Selbständiger im Wohnstaat zum einen Sachleistungen nach den für den Träger des Wohnorts geltenden Rechtsvorschriften und zum anderen Geldleistungen nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften erhalte. Daher könne ein Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat einen vollständigen oder teilweisen Verlust der Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit mit sich bringen. Da das österreichische Recht für Personen in einer Situation wie Frau von Chamier‑Glisczinski nur Geldleistungen vorsehe und Sachleistungen ausschließe, könne sich die Klagepartei im Ausgangsverfahren nicht auf Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen, um die Erstattung bestimmter in einem Pflegeheim in Österreich angefallener Kosten zu verlangen.
38 In diesem Zusammenhang ist zunächst daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 1408/71 ihrem Art. 2 Abs. 1 zufolge auf Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie auf deren Familienangehörige und Hinterbliebene Anwendung findet. Gemäß Art. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Verordnung gilt als „Arbeitnehmer“ oder „Selbständiger“ jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Nach Art. 1 Buchst. f Ziff. i gilt für die Anwendung dieser Verordnung als „Familienangehöriger“ u. a. jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt ist.
39 Demzufolge fallen Versicherte wie die Eheleute von Chamier-Glisczinski in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71. Denn zum einen war Herr von Chamier-Glisczinski, wie aus Randnr. 30 des vorliegenden Urteils hervorgeht, zu dem Zeitpunkt, zu dem die DAK mit den in den Randnrn. 25 und 28 dieses Urteils erwähnten Bescheiden die beantragten Leistungen nicht in vollem Umfang gewährte bzw. den anschließenden Widerspruch gegen ihren Ausgangsbescheid zurückwies, bei der DAK freiwillig versichert. Zum anderen ergibt sich u. a. aus der Vorlageentscheidung, dass Frau von Chamier-Glisczinski bei der DAK über ihren Ehemann versichert war.
40 Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Leistungen wie die, die im Rahmen des deutschen Pflegeversicherungssystems erbracht werden, ungeachtet ihrer Besonderheiten „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 darstellen, da sie im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung, mit der sie auch organisatorisch verknüpft sind, bezwecken, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern (vgl. in diesem Sinne Urteil Molenaar, Randnrn. 24 und 25).
41 Solche Leistungen fallen daher unter Titel III Kapitel 1 der Verordnung Nr. 1408/71, das die Art. 18 bis 36 umfasst.
42 Das vorlegende Gericht hat die vorliegende Frage mit Blick auf den Wortlaut von Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 formuliert. Diese Vorschrift gewährleistet in ihrer Auslegung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere den Urteilen vom 10. März 1992, Twomey (C‑215/90, Slg. 1992, I‑1823, Randnr. 18), und vom 17. September 2002, Baumbast und R (C‑413/99, Slg. 2002, I‑7091, Randnr. 89), Arbeitnehmern und Selbständigen sowie ihren Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen und der ärztlichen Behandlung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats ihres Wohnorts bedürfen, zulasten des zuständigen Staates einen Anspruch auf Sachleistungen vom Träger des Wohnortmitgliedstaats.
43 Im vorliegenden Fall muss jedoch angesichts des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geprüft werden, ob anstelle von Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 möglicherweise deren Art. 22 heranzuziehen ist. Denn auch wenn das vorlegende Gericht diese Frage ihrer Form nach auf die Auslegung des Art. 19 beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 7. September 2004, Trojani, C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 38, vom 15. September 2005, Ioannidis, C‑258/04, Slg. 2005, I‑8275, Randnr. 20, und vom 26. April 2007, Alevizos, C‑392/05, Slg. 2007, I‑3505, Randnr. 64).
44 Aus den Akten, die dem Gerichtshof übersandt worden sind, ergibt sich, dass Frau von Chamier‑Glisczinski schon vor dem Antrag vom 27. August 2001 Leistungen des deutschen Pflegeversicherungssystems in Form von Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI erhielt. Folglich erfüllte sie zum Zeitpunkt dieses Antrags bereits die Voraussetzung der Pflegebedürftigkeit, die ihr einen Anspruch auf Leistungen dieses Pflegeversicherungssystems eröffnete. Zu diesen gehört auch die Pflege in einer vollstationären Einrichtung nach § 43 Abs. 1 SGB XI, wenn häusliche Pflege oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht in Betracht kommt.
45 Dieser Umstand könnte, sofern er vom vorlegenden Gericht bestätigt wird, dazu führen, dass Art. 22 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 heranzuziehen ist. Denn wie u. a. aus der Überschrift des genannten Art. 22 hervorgeht, regelt dessen Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit dessen Abs. 3 u. a. den Fall des Wohnortwechsels eines Familienangehörigen eines Arbeitnehmers oder Selbständigen während einer Krankheit in einen anderen Mitgliedstaat als den des zuständigen Trägers.
46 Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht erforderlich, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob unter den besonderen tatsächlichen Umständen, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, Art. 19 oder Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist. Die in diesen Vorschriften vorgesehenen Regelungen führen nämlich in einer Situation wie der von Frau von Chamier-Glisczinski – abgesehen von der nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung erforderlichen Genehmigung, die nur verweigert werden darf, wenn die Rückkehr oder der Wohnortwechsel des Arbeitnehmers oder Selbständigen dessen Gesundheitszustand gefährden oder die Durchführung der ärztlichen Behandlung in Frage stellen würde – nicht zu wesentlich unterschiedlichen Ergebnissen. Denn auch wenn die Art. 19 und 22 Abs. 1 Buchst. b, wie aus den Randnrn. 42 und 45 des vorliegenden Urteils hervorgeht, verschiedene Situationen betreffen und unterschiedliche Ziele verfolgen, sollen die in ihnen vorgesehenen Regelungen doch beide u. a. gewährleisten, dass ein Familienangehöriger eines Arbeitnehmers oder Selbständigen in einem anderen Mitgliedstaat als dem des zuständigen Trägers Sachleistungen vom Träger des Wohn- oder gegebenenfalls Aufenthaltsorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers sowie Geldleistungen nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften entweder unmittelbar von diesem Träger oder für dessen Rechnung erhält.
47 Wie aus den Randnrn. 24, 25 und 32 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hatte Frau von Chamier‑Glisczinski am 27. August 2001 Leistungen, die das deutsche Recht als Sachleistungen einstuft und auf die sie nach deutschem Recht Anspruch hatte, im Hinblick auf die Pflege in einer Pflegeeinrichtung in Österreich beantragt.
48 Die Begriffe „Sachleistungen“ und „Geldleistungen“ sind im Kontext der Verordnung Nr. 1408/71 autonom gemeinschaftsrechtlich auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2006, Acereda Herrera, C‑466/04, Slg. 2006, I‑5341, Randnrn. 29 und 30). Der Gerichtshof hat für das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Pflegeversicherungssystem aber bereits entschieden, dass die Leistungen der Pflegeversicherung in Gestalt einer Übernahme oder Erstattung der durch die Pflegebedürftigkeit des Betroffenen entstandenen Kosten eines Pflegeheims unter den Begriff der Sachleistungen im Sinne des Titels III der Verordnung Nr. 1408/71 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile Molenaar, Randnrn. 6 und 32, sowie vom 8. Juli 2004, Gaumain-Cerri und Barth, C‑502/01 und C‑31/02, Slg. 2004, I‑6483, Randnr. 26), wobei die genannten Leistungen u. a. die vollstationäre Pflege nach Art. 43 SGB XI umfassen.
49 Somit sind Leistungen wie die, die Gegenstand des Antrags vom 27. August 2001 sind, obwohl sie in der Zahlung eines Geldbetrags zur Erstattung der Kosten bestehen, entgegen dem Vorbringen der Klagepartei des Ausgangsverfahrens Sachleistungen im Sinne des Titels III der Verordnung Nr. 1408/71 und fallen unter die solche Leistungen betreffenden Vorschriften der Verordnung.
50 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 bereits dahin ausgelegt hat, dass einem Versicherten, auf dessen Situation diese Vorschrift anwendbar ist, Sachleistungen im Wohnmitgliedstaat gewährt werden, wenn die Rechtsvorschriften dieses Staates – ungeachtet der genaueren Bezeichnung des Systems des sozialen Schutzes, zu dem sie gehören – Sachleistungen bei denselben Risiken vorsehen, die durch die betreffende Versicherung im zuständigen Mitgliedstaat gedeckt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Molenaar, Randnr. 37). Diese Auslegung entspricht sowohl dem Wortlaut des Art. 19 als auch dem Ziel, dem Arbeitnehmer oder Selbständigen den Zugang zu seinem Gesundheitszustand angemessenen Pflegeleistungen im Wohn- oder Aufenthaltsmitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen zu gewährleisten wie denjenigen, die nach dem System der sozialen Sicherheit dieses Staates versichert sind.
51 Familienangehörige im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 erhalten gemäß deren Art. 19 Abs. 2 vom Träger ihres Wohnorts zulasten des zuständigen Staates Sachleistungen in den Grenzen und nach den Modalitäten der für den Träger des Wohnorts geltenden Rechtsvorschriften (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 1995, Delavant, C‑451/93, Slg. 1995, I‑1545, Randnr. 15).
52 Aus Randnr. 46 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die in Art. 19 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Regelungen vergleichbar sind und dies grundsätzlich entsprechend gelten muss, wenn es um Versicherte geht, die von der letztgenannten Vorschrift in Verbindung mit Art. 22 Abs. 3 der Verordnung erfasst werden.
53 Folglich ist – unabhängig davon, ob im Ausgangsverfahren Art. 19 oder Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist – festzustellen, dass gemäß den durch die beiden Vorschriften eingeführten Regelungen die Verordnung Nr. 1408/71 für den Fall, dass die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der betreffende Sozialversicherte wohnt, keine Sachleistungen bei dem Risiko vorsehen, für das ein Anspruch auf diese Leistungen geltend gemacht wird, an sich nicht verlangt, dass diese Leistungen von dem zuständigen Träger oder zu dessen Lasten außerhalb des zuständigen Staates erbracht werden.
54 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68, der in der ersten Vorlagefrage erwähnt wird, keine Auswirkungen auf diese Auslegung haben.
55 Jedoch dürfen die Art. 19 und 22 der Verordnung Nr. 1408/71 – entgegen der von der deutschen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission vertretenen Auffassung – nicht dahin ausgelegt werden, dass im Fall eines Wohnorts in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat sich der Zugang des Sozialversicherten zu Sachleistungen ausschließlich nach der Regelung des Wohnmitgliedstaats richtet, so dass, wenn die Rechtsvorschriften dieses Staates keine Gewährung von Sachleistungen bei dem Risiko vorsehen, für das ein Anspruch auf derartige Leistungen geltend gemacht wird, diese Bestimmungen den zuständigen Träger an der Gewährung solcher Sachleistungen hindern würden.
56 Man ginge nämlich gleichzeitig über das Ziel der Verordnung Nr. 1408/71 hinaus und ließe die Zwecke und den Rahmen von Art. 42 EG außer Betracht, legte man die Verordnung so aus, dass sie einem Mitgliedstaat verbietet, Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen einen weiter gehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung dieser Verordnung ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 1980, Jordens‑Vosters, 69/79, Slg. 1980, 75, Randnr. 11, vom 5. Juli 1988, Borowitz, 21/87, Slg. 1988, 3715, Randnr. 24, sowie vom 20. Mai 2008, Bosmann, C‑352/06, Slg. 2008, I‑3827, Randnrn. 27 bis 29 und 33).
57 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass, wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – in Fällen der Pflegebedürftigkeit wie dem dieser Person keine Sachleistungen vorsieht, die Art. 19 oder 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung an sich nicht verlangen, dass derartige Leistungen von dem zuständigen Träger oder zu dessen Lasten außerhalb des zuständigen Staates erbracht werden.
Zur zweiten Frage
58 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass das System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates, nicht aber das des Wohnmitgliedstaats Sachleistungen für Personen vorsieht, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen versichert und wie Frau von Chamier-Glisczinski pflegebedürftig sind, wissen, ob die Art. 18 EG, 39 EG oder 49 EG unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung wie der des § 34 SGB XI entgegenstehen, auf deren Grundlage ein zuständiger Träger es ablehnt, Kosten für einen Aufenthalt in einem Pflegeheim im Wohnmitgliedstaat unabhängig von der Regelung in Art. 19 oder gegebenenfalls der in Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 für eine unbestimmte Dauer bis zu einer Höhe zu übernehmen, die den Leistungen entspricht, auf die die betreffende Person Anspruch gehabt hätte, wenn ihr dieselbe Pflege in einer zugelassenen Einrichtung im zuständigen Staat erbracht worden wäre.
59 Die Klagepartei des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, dass Sachleistungen zur Pflege eines Pflegeversicherten nach Art. 39 EG auch in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland, zumindest in der Form einer Erstattung oder direkten Übernahme der Pflegekosten bis zur Höhe der deutschen Sätze, erbracht werden müssten.
60 Umgekehrt vertritt die deutsche Regierung die Ansicht, das Primärrecht enthalte – genauso wenig wie der EG-Vertrag verlange, die Regelung des Sekundärrechts, wonach Sachleistungen in bestimmten Fällen nicht exportiert würden, im Rahmen einer primärrechtskonformen Auslegung zu korrigieren – keine unmittelbare Anspruchsgrundlage, die diese Regelung ergänzen oder ersetzen könnte.
61 Die norwegische Regierung vertritt unter Hinweis auf die Besonderheiten der in Pflegeheimen erbrachten Dienstleistungen die Ansicht, dass im Ausgangsverfahren die Art. 39 EG und 49 EG keine Anspruchsgrundlage für die Kostenübernahme im Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen seien.
62 Die Kommission schließlich ist der Auffassung, dass Sachverhalte wie der des Ausgangsverfahrens durch die Verordnung Nr. 1408/71 geregelt seien und ein Rückgriff auf das Primärrecht in der vorliegenden Rechtssache deshalb nur möglich wäre, wenn die einschlägigen Bestimmungen dieser Verordnung rechtswidrig wären. Diese Bestimmungen seien jedoch im Hinblick auf das Primärrecht nicht ungültig. Die in ihnen vorgesehenen Kollisions- oder Koordinierungsregeln seien erforderlich, um eine Mehrfachversorgung auszuschließen, und auch durch praktische Erwägungen gerechtfertigt.
63 Zunächst ergibt sich aus der Rechtsprechung und aus Art. 152 Abs. 5 EG, dass das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation und Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung unberührt lässt (Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C‑169/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). In Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene bestimmt somit das Recht jedes Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht beachten (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms, C‑157/99, Slg. 2001, I‑5473, Randnrn. 44 bis 46, sowie vom 18. März 2004, Leichtle, C‑8/02, Slg. 2004, I‑2641, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung), insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (vgl. Urteil vom 19. April 2007, Stamatelaki, C‑444/05, Slg. 2007, I‑3185, Randnr. 23), über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. Urteil vom 11. September 2008, Petersen, C‑228/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 42) oder auch über die jedem Bürger der Europäischen Union zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten (vgl. Urteile vom 23. November 2000, Elsen, C‑135/99, Slg. 2000, I‑10409, Randnr. 33, und vom 21. Februar 2008, Klöppel, C‑507/06, Slg. 2008, I‑943, Randnr. 16).
64 Zudem hat der Gerichtshof entschieden, dass der Rat mit dem Erlass der Verordnung Nr. 1408/71 in Anbetracht des weiten Ermessens, über das er bei der Wahl der Maßnahmen verfügt, die zur Erreichung des in Art. 42 EG genannten Ziels am besten geeignet sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 20. April 1999, Nijhuis, C‑360/97, Slg. 1999, I‑1919, Randnr. 30), seiner Verpflichtung grundsätzlich nachgekommen ist, die sich aus der ihm durch diesen Artikel übertragenen Aufgabe ergibt, ein System einzuführen, das den Arbeitnehmern eine Überwindung der Hindernisse ermöglicht, die sich für sie aus den nationalen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit ergeben können (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 22. November 1995, Vougioukas, C‑443/93, Slg. 1995, I‑4033, Randnr. 30, Molenaar, Randnr. 14, und vom 16. Dezember 2004, My, C‑293/03, Slg. 2004, I‑12013, Randnr. 34). Im vorliegenden Verfahren ist nicht geltend gemacht worden, dass die Art. 19 oder 22 oder irgendeine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 1408/71 im Hinblick auf Situationen wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende ungültig sein könnten, und dem Gerichtshof ist nichts vorgetragen worden, was dafür sprechen könnte.
65 Wie aus den Randnrn. 50 und 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kommt nämlich in den Regelungen des Art. 19 bzw. Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck, der Lösung den Vorzug zu geben, die es in Bezug auf Sachleistungen bei Krankheit den Versicherten im Wohn- oder Aufenthaltsmitgliedstaat ermöglicht, ihrem Gesundheitszustand angemessene Pflegeleistungen unter den gleichen Bedingungen in Anspruch zu nehmen wie die Personen, die dem System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats angeschlossen sind (vgl. in diesem Sinne auch, in Bezug auf Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71, Urteile vom 3. Juli 2003, van der Duin und ANOZ Zorgverzekeringen, C‑156/01, Slg. 2003, I‑7045, Randnr. 50, und vom 12. April 2005, Keller, C‑145/03, Slg. 2005, I‑2529, Randnr. 45). Zwar sind nach Art. 36 der Verordnung Nr. 1408/71 im Fall eines Wohnorts außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats Sachleistungen, die aufgrund insbesondere der Bestimmungen der Art. 19 und 22 dieser Verordnung vom Träger des Wohnorts für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt worden sind, von diesem Träger in voller Höhe zu erstatten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber durfte sich bei der Ausübung seines weiten Ermessens jedoch unter Beachtung insbesondere der eventuellen Notwendigkeit einer medizinischen Notfallbehandlung außerhalb des zuständigen Staates zulässigerweise dafür entscheiden, vom Träger des Wohnorts nicht zu verlangen, dass er ungeachtet der praktischen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergäben, Sachleistungen nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften erbringt, mit denen der Träger des Wohnorts nicht zwangsläufig vertraut ist.
66 Demzufolge ist die Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 durch den Gerichtshof im Rahmen seiner Antwort auf die erste Vorlagefrage vorbehaltlich der Lösung zu verstehen, die sich aus der eventuellen Anwendbarkeit primärrechtlicher Bestimmungen ergäbe (vgl. entsprechend Urteil Acereda Herrera, Randnr. 38). Denn die Feststellung der eventuellen Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts – hier der Verordnung Nr. 1408/71 – hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Maßnahme nicht an den Bestimmungen des Vertrags zu messen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. April 1998, Kohll, C‑158/96, Slg. 1998, I‑1931, Randnr. 25, und vom 16. Mai 2006, Watts, C‑372/04, Slg. 2006, I‑4325, Randnr. 47). Folglich schließt die Anwendbarkeit von Art. 19 oder Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende an sich nicht aus, dass der Betreffende unter anderen als den in den genannten Artikeln vorgesehenen Bedingungen die Übernahme bestimmter Kosten für die Pflegeleistungen, die er in einem Pflegeheim in einem anderen Mitgliedstaat erhalten hat, aufgrund primärrechtlicher Bestimmungen verlangen kann (vgl. entsprechend Urteile vom 12. Juli 2001, Vanbraekel u. a., C‑368/98, Slg. 2001, I‑5363, Randnrn. 37 bis 53, sowie Watts, Randnr. 48).
67 Im vorliegenden Fall ist zunächst unter Berücksichtigung des in den Randnrn. 21 bis 30 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Akteninhalts zu prüfen, ob eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende tatsächlich in den Geltungsbereich der in der zweiten Vorlagefrage genannten Vorschriften, nämlich der Art. 18 EG, 39 EG und 49 EG, fällt. Insoweit äußern die deutsche und die norwegische Regierung sowie die Kommission – in Anbetracht der in der Vorlageentscheidung dargestellten Tatsachen und der Antworten auf das in Randnr. 22 dieses Urteils erwähnte Ersuchen um Klarstellung – Zweifel an der Anwendbarkeit der Art. 39 EG und 49 EG. Die norwegische Regierung und die Kommission sind der Ansicht, dass der Gerichtshof die vorliegende Frage nicht in Hinblick auf Art. 18 EG zu beantworten brauche.
68 Was zunächst die Anwendbarkeit von Art. 39 EG betrifft, ist einleitend darauf hinzuweisen, dass die Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffs im Gemeinschaftsrecht nicht einheitlich ist, sondern vom jeweiligen Anwendungsbereich abhängt (vgl. u. a. Urteil vom 7. Juni 2005, Dodl und Oberhollenzer, C‑543/03, Slg. 2005, I‑5049, Randnr. 27). So stimmt der in Art. 39 EG und in der Verordnung Nr. 1612/68 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem überein, der im Bereich von Art. 42 EG und der Verordnung Nr. 1408/71 gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 1998, Martínez Sala, C‑85/96, Slg. 1998, I‑2691, Randnrn. 31, 32, 35 und 36).
69 In Bezug auf Art. 39 EG ist es ständige Rechtsprechung, dass der Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Vorschrift ein Begriff des Gemeinschaftsrechts ist, der nicht eng auszulegen ist. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. u. a. Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum, 66/85, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17, Trojani, Randnr. 15, sowie Petersen, Randnr. 45).
70 Nach der Rechtsprechung fallen außerdem auch die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Februar 1991, Antonissen, C‑292/89, Slg. 1991, I‑745, Randnrn. 12 und 13, Martínez Sala, Randnr. 32, vom 23. März 2004, Collins, C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703, Randnr. 57, Ioannidis, Randnr. 21, sowie vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze, C‑22/08 und C‑23/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 36).
71 Allerdings trägt Herr von Chamier‑Glisczinski vor, dass er sich zum Zeitpunkt des Erlasses der in den Randnrn. 25 und 28 des vorliegenden Urteils genannten Bescheide der DAK um eine Tätigkeit in Österreich bemüht habe, so dass die Situation seiner Ehefrau als Familienangehöriger Art. 39 EG unterfalle.
72 Wie sich jedoch aus den Randnrn. 26, 27 und 29 des vorliegenden Urteils ergibt, verfügt der Gerichtshof über keinen Anhaltspunkt, der dieses Vorbringen stützen würde. Denn wie aus Randnr. 27 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sind die Angaben, die die Klagepartei des Ausgangsverfahrens in ihrem in Randnr. 22 dieses Urteils erwähnten Schreiben einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits gemacht hat, nicht völlig in sich stimmig und sprechen eher dafür, dass Herr von Chamier‑Glisczinski zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide der DAK, als er sich um die Übernahme eines Unternehmens in Österreich bemühte, gleichwohl aber weiterhin in Deutschland wohnte, nicht von der durch Art. 39 EG gewährleisteten Freizügigkeit Gebrauch machte.
73 Unter diesen Umständen kann Art. 39 EG im vorliegenden Ausgangsrechtsstreit keine Anwendung finden.
74 Was sodann Art. 49 EG betrifft, ist zunächst festzustellen, dass der Vertrag keine Vorschrift enthält, die eine abstrakte Bestimmung der Dauer oder Häufigkeit ermöglicht, ab der die Erbringung einer Dienstleistung oder einer bestimmten Art von Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr als eine Dienstleistung im Sinne des EG-Vertrags angesehen werden kann. Der Begriff „Dienstleistung“ im Sinne des EG-Vertrags kann somit Dienstleistungen ganz unterschiedlicher Art umfassen, einschließlich solcher, deren Erbringung sich über einen längeren Zeitraum, bis hin zu mehreren Jahren, erstreckt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Dezember 2003, Schnitzer, C‑215/01, Slg. 2003, I‑14847, Randnrn. 30 und 31, und vom 29. April 2004, Kommission/Portugal, C‑171/02, Slg. 2004, I‑5645, Randnr. 26).
75 Nach der Rechtsprechung gelten die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr jedoch nicht für den Angehörigen eines Mitgliedstaats, der seinen Hauptaufenthalt ständig oder jedenfalls ohne eine vorhersehbare Begrenzung der Dauer im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nimmt, um dort auf unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 1988, Steymann, 196/87, Slg. 1988, 6159, Randnr. 17, Trojani, Randnr. 28, vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen, C‑200/02, Slg. 2004, I‑9925, Randnr. 22, sowie, in Bezug auf Pflegeheime, vom 17. Juni 1997, Sodemare u. a., C‑70/95, Slg. 1997, I‑3395, Randnr. 38).
76 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den in den Randnrn. 22 bis 24 sowie 26 und 27 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Informationen, dass Frau von Chamier‑Glisczinski nicht nach Österreich gegangen war, um sich in der Einrichtung, in der sie aufgenommen worden war, vorübergehend pflegen zu lassen. Denn aus diesen Informationen geht hervor, dass sie in diesem Mitgliedstaat ihren ständigen Aufenthalt ohne eine vorhersehbare Begrenzung der Dauer genommen hatte.
77 Unter solchen Umständen kann in Übereinstimmung mit der deutschen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens nicht von der Anwendbarkeit des Art. 49 EG ausgegangen werden.
78 In Anbetracht der Feststellungen in den Randnrn. 73 und 77 des vorliegenden Urteils zur Anwendbarkeit der Art. 39 EG und 49 EG ist daran zu erinnern, dass Frau von Chamier‑Glisczinski als deutsche Staatsangehörige jedenfalls nach Art. 17 Abs. 1 EG den Status einer Unionsbürgerin genoss.
79 Indem sie sich nach Österreich begeben und dort ihren Aufenthalt genommen hatte, übte sie die Rechte aus, die ihr von Art. 18 Abs. 1 EG verliehen worden waren. In einer Situation wie der ihren gilt daher das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, dessen Staatsangehörige sie sind, frei zu bewegen und aufzuhalten.
80 Somit ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter Berücksichtigung der Rechte zu prüfen, die eine pflegebedürftige Person wie Frau von Chamier‑Glisczinski in ihrer Eigenschaft als Unionsbürgerin aus Art. 18 Abs. 1 EG ableiten konnte.
81 Dem Wortlaut dieser Vorschrift zufolge hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
82 Nach der Rechtsprechung könnten die vom EG-Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die Nachteile allein daran knüpft, dass er von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hat (vgl. Urteile vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher, C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑9161, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2008, Zablocka‑Weyhermüller, C‑221/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
83 Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass Frau von Chamier-Glisczinski infolge ihres Umzugs in ein Pflegeheim in Österreich, das nicht nach § 72 SGB XI zugelassen war, hinsichtlich der in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Sachleistungen schlechter gestellt war, als wenn sie eine vollstationäre Pflege im Sinne von § 43 SGB XI in einem zugelassenen Pflegeheim in Deutschland beantragt hätte.
84 Da Art. 42 EG jedoch eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht, werden die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt (vgl. in diesem Sinne, in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Urteile 15. Januar 1986, Pinna, 41/84, Slg. 1986, 1, Randnr. 20, vom 30. Januar 1997, de Jaeck, C‑340/94, Slg. 1997, I‑461, Randnr. 18, sowie Hervein und Hervillier, C‑221/95, Slg. 1997, I‑609, Randnr. 16).
85 Somit kann Art. 18 Abs. 1 EG einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist (vgl. in diesem Sinne entsprechend zu Art. 39 EG Urteile vom 19. März 2002, Hervein u. a., C‑393/99 und C‑394/99, Slg. 2002, I‑2829, Randnr. 51, sowie vom 9. März 2006, Piatkowski, C‑493/04, Slg. 2006, I‑2369, Randnr. 34). Wie die Kommission ausführt, kann ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, je nach Kombination der nationalen Regelungen, die nach der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar sind, für die betroffene Person Vorteile oder Nachteile haben.
86 Somit ergab sich die Situation, in der sich Frau von Chamier-Glisczinski infolge ihres Umzugs in ein Pflegeheim in Österreich befand, eher aus der gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 vorgenommenen kombinierten Anwendung der deutschen und der österreichischen Rechtsvorschriften zum Risiko der Pflegebedürftigkeit als aus der Regelung des § 34 SGB XI. Denn falls die österreichische Regelung für Fälle der Pflegebedürftigkeit wie den der Betroffenen Sachleistungen vorgesehen hätte, hätten diese der Betroffenen entsprechend dieser Regelung vom Träger des Wohnorts unabhängig davon erbracht werden müssen, welchen Inhalt insoweit die deutsche Regelung hat; dem Träger des Wohnorts wären dann die Kosten nach Art. 36 dieser Verordnung vom zuständigen Träger erstattet worden.
87 Da die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich die Ausgestaltung ihrer Krankenversicherungssysteme frei bestimmen können, kann eines dieser Systeme somit nicht allein wegen seiner ungünstigen Auswirkungen als Grund für eine Diskriminierung oder einen Nachteil angesehen werden, wenn es entsprechend den gemäß Art. 42 EG geschaffenen Koordinierungsmechanismen in Kombination mit dem System des anderen Mitgliedstaats angewandt wird.
88 Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass, wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – bei Pflegebedürftigkeit in bestimmten Fällen keine Sachleistungen vorsieht, Art. 18 EG unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung wie der des § 34 SGB XI nicht entgegensteht, auf deren Grundlage ein zuständiger Träger es ablehnt, Kosten für einen Aufenthalt in einem Pflegeheim im Wohnmitgliedstaat unabhängig von den Regelungen des Art. 19 oder gegebenenfalls Art. 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung für eine unbestimmte Dauer bis zu einer Höhe zu übernehmen, die den Leistungen entspricht, auf die die betreffende Person Anspruch gehabt hätte, wenn ihr dieselbe Pflege in einer zugelassenen Einrichtung im zuständigen Staat erbracht worden wäre.
Kosten
89 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
1. Wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 geänderten Fassung versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – in Fällen der Pflegebedürftigkeit wie dem dieser Person keine Sachleistungen vorsieht, verlangen die Art. 19 oder 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung an sich nicht, dass derartige Leistungen von dem zuständigen Träger oder zu dessen Lasten außerhalb des zuständigen Staates erbracht werden.
2. Wenn das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem eine pflegebedürftige Person wohnt, die als Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1386/2001 geänderten Fassung versichert ist, – im Gegensatz zum System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates – bei Pflegebedürftigkeit in bestimmten Fällen keine Sachleistungen vorsieht, steht Art. 18 EG unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Regelung wie der des § 34 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs nicht entgegen, auf deren Grundlage ein zuständiger Träger es ablehnt, Kosten für einen Aufenthalt in einem Pflegeheim im Wohnmitgliedstaat unabhängig von den Regelungen des Art. 19 oder gegebenenfalls Art. 22 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung für eine unbestimmte Dauer bis zu einer Höhe zu übernehmen, die den Leistungen entspricht, auf die die betreffende Person Anspruch gehabt hätte, wenn ihr dieselbe Pflege in einer zugelassenen Einrichtung im zuständigen Staat erbracht worden wäre.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.