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Document 62007CC0002

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 29. November 2007.
Paul Abraham u. a. gegen Région wallonne u. a.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Belgien.
Richtlinie 85/337/EWG - Prüfung der Umweltverträglichkeit von Projekten - Flugplatz mit einer Start- und Landebahngrundlänge von über 2 100 m.
Rechtssache C-2/07.

Sammlung der Rechtsprechung 2008 I-01197

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:735

Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einleitung

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten(2) in ihrer ursprünglichen Fassung (im Folgenden: UVP-Richtlinie). Es geht um die Maßnahmen auf dem Flughafen Lüttich-Bierset, die seine Nutzung für den Luftfrachtverkehr gefördert und eine Zunahme von Nachtflügen bewirkt haben sollen. Im Kern stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Änderungen an der Infrastruktur eines Flughafens eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern, insbesondere, ob dabei eine angestrebte Zunahme des Flugverkehrs zu berücksichtigen ist.

II – Rechtlicher Rahmen

2. In Art. 1 der UVP-Richtlinie werden ihr Gegenstand sowie einige Begriffe definiert:

„(1) Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(2) Im Sinne dieser Richtlinie sind:

Projekt:

– die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

– sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

Projektträger:

Person, die die Genehmigung für ein privates Projekt beantragt, oder die Behörde, die ein Projekt betreiben will;

Genehmigung:

Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält.

(3) …“

3. Art. 2 Abs. 1 legt das Ziel der UVP-Richtlinie fest:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor der Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden.

Diese Projekte sind in Art. 4 definiert.“

4. Art. 3 beschreibt den Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung:

„Die Umweltverträglichkeitsprüfung identifiziert, beschreibt und bewertet in geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls gemäß den Art. 4 bis 11 die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf folgende Faktoren:

– Mensch, Fauna und Flora,

– Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft,

– die Wechselwirkung zwischen den unter dem ersten und dem zweiten Gedankenstrich genannten Faktoren,

– Sachgüter und das kulturelle Erbe.“

5. Art. 4 definiert, welche Projekte zu prüfen sind:

„(1) Projekte der in Anhang I aufgeführten Klassen werden vorbehaltlich des Art. 2 Abs. 3 einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 unterzogen.

(2) Projekte der in Anhang II aufgezählten Klassen werden einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 unterzogen, wenn ihre Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten dies erfordern.

Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten insbesondere bestimmte Arten von Projekten, die einer Prüfung zu unterziehen sind, bestimmen oder Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen, anhand deren bestimmt werden kann, welche von den Projekten der in Anhang II aufgezählten Klassen einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 unterzogen werden sollen.“

6. Flugplätze sind in Anhang I Nr. 7 aufgeführt:

„Bau von Autobahnen, Schnellstrassen (1), Eisenbahn-Fernverkehrsstrecken sowie von Flugplätzen (2) mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr

(2) „Flugplätze“ im Sinne dieser Richtlinie sind Flugplätze gemäß den Begriffsbestimmungen des Abkommens von Chicago von 1944 zur Errichtung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Anhang 14).“

7. Anhang 14 des Abkommens von Chicago über die Internationale Zivilluftfahrt enthält Standards für den gesamten Bereich, in dem sich Flugzeuge auf einem Flugplatz sowie bei Start und Landung bewegen, d. h. für Start- und Landbahnen, Rollwege und den Luftraum am Flughafen. Ebenfalls geregelt werden Signale für die Benutzung des Flugplatzes durch Flugzeuge.

8. Anhang II, Nr. 10 Buchst. d erwähnt u. a. kleinere Flugplätze:

„Bau von Strassen, Häfen (einschließlich Fischereihäfen) und Flugplätzen (nicht unter Anhang I fallende Projekte)“

9. Änderungen von Projekten werden durch Anhang II, Nr. 12 erfasst:

„Änderung von Projekten des Anhangs I sowie Projekten des Anhangs I, die ausschließlich oder überwiegend der Entwicklung und Erprobung neuer Verfahren oder Erzeugnisse dienen und nicht länger als ein Jahr betrieben werden“

10. Art. 5 regelt, welche Angaben im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu machen sind:

„(1) Bei Projekten, die nach Art. 4 einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß den Art. 5 bis 10 unterzogen werden müssen, ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Projektträger die in Anhang III genannten Angaben in geeigneter Form vorlegt, soweit

a) die Mitgliedstaaten der Auffassung sind, dass die Angaben in einem bestimmten Stadium des Genehmigungsverfahrens und in Anbetracht der besonderen Merkmale eines spezifischen Projekts oder einer bestimmten Art von Projekten und der möglicherweise beeinträchtigten Umwelt von Bedeutung sind;

b) die Mitgliedstaaten der Auffassung sind, dass von dem Projektträger unter anderem unter Berücksichtigung des Kenntnisstandes und der Prüfungsmethoden billigerweise verlangt werden kann, dass er die Angaben zusammenstellt.

(2) Die vom Projektträger gemäß Abs. 1 vorzulegenden Angaben umfassen mindestens folgendes:

– eine Beschreibung des Projekts nach Standort, Art und Umfang;

– eine Beschreibung der Maßnahmen, mit denen bedeutende nachteilige Auswirkungen vermieden, eingeschränkt und soweit möglich ausgeglichen werden sollen;

– die notwendigen Angaben zur Feststellung und Beurteilung der Hauptwirkungen, die das Projekt voraussichtlich für die Umwelt haben wird;

– eine nichttechnische Zusammenfassung der unter dem ersten, zweiten und dritten Gedankenstrich genannten Angaben.

(3) …“

11. Die Angaben gemäß Art. 5 Abs. 1 werden in Anhang III präzisiert:

„1. Beschreibung des Projekts, im Besonderen:

– Beschreibung der physischen Merkmale des gesamten Projekts und des Bedarfs an Grund und Boden während des Bauens und des Betriebes

– Beschreibung der wichtigsten Merkmale der Produktionsprozesse, z. B. Art und Menge der verwendeten Materialien

– Art und Quantität der erwarteten Rückstände und Emissionen (Verschmutzung des Wassers, der Luft und des Bodens, Lärm, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlung usw.), die sich aus dem Betrieb des vorgeschlagenen Projekts ergeben

4. Beschreibung( 1 ) der möglichen wesentlichen Auswirkungen des vorgeschlagenen Projekts auf die Umwelt infolge:

– des Vorhandenseins der Projektanlagen

– der Nutzung der natürlichen Ressourcen

– der Emission von Schadstoffen, der Verursachung von Belästigungen und der Beseitigung von Abfällen

und Hinweis des Projektträgers auf die zur Vorausschätzung der Umweltauswirkungen angewandten Methoden

( 1 ) Diese Beschreibung sollte sich auf die direkten und die etwaigen indirekten, sekundären, kumulativen, kurz- mittel- und langfristigen, ständigen und vorübergehenden, positiven und negativen Auswirkungen des Vorhabens erstrecken.“

12. Im maßgeblichen innerstaatlichen Recht wurde die Richtlinie nach Angaben des vorlegenden Gerichts weitgehend wortlautgetreu umgesetzt.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

13. Das Ausgangsverfahren beruht auf einer Klage von Anrainern des Flughafens Lüttich-Bierset in Belgien. Dieser Flughafen verfügt bereits seit längerer Zeit über eine Landebahn von deutlich mehr als 2 100 Metern. Nach Erstellung eines Wirtschaftsgutachtens durch einen Dritten entschied die Region Wallonien, dort eine Luftfrachttätigkeit rund um die Uhr zu entwickeln.

14. Die Region Wallonien und die Société de développement et de promotion de l’aéroport de Liège-Bierset (Gesellschaft zur Entwicklung und Förderung des Flughafens Lüttich-Bierset, im Folgenden: SAB) schlossen mit Luftfrachtunternehmen Vereinbarungen ab. Über einen ersten Vertrag mit der Gesellschaft Cargo Airlines Ltd (abgekürzt: CAL) zu einem unbestimmten Datum wurden dem Gerichtshof keine weiteren Informationen übermittelt. Ausführlich wird jedoch die Vereinbarung mit der Gesellschaft für Expresszustellung TNT (im Folgenden: TNT) vom 26. Februar 1996 (im Folgenden: Vereinbarung) dargestellt.

15. Die Anrainer tragen vor, dass diese Vereinbarung u. a. Folgendes vorsehe:

– Die Hauptbahn (23L/05R) des Flughafens werde auf ihrer gesamten Länge vollständig funktionsfähig und mit einem Landesystem ausgerüstet sein;

– die parallele Landebahn (23R) werde spätestens am 1. März 1996 ausgerüstet sein;

– die parallele Piste 23L/05R werde auf 45 m verbreitert und entspreche den Normen für das Manövrieren eines Airbus 300;

– die Bahn 23ML werde mit zwei zusätzlichen Ausfahrten für hohe Geschwindigkeiten ausgerüstet sein, und der A.T.C. Turm (Air Traffic Control Tower) werde verlegt;

– direkt gegenüber der Hauptsortieranlage von TNT werde sich ein neuer Parkraum von 18 ha befinden;

– die Parkzone werde in Richtung des Hangars für die Flugzeugwartung erweitert und mit der neuen Ausfahrt für hohe Geschwindigkeiten verbunden sein;

– es werde ein Kontrollturm errichtet, und es werde ein Kraftstoffversorgungszentrum mit einer Mindestkapazität von einer Million Litern vorgehalten mit der Möglichkeit für TNT, dessen Erweiterung zu fordern;

– der Flughafen werde rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr geöffnet sein und es werde eine ordnungsgemäße Stromquelle für die Tätigkeiten vo n TNT (ungefähr 2 000 Ampere) mit einer zusätzlichen Reserve zur Sicherung einer ununterbrochenen Energieversorgung zur Verfügung stehen, was die Genehmigung von zwei elektrischen Kabinen für Hochspannung von 15 kV erforderlich mache.

16. Die ersten Nachtflüge wurden 1996 von der Gesellschaft CAL durchgeführt. Die Gesellschaft TNT begann mit ihren Nachtflügen im März 1998.

17. Die Anrainer beschweren sich über sehr starke Lärmbelästigungen überwiegend in der Nacht und deren Folgen für den Schlaf und die Gesundheit. Sie verlangen unter dem Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Haftung den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Gebrauch der in der Vereinbarung vom 26. Februar 1996 genannten Infrastrukturen entstanden sein soll, und das Verbot ihrer Nutzung.

18. Sie tragen vor, dass vor der Erteilung der für die Durchführung der in der Vereinbarung vom 26. Februar 1996 genannten Arbeiten erforderlichen Baugenehmigung und Betriebsgenehmigung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Das Fehlen der Umweltverträglichkeitsprüfung führe zur Rechtswidrigkeit der zur Durchführung dieser Vereinbarung erforderlichen Genehmigungen und daher zugleich zur Rechtswidrigkeit der in diesen Genehmigungen genannten Infrastrukturen und ihrer Nutzung.

19. Das Tribunal de première Instance von Lüttich gab der Klage teilweise statt; in zweiter Instanz wies die Cour d’appel von Lüttich sie ab. Die Cour d’appel legte u. a. dar, die UVP-Richtlinie betreffe und definiere den Begriff Flughafen in Bezug auf die Länge seiner Bahn und nicht in Bezug auf die Einrichtungen neben der Bahn wie Hangars oder einen Kontrollturm. Die Bahn sei aber nicht wesentlich verändert worden. Zudem betreffe Anhang I der Richtlinie den „Bau“ eines Flughafens, und Anhang II beziehe sich auf die Änderung eines Projekts des Anhangs I, d. h. die Änderung des Baus.

20. Mit dem Rechtsmittel wenden sich die Anrainer gegen die Auslegung des Projektbegriffs durch die Cour d’appel .

21. Die Cour de Cassation legt dem Gerichtshof daher die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Stellt eine Vereinbarung zwischen dem Staat und einem privaten Unternehmen, durch deren Abschluss dieses Unternehmen veranlasst werden soll, sich an einem Flughafen mit einer Bahn von mehr als 2 100 m Länge niederzulassen, die eine genaue Beschreibung der Infrastrukturarbeiten enthält, die in Bezug auf den Ausbau der Bahn – ohne dass diese verlängert wird – und auf den Bau eines Kontrollturms durchgeführt werden sollen, um Flüge von Großraumflugzeugen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zu ermöglichen, und die sowohl Nacht- als auch Tagflüge vom Beginn der Ansiedlung dieses Unternehmens an vorsieht, ein Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 97/11/EWG des Rates vom 3. März 1997 dar?

2. Entspricht eine Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flughafens, um ihn an eine geplante Steigerung der Zahl der Nacht- und Tagflüge anzupassen – ohne Verlängerung der Bahn –, dem Begriff „Projekt“, für das eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der Art. 1, 2 und 4 der Richtlinie 85/337 in der Fassung vor ihrer Änderung durch die Richtlinie 97/11 vorgeschrieben ist?

3. Muss ein Mitgliedstaat, obwohl eine geplante Steigerung der Aktivitäten eines Flughafens nicht direkt in den Anhängen der Richtlinie 85/337 vorgesehen ist, diese Steigerung trotzdem berücksichtigen, wenn er die mögliche Auswirkung der Änderungen auf die Umwelt prüft, die an der Infrastruktur dieses Flughafens vorgenommen werden sollen, damit der Zuwachs an Tätigkeit aufgenommen werden kann?

22. Am schriftlichen Verfahren und an der mündlichen Verhandlung haben sich aufseiten der Anrainer des Flughafens die Beteiligten Abraham u. a., Beaujean u. a. sowie Descamps u. a. mit jeweils separatem Vorbringen beteiligt, ebenso die Kassationsbeklagten SAB und TNT, die Mitgliedstaaten Belgien und Tschechische Republik sowie die Kommission.

IV – Rechtliche Würdigung

23. Nach Art. 4 Abs. 1 und Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie setzt die Genehmigung des Baus von Flugplätzen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr zwingend eine Prüfung der Umweltverträglichkeit voraus.

24. Änderungen an derartigen Projekten bzw. der Bau anderer Flugplätze werden nach Art. 4 Abs. 2 und Anhang II Nrn. 10 bzw. 12 der UVP-Richtlinie nicht zwingend einer Prüfung unterzogen, sondern nur, wenn dies ihre Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten erfordern. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten insbesondere bestimmte Arten von Projekten bestimmen, die einer Prüfung zu unterziehen sind, oder Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen, anhand deren bestimmt werden kann, welche von den Projekten der in Anhang II aufgezählten Klassen einer Prüfung unterzogen werden sollen.

25. Nach ständiger Rechtsprechung begründet Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie einen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, der durch die in Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie enthaltene Verpflichtung begrenzt wird, die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen zu unterziehen.(3)

26. Die Fragen der Cour de cassation beziehen sich in diesem Rahmen einerseits auf die Bedeutung der Vereinbarung über die Anpassung des Flughafens an die Bedürfnisse des Frachtverkehrs und andererseits darauf, ob Änderungen an einem Flughafen, die nicht die Bahn betreffen, als prüfpflichtiges Projekt angesehen werden können und ob die Aktivitäten des Flughafens bei der Beurteilung seiner Umweltauswirkungen zu berücksichtigen sind.

27. Da Auslegung und Anwendung der UVP-Richtlinie an dem in Art. 2 Abs. 1 niedergelegten Ziel auszurichten sind, dass Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden,(4) bietet es sich an, die Fragen in umgekehrter Reihenfolge zu beantworten.

28. Dementsprechend prüfe ich zunächst, unter A, ob die Aktivitäten eines Flughafens bzw. ihre Steigerung bei der Prüfung der Umweltauswirkungen zu berücksichtigen sind. Im Licht der Beantwortung dieser Frage wird dann, unter B, die zweite Frage untersucht, inwieweit Änderungen an einem Flugplatz als prüfpflichtiges Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie anzusehen sind. Abschließend, unter C, gehe ich auf die erste Frage ein, die eine Besonderheit der streitgegenständlichen Maßnahmen betrifft. Diese wurden nämlich zunächst in einer Vereinbarung festgelegt. Daher stellt sich die Frage, wie die Vereinbarung in das Prüfungssystem der UVP-Richtlinie einzuordnen ist, insbesondere, ob vereinbarte Maßnahmen möglicherweise auf ihre Umweltverträglichkeit zu prüfen waren.

A – Zur dritten Vorlagefrage

29. Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht erfahren, ob nach der UVP-Richtlinie der Flugverkehr auf einem Flugplatz bzw. seine Steigerung Teil der zu berücksichtigenden Umweltauswirkungen ist. Anlass dafür ist das Vorbringen, die Änderungen an der Infrastruktur des Flughafens Lüttich-Bierset hätten zu einer Steigerung der Aktivitäten an diesem Flughafen geführt.

30. Die Zweifel der Cour de Cassation beruhen darauf, dass die Steigerung der Aktivitäten eines Flughafens in der UVP-Richtlinie nicht ausdrücklich erwähnt wird. Gleichwohl ergibt sich aus den Bestimmungen der Richtlinie eindeutig, dass sie zu berücksichtigen ist.

31. Denn nach Art. 3 der UVP-Richtlinie erstreckt sich die Umweltverträglichkeitsprüfung auf die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts. Die Bestimmungen über die Angaben, die der Projektträger nach Art. 5 Abs. 1 der UVP-Richtlinie vorlegen muss, zeigen, dass der Begriff der mittelbaren Auswirkungen weit zu verstehen ist und insbesondere auch die Auswirkungen des Betriebs eines Projekts einschließt. So besagt die Fußnote zu Anhang III Nr. 4, dass sich die Beschreibung der Auswirkungen auf die direkten und die etwaigen indirekten, sekundären, kumulativen, kurz-, mittel- und langfristigen ständigen und vorübergehenden, positiven und negativen Auswirkungen des Vorhabens erstrecken sollte. Nach Anhang III Nr. 1 dritter Spiegelstrich schließen die Auswirkungen insbesondere die Art und Quantität der erwarteten Rückstände und Emissionen ein, die sich aus dem Betrieb des Projekts ergeben, d. h. aus den dort stattfindenden Aktivitäten.

32. Zwar sind die Angaben nach Art. 5 Abs. 1 und Anhang III der UVP-Richtlinie nur notwendig, wenn die Mitgliedstaaten der Auffassung sind, dass sie von Bedeutung sind und vom Projektträger billigerweise verlangt werden können. Der den Mitgliedstaaten somit eingeräumte Entscheidungsspielraum ist allerdings nicht unbeschränkt.(5)

33. Bei einem Flugplatz sind der angestrebte Flugbetrieb nach seiner Art und seinem Umfang sowie die daraus resultierenden Umweltauswirkungen von Bedeutung. Auch ist dem Projektträger in der Regel zuzumuten, diese Angaben zu machen. Ein Verzicht auf Angaben zum Flugbetrieb bzw. zu den Auswirkungen eines gesteigerten Flugbetriebs wäre daher mit der UVP-Richtlinie unvereinbar.

34. Die somit vorzulegenden Angaben über eine angestrebte Steigerung des Flugbetriebs sind nach Art. 8 der UVP-Richtlinie im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu berücksichtigen.

35. Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass die Auswirkungen einer Änderung der Infrastruktur eines Flughafens auf die Umwelt im Sinne der UVP-Richtlinie die damit angestrebte Steigerung der Aktivitäten des Flughafens einschließen.

B – Zur zweiten Vorlagefrage

36. Die zweite Frage ist darauf gerichtet, ob Änderungen an der Infrastruktur eines bestehenden Flugplatzes eine Prüfung der Umweltverträglichkeit erfordern, wenn sie keine Verlängerung der Start- und Landebahn einschließen. Es geht also darum, anhand welcher Kriterien zu entscheiden ist, ob Änderungen an der Infrastruktur eines Flughafens eine Umweltverträglichkeitsprüfung voraussetzen.

Zum Bau eines Flugplatzes nach Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie

37. Nach Art. 4 Abs. 1 und Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie erfordert der Bau von Flugplätzen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr eine Prüfung der Umweltverträglichkeit.

38. Obwohl der Flughafen Lüttich-Bierset bereits existierte, bevor die hier gegenständlichen Maßnahmen vereinbart und durchgeführt wurden, vertreten Beaujean u. a. die Auffassung, es handele sich um den Bau eines Flugplatzes. Die vorgesehene Renovierung der Hauptbahn, ihre Ausstattung mit einem Landesystem und die Verbreiterung der Parallelbahn auf 45 Meter kämen dem Neubau einer Bahn gleich. Die Arbeiten hätten eine erhebliche Steigerung des Frachtaufkommens auf dem Flughafen ermöglicht (um den Faktor 464 zwischen 1994 und 1998). Descamps u. a. vertreten die gleiche Auffassung und betonen außerdem, dass die Maßnahmen Voraussetzung für den Nachtbetrieb des zuvor am Tage genutzten Flughafens gewesen seien.

39. Anhaltspunkte dafür, dass trotz existierender Einrichtungen ein neues Vorhaben vorliegen kann, enthält ein Urteil zu einem spanischen Eisenbahnprojekt.(6) Dort stellte der Gerichtshof fest, der zweigleisige Ausbau einer bereits vorhandenen Eisenbahnstrecke sei nicht als eine bloße Änderung eines früheren Projekts im Sinne von Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie anzusehen, sondern als Bau einer Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke nach Anhang I Nr. 7. Dabei stützte er sich auf die möglicherweise erheblichen Umweltauswirkungen dieses Vorhabens.

40. Grundsätzlich kann dieser Gedanke auf Flugplatzprojekte übertragen werden. Zwar erwähnt Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie neben dem Begriff des Flugplatzes nur die Länge der Start- und Landbahn als Kriterium, doch hängen die Umweltauswirkungen eines Flughafens, die nach dem Ziel der Richtlinie maßgeblich sind, auch von anderen Umständen ab.

41. Die Länge der Start- und Landebahn ist ausschlaggebend für die Flugzeugtypen, die den Flughafen nutzen können, und damit für die möglichen Auswirkungen einzelner Starts und Landungen. Größere Flugzeuge benötigen längere Bahnen.

42. Die Zahl der möglichen Flugbewegungen ergibt sich jedoch aus weiteren Elementen der Infrastruktur, z. B. der Ausstattung mit elektronischen Unterstützungssystemen für Starts und Landungen, den Einrichtungen für die Abfertigung der Flugzeuge, vorhandenen Stellplätzen sowie der Kapazität des Luftraums.

43. Wie stark ein Flughafen tatsächlich in Anspruch genommen wird, d. h. die Nachfrage nach Flugverkehrsdienstleistungen, hängt darüber hinaus von seiner Anbindung an die entsprechenden Nachfragemärkte und von der Wettbewerbssituation mit anderen vergleichbaren Dienstleistungsanbietern ab.

44. Als Bau eines Flugplatzes können allerdings nur Maßnahmen verstanden werden, die zumindest Teile des Platzes betreffen. Welche Elemente Teil eines Flugplatzes sind, ergibt sich primär aus der Definition in Anhang 14 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, auf den Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie verweist.

45. Da dieses Regelwerk allerdings nicht die Umweltauswirkungen von Flugplätzen zum Gegenstand hat, sondern ihre Sicherheit, muss der Begriff des Flugplatzes im Sinne der UVP-Richtlinie auch umweltrelevante Einrichtungen einschließen, die zwar in Anhang 14 des Abkommens nicht erfasst werden, aber untrennbar mit den dort definierten Kernbestandteilen zusammenhängen. Insofern dürfte vor allem an Abfertigungsgebäude für Passagiere und Fracht zu denken sein.

46. Dagegen nicht dem Flugplatz zuzurechnen sind Einrichtungen, die zwar möglicherweise durch den Flugverkehr angezogen wurden, aber stärker anderen Projektkategorien zuzurechnen sind, z. B. die Verkehrsanbindung am Boden, Hotels sowie Büro- und Gewerbeflächen.

47. Auch bedarf es einer Abgrenzung zur Änderung des Baus eines Flughafens gemäß Anhang II Nr. 12. Maßnahmen im Zusammenhang mit einem bestehenden Flughafen können daher nur als Bau eines Flughafens angesehen werden, wenn sie im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen einem Neubau gleichstehen.

48. Folglich kommen für Maßnahmen an bestehenden Flugplätzen, die als Bau eines Flugplatzes anzusehen sind, insbesondere deutliche Verlängerungen der Bahnen in Betracht, die den Flughafen für Flugzeugtypen mit deutlich stärkeren Umweltauswirkungen nutzbar machen, oder Neuausrichtungen der Bahnen, die zu anderen Flugrouten bei Start und Landung führen.

49. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass in Ausnahmefällen Maßnahmen, welche Länge und Ausrichtung der Bahnen nicht direkt betreffen, die Kapazität des Flughafens so stark vergrößern, dass sie einem Neubau gleichkommen. Wenn der Flughafen ursprünglich aufgrund unzureichender Abfertigungskapazitäten und Stellplätze bereits durch wenige Anflüge lange blockiert war, können zusätzliche Kapazitäten in diesen Bereichen eine erhebliche Steigerung des Verkehrsaufkommens bewirken. Dies dürfte insbesondere bei Maßnahmen gelten, die frühere Militärflugplätze mit langen Bahnen einer zivilen Nutzung zuführen.

50. Ob die streitgegenständlichen Maßnahmen am Flughafen Lüttich-Bierset das Ausmaß eines Neubaus erreichten, kann aufgrund der dem Gerichtshof vorliegenden Informationen nicht beurteilt werden. Entscheidend ist, ob die Maßnahmen die Kapazität des Flughafens so stark erhöht haben, dass die Umweltauswirkungen des Ausbaus einem Neubau gleichzusetzen sind.

51. Insofern wird insbesondere das Vorbringen zu prüfen sein, wonach erst aufgrund dieser Maßnahmen das Frachtaufkommen um den Faktor 464 zunahm und ein Nachtbetrieb möglich wurde. Insbesondere eine Ausdehnung der Betriebszeiten kann erhebliche Umweltauswirkungen haben.

52. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flughafens mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr als Bau eines Flugplatzes im Sinne von Anhang I Nr. 7 anzusehen und daher zwingend einer Prüfung der Umweltverträglichkeit zu unterziehen ist, wenn sie im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen einem Neubau gleichsteht.

Zur Änderung eines Flugplatzes nach Anhang II Nr. 12 und Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie

53. Wenn die streitgegenständlichen Maßnahmen nicht als Bau eines Flughafens im Sinne von Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie anzusehen sind, kann sich eine Verpflichtung zur Prüfung der Umweltverträglichkeit aus Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie ergeben. Dies setzt zunächst voraus, dass die Maßnahmen als Änderung eines Projekts nach Anhang I anzusehen sind.

54. Belgien, die SAB und TNT vertreten jedoch mit großem Nachdruck die Auffassung, dass Änderungen von bestehenden Flugplätzen von der UVP-Richtlinie nicht erfasst würden. Die Formulierung von Anhang I Nr. 7 und Anhang II Nr. 12 – die Änderung des Baus eines Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr – zeige, dass nur eine Änderung im Verlauf des ursprünglichen Bauprozesses erfasst würde. Wenn auch eine Änderung des fertiggestellten Flugplatzes gemeint wäre, dann würde Anhang I Nr. 7 nicht den Bau eines Flugplatzes nennen, sondern nur den Flugplatz, wie es bei den anderen Projektarten nach Anhang I geschehen sei: z. B. Raffinerien, Wärmekraftwerke oder Abfallbeseitigungsanlagen.

55. Diese Auslegung, der die Kommission, die Tschechische Republik und die Anrainer des Flughafens nicht folgen, ist allerdings nicht zwingend. Sinn und Zweck der UVP-Richtlinie gebieten es vielmehr, die Verwendung des Begriffs „Bau“ als Hinweis darauf zu verstehen, dass ein Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie entsprechend der Projektdefinition des Art. 1 Abs. 2 die Errichtung von Anlagen oder sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließt, nicht aber die bloße Änderung der Nutzung vorhandener Anlagen .(7)

56. Aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 sowie aus dem ersten, dem fünften, dem sechsten, dem achten und dem elften Erwägungsgrund ergibt sich als wesentliches Ziel der Richtlinie, dass Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden sollen.(8)

57. Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenn die Prüfung bei den in Anhang I Nr. 7 genannten Verkehrsinfrastrukturprojekten, insbesondere bei Flugplätzen, ausschließlich auf den ursprünglichen Bauprozess beschränkt würde. Auch der Errichtung eines Flugplatzes nachfolgende Maßnahmen können erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

58. Der Gerichtshof geht daher nicht nur generell davon aus, dass der Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie sehr ausgedehnt ist und ihr Zweck sehr weit reicht,(9) sondern er legt auch insbesondere den Begriff der Änderung eines Projekts nach Anhang II Nr. 12 weit aus. Er hat ihn auf Projekte des Anhangs II erstreckt, obwohl Anhang II Nr. 12 ausdrücklich nur Projekte des Anhangs I erwähnt.(10)

59. Im Urteil WWF u. a. hat er diese Rechtsprechung auf die Umstrukturierung eines Flugplatzes angewandt, der weder vor noch nach der Änderung die nach Anhang I Nr. 7 für eine zwingende Verträglichkeitsprüfung notwendigen Ausmaße erreichte. Die Umstrukturierung dieses Flughafens durfte nicht von vorneherein, unabhängig von den möglichen Umweltauswirkungen, vom Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie ausgenommen werden.(11)

60. Da somit sogar Änderungen kleinerer Flugplätze grundsätzlich in den Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie fallen, ist sie – wie die Kommission betont – auf Änderungen von größeren Flugplätzen, deren Bau zwingend einer Prüfung zu unterziehen wäre, erst Recht anzuwenden.

61. Im Unterschied zu den Maßnahmen, auf die das Urteil WWF u. a. zurückging, wurde im vorliegenden Fall allerdings keine Bahn verlängert. Die bahnbezogenen Maßnahmen erschöpften sich offenbar in einer Instandsetzung, einer Ausrüstung mit einem Landesystem, der Verbreiterung einer Parallelbahn und der Errichtung von zwei Ausfahrten.

62. Daher richtet sich die Vorlagefrage ausdrücklich darauf, ob auch ohne Verlängerung von Bahnen ein prüfpflichtiges Projekt vorliegt. Belgien, SAB und TNT halten dies für ausgeschlossen, da die UVP-Richtlinie als einziges Merkmal eines Flugplatzes die Länge seiner Bahn nennt.

63. Dieses Merkmal dient jedoch – wie auch die Kommission vorträgt – nur der Abgrenzung zwischen größeren Projekten, die auf jeden Fall zu prüfen sind, und kleineren Projekten, die eine Prüfung nur erfordern, wenn sie erhebliche Umweltauswirkungen haben können.(12) Diese möglichen Auswirkungen und nicht die Verlängerung einer Bahn sind daher für die Prüfungspflicht ausschlaggebend. Eine Bahnverlängerung ist nur ein gewichtiges – unter Umständen sogar zwingendes – Indiz für erhebliche Umweltauswirkungen. Andere Gesichtspunkte eines Vorhabens dürfen darüber jedoch nicht vernachlässigt werden.

64. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr, die einem Neubau nicht gleichzusetzen ist, nach Art. 4 Abs. 2, Anhang I Nr. 7 und Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie auf ihre Umweltauswirkungen untersucht werden muss, wenn aufgrund ihrer Art, ihres Ausmaßes oder der örtlichen Gegebenheiten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind.

C – Zur ersten Vorlagefrage

1. Die Vereinbarung als Projekt

65. Nach dem Wortlaut der ersten Frage scheint das vorlegende Gericht erfahren zu wollen, ob eine Vereinbarung als Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie angesehen werden kann.

66. Die Parteien stimmen jedoch zu Recht darin überein, dass eine Vereinbarung als solche weder der Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen oder einem sonstigen Eingriff in Natur und Landschaft gleichgesetzt werden kann, wie in der Projektdefinition des Art. 1 Abs. 2 der UVP-Richtlinie vorausgesetzt, noch in den Anhängen I und II als Projekt genannt wird. Eine Vereinbarung mag derartige Vorhaben zum Gegenstand haben, ihr Abschluss ist dagegen kein Vorhaben.

2. Die Vereinbarung als Genehmigung

67. Einige Beteiligte diskutieren jedoch, ob die Vereinbarung die Genehmigung eines Projekts sei. Wenn nach der UVP-Richtlinie die Auswirkungen eines Projekts auf die Umwelt zu prüfen sind, muss diese Prüfung nach Art. 2 Abs. 1 vor der Projektgenehmigung durchgeführt werden.

68. Die Tschechische Republik und die Kommission halten es für möglich, eine Vereinbarung als Genehmigung anzusehen, wenn sie nach innerstaatlichem Recht wie eine Genehmigung wirkt. Die Vereinbarung müsste folglich nach Art. 1 Abs. 2 die Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden enthalten, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält.

69. Nach Descamps u. a., TNT, SAB und Belgien gibt die Vereinbarung jedoch noch kein Baurecht. Die beschriebenen Vorhaben bedürften vielmehr hoheitlicher Genehmigungen. Dies sei in der Vereinbarung sogar ausdrücklich anerkannt worden.

70. Insbesondere die Kommission zeigt hingegen eine weitere Möglichkeit auf, die grundsätzlich dazu führen kann, eine Vereinbarung als Genehmigung anzusehen. Der Gerichtshof hat aus der Systematik und den Zielen der UVP-Richtlinie abgeleitet, dass eine Genehmigungsentscheidung aus mehreren Stufen bestehen kann., die ihrerseits eine Pflicht zur Umweltverträglichkeit auslösen können.(13) Die Notwendigkeit weiterer Genehmigungen schließt demnach nicht notwendigerweise aus, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung schon in einem frühen Stadium erfolgen muss, möglicherweise schon auf der ersten Stufe.(14) Wie sich aus der ersten Begründungserwägung ergibt, bezweckt die UVP-Richtlinie nämlich, dass die zuständige Behörde die Auswirkungen des in Rede stehenden Projekts auf die Umwelt so früh wie möglich berücksichtigt. (15)

71. Nach dieser Rechtsprechung erfasst die die UVP-Richtlinie auch Akte, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme(16) fallen. Das Argument Belgiens, der SAB und von TNT, die mögliche Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/42 ratione materiae schließe eine Anwendung der UVP-Richtlinie auf die Vereinbarung aus, kann daher nicht durchgreifen.

72. Folglich ist zu prüfen, ob die Vereinbarung als Teil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens anzusehen ist.

73. Ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren im Sinne der UVP-Richtlinie nimmt der Gerichtshof bisher an, wenn mehrere aufeinander folgende Entscheidungen nach nationalem Recht notwendig sind, um ein Projekt zu genehmigen.(17) Belgien legt jedoch – in anderem Zusammenhang – dar, dass die Vereinbarung rechtlich keine Voraussetzung der geplanten Arbeiten ist. Wenn dieses Vorbringen zutrifft, ist die Vereinbarung nicht Teil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens im Sinne der bisherigen Rechtsprechung.

74. Es stellt sich daher die Frage, ob einem mehrstufigen Genehmigungsverfahren auch rechtlich nicht vorgesehene Stufen der Willensbildung zuzuordnen sind.

75. Ziel der Umweltverträglichkeitsprüfung ist, dass die Entscheidung über ein Projekt in Kenntnis seiner Umweltauswirkungen und auf Grundlage der Öffentlichkeitsbeteiligung getroffenen wird. Die Untersuchung der Umweltauswirkungen ermöglicht es, im Sinne des ersten Erwägungsgrunds der UVP-Richtlinie und des Vorsorgeprinzips nach Art. 174 Abs. 2 des Vertrages Umweltbelastungen nach Möglichkeit zu vermeiden, statt sie nachträglich zu bekämpfen. Das Erfordernis der Öffentlichkeitsbeteiligung impliziert, dass diese Beteiligung die Entscheidung über das Vorhaben noch beeinflussen kann.(18)

76. Zwar verknüpft die UVP-Richtlinie die Prüfung der Umweltverträglichkeit formal mit dem Begriff der Genehmigung, doch könnte sie ihr Ziel nicht erreichen, wenn die Entscheidung über ein Projekt faktisch bereits getroffen würde, bevor überhaupt ein formales Genehmigungsverfahren eingeleitet wurde.

77. Es ist daher geboten, die Vereinbarung als erste Stufe eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens anzusehen, wenn und soweit sie den Entscheidungsspielraum der zuständigen innerstaatlichen Stellen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren beschränkt.

78. Insofern kann es nicht allein darauf ankommen, ob der Entscheidungsspielraum formal unberührt bleibt, wie mehrere Beteiligte vortragen. Vielmehr kann eine unabhängige und unparteiische Verwaltungsentscheidung unter voller Berücksichtigung einer etwaigen Umweltverträglichkeitsprüfung und der Öffentlichkeitsbeteiligung bereits in Frage gestellt sein, wenn die politisch verantwortlichen Instanzen sich eindeutig für das Projekt entschieden haben. Auch Schadensersatzpflichten aufgrund ausbleibender Genehmigungen – wie sie möglicherweise unter Nr. 8 Buchst. c oder Nr. 9 der Vereinbarung vorgesehen sind – können den Entscheidungsspielraum beschränken.

79. Ob die Vereinbarung in dieser Form die Entscheidung der zuständigen Stellen beschränkt, wie insbesondere Abraham u. a. sowie Beaujean u. a. vortragen, ist eine Frage innerstaatlichen Rechts, die die zuständigen innerstaatlichen Gerichte prüfen müssen.

3. Die Vereinbarung als Verknüpfung von Teilprojekten

80. Wenn die Vereinbarung den Entscheidungsspielraum der zuständigen Genehmigungsbehörden unberührt lässt, so kann ihr trotzdem im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung eine Funktion zukommen, die im Vorabentscheidungsersuchen zumindest angedeutet und insbesondere im Vorbringen von Abraham u. a. betont wird. Es geht dem vorlegenden Gericht nämlich um die Errichtung einer Gesamtheit von Anlagen, die wichtige Strukturen eines Flughafens mit einer Bahn von mehr als 2 100 m verändert.(19)

81. Die Frage der Gesamtheit einzelner Vorhaben ist deshalb von Interesse, weil die einzelnen vereinbarten Maßnahmen offenbar jeweils für sich alleine nicht die Schwelle erreichten, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gemacht hätte. Gleichwohl tragen die Anrainer des Flughafens vor, dass diese Maßnahmen insgesamt gesehen erhebliche (nachteilige) Auswirkungen auf die Umwelt hätten.

82. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass es nicht mit der UVP-Richtlinie vereinbar wäre, mehrere gleichartige Vorhaben oder verschiedene Abschnitte einer Strecke jeweils nur isoliert zu betrachten, ohne ihre kumulative Wirkung zu berücksichtigen.(20) Dies entspricht Art. 5 Abs. 1 und Anhang III Nr. 4, die eine Darstellung kumulativer Umweltauswirkungen verlangen. Diese kumulativen Auswirkungen sind nach Art. 8 bei der Entscheidung über das Projekt zu berücksichtigen.

83. Vorliegend geht es zwar um mehrere unterschiedliche Teilvorhaben, die jedoch durch die Vereinbarung zu einem Gesamtprojekt mit dem Ziel verknüpft werden, die Nutzung des Flughafens Lüttich-Bierset für bestimmte Formen des Frachtverkehrs zu ermöglichen. Selbst wenn diese Teilvorhaben nicht Gegenstand einer gemeinsamen Genehmigungsentscheidung sind, darf dies nicht zu einer isolierten Betrachtung der Teilvorhaben führen. Vielmehr sind bei jeder Entscheidung die kumulativen Auswirkungen der Teilprojekte im Rahmen des Gesamtvorhabens in den Blick zu nehmen und angemessen zu berücksichtigen.

84. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn sie geboten sein sollte, nicht zwingend ausdrücklich auf die Vereinbarung oder die Teilprojekte bezogen sein müsste. Es ist nicht auszuschließen, dass die Umweltauswirkungen eines gesteigerten Flugverkehrs einschließlich der nächtlichen Nutzung des Flughafens Lüttich-Bierset bereits im Rahmen anderer Verfahren hinreichend geprüft wurden. Die Beteiligten und die Vorinstanz erwähnen insoweit verschiedene Planungsentscheidungen und Programme. Sollten diese auf einer hinreichenden Untersuchung der Umweltauswirkungen unter Beteiligung der Öffentlichkeit beruhen, hätte es später keiner erneuten Prüfung bedurft.(21)

4. Zwischenergebnis

85. Zusammenfassend ist zur ersten Frage festzuhalten, dass eine Vereinbarung zwischen dem Staat und einem privaten Unternehmen, durch deren Abschluss dieses Unternehmen veranlasst werden soll, sich an einem Flughafen mit einer Bahn von mehr als 2 100 m Länge niederzulassen, die eine genaue Beschreibung der Infrastrukturarbeiten enthält, die in Bezug auf den Ausbau der Bahn – ohne dass diese verlängert wird – und auf den Bau eines Kontrollturms durchgeführt werden sollen, um Flüge von Großraumflugzeugen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zu ermöglichen, und die sowohl Nacht- als auch Tagflüge vom Beginn der Ansiedlung dieses Unternehmens an vorsieht,

– kein Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie darstellt,

– aber als erste Stufe eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern kann, wenn und soweit sie den Entscheidungsspielraum der zuständigen innerstaatlichen Stellen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren beschränkt, und

– die enthaltenen Teilprojekte zu einem Gesamtvorhaben verknüpft, dessen Auswirkungen im Rahmen der Teilgenehmigungen insgesamt zu berücksichtigen sind.

V – Ergebnis

86. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu antworten:

Zur dritten Frage:

Die Auswirkungen einer Änderung der Infrastruktur eines Flughafens auf die Umwelt im Sinne der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten schließen die damit angestrebte Steigerung der Aktivitäten des Flughafens ein.

Zur zweiten Frage:

Die Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr ist als Bau eines Flugplatzes im Sinne von Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337 anzusehen und daher nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie zwingend einer Prüfung der Umweltverträglichkeit zu unterziehen, wenn sie im Hinblick auf ihre Umweltauswirkungen einem Neubau gleichsteht.

Ist die Änderung der Infrastruktur eines bestehenden Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr dem Neubau eines Flughafens nicht gleichzusetzen, so muss sie nach Art. 4 Abs. 2 , Anhang I Nr. 7 und Anhang II Nr. 12 der Richtlinie 85/337 auf ihre Umweltauswirkungen untersuchen werden, wenn aufgrund ihrer Art, ihres Ausmaßes oder der örtlichen Gegebenheiten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind.

Zur ersten Frage:

Eine Vereinbarung zwischen dem Staat und einem privaten Unternehmen, durch deren Abschluss dieses Unternehmen veranlasst werden soll, sich an einem Flughafen mit einer Bahn von mehr als 2 100 m Länge niederzulassen, die eine genaue Beschreibung der Infrastrukturarbeiten enthält, die in Bezug auf den Ausbau der Bahn – ohne dass diese verlängert wird – und auf den Bau eines Kontrollturms durchgeführt werden sollen, um Flüge von Großraumflugzeugen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zu ermöglichen, und die sowohl Nacht- als auch Tagflüge vom Beginn der Ansiedlung dieses Unternehmens an vorsieht,

– ist kein Projekt im Sinne der Richtlinie 85/337,

– kann aber als erste Stufe eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern, wenn und soweit sie den Entscheidungsspielraum der zuständigen innerstaatlichen Stellen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren beschränkt, und

– verknüpft die enthaltenen Teilprojekte zu einem Gesamtvorhaben, dessen Auswirkungen im Rahmen der Teilgenehmigungen insgesamt zu berücksichtigen sind.

(1) .

(2)  – ABl. L 175, S. 40.

(3)  – Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a. (C‑72/95, Slg. 1996, I‑5403, Randnr. 50), vom 21. September 1999, Kommission/Irland (C‑392/96, Slg. 1999, I‑5901, Randnr. 64), vom 29. April 2004, Kommission/Portugal (C‑117/02, Slg. 2004, I‑5517, Randnr. 82), vom 2. Juni 2005, Kommission/Italien (C‑83/03, Slg. 2005, I‑4747, Randnr. 19), und vom 8. September 2005, Kommission/Spanien (C‑121/03, Slg. 2005, I‑7569, Randnr. 87).

(4)  – Urteil vom 23. November 2006, Kommission/Italien (C‑486/04, Slg. 2006, I‑11025, Randnr. 36). Vgl. auch die in Fn. 3 zitierten Urteile.

(5)  – Urteil vom 19. September 2000, Linster (C‑287/98, Slg. 2000, I‑6917, Randnr. 37).

(6)  – Urteil vom 16. September 2004, Kommission/Spanien (C‑227/01, Slg. 2004, I‑8253, Randnrn. 46 ff.).

(7)  – Im Prinzip sollten die Umweltauswirkungen möglicher Nutzungen bereits bei der Errichtung einer Anlage geprüft worden sein, so dass die Ergebnisse dieser Prüfung bei Entscheidungen über spätere Nutzungsänderungen herangezogen werden können.

(8)  – Siehe die Urteile Linster (zitiert in Fn. 5, Randnr. 52) und Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 6, Randnr. 47) sowie die in Fn. 3 zitierten Urteile.

(9)  – Urteile Kraaijeveld u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnrn. 31 und 39) und Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 6, Randnr. 46).

(10)  – Urteile Kraaijeveld u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 40) und vom 16. September 1999, WWF u. a. (C‑435/97, Slg. 1999, I‑5613, Randnr. 40).

(11)  – Urteil WWF u. a. (zitiert in Fn. 10, Randnr. 49). Deutlicher noch die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 29. April 1999, WWF u. a. (C‑435/97, Slg. 1999, I‑5613, Nr. 43).

(12)  – Siehe oben, Nrn. 23 ff.

(13)  – Urteil vom 4. Mai 2006, Barker (C‑290/03, Slg. 2006, I‑3949, Randnr. 45).

(14)  – Urteil vom 7. Januar 2004, Wells (C‑201/02, Slg. 2004, I‑723, Randnr. 52).

(15)  – Urteil Wells (zitiert in Fn. 14, Randnr. 51).

(16)  – ABl. L 197, 30.

(17)  – Urteil Wells (zitiert in Fn. 14, Randnr. 52).

(18)  – Vgl. das Urteil vom 23. November 2005, Vereinigtes Königreich/Kommission (T‑178/05, Slg. 2005, II‑4807, Randnr. 57), zur Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275, S. 32).

(19)  – Siehe S. 154 des Vorabentscheidungsersuchens.

(20)  – Urteile Kommission/Irland (zitiert in Fn. 3, Randnr. 76) und Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 6, Randnr. 53).

(21)  – Vgl. die Urteile vom 11. August 1995, Kommission/Deutschland (Großkrotzenburg) (C‑431/92, Slg. 1995, I‑2189, Randnrn. 41 ff.) und Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 6, Randnr. 56).

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