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Document 62006CJ0518

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 28. April 2009.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung - Art. 43 EG und 49 EG - Richtlinie 92/49/EWG - Nationale Regelung, die den Versicherungsunternehmen einen Kontrahierungszwang auferlegt - Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs - Sozialer Schutz von Verkehrsunfallopfern - Verhältnismäßigkeit - Tariffreiheit von Versicherungsunternehmen - Grundsatz der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat.
Rechtssache C-518/06.

Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-03491

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:270

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑518/06

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 20. Dezember 2006,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und N. Yerrell als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Finnland, vertreten durch J. Himmanen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts und M. Ilešič (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, J. Malenovský, J. Klučka, U. Lõhmus, E. Levits und J.‑J. Kasel,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2008,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik

– durch Erlass und Aufrechterhaltung einer Regelung, nach der die Prämien für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nach bestimmten Parametern berechnet werden müssen, und dadurch, dass sie diese Prämien einer rückwirkenden Kontrolle unterworfen hat, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228, S. 1) verstoßen hat;

– dadurch, dass sie eine Kontrolle über die Modalitäten ausübt, nach denen die Versicherungsunternehmen mit Hauptsitz in einem anderen Mitgliedstaat, die aber in Italien im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit tätig sind, ihre Versicherungsprämien berechnen, und dass sie insbesondere gegen diese Unternehmen Sanktionen für den Fall eines Verstoßes gegen die nationalen Vorschriften zu den Modalitäten für die Berechnung von Versicherungsprämien verhängt, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 9 der Richtlinie 92/49 verstoßen hat;

– dadurch, dass sie die Verpflichtung zum Abschluss von Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen für alle Versicherungsunternehmen aufrechterhält, einschließlich der Versicherungsunternehmen mit Hauptsitz in einem anderen Mitgliedstaat, die aber in Italien im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit tätig sind, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG verstoßen hat.

I – Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Die Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG und 2005/14/EG

2. Zur Erleichterung des Reiseverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten wurde mit der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1) ein System geschaffen, das auf der Abschaffung der Kontrolle der grünen Versicherungskarte bei Überschreitung der Binnengrenzen der Europäischen Gemeinschaft und auf der Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten beruht, sicherzustellen, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist.

3. Im zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:

„Jede Grenzkontrolle der Pflicht zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bezweckt die Wahrung der Interessen von Personen, die möglicherweise bei einem Unfall, der von diesen Fahrzeugen verursacht wird, geschädigt werden …“

4. Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Die Kontrolle der grünen Karte kann bei Fahrzeugen, die ihren gewöhnlichen Standort in einem Mitgliedstaat haben und die in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats einreisen, auf der Grundlage eines Übereinkommens zwischen den … nationalen Versicherungsbüros aufgehoben werden, kraft deren jedes nationale Büro nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Deckung der zu Ersatzansprüchen führenden Schäden garantiert, die in seinem Gebiet von einem solchen versicherten oder nicht versicherten Fahrzeug verursacht worden sind.“

5. Weiter wird in den Erwägungsgründen 5 und 6 dieser Richtlinie betont, dass die Liberalisierung der Regeln für den Kraftfahrzeugverkehr im Reiseverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zur Öffnung der Märkte dieser Staaten beiträgt.

6. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166 bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat trifft … alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. … “

7. In den Erwägungsgründen 5 und 6 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17) heißt es:

„Die Summen, bis zu denen die Versicherungspflicht besteht, müssen in jedem Fall gestatten, den Unfallopfern eine ausreichende Entschädigung zu sichern, gleichgültig, in welchem Mitgliedstaat sich der Unfall ereignet hat.

Es ist notwendig, eine Stelle einzurichten, die dem Geschädigten auch dann eine Entschädigung sicherstellt, wenn das verursachende Fahrzeug nicht versichert war oder nicht ermittelt wurde. …“

8. Nach Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 84/5 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen Garantiefonds zu schaffen oder anzuerkennen, um die Opfer von Unfällen, die durch Fahrzeuge verursacht wurden, für die die Versicherungspflicht nicht erfüllt war, zu entschädigen.

9. In dieser Bestimmung wird ausgeführt, dass durch diese Verpflichtung das Recht der Mitgliedstaaten, Bestimmungen zu erlassen, durch die der Einschaltung dieser Stelle subsidiärer Charakter verliehen wird, unberührt bleibt.

10. Die Richtlinien 72/166 und 84/5 wurden zuletzt durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 149, S. 14) geändert. Die Umsetzung der Richtlinie 2005/14/EG musste bei Ablauf der Frist, die in der letzten mit Gründen versehenen Stellungnahme in der vorliegenden Rechtssache gesetzt wurde, noch nicht vollzogen sein.

11. Wie im ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie betont wird, ist die Stärkung und Konsolidierung des Binnenmarkts für Kfz-Versicherungen in Anbetracht der besonderen Bedeutung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für die europäischen Bürger, sowohl für die Versicherungsnehmer als auch für die Opfer von Verkehrsunfällen, und für die Versicherungsunternehmen ein Hauptziel im Finanzdienstleistungsbereich.

12. Im Übrigen wird in Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2005/14 festgestellt, dass das Recht, sich auf den Versicherungsvertrag berufen und seinen Anspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen direkt geltend machen zu können, für den Schutz des Opfers eines Verkehrsunfalls von großer Bedeutung ist.

Die Richtlinie 92/49

13. In den Erwägungsgründen 1, 5 bis 7 und 18 der Richtlinie 92/49 heißt es:

„(1) Der Binnenmarkt in der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) muss unter dem doppelten Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vollendet werden, um es den Versicherungsunternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft zu erleichtern, in der Gemeinschaft belegene Risiken zu decken.

(5) Der gewählte Ansatz besteht in einer wesentlichen, notwendigen und ausreichenden Harmonisierung, um zu einer gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen und der Aufsichtssysteme zu gelangen, die die Erteilung einer einheitlichen, innerhalb der ganzen Gemeinschaft gültigen Zulassung sowie die Anwendung des Grundsatzes der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat erlaubt.

(6) Folglich hängen künftig der Zugang zum Versicherungsgeschäft und die Ausübung des Versicherungsgeschäfts von einer einheitlichen Zulassung ab, die von den Behörden des Mitgliedstaats erteilt wird, in dem das Versicherungsunternehmen seinen Sitz hat. Diese Zulassung erlaubt es dem Unternehmen, überall in der Gemeinschaft im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit Geschäfte zu betreiben. …

(7) Die Aufsicht über die finanzielle Solidität des Versicherungsunternehmens, insbesondere über seine Solvabilität und die Bildung ausreichender versicherungstechnischer Rückstellungen sowie deren Bedeckung durch kongruente Vermögenswerte, ist künftig von den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats wahrzunehmen.

(18) Die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts ist keine Vorbedingung für die Verwirklichung des Binnenmarktes im Versicherungssektor. Die den Mitgliedstaaten belassene Möglichkeit, die Anwendung ihres eigenen Rechts für Versicherungsverträge vorzuschreiben, die in ihrem Staatsgebiet belegene Risiken decken, stellt deshalb eine hinreichende Sicherung für diejenigen Versicherungsnehmer dar, die einen besonderen Schutz benötigen.“

14. Im Titel II („Aufnahme der Versicherungstätigkeit“) der Richtlinie 92/49 bestimmt Art. 6:

„Artikel 8 der [Ersten] Richtlinie 73/239/EWG [des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (ABl. L 228, S. 3)] erhält folgende Fassung:

‚…

… [D]ie Mitgliedstaaten [sehen] keine Vorschriften vor, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstigen Druckstücke, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, verlangt wird.

Die Mitgliedstaaten dürfen die vorherige Mitteilung oder die Genehmigung der vorgeschlagenen Tarifanhebungen nur als Element eines allgemeinen Preiskontrollsystems beibehalten oder einführen.

…‘“

15. Im Titel III („Harmonisierung der Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit“) dieser Richtlinie sieht Art. 9 vor:

„Artikel 13 der Richtlinie 73/239/EWG erhält folgende Fassung:

‚…

(1) Die Finanzaufsicht über ein Versicherungsunternehmen, einschließlich der Tätigkeiten, die es über Zweigniederlassungen und im Dienstleistungsverkehr ausübt, liegt in der alleinigen Zuständigkeit des Herkunftsmitgliedstaats.

(2) Die Finanzaufsicht umfasst für die gesamte Geschäftstätigkeit des Versicherungsunternehmens insbesondere die Prüfung seiner Solvabilität und der Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen und repräsentativer Vermögenswerte gemäß den in dem Herkunftsmitgliedstaat bestehenden Regelungen oder Praktiken aufgrund von auf Gemeinschaftsebene erlassenen Vorschriften.

…‘“

16. In Art. 11 der Richtlinie heißt es:

„In Artikel 19 der Richtlinie 73/239/EWG erhalten die Absätze 2 und 3 folgende Fassung:

‚…

(3) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Vorschriften, damit die zuständigen Behörden über die Befugnisse und Mittel verfügen, die zur Überwachung der Tätigkeiten der Versicherungsunternehmen mit Sitz in ihrem Staatsgebiet – einschließlich der außerhalb dieses Gebiets ausgeübten Tätigkeiten – gemäß den Richtlinien des Rates über diese Tätigkeiten und im Hinblick auf deren Anwendung erforderlich sind.

Diese Befugnisse und Mittel müssen den zuständigen Behörden vor allem die Möglichkeit geben,

b) gegenüber dem Unternehmen, den für seine Leitung Verantwortlichen oder den das Unternehmen kontrollierenden Personen alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der Geschäftsbetrieb mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die das Unternehmen jeweils in den Mitgliedstaaten zu beachten hat, … in Einklang bleibt …

…‘“

17. Art. 29 der Richtlinie 92/49 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen keine Vorschriften vor, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstigen Druckstücke, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, verlangt wird. Um die Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften über die Versicherungsverträge zu überwachen, können sie nur die nicht-systematische Übermittlung dieser Bedingungen und sonstigen Dokumente verlangen, ohne dass dies für das Unternehmen eine Voraussetzung für die Ausübung seiner Tätigkeit darstellen darf.

Die Mitgliedstaaten dürfen die vorherige Mitteilung oder die Genehmigung der vorgeschlagenen Tariferhöhungen nur als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems beibehalten oder einführen.“

18. Im Titel IV („Bestimmungen über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr“) dieser Richtlinie bestimmt Art. 39 Abs. 2 und 3:

„(2) Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung oder der Dienstleistung sieht keine Vorschriften vor, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstigen Druckstücke, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, verlangt wird. Um die Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften über die Versicherungsverträge zu überwachen, kann er von jedem Unternehmen, das in seinem Staatsgebiet im Rahmen der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit tätig werden will, nur die nicht-systematische Übermittlung dieser Bedingungen und sonstigen Dokumente verlangen, ohne dass dies für das Unternehmen eine Voraussetzung für die Ausübung seiner Tätigkeit darstellen darf.

(3) Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung oder der Dienstleistung darf die vorherige Mitteilung oder die Genehmigung der vorgeschlagenen Tariferhöhungen nur als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems beibehalten oder einführen.“

19. Art. 40 der Richtlinie sieht vor:

„…

(3) Stellen die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats fest, dass ein Unternehmen, das im Gebiet dieses Mitgliedstaats eine Zweigniederlassung hat oder Dienstleistungen erbringt, die in diesem Mitgliedstaat für das Unternehmen geltenden Rechtsvorschriften nicht einhält, so fordern sie das Unternehmen auf, diese Unregelmäßigkeit abzustellen.

(4) Trifft das Unternehmen nicht die erforderlichen Maßnahmen, so machen die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaats hiervon den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats Mitteilung. Diese treffen unverzüglich alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit das Unternehmen diese Unregelmäßigkeit abstellt. Die Art dieser Maßnahmen wird den zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaats mitgeteilt.

(5) Verletzt das Unternehmen trotz der Maßnahmen des Herkunftsmitgliedstaats – oder weil sich die Maßnahmen als unzureichend erweisen oder der betreffende Staat keine Maßnahmen getroffen hat – weiterhin die in dem betroffenen Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften, so kann dieser nach Unterrichtung der zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats die geeigneten Maßnahmen treffen, um weitere Unregelmäßigkeiten zu verhindern oder zu ahnden, und, soweit unbedingt erforderlich, das Unternehmen daran zu hindern, weitere Versicherungsverträge in seinem Staatsgebiet abzuschließen. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die für diese Maßnahmen erforderlichen Zustellungen an die Versicherungsunternehmen in ihrem Staatsgebiet möglich sind.

(6) Die Absätze 3, 4 und 5 berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, in dringenden Fällen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Unregelmäßigkeiten in ihrem Staatsgebiet zu verhindern oder zu ahnden. Dies schließt die Möglichkeit ein, ein Versicherungsunternehmen zu hindern, weitere neue Versicherungsverträge in ihrem Staatsgebiet abzuschließen.

(7) Die Absätze 3, 4 und 5 berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Verstöße in ihrem Staatsgebiet zu ahnden.

…“

Nationales Recht

20. Art. 11 Abs. 1 der Legge Nr. 990 riguardante assicurazione obbligatoria della responsabilità civile derivante dalla circolazione dei veicoli a motore e dei natanti (Gesetz über die Kraftfahrzeug- und Wasserfahrzeug-Haftpflichtversicherung) vom 24. Dezember 1969 (GURI Nr. 2 vom 3. Januar 1970) in der während des Vorverfahrens geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 990/69) verpflichtet die Versicherungsunternehmen zum Abschluss von Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen auf Ersuchen jedes potenziellen Kunden. Er bestimmt:

„Die Unternehmen sind verpflichtet, die ihnen übermittelten Angebote auf Abschluss einer Haftpflichtversicherung entsprechend den von ihnen im Voraus für alle Risiken aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen oder Wasserfahrzeugen festzulegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen und den Tarifen anzunehmen.“

21. Dieser Kontrahierungszwang wurde im Wesentlichen in Art. 132 des durch das Decreto legislativo Nr. 209 vom 7. September 2005 eingeführten und am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Codice delle assicurazioni private (Privatversicherungsgesetzbuch) beibehalten (GURI Nr. 239, Supplemento ordinario, vom 13. Oktober 2005, im Folgenden: Privatversicherungsgesetzbuch). Art. 132 des Versicherungsgesetzbuchs bestimmt:

„1. Unbeschadet einer notwendigen Überprüfung der Richtigkeit der in der Bescheinigung über den Schadensverlauf enthaltenen Angaben sowie der Identität des Versicherungsnehmers und des Fahrzeugeigentümers, wenn dieser nicht der Versicherungsnehmer ist, sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, die ihnen übermittelten Angebote auf Abschluss einer Haftpflichtversicherung entsprechend den von ihnen im Voraus für alle Risiken aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen und Wasserfahrzeugen festzulegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifen anzunehmen.

2. Die Versicherungsunternehmen können verlangen, dass zum Zwecke der Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Abs. 1 die Zulassung auf das Fuhrparkgeschäft beschränkt wird.“

22. Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 lautet:

„Zur Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Abs. 1 berechnen die Unternehmen bei der Kalkulation ihrer Tarife die reinen Prämien und Aufschläge separat nach Maßgabe ihrer versicherungstechnischen Grundlagen, die ausreichend umfassend sein und sich auf mindestens fünf Geschäftsjahre erstrecken müssen. Stehen solche Grundlagen nicht zur Verfügung, können die Unternehmen Marktstatistiken zugrunde legen. Stellt das ISVAP [Istituto per la vigilanza sulle assicurazioni private e di interesse collettivo (Institut zur Kontrolle der Privatversicherungen und des Allgemeininteresses)] eine Umgehung des Kontrahierungszwangs bezüglich bestimmter geografischer Gebiete oder bestimmter Kategorien von Versicherungsnehmern fest, wird ein Bußgeld in Höhe von 3 % der in der letzten geprüften Bilanz ausgewiesenen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsprämie, mindestens jedoch in Höhe von 1 Million Euro und höchstens in Höhe von 5 Millionen Euro, verhängt. Bei wiederholter Umgehung des Kontrahierungszwangs kann die Zulassung zur Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung entzogen werden.“

23. Die wesentlichen Teile dieser Vorschrift wurden in den Art. 35 Abs. 1 und 314 Abs. 2 des Privatversicherungsgesetzbuchs übernommen.

24. In Art. 12a des Gesetzes Nr. 990/69 heißt es:

„1. Zur Gewährleistung von Transparenz und Wettbewerb beim Angebot von Versicherungsdienstleistungen und zur angemessenen Information der Nutzer veröffentlichen Unternehmen, die im Bereich der Kraftfahrzeug- und Wasserfahrzeug-Haftpflichtversicherung tätig sind, die im Staatsgebiet der Italienischen Republik geltenden Tarife sowie die dort verwendeten Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen.

2. Die von den einzelnen Versicherungsunternehmen festgelegten Tarife für Versicherungsnehmer in der Kategorie mit dem höchsten Bonus in den vergangenen zwei Jahren müssen im gesamten Staatsgebiet einheitlich sein.

3. Die Bekanntmachung der Tarife und Geschäftsbedingungen nach Abs. 1 erfolgt in jeder Vertriebsstelle des Versicherungsunternehmens und durch Internetportale, so dass die Nutzer Prämien berechnen und sich über die Versicherungsbedingungen … informieren können.

5. Die fehlerhafte oder unvollständige Erfüllung der in den Abs. 1 und 3 genannten Pflichten wird mit einem Bußgeld in Höhe von 2 600 Euro bis 10 300 Euro geahndet. Im Falle einer Unterlassung oder eines Verzugs von mehr als 30 Tagen wird das Bußgeld verdoppelt.“

25. Diese Bestimmungen wurden im Wesentlichen in den Art. 131 und 313 des Privatversicherungsgesetzbuchs übernommen.

26. Schließlich bestimmt Art. 12c Abs. 1 des Gesetzes Nr. 990/69:

„1. Die Nichterfüllung oder Umgehung der gemäß Art. 11 bezüglich Kraftfahrzeug- und Wasserfahrzeug-Haftpflichtversicherungen bestehenden Pflicht eines Versicherungsunternehmens zur Annahme eines Angebots interessierter Versicherungsnehmer zum Vertragsschluss wird mit einem Bußgeld geahndet …“

27. Entsprechend lautet Art. 314 Abs. 1 des Privatversicherungsgesetzbuchs:

„Die Nichterfüllung oder Umgehung des in Art. 132 Abs. 1 geregelten Kontrahierungszwangs wird mit einem Bußgeld in Höhe von 1 500 Euro bis 4 500 Euro geahndet.“

II – Das Vorverfahren

28. Mit Schreiben vom 22. März 2004 machte die Kommission die Italienische Republik auf das Problem der Vereinbarkeit des Gesetzes Nr. 990/69 und der Durchführung dieses Gesetzes durch das ISVAP mit den Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49 aufmerksam. Sie wies dazu darauf hin, dass sie von Versicherungsunternehmen Beschwerden über die vom ISVAP mit der Begründung, dass der Kontrahierungszwang nach Art. 11 Abs. 1 dieses Gesetzes durch die Festlegung überhöhter Tarife umgangen worden sei, verhängten Geldbußen erhalten habe.

29. Mit Schreiben vom 8. Juni 2004 erwiderte die Italienische Republik, dass das Gesetz Nr. 990/69 und seine Durchführung durch das ISVAP mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien. Sie erläuterte, dass das Gesetz Nr. 990/69 weder eine vorherige Genehmigung der Tarife noch eine systematische Übermittlung dieser Tarife an das ISVAP verlange. Dieses Gesetz lasse den Versicherungsunternehmen die Freiheit, ihre Tarife auszuwählen, während es den Verbrauchern garantiere, die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abschließen zu können. Sie betonte den sozialen Charakter der Haftpflicht für Schäden, die durch den Kraftfahrzeugverkehr entstehen.

30. Mit Schreiben vom 9. Juli 2004 forderte die Kommission die Italienische Republik offiziell auf, ihre Stellungnahme zur Vereinbarkeit von Art. 11 Abs. 1 und 1a, Art. 12a und Art. 12c des Gesetzes Nr. 990/69, in der Art, in der sie vom ISVAP ausgelegt und angewendet werden, mit der Richtlinie 92/49 abzugeben.

31. Mit Schreiben vom 31. August 2004 übermittelte die Italienische Republik ihre Stellungnahme, die im Wesentlichen dem Schreiben vom 8. Juni 2004 entsprach.

32. Am 22. Dezember 2004 übersandte die Kommission ein ergänzendes Mahnschreiben, in dem sie ausführte, dass nach den im Urteil des Gerichtshofs vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C‑442/02, Slg. 2004, I‑8961), dargelegten Grundsätzen der Kontrahierungszwang auch mit den Art. 43 EG und 49 EG unvereinbar sei. Der Italienischen Republik wurde eine Frist von einem Monat eingeräumt, um sich zu diesem ergänzenden Mahnschreiben zu äußern.

33. Da eine Antwort auf das ergänzende Mahnschreiben ausblieb, richtete die Kommission am 18. Oktober 2005 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Italienische Republik, in der sie die in den beiden Mahnschreiben vorgetragenen Rügen wiederholte und den Mitgliedstaat aufforderte, der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.

34. Mit Schreiben vom 3. November 2005 teilte die Italienische Republik mit, dass das Privatversicherungsgesetzbuch veröffentlicht worden sei.

35. Die Italienische Republik beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 30. Dezember 2005 und wiederholte, dass die nationale Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

36. Angesichts der Antwort der Italienischen Republik hielt es die Kommission für erforderlich, ihre Rügen genauer auszuführen, und sandte daher am 10. April 2006 eine weitere mit Gründen versehene Stellungnahme. Der Mitgliedstaat wurde aufgefordert, dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.

37. Mit Schreiben vom 16. Mai 2006 beantwortete die Italienische Republik die weitere mit Gründen versehene Stellungnahme. Sie wiederholte ihr Vorbringen, dass das italienische Recht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

38. Da die Antwort der Italienischen Republik die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

39. Mit Klageschrift, die am 20. Dezember 2006 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben und beantragt, die in Randnr. 1 des vorliegenden Urteils angeführten Feststellungen zu treffen und der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

40. Die Italienische Republik beantragt, die Klage abzuweisen.

41. Mit Beschluss vom 21. Juni 2007 hat der Präsident des Gerichtshofs die Republik Finnland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Italienischen Republik zugelassen.

Zur Klage

42. In ihrer Erwiderung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass die der Italienischen Republik hauptsächlich vorgeworfene Verletzung des Gemeinschaftsrechts die Unvereinbarkeit des Kontrahierungszwangs mit den Art. 43 EG und 49 EG sei. Diese Rüge ist daher zuerst zu behandeln.

Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Art. 43 EG und 49 EG durch den Kontrahierungszwang

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

43. Die Kommission trägt vor, dass der für alle im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung tätigen Versicherungsunternehmen jedem Fahrzeugeigentümer gegenüber geltende Kontrahierungszwang sowie die dem ISVAP eingeräumte Möglichkeit, im Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung, Sanktionen zu verhängen, mit den Art. 43 EG und 49 EG unvereinbar sei.

44. Dieser Kontrahierungszwang halte in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Versicherungsunternehmen davon ab, sich in Italien niederzulassen oder dort ihre Dienste zu erbringen, und behindere damit den Zugang zum italienischen Markt. Insbesondere würden diese Unternehmen daran gehindert, ihre Angebote von Versicherungsleistungen und die Empfänger dieser Leistungen selbst zu bestimmen. Somit seien sie gezwungen, in Bezug auf ihre Geschäftsstrategie unverhältnismäßig hohe Kosten zu tragen. Diese Kosten seien umso bedeutender für die Unternehmen, die in Italien nur sporadisch tätig werden wollten.

45. Die beschränkende Wirkung des Kontrahierungszwangs sei mit der im Urteil CaixaBank France des Gerichtshofs festgestellten vergleichbar.

46. Der Kontrahierungszwang sei nicht gerechtfertigt und in Bezug auf das verfolgte Ziel unverhältnismäßig.

47. Was das von der Italienischen Republik genannte Ziel, den Schutz der Fahrzeugeigentümer, betrifft, räumt die Kommission ein, dass der Kontrahierungszwang dazu beitrage, sicherzustellen, dass ein Fahrzeugeigentümer ein Versicherungsunternehmen finde, das dazu bereit sei, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen. Der Kontrahierungszwang gehe jedoch über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Ziels des Verbraucherschutzes erforderlich sei, da er den Versicherungsunternehmen im Hinblick auf alle Fahrzeugeigentümer im gesamten italienischen Staatsgebiet auferlegt werde, obwohl die Italienische Republik Schwierigkeiten angeführt habe, ein Versicherungsunternehmen zu finden, das zum Abschluss einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in einem konkreten geografischen Gebiet und für eine bestimmte Personengruppe bereit sei, nämlich Süditalien und Führerscheinneulinge.

48. In Bezug auf das ebenfalls von der Italienischen Republik geltend gemachte Ziel der Gewährleistung einer angemessenen Entschädigung für Verkehrsunfallopfer ist die Kommission der Ansicht, dass dies bereits durch die den Fahrzeugeigentümern nach Umsetzung von Art. 3 der Richtlinie 72/166 auferlegte Verpflichtung, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen, und durch das Bestehen eines Garantiefonds in jedem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 84/5 erreicht werde.

49. Schließlich bemerkt die Kommission, dass es in anderen Mitgliedstaaten weniger einschränkende Regelungen gebe, um dieselben Ergebnisse zu erzielen, die mit der italienischen Vorschrift erreicht werden sollten. Sie erwähnt dabei das sowohl in Belgien als auch in Frankreich errichtete Bureau central de tarification, das Consorcio de Compensación de Seguros in Spanien, das Konsortium der Hauptversicherungsunternehmen in den Niederlanden und das in Portugal eingerichtete System der Mitversicherung.

50. Die Italienische Republik erinnert daran, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, obwohl sie eine Versicherung privater Art sei, von sozialen Zwecken geleitet werde, vor allem dem Zweck, sicherzustellen, dass Verkehrsunfallopfer entschädigt würden. Das sei der Grund, aus dem Fahrzeugeigentümer verpflichtet worden seien, eine Versicherung zur Entschädigung Dritter abzuschließen.

51. Durch die Entscheidung, diese Verpflichtung zum Vertragsabschluss sowohl den Versicherungsunternehmen als auch den Benutzern von Kraftfahrzeugen aufzuerlegen, habe die Italienische Republik zum einen die Versicherungsnehmer in ihrer Eigenschaft als Verbraucher gegen Diskriminierung im Bereich des Zugangs zur Pflichtversicherung und der Freizügigkeit und zum anderen die Opfer von Verkehrsunfällen maximal schützen wollen.

52. Nach Ansicht der Italienischen Republik dürfen diese Zwecke durch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung nicht vereitelt werden. Wenn der Gerichtshof die Begründung der Kommission akzeptieren sollte, würde die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung eine Versicherung, die ausschließlich den Gesetzen des Marktes folgte, und verlöre ihren sozialen Charakter.

53. Ferner betont sie, dass der Kontrahierungszwang keine abschreckende Wirkung auf Versicherungsunternehmen habe, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen seien und auf den italienischen Markt vordringen wollten.

54. Für den Fall, dass der Gerichtshof trotzdem entscheiden sollte, dass der Kontrahierungszwang die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr beeinträchtige, wird geltend gemacht, dass diese Verpflichtung zur Erreichung der genannten Ziele des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Verkehrsunfallopfer geeignet sei.

55. Außerdem stehe der Kontrahierungszwang im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Entgegen dem Vorbringen der Kommission sei es weder praktikabel noch rechtmäßig, den Kontrahierungszwang auf bestimmte Gebiete Italiens oder bestimmte Verbrauchergruppen zu beschränken. Eine Begrenzung des Kontrahierungszwangs auf bestimmte Verbraucherkategorien werfe Fragen der Diskriminierung auf, während eine geografische Begrenzung dieser Verpflichtung die Versicherungsunternehmen dazu verleite, nicht in Gebieten tätig zu werden, in denen der Kontrahierungszwang gilt.

56. Was schließlich alternative, in anderen Mitgliedstaaten eingerichtete Mechanismen betrifft, macht die Italienische Republik geltend, dass es mangels einer harmonisierten Regelung über die Durchführung der Versicherungspflicht im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflicht jedem Mitgliedstaat freistehe, die Lösung zu wählen, die am besten zur nationalen gesellschaftlichen Situation passe. Im Übrigen habe der Gemeinschaftsgesetzgeber gerade wegen der fehlenden Homogenität der verschiedenen nationalen Situationen darüber keine Harmonisierungsregeln treffen können.

57. Die Republik Finnland führt aus, dass der Kontrahierungszwang, unabhängig von der Frage, ob dadurch die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr beschränkt werde, gerechtfertigt sei.

58. Aufgrund der Erstattung der Kosten für die Krankenhauspflege und die Rehabilitation von Verkehrsunfallopfern sowie des ihnen entstandenen Verdienstausfalls bestehe eine enge Verbindung zwischen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der sozialen Sicherheit.

59. Nach Auffassung der Republik Finnland ist der Kontrahierungszwang notwendig und für die Erreichung der angestrebten Ziele verhältnismäßig. Denn er sei für den Verbraucher das einfachste Mittel, seine gesetzliche Pflicht zu erfüllen.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs

60. Es ist unstreitig, dass der Kontrahierungszwang unterschiedslos für alle Unternehmen gilt, die in Italien Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen anbieten.

61. Die Kommission ist aber der Meinung, dass diese Verpflichtung die Niederlassung und die Erbringung von Dienstleistungen in Italien behindere, weil sie die Möglichkeiten von Versicherungsunternehmen mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat verringere, ihre marktstrategischen Entscheidungen autonom zu treffen.

62. Nach ständiger Rechtsprechung betrifft der Begriff „Beschränkung“ im Sinne von Art. 43 EG und 49 EG die Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil CaixaBank France, Randnr. 11, sowie Urteile vom 13. Dezember 2007, Kommission/Italien, C‑465/05, Slg. 2007, I‑11091, Randnr. 17, und vom 17. Juli 2008, Kommission/Frankreich, C‑389/05, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 52).

63. In Bezug auf die Frage, wann eine unterschiedslos anwendbare Maßnahme wie der hier streitige Kontrahierungszwang unter diesen Begriff fallen kann, ist daran zu erinnern, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats nicht allein deshalb eine Beschränkung im Sinne des EG-Vertrags darstellt, weil andere Mitgliedstaaten in ihrem Gebiet ansässige Erbringer gleichartiger Dienstleistungen weniger strengen oder wirtschaftlich interessanteren Vorschriften unterwerfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Mai 1995, Alpine Investments, C‑384/93, Slg. 1995, I‑1141, Randnr. 27, und vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 45).

64. Hingegen umfasst der Begriff der Beschränkung die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten betreffen und somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern (vgl. in diesem Sinne Urteile Alpine Investments, Randnrn. 35 und 38, und CaixaBank France, Randnr. 12).

65. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kontrahierungszwang keine Auswirkung auf die Anerkennung der in Randnr. 13 des vorliegenden Urteils erwähnten Zulassung durch die italienischen Behörden hat, die die Versicherungsunternehmen mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik in dem Mitgliedstaat ihres Geschäftssitzes erhalten. Sie lässt daher das aus dieser Zulassung folgende Recht auf Zugang zum italienischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsmarkt unberührt.

66. Gleichwohl stellt die Auferlegung eines Kontrahierungszwangs durch einen Mitgliedstaat wie im vorliegenden Fall eine erhebliche Einmischung in die den Wirtschaftsteilnehmern grundsätzlich zustehende Vertragsfreiheit dar.

67. In einem Bereich wie dem Versicherungssektor betrifft eine solche Maßnahme den Marktzugang der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere wenn sie die Versicherungsunternehmen nicht nur dazu verpflichtet, alle Risiken zu übernehmen, die ihnen angeboten werden, sondern auch eine maßvolle Tarifgestaltung verlangt wird.

68. Da er die Versicherungsunternehmen, die auf dem italienischen Markt tätig werden, verpflichtet, jeden möglichen Kunden aufzunehmen, kann dieser Kontrahierungszwang nämlich in Bezug auf Organisation und Investitionen bedeutende zusätzliche Belastungen für diese Unternehmen mit sich bringen.

69. Damit sie auf dem italienischen Markt unter Bedingungen tätig werden können, die im Einklang mit dem italienischen Recht stehen, müssen diese Unternehmen ihre Geschäftspolitik und -strategie überdenken, u. a. indem sie ihr Angebot an Versicherungsleistungen erheblich erweitern.

70. Da der Kontrahierungszwang für diese Unternehmen Anpassungen und Kosten von solchem Umfang nach sich zieht, wird der Zugang zum italienischen Markt durch diese Verpflichtung weniger attraktiv gemacht und verringert im Fall des Zugangs die Möglichkeit der betroffenen Unternehmen, ohne Weiteres mit den traditionell in Italien ansässigen Unternehmen wirksam in Wettbewerb zu treten (vgl. in diesem Sinne Urteil CaixaBank France, Randnrn. 13 und 14).

71. Folglich beschränkt der Kontrahierungszwang die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr.

– Zur Rechtfertigung der Beschränkung

72. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs kann zugelassen werden, wenn sich erweist, dass sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 61, vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C‑250/06, Slg. 2007, I‑11135, Randnr. 39, und vom 1. April 2008, Regierung der Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Randnr. 55).

73. Die Italienische Republik hat sich zur Rechtfertigung des Kontrahierungszwangs auf mehrere Ziele berufen, darunter den sozialen Schutz von Verkehrsunfallopfern.

74. Dieses Ziel des sozialen Schutzes, das sich im Wesentlichen als Garantie einer angemessenen Entschädigung dieser Opfer darstellt, kann als zwingender Grund des Allgemeininteresses berücksichtigt werden.

75. Wie sich nämlich aus den in den Randnrn. 3 bis 12 des vorliegenden Urteils genannten Gemeinschaftsvorschriften ergibt und wie die Italienische Republik und die Republik Finnland vorgetragen haben, ist es gerade das Ziel der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, die Entschädigung von Verkehrsunfallopfern zu garantieren.

76. Aus denselben Rechtsvorschriften ergibt sich, dass diese Entschädigung hauptsächlich durch die mit den Versicherungsunternehmen geschlossenen Verträge finanziert wird, während der in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Garantiefonds nur subsidiär zur Entschädigung von Verkehrsunfallopfern dient, vor allem in dem Fall, dass ein Verkehrsunfall von einem Fahrzeug verursacht wurde, für das die Versicherungspflicht nicht erfüllt war.

77. Art. 3 der Richtlinie 72/166 verpflichtet die Mitgliedstaaten daher, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, damit ihre Staatsangehörigen die Verpflichtung zum Abschluss einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erfüllen.

78. Eines der Mittel, das es den Mitgliedstaaten ermöglicht, diese Verpflichtung nach Art. 3 der Richtlinie 72/166 zu erfüllen, besteht darin, dafür zu sorgen, dass jeder Fahrzeugeigentümer in der Lage ist, eine solche Versicherung zu einem nicht überhöhten Tarif abzuschließen.

79. In dieser Hinsicht greift das Argument der Kommission, dass das Ziel des sozialen Schutzes von Verkehrsunfallopfern jedenfalls durch das Bestehen eines Garantiefonds in jedem Mitgliedstaat erreicht werde, nicht durch.

80. Das Bestehen eines Garantiefonds gewährleistet zwar, dass die Opfer von Unfällen entschädigt werden, die von Fahrzeugen verursacht wurden, für die die Versicherungspflicht nicht erfüllt war. Es ist daher unstreitig, dass selbst bei Fehlen eines Kontrahierungszwangs, wie er von der Italienischen Republik eingeführt wurde, jedes Verkehrsunfallopfer eine Entschädigung erhält.

81. Wie jedoch bereits in Randnr. 76 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, ergibt sich aus dem Gemeinschaftsrecht ebenfalls, dass das Bestehen einer individuellen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Möglichkeit, diese unmittelbar gegenüber dem Versicherungsunternehmen geltend zu machen, die Hauptgrundlage für den Schutz von Verkehrsunfallopfern bilden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, die verhindern sollen, dass Fahrzeugeigentümer außerstande sind, ihre Pflicht, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen, zu erfüllen.

82. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass sich der in Rede stehende Kontrahierungszwang dazu eignet, zur Durchführung der Gemeinschaftsregelung über die Pflicht jedes Fahrzeugeigentümers, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen, und damit zur Verwirklichung des Ziels dieser Regelung, eine angemessene Entschädigung von Verkehrsunfallopfern zu garantieren, beizutragen.

83. Zur Frage, ob der in der Italienischen Republik geltende Kontrahierungszwang über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels des sozialen Schutzes von Verkehrsunfallopfern notwendig ist, ist zunächst daran zu erinnern, dass es nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht unbedingt notwendig ist, dass die von den Behörden eine Mitgliedstaats angeordnete beschränkende Maßnahme in Bezug auf die Art des Schutzes des berechtigten Interesses einer Auffassung entspricht, die von allen anderen Mitgliedstaaten geteilt wird.

84. Die Situation des Straßenverkehrs und die Ziele des öffentlichen Interesses in diesem Bereich weichen nämlich von einem Mitgliedstaat zum anderen ab. Folglich ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum in diesem Bereich zuzuerkennen. Zwar obliegt dem Mitgliedstaat, der sich zur Rechtfertigung einer Beschränkung im Sinne des Vertrags auf ein zwingendes Erfordernis beruft, der Nachweis, dass seine Regelung angemessen und zur Erreichung des angestrebten legitimen Ziels erforderlich ist. Diese Beweislast geht jedoch nicht so weit, dass er positiv belegen müsste, dass sich dieses Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen lasse (Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien, C‑110/05, Slg. 2009, I‑0000, Randnrn. 65 und 66).

85. Daher kann dadurch, dass manche Mitgliedstaaten – um zu gewährleisten, dass jeder Fahrzeugeigentümer zu einem nicht überhöhten Tarif eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abschließen kann – ein System eingerichtet haben, das sich von dem der Italienischen Republik unterscheidet, nicht nachgewiesen werden, dass der Kontrahierungszwang über das hinausgeht, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist. Die von der Kommission gelieferten Erklärungen zu den in manchen anderen Mitgliedstaaten eingerichteten Systemen ermöglichen außerdem nicht die Schlussfolgerung, dass diese Systeme letztlich weniger beschränkend und für Versicherungsunternehmen vorteilhafter sind als der vom italienischen Gesetzgeber eingerichtete Kontrahierungszwang.

86. Weiter ist das Vorbringen der Kommission zu prüfen, dass es unverhältnismäßig sei, die Versicherungsunternehmen einem Kontrahierungszwang in Bezug auf alle potenziellen Kunden für das gesamte italienische Staatsgebiet zu unterwerfen.

87. Dazu hat die Italienische Republik ausgeführt, ohne dass die Kommission in diesem Punkt widersprochen hätte, dass im südlichen Teil ihres Staatsgebiets schwierige Umstände vorlägen, die eine korrigierende Maßnahme von Seiten der öffentlichen Gewalt erforderten, damit die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung unter Umständen erbracht werden könne, die sowohl für die Versicherungsnehmer als auch für die Versicherungsunternehmen annehmbar seien.

88. Insbesondere zeigt sich, dass die den Versicherungen gemeldete Zahl der Verkehrsunfälle in bestimmten Gebieten im Süden Italiens besonders hoch ist. Diese Situation hat zu einer beträchtlichen Erhöhung des finanziellen Risikos der Versicherungsunternehmen in diesem Gebiet geführt.

89. Unter diesen Umständen konnte es die Italienische Republik als angemessen ansehen, alle Unternehmen, die in ihrem Staatsgebiet tätig sind, in Bezug auf jeden in Italien ansässigen Fahrzeugeigentümer einem Kontrahierungszwang zu unterwerfen, damit verhindert wird, dass sich diese Unternehmen aus dem südlichen Teil Italiens zurückziehen und dadurch den Fahrzeugeigentümern, die dort ansässig sind, die Möglichkeit nehmen, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen, obgleich diese obligatorisch ist.

90. Im Übrigen ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 und aus Art. 35 Abs. 1 des Privatversicherungsgesetzbuchs, dass die Republik Italien den Versicherungsunternehmen mit dieser Maßnahme nicht verboten hat, differenzierte Tarife nach Maßgabe von Statistiken über die durchschnittlichen Kosten je Risiko innerhalb von hinreichend weit bestimmten Kategorien von Versicherten anzubieten.

91. Insbesondere ist es unstreitig, dass der Kontrahierungszwang die Versicherungsunternehmen nicht daran hindert, für einen Versicherungsnehmer, der in einem Gebiet mit hoher Unfallzahl ansässig ist, einen höheren Tarif zu berechnen als für einen Versicherungsnehmer, der in einem Gebiet mit einem weniger hohen Risiko lebt.

92. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Begrenzung des Kontrahierungszwangs nur auf den südlichen Teil des italienischen Staatsgebiets, wie die Italienische Republik geltend macht, eine rechtlich zweifelhafte Situation schaffen würde, da Fahrzeugeigentümer, die in anderen Gebieten Italiens ansässig sind, eine Ungleichbehandlung rügen könnten, wenn sie in einem Gebiet, in dem es keinen Kontrahierungszwang gibt, Schwierigkeiten hätten, ein Versicherungsunternehmen zu finden, das bereit ist, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abzuschließen.

93. Aus alledem ergibt sich, dass der Kontrahierungszwang geeignet ist, die Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich ist.

94. Daraus folgt, dass die Rüge eines Verstoßes gegen die Art. 43 EG und 49 EG zurückzuweisen ist.

Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49 wegen der Kriterien, die bei der Berechnung der Versicherungsprämien zu berücksichtigen sind, und wegen der rückwirkenden Kontrolle, der diese Prämien unterworfen sind

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

95. Nach Ansicht der Kommission ergibt sich aus der etwaigen Feststellung, dass der Kontrahierungszwang nach Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 990/69 mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, zwangsläufig, dass Art. 11 Abs. 1a dieses Gesetzes mit den Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49 unvereinbar ist. Denn wie die Italienische Republik selbst ausgeführt habe, dienten die zur Berechnung der Versicherungsprämien festgelegten Kriterien dazu, die Einhaltung des Kontrahierungszwangs zu gewährleisten.

96. Vor allem die Verpflichtung der Versicherungsunternehmen, die Versicherungsprämien nach Maßgabe ihrer „versicherungstechnischen Grundlagen, die ausreichend umfassend sein und sich auf mindestens fünf Geschäftsjahre erstrecken müssen“, festzulegen und sie einem bestimmten Marktdurchschnitt anzupassen, sowie der Umstand, dass diese Prämien einer rückwirkenden Kontrolle unterworfen seien, und die Befugnis des ISVAP, Sanktionen in beträchtlicher Höhe zu erlassen, stellten einen Verstoß gegen den Grundsatz der in diesen Artikeln der Richtlinie 92/49 genannten Tariffreiheit dar.

97. Die Italienische Republik bemerkt, dass die in dem Gesetz Nr. 990/69 festgelegten Tarifgrundsätze einzig der Entwicklung Einhalt gebieten sollten, dass bestimmte Versicherungsunternehmen Verbraucher davon abbrächten, bei ihnen einen Versicherungsvertrag abzuschließen, indem sie einen übermäßig hohen Tarif berechneten. Diese Grundsätze entsprächen den allgemeinen technischen Regeln zur Ausarbeitung von Tarifen und den versicherungsmathematischen Grundsätzen, die die Versicherungsunternehmen befolgten.

98. Diese Bestimmungen verpflichteten die Versicherungsunternehmen keineswegs, Preise in der Höhe des Marktdurchschnitts anzubieten oder nicht erheblich von den im Laufe von fünf Jahren verwendeten Tarifen abzuweichen. Die Unternehmen legten ihre Tarife auf der Grundlage der Entwicklung fest, die sie in der Vergangenheit festgestellt hätten, und hätten das Recht, das Niveau der Versicherungsprämien wegen einer negativen Entwicklung hinsichtlich der Schadensfälle sogar erheblich zu erhöhen.

99. In Bezug auf das ISVAP bemerkt die Italienische Republik, dass diese Behörde nur gegen Unternehmen vorgehe, die Versicherungsprämien ohne jede gültige technische Rechtfertigung vorschrieben, was offenkundigen Tarifmissbrauch und Versicherte diskriminierendes Verhalten widerspiegle. Sie hebt hervor, dass es sich in den Fällen, in denen das ISVAP einschreite, nicht um bloß erhöhte Tarife handle, sondern um eine wirklich anormale Tarifgestaltung, die einen Versicherungsschutz verweigern solle. So seien bestimmten Verbrauchern jährliche Prämien von über 7 000 Euro vorgeschlagen worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

100. Die Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49 untersagen es einem Mitgliedstaat, ein System der vorherigen Genehmigung oder der systematischen Übermittlung von Tarifen einzuführen, die ein Versicherungsunternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern in seinem Staatsgebiet zu verwenden beabsichtigt.

101. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, hatte der Gemeinschaftsgesetzgeber somit die Absicht, den Grundsatz der Tariffreiheit im Versicherungssektor (mit Ausnahme der Lebensversicherung) einschließlich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zu gewährleisten (Urteile vom 25. Februar 2003, Kommission/Italien, C‑59/01, Slg. 2003, I‑1759, Randnr. 29, und vom 7. September 2004, Kommission/Luxemburg, C‑346/02, Slg. 2004, I‑7517, Randnr. 21).

102. Im vorliegenden Fall verpflichten Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 und Art. 35 Abs. 1 des Privatversicherungsgesetzbuchs die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer, die reinen Prämien und Aufschläge separat nach ihren versicherungstechnischen Grundlagen, die ausreichend umfassend sein und sich auf mindestens fünf Geschäftsjahre erstrecken müssen, zu berechnen.

103. Zur Frage, ob diese Vorschrift mit dem oben erwähnten Grundsatz der Tariffreiheit vereinbar ist, ist erstens festzustellen, dass mit dieser Vorschrift kein System der vorherigen Genehmigungen oder der systematischen Übermittlung von Tarifen eingeführt wird.

104. Zweitens sind die Versicherungsunternehmen entgegen dem Vorbringen der Kommission nach dieser Vorschrift nicht verpflichtet, ihre Tarife nach dem Marktdurchschnitt zu richten. Ganz im Gegenteil sehen Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 und Art. 35 Abs. 1 des Privatversicherungsgesetzbuchs vor, dass die Versicherungsunternehmen ihre Tarife im Einklang mit ihren versicherungstechnischen Grundlagen berechnen, wobei klargestellt wird, dass die Unternehmen marktstatistische Daten zugrunde legen können, wenn solche Grundlagen nicht zur Verfügung stehen.

105. Drittens ist festzustellen, dass, soweit Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 und Art. 35 Abs. 1 des Privatversicherungsgesetzbuchs Auswirkungen auf die Tarife haben können, indem sie einen technischen Rahmen vorgeben, in dem die Versicherungsunternehmen ihre Prämien kalkulieren müssen, eine solche Beschränkung der Tariffreiheit nach der Richtlinie 92/49 nicht verboten ist.

106. Eine vollständige Harmonisierung auf dem Gebiet der Tarife im Bereich der Versicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung, mit der jede nationale Maßnahme ausgeschlossen wird, die Auswirkungen auf die Tarife haben kann, kann mangels eines entsprechenden vom Gemeinschaftsgesetzgeber klar geäußerten Willens nicht vermutet werden (Urteil Kommission/Luxemburg, Randnr. 24).

107. Die Kommission hat im Übrigen nicht begründet und nicht einmal behauptet, dass die vom italienischen Gesetzgeber aufgestellte Berechnungsvorschrift mit den versicherungstechnischen Ausarbeitungsregeln und den versicherungsmathematischen Grundsätzen, die im Versicherungsbereich befolgt werden, unvereinbar wäre.

108. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Rüge eines Verstoßes gegen die Art. 6, 29 und 39 der Richtlinie 92/49 zurückzuweisen ist.

Zur Rüge eines Verstoßes gegen Art. 9 der Richtlinie 92/49 wegen der Kontrolle der Modalitäten für die Berechnung der Versicherungsprämien und wegen der Verhängung von Sanktionen

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

109. Nach Ansicht der Kommission stellt die vom ISVAP nach Art. 11 Abs. 1a des Gesetzes Nr. 990/69 und letztlich nach Art. 35 Abs. 1 und Art. 314 Abs. 2 des Privatversicherungsgesetzbuchs ausgeübte Kontrolle über die Art, in der die in Italien in Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs tätigen Versicherungsunternehmen ihre Versicherungsprämien berechneten, und die Verhängung von Sanktionen eine Verletzung der in Art. 9 der Richtlinie 92/49 festgelegten Kompetenzverteilung zwischen dem Herkunftsmitgliedstaat und dem Aufnahmemitgliedstaat dar.

110. Aus dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 92/49 gehe hervor, dass der Grundsatz der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat ein wesentliches Ziel der Richtlinie sei. Jede Abweichung von diesem Grundsatz sei eng auszulegen.

111. Das streitige Eingreifen des ISVAP werde jedoch durch keine Bestimmung gerechtfertigt. Manche Vorschriften der Richtlinie 92/49, wie die Art. 11 und 40, verliehen dem Grundsatz der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat vielmehr einen sehr weiten Anwendungsbereich.

112. Nach diesen Bestimmungen müsse das ISVAP, wenn es vorhabe, wegen Prämien von Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen einzuschreiten, die von Versicherungsunternehmen mit Hauptsitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik angeboten würden, die behaupteten Unregelmäßigkeiten den Aufsichtsbehörden des Herkunftsmitgliedstaats mitteilen und sie ersuchen, geeignete Maßnahmen zur Beendigung der Verstöße zu ergreifen.

113. Die Italienische Republik bemerkt, dass das Einschreiten im tariflichen Bereich zum Verbraucherschutz nicht unter die Finanzaufsicht über Versicherungsunternehmen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 92/49 falle. Denn die Instrumente zum Schutz der finanziellen Stabilität, deren Verwendung den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats vorbehalten sei, bestünden aus der Solvabilitätsspanne und der Deckung von versicherungstechnischen Rückstellungen. Diese Instrumente hätten jedoch mit dem Schutz von Verbraucherrechten nichts zu tun.

Würdigung durch den Gerichtshof

114. Wie die Kommission bemerkt hat, wird im fünften Erwägungsgrund und in Art. 9 der Richtlinie 92/49 der Grundsatz der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat festgesetzt.

115. Wie sich aber eindeutig aus dem siebten Erwägungsgrund und Art. 9 dieser Richtlinie ergibt, erstreckt sich dieser Grundsatz nur auf die Finanzaufsicht über Versicherungsunternehmen.

116. Es ist zwar richtig, dass Art. 9 der Richtlinie 92/49 den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat nicht abschließend bestimmt, wenn es dort heißt, dass die Finanzaufsicht „insbesondere“ die Prüfung der Solvabilität und der Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen umfasst. Nichtsdestoweniger kann diese Bestimmung nicht in dem Sinn ausgelegt werden, dass dem Herkunftsmitgliedstaat nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers eine ausschließliche Kontrollbefugnis zustünde, die sich auf die Geschäftspraktiken von Versicherungsunternehmen erstreckt.

117. Demnach schließt Art. 9 die Möglichkeit von Kontrollen, wie sie vom ISVAP durchgeführt werden, nicht aus.

118. Die vorstehenden Erwägungen stehen nicht im Widerspruch zu den Art. 11 und 40 der Richtlinie 92/49, auf die sich die Kommission in ihrer Erwiderung beruft.

119. Zu Art. 11 der Richtlinie 92/49 ist zu bemerken, dass dieser eine Vorschrift der Richtlinie 73/239 abändert, die wie alle anderen Vorschriften dieses Abschnitts der Richtlinie 73/239 die finanzielle Stabilität von Versicherungsunternehmen betrifft. Die Kommission kann Art. 11 daher nicht zur Stützung ihres Vorbringens heranziehen, dass die darin geregelte Überwachungszuständigkeit über die Frage der finanziellen Stabilität hinausgehe.

120. In Bezug auf Art. 40 der Richtlinie 92/49 genügt die Feststellung, dass zum einen die Kommission der Italienischen Republik nicht vorgeworfen hat, gegen die Verpflichtungen in Art. 40 Abs. 3 bis 5 verstoßen zu haben, und zum anderen, dass Art. 40 Abs. 7 dieser Richtlinie die Befugnis des Aufnahmemitgliedstaats bestätigt, Verstöße, die in seinem Staatsgebiet begangen wurden, zu ahnden.

121. Aus allen diesen Erwägungen folgt, dass diese Rüge zurückzuweisen ist.

IV – Kosten

122. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Im vorliegenden Fall ist die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen. Da es die Italienische Republik aber unterlassen hat, die Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten zu beantragen, tragen diese und die Kommission ihre eigenen Kosten.

123. Gemäß Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, jeweils ihre eigenen Kosten. Die Republik Finnland trägt daher als Streithelferin ihre eigenen Kosten.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Italienische Republik und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.

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