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Document 62006CJ0511

    Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 9. Juli 2009.
    Archer Daniels Midland Co. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
    Rechtsmittel - Wettbewerb - Kartelle - Markt für Zitronensäure - Festsetzung der Höhe von Geldbußen - Rolle als Anführer -Verteidigungsrechte - Beweismittel aus einem Verfahren in einem Drittland - Definition des relevanten Marktes - Mildernde Umstände.
    Rechtssache C-511/06 P.

    Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-05843

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:433

    Parteien
    Entscheidungsgründe
    Tenor

    Parteien

    In der Rechtssache C‑511/06 P

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 11. Dezember 2006,

    Archer Daniels Midland Co. mit Sitz in Decatur (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt C. O. Lenz, L. Martin Alegi, E. Batchelor und M. Garcia, Solicitors, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Rechtsmittelführerin,

    andere Verfahrensbeteiligte:

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bouquet und X. Lewis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Beklagte im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Richters A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter M. Ilešič, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.‑J. Kasel,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2008,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. November 2008

    folgendes

    Urteil

    Entscheidungsgründe

    1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Archer Daniels Midland Co. (im Folgenden: ADM) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission (T‑59/02, Slg. 2006, II‑3627, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/742/EG der Kommission vom 5. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.604 – Zitronensäure) (ABl. 2002, L 239, S. 18) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit diese sie betrifft, teilweise abgewiesen hat.

    Rechtlicher Rahmen

    2. Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrags (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), bestimmte:

    „Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig:

    a) gegen Artikel [81] Absatz 1 [EG] oder Artikel [82 EG] … verstoßen,

    Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“

    3. Die Mitteilung der Kommission vom 14. Januar 1998 „Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden“ (ABl. C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien) sieht u. a. vor:

    „Die in diesen Leitlinien dargelegten Grundsätze sollen dazu beitragen, die Transparenz und Objektivität der Entscheidungen der Kommission sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber dem Gerichtshof zu erhöhen, sowie den Ermessensspielraum bekräftigen, der vom Gesetzgeber der Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen innerhalb der Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes der Unternehmen eingeräumt wurde. Dieser Ermessensspielraum muss jedoch nach zusammenhängenden, nicht diskriminierenden Leitlinien ausgefüllt werden, die im Einklang mit den bei der Ahndung der Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln verfolgten Ziele[n] stehen.

    Das neue Verfahren für die Festsetzung des Betrags der Geldbuße beruht auf folgendem Schema, dem die Errechnung eines Grundbetrags zugrunde liegt, wobei Aufschläge zur Berücksichtigung erschwerender und Abzüge zur Berücksichtigung mildernder Umstände berechnet werden können.“

    4. In Abschnitt 1 A der Leitlinien heißt es:

    „Bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sind seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Marktes zu berücksichtigen.

    Die Verstöße werden in folgende drei Gruppen unterteilt: minder schwere, schwere und besonders schwere Verstöße:

    Es wird auch nötig sein, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet.

    Bei Verstößen, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind (Kartelle), sollten in bestimmten Fällen die innerhalb der einzelnen vorstehend beschriebenen Gruppen festgesetzten Beträge gewichtet werden, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem, wenn an einem Verstoß der selben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren.“

    5. In Abschnitt 2 („Erschwerende Umstände“) der Leitlinien heißt es:

    „Erhöhung des Grundbetrags bei gewissen erschwerenden Umständen wie …:

    – Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes,

    …“

    6. Abschnitt 3 („Mildernde Umstände“) der Leitlinien sieht vor:

    „Verringerung des Grundbetrags bei mildernden Umständen wie …:

    – Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission (insbesondere Nachprüfungen),

    …“

    7. Abschnitt B („Nichtfestsetzung oder wesentlich niedrigere Festsetzung einer Geldbuße“) der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) lautet:

    „Gegenüber einem Unternehmen, das

    a) der Kommission die geheime Absprache anzeigt, bevor diese aufgrund einer Entscheidung bei den am Kartell beteiligten Unternehmen eine Nachprüfung vorgenommen hat und bereits über ausreichende Informationen verfügt, um das Bestehen des angezeigten Kartells zu beweisen,

    b) als erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind,

    c) seine Teilnahme an der rechtswidrigen Handlung spätestens zu dem Zeitpunkt eingestellt hat, zu dem es das Kartell anzeigt,

    d) der Kommission alle sachdienlichen Informationen sowie verfügbaren Unterlagen und Beweismittel über das Kartell bereitstellt und während der gesamten Dauer der Untersuchung zu einer ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit bereit ist,

    e) kein anderes Unternehmen zur Teilnahme am Kartell gezwungen noch zu der rechtswidrigen Handlung angestiftet oder bei ihrer Durchführung eine entscheidende Rolle gespielt hat,

    wird die Höhe der ohne diese Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße um mindestens 75 % niedriger festgesetzt und kann auf die Festsetzung der Geldbuße ganz verzichtet werden.“

    8. Abschnitt D („Spürbar niedrigere Festsetzung der Geldbuße“) der Mitteilung über Zusammenarbeit sieht vor:

    „1. Arbeitet ein Unternehmen mit der Kommission zusammen, ohne dass es alle Voraussetzungen erfüllt, so wird die Höhe der Geldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden wäre, um 10 bis 50 % niedriger festgesetzt.

    …“

    9. Abschnitt E Abs. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit lautet:

    „Die Entscheidung darüber, ob die in den Abschnitten B, C oder D genannten Voraussetzungen für die Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße erfüllt sind, wird zusammen mit der endgültigen Entscheidung der Kommission in dem betreffenden Kartellfall getroffen. Da die genannten Voraussetzungen für die Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße während der gesamten Verfahrensdauer erfüllt werden können, ist es nicht angebracht, darüber vor Beendigung des Verwaltungsverfahrens zu entscheiden.“

    Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

    Das Kartell

    10. Die Kommission richtete die streitige Entscheidung an fünf Hersteller von Zitronensäure, nämlich ADM, die Cerestar Bioproducts BV (im Folgenden: Cerestar), die F. Hoffmann-La Roche AG (im Folgenden: HLR), die Haarmann & Reimer Corporation (im Folgenden: H & R) und die Jungbunzlauer AG (im Folgenden: JBL).

    11. Zitronensäure ist ein Säuerungs- und Konservierungsmittel, das in Lebensmitteln und Getränken, Waschmitteln und Haushaltsreinigern, Arzneimitteln und Kosmetika sowie in diversen industriellen Verfahren verwendet wird.

    12. Im August 1995 war die Kommission davon in Kenntnis gesetzt worden, dass das Justizministerium der Vereinigten Staaten eine Untersuchung des dortigen Zitronensäuremarktes eingeleitet habe. Die Unternehmen ADM, Cerestar, HLR, H & R und JBL räumten ihre Teilnahme an einem Kartell ein und zahlten im Anschluss an Vereinbarungen mit diesem Ministerium Geldbußen. Außerdem wurden einige Einzelpersonen persönlich mit Geldbußen belegt.

    13. Am 6. August 1997 richtete die Kommission nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 Auskunftsverlangen an die vier führenden Zitronensäurehersteller in der Europäischen Gemeinschaft.

    14. Auf ein späteres, im Juli 1998 gestelltes Auskunftsverlangen bot Cerestar der Kommission ihre Zusammenarbeit an. Bei einer Zusammenkunft mit Vertretern der Kommission am 29. Oktober 1998 schilderten die Vertreter von Cerestar aus dem Gedächtnis die Tätigkeiten des Kartells, an denen die fünf in Randnr. 10 des vorliegenden Urteils genannten Unternehmen beteiligt gewesen seien (im Folgenden: Kartell), sowie bestimmte Funktionsmechanismen dieses Kartells. Ferner hob Cerestar die Rolle hervor, die ADM in mehreren multilateralen Treffen dieser Unternehmen gespielt habe. Cerestar bestätigte diese Aussage in einer schriftlichen Erklärung vom 25. März 1999 (im Folgenden: Erklärung von Cerestar).

    15. Am 11. Dezember 1998 legten die Vertreter von ADM bei einer Zusammenkunft mit Vertretern der Kommission die wettbewerbswidrigen Praktiken dar, an denen ADM im Rahmen des Kartells teilgenommen hatte. ADM bestätigte ihre Aussagen mit Schreiben vom 15. Januar 1999 (im Folgenden: Erklärung von ADM).

    16. Auf der Grundlage der Auskünfte, die ihr in Beantwortung weiterer Auskunftsverlangen von den fünf beschuldigten Unternehmen erteilt worden waren, richtete die Kommission an diese am 29. März 2000 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: Mitteilung der Beschwerdepunkte), in der sie ihnen vorwarf, gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) verstoßen zu haben, indem sie sich an einem geheimen Kartell auf dem Markt für Zitronensäure beteiligt hätten. Die Zuwiderhandlung habe bei vier von ihnen, darunter ADM, von März 1991 bis Mai 1995 und im Fall von Cerestar von Mai 1992 bis Mai 1995 gedauert. Insbesondere hätten sie einander spezifische Absatzquoten zugeteilt und diese eingehalten, Ziel- und/oder Mindestpreise festgelegt, auf die Gewährung von Preisnachlässen verzichtet und spezifische Kundendaten ausgetauscht. Keines dieser Unternehmen beantragte eine Anhörung oder bestritt die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Tatsachen. Sie erwiderten lediglich schriftlich auf die darin erhobenen Vorwürfe.

    Die Mitteilung der Beschwerdepunkte

    17. In Teil I Abschnitt C der Mitteilung der Beschwerdepunkte legte die Kommission den von ihren Beschwerdepunkten erfassten Sachverhalt dar. In Randnr. 50 dieser Mitteilung führte sie die fünf ihren tatsächlichen Feststellungen als Hauptbeweismittel zugrunde gelegten Schriftstücke auf, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte zusammen mit sechs anderen Schriftstücken beigefügt waren, darunter ein Bericht über die Aussagen eines ADM-Vertreters während der Zusammenkunft am 11. Dezember 1998 mit Vertretern der Kommission, d. h. die Erklärung von ADM, der Bericht vom 5. November 1996 über die Aussagen eines ehemaligen Vertreters von ADM vor Vertretern des US-Justizministeriums und Mitarbeitern des Federal Bureau of Investigation (FBI) in dem Kartellverfahren der US-Behörden (im Folgenden: FBI‑Bericht) sowie die Erklärung von Cerestar.

    18. Weiter heißt es in den Randnrn. 161 und 162 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, dass die Kommission bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung die in dem genannten Abschnitt C beschriebenen und beurteilten Tatsachen berücksichtigen und bei der Festsetzung der gegen jedes Unternehmen zu verhängenden Geldbuße u. a. der Rolle Rechnung tragen werde, die jedes Unternehmen bei den geheimen Absprachen, wie sie in Teil I der Mitteilung der Beschwerdepunkte beschrieben seien, gespielt habe.

    19. Schließlich sind in den Randnrn. 57 und 58 der Mitteilung der Beschwerdepunkte die bilateralen Treffen angeführt, die im Januar 1991 zwischen ADM und JBL bzw. HLR bzw. H & R zur Durchführung des Kartells stattfanden.

    Die Erklärung von ADM

    20. Die Erklärung von ADM enthält eine detaillierte, bezifferte Beschreibung der Mechanismen des Kartells und insbesondere der von den beschuldigten Unternehmen bei ihren Treffen von März 1991 bis Mai 1995 gefassten Beschlüsse.

    Der FBI‑Bericht

    21. Der FBI Bericht enthält die von einem ehemaligen Vertreter von ADM gegebene Beschreibung der Mechanismen des Kartells und insbesondere der Sitzungen zwischen den beschuldigten Unternehmen. In diesem Bericht ist u. a. erwähnt, dass Sitzungen mit Vertretern aller an dem Kartell beteiligten Unternehmen organisiert worden seien, darunter die sogenannten Master-Sitzungen mit den hochrangigen Vertretern, in denen es um die Ausrichtung und die Mechanismen des Kartells gegangen sei, während an den sogenannten Sherpa-Sitzungen Vertreter teilgenommen hätten, die mit der praktischen Durchführung dieser Mechanismen betraut gewesen seien. Diesem Bericht zufolge hatte die vernommene Person den Eindruck, dass ein anderer ehemaliger Vertreter von ADM, der als „der Weise“ bezeichnet worden sei und an beiden Arten von Sitzungen teilgenommen habe, die Idee des Kartell-Mechanismus „G-4/5-Absprachen“ gehabt und bei dessen Durchführung eine ziemlich aktive Rolle gespielt habe.

    Die Erklärung von Cerestar

    22. Die Erklärung von Cerestar enthält eine kurze Beschreibung der multilateralen Treffen von Vertretern der beschuldigten Unternehmen sowie die dabei gefassten Beschlüsse. Laut dieser Erklärung hatte der Vertreter von Cerestar den Eindruck, dass der Vertreter von ADM bei diesen Treffen eine führende Rolle gespielt habe.

    Die streitige Entscheidung

    23. Nach Art. 1 Abs. 1 der streitigen Entscheidung haben die fünf Unternehmen, an die sie gerichtet ist, „gegen Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag … verstoßen, indem sie an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise in der Zitronensäurebranche mitgewirkt haben“.

    24. Nach Art. 1 Abs. 2 der streitigen Entscheidung dauerte die Zuwiderhandlung im Fall von ADM, HLR, H & R und JBL von März 1991 bis Mai 1995 und im Fall von Cerestar von Mai 1992 bis Mai 1995.

    25. Art. 3 der streitigen Entscheidung lautet:

    „Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:

    a) [ADM] 39,69 Mio. EUR,

    b) [Cerestar] 170 000 EUR,

    c) [HLR] 63,5 Mio. EUR,

    d) [H & R] 14,22 Mio. EUR,

    e) [JBL] 17,64 Mio. EUR.

    26. Zur Festsetzung der Höhe der Geldbußen wandte die Kommission in der streitigen Entscheidung die in den Leitlinien dargestellte Methode und die Mitteilung über Zusammenarbeit an.

    27. Als Erstes ermittelte die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung.

    28. Was zunächst die Schwere angeht, stufte die Kommission die Zuwiderhandlung in Randnr. 230 der streitigen Entscheidung unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Zitronensäuremarkt im Europäischen Wirtschaftsraum und des Umfangs des betreffenden räumlichen Marktes als sehr schwer ein.

    29. Sodann vertrat die Kommission in Randnr. 233 der streitigen Entscheidung die Auffassung, dass dem tatsächlichen wirtschaftlichen Vermögen, dem Wettbewerb Schaden zuzufügen, Rechnung zu tragen und die Geldbuße in einer Höhe festzusetzen sei, die eine hinreichende Abschreckungswirkung gewährleiste. Folglich teilte die Kommission die Unternehmen unter Zugrundelegung des weltweiten Umsatzes, den sie im Jahr 1995, dem letzten Jahr der Zuwiderhandlung, mit dem Verkauf von Zitronensäure erzielt hatten, in drei Gruppen ein. Der ersten Gruppe ordnete sie H & R mit einem weltweiten Marktanteil von 22 % zu, der zweiten Gruppe ADM und JBL mit Marktanteilen von [vertraulich] sowie HLR mit einem Marktanteil von 9 %, und der dritten Gruppe Cerestar mit einem Marktanteil von 2,5 %. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission als Ausgangsbetrag für das Unternehmen der ersten Gruppe 35 Mio. Euro, für die Unternehmen der zweiten Gruppe 21 Mio. Euro und für das Unternehmen der dritten Gruppe 3,5 Mio. Euro fest.

    30. Außerdem passte die Kommission diese Ausgangsbeträge an, um eine hinreichende Abschreckungswirkung zu gewährleisten. Hierzu multiplizierte sie in Anbetracht der Größe und der gesamten Ressourcen der betroffenen Unternehmen, wie sie in der Höhe ihres weltweiten Gesamtumsatzes zum Ausdruck gelangten, die für ADM und HLR festgesetzten Ausgangsbeträge mit dem Faktor 2 und den für H & R festgesetzten Ausgangsbetrag mit dem Faktor 2,5.

    31. Ferner geht aus den Randnrn. 249 und 250 der streitigen Entscheidung hervor, dass die so festgesetzten Beträge, um der Dauer der Zuwiderhandlung der einzelnen Unternehmen Rechnung zu tragen, pro Jahr der Beteiligung an dem Kartell um 10 % angehoben wurden, d. h. im Fall von ADM, HLR, H & R und JBL um 40 % und im Fall von Cerestar um 30 %.

    32. Die Kommission setzte somit in Randnr. 254 der streitigen Entscheidung die Grundbeträge der Geldbußen für ADM auf 58,8 Mio. Euro, für Cerestar auf 4,55 Mio. Euro, für HLR auf 58,8 Mio. Euro, für H & R auf 122,5 Mio. Euro und für JBL auf 29,4 Mio. Euro fest.

    33. Als Zweites wurden, wie sich aus Randnr. 273 der streitigen Entscheidung ergibt, die Grundbeträge der gegen ADM und gegen JBL zu verhängenden Geldbußen wegen erschwerender Umstände um 35 % erhöht, weil diese Unternehmen als Anführer des Kartells gehandelt hätten.

    34. Insbesondere betrachtete die Kommission in den Randnrn. 263 und 264 der streitigen Entscheidung die bilateralen Treffen zwischen ADM und drei anderen an dem Kartell beteiligten Unternehmen als Indiz dafür, dass ADM eine Rolle als Anstifter des Kartells gespielt habe; zudem trügen zusätzliche Elemente zum Nachweis bei, dass ADM ein Anführer des Kartells gewesen sei.

    35. Die Kommission verwies insoweit in den Randnrn. 265 und 266 der streitigen Entscheidung auf bestimmte, dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar entnommene Tatsachen.

    36. Als Drittes prüfte und verwarf die Kommission in den Randnrn. 274 bis 291 der streitigen Entscheidung die Anträge mehrerer Unternehmen auf Zuerkennung mildernder Umstände.

    37. Als Viertes passte die Kommission in Randnr. 293 der streitigen Entscheidung die so berechneten Beträge nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 für Cerestar und H & R an, damit sie nicht die Grenze von 10 % des jährlichen weltweiten Gesamtumsatzes dieser Unternehmen überstiegen.

    38. Schließlich gewährte die Kommission als Fünftes den beschuldigten Unternehmen jeweils eine niedrigere Festsetzung ihrer Geldbußen nach der Mitteilung über Zusammenarbeit.

    39. So wurde Cerestar, wie sich aus den Randnrn. 305 und 310 der streitigen Entscheidung ergibt, nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine wesentlich, nämlich um 90 % niedrigere Festsetzung der ohne Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße gewährt, weil sie das erste Unternehmen gewesen sei, das der Kommission die für den Nachweis des Bestehens des Kartells entscheidenden Informationen geliefert habe.

    40. Entsprechend wies die Kommission in Randnr. 306 der streitigen Entscheidung das Vorbringen von ADM zurück, mit dem diese dartun wollte, dass sie als das erste Unternehmen anzusehen sei, das diese Informationen geliefert habe, und gewährte ihr nach Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit lediglich eine „spürbar“, nämlich um 50 % niedrigere Festsetzung der ohne Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße.

    41. Im Übrigen wurde JBL, H & R und HLR eine um 40 %, 30 % bzw. 20 % niedrigere Festsetzung der ohne Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße gewährt.

    Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

    42. ADM erhob am 28. Februar 2002 beim Gericht Klage gegen die streitige Entscheidung.

    43. Mit ihrer Klage beantragte ADM, Art. 1 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin festgestellt wird, dass sie sich an der Einschränkung von Produktionskapazitäten auf dem Zitronensäuremarkt und der Bestimmung eines Herstellers, der die Preiserhöhungen in jedem einzelstaatlichen Markt anführen sollte, beteiligt hat, Art. 3 dieser Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft, und, hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen.

    44. ADM machte mehrere die Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße betreffende Klagegründe geltend, mit denen sie u. a. die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung, ihre Einstufung als Anführerin des Kartells sowie die Prüfung von mildernden Umständen und ihrer Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren beanstandete.

    45. Was erstens die Schwere der Zuwiderhandlung angeht, rügte ADM, dass der Kommission im Rahmen der Beurteilung der konkreten Auswirkungen des Kartells Fehler bei der Definition des relevanten Marktes unterlaufen seien, indem sie diesen Markt nicht zuvor definiert und somit bei dieser Definition nicht die Ersatzprodukte für Zitronensäure berücksichtigt habe.

    46. Das Gericht hat diesen Klagegrund zurückgewiesen, nachdem es in Randnr. 201 des angefochtenen Urteils festgestellt hatte, dass ADM nicht nachgewiesen habe, dass das Kartell für Zitronensäure auf den von ihr definierten größeren Markt keine oder jedenfalls nur zu vernachlässigende Auswirkungen gehabt hätte.

    47. Was zweitens ihre Einstufung als Anführerin des Kartells betrifft, warf ADM der Kommission Fehler bei der Beurteilung der eine solche Einstufung stützenden Elemente vor. Zum einen habe die Kommission ein von Behörden eines Drittstaats erstelltes Schriftstück, nämlich den FBI‑Bericht, herangezogen und damit ihre Verfahrensrechte verletzt, da sie u. a. keine Gelegenheit gehabt habe, sich zur Gültigkeit dieses Schriftstücks zu äußern. Zum anderen habe die Kommission ihre Verteidigungsrechte nicht beachtet, da sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte weder die Einstufung von ADM als Anführer noch die Beweise aus dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar für den Nachweis dieser Anführerrolle erwähnt habe.

    48. Das Gericht hat in Randnr. 215 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass die Kommission diese Einstufung auf drei Elemente gestützt habe, nämlich die bilateralen Treffen, den FBI‑Bericht und die Erklärung von Cerestar.

    49. Hinsichtlich der bilateralen Treffen hat das Gericht in Randnr. 226 des angefochtenen Urteils keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler darin gesehen, dass die Kommission sie neben anderen Elementen – dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar – als zusätzliches Indiz dafür wertete, dass ADM im Kartell die Rolle eines Anführers gespielt hatte.

    50. Zum FBI‑Bericht hat das Gericht in Randnr. 268 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten, dass die Kommission, indem sie diesen Bericht der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt habe, ADM Gelegenheit gegeben habe, sich zu seiner Gültigkeit insbesondere im Hinblick auf etwaige sich aus seiner Berücksichtigung ergebende Verfahrensunregelmäßigkeiten zu äußern. Nachdem es festgestellt hatte, dass ADM diesen Bericht zu keinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens in Frage gestellt habe, hat das Gericht in Randnr. 270 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Kommission die Verfahrensrechte von ADM nicht verletzt habe.

    51. Zur Erklärung von Cerestar hat das Gericht in Randnr. 290 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sie mit dem FBI‑Bericht inhaltlich übereinstimme, so dass es keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission darstelle, dass sie der Erklärung von Cerestar höheren Beweiswert beigemessen habe als den Angaben von ADM, mit denen diese habe dartun wollen, dass sie nicht die Rolle als Anführer des Kartells übernommen habe.

    52. Im Übrigen hat das Gericht in den Randnrn. 436 und 439 des angefochtenen Urteils entschieden, dass in der an die beschuldigten Unternehmen gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufgeführt gewesen seien, die die Geldbuße stützen könnten, die die Kommission gegen sie festzusetzen beabsichtigt habe. Denn zum einen habe die Kommission ADM in diesem Verfahrensstadium nicht zu informieren brauchen, dass sie als Anführer des Kartells eingestuft werde. Zum anderen könne ADM, da feststehe, dass der FBI‑Bericht und die Erklärung von Cerestar der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt gewesen seien, keine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend machen, obwohl die Kommission in dem der Darlegung des Sachverhalts gewidmeten Teil der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht ausdrücklich angegeben habe, dass sie ADM etwa als Anführer des Kartells ansehen könnte, und auch nicht angegeben habe, auf welche Gesichtspunkte sie sich für die Annahme einer solchen Rolle stützen würde.

    53. Folglich hat das Gericht den die Einstufung als Anführer des Kartells betreffenden Klagegrund von ADM zurückgewiesen.

    54. Drittens machte ADM geltend, dass die Kommission ihr zu Unrecht nicht den mildernden Umstand nach Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien zugute gehalten habe, obwohl sie die Beteiligung an dem Kartell nach dem ersten Eingreifen der US-Wettbewerbsbehörden beendet habe.

    55. Das Gericht ist nach einer in den Randnrn. 335 und 336 des angefochtenen Urteils vorgenommenen Auslegung von Abschnitt 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien in Randnr. 338 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser mildernde Umstand nicht ohne Weiteres zugute gehalten werden dürfe, sondern von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhänge. Die Geheimhaltung des Kartells zeige jedoch, dass die betreffenden Unternehmen die ihnen vorgeworfene Zuwiderhandlung vorsätzlich begangen hätten, so dass nach der Rechtsprechung des Gerichts die Beendigung einer solchen Zuwiderhandlung nicht als mildernder Umstand gewertet werden könne, wenn sie auf das Eingreifen der Kommission zurückzuführen sei. Das Gericht hat daher den Klagegrund von ADM, dass dieser Umstand nicht als mildernder Umstand gewertet worden sei, zurückgewiesen.

    56. Viertens warf ADM der Kommission vor, ihr nicht nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich“ niedrigere Festsetzung der ohne Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße gewährt zu haben, obwohl sie das erste Unternehmen gewesen sei, das der Kommission entscheidende Informationen für den Nachweis des Bestehens des Kartells geliefert habe.

    57. Auch diesen Klagegrund hat das Gericht zurückgewiesen und hierzu in den Randnrn. 377 und 378 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission die Gewährung einer „wesentlich“ niedrigeren Festsetzung der Geldbuße im Hinblick auf die Anführerrolle von ADM in dem Kartell zu Recht abgelehnt habe.

    58. Schließlich hat das Gericht im Übrigen dem Klagegrund stattgegeben, mit dem ADM beanstandete, dass in Randnr. 158 der streitigen Entscheidung bestimmte Elemente berücksichtigt worden seien, die nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannt gewesen seien. Es hat daher Art. 1 der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin in Verbindung mit dieser Randnummer festgestellt wird, dass ADM zum einen Produktionskapazitäten für Zitronensäure einfror, einschränkte und stilllegte und zum anderen den Hersteller bestimmte, der Preiserhöhungen auf jedem betroffenen einzelstaatlichen Markt anführen sollte. Das Gericht hat jedoch, weil diese Elemente im Verhältnis zu den Hauptmerkmalen des Kartells zusätzlich angeführt worden seien, die Auffassung vertreten, dass die Höhe der von der Kommission gegen ADM festgesetzten Geldbuße nicht abzuändern sei. Es hat ADM schließlich die Gesamtheit der Kosten auferlegt mit Ausnahme eines Zehntels ihrer Kosten, die es der Kommission auferlegt hat.

    Anträge der Beteiligten

    59. ADM beantragt,

    – das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit mit ihm die Klage gegen die streitige Entscheidung abgewiesen worden ist;

    – Art. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

    – hilfsweise, Art. 3 dieser Entscheidung dahin abzuändern, dass die mit ihm verhängte Geldbuße aufgehoben oder herabgesetzt wird;

    – weiter hilfsweise, die Sache an das Gericht zur Entscheidung entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs zurückzuverweisen; und

    – jedenfalls der Kommission ihre eigenen Kosten und die Kosten von ADM in Bezug auf die Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen.

    60. Die Kommission beantragt,

    – das Rechtsmittel zurückzuweisen und

    – ADM die Kosten aufzuerlegen.

    Zum Rechtsmittel

    61. Die Rechtsmittelführerin macht neun Rechtsmittelgründe geltend:

    – die ersten fünf betreffen Rechtsfehler, die das Gericht hinsichtlich ihrer Einstufung als Anführer des Kartells begangen habe;

    – der sechste Rechtsmittelgrund betrifft einen Rechtsfehler, den das Gericht hinsichtlich der Weigerung, ihr im Zusammenhang mit der Beendigung ihrer Beteiligung an dem Kartell mildernde Umstände zugute zu halten, begangen habe;

    – der siebte und der achte Rechtsmittelgrund betreffen einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und einen Rechtsfehler, die das Gericht hinsichtlich der Anwendung der in der Mitteilung über Zusammenarbeit aufgestellten Regeln begangen habe;

    – der neunte Rechtsmittelgrund betrifft einen Verstoß gegen den Grundsatz, wonach die Kommission die Regeln einhalten muss, die sie sich selbst hinsichtlich der Definition des relevanten Marktes bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung auferlegt hat.

    Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehlerhafte Würdigung der Wahrung der Verteidigungsrechte von ADM hinsichtlich ihrer Einstufung als Anführer

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    62. Mit diesem Rechtsmittelgrund, der aus zwei Teilen besteht, rügt ADM eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte durch das Gericht.

    63. Mit dem ersten Teil wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe in den Randnrn. 437 und 438 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunkte für die Schwere ihres Verhaltens angeführt habe, obwohl dort nicht der Umstand erwähnt sei, dass sie als Anführer des Kartells betrachtet werden könnte. Die Rolle als Anführer gehöre jedoch zu den wesentlichen Gesichtspunkten, deren Nichterwähnung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Verletzung der Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens darstelle.

    64. Mit dem zweiten Teil macht ADM geltend, die Kommission habe sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht auf die Tatsachen hingewiesen, aus denen in der streitigen Entscheidung ihre Anführerrolle hergeleitet worden sei. Dass der Mitteilung der Beschwerdepunkte Unterlagen beigefügt gewesen seien, aus denen diese Tatsachen hervorgingen, reiche für die Wahrung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin nicht aus.

    65. Nach Auffassung der Kommission greift dieser Rechtsmittelgrund nicht durch. Hinsichtlich des ersten Teils habe sie, wie das Gericht entschieden habe, den von der Rechtsmittelführerin selbst angeführten Anforderungen der Rechtsprechung entsprochen, indem sie in Randnr. 158 der Mitteilung der Beschwerdepunkte darauf hingewiesen habe, dass sie bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung die Rolle jedes einzelnen daran beteiligten Unternehmens berücksichtigen werde.

    66. Der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes sei unbeachtlich, da das Gericht im Übrigen ausgeführt habe, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht die Tatsachen anzugeben brauche, die sie veranlassen würden, die Rechtsmittelführerin als Anführer des Kartells einzustufen. Jedenfalls sei dieser Teil des Rechtsmittelgrundes unbegründet, weil die Rechtsmittelführerin diese Tatsachen gekannt habe, da sie sich aus Unterlagen ergeben hätten, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt gewesen seien. Zudem sei die Rechtsmittelführerin in mehreren Randnummern der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich genannt worden. Folglich sei ihr Gelegenheit gegeben worden, ihre Einwände betreffend die Unterlagen geltend zu machen, die zum Nachweis ihrer Anführerrolle im Verwaltungsverfahren verwendet worden seien, so dass ihre Verteidigungsrechte nicht verletzt worden seien.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    – Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

    67. Nach den Feststellungen in Randnr. 437 des angefochtenen Urteils stufte die Kommission in der an ADM gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte die den beschuldigten Unternehmen vorgeworfene Zuwiderhandlung als sehr schweren Verstoß ein und erklärte ihre Absicht, die Geldbuße in hinreichend abschreckender Höhe festzusetzen. Insoweit ergibt sich aus den Randnrn. 158, 161 und 162 dieser Mitteilung außerdem, dass die Kommission die Rolle jedes einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens berücksichtigen werde.

    68. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, die das Gericht in Randnr. 434 des angefochtenen Urteils angeführt hat, erfüllt die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der beschuldigten Unternehmen, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie die Schwere und Dauer der behaupteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sei. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C 208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 428, sowie vom 18. Dezember 2008, Coop de France Bétail et Viande/Kommission, C‑101/07 P und C‑110/07 P, Randnr. 49).

    69. Im Übrigen geht aus der Rechtsprechung hervor, dass eine Verpflichtung der Kommission, den beschuldigten Unternehmen zum Zeitpunkt der Mitteilung der Beschwerdepunkte konkrete Angaben zur Höhe der in Aussicht genommenen Geldbußen zu machen, darauf hinausliefe, von ihr eine nicht sachgerechte Vorwegnahme der endgültigen Entscheidung zu verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 21).

    70. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Einstufung eines Unternehmens als Anführer eines Kartells erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der gegen dieses Unternehmen festzusetzenden Geldbuße hat. Demnach handelt es sich gemäß Abschnitt 2 der Leitlinien um einen erschwerenden Umstand, der zu einer nicht unerheblichen Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße führt. Weiter hat eine solche Einstufung nach Abschnitt B Buchst. e der Mitteilung über Zusammenarbeit unmittelbar den Ausschluss einer wesentlich niedrigeren Festsetzung der Geldbuße zur Folge, selbst wenn das als Anführer eingestufte Unternehmen sämtliche dort angeführten Voraussetzungen für eine solche niedrigere Festsetzung erfüllen würde.

    71. Daher muss die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Elemente anführen, die nach ihrer Ansicht das beschuldigte Unternehmen, das als Anführer des Kartells angesehen werden könnte, benötigt, um auf einen solchen Beschwerdepunkt erwidern zu können. Da jedoch eine solche Mitteilung eine Vorstufe zum Erlass der endgültigen Entscheidung bleibt und damit nicht den endgültigen Standpunkt der Kommission darstellt, kann nicht verlangt werden, dass diese bereits zu diesem Zeitpunkt eine rechtliche Bewertung der Elemente vornimmt, auf die sie sich in der endgültigen Entscheidung stützen wird, um ein Unternehmen als Anführer des Kartells einzustufen.

    72. Folglich hat das Gericht rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht anzugeben brauchte, dass sie ADM als Anführer einstufen könnte.

    73. Demnach ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

    – Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

    74. In diesem Teil trägt ADM vor, das Gericht habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem es in Randnr. 439 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass ihr Gelegenheit gegeben worden sei, ihren Standpunkt zu bestimmten Tatsachen, auf die ihre Einstufung als Anführer des Kartells gestützt worden sei, geltend zu machen, da diese Tatsachen aus der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Dokumenten hervorgegangen seien.

    75. Für die Einstufung von ADM als Anführer des Kartells stützte sich die Kommission in den Randnrn. 265 und 266 der streitigen Entscheidung auf Tatsachen, die sie dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar entnommen hatte.

    76. So heißt es zum einen in der genannten Randnr. 265 unter Anführung des FBI‑Berichts, dass „der Mechanismus für die G-4/5-Absprachen eine Idee [des ADM-Vertreters] zu sein schien und dieser auf dem Treffen vom 6. März 1991 in Basel, wo die Kartellabsprache [über Zitronensäure] formuliert wurde, eine ziemlich aktive Rolle spielte“ und dass „man [diesen Vertreter] als den ‚Weisen‘ betrachtete … und sogar ‚den Prediger‘ nannte“.

    77. Zum anderen enthält die genannte Randnr. 266 einen Auszug aus der Erklärung von Cerestar, wonach „zwar [Vertreter von HLR und JBL] normalerweise die ‚Master‘-Treffen leiteten, doch [Cerestar] eindeutig den Eindruck hatte, dass [der ADM-Vertreter] eine führende Rolle spielte. [Dieser] führte den Vorsitz bei den ‚Sherpa‘-Treffen, bereitete in der Regel alles vor und machte für gewöhnlich die Vorschläge für die zu vereinbarenden Preislisten“.

    78. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht entgegen dem Vortrag der Kommission nicht als Grundsatz festgestellt hat, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht die tatsächlichen Gesichtspunkte anzugeben brauchte, die sie veranlassten, ADM als Anführer einzustufen. Das Gericht hat sich nämlich in dem angefochtenen Urteil wie folgt ausgedrückt:

    „438 Die Wahrung der Verteidigungsrechte der Unternehmen verpflichtet die Kommission nicht, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genauer anzugeben, in welcher Art und Weise sie gegebenenfalls [die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die eine Geldbuße stützen könnten] bei der Bemessung der Bußgeldhöhe berücksichtigen werde. Insbesondere braucht[e] die Kommission nicht anzugeben, dass sie ADM als Anführer des Kartells ansehen könne, oder den Umfang der Erhöhung zu bezeichnen, den sie möglicherweise auf die Geldbuße gegen ADM aus diesem Grund anwenden würde …

    439 [Es] ist daran zu erinnern, dass die Kommission [den FBI‑Bericht und die Erklärung von Cerestar] der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt hatte und die Beteiligten somit zu diesen Unterlagen und ihrer Verwertung als Beweismittel Stellung nehmen konnten.“

    79. Folglich hat das Gericht entschieden, dass die Kommission die Verteidigungsrechte von ADM beachtet habe, da sie die Beweise für die Tatsachen, auf die sie in der streitigen Entscheidung die Einstufung von ADM als Anführer stützte, der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt hatte.

    80. Nach dieser Klarstellung und obwohl das Gericht rechtsfehlerfrei in Randnr. 438 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte weder anzugeben brauchte, in welcher Art und Weise sie die tatsächlichen Gesichtspunkte bei der Bemessung der Bußgeldhöhe berücksichtigen werde, noch, ob sie auf der Grundlage dieser Tatsachen beabsichtigte, ein Unternehmen als Anführer des Kartells einzustufen, ist zu beachten, dass die Kommission gleichwohl diese tatsächlichen Gesichtspunkte zumindest anzugeben hatte.

    81. Es ist jedoch festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Kommission die dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar entnommenen Tatsachen, auf die sie sich in den Randnrn. 265 und 266 der streitigen Entscheidung stützte, nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt waren.

    82. Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat das Gericht in Randnr. 439 des angefochtenen Urteils nicht etwa die Ansicht vertreten, dass die entscheidenden Tatsachen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt worden seien, sondern es hat festgestellt, dass der Rechtsmittelführerin durch den bloßen Umstand, dass die Kommission die Dokumente, aus der sich diese Tatsachen ergäben, der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt habe, Gelegenheit gegeben worden sei, sich zur Verwendung dieser Dokumente als Beweismittel und auch zu den darin geschilderten Tatsachen zu äußern.

    83. Daher ist zu prüfen, ob das Gericht rechtsfehlerfrei befunden hat, dass die Kommission mit dieser Vorgehensweise die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin beachtet habe.

    84. Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muss (vgl. u. a. Urteil vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921, Randnr. 70).

    85. Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert u. a., dass das von einer Untersuchung betroffene Unternehmen im Verwaltungsverfahren zum Vorliegen und zur Erheblichkeit des von der Kommission angeführten Sachverhalts sowie zu den von ihr zur Stützung ihrer Behauptung, dass eine Zuwiderhandlung gegen den Vertrag vorliege, herangezogenen Schriftstücken sachgerecht Stellung nehmen kann (vgl. Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 10, vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04, Slg. 2007, I‑829, Randnr. 44, sowie SGL Carbon/Kommission, Randnr. 71).

    86. Es ist u. a. die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die es den von einer Untersuchung betroffenen Unternehmen ermöglicht, von den Beweismitteln, über die die Kommission verfügt, Kenntnis zu nehmen und ihre Verteidigungsrechte wirksam auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnrn. 315 und 316, sowie vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 66 und 67).

    87. Insoweit müssen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte alle wesentlichen Gesichtspunkte, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, klar angegeben werden (vgl. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 14).

    88. Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert es somit, dem betroffenen Unternehmen im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den von ihr zur Stützung ihrer Behauptung, dass eine Zuwiderhandlung vorliege, herangezogenen Schriftstücken sachgerecht Stellung zu nehmen (vgl. Urteil Dalmine/Kommission, Randnr. 44).

    89. Unter den Umständen des vorliegenden Falles reicht jedoch der bloße Umstand, dass der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Unterlagen beigefügt waren, aus denen die Tatsachen, auf die die Einstufung von ADM als Anführer gestützt ist, hervorgehen, nicht aus, um den oben genannten Anforderungen zu genügen, da es ADM durch diese Mitteilung nicht ermöglicht wurde, diese Tatsachen zu bestreiten und damit ihre Rechte sachgerecht geltend zu machen.

    90. Die Beweise für die Tatsachen, auf die die Einstufung von ADM als Anführer des Kartells in der streitigen Entscheidung gestützt wurde, weisen nämlich aufgrund ihrer Natur einen subjektiven Aspekt auf, da es sich um Zeugenaussagen von Personen handelt, die in dem von der Kommission oder nationalen Wettbewerbsbehörden eingeleiteten Zuwiderhandlungsverfahren belangt wurden.

    91. So ist zum einen der FBI‑Bericht das Ergebnis einer Vernehmung eines ehemaligen ADM-Vertreters, dem in dem von den US-Wettbewerbsbehörden durchgeführten Verfahren Straffreiheit gewährt wurde.

    92. Zum anderen besteht der zweite Beweis in einer spontanen Erklärung von Cerestar, einem Unternehmen, das mit ADM auf dem Markt für Zitronensäure konkurriert und selbst an dem beanstandeten Kartell beteiligt war.

    93. Der bloße Umstand, dass diese Unterlagen der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren, ermöglichte es der Rechtsmittelführerin nicht, zu beurteilen, als wie glaubhaft die Kommission die einzelnen in diesen Unterlagen angeführten Angaben ansah.

    94. Folglich kann unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht angenommen werden, dass die Kommission ADM Gelegenheit gab, ihre Rechte geltend zu machen, indem sie die Unterlagen und Beweismittel, aus denen die Tatsachen hervorgehen, auf die sie in der streitigen Entscheidung die Einstufung der Rechtsmittelführerin als Anführer des Kartells stützte, der Mitteilung der Beschwerdepunkte lediglich beifügte, ohne diese Tatsachen im Text dieser Mitteilung selbst ausdrücklich zu erwähnen.

    95. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt daher, dass die Entscheidung des Gerichts rechtsfehlerhaft ist, die Kommission habe nicht die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin verletzt, indem sie deren Einstufung als Anführer des Kartells auf Elemente stützte, die sie zu diesem Zweck anführte, ohne sie jedoch in der an die Rechtsmittelführerin gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt zu haben.

    96. Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes greift somit durch.

    Zu den Rechtsmittelgründen 2 bis 5: Rechtsfehler bzw. Verfälschung der Beweise hinsichtlich der Einstufung von ADM als Anführer

    97. Angesichts der Ausführungen zum ersten Rechtsmittelgrund von ADM sind die Rechtsmittelgründe 2 bis 5, die ebenfalls die auf die Beweise aus dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar gestützte Einstufung von ADM als Anführer des Kartells betreffen, nicht zu prüfen.

    Zum sechsten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehlerhafte Würdigung durch das Gericht hinsichtlich der Nichtberücksichtigung mildernder Umstände

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    98. ADM trägt vor, indem das Gericht in Randnr. 346 des angefochtenen Urteils eine Verpflichtung der Kommission verneint habe, mildernde Umstände zuzubilligen, wie es in den Leitlinien für den Fall der Beendigung der Zuwiderhandlung vorgesehen sei, habe es die Leitlinien irrig ausgelegt. Entgegen den Feststellungen in den Randnrn. 335 bis 340 könne die Zubilligung mildernder Umstände nämlich nicht eine bloße Befugnis der Kommission sein, die diese Zubilligung von der Berücksichtigung der Geheimhaltung des Kartells abhängig machen könne.

    99. Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht zutreffend entschieden, dass eine Beendigung des Kartells nicht ohne Weiteres zu einem Anspruch auf eine niedrigere Festsetzung der Geldbuße führe. Insoweit verfüge die Kommission über einen Wertungsspielraum im Hinblick insbesondere auf das Verhalten des betroffenen Unternehmens. Im vorliegenden Fall habe ADM nicht entscheidend am Verwaltungsverfahren mitgewirkt, so dass ihr keine mildernden Umstände hätten zugebilligt werden können.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    100. Nach Abschnitt 3 der Leitlinien wird der von der Kommission festgesetzte Grundbetrag der Geldbuße u. a. dann verringert, wenn das beschuldigte Unternehmen die Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission beendet.

    101. Dazu hat das Gericht in Ra ndnr. 338 des angefochtenen Urteils ausgeführt, diese Regelung sei dahin auszulegen, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls, unter denen eine Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission konkret verwirklicht werde, die Berücksichtigung dieser Beendigung als mildernden Umstand rechtfertigen könnten.

    102. Das Gericht hat folglich die Auffassung der Rechtsmittelführerin zurückgewiesen, dass die Beendigung des Kartells automatisch zu einer Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße nach Abschnitt 3 der Leitlinien führen müsse, wobei es in Randnr. 337 des angefochtenen Urteils betont hat, dass die von ADM vertretene Auslegung dieser Bestimmung die praktische Wirksamkeit von Art. 81 Abs. 1 EG beeinträchtigen würde.

    103. Insoweit ist dem Gericht kein Rechtsfehler unterlaufen.

    104. Es ist nämlich festzustellen, dass die Zubilligung einer solchen Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße notwendig an die Umstände des Einzelfalls gebunden ist, die die Kommission veranlassen können, einem Unternehmen, das Partei einer rechtswidrigen Vereinbarung ist, diese Verringerung nicht zu gewähren.

    105. So könnte die Zubilligung eines mildernden Umstands in Situationen, in denen ein Unternehmen Partei einer offensichtlich rechtswidrigen Vereinbarung ist, von der es weiß oder wissen muss, dass sie den Tatbestand einer Zuwiderhandlung verwirklicht, einen Anreiz für Unternehmen bieten, eine geheime Vereinbarung so lange wie möglich in der Hoffnung fortzusetzen, dass ihr Verhalten nie aufgedeckt wird, aber in dem Bewusstsein, dass, sollte es doch aufgedeckt werden, die Geldbuße gegen sie bei anschließendem Abbruch der Zuwiderhandlung herabgesetzt werden könnte. Eine solche Zubilligung würde der verhängten Geldbuße jede Abschreckungswirkung nehmen und die praktische Wirksamkeit von Art. 81 Abs. 1 EG beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, C‑510/06 P, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 149).

    106. Daher hat das Gericht zutreffend festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin unter den von ihm festgestellten Umständen nicht geltend machen kann, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, ihr eine Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße deshalb zu gewähren, weil sie ihr rechtswidriges Verhalten nach dem ersten Eingreifen der US-Wettbewerbsbehörden beendet habe.

    107. Der sechste Rechtsmittelgrund ist folglich als unbegründet zurückzuweisen.

    Zum siebten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehlerhafte Anwendung von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    108. Da ADM ihre Einstufung als Anführer für fehlerhaft hält, wirft sie dem Gericht vor, ihrem die Vergünstigung der Anwendung von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit betreffenden Klagegrund nicht stattgegeben zu haben.

    109. Die Kommission sieht in diesem Rechtsmittelgrund eine Wiederholung des ersten, so dass er für unzulässig zu erklären sei.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    110. Wie in Randnr. 95 des vorliegenden Urteils festgestellt, hat das Gericht zu Unrecht angenommen, dass die Kommission die Tatsachen, wie sie sich aus dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar ergeben, obwohl sie nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt waren, bei der Einstufung von ADM als Anführer des Kartells heranziehen konnte, ohne die Verteidigungsrechte von ADM zu verletzen.

    111. Da jedoch das Gericht in den Randnrn. 225 und 226 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, dass die Abhaltung der bilateralen Treffen neben den genannten Beweisen lediglich ein Indiz dargestellt habe und nicht für sich allein auf die Anführerrolle der Rechtsmittelführerin habe schließen lassen, hat es folglich die Einstufung von ADM als Anführer des Kartells zu Unrecht bestätigt.

    112. Somit konnte das Gericht, da die Rechtsmittelführerin nicht rechtmäßig als Anführer des Kartells eingestuft worden war, die Vergünstigung der Anwendung von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht rechtsfehlerfrei mit der Begründung ausschließen, dass ADM eine Rolle als Anführer des Kartells gespielt habe.

    113. Dieser Rechtsmittelgrund greift daher durch.

    Zum achten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

    Vorbringen der Parteien

    114. Nach Auffassung von ADM hätte das Gericht aus seinen Feststellungen in den Randnrn. 386 bis 391 des angefochtenen Urteils schließen müssen, dass die Kommission bei ihr hinsichtlich einer Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit berechtigte Erwartungen geweckt habe. Sie macht hierzu geltend, dass es entgegen der vom Gericht in Randnr. 394 des angefochtenen Urteils vertretenen Auffassung für das Entstehen solcher Erwartungen unerheblich sei, in welchem Verfahrensstadium die Zusammenarbeit stattfinde. Sie verweist insoweit auf das Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, Slg. 2006, I‑5479, Randnrn. 147 bis 167).

    115. Die Kommission trägt vor, ADM habe hinsichtlich der Anwendung einer „wesentlich“ niedrigeren Festsetzung der gegen sie festzusetzenden Geldbuße im Sinne von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit keine Erwartungen hegen dürfen, da die Kommission vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens objektiv nicht in der Lage sei, die Rolle jedes einzelnen an einem Kartell Beteiligten genau zu definieren.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    116. Zum einen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 208 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, festzustellen, dass ADM mit dem vorliegenden Rechtsmittelgrund eine erneute Prüfung vom Gericht gewürdigter Tatsachen im Rechtsmittelverfahren erreichen will, wofür der Gerichtshof außer in den Fällen einer Verfälschung von Beweismitteln nicht zuständig ist.

    117. Im vorliegenden Fall durfte das Gericht aus den in den Randnrn. 386 bis 391 geprüften Beweisen bei vernünftiger Betrachtung herleiten, dass die Kommission die Rechtsmittelführerin zur Zusammenarbeit veranlassen wollte, ohne ihr jedoch genaue Zusicherungen hinsichtlich einer Herabsetzung der gegen sie festzusetzenden Geldbuße nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit zu geben.

    118. Zum anderen entscheidet die Kommission nach Abschnitt E der Mitteilung über Zusammenarbeit erst zusammen mit der endgültigen Entscheidung, ob die Voraussetzungen der Abschnitte B, C und D dieser Mitteilung erfüllt sind. Somit hat das Gericht rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kommission der Rechtsmittelführerin vor dem Erlass der endgültigen Entscheidung keine genauen Zusicherungen hinsichtlich einer Herabsetzung der Geldbuße geben konnte.

    119. Folglich ist der achte Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet zurückzuweisen.

    Zum neunten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grundsatz, dass die Kommission die Regeln einhalten muss, die sie sich selbst auferlegt hat

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    120. ADM wirft dem Gericht vor, es habe nicht festgestellt, dass die Kommission zu Unrecht nicht den relevanten Markt definiert habe, um die Auswirkungen des Kartells zu prüfen, obwohl es sich um eine Voraussetzung handle, die für die Feststellung einer Beeinträchtigung des Marktes durch dieses Kartell unerlässlich sei. Hätte die Kommission diesen Markt definiert, so hätte sie die Ersatzprodukte für Zitronensäure berücksichtigen und angesichts der von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Beweise zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass sich das Kartell nicht auf die Preise in der Zitronensäurebranche ausgewirkt habe.

    121. Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund zum einen für unzulässig, da die Rechtsmittelführerin in Wirklichkeit vom Gerichtshof verlange, die Würdigung der von ihr vorgelegten Beweise zu prüfen. Zum anderen beruhe der Ansatz von ADM auf einem falschen Verständnis des Zwecks, der mit der Definition des relevanten Marktes verfolgt werde. Im vorliegenden Fall sei die Prüfung des Bestehens eines Verstoßes gegen Art. 81 EG, die eine Definition des relevanten Marktes erfordere, von der Prüfung der Schwere des Verstoßes zu unterscheiden.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    122. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach den Leitlinien die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt ein Faktor sind, der bei der Beurteilung der Schwere der begangenen Zuwiderhandlung im Rahmen der Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen ist.

    123. Das Gericht hat in Randnr. 198 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass sich die Kommission für die Ermittlung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Zitronensäuremarkt beschränkt habe. Sie hat damit nicht den von der Rechtsmittelführerin befürworteten weiter gefassten Markt berücksichtigt, der die von dieser genannten Ersatzprodukte für Zitronensäure umfasst.

    124. So hat das Gericht in den Randnrn. 152 bis 156 und 180 bis 193 des angefochtenen Urteils auf die von der Kommission in der streitigen Entscheidung vorgenommene Analyse verwiesen, die sie zu der – von ADM nicht beanstandeten – Feststellung geführt hatte, dass sich die Preise für Zitronensäure parallel zur Einführung des Kartells entwickelt hätten.

    125. Insoweit sind zum einen die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zwar ein Faktor, der bei der Beurteilung der Schwere dieser Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, doch handelt es sich um ein Kriterium neben anderen, nämlich der Art der Zuwiderhandlung und dem Umfang des räumlichen Marktes. Zudem sind diese konkreten Auswirkungen nach den Leitlinien nur dann zu berücksichtigen, wenn sie messbar sind.

    126. Zum anderen hat die Rechtsmittelführerin, wie der Generalanwalt in den Nrn. 200 und 201 ausgeführt hat, nicht bestritten, dass das Kartell zumindest auf einem Teil des Marktes Auswirkungen auf die Preise für Zitronensäure hatte.

    127. Unter diesen Umständen hat das Gericht in den Randnrn. 200 und 201 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht durchgreifen kann, da sie nicht nachgewiesen hatte, dass die Kommission, hätte sie den relevanten Markt wie die Rechtsmittelführerin definiert, das Fehlen von Auswirkungen des Kartells hätte feststellen müssen.

    128. Das Gericht hat damit entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin lediglich befunden, dass die von ihr vorgetragenen Beweise nicht für eine Widerlegung der Analyse der Kommission ausreichten, ohne insoweit die Beweislast umzukehren.

    129. Der neunte Rechtsmittelgrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

    130. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Klagegründe zurückweist, nach denen die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären ist, weil die Rechtsmittelführerin darin als Anführer des Kartells eingestuft wird und deshalb der Grundbetrag der gegen sie festzusetzenden Geldbuße erhöht und Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht zugunsten der Rechtsmittelführerin angewandt wird.

    Zur Klage vor dem Gericht

    131. Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 seiner Satzung kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.

    Zum Klagegrund einer irrigen Einstufung als Anführer des Kartells

    132. Mit dem gegen die streitige Entscheidung geltend gemachten Klagegrund, über den das Gericht fehlerhaft entschieden hat, beanstandet die Rechtsmittelführerin ihre Einstufung als Anführer des Kartells und die aus diesem Grund erfolgte Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 35 %.

    133. Da die Kommission, wie aus Randnr. 94 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ADM keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Rechte hinsichtlich der sich aus dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar ergebenden Gesichtspunkte geltend zu machen, die die Kommission in der streitigen Entscheidung für die Einstufung von ADM als Anführer des Kartells von der Kommission herangezogen hat, ist zu prüfen, ob sie neben diesen Tatsachen Beweise angeführt hat, die eine solche Einstufung ermöglichen.

    134. Insoweit geht aus den Randnrn. 263 und 264 der streitigen Entscheidung und den Randnrn. 56 bis 58 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, dass die Kommission zusätzlich die Abhaltung einer Runde bilateraler Treffen zwischen ADM und HLR, H & R bzw. JBL im Januar 1991 anführte, die dazu gedient hätten, das Kartell in die Wege zu leiten oder weiter zu entwickeln.

    135. In Randnr. 264 der streitigen Entscheidung fügte die Kommission jedoch hinzu, dass „die Abhaltung einer Runde bilateraler Treffen zwischen ADM und seinen Wettbewerbern kurz vor der ersten multilateralen Kartellbesprechung nicht ausreicht, um daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ADM der Anstifter des Kartells gewesen ist, obwohl es stark darauf hindeutet“. Anschließend bezog sich die Kommission in den Randnrn. 265 und 266 der streitigen Entscheidung auf genaue Angaben aus dem FBI‑Bericht und der Erklärung von Cerestar.

    136. Wie jedoch aus den Randnrn. 94 und 95 des vorliegenden Urteils hervorgeht, konnte sich die Kommission bei der Einstufung von ADM als Anführer des Kartells nicht auf die in den Randnrn. 265 und 266 der streitigen Entscheidung herangezogenen entscheidenden Gesichtspunkte stützen, ohne die Verteidigungsrechte von ADM zu verletzen, da diese Gesichtspunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht angeführt waren.

    137. Folglich ist die Kommission, da die in den Randnrn. 263 und 264 der streitigen Entscheidung genannte Runde bilateraler Treffen für sich allein nicht ausreicht, um ADM als Anführer des Kartells einzustufen, den Beweis für die Richtigkeit dieser Einstufung schuldig geblieben, so dass sie den Grundbetrag der gegen ADM zu verhängenden Geldbuße nicht wegen des erschwerenden Umstands dieser Einstufung um 35 % erhöhen konnte.

    138. Diesem Klagegrund ist daher stattzugeben.

    Zum Klagegrund einer fehlerhaften Anwendung von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit

    Die streitige Entscheidung

    139. Aufgrund der in Randnr. 305 der streitigen Entscheidung getroffenen Feststellungen gewährte die Kommission Cerestar nach Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“, nämlich um 90 %, der ohne Mitarbeit festzusetzenden Geldbuße. Die Kommission stellte nämlich in dieser Randnummer fest, dass dieses Unternehmen das erste gewesen sei, das – bei einer Zusammenkunft mit den Dienststellen der Kommission am 29. Oktober 1998 – die entscheidenden Informationen geliefert habe, die es ermöglicht hätten, das Bestehen des Kartells nachzuweisen. In der folgenden Randnummer fügte die Kommission hinzu: „Die Informationen, die [Cerestar] auf der Besprechung vom 29. Oktober 1998 mitteilte und die den späteren Angaben aus der schriftlichen Erklärung vom 25. März 1999 entsprechen, reichten aus, um das Bestehen des Kartells nachzuweisen, und wurden der Kommission übermittelt, bevor sie solche Informationen von ADM erhielt.“ Folglich wies die Kommission in Randnr. 308 der streitigen Entscheidung die Auffassung von ADM zurück, dass sie die im genannten Abschnitt B vorgesehenen Voraussetzungen für eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße erfülle.

    Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

    140. ADM trug zur Begründung ihrer Klage vor dem Gericht vor, dass die Kommission Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit fehlerhaft angewandt habe. Sie habe nämlich bei der Zusammenkunft vom 11. Dezember 1998 im Sinne dieser Bestimmung „als erstes [Unternehmen] Angaben [ge]macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind“, da die Angaben, die Cerestar bei der Zusammenkunft am 29. Oktober 1998 geliefert habe, nicht „entscheidend“ im Sinne dieser Bestimmung gewesen seien.

    141. Erstens nämlich habe Cerestar keinerlei Angaben zu dem Kartell in Bezug auf die Zeit vor dem 12. Mai 1992, dem Datum des Beginns ihrer Teilnahme, gemacht. Was die Kommission über das Kartell in Bezug auf diese Zeit gewusst habe, beruhe daher nur auf den Informationen, die erstmals von ADM geliefert worden seien.

    142. Zweitens sei die Erklärung von Cerestar, die den mündlichen Angaben bei der Zusammenkunft vom 29. Oktober 1998 entspreche, hinsichtlich der Daten der Treffen und der Kartellteilnehmer weder schlüssig noch präzise. Cerestar habe 32 Sitzungen benannt, die zu verschiedenen Daten zwischen dem 14. November 1991, also vor ihrer Teilnahme an dem Kartell, und dem 17. Juli 1996, d. h. geraume Zeit nach Auflösung des Kartells, stattgefunden haben sollen. Sie habe erklärt, dass neun der Treffen mit Gewissheit stattgefunden hätten und acht „möglicherweise“, während es sich bei fünfzehn Treffen entw eder nicht um Kartelltreffen gehandelt habe oder ihr Charakter als Kartelltreffen jedenfalls zunehmend unsicher erscheine. Die Identität der Teilnehmer sei für drei der 17 Treffen benannt worden, die sich als die „sicher feststehenden“ oder „möglichen“ Kartelltreffen herausgestellt hätten. Sechs der benannten Sitzungen hätten in Wirklichkeit nie stattgefunden, wie aus dem Zeugnis der übrigen Beteiligten und den eigenen Feststellungen der Kommission hervorgehe.

    143. Drittens habe Cerestar später in einem Schreiben vom 7. Mai 1999 an die Kommission eingeräumt, dass einige der genannten Sitzungen in Wirklichkeit nicht stattgefunden hätten.

    144. Viertens sei die Erklärung von Cerestar, was den Gegenstand der Treffen angehe, vage und unstimmig. Zu den Preisen und Quoten sei außer hinsichtlich der Cerestar selbst zugewiesenen Quoten nichts Genaues mitgeteilt worden.

    145. Fünftens bleibe unklar, ob Cerestar ebenso wie ADM der Kommission einen unmittelbaren Zeugenbeweis geliefert habe. Jedenfalls habe es Cerestar später für erforderlich gehalten, ihre mündliche Erklärung vom 29. Oktober 1998 zu ergänzen und zu präzisieren.

    146. Sechstens habe die Kommission am 3. März 1999 an Cerestar selbst ein detaillierteres Auskunftsverlangen gerichtet, das auf den Auskünften von ADM beruht habe. Cerestar habe somit dieses Auskunftsverlangen, das sich auf bestimmte Sitzungsdaten und ‑orte bezogen und auf den Angaben von ADM beruht habe, vor der Abgabe ihrer endgültigen Erklärung gegenüber der Kommission am 25. März 1999 prüfen können.

    147. Hingegen seien die von ADM selbst übermittelten Beweise schlüssig gewesen. So habe sie der Kommission in der Sitzung am 11. Dezember 1998 eine unmittelbare Zeugenaussage, einen zeitnahen Urkundenbeweis und beweiskräftige Unterlagen zum Rahmen und zur Durchführung der Kartellabsprachen zur Verfügung gestellt. Die von ADM vorgelegten Beweise hätten zahlreiche genaue Einzelheiten über die Sitzungen, die Teilnehmer, die Ausgleichs- und Überwachungsmechanismen, die Preise und die Quoten des Kartells enthalten.

    148. Die Kommission macht geltend, dass es für die Beurteilung, ob die gelieferten Informationen „entscheidend“ im Sinne von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit seien, unerheblich sei, dass diese Informationen von einem Unternehmen stammten, das nicht während der ganzen Dauer des Kartells an diesem teilgenommen habe. Diese Informationen müssten sich nämlich auf das Bestehen des Kartells und nicht auf dessen Dauer beziehen.

    149. Ebenso wenig sei die Kommission durch die Unvollständigkeit ihr gelieferter Informationen daran gehindert, diese als entscheidend zu betrachten.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    150. Vorab ist hervorzuheben, wie dies der Generalanwalt in den Nrn. 221 und 222 seiner Schlussanträge getan hat, dass es nach dem Wortlaut von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht erforderlich ist, dass das „erste“ Unternehmen sämtliche Angaben gemacht hat, die alle Einzelheiten der Funktionsweise des Kartells belegen. Nach dieser Bestimmung genügt es für die Einstufung als erstes Unternehmen, dass das Unternehmen „Angaben“ macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind. Dieser Wortlaut verlangt auch nicht, dass die gemachten Angaben für sich genommen ausreichen, um eine Mitteilung der Beschwerdepunkte abfassen oder gar eine abschließende Entscheidung über die Feststellung einer Zuwiderhandlung erlassen zu können. Die Angaben im Sinne des genannten Abschnitts B Buchst. b müssen zwar nicht unbedingt als solche für den Beweis des Bestehens des Kartells ausreichen, doch müssen sie hierfür von entscheidender Bedeutung sein. Es darf sich daher nicht nur um eine Orientierungshilfe für die von der Kommission durchzuführenden Untersuchungen handeln, sondern es müssen Angaben sein, die unmittelbar als Hauptbeweisgrundlage für eine Entscheidung herangezogen werden können, mit der die Zuwiderhandlung festgestellt wird.

    151. Ferner ist im Rahmen des genannten Abschnitts B Buchst. b der Umstand unerheblich, dass die Angaben von entscheidender Bedeutung mündlich gemacht wurden.

    152. Schließlich verfügt die Kommission bei der Beurteilung, ob die Zusammenarbeit eines Unternehmens „von entscheidender Bedeutung“ war, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und sie abzustellen, über einen gewissen Ermessensspielraum, so dass nur eine offensichtliche Überschreitung dieses Spielraums beanstandet werden kann.

    153. Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der Kommission bei der Feststellung, dass Cerestar als erstes Unternehmen Angaben gemacht habe, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung gewesen seien, ein offensichtlicher Fehler unterlaufen ist.

    154. Die Kommission hat in den Randnrn. 305 und 306 der streitigen Entscheidung dargelegt, dass ihr Cerestar als erstes Unternehmen bei einer Zusammenkunft am 29. Oktober 1998 Angaben gemacht habe, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung gewesen seien, und dass die Aussagen dieses Unternehmens am 25. März 1999 schriftlich bestätigt worden seien.

    155. Erstens ist festzustellen, dass ADM die entscheidende Bedeutung der von Cerestar gemachten Angaben nicht aus dem alleinigen Grund bestreiten kann, dass diese an dem Kartell erst ein Jahr nach dessen Umsetzung teilgenommen hat.

    156. Zum einen müssen sich nämlich, wie die Kommission zutreffend hervorgehoben hat, nach Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit die Angaben von entscheidender Bedeutung auf das Bestehen des Kartells und nicht auf dessen Dauer beziehen.

    157. Zum anderen enthält die Erklärung von Cerestar Angaben über multilaterale Treffen, die vor ihrer Teilnahme an dem Kartell stattgefunden hatten; diese Angaben wurden durch die Aussagen von ADM bei der Zusammenkunft zwischen ADM-Vertretern und Vertretern der Kommission bestätigt.

    158. Zweitens ist, was den Inhalt der Erklärung von Cerestar selbst angeht, zum einen hervorzuheben, dass darin die Mechanismen des Kartells beschrieben sind, nämlich das Preisfestsetzungssystem, die Zuteilung von Marktanteilen, das Informationsaustauschsystem und die Ausgleichsvereinbarungen. Zum anderen enthält diese Erklärung eine Aufstellung verschiedener Treffen zwischen den an dem Kartell beteiligten Unternehmen.

    159. Zwar handelt es sich bei einigen der in der Erklärung von Cerestar enthaltenen Informationen um ungefähre Angaben und sie enthalten nicht durchweg Zahlenmaterial zu den in den Kartelltreffen ergangenen Beschlüssen, doch durfte die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler annehmen, dass diese Angaben für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung seien.

    160. Durch die Informationen, die Cerestar bei der Zusammenkunft vom 29. Oktober 1998 geliefert hatte, konnte sich die Kommission nämlich von dem Bestehen des Kartells auf dem europäischen Zitronensäuremarkt, seiner ungefähren Dauer, den Mechanismen und den Abläufen Kenntnis verschaffen.

    161. Somit sind die von Cerestar gemachten Angaben, ohne als solche für sich allein bereits ausreichende Beweise für sämtliche Aspekte der Zuwiderhandlung darzustellen, mehr als nur eine Orientierungshilfe für die von der Kommission durchzuführenden Untersuchungen, da sie von dieser unmittelbar als Beweis für das Bestehen des Kartells herangezogen werden können.

    162. Insoweit ist der Umstand, dass diese Informationen nicht auf unmittelbaren Aussagen beruhen oder das sie später vervollständigt oder präzisiert wurden, für ihre Beurteilung als von entscheidender Bedeutung unerheblich.

    163. Folglich ist der Klagegrund, mit dem die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit durch die Kommission rügt, zurückzuweisen.

    164. Nach alledem ist gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs Art. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit damit die Höhe der von ADM zu zahlenden Geldbuße unter Berücksichtigung der Erhöhung des Grundbetrags der gegen sie festzusetzenden Geldbuße um 35 % wegen ihrer Einstufung als Anführer auf 39,69 Mio. Euro festgesetzt wird, und diese Geldbuße auf 29,4 Mio. Euro herabzusetzen.

    Kosten

    165. Nach Art. 122 § 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß ihres Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt.

    166. Da beide Parteien mit ihrem Vorbringen im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens teilweise unterlegen sind, ist die Kommission zur Tragung der Hälfte der Kosten der Rechtsmittelführerin und diese zur Tragung der Kosten der Kommission und der Hälfte ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

    167. In Bezug auf das Verfahren vor dem Gericht ist, da das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und den Anträgen der Klägerin im ersten Rechtszug teilweise stattgegeben worden ist, der Kommission ein Viertel der auf das erstinstanzliche Verfahren entfallenden Kosten der Klägerin aufzuerlegen; die Klägerin hat die Kosten der Kommission und drei Viertel ihrer eigenen Kosten zu tragen.

    Tenor

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

    1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission (T‑59/02) wird insoweit aufgehoben, als damit der Klagegrund der Archer Daniels Midland Co. zurückgewiesen wird, der die Verletzung ihrer Verteidigungsrechte in dem Verwaltungsverfahren, in dem die Entscheidung 2002/742/EG der Kommission vom 5. Dezember 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.604 – Zitronensäure) ergangen ist, betrifft, soweit die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ihr keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Rechte hinsichtlich der Tatsachen geltend zu machen, auf die die Kommission ihre Einstufung als Anführer des Kartells gestützt hat.

    2. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, wird insoweit aufgehoben, als damit der Klagegrund der Archer Daniels Midland Co. als ins Leere gehend zurückgewiesen wird, der die fehlerhafte Anwendung von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen betrifft.

    3. Art. 3 der Entscheidung 2002/742 wird für nichtig erklärt, soweit damit die Höhe der von der Archer Daniels Midland Co. zu zahlenden Geldbuße auf 39,69 Mio. Euro festgesetzt wird.

    4. Der Betrag der von der Archer Daniels Midland Co. zu zahlenden Geldbuße wegen der in Art. 1 der Entscheidung 2002/742, wie dieser Artikel durch das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission (T‑59/02) teilweise für nichtig erklärt worden ist, festgestellten Zuwiderhandlung wird auf 29,4 Mio. Euro festgesetzt.

    5. Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

    6. Die Archer Daniels Midland Co. trägt drei Viertel ihrer eigenen Kosten und die Kosten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bezüglich des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften sowie die Hälfte ihrer eigenen Kosten und die Kosten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bezüglich des Rechtsmittelverfahrens.

    7. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt ein Viertel der Kosten der Archer Daniels Midland Co. bezüglich des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften sowie die Hälfte der Kosten der Archer Daniels Midland Co. bezüglich des Rechtsmittelverfahrens.

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