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Document 62005TJ0407

Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 6. November 2007.
Société anonyme des eaux minérales d'Évian (SAEME) gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM).
Gemeinschaftsmarke - Widerspruchsverfahren - Anmeldung der Gemeinschaftsbildmarke REVIAN’s - Ältere Marken Evian, die keine Gemeinschaftsmarken sind - Verspätete Vorlage der Übersetzung der Urkunde über die Eintragung einer älteren Marke - Ermessen nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 40/94.
Rechtssache T-407/05.

Sammlung der Rechtsprechung 2007 II-04385

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2007:329

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache T‑407/05

Société anonyme des eaux minérales d’Évian (SAEME) mit Sitz in Évian-les-Bains (Frankreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Hertz‑Eichenrode,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) , vertreten durch G. Schneider als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:

A. Racke GmbH & Co. OHG mit Sitz in Bingen (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt N. Schindler,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 22. Juli 2005 (Sache R 82/2002‑4) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Société anonyme des eaux minérales d’Évian (SAEME) und der A. Racke GmbH & Co. OHG sowie gegen die Entscheidung Nr. 2754/2001 der Widerspruchsabteilung des HABM vom 23. November 2001

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. D. Cooke, der Richterin I. Labucka und des Richters M. Prek,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. November 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 1. März 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 3. März 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

Rechtlicher Rahmen

1. Art. 42 Abs. 3 und Art. 74 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung bestimmen:

„Artikel 42

Widerspruch

(3) Der Widerspruch ist schriftlich einzureichen und zu begründen. Er gilt erst als erhoben, wenn die Widerspruchsgebühr entrichtet worden ist. Der Widerspruch kann innerhalb einer vom Amt bestimmten Frist zur Stützung des Widerspruchs Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen vorbringen.

Artikel 74

Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen

(1) In dem Verfahren vor dem Amt ermittelt das Amt den Sachverhalt von Amts wegen. Soweit es sich jedoch um Verfahren bezüglich relativer Eintragungshindernisse handelt, ist das Amt bei dieser Ermittlung auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt.

(2) Das Amt braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.“

2. Regel 16, Regel 17 Abs. 2 und Regel 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmen:

„Regel 16

Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zur Stützung des Widerspruchs

(1) Die Widerspruchsschrift kann Einzelheiten der zur Stützung des Widerspruchs vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen unter Beifügung einschlägiger Unterlagen enthalten.

(2) Beruht der Widerspruch auf einer älteren Marke, die keine Gemeinschaftsmarke ist, so ist der Widerspruchsschrift nach Möglichkeit ein Nachweis über die Eintragung oder Anmeldung, z. B. eine Urkunde der Eintragung, beizufügen. Beruht der Widerspruch auf einer im Sinne des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe c) der Verordnung notorisch bekannten Marke oder auf einer Marke, die im Sinne des Artikels 8 Absatz 5 der Verordnung Wertschätzung genießt, so ist der Widerspruchsschrift nach Möglichkeit ein Nachweis über die Notorietät oder Wertschätzung beizufügen. Wird der Widerspruch aufgrund eines sonstigen älteren Rechts erhoben, so sind der Widerspruchsschrift nach Möglichkeit sachdienliche Nachweise in Bezug auf den Erwerb und den Schutzbereich dieses Rechts beizufügen.

(3) Die in Absatz 1 genannten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen sowie einschlägigen Unterlagen und der in Absatz 2 erwähnte Nachweis können, wenn sie nicht zusammen mit der Widerspruchsschrift oder anschließend übermittelt werden, innerhalb einer vom Amt gemäß Regel 20 Absatz 2 festgelegten Frist nach Beginn des Widerspruchsverfahrens vorgelegt werden.

Regel 17

Sprachenregelung für den Widerspruch

(2) Werden die in Regel 16 Absätze 1 und 2 vorgesehenen Nachweise zur Stützung des Widerspruchs nicht in der Sprache des Widerspruchsverfahrens erbracht, so muss der Widersprechende eine Übersetzung in der betreffenden Sprache innerhalb einer Frist von einem Monat nach Ablauf der Widerspruchsfrist oder gegebenenfalls innerhalb der vom Amt gemäß Regel 16 Absatz 3 festgelegten Frist vorlegen.

Regel 20

Prüfung des Widerspruchs

(2) Enthält die Widerspruchsschrift keine Einzelheiten der Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen gemäß Regel 16 Absätze 1 und 2, so fordert das Amt den Widersprechenden auf, diese Unterlagen innerhalb einer vom Amt festgesetzten Frist vorzulegen. Alle Vorlagen des Widersprechenden werden dem Anmelder mitgeteilt, der innerhalb einer vom Amt festgesetzten Frist Gelegenheit zur Äußerung erhält.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

3. Mit Anmeldung vom 21. September 1998 beantragte die A. Racke GmbH & Co. OHG nach der Verordnung Nr. 40/94 beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke.

4. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das folgende Bildzeichen unter Beanspruchung der Farben gold, schwarz und weiß:

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5. Die Marke wurde für die Waren „Wein und Schaumwein“ der Klasse 33 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

6. Die Anmeldung wurde am 26. Juli 1999 im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 58/99 veröffentlicht.

7. Am 26. Oktober 1999 legte die Société anonyme des eaux minérales d’Évian (SAEME) auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 40/94 Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde auf folgende ältere Rechte gestützt:

– die deutsche Wortmarke DE 1 185 308 Evian (im Folgenden: deutsche Marke), angemeldet am 11. November 1985 und eingetragen am 10. Juli 1992 für „Mineralwässer“ der Klasse 32, wobei der Schutz der Marke bis zum 30. November 2015 verlängert wurde;

– die französische Bildmarke FR 98 712 542 (evian und Bergmotiv) (im Folgenden: französische Marke), die mit Anmeldetag vom 12. Januar 1998 für verschiedene Waren und Dienstleistungen registriert wurde;

– die mit Wirkung für Dänemark, Deutschland, Spanien, Italien, Österreich, Finnland, Schweden, das Vereinigte Königreich und die Benelux-Länder mit Datum vom 6. Juli 1998 eingetragene internationale Marke IR 696 812 (im Folgenden: internationale Marke), basierend auf der oben genannten französischen Marke;

– die ältere, in Belgien und Frankreich für „Mineralwässer“ notorisch bekannte Marke evian (im Folgenden: notorisch bekannte Marke).

8. Der Widerspruchsschrift waren eine Kopie der deutschen Marke, eine Kopie der französischen Marke (in der Originalsprache Französisch) und eine Kopie der internationalen Marke (in der Originalsprache Französisch) beigelegt. Eine Übersetzung des Verzeichnisses der Waren der Klassen 32 und 33 des Abkommens von Nizza, die in der auf die französische und die internationale Marke gestützten Widerspruchsschrift genannt wurden, in der Verfahrenssprache Deutsch war ebenfalls beigefügt.

9. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1999 forderte die Widerspruchsabteilung die Klägerin nach Regel 15 Abs. 2 Buchst. c und Regel 18 Abs. 2 der Durchführungsverordnung auf, drei Kopien ihrer französischen und ihrer internationalen Marke innerhalb von zwei Monaten zu übermitteln, und wies darauf hin, dass der Widerspruch andernfalls für unzulässig erklärt werde.

10. Die Klägerin reichte diese Dokumente am 8. Februar 2000 ein.

11. Mit Standardschreiben vom 28. Februar 2000 setzte die Widerspruchsabteilung der Klägerin eine Frist von vier Monaten für das Vorbringen der Tatsachen, Beweismittel oder Bemerkungen, die sie als notwendig zur Substantiierung ihres Widerspruchs erachte, und wies darauf hin, dass die Schriftstücke in der Sprache des Widerspruchsverfahrens oder zusammen mit einer Übersetzung übermittelt werden müssen.

12. Am 29. August 2000 richtete die Streithelferin ihren Schriftsatz an die Widerspruchsabteilung, in dem sie insbesondere geltend machte, dass der Nachweis der Existenz und der Rechtsgültigkeit der französischen und der internationalen Marke nicht erbracht worden sei, da die Klägerin keine Übersetzung der Eintragungsurkunden für diese Marken vorgelegt habe. Der Schriftsatz wurde der Klägerin mit Schreiben vom 19. September 2000 übermittelt und es wurde ihr eine Frist von zwei Monaten für eine Äußerung zu den Erklärungen der Streithelferin gesetzt.

13. Am 22. November 2000 und damit innerhalb der im Schreiben vom 19. September 2000 gesetzten Zweimonatsfrist für eine Stellungnahme zu den Erklärungen der Streithelferin legte die Klägerin eine vollständige Übersetzung der Eintragungsurkunden für ihre französische und ihre internationale Marke vor.

14. Mit Entscheidung Nr. 2754/2001 vom 23. November 2001 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch in Bezug auf die französische und die internationale Marke als unbegründet zurück. Sie lehnte nämlich die Berücksichtigung der Eintragungsurkunden mit der Begründung ab, dass ihre Übersetzung verspätet eingereicht worden sei, und war der Ansicht, dass der Nachweis für die Existenz und die Rechtsbeständigkeit dieser beiden älteren Marken nicht erbracht worden sei. Soweit der Widerspruch auf die deutsche Marke gestützt war, wurde er insbesondere aufgrund des erheblichen Warenabstands, den die Widerspruchsabteilung festgestellt hatte, ebenfalls zurückgewiesen. Schließlich wurde er auch insoweit zurückgewiesen, als er auf die notorisch bekannte Marke gestützt war.

15. Am 21. Januar 2001 legte die Klägerin eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

16. Am 22. Juli 2005 wies die Vierte Beschwerdekammer die Beschwerde der Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung mit der Entscheidung R 82/2002‑4 zurück. Sie bestätigte die Entscheidung der Widerspruchsabteilung, die Eintragungsurkunden für die französische und die internationale Marke nicht zu beachten, weil die Übersetzung in die Sprache des Widerspruchsverfahrens verspätet eingereicht worden sei. Hinsichtlich der Verwechslungsgefahr mit der deutschen Marke war sie der Ansicht, dass das Vorliegen einer solchen Gefahr angesichts des ausreichenden Waren- und Zeichenabstands von der Widerspruchsabteilung zu Recht verneint worden sei. Diese Entscheidung der Beschwerdekammer wurde der Klägerin am 16. September 2005 zugestellt.

17. In der Folge beschloss die Klägerin, ihren Widerspruch in Bezug auf die französische und die notorisch bekannte Marke nicht weiter zu verfolgen und beschränkte die Grundlage für die Anfechtung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung und der Beschwerdeabteilung auf die internationale und die deutsche Marke.

Anträge der Parteien

18. Die Klägerin beantragt,

– die Entscheidung der Widerspruchsabteilung aufzuheben;

– die Entscheidung der Beschwerdekammer aufzuheben;

– dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

19. Die Klägerin stützt ihre Klage gegen die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung und der Beschwerdekammer nur auf die internationale und die deutsche Marke.

20. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ihre internationale Marke zum Teil aus der Klasse 32 und zur Gänze aus der Klasse 33 gelöscht worden sei und folglich nur mehr „stille oder kohlensäurehaltige Wässer (Mineralwässer oder nicht)“ der Klasse 32 betreffe. Sie hat auch beantragt, der Streithelferin ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

21. Das HABM beantragt,

– die Klage abzuweisen;

– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

22. Die Streithelferin beantragt,

– die Klage abzuweisen;

– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

23. Die Klägerin macht zwei Aufhebungsgründe geltend, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze, insbesondere gegen Art. 42 Abs. 3 und Art. 74 der Verordnung Nr. 40/94 sowie gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens, und zweitens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung rügt.

Vorbringen der Parteien

24. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 42 Abs. 3 und Art. 74 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen habe, weil sie ihre Weigerung, die internationale Marke zu berücksichtigen, auf die fehlerhaften Begründung gestützt habe, dass die Übersetzung nicht bei der Einlegung des Widerspruchs vorgelegt worden sei und dass sie erst verspätet eingereicht worden sei.

25. Erstens habe ihr Widerspruch den Anforderungen des Art. 42 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 entsprochen. Aus der Widerspruchsschrift und den oben in Randnr. 8 genannten Anlagen dazu seien der Streithelferin alle wesentlichen Angaben, wie das Datum der Anmeldung der internationalen Marke, das Datum ihrer Eintragung, ihre Wiedergabe und eine Übersetzung der Liste der Waren der Klassen 32 und 33 im Sinne des Abkommens von Nizza, die durch diese Marke geschützt und in Widerspruchsschrift genannt würden, ersichtlich gewesen. Die Beschwerdekammer habe zu Unrecht die Meinung vertreten, dass es nicht unverhältnismäßig und unangemessen sei, die Übersetzung der in französischer Sprache vorgelegten Dokumente in die Verfahrenssprache Deutsch zu verlangen. Außerdem kritisiert die Klägerin das Schweigen der Beschwerdekammer dazu, welche zusätzlichen Angaben noch hätten übersetzt werden sollen.

26. Unter Hinweis auf das Urteil des Gerichts vom 30. Juni 2004, GE Betz/HABM – Atofina Chemicals (BIOMATE) (T‑107/02, Slg. 2004, II‑1845), hebt die Klägerin hervor, dass im Gegensatz zum Fehlen der Übersetzung der Verzeichnisse der Waren und Dienstleistungen der älteren Marke, das gegen Regel 15 Abs. 2 in Verbindung mit Regel 17 Abs. 1 der Durchführungsverordnung verstoße, das Fehlen einer Übersetzung der Eintragungsurkunde für eine ältere Marke gegen keine Vorschrift der Verordnung Nr. 40/94 und der Durchführungsverordnung verstoße. Daraus folge, dass der Widerspruch in Bezug auf die internationale Marke ordnungsgemäß erhoben worden sei.

27. Zweitens bestreitet die Klägerin, dass die vollständige Übersetzung der internationalen Eintragungsurkunde verspätet eingereicht worden sei. Sie beruft sich dabei auf das Urteil des Gerichts vom 9. November 2005, Focus Magazin Verlag/HABM – ECI Telecom (Hi-FOCuS) (T‑275/03, Slg. 2005, II‑4725), mit dem die Vorlage einer Übersetzung der Eintragungsurkunde als Anlage zu einer Beschwerde bei der Beschwerdekammer als nicht verspätet im Sinne von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 angesehen worden sei. Wegen der funktionalen Kontinuität zwischen der Widerspruchsabteilung und der Beschwerdekammer habe das Gericht nämlich zunächst betont, dass die Beschwerdekammer gehalten sei, das gesamte vor der Widerspruchsabteilung und vor ihr vorgetragene Vorbringen der Entscheidung zugrunde zu legen, es sei denn, es wäre verspätet im Sinne von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (Randnrn. 37 und 38). Das Gericht habe danach die Vorlage der Übersetzung der Eintragungsurkunde mit der Einreichung der Beschwerde bei der Beschwerdekammer als nicht verspätet angesehen. Daraus schließt die Klägerin, dass eine Verspätung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 im vorliegenden Fall erst recht nicht angenommen werden könne, da sie aufgrund der Rüge der Streithelferin innerhalb der eingeräumten Frist darauf erwidert und dabei der Widerspruchsabteilung die vollständige Übersetzung der Eintragungsurkunde für die internationale Marke in die Verfahrenssprache vorgelegt habe.

28. Das HABM meint, dass die Argumentation der Klägerin auf einem fehlerhaften Verständnis der Gesetzessystematik der Regeln 15 ff. der Durchführungsverordnung beruhe. Es sei nämlich zwischen der Widerspruchsschrift und den Nachweisen zur Stützung des Widerspruchs zu unterscheiden.

29. Entspreche die Widerspruchsschrift nämlich nicht den Vorschriften der Durchführungsverordnung, so sei sie, vorbehaltlich der Möglichkeit der Mängelbeseitigung nach Regel 18 Abs. 2 der Durchführungsverordnung, als unzulässig zurückzuweisen. Weise das HABM den Widerspruch nicht als unzulässig zurück, so werde das zweiseitige Widerspruchsverfahren durch Übermittlung der Widerspruchsschrift an den Anmelder eröffnet.

30. Was dagegen die Nachweise betreffe, die zur Stützung des Widerspruchs einzureichen seien und zu denen insbesondere der Nachweis der Existenz und der Rechtsbeständigkeit des älteren Rechts gehörten, müssten diese nicht zusammen mit der Widerspruchsschrift eingereicht werden. Sie könnten noch innerhalb einer vom HABM festgelegten Frist nach Beginn des Widerspruchsverfahrens vorgelegt werden (Regel 16 Abs. 3 der Durchführungsverordnung). Der sich aus den Eintragungsurkunden ergebende Beweis müsse den in Regel 17 Abs. 2 der Durchführungsverordnung aufgestellten sprachlichen Anforderungen genügen, sonst sei der Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen.

31. Zu der Frage, ob das in Rede stehende Dokument verspätet vorgelegt wurde, vertritt das HABM die Ansicht, dass aus dem Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2002, Institut für Lernsysteme/HABM – Educational Services (ELS) (T‑388/00, Slg. 2002, II‑4301), hervorgehe, dass Beweise bis zur Anstrengung eines Nichtigkeitsverfahrens ausgeschlossen seien, wenn der Widersprechende eine ihm gesetzte Frist für ihre Vorlage versäumt habe. Seine Beschwerde an die Beschwerdekammer eröffne daher die Fristen für die Vorlage von Beweisen nicht neu. Die Beschwerdekammer habe folglich den auf die internationale Marke gestützten Widerspruch zu Recht zurückgewiesen, da die Übersetzung außerhalb der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorgelegt worden sei.

32. Die Streithelferin ist der Auffassung, dass allein der objektive Verstoß der Klägerin gegen Verfahrensvorschriften maßgeblich sei und dass dieser Verstoß durch die Nachreichung von Unterlagen nach Fristablauf nicht geheilt werden könne.

Würdigung durch das Gericht

33. Im Vorbringen zu ihrem ersten Klagegrund erläutert die Klägerin zunächst, dass sie die sprachlichen Anforderungen der Verordnung an das Widerspruchsverfahren erfüllt habe, und bestreitet sodann, dass die Übersetzung der internationalen Marke verspätet vorgelegt worden sei. Zum Zwecke der Beurteilung des ersten Klagegrundes ist jeder dieser beiden Punkte zu prüfen.

Zu den sprachlichen Anforderungen des Widerspruchsverfahrens

34. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Widerspruchsschrift gemäß Regel 16 Abs. 2 der Durchführungsverordnung nach Möglichkeit ein Nachweis über die Eintragung oder Anmeldung der Marke, z. B. eine Urkunde der Eintragung, beizufügen ist, wenn der Widerspruch auf einer älteren Marke beruht, die keine Gemeinschaftsmarke ist.

35. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, wird Regel 17 Abs. 2 der Durchführungsverordnung, wonach die Nachweise zur Stützung des Widerspruchs in der Sprache des Widerspruchsverfahrens vorgelegt werden müssen oder ihnen eine Übersetzung in dieser Sprache beizufügen ist (siehe oben, Randnr. 2), durch das Erfordernis gerechtfertigt, in Verfahren inter partes den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und die Waffengleichheit zwischen den Beteiligten zu wahren (Urteile des Gerichts vom 13. Juni 2002, Chef Revival USA/HABM – Massagué Marín [Chef], T‑232/00, Slg. 2002, II‑2749, Randnr. 42, und BIOMATE, Randnr. 72).

36. Aus der Rechtsprechung geht auch hervor, dass den Widersprechenden zwar keine Pflicht trifft, eine vollständige Übersetzung der Eintragungsurkunden für die älteren Marken vorzulegen, doch bedeutet dies nicht, dass die Widerspruchsabteilung verpflichtet wäre, bei der Prüfung der Begründetheit des Widerspruchs Eintragungsurkunden zu berücksichtigen, die in einer anderen Sprache als der des Widerspruchsverfahrens vorgelegt worden sind. Fehlt die Übersetzung der Eintragungsurkunden in die Verfahrenssprache, so ist die Widerspruchsabteilung berechtigt, den Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen, sofern sie nicht nach Regel 20 Abs. 3 der Durchführungsverordnung anhand der ihr vorliegenden Beweismittel über den Widerspruch entscheiden kann (Urteile Chef, Randnr. 44, und BIOMATE, Randnr. 72).

37. Der Beweis ergibt sich zwar tatsächlich aus den Eintragungsurkunden und nicht aus deren Übersetzung, doch kann er nur dann berücksichtigt werden, wenn er den in Regel 17 Abs. 2 der Durchführungsverordnung aufgestellten sprachlichen Anforderungen genügt (Urteil BIOMATE, Randnr. 73).

38. Im vorliegenden Fall waren der Widerspruchsschrift unstreitig nur eine Kopie der internationalen Marke in der Originalsprache Französisch und eine Übersetzung des Verzeichnisses der Waren der Klassen 32 und 33 des Abkommens von Nizza, die in der auf die internationale Marke gestützten Widerspruchsschrift genannt wurden, in die Verfahrenssprache Deutsch beigefügt.

39. Angesichts der vorstehenden Erwägungen genügen die genannten Anlagen zur Widerspruchsschrift entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den sprachlichen Anforderungen, die sich aus Art. 42 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 und der Regel 17 Abs. 2 der Durchführungsordnung ergeben.

40. Was die von der Klägerin bestrittene Notwendigkeit angeht, die internationale Eintragungsurkunde vollständig zu übersetzen, so steht zwar die Beurteilung der Frage, ob bestimmte Einzelheiten des betroffenen Dokuments als für den betreffenden Widerspruch unerheblich betrachtet werden können und daher nicht übersetzt zu werden brauchen, dem Widersprechenden frei. Doch sind nur die tatsächlich in die Verfahrenssprache übersetzten Einzelheiten von der Beschwerdekammer zu berücksichtigen. Überdies ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Akten, dass die in französischer Sprache vorgelegte Eintragungsurkunde für die internatonale Marke insbesondere im Vergleich zu dem übersetzten Warenverzeichnis nicht so lang ist, dass die Pflicht, ihre Übersetzung vorzulegen, als unverhältnismäßig und unangemessen angesehen werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil BIOMATE, Randnr. 74).

41. Das oben in Randnr. 27 dargelegte Argument der Klägerin, das Urteil BIOMATE bestätige gerade, dass der Widerspruch in Bezug auf die internationale Marke ordnungsgemäß erhoben worden sei, ist zu verwerfen, da es auf einer Verwechslung der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die Widerspruchsschrift mit den Bestimmungen über Beweismittel und einschlägige Unterlagen, die zur Stützung des Widerspruchs vorgelegt werden, beruht.

42. Wie sich aus Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94 in Verbindung mit den Regeln 16 bis 18 und 20 der Durchführungsverordnung ergibt, unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Anforderungen an die Widerspruchsschrift, die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Widerspruchs sind, einerseits und dem Vorbringen von Tatsachen, Beweismitteln, Bemerkungen und einschlägigen Unterlagen zur Stützung des Widerspruchs, das zur sachlichen Prüfung des Widerspruchs gehört, andererseits (Urteil Chef, Randnr. 31).

43. Die rechtlichen Erfordernisse hinsichtlich u. a. Beweismitteln und einschlägigen Unterlagen, wie etwa die Eintragungsurkunden für eine ältere Marke, sowie ihrer Übersetzung in die Sprache des Widerspruchsverfahrens gehören nicht zu den in Regel 18 Abs. 2 der Durchführungsverordnung genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Widerspruchs, sondern bilden Voraussetzungen seiner Begründetheit (Urteil Chef, Randnr. 52).

44. Der Widerspruch wurde im vorliegenden Fall außerdem nicht als unzulässig zurückgewiesen, da die von der Klägerin eingereichte Widerspruchsschrift den Voraussetzungen der Regeln 16 und 18 der Durchführungsverordnung genügte, sondern er wurde für unbegründet erklärt, weil es an Nachweisen fehlte.

Zur verspäteten Vorlage der Übersetzung der Eintragungsurkunde für die internationale Marke

45. Mit Standardschreiben vom 28. Februar 2000 setzte die Widerspruchsabteilung der Klägerin eine Frist von vier Monaten für das Vorbringen weiterer Tatsachen, Beweismittel oder Bemerkungen, die sie als notwendig zur Substaniierung ihres Widerspruchs erachte und wies darauf hin, dass alle Schriftstücke in der Sprache des Widerspruchsverfahrens verfasst sein oder zusammen mit einer Übersetzung eingereicht werden müssten.

46. Dazu ist festzustellen, dass dieses Standardschreiben im Einklang mit Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94 sowie Regel 16 Abs. 2 und 3 und Regel 17 Abs. 2 der Durchführungsverordnung steht, da diese Bestimmungen vorsehen, dass die Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zur Stützung des Widerspruchs innerhalb einer vom HABM bestimmten Frist vorgebracht werden können. Im Übrigen wurden am Beginn dieses Schreibens die Regeln 19 Abs. 1, 16 Abs. 3, 17 Abs. 2 und 20 Abs. 2 der Durchführungsverordnung angeführt.

47. Die Klägerin hat indessen die Übersetzung der Eintragungsurkunde für die internationale Marke nicht innerhalb der von der Widerspruchsabteilung in diesem Schreiben bestimmten Frist übermittelt. Sie hat diese Übersetzung nur als Anlage zu einem Schreiben vom 22. November 2000 vorgelegt, einer Stellungnahme zu den Erklärungen der Streithelferin, die von der Widerspruchsabteilung am 19. September 2000 zugestellt wurden und in denen gerade das Fehlen des fraglichen Dokuments gerügt wurde.

48. Die Klägerin macht jedoch geltend, dass die Übersetzung dieses Dokuments der Beschwerdekammer rechtzeitig vorgelegt worden sei, und stützt sich dabei auf das Urteil Hi-FOCuS (Randnrn. 37 und 38), in dem das Gericht unter Berufung auf die funktionale Kontinuität zwischen den Dienststellen des HABM entschieden hat, dass die Vorlage der Übersetzung der Eintragungsurkunde mit der Einreichung der Beschwerde bei der Beschwerdekammer nicht verspätet im Sinne von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 ist, da diese Übermittlung innerhalb der in Art. 59 dieser Verordnung festgesetzten Beschwerdefrist von vier Monaten erfolgt ist.

49. Zwar ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass zwischen den verschiedenen Stellen des HABM, d. h. dem Prüfer, der Widerspruchs‑, der Markenverwaltungs- und der Rechtsabteilung sowie den Nichtigkeitsabteilungen einerseits und den Beschwerdekammern andererseits eine funktionale Kontinuität besteht (Urteile des Gerichts vom 23. September 2003, Henkel/HABM – LHS [UK] [KLEENCARE], T‑308/01, Slg. 2003, II‑3253, Randnr. 25, vom 10. Juli 2006, La Baronia de Turis/HABM – Baron Philippe de Rothschild [LA BARONNIE], T‑323/03, Slg. 2006, II‑2085, Randnr. 57, und vom 11. Juli 2006, Caviar Anzali/HABM – Novomarket [Asetra], T‑252/04, Slg. 2006, II‑2115, Randnr. 30).

50. Aus dieser funktionalen Kontinuität zwischen den verschiedenen Stellen des HABM folgt, dass die Beschwerdekammern im Rahmen ihrer Überprüfung der von den erstinstanzlichen Stellen erlassenen Entscheidungen ihre eigene Entscheidung auf das gesamte tatsächliche und rechtliche Vorbringen zu stützen haben, das die Parteien entweder im Verfahren vor der Dienststelle, die in erster Instanz entschieden hat, oder im Beschwerdeverfahren geltend gemacht haben (Urteile des Gerichts KLEENCARE, Randnr. 32, vom 1. Februar 2005, SPAG/HABM – Dann und Backer [HOOLIGAN], T‑57/03, Slg. 2005, II‑287, Randnr. 18, Hi-FOCuS, Randnr. 37, LA BARONNIE, Randnr. 58, und Asetra, Randnr. 31).

51. Die Beschwerdekammern können daher der Beschwerde – vorbehaltlich nur des Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 – auf der Grundlage neuer Tatsachen oder auch neuer Beweismittel stattgeben, die der Beschwerdeführer vorbringt (Urteile des Gerichts KLEENCARE, Randnr. 26, und vom 3. Dezember 2003, Audi/HABM [TDI], T‑16/02, Slg. 2003, II‑5167, Randnr. 81). Die von den Beschwerdekammern ausgeübte Kontrolle ist nicht auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung beschränkt, sondern bringt wegen des Devolutiveffekts des Beschwerdeverfahrens eine neue Beurteilung des Rechtsstreits mit sich, bei der die Beschwerdekammern das ursprüngliche Begehren des Beschwerdeführers insgesamt zu überprüfen und rechtzeitig vorgebrachte Beweismittel zu berücksichtigen haben (Urteile LA BARONNIE, Randnr. 59, und Asetra, Randnr. 32).

52. Jedoch kann Art. 59 der Verordnung Nr. 40/94, anders als die Klägerin vorträgt, nicht dahin ausgelegt werden, dass er dem Beschwerdeführer eine neue Frist für das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln zur Stützung seines Widerspruchs eröffnet (Urteil des Gerichtshofs vom 13. März 2007, HABM/Kaul, C‑29/05 P, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 61).

53. Im Unterschied zu Art. 42 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 bezieht sich deren Art. 59, der die Voraussetzungen für die Einreichung einer Beschwerde bei der Beschwerdekammer regelt, nämlich nicht auf das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln, sondern sagt nur, dass die Beschwerde innerhalb von vier Monaten schriftlich zu begründen ist (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 60).

54. Da die Übersetzung des in Rede stehenden Dokuments im vorliegenden Fall von der Klägerin nicht innerhalb der ihr dafür nach der Verordnung Nr. 40/94 gesetzten Frist und damit „verspätet“ im Sinne von Art. 74 Abs. 2 dieser Verordnung vorgelegt worden ist, sind daraus die Konsequenzen zu ziehen.

55. Zunächst ist festzustellen, dass das HABM nach dem Wortlaut von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht wurden, nicht zu berücksichtigen braucht.

56. Aus diesem Wortlaut folgt, dass als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 40/94 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem HABM keineswegs untersagt ist, solche versp ätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 42).

57. Allerdings ergibt sich aus diesem Wortlaut ebenso eindeutig, dass ein solches verspätetes Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln dem Beteiligten, von dem es stammt, keinen bedingungslosen Anspruch darauf verleihen kann, dass diese Tatsachen oder Beweismittel vom HABM berücksichtigt werden. Denn mit der Klarstellung, dass das HABM in einem solchen Fall die fraglichen Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 dem HABM im Hinblick auf seine Entscheidung, ob die Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt werden sollen oder nicht, ein weites Ermessen ein, wobei diese Entscheidung jedoch ordnungsgemäß zu begründen ist (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 43).

58. Eine solche Berücksichtigung durch das HABM kann, wenn es im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zu entscheiden hat, insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass zum einen die verspätet vorgebrachten Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für das Ergebnis des bei ihm eingelegten Widerspruchs sein können und dass zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, einer solchen Berücksichtigung nicht entgegenstehen (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 44).

59. Die Möglichkeit der zur Entscheidung über die Streitigkeit berufenen Stelle, von den Beteiligten verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, kann zumindest im Fall eines Widerspruchsverfahrens dazu beitragen, die Eintragung von Marken zu verhindern, deren Benutzung anschließend mittels eines Verfahrens der Nichtigerklärung oder anlässlich eines Verletzungsverfahrens mit Erfolg entgegengetreten werden könnte. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sprechen hierfür Gründe der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung (Urteil HABM/KAUL, Randnr. 48).

60. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die Beschwerdekammer darauf beschränkt hat, zu erklären, dass die Widerspruchsabteilung die von der Klägerin während des Widerspruchsverfahrens vorgelegten Übersetzungen wegen ihrer verspäteten Vorlage zu Recht nicht berücksichtigt hat. Aus den Verfahrensunterlagen geht jedoch nicht hervor, dass sie das ihr durch Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 eingeräumte Ermessen dazu ausgeübt hat, festzustellen, ob das fragliche Dokument zu berücksichtigen ist; zumindest ist nicht ersichtlich, dass sie ihre Entscheidung in diesem Punkt begründet hat.

61. Die Begründung der Beschwerdekammer betrifft nämlich nur die Notwendigkeit, die Beweismittel zur Stützung des Widerspruchs in die Sprache des Widerspruchsverfahrens zu übersetzen, und das Fehlen einer Verpflichtung der Widerspruchsabteilung, die in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache vorgelegten Dokumente zu berücksichtigen, nicht aber die Frage, ob es zweckmäßig ist, die verspätet vorgelegte Übersetzung zu berücksichtigen.

62. Im Übrigen sind die in der Sitzung abgegebenen Erklärungen des HABM, nach denen die Beschwerdekammer ihr Ermessen ausgeübt habe, unerheblich. Das HABM trägt nämlich vor, dass sich die Beschwerdekammer gefragt habe, ob die Weigerung der Widerspruchsabteilung, das fragliche Dokument zu berücksichtigen, begründet gewesen sei, und in Randnr. 43 seiner Entscheidung festgestellt habe, dass es dem Grundsatz der Waffengleichheit zuwiderlaufe, der Partei, die die zur Vorlage von Beweismitteln gesetzte Frist verstreichen habe lassen, eine neue Frist zu gewähren, weil die andere Partei gerügt habe, dass eben diese Beweismittel nicht vorgelegt worden seien.

63. Die in Randnr. 43 der Entscheidung der Beschwerdekammer ausgeführten Erwägungen ermöglichen es dem Gericht weder zu kontrollieren, ob die Beschwerdekammer in das fragliche Dokument tatsächlich Einsicht genommen hat, um festzustellen, ob ihm auf den ersten Blick wirkliche Relevanz für das Widerspruchsverfahren zukommen kann, noch zu überprüfen, ob die Umstände des vorliegenden Falles und das Stadium, in dem diese verspätete Vorlage erfolgt ist, der Berücksichtigung des Dokuments entgegenstehen.

64. Die Beschwerdekammer hat somit dadurch gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen, dass sie das ihr durch diese Bestimmung eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt oder zumindest nicht erläutert hat, wie sie es ausgeübt hat, und dass sie folglich ihre Entscheidung, die Übersetzung der Eintragungsurkunde für die internationale Marke nicht zu berücksichtigen, nicht in rechtlich hinreichender Weise begründet hat.

65. Es ist allerdings zu prüfen, welche Konsequenzen aus diesem Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zu ziehen sind. Nach ständiger Rechtsprechung zieht nämlich ein Verfahrensverstoß die vollständige oder teilweise Aufhebung einer Entscheidung nur dann nach sich, wenn nachgewiesen ist, dass die angefochtene Entscheidung ohne diesen Verfahrensverstoß einen anderen Inhalt hätte haben können (Urteil LA BARONNIE, Randnr. 69). Des Weiteren kann nach Art. 63 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 die Entscheidung einer Beschwerdekammer nur aufgehoben oder geändert werden, wenn sie in materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Hinsicht rechtswidrig ist (Urteil LA BARONNIE, Randnr. 69).

66. Im vorliegenden Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beweismittel, die die Beschwerdekammer nicht berücksichtigt hat, den Inhalt ihrer Entscheidung ändern könnten. Es steht jedoch dem Gericht, nicht zu, die Beurteilung der fraglichen Beweismittel an Stelle des HABM vorzunehmen.

67. Daraus folgt, dass die Entscheidung der Beschwerdekammer allein schon aus diesem Grund aufzuheben ist, und dass es nicht erforderlich ist, zu der Frage, ob gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen wurde, wie mit dem ersten Klagegrund vorgetragen worden ist, oder zum zweiten Klagegrund Stellung zu nehmen, und dass das Gericht auch nicht über die Zulässigkeit des Antrags auf Aufhebung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung zu entscheiden braucht.

Kosten

68. Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Im vorliegenden Fall ist das HABM unterlegen und die Klägerin hat beantragt, ihm die Kosten aufzuerlegen.

69. Nach Art. 87 § 4 Unterabs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein Streithelfer seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall ist die Streithelferin ebenso unterlegen wie das HABM. Die Klägerin hat jedoch beantragt, die Streithelferin nur zu ihren eigenen Kosten zu verurteilen, und das HABM hat dem Antrag, es allein zur Tragung der Kosten der Klägerin zu verurteilen, nicht widersprochen.

70. Demnach trägt das HABM außer seinen eigenen Kosten die Kosten der Klägerin und die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.

Tenor

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 22. Juli 2005 (Sache R 82/2002‑4) wird aufgehoben.

2. Das HABM trägt seine eigenen Kosten und die Kosten der Klägerin.

3. Die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.

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