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Document 62004CJ0514
Judgment of the Court (Second Chamber) of 13 July 2006.#Uroplasty BV v Inspecteur van de Belastingdienst - Douanedistrict Rotterdam.#Reference for a preliminary ruling: Gerechtshof te Amsterdam - Netherlands.#Tariff classification - Sterile flakes of polydimethilsiloxane - Silicone elastomer - Meaning of 'primary form' - Medicament - Packaging - Meaning of 'appliance implanted in the body'.#Case C-514/04.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 13. Juli 2006.
Uroplasty BV gegen Inspecteur van de Belastingdienst - Douanedistrict Rotterdam.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof te Amsterdam - Niederlande.
Tarifierung - Sterile Polydimethylsiloxanflocken - Siliconelastomer - Begriff "Primärform" - Medikament - Verpackung - Begriff "Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus".
Rechtssache C-514/04.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 13. Juli 2006.
Uroplasty BV gegen Inspecteur van de Belastingdienst - Douanedistrict Rotterdam.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof te Amsterdam - Niederlande.
Tarifierung - Sterile Polydimethylsiloxanflocken - Siliconelastomer - Begriff "Primärform" - Medikament - Verpackung - Begriff "Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus".
Rechtssache C-514/04.
Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-06721
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:464
Rechtssache C‑514/04
Uroplasty BV
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst – Douanedistrict Rotterdam
(Vorabentscheidungsersuchen des Gerechtshof te Amsterdam)
„Tarifierung – Sterile Polydimethylsiloxanflocken – Siliconelastomer – Begriff ‚Primärform‘ – Medikament – Verpackung – Begriff ‚Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus‘“
Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 19. Januar 2006
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 13. Juli 2006
Leitsätze des Urteils
Gemeinsamer Zolltarif – Tarifpositionen – Sterile Polydimethylsiloxanflocken
Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung Nr. 2388/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Produkt wie Polydimethylsiloxan, das aus sterilen Flocken besteht und speziell entwickelt wurde, um für die Behandlung eines Leidens in den Organismus eingepflanzt zu werden, und allein für diese Anwendung bestimmt ist und das dem Zoll in einer Aufmachung in Beuteln von etwa 1 kg vorgelegt wird, eine Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus darstellt, die in die Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen ist. Ein solches Produkt, dessen Zweck nicht ist, ein Organ zu ersetzen, sondern das einen geschädigten Muskel befähigen soll, Bindegewebe zu bilden, ist in die Unterposition 9021 90 90 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen.
(vgl. Randnr. 57 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
13. Juli 2006(*)
„Tarifierung – Sterile Polydimethylsiloxanflocken – Siliconelastomer – Begriff ‚Primärform‘ – Medikament – Verpackung – Begriff ‚Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus‘“
In der Rechtssache C‑514/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Gerechtshof Amsterdam (Niederlande) mit Entscheidung vom 30. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2004, in dem Verfahren
Uroplasty BV
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst-Douanedistrict Rotterdam
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk, R. Schintgen, P. Kūris (Berichterstatter) und J. Klučka,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Uroplasty BV, vertreten durch J. Bakker, Adviseur douanezaken,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Hottiaux als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt F. Tuytschaever,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Januar 2006
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Positionen 9021 und 3926 der Kombinierten Nomenklatur (im Folgenden: KN) in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2388/2000 der Kommission vom 13. Oktober 2000 (ABl. L 264, S. 1, berichtigt in ABl. 2000, L 276, S. 92) geänderten Fassung.
2 Die vorgelegten Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Uroplasty BV (im Folgenden: Uroplasty) und dem Inspecteur van de Belastingdienst-Douanedistrict Rotterdam (Leiter des Zolldistrikts Rotterdam, im Folgenden: Inspecteur) über die Tarifierung eines Silicons in Form von Elastomerflocken, das dafür entwickelt wurde und dazu bestimmt ist, für die Behandlung von Problemen im Zusammenhang mit Inkontinenz in den menschlichen Körper eingebracht und darin befestigt zu werden.
Rechtlicher Rahmen
3 Mit dem Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 über den Abschluss des Internationalen Übereinkommens über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren sowie des dazugehörigen Änderungsprotokolls (ABl. L 198, S. 1) wurde dieses am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossene Übereinkommen in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 24. Juni 1986 im Namen der Gemeinschaft genehmigt.
4 Die KN beruht auf dem Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS), das durch das genannte Übereinkommen vom 14. Juni 1983 eingeführt wurde. Jede Unterposition der KN hat einen Zahlencode, wobei die ersten sechs Stellen den die Positionen und Unterpositionen betreffenden Codes des HS entsprechen und zwei Stellen angefügt werden, die eigenständige Unterteilungen der KN bilden.
5 Die zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltende Fassung der KN ist in der Verordnung Nr. 2388/2000 enthalten.
6 Das Kapitel 30 des Abschnitts VI des Teils II der KN trägt die Überschrift „Pharmazeutische Erzeugnisse“.
7 Die Position 3004 der KN umfasst:
„Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Positionen 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert oder in Aufmachung für den Einzelverkauf:
…
3004 90 – andere:
…
3004 90 99 – – – andere“.
8 Das Kapitel 39 des Abschnitts VII des Teils II der KN trägt die Überschrift „Kunststoffe und Waren daraus“.
9 Die Unterposition 3910 00 00 der KN betrifft „Silicone in Primärformen“.
10 Die Position 3926 der KN lautet:
„Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914:
…
3926 90 – andere
…
3926 90 99 – – – – andere“.
11 In der Anmerkung 2 zu Kapitel 39 KN heißt es:
„Zu Kapitel 39 gehören nicht:
…
r) Waren des Kapitels 90 (z. B. optische Elemente, Brillenfassungen, Zeicheninstrumente);
…“.
12 Anmerkung 3 zu Kapitel 39 KN ergänzt:
„Zu den Positionen 3901 bis 3911 gehören nur durch chemische Synthese hergestellte Erzeugnisse der folgenden Kategorien:
…
d) Silicone (Position 3910);
…“.
13 Die Anmerkung 6 zu Kapitel 39 KN erläutert:
„Als ‚Primärformen‘ im Sinne der Positionen 3901 bis 3914 gelten nur folgende Formen:
a) Flüssigkeiten und Pasten, einschließlich Dispersionen (Emulsionen und Suspensionen) und Lösungen;
b) Blöcke von unregelmäßiger Form, Brocken, Krümel, Pulver (einschließlich Formmassen), Granulate, Flocken und ähnliche lose Formen.“
14 Das Kapitel 90 des Abschnitts XVIII des Teils II der KN trägt die Überschrift „Optische, fotografische oder kinematografische Instrumente, Apparate und Geräte; Mess-, Prüf- oder Präzisionsinstrumente, -apparate und -geräte; medizinische und chirurgische Instrumente, Apparate und Geräte; Teile und Zubehör für diese Instrumente, Apparate und Geräte“.
15 Die Position 9021 der KN enthält:
„Orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen, einschließlich Krücken sowie medizinisch-chirurgische Gürtel und Bandagen; Schienen und andere Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen; Prothesen und andere Waren der Prothetik; Schwerhörigengeräte und andere Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen, zum Tragen in der Hand oder am Körper oder zum Einpflanzen in den Organismus:
…
9021 30 – andere Prothesen und andere Waren der Prothetik:
…
9021 30 90 – – andere
…
9021 90 – andere:
9021 90 90 – – andere“.
16 Die Anmerkung 1 zu Kapitel 90 KN bestimmt:
„Zu Kapitel 90 gehören nicht:
…
f) Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen Metallen (Abschnitt XV) und gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kapitel 39);
…“.
17 Die Anmerkung 2 zu Kapitel 90 KN präzisiert:
„Vorbehaltlich der vorstehenden Anmerkung 1 sind Teile und Zubehör für Maschinen, Apparate, Geräte, Instrumente oder andere Waren des Kapitels 90 nach folgenden Regeln einzureihen:
…
b) andere Teile und anderes Zubehör sind, wenn zu erkennen ist, dass sie ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschine, einen bestimmten Apparat oder ein bestimmtes Gerät oder Instrument oder für mehrere Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente der gleichen Position (auch der Position 9010, 9013 oder 9031) bestimmt sind, der Position für diese Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente zuzuweisen;
…“.
18 Die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN sehen in deren Teil I in Titel I Buchstabe A u. a. Folgendes vor:
„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:
1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.
…
6. Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
19 Uroplasty ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts, die Produkte für den Bereich der Urologie und Urogynäkologie entwickelt, herstellt und verkauft, wozu auch das Produkt mit dem Handelsnamen „Macroplastique-implantaat“ gehört, das bei der Behandlung von Stressinkontinenz und vesico-ureteralem Reflux eingesetzt wird. Dieses Produkt wird gebrauchsfertig an Ärzte und Krankenhäuser geliefert. Hierfür importiert Uroplasty in den Vereinigten Staaten hergestellte Flocken aus Polydimethylsiloxan.
20 Polydimethylsiloxan ist ein Silicon in Form eines Elastomers in Flocken unterschiedlicher Struktur und Größe von etwa 0,01 mm bis 5,0 mm. Sie werden unter sterilen Bedingungen verpackt und in Beutel mit einem Gesamtgewicht von ungefähr 1 Kilogramm „eingeschweißt“. Nach der Einfuhr wird die Verpackung bei Uroplasty in einem sterilen Raum mit einem sterilen Skalpell geöffnet.
21 Die Flocken werden danach in Einweg-Injektionspistolen gefüllt und mit einem sterilen Hydrogel vermischt, das aus einer Mischung eines Gels aus Polyvinylpyrrolidon mit Wasser besteht.
22 Das Gel sorgt dafür, dass die Flocken gleichmäßig in der Flüssigkeit verteilt werden und leicht durch die Injektionsnadel gleiten. Das Hydrogel wird über die Nieren aus dem Körper ausgeschieden, die Flocken bleiben zurück und werden durch das sich um sie entwickelnde Bindegewebe an Ort und Stelle gehalten.
23 Am 22. Februar 2001 beantragte Uroplasty beim Inspecteur eine verbindliche Zolltarifauskunft für „Polymethylsiloxan in Form weißer Flocken“, das als solches vom Labor der Finanzverwaltung untersucht wurde. Uroplasty schlug die Einreihung in die Unterposition 9021 90 00 KN vor.
24 Am 26. April 2001 erteilte der Inspecteur eine verbindliche Zolltarifauskunft mit der Nummer NL‑RTD‑2001‑000743, die die Ware in die Unterposition 3910 00 00 KN einreihte. Uroplasty legte Einspruch gegen diese Einreihung ein.
25 Außerdem wurde Uroplasty am 7. Mai 2001 eine weitere verbindliche Zolltarifauskunft mit der Nummer NL‑RTD‑2001‑000909 betreffend die Injektionspistolen erteilt, die mit einer Suspension der fraglichen Ware in einem Hydrogel gefüllt sind. Diese wurden vom Inspecteur in die Unterposition 9021 90 90 KN eingereiht.
26 Am 2. Oktober 2001 wies der Inspecteur den von Uroplasty gegen die verbindliche Zolltarifauskunft Nummer NL‑RTD‑2001‑000743 eingelegten Einspruch zurück.
27 Am 13. November 2001 erhob Uroplasty bei der Tariefcommissie, nunmehr Kammer für Zollsachen des Gerechtshof Amsterdam, Klage gegen die Entscheidung, mit der der Inspecteur ihren Einspruch zurückgewiesen hatte.
28 Uroplasty macht geltend, dass Polydimethylsiloxan an seiner speziellen Form und seiner Reinheit erkennbar sei. Es handele sich um ein hochwertiges medizinisches Produkt, dessen hoher Preis durch den Herstellungsprozess und das Patent bedingt sei. Polydimethylsiloxan erfülle die Beschreibung von „Siliconen in Primärformen“ im Sinne der Anmerkung 6 Buchstabe b zu Kapitel 39 KN. Jedoch werde es wegen Anmerkung 2 Buchstabe r zu Kapitel 39, wonach Waren des Kapitels 90 (das u. a. medizinische und chirurgische Instrumente und Apparate umfasst) nicht zu Kapitel 39 gehörten, nicht in dieses Kapitel eingereiht.
29 Polydimethylsiloxan sei zwar der Wirkstoff, es sei aber ausschließlich für die Injektionspistole bestimmt. Daher sei es gemäß der Anmerkung 2 Buchstabe b zu Kapitel 90 KN als „Teil“ des gebrauchsfertigen Produkts in die Unterposition 9021 90 90 KN einzureihen.
30 Dagegen kann Polydimethylsiloxan nach Ansicht des Inspecteur nicht Teil eines Produkts sein, weil es die Form von Flocken habe, bei der es sich nach Anmerkung 6 Buchstabe b zu Kapitel 39 KN um eine allgemeine Form handele. Die Flocken seien als solche nicht im Endprodukt enthalten. Sie seien als Halbfabrikat anzusehen, das als Silicone in Primärform in Position 3910 eingereiht werden müsse. Erst durch die Mischung mit einem Hydrogel erhalte man ein Implantat, das ein neues Produkt darstelle.
31 Außerdem erfülle das Produkt nach Zusammensetzung und Erscheinungsform die Anforderungen in den Anmerkungen zu Kapitel 39 KN. Auch der Preis des Produkts spiele für die Einreihung keine Rolle, ebenso wenig wie die Reinheit oder die Sterilität. Sein Endgebrauch sei für die Einreihung als Silicon ebenfalls nicht wichtig.
32 Da Polydimethylsiloxan steril eingeführt und verarbeitet werde, sei es möglich, dass es allein für medizinische Zwecke gebraucht werde. Da das Produkt im Körper bleibe, könne es nicht als pharmazeutisches Erzeugnis in Kapitel 30 KN eingereiht werden.
33 Das vorlegende Gericht beschreibt die Mischung aus dem Hydrogel und Polydimethylsiloxan als nur vorübergehend; sie erfolge allein zu dem Zweck, Letzteres in den menschlichen Körper injizieren zu können, ohne dass dadurch seine Merkmale und Eigenschaften verändert würden. Polydimethylsiloxan sei als ein Endprodukt anzusehen, da es als medizinisch-chirurgisches Implantat entwickelt worden und für diese Anwendung bestimmt sei.
34 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass Polydimethylsiloxan in die Position 9021 KN einzureihen ist, fragt sich aber, nach welchen Allgemeinen Vorschriften und in welche Unterposition die Einreihung zu erfolgen hat.
35 Nach den genannten Allgemeinen Vorschriften zur Einreihung müsste PPolydimethylsiloxan in die Unterposition 9021 30 KN, und zwar gemäß der Allgemeinen Vorschrift Nr. 6 zur Auslegung der KN in die Unterposition 9021 30 90, eingereiht werden.
36 Falls jedoch die Einreihung in Kapitel 90 ausgeschlossen sei, könne Polydimethylsiloxan auch nicht als Silicon in Primärform im Sinne der Position 3910 angesehen werden, sondern müsse aufgrund der Art und Weise seiner Herstellung wie ein Produkt der Position 3926 als „andere Waren“ aus einem Stoff der Position 3901 eingereiht werden.
37 Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Amsterdam das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. a) Ist Position 9021 KN so auszulegen, dass ein Produkt, das aus sterilen weißen Polydimethylsiloxan-Flocken besteht und das speziell für die Anwendung als medizinisch-chirurgisches Implantat entwickelt wurde und allein für diese Anwendung bestimmt ist, in diese Position eingereiht werden kann?
b) Wenn ja, von welcher Unterposition der Position 9021 KN wird es erfasst?
2. Kann das Produkt, wenn im vorliegenden Fall Position 9021 nicht möglich ist, in Position 3926 KN eingereiht werden?
3. Wenn nein, zur Einreihung in welche andere Position führt dann die Auslegung der KN?
Zu den Vorlagefragen
38 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Produkt wie das im Ausgangsverfahren fragliche, das aufgrund seiner Natur, seiner Qualität und seiner Form speziell für eine medizinische Anwendung entwickelt wurde und ausschließlich dafür genutzt wird, in die Position 9021 KN eingereiht werden kann und, falls ja, welcher Unterposition dieses Produkt zuzuordnen ist.
39 Die niederländische Regierung ist der Ansicht, dass Polydimethylsiloxan in die Position 3910 KN für Silicone in Primärform einzureihen sei, während die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Einreihung in die Position 3004 KN für Arzneiwaren vorschlägt. Uroplasty schlägt eine Einreihung in die Unterposition 9021 90 90 KN für andere orthopädische Vorrichtungen zum Einpflanzen in den Organismus vor.
40 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2000 in der Rechtssache C‑42/99, Eru Portuguesa, Slg. 2000, I‑7691, Randnr. 13, vom 15. September 2005 in der Rechtssache C‑495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I‑8151, Randnr. 47, vom 8. Dezember 2005 in der Rechtssache C‑445/04, Possehl Erzkontor, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 19, und vom 16. Februar 2006 in der Rechtssache C‑500/04, Proxxon, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 21).
41 Die Erläuterungen zur KN und diejenigen zum HS tragen jeweils erheblich zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Der Inhalt dieser Erläuterungen muss daher mit den Bestimmungen der KN in Einklang stehen und darf deren Bedeutung nicht verändern (vlg. u. a. Urteile vom 4. März 2004 in der Rechtssache C‑130/02, Krings, Slg. 2004, I‑2121, Randnr. 28, vom 17. März 2005 in der Rechtssache C‑467/03, Ikegami, Slg. 2005, I‑2389, Randnr. 17, und Proxxon, Randnr. 22).
42 Für die Einreihung in die passende Position ist schließlich daran zu erinnern, dass der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, sofern er dieser Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (Urteile Krings, Randnr. 30, Ikegami, Randnr. 23, und Proxxon, Randnr. 31).
43 Wie die Generalanwältin in Nummer 48 ihrer Schlussanträge ausführt, kommt im vorliegenden Fall aufgrund der stofflichen Beschaffenheit oder des objektiven Verwendungszweckes von Polydimethylsiloxan eine Einreihung in die Positionen 3910, 3926, 3004 oder 9021 KN in Betracht.
44 Als Silicon in Form eines flockigen Elastomers weist Polydimethylsiloxan die in den Anmerkungen 3 und 6 Buchstabe b zum Kapitel 39 KN genannte Form auf. Im Gegensatz zum Vorbringen der niederländischen Regierung kann ein Silicon in Form von Elastomerflocken jedoch nicht als „Primärform“ in die Position 3910 eingereiht werden.
45 Wie die Generalanwältin in Nummer 50 ihrer Schlussanträge ausführt, folgt aus dem Begriff „Primärform“ angesichts der Systematik des Kapitels 39 KN und der Anmerkung 1 Buchstabe f zu Kapitel 90 KN, dass die Position 3910 KN nur Silicone erfassen soll, die zur Weiterverarbeitung bestimmt sind. Primärformen sind Rohformen, die sich besonders für eine Weiterverarbeitung eignen und dafür vorgesehen sind.
46 Polydimethylsiloxan weist die objektiven Merkmale und Eigenschaften eines Produkts auf, das zum einen steril ist und zum anderen nach seiner Einpflanzung in den Organismus seine ihm eigene Größe von etwa 0,01 mm bis 5,0 mm behält. Dieses Produkt wurde speziell für die Behandlung einer Schließmuskelschwäche entwickelt und ist allein für diese Anwendung bestimmt. Daher ist Polydimethylsiloxan ein Endprodukt, das als solches folglich nicht in die Position 3910 KN eingereiht werden kann.
47 Außerdem ist entgegen den Ausführungen von Uroplasty Polydimethylsiloxan nicht als Teil oder Zubehör einer Maschine, eines Instruments oder eines Apparats im Sinne der Anmerkung 2 Buchstabe b zu Kapitel 90 KN anzusehen.
48 Nach alledem weist Polydimethylsiloxan therapeutische Eigenschaften auf. Gleichwohl kann nach der Allgemeinen Vorschrift Nr. 1 für die Auslegung der KN und entgegen den Ausführungen der Kommission Polydimethylsiloxan jedoch nicht als „Arzneiware“ in die Position 3004 KN eingereiht werden.
49 Aus dem Wortlaut der Position 3004 KN geht nämlich hervor, dass die Einreihung eines Produkts in sie voraussetzt, dass es dosiert oder in Aufmachung für den Einzelverkauf verpackt ist. Polydimethylsiloxan wird jedoch in Beuteln mit einem Gesamtgewicht von einem Kilogramm eingeführt. Seine Aufmachung in Form von Einheiten in Einweg-Injektionspistolen ist Ergebnis eines nach der Einfuhr liegenden Vorgangs. Folglich entspricht das dem Zoll gestellte Polydimethylsiloxan nicht der Definition in Position 3004 KN.
50 Da dieses Produkt nicht in die vorstehend genannten Positionen eingereiht werden kann, ist, wie das vorlegende Gericht meint, zu prüfen, ob ein Endprodukt, das als medizinisch-chirurgisches Implantat entwickelt wurde und für diese Anwendung bestimmt ist, in die Position 9021 KN eingereiht werden kann.
51 In der Position 9021 KN sind u. a. Vorrichtungen zum Einpflanzen in den Organismus genannt.
52 Wie die Generalanwältin in Nummer 61 ihrer Schlussanträge ausführt, soll der Begriff „Vorrichtung“ nicht die technische Gestaltung des Produkts einschränken. Folglich ist davon auszugehen, dass dieser Begriff die Produkte umfasst, die in den Organismus eingebracht werden, um einen Funktionsschaden im Sinne der Position 9021 KN zu beheben.
53 Aus Randnummer 46 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass Polydimethylsiloxan die objektiven Merkmale und Eigenschaften eines Endprodukts hat, das speziell entwickelt wurde, um in den Organismus eingepflanzt zu werden und allein für diese Anwendung bestimmt ist. Polydimethylsiloxan bewirkt dadurch, dass es sich dauerhaft im geschädigten Muskel festsetzt, die Bildung von Bindegewebe, das die Schließmuskelschwäche behebt. Dieses Produkt ist daher als eine Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus im Sinne der Position 9021 KN anzusehen.
54 Was zweitens die für die Einreihung von Polydimethylsiloxan zu wählende Unterposition der Position 9021 KN betrifft, so ist festzustellen, dass nach der Allgemeinen Vorschrift Nr. 6 zur Auslegung der KN für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position der Wortlaut dieser Unterpositionen und die Anmerkungen zu den Unterpositionen maßgebend sind.
55 In Randnummer 46 des vorliegenden Urteils wurde festgestellt, dass durch das Einbringen von Polydimethylsiloxan in den Organismus Bindegewebe gebildet wird, das zu einer Kräftigung des Schließmuskels führt, der nicht in der Lage ist, eine autogene Funktion sicherzustellen. Polydimethylsiloxan hat also, worauf in Randnummer 53 dieses Urteils hingewiesen wurde, nicht die Aufgabe, einen geschädigten Muskel des menschlichen Organismus zu ersetzen, wie das bei einer Prothese der Fall wäre, sondern es soll ihn in die Lage versetzen, neues Gewebe zu entwickeln, das die mit der Inkontinenz verbundenen Probleme ausgleicht. Folglich ist das vorlegende Gericht zu Recht der Ansicht, dass die Funktion der Flocken nicht der Beschreibung der Unterposition 9021 30 90 KN entspricht.
56 Aus den Randnummern 52 und 53 des vorliegenden Urteils geht auch hervor, dass es sich bei diesem Produkt um eine Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus handelt, die in die Unterposition 9021 90 90 KN als „andere Vorrichtungen“ einzureihen ist, weil sie keiner anderen Unterposition der Position 9021 KN entspricht.
57 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung Nr. 2388/2000 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass ein Produkt wie Polydimethylsiloxan, das aus sterilen Flocken besteht und speziell entwickelt wurde, um für die Behandlung eines Leidens in den Organismus eingepflanzt zu werden und allein für diese Anwendung bestimmt ist und das dem Zoll in einer Aufmachung in Beuteln von etwa 1 kg vorgelegt wird, eine Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus darstellt, die in die Position 9021 KN einzureihen ist. Ein solches Produkt, dessen Zweck nicht ist, ein Organ zu ersetzen, sondern das einen geschädigten Muskel befähigen soll, Bindegewebe zu bilden, ist in die Unterposition 9021 90 90 KN einzureihen.
58 Angesichts der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
59 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2388/2000 der Kommission vom 13. Oktober 2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Produkt wie Polydimethylsiloxan, das aus sterilen Flocken besteht und speziell entwickelt wurde, um für die Behandlung eines Leidens in den Organismus eingepflanzt zu werden und allein für diese Anwendung bestimmt ist und das dem Zoll in einer Aufmachung in Beuteln von etwa 1 kg vorgelegt wird, eine Vorrichtung zum Einpflanzen in den Organismus darstellt, die in die Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen ist. Ein solches Produkt, dessen Zweck nicht ist, ein Organ zu ersetzen, sondern das einen geschädigten Muskel befähigen soll, Bindegewebe zu bilden, ist in die Unterposition 9021 90 90 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen.
Unterschriften.
* Verfahrenssprache: Niederländisch.