Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62004CC0347

Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 31. Mai 2006.
Rewe Zentralfinanz eG gegen Finanzamt Köln-Mitte.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland.
Niederlassungsfreiheit - Körperschaftsteuer - Sofortiger Ausgleich von Verlusten der Muttergesellschaften - Verluste aus der Abschreibung auf Beteiligungswerte an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften.
Rechtssache C-347/04.

Sammlung der Rechtsprechung 2007 I-02647

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:350

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

M. POIARES MADURO

vom 31. Mai 20061(1)

Rechtssache C‑347/04

Rewe Zentralfinanz eG als Gesamtrechtsnachfolgerin der ITS Reisen GmbH

gegen

Finanzamt Köln‑Mitte

(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Köln [Deutschland])

„Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Ausgleich von Verlusten durch Muttergesellschaften – Verluste aufgrund der Wertminderung der Anteile an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften“





1.     Die Rechtssachen betreffend nationale Regelungen über die steuerliche Behandlung von Verlusten und Ausgaben von Gesellschaften, die zu einem grenzüberschreitenden Konzern gehören, werfen auf Gemeinschaftsebene neue und heikle Fragen auf(2). Dabei geht es darum, ob die Regelungen mit den Grundsätzen des EG-Vertrags vereinbar sind, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen sollen. Jede dieser Rechtssachen wirft spezifische Probleme auf und muss daher gesondert geprüft werden. Zugleich sollte hierzu eine klare und beständige Rechtsprechung ergehen.

2.     Der Gerichtshof hatte kürzlich in der Rechtssache Marks & Spencer(3) über die Vereinbarkeit der britischen Regelung zum „Konzernabzug“ mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, die einer Muttergesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, die Verluste der Tochtergesellschaften von ihrem steuerbaren Gewinn abzuziehen. Vorliegend ist unter dem Blickwinkel der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs über eine Bestimmung des deutschen Einkommensteuerrechts zu entscheiden, die für eine in Deutschland ansässige Muttergesellschaft die Möglichkeiten des steuerlichen Abzugs von Verlusten einschränkt, die sich aus Wertabschreibungen auf den Buchwert der Beteiligung an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften dieser Gesellschaft ergeben.

I –    Rechtlicher und tatsächlicher Zusammenhang

3.     Der Rechtssache liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Mit Vertrag vom 6. März 1995 veräußerte der Kaufhof-Konzern die ITS Reisen GmbH (im Folgenden: ITS), eine Gesellschaft des Konzerns, deren Geschäftsgegenstand Tätigkeiten in der Tourismusbranche war, an die Rewe Zentralfinanz eG (im Folgenden: Klägerin). Die Klägerin übernahm durch einen Verschmelzungsvertrag das Vermögen von ITS und wurde so deren Gesamtrechsnachfolgerin.

4.     1989 hatte die ITS in den Niederlanden eine Tochtergesellschaft gegründet, die Kaufhof-Tourism Holdings BV (im Folgenden: KTH), deren gesamte Anteile sie hielt. Ebenfalls in den Niederlanden gründete die KTH eine Beteiligungsgesellschaft, die International Tourism Investment Holding BV (im Folgenden: ITIH), deren Anteile sie zu 100 % hielt. Die ITIH erwarb zudem Beteiligungen an zwei Gesellschaften in Belgien sowie an je einer Gesellschaft im Vereinigten Königreich und in Spanien.

5.     Die Besteuerung von Gesellschaften wird in Deutschland durch das Körperschaftsteuergesetz (KStG) geregelt, das auf die einschlägigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) verweist. Nach § 1 KStG sind in Deutschland ansässige Gesellschaften mit ihren weltweit erwirtschafteten Gewinnen steuerpflichtig. Der steuerbare Gewinn ist grundsätzlich der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Überschüssige Verluste sind nach § 10d EStG im Wege des Verlustvortrags oder Verlustrücktrags in anderen Steuerjahren abziehbar. § 6 EStG ermöglicht außerdem, u. a. Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert von Beteiligungen als vom steuerbaren Gewinn abzugsfähige Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Diese Ausgaben entsprechen einer Anrechnung des Abschlags auf den Kaufpreis für die Beteiligung an einer Gesellschaft wegen der anhaltenden Verluste, die diese erleidet.

6.     Im Lauf der Steuerjahre 1993 und 1994 nahm die ITS Teilwertabschreibungen auf den Buchwert der Beteiligung an der KTH und Wertberichtigungen auf Forderungen gegenüber den britischen und spanischen Tochtergesellschaften der ITIH vor. Diese Abschreibungen beliefen sich für 1993 auf Aufwendungen in Höhe von 14 342 499 DM und für 1994 auf Aufwendungen in Höhe von 32 332 144 DM, d. h. auf eine Gesamtsumme von mehr als 46 Millionen DM.

7.     Das Finanzamt Köln‑Mitte weigerte sich jedoch, diese Aufwendungen als negative Einkünfte bei der Festlegung des steuerbaren Einkommens der Klägerin in den beiden Streitjahren zu berücksichtigen, da § 2a Absätze 1 und 2 EStG dem entgegenstehe.

8.     Diese Bestimmung mit der Überschrift „Negative ausländische Einkünfte“ sieht vor:

„(1)      Negative Einkünfte

2.      aus einer in einem ausländischen Staat belegenen gewerblichen Betriebsstätte,

3.      a)     aus dem Ansatz des niedrigeren Teilwerts eines zu einem Betriebsvermögen gehörenden Anteils an einer Körperschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat (ausländische Körperschaft) …

dürfen nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat … ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d abgezogen werden. Den negativen Einkünften sind Gewinnminderungen gleichgestellt. Soweit die negativen Einkünfte nicht nach Satz 1 ausgeglichen werden können, mindern sie die positiven Einkünfte der jeweils selben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat … erzielt. …

(2)      Absatz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland stammen, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, oder in der Vermietung oder der Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen; das unmittelbare Halten einer Beteiligung von mindestens einem Viertel am Nennkapital einer Kapitalgesellschaft, die ausschließlich oder fast ausschließlich die vorgenannten Tätigkeiten zum Gegenstand hat, sowie die mit dem Halten der Beteiligung in Zusammenhang stehende Finanzierung gilt als Bewirkung gewerblicher Leistungen, wenn die Kapitalgesellschaft weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat. …“

9.     Es steht fest, dass die ITS in den beiden Streitjahren nicht über positive Einkünfte aus ihrer niederländischen Tochtergesellschaft KTH verfügte. Im Übrigen waren die Voraussetzungen für die Ausnahmetatbestände des § 2a Absatz 2 EStG nicht erfüllt: Die KTH übt keine der privilegierten Tätigkeiten aus, die als „aktive Tätigkeiten“ qualifiziert werden und in § 2a Absatz 2 Satz 1 EStG genannt sind, und hält keine direkten Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft, die diese privilegierten Tätigkeiten zum Gegenstand hat.

10.   Auf der Grundlage dieser Feststellungen erließ das Finanzamt Köln‑Mitte geänderte Bescheide über die von der Klägerin geschuldete Körperschaftsteuer. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Nach Zurückweisung des Einspruchs erhob sie Klage beim Finanzgericht Köln, mit der sie die Berücksichtigung der gesamten Aufwendungen aus ihren Beteiligungen an den Gesellschaften in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich und in Spanien begehrt. Dabei macht sie geltend, dass die Anwendung des § 2a EStG eine gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung darstelle.

11.   Dies ist auch die Ansicht des vorlegenden Gerichts. Es führt aus, dass nach dem einschlägigen Recht Wertabschreibungen auf die Beteiligung an einer deutschen Gesellschaft für die Ermittlung des steuerbaren Gewinns der Gesellschaft, die diese Beteiligung hält, grundsätzlich uneingeschränkt steuerlich berücksichtigt werden könnten, Wertabschreibungen auf die Beteiligung an einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft aber nur in bestimmten Fällen, nämlich wenn diese Ausgaben mit positiven Einkünften aus diesem anderen Mitgliedstaat ausgeglichen würden oder die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands des § 2a Absatz 2 EStG erfüllt seien. Daher sei klar, dass eine solche Beschränkung der Abzugsfähigkeit der mit Investitionen im Ausland verbundenen Verluste eine Behinderung der freien Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat sowie des freien Kapitalverkehrs darstelle, die durch das Gemeinschaftsrecht geschützt würden.

12.   Aufgrund dieser Überzeugung hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Artikel 43 EG in Verbindung mit Artikel 48 EG und die Artikel 56 ff. EG dahin gehend auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die – wie die im Ausgangsverfahren streitige Regelung in § 2a Absätze 1 Nummer 3a und 2 EStG – den sofortigen steuerlichen Ausgleich von Verlusten aus der Abschreibung auf Beteiligungswerte an Tochtergesellschaften im EG-Ausland dann beschränkt, wenn diese passive Tätigkeiten im Sinne der nationalen Vorschrift ausüben und/oder wenn die Tochtergesellschaften aktive Tätigkeiten im Sinne der nationalen Vorschrift nur durch eigene Enkelgesellschaften realisieren, während Abschreibungen auf Beteiligungswerte an inländischen Tochtergesellschaften ohne diese Beschränkungen möglich sind?

II – Erörterung

A –    Zur Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

13.   Die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 43 EG erlaubt den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen, wie sie im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörigen festgelegt sind. Gemäß Artikel 48 EG umfasst sie für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben(4).

14.   Aus dem Urteil Baars ergibt sich, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Beteiligung am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft hält, die ihm einen solchen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verleiht, dass er deren Tätigkeiten bestimmen kann, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht(5). Das ist unzweifelhaft der Fall, wenn – wie vorliegend – eine Gesellschaft wie die Klägerin eine Beteiligung von 100 % am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft hält, die selbst 100 % der Anteile einer Gesellschaft innehat, die Beteiligungen am Kapital verschiedener Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten hält. Daraus folgt, dass die vom vorlegenden Gericht zu beurteilende Situation hinsichtlich der Verluste, die die Klägerin aufgrund ihrer Beteiligung an ihrer in den Niederlanden niedergelassenen Tochtergesellschaft KTH und deren Beteiligung an einer ausländischen Enkelgesellschaft erlitten hat, den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit unterliegt.

15.   Auch wenn die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, so verbieten sie es doch auch dem Herkunftsstaat, die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern(6). Es steht fest, dass der EG-Vertrag einer „Beschränkung der Ausfuhr“ entgegensteht, die durch die Benachteiligung von Gesellschaften durch Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gekennzeichnet ist, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind und Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten gründen möchten.

16.   Zu den vom EG-Vertrag verbotenen Benachteiligungen gehören steuerliche Beschränkungen. Denn nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen aber ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben(7).

17.   Nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung gehen die Verluste aufgrund der Wertabschreibung auf die Beteiligung an einer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft uneingeschränkt in die Ermittlung des steuerbaren Gewinns steuerpflichtiger Gesellschaften ein. Die gleichen Verluste aufgrund einer Beteiligung an einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft sind hingegen für die in Deutschland steuerpflichtige Gesellschaft nur unter bestimmten, an die Einkünfte oder Tätigkeiten gestellten Voraussetzungen abzugsfähig.

18.   Daraus folgt, dass die steuerliche Situation einer Gesellschaft, die wie die Klägerin eine Tochtergesellschaft in den Niederlanden hat, schlechter ist, als wenn die Tochtergesellschaft in Deutschland niedergelassen wäre. Zwar könnten die sich aus der Beteiligung an einer ausländischen Tochtergesellschaft ergebenden Verluste berücksichtigt werden, wenn diese später positive Einkünfte erwirtschaftete. Gleichwohl wird der Muttergesellschaft selbst in diesem Fall die Möglichkeit der sofortigen Berücksichtigung ihrer Verluste genommen. Diese Möglichkeit, die Gesellschaften mit inländischen Tochtergesellschaften gegeben wird, stellt für diese einen Liquiditätsvorteil dar(8). Gesellschaften mit Tochtergesellschaften im Ausland einen solchen Vorteil vorzuenthalten, kann von der Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten abschrecken.

19.   Angesichts dieser unterschiedlichen Behandlung könnte eine Muttergesellschaft daher davon abgehalten werden, ihre Tätigkeiten über in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Tochter- oder Enkelgesellschaften auszuüben(9).

20.   Die deutsche Regierung trägt demgegenüber vor, dass diese unterschiedliche Behandlung keine nach dem EG-Vertrag verbotene Diskriminierung darstelle, da die Situation einer in Deutschland niedergelassenen Tochtergesellschaft nicht mit der Situation einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft vergleichbar sei. Der Gerichtshof habe anerkannt, dass Tochtergesellschaften eigenständige Rechtspersönlichkeiten seien, die jeweils in dem Hoheitsgebiet, in dem sie sich befänden, getrennt besteuert würden. Daher könnten die Verluste, die Abschreibungen und Forderungen entsprächen, im Rahmen der Steuererklärung dieser Tochtergesellschaften in dem Mitgliedstaat ihrer Niederlassung berücksichtigt werden.

21.   Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterschiedliche steuerliche Behandlung betrifft nicht die Situation der Tochtergesellschaften, sondern die der in Deutschland ansässigen Muttergesellschaften, je nachdem, ob sie über in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Tochtergesellschaften verfügen. Die in Rede stehenden Verluste sind diejenigen der Muttergesellschaften, und außerdem werden die Gewinne der Tochtergesellschaften nicht von der Muttergesellschaft versteuert, unabhängig davon, ob sie aus in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaaten steuerpflichtigen Tochtergesellschaften stammen(10). Die unterschiedliche Behandlung der Muttergesellschaften hängt also nicht davon ab, ob ihre Tochtergesellschaften einer getrennten Besteuerung unterliegen.

22.   Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen, die sich aus der Wertabschreibung auf die Beteiligung am Kapital von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften ergeben, wie sie § 2a Absätze 1 Nr. 3a und 2 EStG vorsieht, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

23.   Eine solche Beschränkung kann nur zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss sie zudem zur Erreichung des in Rede stehenden Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist(11).

B –    Zur Rechtfertigung der in Rede stehenden Regelung

24.   Zur Stützung der streitigen Regelung trägt die deutsche Regierung zahlreiche juristische Argumente vor, in denen Anliegen zugleich politischer (Sicherstellung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis), ethischer (Gefahr einer missbräuchlichen doppelten Verlustberücksichtigung und Gefahr der Steuerumgehung), verwaltungstechnischer (Sicherstellung der Wirksamkeit der Kontrollen), systematischer (die Notwendigkeit, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu gewährleisten) und wirtschaftlicher (Gefahr von Einnahmeverlusten) Natur zum Ausdruck kommen. Sie meint, dieses Vorbringen werde durch das Urteil Marks & Spencer bestätigt. Die Erörterung der Rechtfertigung ist daher mit einem Verweis auf dieses Urteil zu beginnen.

1.      Ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten

25.   Im Urteil Marks & Spencer hat der Gerichtshof erstmals anerkannt, dass für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Steuervorschriften mit den Grundfreiheiten der Grundsatz einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist(12). Er hat allerdings auch sorgfältig die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Grundsatzes aufgestellt und eingehend erläutert.

26.   Zum einen ist ein solches Erfordernis nur auf der Ebene der Rechtfertigung der in Rede stehenden beschränkenden Maßnahme relevant. Es kann nicht im Rahmen der Erörterung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit geltend gemacht werden, wie dies die deutsche Regierung in dieser Rechtssache tut. Zum anderen weist diese Rechtfertigung auf Gemeinschaftsebene eine Bedeutung auf, die eine sorgfältige Abgrenzung erfordert.

27.   Dabei scheint die deutsche Regierung zuzugeben, dass dieses Erfordernis bestimmte Arten von Diskriminierungen vom Anwendungsbereich der Verkehrsfreiheiten ausschließen könnte. Denn sie stützt ihre Argumentation auf eine Regel der Symmetrie zwischen dem Recht, die Gewinne einer Gesellschaft zu versteuern und der Pflicht, die Verluste dieser Gesellschaft zu berücksichtigen. Da Gewinne und Verluste im Steuerrecht die zwei Seiten derselben Medaille seien, müssten die deutschen Steuerbehörden die mit der Tätigkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft verbundenen Verluste im Rahmen der steuerlichen Behandlung der im Inland ansässigen Muttergesellschaft nicht berücksichtigen, da sie nicht berechtigt seien, die Gewinne dieser Tochtergesellschaft zu besteuern. Allein eine solche Aufteilung erlaube es, die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und die Regeln des internationalen Steuerrechts zu wahren.

28.   Diese Definition des Erfordernisses der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis kann nicht akzeptiert werden. Denn so gesehen unterscheidet sie sich nicht wesentlich von einer rein wirtschaftlichen Rechtfertigung. Eine solche Auslegung erlaubte einem Mitgliedstaat, einem Unternehmen systematisch die Gewährung eines Steuervorteils mit der Begründung zu verweigern, dass dieses eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet habe, die nicht geeignet sei, dem Mitgliedstaat Steuereinnahmen zu verschaffen. In dieser Form ist die Rechtfertigung im Übrigen vom Gerichtshof im Urteil Marks & Spencer ausdrücklich abgelehnt worden. Der Gerichtshof führt zu genau diesem Rechtfertigungsgrund aus, dass der Rückgang von Steuereinnahmen nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden kann, der zur Rechtfertigung einer grundsätzlich gegen eine Grundfreiheit verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann(13).

29.   Zwar ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten frei darin sind, wie sie ihre Steuerregelungen gestalten und ihre Besteuerungsbefugnis untereinander aufteilen(14). Jedoch erlegen die Grundfreiheiten den Mitgliedstaaten unbestreitbar gewisse Zwänge bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten auf diesem Gebiet auf. Diese Zwänge bestehen im Wesentlichen in der Verpflichtung, Steuerpflichtige, die eine grenzüberschreitende Tätigkeit ausüben, im Verhältnis zu nationalen Steuerpflichtigen nicht zu benachteiligen, auch wenn dies zu einer Verringerung der Steuereinnahmen des betreffenden Staates führt.

30.   Dieser Standpunkt wurde vom Gerichtshof u. a. im Urteil Bosal vertreten. In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof entschieden, dass der EG-Vertrag einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der die Kosten, die mit einer Beteiligung einer niederländischen Muttergesellschaft am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft verbunden sind, nur dann abzugsfähig sind, wenn diese Kosten mittelbar der Erzielung von Gewinnen dienen, die in den Niederlanden steuerpflichtig sind. Diese Lösung wurde verworfen, weil sie den Grundsatz der gerechten Aufteilung der Besteuerungsbefugnis der Mitgliedstaaten missachtet. Da die der niederländischen Muttergesellschaft entstandenen Kosten mit den von ihrer Tochtergesellschaft realisierten Gewinnen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang standen, wäre es juristisch kohärenter gewesen, diese Kosten als ausländische Ausgaben einzuordnen, die nur im Staat ihrer Entstehung berücksichtigt werden können(15). Diese Einordnung trägt allerdings der Situation des Gemeinschaftsangehörigen, der im erweiterten Rahmen des Binnenmarktes tätig ist, nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Diese sollte nicht je nach Steuergebiet unterschiedlich beurteilt, sondern einheitlich bewertet werden. Von diesem Standpunkt aus kann offensichtlich eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von Muttergesellschaften danach, ob sie Tochtergesellschaften im Ausland haben, nicht durch die Tatsache gerechtfertigt werden, dass sie wirtschaftliche Mittel in einen Teil des Hoheitsgebiets der Europäischen Union transferiert haben, in dem der betreffende Staat seine Zuständigkeit für die Besteuerung nicht ausüben kann. Eine andere Entscheidung hierüber würde angesichts fehlender Gemeinschaftsregelungen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags praktisch wirkungslos werden lassen.

31.   Wenn außerdem das Symmetrieargument, das die deutsche Regierung vertritt, im steuerlichen Bereich anzuerkennen wäre, wäre nicht einzusehen, warum es nicht auf die anderen von den Verkehrsfreiheiten betroffenen Bereiche erstreckt würde. Ebenso wie man sich auf den Grundsatz der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis berufen könnte, wäre es deshalb gestattet, allgemein einen Grundsatz der Aufteilung der Gesetzgebungsbefugnis geltend zu machen. Nach diesem Grundsatz wäre ein Mitgliedstaat berechtigt, sich zu weigern, die grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Sachverhalte zu berücksichtigen, die geeignet wären, seine gesetzgeberische Freiheit in Frage zu stellen. So könnte z. B. einer Ware, die nach den von einem anderen Mitgliedstaat aufgestellten Bedingungen rechtmäßig hergestellt wurde, der Zugang zum nationalen Markt mit der Begründung verweigert werden, dass sie nicht die dort geltenden gesetzlichen Bedingungen erfülle. Der freie Warenverkehr wäre dann auf eine rein formelle Nichtdiskriminierungsvorschrift reduziert, nach der allein die Waren gleich zu behandeln wären, die dem Einfluss der Regelung des betreffenden Staates unterlägen. Ein solches Ergebnis wäre mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes auf diesem Gebiet völlig unvereinbar(16).

32.   Dies kann daher nicht die Bedeutung sein, die dem berechtigten Erfordernis der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis auf Gemeinschaftsebene beizumessen ist. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Marks & Spencer einen auf dieses Erfordernis gestützten Rechtfertigungsgrund zugelassen, dies aber nur in Bezug auf das Missbrauchs- und Betrugsrisiko, das sich in bestimmten Fällen aus einer schlechten Koordinierung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Besteuerung ergeben kann. Angesichts der fehlenden Harmonisierung der Steuervorschriften ist zu befürchten, dass die Ausübung der Verkehrsfreiheiten zu einem echten „Verlusthandel“ auf Gemeinschaftsebene führt. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil ausgeführt: „Würde nämlich den Gesellschaften die Möglichkeit eingeräumt, für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder aber in einem anderen Mitgliedstaat zu optieren, so würde dadurch die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, da die Besteuerungsgrundlage im ersten Staat um die übertragenen Verluste erweitert und im zweiten Staat entsprechend verringert würde.“(17) Es wäre den Wirtschaftsteilnehmern also möglich, ihre Verluste auf die Gesellschaften zu übertragen, die in den Mitgliedstaaten mit den höchsten Steuersätzen niedergelassen sind, in denen daher der steuerliche Wert der Verluste am höchsten ist. Eine solche Situation wäre geeignet, die Neutralität, zu der das Gemeinschaftsrecht gegenüber den nationalen Steuerregelungen verpflichtet ist, in Frage zu stellen(18).

33.   Nach diesem Neutralitätsgrundsatz kann das Niederlassungsrecht von den Wirtschaftsbeteiligten nicht zu dem Zweck genutzt werden, aus ihm Vorteile zu ziehen, die nicht mit der Ausübung der Verkehrsfreiheiten in Zusammenhang stehen. Dies wäre aber der Fall, wenn die Verlagerung einer Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft allein nach steuerlichen Gesichtspunkten bestimmt würde, unabhängig von jeglichem Willen, sich tatsächlich niederzulassen und in die Wirtschaft der Aufnahmegesellschaft zu integrieren, mit dem einzigen Ziel, sich den nationalen Vorschriften in missbräuchlicher Weise zu entziehen oder die Unterschiede zwischen diesen Vorschriften künstlich auszunutzen(19). Besteht eine solche Missbrauchsgefahr, kann es erforderlich sein, wie dies der Gerichtshof im Urteil Marks & Spencer feststellt, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden(20). Ich bin der Auffassung, dass dies die eigentliche Bedeutung des Erfordernisses der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis auf Gemeinschaftsebene ist.

34.   Zusätzlich ist darzulegen, dass eine solche Gefahr besteht. Der Gerichtshof ist daher im Urteil Marks & Spencer davon ausgegangen, dass der auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gestützte Rechtfertigungsgrund nicht von den beiden anderen Rechtfertigungsgründen – der Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung und der Gefahr der Steuerumgehung – getrennt werden kann. Nur angesichts dieser drei Rechtfertigungsgründe „insgesamt“(21) hat der Gerichtshof anerkannt, dass die dort streitige beschränkende Regelung gerechtfertigt werden konnte.

35.   Es ist daher zu prüfen, ob, wie die deutsche Regierung behauptet, die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung und die Gefahr der Steuerumgehung im vorliegenden Fall bestehen.

2.      Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung

36.   Die deutsche Regierung trägt vor, dass sich die streitige Regelung wie die in der Rechtssache Marks & Spencer in Rede stehende als erforderlich herausgestellt hat, um zu verhindern, dass eine Gesellschaft mehrfach Steuervorteile in Form der doppelten Berücksichtigung von im Ausland erlittenen Verlusten in Anspruch nehmen kann.

37.   Dieses Vorbringen greift im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht durch. Denn die hier in Rede stehenden Verluste sind nicht wie in der Rechtssache Marks & Spencer Verluste, die unabhängige Tochtergesellschaften im Ausland erlitten haben und die dann auf die Gewinne der Muttergesellschaft übertragen wurden. Es handelt sich um Verluste, die der Muttergesellschaft aufgrund der Wertminderung ihrer Beteiligungen an ausländischen Tochtergesellschaften entstanden sind. Sie dürfen nicht mit den Verlusten dieser Tochtergesellschaften selbst verwechselt werden. Diese beiden Arten von Verlusten werden in steuerlicher Hinsicht unterschiedlich behandelt. Daher kann man nicht annehmen, dass die Gefahr der doppelten Berücksichtigung derselben Verluste besteht, wenn eine Muttergesellschaft einen solchen Abzug vornehmen darf.

38.   Selbst wenn man zugestehen würde, dass es eine wirtschaftliche Verbindung zwischen diesen beiden Arten von Verlusten gibt, wie die deutsche Regierung behauptet, so dass die getrennte Berücksichtigung der Verluste der Tochtergesellschaften und derjenigen der Muttergesellschaft als „doppelte Verlustberücksichtigung“ qualifiziert würde, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass diese doppelte Berücksichtigung speziell mit der Verlagerung der Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat in Zusammenhang stünde. Der angebliche „doppelte Vorteil“ ist nämlich nicht auf Gesellschaften beschränkt, die grenzüberschreitend tätig sind. Eine Muttergesellschaft mit Tochtergesellschaften in Deutschland könnte die Teilwertabschreibung auf die Beteiligungen an diesen Tochtergesellschaften von ihrem steuerbaren Gewinn abziehen, ohne dass diese daran gehindert wären, ihre eigenen Verluste im Rahmen ihrer steuerlichen Veranlagung in Deutschland zu verwerten. Deshalb steht diese doppelte Verwertung der Verluste in keinerlei Zusammenhang mit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und kann eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen.

3.      Gefahr der Steuerumgehung

39.   Hierzu trägt die deutsche Regierung im Wesentlichen zwei Argumente vor. Erstens hätten deutsche Gesellschaften die Tendenz, bestimmte Arten von wirtschaftlichen Tätigkeiten aus dem deutschen Hoheitsgebiet zu verlagern und der Kontrolle der deutschen Steuerbehörden zu entziehen. Zweitens sei diese Regelung durch das Verhalten bestimmter Gesellschaften, insbesondere auf dem Gebiet des Tourismus, inspiriert worden, die typischerweise verlustträchtige Tätigkeiten allein deshalb in andere Mitgliedstaaten verlagerten, um ihre steuerbaren Gewinne zu verringern. Eine solche Regelung sei als erforderlich anzusehen, um zu verhindern, dass willkürliche Konstruktionen geschaffen werden könnten.

40.   Was das erste Argument angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede Verlagerung einer Tätigkeit aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats für sich allein betrachtet eine Steuerumgehung darstellt. Dass die Verlagerung einer wirtschaftlichen Tätigkeit aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats geeignet ist, zu einem Verlust der Steuereinkünfte dieses Staates zu führen, ist nicht zweifelhaft. Jedoch kann man nicht annehmen, dass dieser Verlust durch eine Steuerumgehung hervorgerufen wurde. In diesem Fall ist er allein die Folge der Ausübung der von den Grundfreiheiten des EG-Vertrags eingeräumten Rechte. Dass eine Gesellschaft Beteiligungen an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften hält, kann keine allgemeine Annahme begründen, dass eine Steuerhinterziehung oder ein Steuerbetrug stattfinden werde, und auch keine beschränkende Steuermaßnahme rechtfertigen(22).

41.   Zum zweiten Argument: Der Umstand allein, dass die deutsche Steuerverwaltung Fälle erheblicher und anhaltender Verluste ausländischer Tochtergesellschaften von in Deutschland ansässigen Gesellschaften in einem bestimmten Wirtschaftssektor wie dem Tourismus festgestellt hat, reicht nicht aus, um das Vorliegen willkürlicher Konstruktionen zu beweisen. Selbst wenn die Gefahr der Steuerumgehung anerkannt würde, ist immer zu prüfen, ob die in Rede stehende Maßnahme nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen(23). Eine Regelung aber, die wie die in Rede stehende allgemein jede Situation erfasst, in der Tochtergesellschaften eines Konzerns, aus welchem Grund auch immer, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, kann nicht, ohne über das hinauszugehen, was erforderlich ist, um das von ihr angeblich verfolgte Ziel zu erreichen, als durch die Gefahr der Steuerumgehung gerechtfertigt angesehen werden. Dies ist das gefestigte Ergebnis einer ständigen Rechtsprechung(24).

42.   Im Übrigen hat die deutsche Regierung dem Gerichtshof nicht dargelegt, inwiefern eine solche Gefahr insbesondere die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland und nicht die inländischer Tochtergesellschaften betrifft. Vermutlich wollte die deutsche Regierung mit diesem Argument auch die Grenzen ihrer Kontrollbefugnisse bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unterstreichen.

4.      Wirksamkeit der Steuerkontrollen

43.   Nach Ansicht der deutschen Regierung haben die nationalen Steuerbehörden nämlich nur äußerst eingeschränkte Möglichkeiten zur Überprüfung von Auslandssachverhalten. Die Anwendung des Territorialitätsprinzips unter Ausschluss ausländischer negativer Einkünfte erlaube die Vereinfachung der Kontrollen durch die Steuerbehörden.

44.   Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Zwar hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Wirksamkeit der Steuerkontrollen ein möglicher Rechtfertigungsgrund für eine Regelung sein kann, die die Grundfreiheiten einschränkt(25). Hieraus ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, Maßnahmen zu ergreifen, die die klare und präzise Überprüfung der Höhe der in diesem Staat aufgrund von Beteiligungen am Kapital ausländischer Tochtergesellschaften abzugsfähigen Aufwendungen ermöglichen. Dieses Anliegen vermag aber nicht zu rechtfertigen, dass dieser Staat den Abzug unterschiedlichen Bedingungen unterwerfen kann, je nachdem, ob die Beteiligungen Tochtergesellschaften betreffen, die in seinem Hoheitsgebiet oder in dem anderer Mitgliedstaaten ansässig sind.

45.   Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern(26) über Instrumente für eine verstärkte Zusammenarbeit verfügen. In Anwendung dieser Bestimmungen haben die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Möglichkeit, die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats um alle Informationen zu bitten, die geeignet sind, ihnen die korrekte Berechnung der Körperschaftsteuer zu ermöglichen.

46.   Die deutsche Regierung macht geltend, dass selbst bei einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Behörden eines anderen Mitgliedstaats die Überprüfung von Auslandssachverhalten oft sehr schwierig bleibe und sich die Chance, unrichtige Tatsachenbehauptungen aufzudecken, als viel geringer erweise. Es ist jedoch festzustellen, dass die Richtlinie 77/799 Möglichkeiten zur Erlangung notwendiger Auskünfte bietet, die mit den für die inländischen Steuerverwaltungen im Verhältnis zueinander bestehenden Möglichkeiten vergleichbar sind(27). Hinzu kommt, dass zum einen im Rahmen der Errichtung des Binnenmarktes die Beziehungen zwischen den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen müssen(28). Dabei ist nicht anzunehmen, dass die nationalen Steuerverwaltungen ein Interesse daran haben, in ihrem Hoheitsgebiet steuerliche Situationen zuzulassen, die mit dem Recht des zuständigen Staates unvereinbar sind. Zum anderen hindert die betreffenden Steuerbehörden nichts daran, vom Steuerpflichtigen selbst die Informationen zu verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob der verlangte Abzug gewährt werden kann(29).

47.   Zudem überrascht, dass hier auf das steuerliche Territorialitätsprinzip abgestellt wird, obwohl nach deutschem Recht die allgemeine Regel gilt, dass die Einkünfte von Gesellschaften auf der Grundlage ihrer weltweit erwirtschafteten Gewinne versteuert werden.

5.      Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung

48.   Die deutsche Regierung macht im Wesentlichen geltend, dass sich die streitige Regelung folgerichtig in ihre Steuerpolitik einfüge. In Fällen wie dem vorliegenden darauf zu verzichten, die ausländischen negativen Einkünfte zu berücksichtigen, erlaube eine möglichst gleichmäßige steuerliche Behandlung. Zwei von der deutschen Regierung vorgetragene Argumente können dieser Rechtfertigung zugeordnet werden, die Beachtung des Territorialitätsgrundsatzes und die Gewährleistung der „Steuersystematik“.

49.   Das steuerliche Territorialitätsprinzip hat der Gerichtshof in seinem Urteil Futura Participations und Singer anerkannt. Es ist mit diesem Prinzip vereinbar, dass der betreffende Staat die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Muttergesellschaften für ihre gesamten weltweit erwirtschafteten Gewinne besteuern kann, während er die gebietsfremden Tochtergesellschaften ausschließlich für die Gewinne aus ihrer inländischen Tätigkeit besteuern kann(30). Jedoch rechtfertigt dieses Prinzip es nicht, dass einer gebietsansässigen Muttergesellschaft ein Vorteil mit der Begründung verweigert wird, dass die Gewinne ihrer gebietsfremden Tochtergesellschaften nicht besteuert werden könnten(31). Dieses Prinzip hat die Funktion, bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, dass die Grenzen der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Besteuerung berücksichtigt werden. In der Rechtssache Futura Participations und Singer konnte der betreffende Mitgliedstaat nicht dazu gezwungen werden, die ausländischen Verluste zu berücksichtigen, da sie mit den ausländischen Einkünften der gebietsfremden Steuerpflichtigen in Zusammenhang standen. Anders verhält es sich in der vorliegenden Rechtssache. Hier hat die Gewährung des Vorteils nicht zur Folge, dass die Ausübung einer konkurrierenden Zuständigkeit für die Besteuerung in Frage gestellt wird. Der vorliegende Fall betrifft die in Deutschland ansässigen Muttergesellschaften, die dort unbeschränkt steuerpflichtig sind. Die Verweigerung dieses Vorteils ist daher durch nichts gerechtfertigt.

50.   Die „Steuersystematik“ erinnert an den in der Rechtsprechung des Gerichtshofes besser bekannten Begriff der steuerlichen Kohärenz(32). Die deutsche Regierung trägt hierzu vor, dass aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen mit einer großen Anzahl von Mitgliedstaaten die von den in diesen Mitgliedstaaten niedergelassenen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden in Deutschland von der Steuer befreit seien. Unter diesen Umständen sei es sachgerecht und kohärent, der gebietsansässigen Muttergesellschaft nicht noch zusätzlich einen Vorteil aufgrund der Verluste ihrer Tochtergesellschaften zu gewähren. Ein solcher Vorteil solle nur dann gewährt werden, wenn bei Fehlen eines bilateralen Abkommens mit Freistellungsklausel der Gewinn dieser Tochtergesellschaften in Deutschland zu versteuern sei.

51.   Ich teile diese Auffassung nicht. Die Doppelbesteuerungsabkommen sind nicht geeignet, die festgestellte Diskriminierung zu beseitigen. Denn nach deutschem Recht werden Verluste wie die in dieser Rechtssache in Rede stehenden stets berücksichtigt, wenn die Tochtergesellschaft eine „aktive Tätigkeit“ im Sinne des § 2a Absatz 2 EStG ausübt. In diesem Fall aber sind die eventuell von dieser Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden nicht weniger geeignet, in Anwendung solcher Abkommen freigestellt zu werden. Es gibt also keine direkte Verbindung zwischen der Zuerkennung des streitigen Vorteils an die Muttergesellschaft und der Freistellung der von ihrer Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden. Daher kann die auf der Grundlage eines Doppelbesteuerungsabkommens gewährleistete Kohärenz bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der streitigen Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht keine Berücksichtigung finden(33).

6.      Wirtschaftliche Folgen

52.   Nach Ansicht der deutschen Regierung sind durch das Infragestellen der streitigen Regelung erhebliche Einnahmeausfälle für den nationalen Haushalt zu befürchten. Die Regierung kennt die ständige Rechtsprechung, dass die Verringerung von Steuereinnahmen nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden kann, der zur Rechtfertigung einer grundsätzlich gegen eine Grundfreiheit verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann(34). Sie legt dem Gerichtshof jedoch nahe, seine Rechtsprechung zu überdenken, da Steuereinnahmen die wesentlichen Einnahmequellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft seien.

53.   Ein solches Anliegen kann als legitim angesehen werden. Es ist wahr, dass die Anwendung der Gemeinschaftsregelungen auf bestimmte nationale Steuersysteme mitunter erhebliche finanzielle Auswirkungen haben kann. In bestimmten Fällen können diese Auswirkungen auch das finanzielle Gleichgewicht des Staates schädigen.

54.   Es obliegt jedoch dem betreffenden Mitgliedstaat, das Vorliegen solcher Auswirkungen in jedem Einzelfall darzulegen; falls es bewiesen werden kann, ist es nicht auf der Ebene der Rechtfertigung der beschränkenden Maßnahme, sondern auf der Ebene der Wirkungen der vom Gerichtshof erlassenen Entscheidung zu berücksichtigen. Zudem kann eine zeitliche Begrenzung der Wirkung eines Urteils des Gerichtshofes nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen angeordnet werden, nämlich wenn der betreffende Staat die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen nachweisen kann und er berechtigte Gründe hatte, anzunehmen, dass sein Verhalten mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar war(35).

55.   Ich bin der Ansicht, dass der Gerichtshof dieses Anliegen nicht in den Katalog der Rechtfertigungen aufnehmen sollte, die es erlauben, von den Grundprinzipien des EG-Vertrags abzuweichen. Wenn die Mitgliedstaaten meinen, dass wirtschaftliche Erwägungen Steuermaßnahmen, die die Verkehrsfreiheiten behindern, rechtfertigen können müssen, scheint es mir allein in ihrer Zuständigkeit zu liegen, dies in den EG-Vertrag aufzunehmen. Es ist aus den folgenden Gründen nicht Sache des Gerichtshofes, hierbei die Initiative zu ergreifen.

56.   Der erste Grund ist praktischer Natur. Ließe man eine solche wirtschaftliche Rechtfertigung zu, müssten zunächst die Bereiche bestimmt werden, in denen sie zuzulassen wäre. Sollte sie auf den steuerlichen Bereich beschränkt bleiben oder auf andere wirtschaftliche und soziale Bereiche ausgedehnt werden? Sodann wäre erforderlich, die Parameter und Variablen festzulegen, die eine Bewertung der finanziellen Auswirkungen der Anwendung der Gemeinschaftsregelungen ermöglichten. Es ist aber offensichtlich, dass der Gerichtshof für die Durchführung einer solchen Bewertung angesichts u. a. der wirtschaftlichen und steuerlichen Uneinheitlichkeit der Mitgliedstaaten in der Union sehr schlecht ausgestattet ist. Daher erscheint mir die Zulassung einer solchen Rechtfertigung bei Fehlen klarer, vom EG-Vertrag festgelegter Regeln eine Quelle von Schwierigkeiten zu sein, die auch die Legitimation des Gerichtshofes betreffen könnten.

57.   Der zweite Grund betrifft die Wirkung dieser Rechtfertigung. Denn wenn Einnahmeverluste von einiger Erheblichkeit bei der Rechtfertigung einer Beschränkung der Grundfreiheiten zu berücksichtigen wären, ergäbe sich daraus die Gefahr einer Begünstigung schwerer und massiver Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht. Je anhaltender der Verstoß wäre, desto höher wären die Kosten für die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit auf Gemeinschaftsebene und desto einfacher wäre es, eine solche Rechtfertigung durchzusetzen.

58.   Schließlich ist zwar seit der Gründung der Gemeinschaft anerkannt, dass die Errichtung eines Binnenmarktes, der die Beseitigung von Handelsbeschränkungen jeglicher Art umfasst, für die Mitgliedstaaten die Beseitigung bestimmter Einnahmequellen zur Folge haben kann, jedoch profitieren sie auch von der Ausweitung der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Rahmen eines erweiterten Binnenmarktes.

59.   Die deutsche Regierung fügt eine Rechtfertigung aufgrund besonderer Umstände hinzu. Sie ist der Auffassung, dass die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen heute besonders berechtigt sei, da die Mitgliedstaaten aufgrund des Stabilitäts- und Wachstumspakts(36) zu einer strengen Haushaltsdisziplin verpflichtet seien. Dieses Argument verkennt jedoch sowohl den Wortlaut des EG-Vertrags als auch den Geist, in dem der Pakt entstanden ist. Es sei zunächst daran erinnert, dass nach Artikel 4 EG eine enge Koordinierung der Wirtschaftspolitik dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet sein muss. Eine Auslegung, wonach die Anwendung des Paktes zu einer Anhebung der Barrieren für die Errichtung des Binnenmarktes führt, widerspricht außerdem dem Geist selbst des Paktes, der ausdrücklich darauf gerichtet ist, das einwandfreie Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion und so die Vollendung des Binnenmarktes zu fördern.

60.   Nach alledem sind die gesamten von der deutschen Regierung für die Rechtfertigung der streitigen beschränkenden Maßnahme vorgetragenen Gründe zurückzuweisen. Es ist festzustellen, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Erlass der streitigen Regelung im Wesentlichen die Wirtschaft des Landes fördern wollte, indem er von Investitionen in Gesellschaften, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben, abschreckte. Wie im Vorlagebeschluss ausgeführt, sollte eine Ausnahme vom Verbot der Abzugsfähigkeit solcher Investitionen nur im Fall von Tätigkeiten bestehen, die für die nationale Volkswirtschaft von Interesse waren. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung ergibt sich also, dass der deutsche Gesetzgeber sich bewusst dafür entschieden hat, grenzüberschreitende Sachverhalte zugunsten eines rein wirtschaftlichen Zieles und zu Lasten der grundlegenden Erfordernisse des Binnenmarktes zu benachteiligen(37).

C –    Zur Auslegung der Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr

61.   Da die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit der Anwendung der in Rede stehenden Regelung unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles entgegenstehen, erscheint es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich, zu untersuchen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr ihnen ebenfalls entgegenstehen.

62.   Es scheint jedoch, dass auf bestimmte von der streitigen Bestimmung dieser Regelung erfasste Sachverhalte die Bestimmungen der Niederlassungsfreiheit nicht angewendet werden könnten. Dies ist u. a. für eine Gesellschaft der Fall, die eine Beteiligung an einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, ohne auf diese eine Kontrolle oder Einfluss auszuüben(38). Daher mag es nützlich sein, ergänzend zu untersuchen, ob Artikel 56 Absatz 1 EG, der alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verbietet, anwendbar ist.

63.   Der EG-Vertrag definiert den Begriff „Kapitalverkehr“ nicht. Da jedoch nach ständiger Rechtsprechung Artikel 56 EG im Wesentlichen den Inhalt des Artikels 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages(39) übernommen hat, behält die Nomenklatur für den Kapitalverkehr im Anhang zu dieser Richtlinie den Hinweischarakter für die Definition dieses Begriffes, den sie vor seinem Inkrafttreten hatte(40).

64.   Die Beteiligung an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen findet sich in der Rubrik I, Nr. 2, der Nomenklatur. Daraus folgt, dass die Beteiligungen, die den von der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Regelung erfassten Abschreibungen zugrunde liegen, Kapitalverkehr darstellen, die den Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr unterfallen.

65.   Daher ist zu untersuchen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

66.   Der Rechtsprechung lässt sich nicht entnehmen, dass diese Regelung nach anderen als den im Rahmen der Niederlassungsfreiheit anwendbaren Kriterien beurteilt werden müsste. Die deutsche Steuerregelung bewirkt klar, dass deutsche Gesellschaften davon abgehalten werden, ihr Kapital bei bestimmten Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat anzulegen(41). Sie übt auch eine beschränkende Wirkung auf diese in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Gesellschaften aus, weil sie sie darin behindert, in Deutschland Kapital zu sammeln, da die Verluste, die diese Gesellschaften bei den deutschen Anlegern verursachen können, nicht zu den gleichen Vorteilen berechtigen wie die in Deutschland getätigten Investitionen.

67.   Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass diese Regelung grundsätzlich eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt. Da die Rechtfertigungen, die der betreffende Mitgliedstaat für seine Vorschriften geltend machen könnte, im Wesentlichen die gleichen sind wie die im Rahmen der Auslegung der Regelungen über die Niederlassungsfreiheit vorgetragenen, sind sie nicht anzuerkennen.

III – Ergebnis

68.   Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass die Artikel 43 EG, 48 EG und 56 EG dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die in bestimmten Fällen den steuerlichen Ausgleich von Verlusten einer Muttergesellschaft aus den Wertabschreibungen auf die Beteiligungen an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Tochtergesellschaften ausschließt, während der Ausgleich solcher Verluste ohne Beschränkungen möglich ist, wenn diese Verluste Wertabschreibungen auf die Beteiligungen an Tochtergesellschaften entsprechen, die in demselben Mitgliedstaat niedergelassen sind wie die Muttergesellschaft.


1 – Originalsprache: Portugiesisch.


2 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. September 2003 in der Rechtssache C‑168/01 (Bosal, Slg. 2003, I‑9409) und vom 23. Februar 2006 in der Rechtssache C‑471/04 (Keller Holding, Slg. 2006, I‑0000) sowie zu Einkommensverlusten natürlicher Personen Urteil vom 21. Februar 2006 in der Rechtssache C‑152/03 (Ritter‑Coulais, Slg. 2006, I‑0000).


3 – Urteil vom 13. Dezember 2005 in der Rechtssache C‑446/03 (Slg. 2005, I‑0000).


4 – Vgl. u. a. Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C‑307/97 (Saint‑Gobain ZN, Slg. 1999, I‑6161, Randnr. 35).


5 – Urteil vom 13. April 2000 in der Rechtssache C‑251/98 (Slg. 2000, I‑2787, Randnr. 22). Vgl. auch Urteil vom 21. November 2002 in der Rechtssache C‑436/00 (X und Y, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 37).


6 – Urteil vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C‑264/96 (ICI, Slg. 1998, I‑4695, Randnr. 21).


7 – Vgl. Urteil Marks & Spencer, Randnr. 29, unter Übernahme der Formulierungen des Urteils vom 8. März 2001 in den Rechtssachen C‑397/98 und C‑410/98 (Metallgesellschaft u. a., Slg. 2001, I‑1727, Randnr. 37).


8 – Vgl. ebenso Urteil Marks & Spencer, Randnr. 32.


9 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Bosal, Randnr. 27.


10 – Ebenda, Randnr. 39.


11 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2004 in der Rechtssache C‑9/02 (De Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I‑2409, Randnr. 49).


12 – Randnr. 46.


13 – Urteil Marks & Spencer, Randnr. 44, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung, die u. a. im Urteil vom 7. September 2004 in der Rechtssache C‑319/02 (Manninen, Slg. 2004, I‑7477, Randnr. 49) angeführt wird.


14 – Vgl. u. a. Urteil vom 21. März 2002 in der Rechtssache C‑451/99 (Cura Anlagen, Slg. 2002, I‑3193, Randnr. 40).


15 – Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 23. Februar 2006 in der Rechtssache C‑374/04 (Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, vor dem Gerichtshof anhängig, Randnrn. 62 und 63). Vgl. auch Weber, D., „The Bosal Holding Case: Analysis and Critique», EC Tax Review, 2003‑4, S. 220; Wattel, P. J., „Red Herrings in Direct Tax Cases before the ECJ“, Legal Issues of Economic Integration, 2004, Nr. 2, S. 81 bis 95, insbesondere S. 89 und 90.


16 – Vgl. hierzu Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe‑Zentral, „Cassis de Dijon“, Slg. 1979, 649).


17 – Randnr. 46.


18 – Vgl. hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache Marks & Spencer, Nr. 67.


19 – Vgl. ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 2. Mai 2006 in der Rechtssache C‑196/04 (Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, vor dem Gerichtshof anhängig).


20 – Randnr. 45.


21 – Randnr. 51.


22 – Vgl. in diesem Sinne Urteil X und Y, Randnr. 62.


23 – Urteil Marks & Spencer, Randnr. 53.


24 – Vgl. Urteil ICI, Randnr. 26.


25 – Urteile vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C‑250/95 (Futura Participations und Singer, Slg. 1997, I‑2471) und vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C‑55/98 (Vestergaard, Slg. 1999, I‑7641, Randnr. 23).


26 – ABl. L 336, S. 15. Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 2004/56/EG des Rates vom 21. April 2004 (ABl. L 127, S. 70).


27 – Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C‑279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I‑225, Randnr. 45).


28 – Vgl. entsprechend zum Vertrauen, das sich die Mitgliedstaaten hinsichtlich der in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchgeführten Kontrollen gegenseitig entgegenbringen müssen, Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C‑5/94 (Hedley Lomas, Slg. 1996, I‑2553, Randnr. 19). Vgl. auch zu den Strafjustizsystemen der Mitgliedstaaten Urteil vom 11. Februar 2003 in den Rechtssachen C‑187/01 und C‑385/01 (Gözütok und Brügge, Slg. 2003, I‑1345, Randnr. 33).


29 – Urteil Vestergaard, Randnr. 26, und zitierte Rechtsprechung.


30 – Urteil Marks & Spencer, Randnr. 39.


31 – Ebenda, Randnr. 40.


32 – Vgl. u. a. Urteil Manninen, Randnrn. 42 und 43.


33 – Vgl. u. a. Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C‑80/94 (Wielockx, Slg. 1995, I‑2493, Randnrn. 24 und 25).


34 – Vgl. allgemein Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82 (Duphar u. a., Slg. 1984, 523, Randnr. 23) sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Mancini in dieser Rechtssache und insbesondere für das Gebiet des Steuerrechts Urteile vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C‑35/98 (Verkooijen, Slg. 2000, I‑4071, Randnr. 48) und Manninen, Randnr. 49. Es kommt jedoch vor, dass die wirtschaftlichen Aspekte einer Regelung berücksichtigt werden, wenn diese untrennbar mit anderen als berechtigt angesehenen Anliegen verbunden sind. Dies zeigt u. a. das Urteil vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 72/83 (Campus Oil u. a., Slg. 1984, 2727), in dem der Gerichtshof anerkannt hat, dass eine nationale Regelung, die alle Importeure verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bedarfs an Erdölerzeugnissen bei einer im nationalen Hoheitsgebiet gelegenen Raffinerie zu decken, gerechtfertigt werden konnte, da mit ihr das wesentliche Ziel der Sicherstellung der Energieversorgung verfolgt wird, das über Erwägungen rein wirtschaftlicher Art hinausgeht (Randnrn. 34 und 35). Ebenso ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der EG-Vertrag den Mitgliedstaaten erlaubt, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder selbst das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist (Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C‑158/96, Kohll, Slg. 1998, I‑1931, Randnr. 51). Dies ist auch die auf dem Gebiet der Unionsbürgerschaft eingeschlagene Richtung. Der Gerichtshof erkennt insoweit an, dass die Wahrnehmung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger von der Wahrung der „berechtigten Interessen“ der Mitgliedstaaten am Schutz ihrer Sozialhilfesysteme abhängig gemacht werden kann (vgl. Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C‑413/99, Baumbast und R, Slg. 2002, I‑7091, Randnrn. 87 und 90). Wenn sich jedoch herausstellt, dass die beschränkende Maßnahme mittels einer Verringerung der laufenden Kosten eines Krankenversicherungssystems in erster Linie ein haushaltspolitisches Ziel verfolgt, ohne dass die Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts dieses Systems in Frage steht, zögert der Gerichtshof nicht, sie zu verwerfen (vgl. Urteil Duphar u. a., Randnrn. 16 und 23). Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass zwar wirtschaftliche oder finanzielle Erwägungen berechtigterweise von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können, sobald die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung der Sicherstellung eines wesentlichen Dienstes seines Sozialsystems vorliegt, ein rein wirtschaftliches Ziel hingegen keinen Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung einer vom EG-Vertrag garantierten Grundfreiheit darstellen kann.


35 – Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C‑184/99 (Grzelczyk, Slg. 2001, I‑6193, Randnr. 53).


36 – Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus der Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997 (ABl. C 236, S. 1), der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (ABl. L 209, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (ABl. L 209, S. 6). Diese Verordnungen wurden kürzlich geändert, und zwar durch die Verordnung (EG) Nr. 1055/2005 und die Verordnung (EG) Nr. 1056/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 (ABl. L 174, S. 1 und 5).


37 – Vgl. ebenso Urteile Verkooijen, Randnrn. 47 und 48, sowie vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C‑398/95 (SETTG, Slg. 1997, I‑3091, Randnrn. 22 und 23).


38 – Vgl. Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge.


39 – ABl. L 178, S. 5. Artikel 67 des Vertrages wurde durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben.


40 – Vgl. u. a. Urteil vom 16. März 1999 in der Rechtssache C‑222/97 (Trummer und Mayer, Slg. 1999, I‑1661, Randnr. 21).


41 – Vgl. entsprechend Urteile Verkooijen, Randnr. 34, und Manninen, Randnr. 22.

Top