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Document 62004CC0340

Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 12. Januar 2006.
Carbotermo SpA und Consorzio Alisei gegen Comune di Busto Arsizio und AGESP SpA.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia - Italien.
Richtlinie 93/36/EWG - Öffentliche Lieferaufträge - Vergabe ohne Ausschreibung - Auftragsvergabe an ein Unternehmen, an dem der öffentliche Auftraggeber beteiligt ist.
Rechtssache C-340/04.

Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-04137

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:24

SCHLUSSANTRÄGE DER FRAU GENERALANWALT

CHRISTINE Stix-Hackl

vom 12. Jänner 2006(1)

Rechtssache C-340/04

Carbotermo SpA

und

Consorzio Alisei

gegen

Comune di Busto Arsizio

Streithelfer: A.G.E.S.I.

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale della Lombardia [Italien])

„Öffentliches Auftragswesen – Richtlinie 93/36/EWG – Lieferauftrag – Direktvergabe – Quasi-In-House-Vergabe“





I –    Einleitung

1.     Das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vergabe eines öffentlichen Auftrages als so genannte Quasi-In-House-Vergabe gilt und damit nicht unter die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge(2) (im Folgenden: Richtlinie 93/36) fällt. Es handelt sich also um ein weiteres Verfahren zur Auslegung und Anwendung der im Urteil in der Rechtssache Teckal(3) entwickelten und in der Rechtssache Stadt Halle(4) – zumindest teilweise – näher präzisierten Kriterien.

2.     Im Übrigen reiht sich das vorliegende Verfahren in eine Liste von – zum Teil bereits entschiedenen(5) – Verfahren ein, die Vergaben auf dem Gebiet der Energieversorgung oder der Abfallentsorgung durch italienische Gemeinden betreffen.

II – Rechtlicher Rahmen: Gemeinschaftsrecht

3.     Die Richtlinie 93/36 trifft in ihrem Artikel 1 grundlegende Regelungen betreffend ihren Geltungsbereich.

4.     Artikel 1 Einleitungshalbsatz und Buchstabe a lauten:

„Im Sinne dieser Richtlinie

a)      gelten als öffentliche Lieferaufträge die zwischen einem Lieferanten (einer natürlichen oder juristischen Person) und einem unter Buchstabe b näher bezeichneten öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge über Kauf, Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf, mit oder ohne Kaufoption, von Waren. Diese Lieferung kann auch Nebenarbeiten wie das Verlegen und Anbringen umfassen; …“

5.     In den Randnummern 49 und 50 des Urteils in der Rechtssache Teckal hat der Gerichtshof Grundsätze für die Ausnahme bestimmter Vorgänge von der Anwendung der Richtlinien aufgestellt:

„49      Zur Beantwortung der Frage, ob ein Vertrag vorliegt, muss das vorlegende Gericht prüfen, ob eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen getroffen wurde.

50      Dazu genügt es nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 93/36 grundsätzlich, dass der Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“

6.     Die erste der beiden genannten Voraussetzungen hat der Gerichtshof in seinen Urteilen in der Rechtssache Stadt Halle(6) und in der Rechtssache Parking Brixen(7) weiter präzisiert.

7.     Die Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor(8) (im Folgenden: Richtlinie 93/38) enthält eine durch die Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste(9) nunmehr geänderte Bestimmung über die Vergabe von Aufträgen an Unternehmen, die mit dem Auftraggeber in einem bestimmten Naheverhältnis stehen.

8.     Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 93/38 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie gilt nicht für Dienstleistungsaufträge,

a)      die ein Auftraggeber an ein mit ihm verbundenes Unternehmen vergibt;

b)      die ein gemeinsames Unternehmen, das mehrere Auftraggeber zur Durchführung von Tätigkeiten im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 gebildet haben, an einen dieser Auftraggeber oder an ein Unternehmen vergibt, das mit einem dieser Auftraggeber verbunden ist,

sofern mindestens 80 % des von diesem Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Dienstleistungen für die mit ihm verbundenen Unternehmen stammen.

Werden die gleiche Dienstleistung oder gleichartige Dienstleistungen von mehr als einem mit dem Auftraggeber verbundenen Unternehmen erbracht, ist der Gesamtumsatz in der Gemeinschaft zu berücksichtigen, der sich für diese Unternehmen aus der Erbringung von Dienstleistungen ergibt.“

III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

9.     Die Gemeinde Busto Arsizio veranstaltete am 22. September 2003 die Ausschreibung für die Lieferung von Energie sowie für die Wartung, Anpassung und technische Umrüstung der Heizungsanlagen in den Gemeindegebäuden (die Auftragssumme von 8 450 000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer war aufgeteilt in 5 700 000 Euro für die Lieferung von Brennstoffen – zu 4/5 Heizöl und zu 1/5 Methangas –, 1 000 000 Euro für die Wartung und 1 750 000 Euro für die Umrüstung und Anpassung an die Normen).

10.   Die Gemeinde Busto Arsizio (im Folgenden: Gemeinde) entschied mit Beschluss Nr. 804 vom 21. November 2003 die Aussetzung des Ausschreibungsverfahrens bis zum 10. Dezember 2003 in Erwartung einer etwaigen Entscheidung über die unmittelbare Vergabe des Auftrags. Die Klägerin Carbotermo SpA (im Folgenden: Carbotermo) gab ihr Angebot am 22. November 2003 ab. Das Consorzio Alisei (im Folgenden: Alisei) hat zwar das technische Angebot vorbereitet, jedoch nicht innerhalb der ursprünglich vorgeschriebenen Frist bis zum 24. November 2003 vorgelegt, da ihr am 21. November 2003 die Mitteilung der Gemeinde, dass das Ausschreibungsverfahren bis zum 10. Dezember 2003 ausgesetzt werde, und später die Ankündigung der Aufhebung der Ausschreibung zuging.

11.   Mit Beschluss Nr. 857 vom 10. Dezember 2003 hob die Gemeinde die Ausschreibung auf und behielt sich vor, den Auftrag nachfolgend unmittelbar an die AGESP SpA (im Folgenden: AGESP) zu erteilen.

12.   AGESP wird zu 100 % von der AGESP Holding SpA kontrolliert(10), die ihrerseits wiederum eine Aktiengesellschaft ist, deren Grundkapital zu 99,98 % im Eigentum der Gemeinde steht(11). Die restlichen Anteile werden von einigen angrenzenden Gemeinden derselben Provinz gehalten.

13.   Am 18. Dezember 2003 erfolgte die unmittelbare Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an AGESP.

14.   Carbotermo und Alisei haben gegen diese Beschlüsse Klage beim Tribunale Amministrativo Regionale della Lombardia erhoben. Dieses hat die beiden Verfahren verbunden und dem Gerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2004, eingetragen im Register des Gerichtshofes am 9. August 2004, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Ist die unmittelbare Vergabe des Auftrags über die Lieferung von Brennstoffen und Wärme für Heizungsanlagen, die im Eigentum der Gemeinde stehen oder für die diese zuständig ist, und über deren Betrieb, Leitung und Wartung (bei Überwiegen des Wertes der Lieferung) an eine Aktiengesellschaft, deren Grundkapital gegenwärtig vollständig von einer anderen Aktiengesellschaft gehalten wird, deren Mehrheitsgesellschafter (zu 99,98 %) die den Auftrag vergebende Gemeinde ist, oder an eine Gesellschaft (AGESP), deren Anteile nicht unmittelbar von der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, sondern von einer anderen Gesellschaft (AGESP Holding) gehalten werden, deren Grundkapital sich gegenwärtig zu 99,98 % im Besitz der öffentlichen Verwaltung befindet, mit der Richtlinie 93/36/EWG vereinbar?

2.         Ist die Erfüllung des Erfordernisses, dass das Unternehmen, an das der Lieferauftrag unmittelbar vergeben wird, seine Tätigkeit im Wesentlichen für die öffentliche Einrichtung verrichtet, von der es kontrolliert wird, unter Anwendung von Artikel 13 der Richtlinie 93/38/EWG festzustellen, und kann es dann als erfüllt angesehen werden, wenn dieses Unternehmen seine Einkünfte überwiegend von der kontrollierenden öffentlichen Einrichtung erzielt oder in deren Gebiet erzielt?

IV – Zu den Vorlagefragen

15.   Im Wesentlichen betreffen die beiden Vorlagefragen die beiden kumulativen Voraussetzungen, unter denen bestimmte Quasi-In-House-Vergaben nicht unter die Richtlinie 93/36 fallen (so genannte Teckal-Ausnahme oder Teckal-Kriterien): Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle und Tätigkeit im Wesentlichen für den Inhaber der Anteile. Sollten die Voraussetzungen erfüllt sein, wären auch nicht die Bestimmungen der Richtlinie anzuwenden, wie etwa die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften.

16.   Zur Klarstellung sei betont, dass im vorliegenden Verfahren die alte Rechtslage, also nicht die neue des so genannten Legislativpaketes, maßgeblich ist.

V –    Vorbemerkung

17.   Das vorliegende Verfahren hat wie schon die vorangegangenen Verfahren gezeigt, dass die Teckal-Kriterien in einer Reihe unbestimmter Begriffe bestehen, die eine Fülle von Rechtsfragen aufgeworfen und Abgrenzungsschwierigkeiten gebracht haben. Im Lichte dieser Erfahrungen stellt sich die Frage, wie der Gerichtshof am ehesten Rechtsklarheit und dadurch für die Betroffenen Rechtssicherheit schaffen kann: Eine Möglichkeit bestünde darin, dass er seine Rechtsprechung nicht nur fallbezogen verfeinert, sondern sie in allgemeinerer Form als bisher präzisiert. Eine andere Lösung bestünde darin, die mit der Teckal-Ausnahme geschaffenen Unsicherheiten durch eine umfassende Revision der Rechtsprechung zu beseitigen. Im November 1999 hat der Gerichtshof mit seinem Urteil in der Rechtssache Teckal die Türe für Ausnahmen von der Richtlinie geöffnet. Wie weit dieser Spalt ist, ist aber weiterhin unklar.

18.   Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, dass dieser Umstand auch Auswirkungen auf nationale Höchstgerichte, wie den italienischen Consiglio di Stato, hat. So gehen – laut Vorlagebeschluss – die vom Consiglio di Stato aufgestellten Leitlinien für die Quasi-In-House-Vergabe auf eine Entscheidung des Gerichtshofes(12) zurück. Ob diese Judikatur hingegen der Rechtsprechung des Gerichtshofes entspricht, sei hier dahingestellt. Jedenfalls zeigt das Ausgangsverfahren wie andere Verfahren auch in anderen Mitgliedstaaten, dass die Rechtsprechung des Gerichthofes offensichtlich keine klaren Vorgaben für die betroffenen Wirtschaftskreise und Gerichte der Mitgliedstaaten enthält.

19.   Um dem Gerichtshof eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zu ermöglichen, werde ich im Folgenden trotz der von mir geäußerten Bedenken die Teckal-Ausnahme in allgemeinerer Form präzisieren. Dem Gerichtshof bleibt dann immer noch die andere Option offen.

VI – Erstes Kriterium: Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle

20.   Das vorliegende Verfahren weist mehrere Besonderheiten auf, wodurch es sich insgesamt von anderen anhängigen oder bereits entschiedenen Verfahren betreffend so genannte Public-Private-Partnerships (im Folgenden: PPP) unterscheidet.

21.   Abweichend von dem in der Rechtssache Stadt Halle zu prüfenden Vorgang fehlt es ausweislich der Akten an einer Beteiligung privater Unternehmen. Im Übrigen handelt es sich im vorliegenden Verfahren um eine andere gesellschaftsrechtliche Konstruktion als in der Rechtssache Stadt Halle, und zwar um eine Aktiengesellschaft. Im Unterschied zu den Rechtssachen Parking Brixen(13) oder Teckal wiederum erfolgte im vorliegenden Verfahren die Vergabe nicht an eine Tochtergesellschaft, sondern an eine „Enkelin“ der Gebietskörperschaft.

A –    Die rechtliche Beurteilung von indirekten Beteiligungen

22.   Das erste Merkmal, das den im vorliegenden Verfahren zu prüfenden Vorgang kennzeichnet, betrifft, ähnlich wie in der Rechtssache Stadt Halle, den Umstand, dass die Vergabe nicht direkt an die Einrichtung erfolgt, an der die Gebietskörperschaft direkt beteiligt ist.

23.   In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Teckal-Kriterien grundsätzlich auch auf Konstellationen anwendbar sind, in denen eine indirekte Beteiligung vorliegt, d. h., ob von den Vergaberichtlinien auch Vorgänge ausgenommen sind, bei denen die öffentliche Hand, an die die Leistung erbracht wird, an der betreffenden Einrichtung nur über eine weitere Gesellschaft beteiligt ist.

24.   Die Kommission wie die polnische Regierung lehnen eine solche Auslegung aus grundsätzlichen Erwägungen strikt ab.

25.   Der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann dazu keine klare Aussage entnommen werden. Das gilt auch nach dem Urteil in der Rechtssache Parking Brixen.

26.   Für die grundsätzliche Zulässigkeit der Anwendung der Teckal-Kriterien auch auf Fälle indirekter Beteiligungen spricht, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Stadt Halle überhaupt eine entsprechende Prüfung vorgenommen hat, ob die Voraussetzungen für die beiden Teckal-Kriterien erfüllt sind. Daraus könnte man auf eine stillschweigende grundsätzliche Anerkennung schließen.

27.   Der Wortlaut des Urteils Stadt Halle scheint hingegen eher in die andere Richtung zu weisen. So lautet die Formulierung in Randnummer 49: „… ihre Tätigkeiten im Wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“ Daraus könnte man ableiten, dass der Leistungsaustausch direkt zwischen dem öffentlichen Auftraggeber als Anteilseigner und der Einrichtung zu erfolgen hat, an der der öffentliche Auftraggeber die Anteile hält.

28.   Da sich diese Wendung jedoch ausdrücklich auf das zweite Kriterium, d. h. die Wesentlichkeit der Tätigkeit, bezieht, könnte man freilich schließen, dass das Urteil in der Rechtssache Teckal keine ausdrückliche Aussage zur Möglichkeit enthält, ob auch indirekte Beteiligungen das erste Kriterium erfüllen können.

29.   Der Umstand, dass der Rechtssache Teckal eine gemischt-öffentliche Konstellation zugrunde lag und dass der Gerichtshof solche Konstellationen durch Einführung der so genannten Teckal-Kriterien implizit anerkannte, spricht hingegen dafür, dass grundsätzlich auch indirekte Beteiligungen erfasst sein können. Voraussetzung ist jedoch, dass das Kontroll-Kriterium auf allen Beteiligungsstufen erfüllt wird.

30.   Hinsichtlich dieses Kriteriums kommt es gemäß dem Urteil in der Rechtssache Parking Brixen darauf an, dass die Möglichkeit besteht, „sowohl auf strategische Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen“. Hiefür sind alle Rechtsvorschriften und maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen(14). Dass dieser Einfluss auch tatsächlich ausgeübt wird, scheint nach diesem Urteil allerdings nicht erforderlich.

B –    Die rechtliche Beurteilung von gemischt-öffentlichen Unternehmen

1.      Grundsätzliches

31.   Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens weist noch eine weitere Besonderheit auf, die ihn von dem der Rechtssache Stadt Halle zugrunde liegenden Sachverhalt unterscheidet. Im vorliegenden Verfahren geht es nämlich nicht um eine gemischt-wirtschaftliche Einrichtung, sondern um eine Einrichtung, genauer um deren Muttergesellschaft, an der keine privaten Unternehmen beteiligt sind. Das geht zwar nicht aus dem Vorlagebeschluss selbst, aber aus den übrigen Akten hervor. Im Übrigen betrifft die Beteiligung durch andere lediglich einen Anteil von 0,02 %. Da dieser restliche Anteil von anderen Gemeinden, also von öffentlichen Einrichtungen, gehalten wird, handelt es sich um ein gemischt-öffentliches Unternehmen oder eine so genannte „Public-Public-Partnership“.

32.   Ordnet man die Konstellation des vorliegenden Verfahrens in die bisherige Rechtsprechungspraxis des Gerichthofes ein, so zeigt sich folgendes Bild: Einerseits zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Rechtssache Stadt Halle, in der es um eine gemischt-wirtschaftliche Einrichtung ging, andererseits wird die Parallele zur Rechtssache Teckal deutlich, der eine gemischt-öffentliche Einrichtung zugrunde lag. Die Einrichtung, die in letzterer Rechtssache den Beschaffungsvertrag ausführen sollte, die AGAC, besaß nämlich zwar eigene Rechtspersönlichkeit, ging jedoch auf die Initiative mehrerer Gemeinden zurück.

33.   Für die Anwendung der Teckal-Ausnahme auf gemischt-öffentliche Einrichtungen spricht neben dem Urteil in der Rechtssache Teckal, wie bereits dargelegt, auch der Umstand, dass für den Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Stadt Halle(15) entscheidend war, dass private Unternehmen andere Interessen als Gebietskörperschaften verfolgen.

34.   Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch nur um die Beteiligung von Gemeinden und nicht um Interessen von Privaten. Da Gemeinden im öffentlichen Interesse liegende Ziele verfolgen, könnte man daher zumindest auf den ersten Blick davon ausgehen, dass dem Kontrollkriterium sogar in seiner strengen Lesart entsprochen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Voraussetzung des Interessengleichklanges(16) so versteht, dass dieser schon bei Abwesenheit von privaten Interessen gegeben ist. Freilich ist es nicht ausgeschlossen und wird durch das Handeln von Gemeinden als Teilnehmer am Wirtschaftsleben bestätigt, dass Gemeinden auch verschiedene Interessen vertreten können. In einem solchen Fall besteht kein Interessengleichklang mehr.

35.   Dabei soll schließlich auch nicht verschwiegen werden, dass es in der Rechtssache Teckal um eine so genannte „azienda municipalizzata“ ging und nicht wie vorliegend um eine Aktiengesellschaft. Auf die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion wird noch zurückzukommen sein.

36.   Die Antwort auf die Frage, wie gemischt-öffentliche Einrichtungen zu behandeln sind, ist aber auch im Lichte des im Urteil Stadt Halle ausdrücklich bestätigten Auslegungsgrundsatzes zu geben, wonach jede Ausnahme von der Geltung der Verpflichtung zur Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften eng auszulegen ist(17).

37.   Selbst im Urteil Stadt Halle, in dem es nicht um die Beteiligung mehrerer Anteilseigner ging, hat der Gerichtshof aber die grundsätzliche Anwendbarkeit der Teckal-Ausnahme auf Einrichtungen mit mehreren Anteilseignern bekräftigt. Das kann man daran erkennen, dass der Gerichtshof(18) nicht nur die Teckal-Ausnahme wörtlich übernommen hat, sondern auch daran erinnert, dass in der Rechtssache Teckal die Einrichtung von „öffentlichen Stellen“ gehalten wurde. Hier hat der Gerichtshof die Mehrzahl also nicht nur in Bezug auf das zweite Kriterium der Teckal-Ausnahme verwendet.

38.   Daraus folgt also, dass sogar Einrichtungen, die mehrere Anteilseigner haben, grundsätzlich unter die Ausnahme fallen könnten.

39.   Für die Anwendung der Teckal-Ausnahme in der vorliegenden Konstellation müsste man aber noch einen Schritt weitergehen, weil es in casu zudem um eine indirekte Beteiligung geht. Meines Erachtens kann die Anwendbarkeit der Teckal-Ausnahme auch auf eine solche Konstellation nicht von vornherein generell und abstrakt ausgeschlossen werden.

40.   Vielmehr ist ebenso hier konkret zu prüfen, ob das Kriterium der Kontrolle erfüllt ist. Zu erinnern ist dabei an den vom Gerichtshof in der Rechtssache Parking Brixen aufgestellten Maßstab. Danach kommt es darauf an, dass die kontrollierte Einrichtung nur über ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit verfügt(19), und zwar gegenüber ihren Anteilseignern(20).

41.   Da in casu, und zwar aufgrund der Satzung, die Möglichkeit der Beteiligung Privater besteht, ist hinsichtlich des Kriteriums der Kontrolle zu untersuchen, ob einer künftigen Öffnung des Gesellschaftskapitals für Private rechtliche Bedeutung zukommt.

42.   Hinsichtlich der Öffnung des Gesellschaftskapitals für Private könnte man nun danach differenzieren, ob eine Beteiligung Privater nur rechtlich möglich oder auch rechtlich zwingend ist. Was die erste Fallgruppe betrifft, könnte man des Weiteren danach differenzieren, ob von der Möglichkeit später auch tatsächlich Gebrauch gemacht wurde – die Fallgruppe der vorherigen Öffnung, also die Konstellation in der Rechtssache Stadt Halle, scheidet hier von vornherein aus – oder nicht.

43.   Diesbezüglich hat die Kommission die Auffassung vertreten, dass sogar eine potenzielle Beteiligung Privater, wie sie sich etwa aus der Satzung einer Kapitalgesellschaft ergibt, dafür spricht, dass das Kontrollkriterium nicht erfüllt ist.

44.   Gegen diesen von der Kommission vertretenen extremen Standpunkt sprechen zunächst grundsätzliche Erwägungen. So würde die rechtliche Qualifizierung von PPP-Vorhaben von bloß möglichen zukünftigen Entwicklungen abhängen. Ob diese dann tatsächlich eintreten, wäre jedoch irrelevant. Ein solcher Ansatz ist gemessen am System der Vergaberichtlinien etwas Neuartiges. Zudem könnte es nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats sogar verboten sein, die Übertragung von Anteilen an Private in der Satzung zu untersagen.

45.   Freilich gebietet umgekehrt das den Vergaberichtlinien zugrunde liegende Prinzip des Schutzes vor Umgehungen, dass bestimmte Ereignisse, die nach der Übertragung der Aufgaben, d. h. nach Erteilung des Zuschlags, eintreten, dennoch zu berücksichtigen sind. Das betrifft insbesondere die Fallgruppe, dass eine Öffnung zwar zum Zeitpunkt der Vergabe noch nicht stattgefunden hat, jedoch ein dahin gehender konkreter Plan bereits bestand.

46.   Fraglich ist, ob das Urteil in der Rechtssache Parking Brixen an dieser Beurteilung etwas ändert. Dagegen spricht, dass dort im Gegensatz zum vorliegenden Fall die Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital vorgeschrieben war und nur eines von fünf für die Beurteilung wesentlichen Merkmalen bildete(21). Doch das schließt freilich noch immer nicht aus, dass selbst die mögliche Öffnung – wenn auch nur gemeinsam mit anderen Besonderheiten, die die Konstellation des Ausgangsverfahrens auszeichnen –, dazu führen kann, dass in dieser Konstellation das Mindestmaß an Kontrolle nicht erreicht wird. Auf diese anderen Besonderheiten und deren Bedeutung im Hinblick auf die Kontrolle ist daher noch einzugehen.

47.   In diesem Zusammenhang ist es nämlich erforderlich, auch auf die einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich(22) zugrunde liegende Konstellation und die vom Gerichtshof dazu ergangene rezente rechtliche Beurteilung hinzuweisen.

48.   In der Rechtssache Kommission/Österreich ging es um die Übertragung der Abfallentsorgung durch die Stadtgemeinde Mödling an eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, also durch eine Gemeinde an eine 100 %-Tochter. Etwa zwei Wochen nach Übertragung der Aufgabe beschloss die Stadtgemeinde, 49 % der Anteile an ein privates Unternehmen abzutreten. Diese Abtretung erfolgte wiederum etwa zwei Wochen danach. Die Ausführung der übertragenen Tätigkeit begann nochmals einige Wochen später.

49.   In seinem diesbezüglichen Urteil vom 10. November 2005 betonte der Gerichtshof, dass alle Phasen in ihrer Gesamtheit und im Hinblick auf ihre Zielsetzung und nicht isoliert zu beurteilen sind(23). Dieser Umstand spricht dafür, dass auch Entwicklungen, die nach Übertragung der Aufgaben eintreten, zu berücksichtigen sind, wie der Gerichtshof in jenem Verfahren auch ausdrücklich betont(24). In jenem Verfahren ging es aber im Unterschied zu dem vorliegenden um tatsächlich eingetretene Entwicklungen. In jenem Verfahren wurde nämlich von der Öffnung der Gesellschaft gegenüber privater Beteiligung bereits Gebrauch gemacht. Im Zeitpunkt der Beurteilung des Gesamtvorganges war sie bereits erfolgt.

50.   Im Unterschied dazu ist den Akten des vorliegenden Verfahrens nicht zu entnehmen, ob und, bejahendenfalls, wann eine Übertragung von Anteilen an Private erfolgt ist oder dass dahin gehende Pläne bestanden haben. So gesehen liefert weder das Urteil in der Rechtssache Parking Brixen noch das Urteil in der Rechtssache Kommission/Österreich einen eindeutigen Hinweis dafür, dass die bloße Möglichkeit der Öffnung der Gesellschaft gegenüber Privaten ausreicht.

51.   Somit kann man davon ausgehen, dass die bislang ergangene Rechtsprechung Vergaben an gemischt-öffentliche Einrichtungen nicht grundsätzlich von der Teckal-Ausnahme ausschließt. Daher sind im Folgenden die Bedingungen darzustellen, die solche Vorgänge zu erfüllen haben.

2.      Die Bedingungen im Einzelnen

52.   Die Bedingungen, unter denen Vergaben an gemischt-öffentliche Einrichtungen unter die Teckal-Ausnahme fallen können, beziehen sich auf das Verhältnis zwischen der betreffenden Einrichtung und den öffentlichen Rechtsträgern, die direkt oder indirekt die Beteiligung halten.

53.   Vorweg ist das im Verfahren vorgebrachte Argument zurückzuweisen, dass die Teckal-Ausnahme nur so genannte „interorganische oder -organisatorische Delegationen“ oder Gliederungen des Organisationsapparates einer Gebietskörperschaft erfasst. Für ein Anknüpfen an solche Kategorien kann der Rechtsprechung des Gerichtshofes keine Aussage entnommen werden.

54.   Generell geht der Gerichtshof in diesem Zusammenhang, insbesondere auch im Urteil in der Rechtssache Parking Brixen, von einem materiellen und nicht von einem formellen Verständnis aus. So kommt es, wie noch genauer zu zeigen sein wird, auf die Ausgestaltung der Beziehung zwischen den Beteiligten an. Im Einzelnen kommen dafür allgemein-abstrakte Vorschriften, wie das nationale Gesellschaftsrecht, und die konkrete Ausgestaltung, wie etwa die Satzung der betroffenen Einrichtung, in Betracht(25).

55.   Im vorliegenden Verfahren handelt es sich bei der Einrichtung, die die Leistung erbringen soll, anders als in der Rechtssache Stadt Halle, nicht um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht, sondern um eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht (SpA).

56.   Anwendbar sind in casu die einschlägigen Bestimmungen des Codice civile (im Folgenden: C.C.).

57.   Auch zur Einrichtung, die in der Rechtssache Teckal zu prüfen war, besteht ein Unterschied. Während jenes Verfahren die Rechtsform einer so genannten „azienda municipalizzata“ zum Gegenstand hatte, betrifft das vorliegende Verfahren gerade eine Einrichtung, nämlich die AGESP, die zwar ursprünglich in der genannten Rechtsform operierte, aber mit Beschluss Nr. 148 vom 24. September 1997 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.

58.   Aktiengesellschaften verfügen auch nach italienischem Recht grundsätzlich über eine größere Autonomie als Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

59.   Meines Erachtens reicht eine abstrakte Prüfung der nach dem C.C. bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten von Anteilseignern auf Aktiengesellschaften und deren Einwirkungsmöglichkeiten auf deren Tochtergesellschaften nicht aus. Wie ich schon früher ausgeführt habe, kommt es vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Großmutter- und Muttergesellschaft sowie zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft an(26).

60.   Die Rechtsform der Aktiengesellschaft, z. B. der nach italienischem Recht, „schadet“ also per se nicht. Das ist im Übrigen auch dem Urteil in der Rechtssache Parking Brixen zu entnehmen, in dem es ebenfalls um eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht ging. Allein schon daraus, dass der Gerichtshof diesen Umstand nicht genügen ließ, um auf die Selbständigkeit der Gesellschaft und damit auf das Fehlen der Kontrolle zu schließen, spricht dafür, dass die Rechtsform einer italienischen Aktiengesellschaft für sich genommen eine ausreichende Kontrolle nicht ausschließt.

61.   Allerdings bildet die Umwandlung eines Eigenbetriebes in eine Aktiengesellschaft zumindest einen von mehreren Umständen, der bei der Beurteilung der Selbständigkeit zu berücksichtigen ist(27).

62.   Hinsichtlich der Prüfung der konkreten Ausgestaltung kommt es jedenfalls auf die konkreten Befugnisse der jeweiligen Anteilseigner an und nicht auf deren tatsächliche Ausübung in der Praxis(28). Diese Auffassung hat der Gerichthof nunmehr in der Rechtssache Parking Brixen bestätigt, in dem er die Satzung der betroffenen Aktiengesellschaft untersuchte(29).

63.   Des Weiteren haben sich die Kontrollrechte des Anteilseigners oder der Anteilseigner nicht nur auf Vergabeentscheidungen im Allgemeinen oder auf die konkrete Vergabeentscheidung im Besonderen zu beziehen(30), sondern sich auch auf die Geschäftsführung insgesamt zu erstrecken.

64.   Hinsichtlich der Mittel zur Kontrolle kommen in der Regel Weisungsrechte und Aufsichtsbefugnisse sowie Ernennungsrechte in Betracht. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, wonach es auf die Möglichkeit der Einflussnahme und somit nicht nur auf rechtliche Vorschriften ankommt(31).

65.   Abschließend ist noch auf das im Verfahren vorgebrachte Argument einzugehen, wonach die Beurteilung eines Beschaffungsvorganges und die Anwendung der Teckal-Ausnahme vom Verhalten der Beteiligten, also der kontrollierenden und der kontrollierten Einrichtung, bei der konkreten Vergabe abhängen.

66.   So könnte man aus dem Verhalten der Beteiligten im Vergabeverfahren, in erster Linie der gemischt-öffentlichen Einrichtung, auf deren Selbständigkeit vom Auftraggeber schließen.

67.   Im vorliegenden Verfahren wurde diesbezüglich im Wesentlichen auf den Inhalt des Vertrages hingewiesen. Insbesondere solle die darin verankerte Vertragsstrafe für die Nichterreichung bestimmter Ziele als Indiz für die Autonomie der AGESP gewertet werden.

68.   Da sich das Kriterium der Kontrolle auf die Einflussnahme auf die Geschäftsführung insgesamt bezieht, kann das Verhalten der zu prüfenden Einrichtung in einem konkreten Vergabeverfahren nicht entscheidend sein. Das könnte nämlich dazu führen, dass dieselbe Einrichtung in einem Beschaffungsvorgang unter die Teckal-Ausnahme fiele und in einem anderen nicht. Der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine solcherart konkretisierte Betrachtungsweise jedoch nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, die Qualifizierung des Verhältnisses und damit das Vorliegen des Kontrollkriteriums knüpft der Gerichtshof an Umstände an, die in den beteiligten Personen liegen.

69.   Die konkrete Untersuchung, ob die allgemein-abstrakten Rechtsvorschriften des nationalen Rechts und die konkrete Ausgestaltung in der Satzung der betreffenden Gesellschaft, im vorliegenden Fall insbesondere von Artikel 19, eine hinreichende Kontrolle gewährleisten, betrifft die Beurteilung eines konkreten Sachverhaltes. Das und die Auslegung des nationalen Rechts sind jedoch nach der Zuständigkeitsverteilung gemäß Artikel 234 EG nicht Aufgabe des Gerichtshofes, sondern des nationalen Richters.

C –    Zwischenergebnis

70.   Das Kriterium der Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle kann grundsätzlich auch bei gemischt-öffentlichen Unternehmen erfüllt sein. Die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens obliegt dem nationalen Richter. Dieser hat hinsichtlich der vorliegenden Konstellation folgende Umstände zu berücksichtigen:

–       die Interessenlage der Anteilseigner;

–       die Umwandlung der „azienda municipalizzata“ in eine Aktiengesellschaft;

–       die nicht verpflichtend vorgesehene und auch nicht erfolgte Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital;

–       die Möglichkeit der AGESP, sogar im Ausland Niederlassungen zu gründen;

–       den Umfang der Möglichkeit der Einflussnahme auf die Ernennung des Verwaltungsrates und auf die Geschäftsführung;

–       die Befugnisse des Verwaltungsrates der AGESP sowie

–       den Umstand, dass die Gemeinde an der AGESP über die AGESP Holding indirekt beteiligt ist.

71.   Der Gerichtshof könnte freilich im vorliegenden Verfahren – wie schon in den Rechtssachen Stadt Halle und Parking Brixen − selbst eine abschließende Beurteilung einer Konstellation wie der des Ausgangsverfahrens vornehmen. Da sich die oben angeführten Umstände weitgehend mit denen der Konstellation in der Rechtssache Parking Brixen decken(32), wobei die indirekte Beteiligung noch hinzukommt, lässt das – ausgehend von der bisherigen, von vielen Seiten als zu streng qualifizierten Rechtsprechung – den Schluss zu, dass in der Konstellation des Ausgangsverfahrens das erste Kriterium, d. h. die ausreichende Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle, nicht erfüllt wäre.

72.   Sollte der Gerichtshof hingegen die Gelegenheit ergreifen, seine bisherige Rechtsprechung dahin gehend klarzustellen, dass zumindest bestimmte gemischt-öffentliche Partnerschaften das Kontrollkriterium erfüllen können und käme er zum Ergebnis, dass dies auch im Ausgangsverfahren zutrifft, böte sich dem Gerichtshof die weitere Gelegenheit, das zweite Teckal-Kriterium, also das Wesentlichkeitskriterium, – erstmals – näher zu präzisieren.

VII – Zweites Kriterium: Tätigkeit im Wesentlichen für den Inhaber der Anteile

73.   Im Unterschied zum ersten Teckal-Kriterium besteht zum zweiten Teckal-Kriterium keine nach diesem Urteil ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes, mit der dieses Kriterium näher erläutert wird. Das vorliegende Verfahren bietet dem Gerichtshof nun dazu Gelegenheit.

74.   Das Ausgangsverfahren betrifft im Übrigen eine Konstellation, in der es auf der ersten Stufe, d. h. zwischen der Gemeinde und der AGESP Holding, eine fast 100%ige Beteiligung und auf der zweiten Stufe, d. h. zwischen der AGESP Holding und der AGESP, eine 100%ige Beteiligung gibt.

75.   Wie schon in der Rechtssache Stadt Halle geht es auch im vorliegenden Verfahren um eine indirekte Beteiligung. Zu untersuchen ist also, ob etwa auch die Tätigkeit einer „Enkelgesellschaft“ für ihre „Großmutter“ grundsätzlich das zweite Teckal-Kriterium erfüllen kann.

A –    Die Ausgangsthese

76.   Da der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Stadt Halle auf die Auslegung des zweiten Kriteriums angesichts der von ihm gewählten Auslegung des ersten Kriteriums nicht mehr einzugehen hatte, ist es nur folgerichtig, wenn ich die in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Stadt Halle dazu vertretene Auffassung an dieser Stelle wiederhole.

77.   Das im Urteil in der Rechtssache Teckal aufgestellte zweite Kriterium betreffend die Wesentlichkeit bezieht sich auf einen bestimmten Mindestanteil an den von der kontrollierten Einrichtung insgesamt erbrachten Tätigkeiten. Es geht also um die Ermittlung des Umfangs der insgesamt und der für den Anteilseigner im weiten Sinn erbrachten Tätigkeiten.

78.   In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aus dem Umstand, dass der Begriff Anteilseigner nicht zu eng auszulegen ist, allerdings nicht geschlossen werden darf, dass damit auch Tätigkeiten an Dritte erfasst sind, die aber der Anteilseigner andernfalls selbst erbringen müsste. Das betrifft in der Praxis in erster Linie die Daseinsvorsorge und hier wiederum Gemeinden (Kommunen), die gegenüber bestimmten Personen eine Verpflichtung zur Erbringung bestimmter Leistungen trifft.

79.   Klarzustellen ist ferner, dass es auf die tatsächlichen Tätigkeiten ankommt und nicht auf die nach Gesetz oder Unternehmenssatzung möglichen Tätigkeiten oder gar auf jene Tätigkeiten, zu denen die kontrollierte Einrichtung verpflichtet ist(33).

80.   Die zentrale Frage ist nun, ab welchem Anteil die Schwelle des zweiten Teckal-Kriteriums erreicht wird. Dazu werden mehrere Auffassungen vertreten. Diese reichen von mehr als 50 % über „im nennenswerten Umfang“, „ganz überwiegend“, „nahezu ausschließlich“ bis „ausschließlich“.

81.   Hinsichtlich der Schwelle wird nicht nur ein positiver Ansatz vertreten in dem Sinn, dass der Umfang der dem Anteilseigner erbrachten Leistungen zu bestimmen ist, sondern auch ein negativer. Nach dem negativen Ansatz wäre davon auszugehen, wie hoch der Anteil der an andere als den Anteilseigner erbrachten Leistungen ist. Letztere Auffassung findet sich in den Schlussanträgen von Generalanwalt Léger in der Rechtssache ARGE. Ihm zufolge „ist die Richtlinie anwendbar, wenn diese Einrichtung im Wesentlichen für andere Wirtschaftsteilnehmer oder andere Körperschaften als diejenigen tätig wird, aus denen sich dieser öffentliche Auftraggeber zusammensetzt“(34). Im Hinblick auf den in der Rechtssache Teckal für das zweite Kriterium gewählten positiven Ansatz soll der negative Ansatz hier allerdings nicht mehr weiter verfolgt werden.

82.   In der zitierten Passage der Schlussanträge von Generalanwalt Léger kommt aber ein anderer wichtiger Aspekt zum Ausdruck, der im Rahmen der Bestimmung des Anteils zu berücksichtigen ist.

83.   So stellt sich die Frage, ob das zweite Teckal-Kriterium nur eine quantitative Betrachtungsweise erlaubt oder vielmehr auch qualitative Umstände mit einzubeziehen sind. Für Letzteres sprechen der Wortlaut und der Sinn der Ausnahme, die auch keinen Hinweis darauf enthält, wie die Tätigkeiten zu bewerten sind. Auch die authentische Fassung der entsprechenden Passage des Urteils Teckal, d. h. die italienische Version, schließt eine zusätzliche oder alternative qualitative Betrachtungsweise nicht aus („la parte più importante della propria attività“).

84.   Im Übrigen enthält das Urteil in der Rechtssache Teckal auch keinen Hinweis auf die Berechnungsmethode des Anteils. Es ist daher nicht selbstverständlich, dass es allein auf den Umsatz ankommt.

85.   Der nationale Richter hat also meiner Ansicht nach die „Wesentlichkeit der Tätigkeiten“ anhand quantitativer und qualitativer Umstände zu ermitteln.

86.   In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Schlussanträge in der vom Generalanwalt als Originalsprache gewählten Sprache authentisch sind. Dabei zeigen die Schlussanträge von Generalanwalt Léger folgendes Bild: So stellt er zum einen auf die „quasi-exclusivité“ der erbrachten Leistungen ab, wobei es in der deutschen Fassung „sämtliche Dienstleistungen“ heißt(35). Zum anderen lehnt er sich an die Fassung des zweiten Teckal-Kriteriums in der Verfahrenssprache Italienisch an und spricht von „en grande partie“, das in der deutschen Fassung mit „im Wesentlichen“(36) wiedergegeben wird, oder von „la plus grande partie de leur activité“ („den größten Teil ihrer Tätigkeit“)(37).

87.   Zur näheren Konkretisierung wird im Schrifttum aber auch in Verfahren vor dem Gerichtshof das 80%-Kriterium von Artikel 13 der Richtlinie 93/38 genannt. Als Begründung dafür wird angeführt, dass dieses Kriterium „objektiv“ oder „sachgerecht“ sei.

88.   Dazu ist zu bemerken, dass auch ein anderer fixer Prozentsatz objektiv oder sachgerecht sein könnte. Wie einige Beteiligte in diesem Vorabentscheidungsverfahren betont haben, habe ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Stadt Halle darauf hingewiesen, dass die Starrheit eines fixen Prozentsatzes ebenso ein Hindernis für eine sachgerechte Lösung sein kann. Zudem erlaubt ein solcher keine Berücksichtigung anderer als nur quantitativer Elemente.

89.   Gegen die Übertragbarkeit des 80%-Kriteriums von Artikel 13 der Richtlinie 93/38 spricht erstens der Umstand, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift einer nur für bestimmte Sektoren geltenden Richtlinie handelt. Die dort getroffene Wertung beschränkt sich nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers auf jene Richtlinie. Mag der Grundgedanke auch außerhalb der Sektoren praktisch anwendbar sein, bleibt doch entscheidend, dass eine solche Regelung in der hier anwendbaren Richtlinie nicht getroffen wurde.

90.   Zweitens wird bei der Befürwortung der Übertragung der 80%-Schwelle übersehen, dass Artikel 13 der Richtlinie 93/38 nur für Dienstleistungen gilt. Als Ausnahmevorschrift verbietet sich selbst eine analoge Anwendung auf Lieferungen innerhalb der Sektoren. Erst die Änderung im Zuge des Legislativpaketes brachte diesbezüglich eine Ausdehnung auf Lieferungen(38).

91.   Drittens hat der Gemeinschaftsgesetzgeber sogar anlässlich der Novellierung der Richtlinien im so genannten Legislativpaket die 80%-Schwelle nur für die Sektoren beibehalten und von einer Übertragung in die so genannte klassische Richtlinie abgesehen. Zum Zeitpunkt der Novellierung war das zweite Teckal-Kriterium aber bereits bekannt und auch Gegenstand von Diskussionen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens.

92.   Gegen die Heranziehung von Artikel 13 der Richtlinie 93/38 spricht, viertens, noch ein weiterer Grund. Deren Absatz 2 verpflichtet nämlich die Auftraggeber, der Kommission auf deren Verlangen bestimmte Auskünfte zu erteilen. Diese Bestimmung wirkt als verfahrensrechtlicher Ausgleich für die in Artikel 13 normierte Ausnahme. Bei der Teckal-Ausnahme ging der Gerichtshof jedoch einen anderen Weg.

93.   Fünftens würde allein der Umstand, dass der Gerichtshof das zweite Teckal-Kriterium nicht unter Bezugnahme auf die ihm sicherlich bekannte Richtlinie 93/38 definierte, für sich genommen schon gegen die Übertragbarkeit sprechen. Der Gerichtshof begnügte sich vielmehr mit zwei von Artikel 13 abweichenden Voraussetzungen materieller Art, eben den beiden Teckal-Kriterien. Diese Voraussetzungen sind aber gerade wegen des Fehlens einer vergleichbaren verfahrensrechtlichen Regelung wie in Artikel 13 eng auszulegen.

94.   Insgesamt ist daher an der Auffassung festzuhalten, dass die aus der Richtlinie 93/38 stammende 80%-Schwelle keinen Maßstab für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Tätigkeiten bildet(39).

B –    Die Weiterentwicklung der These im Lichte der neueren Rechtsprechung

95.   Als Voraussetzung für die Anwendung einer Ausnahme ist das Wesentlichkeitskriterium eng auszulegen. Das hat der Gerichtshof insoferne bestätigt, als er in Randnummer 63 des Urteils in der Rechtssache Parking Brixen ausgeführt hat:

„Da es um eine Ausnahme von den allgemeinen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geht, sind die beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen eng auszulegen und obliegt die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme von diesen Vorschriften rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, demjenigen, der sich auf sie berufen will.“

96.   Diese Vorgaben sind auch im vorliegenden Verfahren zu beachten.

97.   Ich vertrete weiterhin – wie schon in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Stadt Halle – die Auffassung, wonach die „Wesentlichkeit der Tätigkeiten“ nicht nur anhand quantitativer Kriterien, sondern auch anhand qualitativer Umstände(40) zu ermitteln ist(41).

98.   Hinsichtlich der qualitativen Umstände wäre zu ermitteln, wie und wem gegenüber die betreffende kontrollierte Einrichtung ihre Tätigkeiten erbringt. Dabei macht es einen Unterschied, ob für die Tätigkeit der Einrichtung überhaupt ein Markt besteht und ob die Einrichtung einen Teil der an andere als die kontrollierende Stelle erbrachten Leistungen auf dem Markt anbietet(42).

99.   Das darf aber nicht so verstanden werden, dass die von der betreffenden Einrichtung erbrachten Leistungen auch von anderen als öffentlichen Einrichtungen nachgefragt werden muss. Denn selbst wenn es für eine Ware oder Dienstleistung nur öffentliche Nachfrager gibt, bedeutet das noch nicht, dass kein Markt besteht. Es kann nämlich auch andere Anbieter geben. Damit hinge die Beurteilung der qualitativen Umstände also nicht allein vom Verhältnis der anbietenden Einrichtung zur kontrollierenden Einrichtung ab, sondern ganz im Sinne der wettbewerblichen Zielsetzung des Vergaberechts auch von ihrer wirtschaftlichen Stellung auf dem Markt. Damit würde man sich jener Fallgruppe annähern, für die nach den Richtlinien ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zulässig ist, nämlich wenn nur ein Wirtschaftsteilnehmer den Auftrag ausführen kann(43).

100. Zudem ist grundsätzlich zu klären, ob es dabei nur auf die tatsächliche Tätigkeit ankommt, oder ob auch der Zweck der Einrichtung, etwa der Gesellschaftszweck laut Satzung, heranzuziehen ist, also alle Tätigkeiten, die die Einrichtung überhaupt ausüben dürfte. Wenn auch das Abstellen auf den Zweck einer Einrichtung dem Vergaberecht nicht fremd ist, würde ein solcher Ansatz die Beurteilung der Wesentlichkeit jedoch noch mehr erschweren, weil für potenzielle – nicht sichere zukünftige – Tätigkeiten keine verlässlichen aktuellen Angaben gemacht werden können.

101. Fraglich ist ferner, ob nur bestimmte oder alle Tätigkeiten der Einrichtung heranzuziehen sind. So könnte man das Wesentlichkeitskriterium auch so verstehen, dass nur von jener Art von Tätigkeiten auszugehen ist, die auch an die kontrollierende Einrichtung erbracht werden soll, also etwa die Lieferung von Energie, womit andere von der Einrichtung erbrachte Tätigkeiten, etwa die Entsorgung von Abfall, außer Ansatz blieben und nur der bereichsspezifische relative Anteil entscheidend wäre.

102. Meines Erachtens spricht allerdings allein schon der Umstand, dass es sich um eine Ausnahme vom Regime der Richtlinie handelt, gegen eine solche Auslegung des zweiten Teckal-Kriteriums. Denn das könnte in den Fällen zu einer Ausweitung der von der Ausnahme erfassten Vorgänge führen, in denen das Kriterium der Wesentlichkeit zwar in Bezug auf eine bestimmte Art von Tätigkeiten erfüllt wird, nicht hingegen in Bezug auf alle Tätigkeiten der Einrichtung.

103. Wie die Formulierung des Urteils in der Rechtssache Teckal und auch der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt nahe legt, kann das Kriterium der Wesentlichkeit zudem aber nicht nur dadurch erfüllt werden, dass die Tätigkeit an einen Anteilseigner die Wesentlichkeitsschwelle übersteigt, sondern auch dadurch, dass die gesamten, für alle Anteilseigner erbrachten Leistungen zusammenzurechnen sind, und dieses Ergebnis mit der insgesamt verrichteten Tätigkeit in Beziehung zu setzen ist.

104. In Randnummer 50 des Urteils in der Rechtssache Teckal hat der Gerichtshof hinsichtlich des zweiten Kriteriums auch die Mehrzahl verwendet und Folgendes ausgeführt:

„… Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“(44)

105. Nimmt man diese Formulierung ernst, kommt es also nicht nur auf die an die kontrollierende Einrichtung, d. h. an die Gemeinde Busto Arsizio, erbrachten Leistungen an. Vielmehr könnten auch die Leistungen an die anderen Anteilseigner berücksichtigt werden.

106. Hinsichtlich der quantitativen Umstände kann es nicht nur auf den Umsatz ankommen. In Betracht zu ziehen sind wohl auch andere betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Somit kann, wie in der zweiten Vorlagefrage angeführt, grundsätzlich auch der Anteil der Einkünfte, der aus Tätigkeiten für die Anteilseigner stammt, an den gesamten Einkünften Berücksichtigung finden. Allerdings kommt auch für den Anteil an den Gesamteinkünften der für den Anteil am Gesamtumsatz geltende Grundsatz zur Anwendung, dass ein schlichtes Überwiegen gegenüber den anderen Einkünften nicht ausreicht. Beides betrifft – wohlgemerkt – nur den quantitativen Aspekt.

107. Schließlich hat der Gerichtshof hinsichtlich des Wesentlichkeitskriteriums nicht präzisiert, in welchem Zeitpunkt diese Voraussetzung vorzuliegen hat oder welcher Zeitraum für die Beurteilung maßgeblich ist.

108. Dem System der Vergaberichtlinien entsprechend wäre das der Zeitpunkt, in dem die vergebende Stelle handelt, d. h. in casu die Aufgabe überträgt. Das führt aber zu einer Momentaufnahme, wenn man eben nicht – wie Artikel 13 der Richtlinie 93/38 – auf einen längeren Zeitraum abstellt.

109. Da die AGESP nicht nur Leistungen direkt an die Gemeinde erbringt, sondern hinsichtlich mancher Leistungen direkt an Dritte in der Gemeinde, und zwar an Unternehmen wie an private Haushalte, stellt sich weiter die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch Leistungen, die nicht direkt an die Gemeinde erbracht werden, als Leistungen an die Gemeinde, d. h. an die kontrollierende Einrichtung im Sinne des zweiten Teckal-Kriteriums, anzusehen sind.

110. An diesem Punkt werden einmal mehr die Unbestimmtheit des zweiten Teckal-Kriteriums und die damit verbundene Rechtsunklarheit für die betroffenen Einrichtungen deutlich. Im Sinne der Rechtssicherheit sollte daher eine Präzisierung erfolgen.

111. In diesem Zusammenhang ist nämlich die Frage aufgeworfen worden, ob es darauf ankommt, in welchem Gebiet die Leistungen erbracht werden. Wollte man dieser These folgen, wären im Ausgangsverfahren nur Leistungen im Gebiet der Gemeinde Busto Arsizio erfasst. Ein ausreichender territorialer Bezug stellt zumindest ein geeignetes Kriterium für die Zurechnung dar. Das hängt damit zusammen, dass ein solcher Bezug auch bei der Festlegung der Zuständigkeiten öffentlicher Einrichtungen, und insbesondere von Gemeinden, eine wesentliche Rolle spielt. Zu eng wäre jedenfalls die Auffassung, wonach nur Leistungen an Personen mit Wohnsitz in der Gemeinde einzurechnen wären. Umgekehrt könnte man aber auch solche Leistungen einrechnen, die zwar außerhalb der Gemeinde erbracht werden, jedoch Personen aus der Gemeinde zugute kommen, etwa weil die Gemeinde diese Leistung – z. B. aus Kostengründen – nicht selbst anbietet, sondern diese Leistung von einer Einrichtung angeboten wird, an der mehrere Gemeinden und/oder eine oder mehrere Regionen beteiligt sind.

112. Zu betonen bleibt ferner, dass der Umstand, auf wen die Rechnung für die Leistung lautet oder von wem die Bezahlung der Leistung erfolgt, für die Frage der Zurechnung nicht relevant ist. So ist es gerade für Aufgaben der Daseinsvorsorge, die in Form von Konzessionen wahrgenommen werden, typisch, dass zumindest ein Teil des Entgelts von den Benützern der Einrichtung stammt. Zu denken ist hierbei insbesondere an die in die Richtlinien einbezogenen Konzessionen betreffend den Bau von Autobahnen, für die eine Maut eingehoben wird. Für die kommunale Praxis von großer Bedeutung sind vor allem Beförderungsleistungen, Energielieferungen, Abfallentsorgung sowie der Bau und eventuell auch der Betrieb von Bildungs- oder Freizeiteinrichtungen oder von Parkplätzen. Zu prüfen wäre in solchen Fällen allerdings zunächst, ob es sich nicht um Dienstleistungskonzessionen handelt, auf die das Richtlinienregime schon aus diesem Grund keine Anwendung findet.

113. Der Gerichtshof sollte das zweite Teckal-Kriterium dahin gehend klarstellen, dass er die Voraussetzungen festlegt, unter denen auch Leistungen an Dritte erfasst sind. In Betracht kommt am ehesten die Art der Beziehung, die zwischen den Dritten und der kontrollierenden Einrichtung, in casu also der Gemeinde, besteht. Eine Zurechnung zur Gemeinde liegt insbesondere in den Fällen nahe, in denen die Gemeinde gegenüber den Dritten zu einer Leistung verpflichtet ist. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine aus dem öffentlichen Recht, wie etwa entsprechenden regionalen Gesetzen, stammende Versorgungspflicht handeln. Denkbar wäre auch die Einbeziehung privatrechtlicher Verpflichtungen, wie sie sich etwa aus einem Vertrag Privater mit der Gemeinde ergeben. Ob zusätzlich vertragliche Beziehungen, die zwischen Dritten und der die Leistung erbringenden Einrichtung eine Rolle spielen, wäre ebenso klärungsbedürftig. Auch diesbezüglich sollte es darauf ankommen, dass neben der tatsächlichen Leistungserbringung noch zusätzlich eine rechtliche Beziehung zwischen der Gemeinde und der die Leistung erbringenden Einrichtung besteht.

114. Abzulehnen ist jedenfalls die Auffassung, wonach jedwede Leistung an die Bevölkerung der betreffenden Gebietskörperschaft, hier also der Gemeinde Busto Arsizio, einzurechnen ist. Damit würden nämlich auch alle sonstigen Lieferungen an Private erfasst, ohne dass ein Bezug zur Gemeinde bestünde. Auf die Art der Geschäftstätigkeit käme es dann nämlich nicht an. Sollte eine Einrichtung z. B. nicht nur Energie liefern oder Abfälle entsorgen, sondern auch bestimmte Waren wie Heizgeräte oder Abfallbehälter verkaufen, wären selbst diese Umsätze erfasst, obwohl es sich um Waren handelt, die jeder Verbraucher auch von anderen Bezugsquellen erhält. Eine Auslegung, die allein an der Eigenschaft des nachfragenden Dritten anknüpft, würde dazu führen, dass jedwede Leistung an die Verbraucher erfasst wäre, nur weil sie ihren Wohnsitz in der Gemeinde haben.

115. Insgesamt ist also festzuhalten, dass es nicht auf die Eigenschaft des nachfragenden Dritten allein ankommt, sondern auch auf den Inhalt des Geschäfts abzustellen ist.

C –    Zwischenergebnis

116. Das Kriterium, wonach die kontrollierte Stelle ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften zu verrichten hat, die ihre Anteile innehat oder innehaben, kann auch im Fall gemischt-öffentlicher Unternehmen und einer indirekten Beteiligung erfüllt sein. Diesbezüglich sind der kontrollierenden Einrichtung auch bestimmte an Dritte erbrachte Leistungen zuzurechnen.

117. Im vorliegenden Verfahren hat der nationale Richter dabei eine Reihe von Umständen zu berücksichtigen, wozu auch die Einkünfte, die aus Tätigkeiten für die Anteilseigner stammen, heranzuziehen sind, nicht jedoch das 80%-Kriterium nach Artikel 13 der Richtlinie 93/38.

VIII – Ergebnis

118. Nach alldem wird dem Gerichtshof vorgeschlagen, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge ist dahin auszulegen, dass sie der direkten Vergabe eines Auftrags in einem Verfahren wie dem des Ausgangsrechtsstreits nur dann nicht entgegensteht, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

Erstens übt die Gebietskörperschaft über die andere Stelle eine Kontrolle aus wie über ihre eigenen Dienststellen. Der nationale Richter hat dabei folgende Umstände zu prüfen:

–       die Interessenlage der Anteilseigner;

–       die Umwandlung der „azienda municipalizzata“ in eine Aktiengesellschaft;

–       die nicht verpflichtend vorgesehene und auch nicht erfolgte Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital;

–       die Möglichkeit der AGESP, sogar im Ausland Niederlassungen zu gründen;

–       den Umfang der Möglichkeit der Einflussnahme auf die Ernennung des Verwaltungsrates und auf die Geschäftsführung;

–       die Befugnisse des Verwaltungsrates der AGESP sowie

–       den Umstand, dass die Gemeinde an der AGESP über die AGESP Holding indirekt beteiligt ist.

Zweitens hat diese Stelle zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften zu verrichten, die ihre Anteile innehat bzw. innehaben. Der nationale Richter hat dabei die in den Nummern 76 bis 115 angeführten Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Einkünfte, die aus Tätigkeiten für die Anteilseigner stammen, heranzuziehen sind, nicht jedoch das Kriterium von 80 % im Sinne von Artikel 13 der Richtlinie 93/38/EWG.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 199, S. 1.


3 – Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑107/98 (Teckal, Slg. 1999, I‑8121).


4 – Urteil vom 11. Jänner 2005 in der Rechtssache C‑26/03 (Stadt Halle, Slg. 2005, I‑1).


5 – Siehe etwa den Beschluss vom 14. November 2002 in der Rechtssache C‑310/01 (Comune di Udine, ABl. 2003, C 55); Urteil vom 9. September 1999 in der Rechtssache C‑108/98 (RI.SAN., Slg. 1999, I‑5219).


6 – Urteil in der Rechtssache C‑26/03 (zitiert in Fußnote 4).


7 – Urteil vom 13. Oktober 2005 in der Rechtssache C‑458/03 (Parking Brixen, I‑0000).


8 – ABl. L 199, S. 84.


9 – ABl. L 134, S. 1.


10 – Gemäß Artikel 7 der Satzung der AGESP darf „kein Gesellschafter, mit Ausnahme der kontrollierenden Gesellschaft AGESP Holding SpA, einen höheren Anteil als ein Zehntel des gesamten Grundkapitals der Gesellschaft halten“.


11 – Gemäß Artikel 6 der Satzung der AGESP Holding SpA wird die Mehrheit der Aktien der Gemeinde vorbehalten.


Gemäß Artikel 7 der Satzung der AGESP Holding SpA darf „kein privater Gesellschafter … einen höheren Anteil als 10 % des gesamten Grundkapitals der Gesellschaft halten“.


12 – Beschluss in der Rechtssache C‑310/01 (zitiert in Fußnote 5).


13 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7).


14 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 65.


15 – Urteil in der Rechtssache C‑26/03 (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 50.


16 – Vgl. die Herangehensweise von Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 1. März 2005 in der Rechtssache C‑458/03 (Urteil zitiert in Fußnote 7), Nrn. 74 f.


17 – Urteil in der Rechtssache C‑26/03 (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 46.


18 – Urteil in der Rechtssache C‑26/03 (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 49.


19 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 70.


20 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 68.


21 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 67.


22 – Urteil vom 10. November 2005 in der Rechtssache C‑29/04 (Kommission/Österreich, Slg. 2005, I‑0000).


23 – Urteil in der Rechtssache C‑29/04 (zitiert in Fußnote 22), Randnr. 41.


24 – Urteil in der Rechtssache C‑29/04 (zitiert in Fußnote 22), Randnr. 38.


25 – So im Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnrn. 66 ff.


26 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache C‑26/03 (Urteil zitiert in Fußnote 4), Nr. 65.


27 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 67.


28 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache C‑26/03 (Urteil zitiert in Fußnote 4), Nr. 76.


29 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnrn. 66 ff.


30 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache C‑26/03 (Urteil zitiert in Fußnote 4), Nr. 77.


31 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 65.


32 – Urteil in der Rechtssache C‑458/03 (zitiert in Fußnote 7), Randnr. 67.


33 – Meinen Schlussanträgen folgend Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 1. März 2005 in der Rechtssache C‑458/03 (Urteil zitiert in Fußnote 7), Nr. 81.


34 – Schlussanträge von Generalanwalt Léger vom 15. Juni 2000 in der Rechtssache C‑94/99 (ARGE Gewässerschutz, Urteil vom 7. Dezember 2000, Slg. 2000, I‑11037), Nr. 93 (Hervorhebung von mir).


35 – Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 34), Nr. 74.


36 – Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 34), Nr. 81.


37 – Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 34), Nr. 83.


38 – Artikel 23 der Richtlinie 2004/17 (Richtlinie zitiert in Fußnote 9).


39 – Zur diesbezüglichen Literatur, die inzwischen überwiegende Meinung geworden ist: Meinrad Dreher, „Public Private Partnerships und Kartellvergaberecht – Gemischtwirtschaftliche Gesellschaften, In-house-Vergabe, Betreibermodell und Beleihung Privater“, NZBau 2002, S. 245 (253); Wolfram Krohn, „‚Aus‘ für In-house-Vergaben an gemischtwirtschaftliche Unternehmen“, NZBau 2005, S. 92 (95); Opitz, Zeitschrift für Vergaberecht 2000, S. 97 (105); Ulf-Dieter Pape/Henning Holz, „Die Voraussetzungen vergabefreier In-house-Geschäfte“, NJW 2005, S. 2264 (2265 f.); Wolfgang Jaeger, „Verträge kommunaler Körperschaften sowie ihrer eigenen und gemischtwirtschaftlicher Gesellschaften über Energiebezug und Kartellvergaberecht“, in: Büdenbender/Kühne/Baur (Hrsg.), Das neue Energierecht in der Bewährung; Bestandsaufnahme und Perspektiven, Baur-FS, 2002, S. 455 (464); Christoph Riese/Andreas van den Eikel, „Neues zum In-House-Geschäft – Das Ende für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen?“, Vergaberecht 2005, S. 590 (601); Kurt Weltzien, „Avoiding the Procurement Rules by Awarding Contracts to an In-House Entity: The Scope of Procurement Directives in the Classical Sector“, Public Procurement Law Review 2005, S. 237 (249), der zu Recht darauf hinweist, dass die Richtlinie 93/38 auch für private Unternehmen gilt; Jan Ziekow/Thorsten Siegel, „Die Vergaberechtspflichtigkeit von Partnerschaften der öffentlichen Hand“, Vergaberecht 2005, S. 145 (148), die die Gemeinschaftsrechtskonformität der 80%-Formel bezweifeln.


40 – Meinen Schlussanträgen folgend Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C‑458/03 (Urteil zitiert in Fußnote 7), Nr. 83.


41 – Zustimmend: Marc Gabriel/Bernd Joachimsmeier, Vergaberecht 2005, S. 103 ff.; Holger Schröder, „In-House-Vergaben zwischen Beteiligungsunternehmen der öffentlichen Hand?“, NZBau 2005, S. 127 ff.; Kurt Weltzien, „Avoiding the Procurement Rules by Awarding Contracts to an In-House Entity: The Scope of Procurement Directives in the Classical Sector“, Public Procurement Law Review 2005, S. 237 (248).


42 – Diesbezüglich sei auf die Legaldefinition in Artikel 1 Absatz 8 1. Unterabsatz der Richtlinie 2004/18 (zitiert in Fußnote 38) sowie Artikel 1 Absatz 7 1. Unterabsatz der Richtlinie 2004/17 (zitiert in Fußnote 9) hingewiesen.


In der hier anwendbaren Richtlinie fehlt eine entsprechende Definition mit ausdrücklichem Bezug auf den Markt.


43 – Siehe nunmehr Artikel 31 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/18 und Artikel 40 Absatz 3 Buchstabe c der Richtlinie 2004/17.


44 –      Hervorhebung von mir.

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