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Document 62004CC0302

    Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 22. September 2005.
    Ynos kft gegen János Varga.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Szombathelyi Városi Bíróság - Ungarn.
    Artikel 234 EG - Richtlinie 93/13/EWG - Verbraucher - Missbräuchliche Klauseln - Nationale Rechtsvorschriften, die nach dem Abschluss eines Assoziationsabkommens zwischen einem Drittstaat und den Europäischen Gemeinschaften und vor dem Beitritt dieses Staates zur Europäischen Union an die Richtlinie angepasst worden sind - Unzuständigkeit des Gerichtshofes.
    Rechtssache C-302/04.

    Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-00371

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2005:576

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    ANTONIO TIZZANO

    vom 22. September 20051(1)

    Rechtssache C‑302/04

    Ynos Kft.

    gegen

    János Varga

    (Vorabentscheidungsersuchen des Szombathelyi Városi Bíróság [Ungarn])

    „Artikel 234 EG – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Voraussetzungen ihrer Unwirksamkeit –Ungültigkeit der anderen Vertragsklauseln – Nationales Recht – Vereinbarkeit – Zuständigkeit des Gerichtshofes“





    1.     Das Szombathelyi Városi Bíróság (Gericht Szombathely) hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 10. Juni 2004 drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, von denen zwei konkret die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (im Folgenden: Richtlinie 93/13 oder einfach Richtlinie)(2) betreffen, während es bei der dritten um die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf einen Rechtsstreit geht, der in einem Mitgliedstaat vor dessen Beitritt zur Union entstanden ist.

    I –    Rechtlicher Rahmen

    A –    Gemeinschaftsrecht

     Das Assoziationsabkommen und der Beitrittsvertrag

    2.     Am 16. Dezember 1991 wurde in Brüssel das Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits (im Folgenden: Assoziationsabkommen)(3) unterzeichnet. Dieses Abkommen trat am 1. Februar 1994 in Kraft.

    3.     Artikel 67 des Assoziationsabkommens lautet:

    „Die Vertragsparteien erkennen an, dass die Angleichung der bestehenden und künftigen Rechtsvorschriften Ungarns an das Gemeinschaftsrecht eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Integration Ungarns in die Gemeinschaft darstellt. Ungarn wird dafür sorgen, dass die künftigen Rechtsvorschriften möglichst weitgehend mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.“

    4.     In Artikel 68 heißt es:

    „Die Angleichung der Rechtsvorschriften betrifft insbesondere folgende Bereiche: … Verbraucherschutz …“

    5.     In der Folge wurden am 16. April 2003 in Athen der Vertrag über den Beitritt Ungarns zur Europäischen Union(4) und die Akte über die Bedingungen des Beitritts (im Folgenden: Beitrittsakte)(5) unterzeichnet, die beide am 1. Mai 2004 in Kraft traten.

    6.     Artikel 2 der Beitrittsakte bestimmt:

    „Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

    7.     Für bereits bestehende Richtlinien sieht Artikel 53 vor:

    „Die Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Artikels 249 des EG-Vertrags … gelten vom Tag des Beitritts an als an die neuen Mitgliedstaaten gerichtet, sofern diese Richtlinien und Entscheidungen an alle derzeitigen Mitgliedstaaten gerichtet wurden. Außer im Fall der Richtlinien und Entscheidungen, die gemäß Artikel 254 Absätze 1 und 2 des EG-Vertrags in Kraft treten, werden die neuen Mitgliedstaaten so behandelt, als wären ihnen diese Richtlinien und Entscheidungen zum Tag des Beitritts notifiziert worden.“

    8.     Artikel 54 bestimmt:

    „Sofern in den in Artikel 24 genannten Anhängen oder in anderen Bestimmungen dieser Akte oder ihren Anhängen nicht eine andere Frist vorgesehen ist, setzen die neuen Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen in Kraft, um den Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Artikels 249 des EG-Vertrags … vom Tag des Beitritts an nachzukommen.“

     Die Richtlinie 93/13/EWG

    9.     Zweck der Richtlinie 93/13 „ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern“ (Artikel 1).

    10.   Als „Verbraucher“ gilt nach Artikel 2 Buchstabe b:

    „eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“.

    11.   Artikel 3 Absatz 1 lautet:

    „Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

    12.   Artikel 4 Absatz 1 bestimmt:

    „Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“

    13.   Artikel 6 Absatz 1 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

    14.   Artikel 7 Absatz 1 lautet schließlich:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

    15.   Da weder die Beitrittsakte noch ihre Anhänge eine andere Frist vorsehen, war die Richtlinie 93/13 vom Tag des Beitritts zur Union an, also vom 1. Mai 2004 an, an Ungarn gerichtet, und dieses musste von diesem Zeitpunkt an alle erforderlichen Maßnahmen in Kraft setzen, um der Richtlinie nachzukommen.

    B –    Nationales Recht

    16.   Ungarn hat das Assoziationsabkommen mit dem Gesetz 1/1994 ratifiziert.

    17.   Nach § 3 Absatz 1 dieses Gesetzes musste in der ungarischen Rechtsordnung gewährleistet werden, dass die Vorbereitung und der Abschluss völkerrechtlicher Verträge sowie die Ausarbeitung und der Erlass innerstaatlicher Rechtsvorschriften mit diesem Abkommen in Einklang stehen. Außerdem musste nach § 3 Absatz 2 bei der Ausarbeitung und beim Erlass von Rechtsvorschriften den Anforderungen des Artikels 67 des Assoziationsabkommens genügt werden.

    18.   Gemäß den Vorgaben dieser Vorschrift wurde das Gesetz CXLIX/97 erlassen, das das ungarische Zivilgesetzbuch (im Folgenden: Ptk) in mehreren Punkten änderte, wobei eine mit der Richtlinie 93/13 vereinbare Regelung über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in das innerstaatliche Recht eingeführt wurde. Aus den Akten ergibt sich, dass diese Regelung nach dem Beitritt nicht weiter geändert wurde.

    19.   § 209/B Ptk bestimmt:

    „1.      Eine allgemeine Vertragsbedingung oder eine Klausel eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Wirtschaftsteilnehmer ist missbräuchlich, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aus dem Vertrag einseitig und ungerechtfertigt zum Nachteil einer der Parteien festlegt.

    2.      Die Rechte und Pflichten gelten als einseitig und ungerechtfertigt zum Nachteil einer der Parteien festlegt, wenn sie

    a)      erheblich von den auf den Vertrag anwendbaren materiellen Bestimmungen abweichen oder

    b)      mit dem Gegenstand oder dem Zweck des Vertrages unvereinbar sind.

    3.      Um die Missbräuchlichkeit einer Klausel festzustellen, sind alle zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden Umstände, die die Parteien zum Vertragsschluss veranlasst haben, sowie die Natur der vereinbarten Vertragsleistung und das Verhältnis der streitigen Klausel zu anderen Klauseln des Vertrages oder zu anderen Verträgen zu untersuchen.“(6)

    20.   Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache wird insbesondere auf die Bestimmungen des Ptk über die Anfechtung von missbräuchlichen Klauseln und über die Folgen der Aufnahme solcher Klauseln in Verträge hingewiesen.

    21.   Hinsichtlich der Anfechtung sieht das Ptk vor, dass eine allgemeine Vertragsbedingung bei Missbräuchlichkeit von der benachteiligten Partei angefochten werden kann (§ 209 Absatz 1). Diese Anfechtung hat gegenüber der anderen Partei binnen eines Jahres schriftlich zu erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist kann das Anfechtungsrecht noch ausgeübt werden, indem demjenigen, der die Erfüllung der vertraglichen Pflichten verlangt, eine Einrede entgegengehalten wird (§ 236 Absätze 1, 2 Buchstabe c und 3).

    22.   In Bezug auf die Folgen solcher Klauseln enthält das Ptk den Grundsatz, dass der Vertrag insgesamt unwirksam ist, wenn ihn die Parteien ohne die unwirksame Klausel nicht geschlossen hätten (§ 239).

    II – Sachverhalt und Verfahren

    23.   Im Ausgangsverfahren stehen sich die Ynos Kft (im Folgenden: Klägerin), eine in der Immobilienmakelei tätige Gesellschaft, und der Beklagte Varga János, ein Bauunternehmer, gegenüber.

    24.   In der Absicht, ein im Miteigentum seines Sohnes stehendes(7) Gebäude zu verkaufen, an dem kurz zuvor Bauarbeiten durchgeführt worden waren, um es in ein Büro- und Geschäftszentrum umzuwandeln, unterzeichnete der Beklagte am 10. Januar 2002 mit der Klägerin einen Immobilienvermittlungsvertrag, der auf einem Formularvertrag aufbaute, der verschiedene allgemeine Vertragsbedingungen enthielt.

    25.   Auf der Grundlage dieses Vertrages hätte die Klägerin bei erfolgreicher Vermittlung Anspruch auf eine Provision in Höhe von 2 % des vereinbarten Kaufpreises gehabt. In Punkt 5 des Vertrages wurde festgehalten, dass die Vermittlung als erfolgreich gilt, wenn ein Vertrag zwischen zwei Parteien geschlossen wird, zwischen denen der Kontakt durch den Vermittler hergestellt worden ist; in Punkt 5 Satz 2 heißt es, dass der Vermittler auch dann Anspruch auf die Provision hat, wenn der Eigentümer ein schriftliches Angebot zum Kauf oder zur Miete des Gebäudes zu einem Preis ablehnt, der mindestens dem im Vermittlungsvertrag angegebenen entspricht.

    26.   Am 11. März 2002 unterzeichneten die Geschäftsführer der Klägerin, der Beklagte und sein Sohn (Letzterer als Verkäufer) sowie die Herren Ragasits und Kovács (als Käufer) eine „Grundsatzvereinbarung über den Vertragsschluss“, mit der sie den Kaufpreis für das Gebäude festsetzten und vereinbarten, bis zum 15. März 2002 einen Kaufvertrag oder einen Kaufvorvertrag zu schließen.

    27.   Weder der endgültige Kaufvertrag noch der Kaufvorvertrag wurden jedoch bis dahin geschlossen. Trotzdem war die Klägerin der Ansicht, dass ihre Vermittlung erfolgreich gewesen sei, und forderte deshalb die vereinbarte Provision.

    28.   Da die Zahlung der Provision nicht erfolgte, wandte sich die Klägerin an das vorlegende Gericht. Vor diesem erhob der Beklagte u. a. die Einrede, dass Punkt 5 Satz 2 des Vermittlungsvertrags, auf den die Klägerin ihren Anspruch stütze, eine missbräuchliche Klausel darstelle und die geforderte Provision deshalb nicht geschuldet werde. Nach Ansicht der Klägerin entbehrt diese Einrede der Grundlage, weil der Tatbestand des § 209/B Ptk, bei dessen Erfüllung eine Klausel als missbräuchlich gelte, nicht erfüllt sei.

    29.   Das vorlegende Gericht hat in der Meinung, dass „der Rechtsstreit, soweit das Vorliegen einer missbräuchlichen Vertragsklausel entsprechend dem Vorbringen des Beklagten festgestellt werden kann, im Licht der Richtlinie zu entscheiden sein wird“, dem Gerichtshof gemäß Artikel 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.      Ist Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und die Bedingungen dafür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften festlegen, dahin auszulegen, dass er die Grundlage für eine nationale Bestimmung wie § 209 Absatz 1 Ptk bilden kann, die anwendbar ist, wenn der missbräuchliche Charakter einer allgemeinen Vertragsbedingung festgestellt wird, und wonach missbräuchliche Klauseln ihre Verbindlichkeit gegenüber dem Verbraucher nicht von Rechts wegen verlieren, sondern nur dann, wenn eine ausdrückliche Erklärung dieses Verbrauchers vorliegt, d. h. im Fall einer erfolgreichen Anfechtung?

    2.      Ist aus der Bestimmung der Richtlinie, nach der der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann, abzuleiten, dass die Gültigkeit des gesamten Vertrages unberührt bleibt, sofern er ohne die missbräuchlichen Klauseln fortbestehen kann, wenn die von einem Gewerbetreibenden aufgestellten missbräuchlichen Klauseln den Verbraucher unter den von seinem nationalem Recht festgelegten Bedingungen nicht binden, der Gewerbetreibende jedoch ohne diese Klauseln, die Bestandteil des Vertrages sind, diesen Vertrag mit dem Verbraucher nicht abgeschlossen hätte?

    3.      Ist es unter dem Gesichtspunkt der Anwendung des Gemeinschaftsrechts erheblich, dass das Ausgangsverfahren vor dem Beitritt der Republik Ungarn zur Europäischen Union, jedoch nach der Anpassung ihres nationalen Rechts an die Richtlinie, eingeleitet worden ist?

    30.   Die ungarische, die österreichische, die lettische, die polnische, die spanische und die tschechische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben.

    31.   In der Sitzung vom 21. Juni 2005 haben die ungarische und die spanische Regierung sowie die Kommission vor dem Gerichtshof mündlich verhandelt.

    III – Rechtliche Würdigung

    32.   Wie gesehen, stellt das vorlegende Gericht drei Fragen, von denen zwei das Ausgangsverfahren in der Sache betreffen und die Auslegung der Richtlinie 93/13 zum Gegenstand haben, während die dritte eine allgemeinere Vorfrage aufwirft, die die Zuständigkeit des Gerichtshofes im vorliegenden Verfahren betrifft.

    33.   Da sich durch die Beantwortung dieser letzten Frage eine Antwort auf die ersten beiden Fragen erübrigen kann, erscheint es mir angebracht, die Reihenfolge der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen umzukehren und mich zunächst der Frage zuzuwenden, ob dieser im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 234 EG mit der vorliegenden Rechtssache befasst worden ist.

     Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

    34.   Die Frage ob die Richtlinie 93/13 auf einen Sachverhalt anwendbar ist, der sich vor dem Beitritt Ungarns zur Gemeinschaft (1. Mai 2004) abgespielt hat, haben sowohl die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, als auch die Kommission ausführlich erörtert, wobei die Zulässigkeit der dem Gerichtshof in der Sache vorgelegten Fragen von manchen verneint und von anderen bejaht worden ist.

    35.   Nach Ansicht der österreichischen und der spanischen Regierung ist die Richtlinie 93/13 ohne weiteres auf den vorliegenden Fall anwendbar. Denn ihrer Ansicht nach war Ungarn nach den Artikeln 67 und 68 des Assoziationsabkommens und § 3 des Gesetzes 1/1994, mit dem dieses Abkommen ratifiziert wurde, schon vor seinem Beitritt verpflichtet, die nationale Rechtsordnung der Richtlinie anzupassen. Ungarn habe gerade, um dieser Verpflichtung nachzukommen, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die missbräuchlichen Klauseln erlassen, zu deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht das nationale Gericht nun eine Frage stelle.

    36.   Zum selben Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung, kommt die lettische Regierung. Wenn ich richtig verstanden habe, erkennt sie an, dass die Richtlinie 93/13 vor dem Beitritt für Ungarn an sich nicht gegolten habe und deshalb der vorliegende Fall ausschließlich im Licht der zur Zeit des Sachverhalts bereits in Kraft befindlichen ungarischen Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln zu entscheiden sei. Sie weist aber darauf hin, dass diese Rechtsvorschriften, obwohl vor dem Beitritt erlassen, gleichwohl die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie gewährleisten sollten, deren Bestimmungen sie genau wiedergäben. Eine Antwort des Gerichtshofes auf die vorgelegten materiellen Fragen sei deshalb erforderlich, um eine einheitliche Auslegung der Gemeinschaftsvorschriften und der identischen nationalen Vorschriften zu gewährleisten. Auf der anderen Seite sei in der Rechtsprechung bereits die Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Auslegung von Gemeinschaftsvorschriften anerkannt worden, wenn der Sachverhalt nicht vom Gemeinschaftsrecht, sondern von innerstaatlichen Vorschriften geregelt werde, die auf das Gemeinschaftsrecht verwiesen oder sich diesem durch seine inhaltliche Übernahme anpassten(8).

    37.   Anderer Ansicht sind dagegen die Kommission sowie die ungarische und die tschechische Regierung, die aus Gründen, die sogleich näher dargestellt werden (siehe unten, Nrn. 41-43), die Auffassung vertreten, dass die Richtlinie 93/13, da sich der Sachverhalt im Jahr 2002 ereignet habe, als Ungarn noch nicht der Union beigetreten gewesen sei, nicht auf das Ausgangsverfahren angewendet werden könne und ihre Auslegung durch den Gerichtshof somit nicht erforderlich sei.

    38.   Nach Artikel 234 EG kann ein nationales Gericht dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn es die Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für „erforderlich“ hält.

    39.   Bekanntlich behält sich aber der Gerichtshof einen Beurteilungsspielraum in Bezug auf die Wertungen der nationalen Gerichte vor, um nötigenfalls die Zulässigkeit der Vorlage zu verneinen. Er hat insbesondere mehrfach entschieden, dass er „nicht über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage befinden [kann], wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht [oder] wenn das Problem hypothetischer Natur ist“(9).

    40.   Bei dieser Sichtweise hat sich der Gerichtshof für unzuständig erklärt, „wenn die Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, offensichtlich nicht anwendbar ist“(10).

    41.   So verhält es sich meiner Ansicht nach hier. Denn ich stimme der ungarischen und der tschechischen Regierung und der Kommission darin zu, dass die Richtlinie 93/13 im Ausgangsverfahren weder angewendet noch von Einzelnen geltend gemacht werden kann, weil sich der Sachverhalt im Jahr 2002 ereignet hat, als Ungarn der Union noch nicht beigetreten war und deshalb noch nicht an die Richtlinie gebunden war(11).

    42.   In diesem Punkt ist die Beitrittsakte sehr klar. Ihr Artikel 2 sieht vor, dass die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe erst „[a]b dem Tag des Beitritts … für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich [sind] und [für sie] gelten“. Außerdem gelten nach den Artikeln 53 und 54 die bestehenden Richtlinien erst von diesem Zeitpunkt an als an diese Staaten gerichtet, und diese müssen erst von diesem Zeitpunkt an die erforderlichen Maßnahmen in Kraft setzen, um den Richtlinien nachzukommen, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist, was für die fragliche Richtlinie nicht der Fall ist.

    43.   Im Licht dieser klaren Bestimmungen sind auch die Artikel 67 und 68 des älteren, am 1. Februar 1994 in Kraft getretenen Assoziationsabkommens auszulegen, die, wie die ungarische Regierung und die Kommission zutreffend ausgeführt haben, nur bestimmen, dass „die Angleichung der bestehenden und künftigen Rechtsvorschriften Ungarns an das Gemeinschaftsrecht eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Integration Ungarns in die Gemeinschaft darstellt“ und Ungarn deshalb „dafür sorgen [wird], dass die künftigen Rechtsvorschriften“, insbesondere diejenigen über den „Verbraucherschutz“, „möglichst weitgehend mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind“.

    44.   Anders als die österreichische und die spanische Regierung vorbringen, hatte Ungarn also nach den zitierten Artikeln nicht die Verpflichtung, die Richtlinie 93/13 zu einem früheren Zeitpunkt als dem in der Beitrittsakte klar festgelegten umzusetzen, sondern, wie von der Kommission ausgeführt, nur die Verpflichtung, „möglichst weitgehend“ für die „Angleichung“ des innerstaatlichen Rechts an das Gemeinschaftsrecht „zu sorgen“, um damit „die wirtschaftliche Integration Ungarns in die Gemeinschaft“ und seinen zukünftigen Beitritt zu ermöglichen.

    45.   Die gegenteilige Auffassung könnte man jedoch, wie es die lettische Regierung getan hat, an der bekannten Rechtsprechung des Gerichtshofes festmachen, die die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens auch dann anerkennt, wenn im Ausgangsverfahren der persönliche oder sachliche Anwendungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften, um deren Auslegung ersucht wird, nicht eröffnet ist, sondern nur innerstaatliche Rechtsvorschriften anwendbar sind, die lediglich auf das Gemeinschaftsrecht verweisen oder sich diesem anpassen(12).

    46.   Mit anderen Worten könnte man, wenn auch mit gewisser Anstrengung, die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedankengänge auf den vorliegenden Fall erstrecken, obwohl der Streitpunkt hier ist, ob der zeitliche Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts eröffnet ist.

    47.   Man könnte nämlich auch in Bezug auf den vorliegenden Fall sagen, dass, „[w]enn sich … nationale Rechtsvorschriften“ wie die ungarischen Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln „zur Regelung eines innerstaatlichen Sachverhalts nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen richten, … ein klares Interesse der Gemeinschaft daran [besteht], dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern“(13).

    48.   Mit solchen Überlegungen könnte man somit das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für zulässig erklären.

    49.   Allerdings bleiben gewisse Zweifel an dieser Lösung.

    50.   Sie würde nämlich einer Rechtsprechung einen weiteren Anwendungsbereich geben, die meiner Ansicht nach nur eine Ausnahme bilden kann, weil sie, wie sowohl in der Lehre als auch von einigen Generalanwälten eingewandt worden ist, die Vorabentscheidungszuständigkeit des Gerichtshofes bis zum äußersten dehnt (wenn nicht gar überschreitet), indem sie ihm gestattet, in Fällen zu entscheiden, in denen das Gemeinschaftsrecht auf das Ausgangsverfahren offenkundig nicht anwendbar ist und nur ein künftiges, also rein hypothetisches Interesse an dessen einheitlicher Anwendung besteht(14)(15).

    51.   Ich brauche mich hier freilich über diese Frage und die damit aufgeworfene Debatte nicht weiter auszulassen; denn meiner Ansicht nach gibt es in der vorliegenden Rechtssache weitere und noch klarere Gründe dafür, das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären.

    52.   Erstens scheint es mir im Beschluss des vorlegenden Gerichts an für eine Entscheidung des Gerichtshofes wesentlichen Angaben zu fehlen.

    53.   Hierfür lässt sich z. B. anführen, dass aus dem Vorlagebeschluss nicht einmal klar ersichtlich ist, ob der Beklagte als „Verbraucher“ qualifiziert werden kann, obwohl dies Voraussetzung für die Anwendbarkeit und Maßgeblichkeit der Richtlinie 93/13 im vorliegenden Fall ist(16).

    54.   Aber abgesehen davon stelle ich fest, dass die gesamte Vorlagefrage – beginnend bereits mit ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren – im Wesentlichen auf der Grundlage von Parteivorbringen formuliert ist, obwohl sich das vorlegende Gericht die Entscheidung über die Begründetheit dieses Vorbringens noch vorbehalten hat.

    55.   Im Beschluss wird nämlich ausgeführt, dass zum einen nach Ansicht des Beklagten Punkt 5 Satz 2 des Vermittlungsvertrags, nach dem der Vermittler auch dann Anspruch auf die Provision hat, wenn der Eigentümer ein schriftliches Angebot zum Kauf oder zur Miete des Gebäudes zu einem Preis ablehnt, der mindestens dem im Vermittlungsvertrag angegebenen entspricht, „eine missbräuchliche Klausel darstelle“ und dass zum anderen nach Ansicht der Klägerin „keine missbräuchliche Klausel vor[liegt], da § 209/B Ptk (das anwendbare nationale Recht) die Kriterien für die Ermittlung des missbräuchlichen Charakters einer Klausel genau festlege“.

    56.   Das vorlegende Gericht seinerseits führt aber zur Erläuterung der Gründe, die es zur Vorlage der Vorabentscheidungsfrage veranlasst haben, nur aus, dass „der Rechtsstreit, soweit das Vorliegen einer missbräuchlichen Vertragsklausel entsprechend dem Vorbringen des Beklagten festgestellt werden kann, im Licht der Richtlinie zu entscheiden sein wird“.

    57.   Damit lässt es erkennen, dass es die Erforderlichkeit der Auslegung der Richtlinie 93/13 und damit die Erheblichkeit der vorgelegten Fragen allein auf das Vorbringen des Beklagten stützt, der eben behauptet, dass hier eine missbräuchliche Klausel vorliege. Dagegen gibt es in keiner Weise zu verstehen, ob seiner Meinung nach eine solche Klausel vorliegt, da es sich auf die Aussage beschränkt, dass, wenn dem so wäre, der Auslegung der Richtlinie 93/13, die diese Art von Klauseln in Verbraucherverträgen regele, Bedeutung zukomme.

    58.   In Ermangelung einer Stellungnahme des vorlegenden Gerichts zu diesem Punkt ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für das Ausgangsverfahren also davon abhängig, ob dem Vorbringen des Beklagten zu folgen ist, wozu sich das vorlegende Gericht noch nicht geäußert hat.

    59.   Nach einer bekannten und ständigen Rechtsprechung, ist es aber unerlässlich, „[u]m es dem Gerichtshof zu ermöglichen, seine Aufgabe [gemäß Artikel 234 EG] nach dem Vertrag zu erfüllen, …, dass die nationalen Gerichte die Gründe darlegen, aus denen sie eine Beantwortung ihrer Fragen für entscheidungserheblich halten, falls sich diese Gründe nicht eindeutig aus den Akten ergeben“(17).

    60.   Dies ist hier nicht der Fall. Denn indem das vorlegende Gericht keine Stellung zu der genannten Vorfrage (d. h. zum Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel im vorliegenden Fall) bezieht, hat es nicht dargelegt, warum es seiner Ansicht nach für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich ist, dass der Gerichtshof die Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auslegt.

    61.   Auf der anderen Seite kann sich der Gerichtshof meiner Ansicht nach auch nicht an die Stelle des nationalen Gerichts setzen und selbst feststellen, ob Punkt 5 des Vermittlungsvertrags zwischen der Klägerin und dem Beklagten eine missbräuchliche Klausel darstellt. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich „die Aufgabe des Gerichtshofes darauf beschränkt …, dem nationalen Gericht die Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts anzugeben, die es zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt, während es Sache des nationalen Gerichts ist, [die] Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt worden sind, auf den anhängigen Fall anzuwenden“(18).

    62.   Der Gerichtshof könnte daher zwar, wie die Kommission vorzuschlagen scheint, Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie auslegen, der als missbräuchlich jede „Vertragsklausel“ definiert, „die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde“ und „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches … Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht“. Er könnte sich aber keinesfalls an die Stelle des vorlegenden Gerichts setzen, um festzustellen, ob die in dem bei diesem anhängigen Verfahren streitige Klausel dem Tatbestand der besagten Richtlinienbestimmung entspricht (keine Aushandlung im Einzelnen und erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Pflichten). Damit würde der Gerichtshof nämlich letztlich die Gemeinschaftsvorschriften, um deren Auslegung ersucht wird, auf den konkreten Fall anwenden und so eine Rolle einnehmen, die nicht ihm sondern nur dem mit dem Ausgangsverfahren befassten Gericht zukommt (19).

    63.   Nach alledem kann man sich dem Einwand nicht verschließen, dass das, worum das vorlegende Gericht den Gerichtshof ersucht, in Wirklichkeit eine rein gutachterliche Stellungnahme ist. Überdies ersucht es bei genauerer Betrachtung um eine Stellungnahme, die rein hypothetische Fragen zum Gegenstand zu haben scheint, da zumindest zweifelhaft ist, ob die Entscheidung des Gerichtshofes für die Entscheidung im Ausgangsverfahren sachdienlich ist.

    64.   Denn der Vorlagebeschluss liefert, wenn es ihm schon aus den gerade angegebenen Gesichtspunkten an den erforderlichen Angaben fehlt, andererseits Anhaltspunkte, die stark an der Erheblichkeit einer Entscheidung des Gerichtshofes für die Beantwortung der ersten beiden Vorlagefragen zweifeln lassen.

    65.   Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich nämlich Folgendes:

    i)      Die Klägerin fordert unter Berufung auf Punkt 5 des Vertrages die Zahlung der Provision für die erfolgte Vermittlung;


    ii)    der Beklagte bestreitet diesen Anspruch unter Ausübung seines Rechts, die Einrede der Missbräuchlichkeit dieser Klausel zu erheben;


    iii) die Klägerin erwidert, dass diese Klausel nicht missbräuchlich und somit insoweit völlig gültig sei.

    66.   Vor diesem Hintergrund scheint mir, dass zunächst davon ausgegangen werden kann, dass eine Antwort auf die erste Frage offensichtlich unerheblich ist, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine missbräuchliche Klausel nur dann für gegenüber dem Verbraucher unwirksam erklärt werden kann, wenn dieser sie ausdrücklich angefochten hat.

    67.   Denn, wie die ungarische Regierung zutreffend ausgeführt hat, bliebe die erste Frage auch dann unerheblich, wenn man anerkennen würde, dass Punkt 5 des Vermittlungsvertrags eine missbräuchliche Klausel und deshalb für den Beklagten nicht verbindlich ist. Da hier nämlich die Einrede der Ungültigkeit der Klausel erhoben worden ist, wie es nach dem nationalen Recht möglich ist (siehe oben, Nr. 21), dient es den Zwecken des Ausgangsrechtsstreits in keiner Weise, zu wissen, ob die Erklärung der Unwirksamkeit dieser Klausel gerade auf der erfolgten Anfechtung beruht oder ob sie auch durch die Anerkennung der Ungültigkeit der Klausel durch das Gericht von Amts wegen hätte erreicht werden können.

    68.   Aus denselben Gründen scheint mir auch die Erheblichkeit einer Antwort auf die zweite Frage sehr zweifelhaft, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie einer nationalen Regelung wie der ungarischen entgegensteht, nach der bei Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel der Vertrag im Übrigen nur bindend bleibt, wenn die Parteien ihn auch ohne diese Klausel geschlossen hätten.

    69.   Denn wie ausgeführt, fordert die Klägerin die Zahlung der Provision unter Berufung auf Punkt 5 des Vermittlungsvertrags. Worauf es hier somit ankommt, ist, ob diese Klausel missbräuchlich ist oder nicht und ob sie also für den Verbraucher verbindlich ist. Dagegen ist völlig unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen sich die Ungültigkeit der als missbräuchlich angesehenen Klausel auf die übrigen Vertragsbestimmungen erstrecken würde. Wenn nämlich Punkt 5 des Vertrages ungültig ist, hat die Klägerin unabhängig davon, ob die Ungültigkeit allein auf diesen Punkt beschränkt bliebe oder ob sie auch die übrigen Vertragsklauseln erfassen würde, keinen Anspruch auf die vereinbarte Provision, die gerade auf diesem Vertragpunkt beruht hätte.

    70.   Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zum einen rein hypothetischer Natur und zum anderen für das Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich sind. Folglich schlage ich vor, dass sich der Gerichtshof für die Beantwortung der Fragen für nicht zuständig erklärt.

    71.   Für den Fall jedoch, dass der Gerichtshof dem nicht folgen sollte, und aus Gründen der Vollständigkeit der Prüfung halte ich es für angebracht, auch die beiden Sachfragen nach der Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13 zu untersuchen.

     Materiell-rechtliche Prüfung

     Zur ersten Frage

    72.   Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht, wie gesehen, im Wesentlichen wissen, ob Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine missbräuchliche Klausel nur dann für gegenüber dem Verbraucher unwirksam erklärt werden kann, wenn dieser sie ausdrücklich angefochten hat.

    73.   Insoweit stimme ich der spanischen Regierung und der Kommission darin zu, dass sich die Antwort auf diese Frage klar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt.

    74.   Der Gerichtshof hat nämlich bereits zweimal ausgeführt, dass „der Schutz, den die Richtlinie den Verbrauchern gewährt, [erfordert,] dass das nationale Gericht von Amts wegen prüfen kann, ob eine Klausel des … Vertrages missbräuchlich ist“. Denn „[d]ie Möglichkeit des Gerichts, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu prüfen, ist … ein Mittel …, das geeignet ist, das in Artikel 6 der Richtlinie vorgeschriebene Ziel, nämlich zu verhindern, dass der … Verbraucher an eine missbräuchliche Klausel gebunden ist, zu erreichen und die Verwirklichung des Zieles des Artikels 7 zu fördern, da eine solche Prüfung abschreckend wirken kann und damit dazu beiträgt, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird“(20).

    75.   Im Licht dieser Rechtsprechung scheint mir deshalb klar, dass Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine missbräuchliche Klausel nur dann für gegenüber dem Verbraucher unwirksam erklärt werden kann, wenn dieser sie ausdrücklich angefochten hat.

     Zur zweiten Frage

    76.   Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie einer nationalen Regelung wie der ungarischen entgegensteht, nach der bei Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel der Vertrag im Übrigen nur bindend bleibt, wenn die Parteien ihn auch ohne diese Klausel geschlossen hätten.

    77.   Mit der österreichischen und der polnischen Regierung sowie der Kommission möchte ich diese Frage bejahen, da diese Regelung weder mit dem Wortlaut noch mit dem Zweck der Richtlinie vereinbar ist.

    78.   Denn nach Artikel 6 Absatz 1 „sehen [die Mitgliedstaaten] vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“(21).

    79.   Nach dieser Vorschrift hat eine missbräuchliche Vertragsklausel also in der Regel die Unwirksamkeit allein dieser Klausel und das Fortbestehen des Vertrages im Übrigen zur Folge, der, wenn das Missverhältnis zum Nachteil des Verbrauchers beseitigt ist, die Parteien weiter bindet. Von dieser allgemeinen Regel kann nur dann abgewichen werden, wenn der betreffende Vertrag objektiv nicht ohne die missbräuchliche Klausel bestehen kann, nicht aber dann, wenn eine Ex-post-Würdigung ergibt, dass eine der Parteien (wahrscheinlich der Gewerbetreibende, der die Klausel aufgestellt hat) den Vertrag ohne die Klausel nicht geschlossen hätte.

    80.   Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der untersuchten Bestimmung und – noch allgemeiner – der Richtlinie. Wie oben ausgeführt, zielt diese nämlich mehr darauf ab, die Vertragsposition des Verbrauchers zu verbessern, indem verhindert wird, dass er „an eine missbräuchliche Klausel gebunden ist“, als auf den Schutz der Vertragsautonomie der Parteien, und zwar namentlich nicht der des Gewerbetreibenden, der demgegenüber alles Interesse daran haben könnte, sich der Pflichten aus einem Vertrag zu entledigen, der sich für ihn nach ausgeglichener Gestaltung weniger vorteilhaft darstellen würde.

    81.   Im Licht des Vorstehenden bin ich deshalb der Ansicht, dass Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung wie der ungarischen entgegensteht, nach der bei Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel der Vertrag im Übrigen nur bindend bleibt, wenn die Parteien ihn auch ohne diese Klausel geschlossen hätten.

    IV – Ergebnis

    82.   Nach alledem schlage ich deshalb vor, dass sich der Gerichtshof für die Entscheidung über die vom vorlegenden Gericht gestellten Vorabentscheidungsfragen für nicht zuständig erklärt.

    Hilfsweise schlage ich für den Fall, dass sich der Gerichtshof für zuständig erklären sollte, folgende Antwort vor:

    1.      Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der ein nationales Gericht eine missbräuchliche Klausel nur dann für gegenüber dem Verbraucher unwirksam erklären kann, wenn dieser sie ausdrücklich angefochten hat.

    2.      Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen steht einer nationalen Regelung wie der ungarischen entgegen, nach der bei Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel der Vertrag im Übrigen nur bindend bleibt, wenn die Parteien ihn auch ohne diese Klausel geschlossen hätten.


    1 – Originalsprache: Italienisch.


    2 – ABl. L 95, S. 29.


    3 – ABl. 1993, L 347, S. 2.


    4 – Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (ABl. L 236, S. 17).


    5 – Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. L 236, S. 33).


    6 –      Nichtamtliche Übersetzung.


    7 – Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass das fragliche Gebäude zu einem Anteil von 232/1038 im Eigentum des Sohnes des Beklagten steht. Zu den übrigen Miteigentümern des Gebäudes gibt es dagegen keine Angaben.


    8 – Hierzu führt die lettische Regierung insbesondere das Urteil vom 18. Oktober 1990 in den verbundenen Rechtssachen C‑297/88 und C‑197/89 (Dzodzi, Slg. 1990, I‑3763) an.


    9 – Urteil vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C‑36/99 (Idéal tourisme, Slg. 2000, I‑6049, Randnr. 20). Siehe auch Urteile vom 16. Juli 1992 in den Rechtssachen C‑343/90 (Lourenço Dias, Slg. 1992, I‑4673, Randnrn. 17 und 18) und C‑83/91 (Meilicke, Slg. 1992, I‑4871, Randnr. 25), vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C‑415/93 (Bosman, u. a., Slg. 1995, I‑4921, Randnr. 61), vom 9. März 2000 in der Rechtssache C‑437/97 (EKW und Wein & Co., Slg. 2000, I‑1157, Randnr. 52) und vom 21. Januar 2003 in der Rechtssache C‑318/00 (Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, Slg. 2003, I‑905).


    10 – Urteil vom 5. Dezember 1996 in der Rechtssache C‑85/95 (Reisdorf, Slg. 1996, I‑6257, Randnr. 16).


    11 – Siehe dazu die ausdrückliche Haltung des Gerichtshofes in einem entsprechenden Sachverhalt im Urteil vom 15. Juni 1999 in der Rechtssache C‑321/97 (Andersson und Wåkerås-Andersson, Slg. 1999, I‑3551, Randnr. 3).


    12 – Siehe Urteile Dzodzi, vom 8. November 1990 in der Rechtssache C‑231/89 (Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I‑4003), vom 25. Juni 1992 in der Rechtssache C‑88/91 (Federconsorzi, Slg. 1992, I‑4035), vom 12. November 1992 in der Rechtssache C‑73/89 (Fournier, Slg. 1992, I‑5621), vom 17. Juli 1997 in den Rechtssachen C‑130/95 (Giloy, Slg. 1997, I‑4291) und C‑28/95 (Leur-Bloem, Slg. 1997, I‑4161), vom 26. November 1998 in der Rechtssache C‑7/97 (Bronner, Slg. 1998, I‑7791), vom 11. Januar 2001 in der Rechtssache C‑1/99 (Kofisa Italia, Slg. 2001, I‑207), vom 11. Oktober 2001 in der Rechtssache C‑267/99 (Adam, Slg. 2001, I‑7467) und vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C‑43/00 (Andersen und Jensen, Slg. 2002, I‑379). Im gegenteiligen Sinn siehe Urteil vom 28. März 1995 in der Rechtssache C‑346/93 (Kleinwort Benson, Slg. 1995, I‑615).


    13 – Urteile Dzodzi (Randnr. 37) und Giloy (Randnr. 28). Hervorhebung nur hier.


    14 – Siehe insbesondere die Schlussanträge von Generalanwalt Tesauro in der Rechtssache Kleinwort Benson und von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Kofisa Italia.


    15 – Bestätigt zu werden scheinen meine Zweifel durch den Beschluss vom 26. April 2002 in der Rechtssache C‑454/00 (VIS Farmaceutici Istituto scientifico delle Venezie, nicht veröffentlicht, Randnr. 21).


    16 – Die Richtlinie gilt nämlich bekanntlich nur für „Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern“ (Artikel 1), und als „Verbraucher“ gilt „eine natürliche Person, die … zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“ (Artikel 2 Buchstabe b). Ich bezweifle aber stark, ob als „Verbraucher“ in diesem Sinne ein Bauunternehmer wie der Beklagte gelten kann, der nach Umbauarbeiten an einem Gebäude mit dem Ziel, es in ein Büro- und Geschäftszentrum umzuwandeln, einen Immobilienvermittlungsvertrag mit einem Unternehmen schließt, um dieses Gebäude zu verkaufen (siehe oben, Nrn. 23 und 24).


    17 – Urteil vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80 (Foglia/Novello, Slg. 1981, 3045, Randnr. 17).


    18 – Urteile vom 22. Juni 1999 in der Rechtssache C‑342/99 (Lloyd Schuhfabrik Meyer, Slg. 1999, I‑3819, Randnr. 11) und vom 27. September 2001 in der Rechtssache C‑253/99 (Bacardi, Slg. 2001, I‑6493, Randnr. 58).


    19 – Dies namentlich, weil in diesem Fall die Qualifizierung der fraglichen Klausel – wie allerdings nach Artikel 4 der Richtlinie erforderlich (siehe oben, Nr. 12) – eine punktuelle Würdigung „aller“ den Abschluss des Vermittlungsvertrags begleitenden tatsächlichen „Umstände“ sowie eine eingehende Prüfung der offenbar nicht einheitlichen und vom vorlegenden Gericht in seinem Beschluss nur angesprochenen nationalen Rechtsprechung zur Definition des Gegenstands dieser Vertragstypik vorauszusetzen scheint.


    20 – Siehe Urteile vom 27. Juni 2000 in den verbundenen Rechtssachen C‑240/98 bis C‑244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Slg. 2000, I‑4941, Randnrn. 28 und 29) und vom 21. November 2002 in der Rechtssache C‑473/00 (Cofidis, Slg. 2002, I‑10875, Randnr. 32).


    21 – Hervorhebung nur hier.

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