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Document 62003TJ0328
Judgment of the Court of First Instance (Fourth Chamber) of 2 May 2006.#O2 (Germany) GmbH & Co. OHG v Commission of the European Communities.#Competition - Agreements, decisions and concerted practices - Notified agreement - Third generation of mobile telecommunications - Negative clearance - Individual exemption - Analysis of the situation in the absence of an agreement - Impact of the agreement on competition.#Case T-328/03.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 2. Mai 2006.
O2 (Germany) GmbH & Co. OHG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartell - Angemeldete Vereinbarung - Mobilfunkkommunikation der dritten Generation - Negativattest - Einzelfreistellung - Untersuchung der Lage ohne eine Vereinbarung - Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb.
Rechtssache T-328/03.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 2. Mai 2006.
O2 (Germany) GmbH & Co. OHG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartell - Angemeldete Vereinbarung - Mobilfunkkommunikation der dritten Generation - Negativattest - Einzelfreistellung - Untersuchung der Lage ohne eine Vereinbarung - Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb.
Rechtssache T-328/03.
Sammlung der Rechtsprechung 2006 II-01231
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2006:116
Rechtssache T-328/03
O2 (Germany) GmbH & Co. OHG
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Wettbewerb – Kartell – Angemeldete Vereinbarung – Mobilfunkkommunikation der dritten Generation – Negativattest – Einzelfreistellung – Untersuchung der Lage ohne eine Vereinbarung – Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb“
Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 2. Mai 2006
Leitsätze des Urteils
1. Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlicher Rechtswirkung
(Artikel 230 EG)
2. Nichtigkeitsklage – Klage gegen eine aufgrund der Verordnung Nr. 17 erlassene Entscheidung der Kommission über einen Antrag auf Erteilung eines Negativattests oder einer Freistellung – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen
(Artikel 230 EG; Verordnungen Nrn. 17 und 1/2003 des Rates)
3. Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
1. Verbindliche Rechtswirkungen, die geeignet sind, die Interessen der Parteien einer Vereinbarung zwischen Unternehmen zu beeinträchtigen, die diese Vereinbarung angemeldet haben, um ein Negativattest oder ersatzweise eine Freistellung für die gesamte Dauer der Vereinbarung zu erhalten, erzeugt eine Entscheidung der Kommission, durch die nur ein auf bestimmte Aspekte der Vereinbarung beschränktes Attest verbunden mit einer Freistellung mit einer geringeren Dauer als für die anderen Aspekte gewünscht erteilt wird. Die Klage einer dieser Parteien, die nur auf die Nichtigerklärung dieser Entscheidung gerichtet ist, soweit diese impliziert, dass die Vereinbarung teilweise in den Anwendungsbereich des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum fällt, ist folglich zulässig.
(vgl. Randnrn. 45-46)
2. Wird eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Negativattests oder einer Freistellung, die die Kommission aufgrund der Verordnung Nr. 17 erlassen hat, für nichtig erklärt, so ist die Kommission verpflichtet, erneut eine Entscheidung über die durch diese Nichtigerklärung betroffenen Bestimmungen der angemeldeten Vereinbarung zu treffen und über den Antrag auf Erteilung eines Negativattests zu entscheiden, wobei sie auf den Zeitpunkt der Anmeldung zurückzugehen und ihre Prüfung im Rahmen der Verordnung Nr. 17 durchzuführen hat. Der Umstand, dass durch die Verordnung Nr. 1/2003 das Anmeldungsverfahren inzwischen gestrichen worden ist, ist somit ohne Folgen für die Durchführung eines Urteils, mit dem dem Antrag auf Nichtigerklärung einer solchen Entscheidung der Kommission stattgegeben wird.
(vgl. Randnr. 48)
3. Zur Beurteilung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt im Hinblick auf das in Artikel 81 Absatz 1 EG ausgesprochene Verbot sind der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang, in den sich die Vereinbarung einfügt, zu prüfen und die den Zweck der Vereinbarung, ihre Wirkungen sowie die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels betreffenden Kriterien in Betracht zu ziehen, wobei der wirtschaftliche Zusammenhang, in dem die Unternehmen tätig sind, die von dieser Vereinbarung erfassten Erzeugnisse oder Dienstleistungen und auch die Struktur des betreffenden Marktes und die auf diesem bestehenden tatsächlichen Bedingungen zu berücksichtigen sind. Diese Untersuchungsmethode ist allgemein anzuwenden und nicht einer Kategorie von Vereinbarungen vorbehalten.
In einem Fall, in dem eingeräumt wird, dass die Vereinbarung keinen wettbewerbswidrigen Zweck hat, sind die Auswirkungen der Vereinbarung zu untersuchen, und es muss, damit die Vereinbarung vom Verbot erfasst wird, festgestellt werden, dass die Voraussetzungen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar behindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist. Hierbei ist auf den Wettbewerb abzustellen, wie er ohne die streitige Vereinbarung bestehen würde, wobei das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung vor allem dann zweifelhaft erscheinen kann, wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist. Eine solche Untersuchungsmethode läuft, insbesondere was die Berücksichtigung der Wettbewerbssituation angeht, die ohne eine Vereinbarung bestehen würde, nicht darauf hinaus, dass eine Bilanz der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Vereinbarung gezogen und damit eine „rule of reason“ angewendet wird, die nach Ansicht der Gemeinschaftsgerichte keinen Platz im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG hat.
Die nach Artikel 81 Absatz 1 EG erforderliche Prüfung besteht somit im Wesentlichen darin, die Auswirkungen der Vereinbarung auf den aktuellen und den potenziellen Wettbewerb und die Wettbewerbssituation ohne eine Vereinbarung zu berücksichtigen, wobei zwischen den beiden Gesichtspunkten ein innerer Zusammenhang besteht.
Die Prüfung des ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbs ist insbesondere dann notwendig, wenn es sich um Märkte handelt, die sich auf dem Wege der Liberalisierung befinden, oder um sich herausbildende Märkte wie den Markt der Mobilfunkkommunikation der dritten Generation, wo die Wirksamkeit des Wettbewerbs z. B. wegen des Vorhandenseins eines marktbeherrschenden Betreibers, der konzentrierten Struktur des Marktes oder des Bestehens erheblicher Zugangsbeschränkungen problematisch sein kann.
Demzufolge ist eine Entscheidung der Kommission in Bezug auf eine angemeldete Vereinbarung über die gemeinsame Nutzung von Infrastruktureinrichtungen und Inlandsroaming bei der GSM‑Mobilfunkkommunikation der dritten Generation für nichtig zu erklären, wenn sie zum einen keine objektive Erörterung der Wettbewerbssituation ohne diese Vereinbarung enthält, was die Beurteilung der tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb verfälscht, und zum anderen nicht konkret im Zusammenhang mit dem betroffenen sich herausbildenden Markt nachweist, dass die Bestimmungen der Vereinbarung über Roaming wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, sondern sich in diesem Zusammenhang auf eine Petitio principii und auf allgemeine Behauptungen beschränkt.
(vgl. Randnrn. 66-69, 71-72, 116)
URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
2. Mai 2006(*)
„Wettbewerb – Kartell – Angemeldete Vereinbarung – Mobilfunkkommunikation der dritten Generation – Negativattest – Einzelfreistellung – Untersuchung der Lage ohne eine Vereinbarung – Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb“
In der Rechtssache T-328/03
O2 (Germany) GmbH & Co. OHG mit Sitz in München (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: N. Green, QC, und K. Bacon, Barrister, sowie B. Amory und F. Marchini Camia, avocats,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch R. Wainwright, S. Rating und P. Oliver, dann durch É. Gippini Fournier, P. Hellström und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung des Artikels 2 und des Artikels 3 Buchstabe a der Entscheidung 2004/207/EG der Kommission vom 16. Juli 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG‑Vertrag und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.369 – T-Mobile Deutschland/O2 Germany: Rahmenvertrag über Gemeinsame Netznutzung) (ABl. L 75, S. 32),
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten H. Legal sowie des Richters P. Mengozzi und der Richterin I. Wiszniewska-Białecka,
Kanzler: K. Pocheć, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2005
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Die O2 (Germany) GmbH & Co OHG (im Folgenden: O2), eine 100%ige Tochtergesellschaft der O2 plc, vormals BT Cellnet Ltd, zuvor kontrolliert von der British Telecommunications plc, betreibt digitale Mobilfunknetze und ‑dienste mit einer GSM (Global System for Mobile Communications; globales System für mobile Telekommunikation) 1800-Lizenz aus dem Jahr 1997 in Deutschland, wo sie als letzte von vier Betreibern in den Markt trat. O2 hat im August 2000 auch eine UMTS‑Lizenz (Universal Mobile Telecommunications System; universales Mobiltelekommunikationssystem) erhalten.
2 Die T-Mobile Deutschland GmbH (im Folgenden: T‑Mobile), die zu 100 % im Eigentum der T-Mobile International AG steht, die ihrerseits eine 100%ige Tochtergesellschaft des angestammten Festnetzbetreibers Deutsche Telekom AG ist, betreibt in Deutschland digitale Mobilfunknetze. T-Mobile, das die GSM‑Normenfamilie verwendet, bietet in Deutschland GSM‑Dienste auf der Grundlage einer GSM 900‑Lizenz an und erwarb im August 2000 eine UMTS‑Lizenz.
3 Die nationale deutsche Regelung sowie die O2 und T-Mobile erteilten Lizenzen sehen u. a. Anforderungen an den Netzausbau im Sinne einer tatsächlichen Erfassung der Bevölkerung nach einem genauen Zeitplan vor. Diese Erfassung sollte sich bis Ende des Jahres 2005 auf 50 % der Bevölkerung erstrecken.
4 Am 6. Februar 2002 meldeten O2 und T-Mobile der Kommission ihren Rahmenvertrag vom 20. September 2001 über die gemeinsame Nutzung von Infrastruktureinrichtungen und Inlandsroaming bei der Mobilfunkkommunikation der dritten Generation (im Folgenden: 3G); diese Vereinbarung wurde durch ergänzende Vereinbarungen vom 20. September 2002, vom 22. Januar 2003 und vom 21. Mai 2003 geändert. T‑Mobile und O2 beantragten die Erteilung eines Negativattests gemäß Artikel 81 Absatz 1 EG bzw. Artikel 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder ersatzweise eine Freistellung gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG bzw. gemäß Artikel 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen.
5 Die deutsche Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hat am 7. Dezember 2001 festgestellt, dass die Vereinbarung in Einklang mit der nationalen Regelung stehe.
6 Die Kommission hat am 16. Juli 2003 die Entscheidung 2004/207/EG in einem Verfahren nach Artikel 81 EG‑Vertrag und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.369: T‑Mobile Deutschland und O2 Germany: Rahmenvertrag über Gemeinsame Netznutzung) (ABl. L 75, S. 32, im Folgenden: Entscheidung) erlassen, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Sie vertritt darin im Ergebnis die Auffassung, dass für sie keine Veranlassung zu Maßnahmen gemäß Artikel 81 Absatz 1 EG bzw. Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen in Bezug auf die Bestimmungen des Vertrages über die Standortmitbenutzung bestehe. Außerdem erklärt sie Artikel 81 Absatz 1 EG bzw. Artikel 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen für nicht anwendbar auf die Bestimmungen des Vertrages über das Roaming, und zwar für die von ihr festgelegten Zeiträume (Artikel 2 und 3).
7 In der Entscheidung wird nach der Darstellung des rechtlichen und tatsächlichen Hintergrunds der durch aufeinanderfolgende Technologiegenerationen gekennzeichneten Entwicklung der Mobilkommunikation in der Europäischen Union angegeben, dass die Vereinbarung u. a. zu einem größeren geografischen Erfassungsgrad sowie zu einem schnelleren Ausbau des 3G‑Netzes und der 3G‑Dienste führen soll, da sie die Grundlagen für die Zusammenarbeit der Parteien bei der Standortmitbenutzung, der gemeinsamen Nutzung des Funkzugangsnetzes (RAN) und des Inlandsroaming legt (24. Begründungserwägung). Wie in der Entscheidung hinzugefügt wird, hat die Vereinbarung eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2011 und soll dem Grundsatz nach um weitere zwei Jahre verlängert werden (43. Begründungserwägung).
8 Nach der Entscheidung umfasst die gemeinsame Nutzung eines 3G‑Netzes mehrere Stufen, nämlich – in aufsteigender Reihenfolge – die gemeinsame Nutzung der Standorte, die gemeinsame Nutzung der Basisstationen (B‑Knoten) und der Antennen, die gemeinsame Nutzung der Steuereinrichtungen (RNC: Radio Network Controllers), die gemeinsame Nutzung der Kernnetze und die gemeinsame Nutzung der Frequenzen (12. und 15. Begründungserwägung).
9 Wie in ihr angegeben wird, gehören zum Funkzugangsnetz (RAN) Masten‑ oder Antennenstandorte, Schränke zur Unterbringung der technischen Infrastruktur, Stromversorgungseinrichtungen, Antennen, Verbinder, Übertragungskabel, B‑Knoten und Steuereinrichtungen (13. Begründungserwägung).
10 Nach der Entscheidung ermöglicht das Inlandsroaming den betroffenen Betreibern, ohne Netzbestandteile gemeinsam zu nutzen, das Netz eines anderen Betreibers zur Erbringung von Leistungen für die eigenen Kunden in Anspruch zu nehmen (16. Begründungserwägung).
11 Wie in der Entscheidung angeführt, umfasst das in der Vereinbarung vorgesehene Inlandsroaming zum einen das Roaming von O2 auf dem Netz von T‑Mobile in dem 50%‑Erfassungsgebiet und zum anderen das gegenseitige Roaming außerhalb dieses Gebietes (Abschnitte 4.3.1 und 4.3.2).
12 Was den relevanten Produktmarkt angeht, nimmt die Kommission an, dass in dem hier betroffenen Telekommunikationssektor die von der Vereinbarung in erster Linie betroffenen Netzzugangs‑ und Dienstemärkte zum einen der Markt für Standorte für digitale mobile Funkkommunikationsausrüstungen und deren Infrastruktur und zum anderen der Markt für den Großabnehmerzugang zum Inlandsroaming für Kommunikationsdienste der dritten Generation seien. Außerdem seien zwei andere Märkte, nämlich die Märkte für den Großabnehmerzugang zu 3G‑Diensten und die nachgeordneten Endabnehmermärkte für 3G‑Dienste in indirekter Weise offen (46. Begründungserwägung).
13 Die Kommission ist der Auffassung, dass die betroffenen geografischen Märkte nationale Märkte seien und sich auf das gesamte deutsche Hoheitsgebiet erstreckten (60., 64. und 72. Begründungserwägung).
14 Was die Struktur des Marktes angeht, prüft die Kommission u. a. den Zugang zum Inlandsroaming für 3G‑Dienste auf Großabnehmerebene und die 3G‑Endabnehmerdienste.
15 Die Kommission ist der Auffassung, dass T-Mobile am Markt des Großabnehmerzugangs zum Inlandsroaming für Mobil‑Kommunikation der zweiten Generation (im Folgenden: 2G) einen Anteil von 100 % halte und dass beim 3G‑Inlandsroaming die potenziellen oder realen Hauptwettbewerber die beiden anderen Lizenzinhaber seien, die vorhätten, 3G‑Netze und ‑dienste in Deutschland auszubauen, d. h. D2 Vodafone und E‑Plus.
16 Was die Endabnehmermärkte für 3G‑Dienste angeht, meint die Kommission, dass die wichtigsten Wettbewerber D2 Vodafone und E‑Plus sowie möglicherweise Diensteanbieter wie Mobilcom und Debitel seien – wobei sie sich auf die verfügbaren Daten über die Lage bei den 2G‑Endabnehmerdiensten stützt –, für die die Marktanteile auf 41,7 % für T-Mobile, 38,3 % für D2 Vodafone, 12,2 % für E‑Plus und 7,8 % für O2 geschätzt worden seien (74. bis 77. Begründungserwägung).
17 Nach der Entscheidung ist der angemeldete Rahmenvertrag eine horizontale Kooperationsvereinbarung zwischen zwei Wettbewerbern, die auch bestimmte vertikale Aspekte aufweist. Die Vereinbarung bezwecke keine Einschränkung des Wettbewerbs, könnte aber eine solche Einschränkung bewirken, da die Parteien der Vereinbarung auf den betroffenen Märkten miteinander in Wettbewerb stünden (92. Begründungserwägung).
18 Nach Ansicht der Kommission werden die Standortmitbenutzung und der durch diese veranlasste Informationsaustausch nicht zu Wettbewerbsbeschränkungen führen (95. bis 103. Begründungserwägung und Artikel 1). Da die RAN‑Mitbenutzung bei Erlass der Entscheidung nicht vorgesehen gewesen sei, sei sie nicht geprüft worden (104. Begründungserwägung).
19 Dagegen ist die Kommission der Auffassung, dass Inlandsroaming zwischen Netzbetreibern, die über eine Lizenz zum Ausbau und Betrieb ihrer eigenen digitalen Mobilfunknetze verfügen, den Wettbewerb zwischen diesen Betreibern hinsichtlich seiner wesentlichen Parameter beschränke (107. Begründungserwägung).
20 Die Kommission vertritt zunächst die Auffassung, dass das Roaming Auswirkungen auf die Großabnehmermärkte habe. Es gebe eine Wettbewerbsbeschränkung, was zum einen den Umfang und die Fristen für die Einrichtung der Versorgung angehe, weil der Betreiber beim Roaming sein eigenes Netz nicht ausreichend ausbaue, und was zum anderen die Qualität und die Übertragungsraten der Netze angehe, denn der Betreiber sei beim Roaming von den technischen und geschäftlichen Entscheidungen des Betreibers des Gastnetzes abhängig. Außerdem hingen die Großabnehmertarife, die von dem Betreiber beim Roaming den Abnehmern seiner Dienste in Rechnung gestellt würden, von den Großhandelspreisen ab, die an den Betreiber des Gastnetzes gezahlt würden. Die Auswirkungen dieser Beschränkungen seien in Gebieten ernsthafter, wo der Parallelausbau konkurrierender Netze – vor allem in den Stadtzentren – wirtschaftlich zu rechtfertigen sei. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung sei spürbar, denn es gehe um entstehende Märkte, wo die Zugangsbeschränkungen aufgrund der mit den Lizenzen und den erforderlichen Investitionen zusammenhängenden Anforderungen ganz erheblich seien (107. bis 110. Begründungserwägung).
21 Die Kommission vertritt anschließend die Auffassung, dass Roaming beschränkende Wirkungen auf die Endabnehmermärkte ausübe, denn es führe auf dieser Ebene zu einer größeren Einheitlichkeit der für die Erbringung der betreffenden Dienste geltenden Bedingungen. Außerdem berge das zwischen den Parteien vereinbarte Preissystem selbst die Gefahr in sich, dass es zur Abstimmung bei den Endabnehmerpreisen komme (111. und 112. Begründungserwägung).
22 Auch meint die Kommission, dass die Modalitäten des Weiterverkaufs von Roamingzugangsrechten an Betreiber virtueller Netze (MVNO; Mobile Virtual Network Operators), für den die Vereinbarung die vorherige Zustimmung der anderen Partei vorschreibe, dadurch, dass sie die Kundentypen beschränkten, die Produktion begrenzten und eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellten (115. und 116. Begründungserwägung).
23 Dagegen ist sie der Auffassung, was die anderen Roaming betreffenden Bestimmungen der Vereinbarung angeht, dass die Verpflichtungen von O2 zu einer Mindestabnahme bei T‑Mobile keine zusätzliche Wettbewerbsbeschränkung darstelle (113. und 114. Begründungserwägung) und dass die Beschränkung des Weiterverkaufs von Roamingrechten an andere Netzbetreiber mit Lizenz und der mit Roaming verbundene Informationsaustausch keine Wettbewerbsbeschränkungen darstellten (117. bis 119. Begründungserwägung).
24 Die Kommission ist außerdem der Meinung, dass die Vereinbarung Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten des EWR habe (120. Begründungserwägung).
25 Die Kommission prüft dann die Vereinbarung im Hinblick auf die in Artikel 81 Absatz 3 EG und in Artikel 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen genannten Bedingungen für eine Freistellung.
26 Erstens ist die Kommission der Ansicht, dass die Vereinbarung zur Verbesserung der Erzeugung und der Verteilung der betreffenden Dienstleistungen sowie zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts beitrage.
27 Was Roaming innerhalb des 50%-Erfassungsgebiets angeht, heißt es in der Entscheidung, dass O2 von Anfang an in die Lage versetzt werde, bei ihren Diensten eine bessere Erfassung, eine bessere Qualität und höhere Übertragungsgeschwindigkeiten während der Ausbauphase im Wettbewerb mit den übrigen Erbringern von 3G‑Großabbnehmer‑ und Endabnehmerdiensten als auf sich allein gestellt anzubieten (123. und 124. Begründungserwägung).
28 Zum Roaming außerhalb des 50%‑Erfassungsbiets wird in der Entscheidung ausgeführt, dass O2 ein Wettbewerber werden könne, der eine landesweite Erfassung auf den 3G‑Endabnehmermärkten anbiete, während sie ohne die Vereinbarung wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, die in ihrer Lizenz vorgeschriebene Erfassungsverpflichtung in dem betreffenden Gebiet zu erfüllen (126. Begründungserwägung). Der Weiterverkauf von Roamingzugangsrechten an MVNO fördere den Wettbewerb auf dem Markt für 3G‑Inlandsroaming, auf dem Markt für Großabnehmer‑Übertragungszeit sowie auf den Endabnehmermärkten (127. Begründungserwägung). Außerdem ermögliche die Vereinbarung den Parteien, insbesondere T‑Mobile, ihre Netze vor allem in weniger dicht besiedelten Gebieten intensiver und daher effizienter zu nutzen (128. Begründungserwägung).
29 Zweitens meint die Kommission, dass die positiven Auswirkungen des 3G‑Inlandsroaming auf die Wettbewerbsstellung von O2 den Wettbewerb bei den digitalen Mobilfunk‑Netz‑ und Dienstemärkten erhöhen werde, dass die Wettbewerber veranlasst würden, neue Dienste auf den Markt zu bringen, und dass sie einem erhöhten Preisdruck ausgesetzt sein würden. Außerdem weist sie darauf hin, dass die Kosteneinsparungen aufgrund des erhöhten Wettbewerbs auf dem Endabnehmermarkt wahrscheinlich an die Endabnehmer weitergegeben würden (129. und 130. Begründungserwägung).
30 Drittens ist die Kommission der Ansicht, dass die Bestimmungen der Vereinbarung in Anbetracht der schwächeren Stellung von O2 auf dem Markt für die festgestellten Vorteile unerlässlich und angemessen seien (131. bis 133. Begründungserwägung). Die Beschränkung des Weiterverkaufs von Roamingzugangsrechten an „virtuelle Sprachbetreiber“ erscheint hier zum einen notwendig, um Leistungsgewinne zu erzielen, und zum anderen angemessen, denn sie betreffe nur Sprachdienste (134. bis 136. Begründungserwägung).
31 Viertens meint die Kommission, dass die Vereinbarung den Wettbewerb zwischen den vier über eine Lizenz verfügenden Betreibern von 3G‑Netzen und ‑diensten, die in Deutschland den Ausbau von 3G‑Netzen planten, sowie zwischen den Diensteanbietern und den Betreibern virtueller Netze (mit Ausnahme von Sprachdiensten) steigere. Sie lasse auch genügend Raum für einen wirksamen Wettbewerb zwischen den Parteien, denn der Heimnetzbetreiber werde sein eigenes Kernnetz kontrollieren und könne damit unterschiedliche Dienste anbieten (137. und 138. Begründungserwägung). Darüber hinaus bleibe der Heimnetzbetreiber für die Preisgestaltung und die Abrechnung verantwortlich und bedienten die Parteien sich unterschiedlicher Abrechnungsgrundsätze (140. Begründungserwägung). Die Kommission gelangt letzten Endes zu der Auffassung, dass die teilweise Ausschaltung des Wettbewerbs seitens der Betreiber virtueller Netze im Wesentlichen durch die allgemeinen wettbewerbsfördernden Auswirkungen der Vereinbarung ausgeglichen werde (142. Begründungserwägung).
32 Nach der Feststellung, dass die anzunehmenden Auswirkungen der Beschränkungen für höchstens fünf Jahre bewertet werden könnten (144. Begründungserwägung), entscheidet die Kommission im Ergebnis,
– ein Verfahren gemäß Artikel 81 Absatz 1 EG bzw. Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen in Bezug auf die Bestimmungen der Vereinbarung, die sich auf die Standortmitbenutzung, den zur Standortmitbenutzung erforderlichen Informationsaustausch und die Beschränkungen beim Weiterverkauf von Zugangsrechten für Inlandsroaming an andere über eine Lizenz verfügende Netzbetreiber nicht einzuleiten (Artikel 1);
– gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG bzw. Artikel 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen eine Freistellung für die Bestimmungen der Vereinbarung über die Bereitstellung von 3G‑Inlandsroaming durch T‑Mobile an O2 in dem Gebiet zu erteilen, in dem die Erfassung von 50 % der Bevölkerung bis 31. Dezember 2005 vorgeschrieben ist, und zwar für folgende Zeiträume:
– vom 6. Februar 2002 bis 31. Dezember 2005 für die Städte, die in einem Gebiet gelegen sind, das hauptsächlich Großstadtgebiete umfasst (Gebiet 1), mit Ausnahme der Untergrundgebiete;
– vom 6. Februar 2002 bis 31. Dezember 2007 für die Regionen, die in einem Gebiet liegen, das Kleinstadtgebiete von zweitrangiger wirtschaftlicher Bedeutung umfasst (Gebiet 2), mit Ausnahme der Untergrundgebiete;
– vom 6. Februar 2002 bis 31. Dezember 2008 für die Regionen, die in einem Gebiet gelegen sind, das Kleinstadtgebiete von geringer wirtschaftlicher Bedeutung umfasst (Gebiet 3), sowie in den Untergrundgebieten der in den Gebieten 1, 2 und 3 aufgeführten Städte und Regionen (Artikel 2).
33 Die Kommission gewährt außerdem vom 6. Februar 2002 bis 31. Dezember 2008 eine Freistellung für die Erbringung von 3G‑Inlandsroaming zwischen T‑Mobile und O2 außerhalb des Gebietes, in dem die Verpflichtung zur Erfassung von 50 % der Bevölkerung bis 31. Dezember 2005 gemäß dem Rahmenvertrag besteht (Artikel 3 Buchstabe a der Entscheidung), sowie für die Beschränkung beim Weiterverkauf von Zugangsrechten für das 3G‑Inlandsroaming an Betreiber virtueller Netze gemäß dem Rahmenvertrag (Artikel 3 Buchstabe b der Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Parteien
34 O2 hat mit am 25. September 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift die vorliegende Klage erhoben.
35 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen und davor eine prozessleitende Maßnahme zu erlassen.
36 Mit am 26. Oktober 2005 zugestellter prozessleitender Maßnahme hat das Gericht zum einen die Kommission aufgefordert, die aus den Rechtsvorschriften, der Rechtsprechung, der wirtschaftlichen Untersuchung und ihrer Rechtsauffassung hergeleiteten Grundlagen der in der 107. Begründungserwägung der Entscheidung formulierten Beurteilung anzugeben, dass „Inlandsroaming … den Wettbewerb … ein[schränkt]“, und zum anderen die Klägerin, anzugeben, welche Auswirkungen ein schnellerer Ausbau ihres Netzes auf die in der Vereinbarung vorgesehenen Verpflichtungen zum Kauf von Roamingzugangsrechten hat, und Angaben über die Besonderheiten ihres Preissystems zu machen.
37 Die Klägerin und die Kommission haben auf diese Aufforderungen mit am 24. November 2005 in das Register eingetragenen Schreiben geantwortet.
38 Die Parteien haben in der Sitzung vom 7. Dezember 2005 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
39 Die Klägerin beantragt,
– Artikel 2 und Artikel 3 Buchstabe a der Entscheidung 2004/207/EG der Kommission vom 16. Juli 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG‑Vertrag und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.369: T-Mobile Deutschland/O2 Germany: Rahmenvertrag über Gemeinsame Netznutzung) für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
40 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
1. Zur Zulässigkeit und zur Tragweite der Anträge auf Nichtigerklärung
Vorbringen der Parteien
41 Die Kommission trägt vor, dass in der Entscheidung zwischen den horizontalen Aspekten der Vereinbarung und deren vertikalen Aspekten unterschieden werde und dass die Klägerin diese Unterscheidung verkenne und eine unzutreffende Auslegung der Rechtsprechung und ihrer vertraglichen Beziehungen mit T‑Mobile vorschlage. Sie fragt sich in diesem Zusammenhang nach dem Rechtsschutzinteresse der Klägerin, da diese die Nichtigerklärung des Artikels 2 und des Artikels 3 Buchstabe a der Entscheidung beantrage, die die horizontalen Aspekte der Vereinbarung beträfen, und nicht die Nichtigerklärung des Artikels 3 Buchstabe b, der die vertikalen Aspekte der Vereinbarung betreffe. Die Klägerin räume damit ein, dass dieser Teil der Vereinbarung unter das in Artikel 81 Absatz 1 EG ausgesprochene Verbot falle und einer Freistellung bedürfe.
42 Die Kommission hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung Zweifel am Rechtsschutzinteresse der Klägerin mit der Begründung geäußert, dass die Entscheidung, durch die dieser eine Freistellung gewährt werde, die für die nationalen Behörden und Gerichte verbindlich sei, der Klägerin eine Rechtssicherheit biete, die bei Nichtigerklärung der Entscheidung entfalle, denn die Kommission könne keine neue Entscheidung treffen, da das System einer vorherigen Anmeldung von Vereinbarungen im Hinblick auf eine Freistellung durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) aufgehoben worden sei.
43 Die Klägerin macht geltend, die Kommission bringe keinen begründeten Einwand vor, insbesondere was die Zulässigkeit der Klage angehe, und die Teile der Entscheidung, die angefochten würden, entfalteten verbindliche rechtliche Wirkungen und könnten demzufolge Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein.
Würdigung durch das Gericht
44 Aus der Entscheidung geht hervor, dass O2 und T‑Mobile der Kommission am 6. Februar 2002 eine Vereinbarung gemeldet haben, die zwei Hauptteile umfasst, nämlich die gemeinsame Standortnutzung und das Inlandsroaming, und die eine Laufzeit bis 2011 haben sollte, mit automatischer Verlängerung für zwei Jahre, um ein Negativattest oder ersatzweise eine Freistellung zu erhalten, und dass die Kommission in Bezug auf den ersten Teil ein Negativattest und, was den zweiten angeht, eine Freistellung bis zum Jahr 2008 erteilt hat. Aus der Anmeldung geht außerdem hervor, dass die Parteien der Vereinbarung der Auffassung waren, dass diese eine Beschränkung des Wettbewerbs weder bewirke noch bezwecke, und dass sie eine Freistellung nur hilfsweise beantragten. Darüber hinaus hat O2 in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die zeitlichen Beschränkungen, zu deren Aufnahme in die Vereinbarung sie selbst und T‑Mobile sich auf Ersuchen der Kommission bereit erklärt hätten und ohne die sie die Freistellung nicht erhalten hätten, ihnen praktische Probleme verursachten, die mit der Einhaltung der damit festgelegten Fristen zusammenhingen.
45 Es ist festzustellen, dass zum einen die Entscheidung, die an die Klägerin gerichtet ist, diese in Anbetracht des Wortlauts der Anmeldung nur teilweise zufrieden stellt und dass zum anderen die Klägerin die teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung insoweit betreibt, als die Kommission Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen mit der Begründung nicht als nicht anwendbar auf die angemeldete Vereinbarung angesehen hat, dass die Vereinbarung den Wettbewerb nicht beschränke, und das in erster Linie beantragte Negativattest nicht erteilt hat. Außerdem ist festzustellen, dass die Entscheidung, durch die in Bezug auf die erteilte Freistellung ein verbindlicher Zeitplan festgelegt wird, geeignet ist, die Interessen der Klägerin durch die verbindlichen Rechtswirkungen, die sie erzeugt, zu beeinträchtigen.
46 Demzufolge ist die vorliegende Klage, die in Wirklichkeit nur auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmungen gerichtet ist, soweit diese implizieren, dass die betroffenen Klauseln in den Anwendungsbereich des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen fallen, zulässig (siehe in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 18. September 2001 in der Rechtssache T‑112/99, M6 u. a./Kommission, Slg. 2001, II‑2459, Randnrn. 36 bis 40 und 44).
47 Dieser Schlussfolgerung wird auch nicht durch das Argument der Kommission die Grundlage entzogen, dass eine etwaige Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmungen der Entscheidung durch das Gericht die Klägerin insoweit in eine Situation der Rechtsunsicherheit versetzen würde, als eine neue Entscheidung über die Anmeldung nicht getroffen werden könnte, da es dieses in der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204) vorgesehene Verfahren unter der Geltung der jetzt anwendbaren Verordnung Nr. 1/2003 nicht mehr gebe.
48 Bei einer solchen Nichtigerklärung und der damit verbundenen Rückwirkung müsste die Kommission nämlich erneut eine Entscheidung über die durch diese Nichtigerklärung betroffenen Bestimmungen der angemeldeten Vereinbarung treffen und insbesondere über den Antrag auf Erteilung eines Negativattests entscheiden, wobei sie auf den Zeitpunkt der Anmeldung zurückgehen und demzufolge ihre Prüfung im Rahmen der Verordnung Nr. 17 durchführen müsste (siehe in diesem Sinne das Urteil des Gerichtshofes vom 12. November 1998 in der Rechtssache C‑415/96, Spanien/Kommission, Slg. 1998, I‑6993, Randnr. 31). Der Umstand, dass durch die Verordnung Nr. 1/2003, die jetzt für die Durchführung der in den Artikeln 81 EG und 82 EG vorgesehenen Wettbewerbsregeln gilt, das vorher existierende Anmeldungsverfahren gestrichen worden ist, wäre somit ohne Folgen für die Durchführung eines Urteils, mit dem dem Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung stattgegeben wird.
49 Außerdem wäre eine etwaige teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung, die, wie es die Klägerin beantragt, auf die Feststellung des Rechtsfehlers gestützt wäre, den die Kommission zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Entscheidung erlassen hat, dadurch begangen hat, dass sie es abgelehnt hat, ein Negativattest für alle angemeldeten Klauseln zu erteilen, der Rechtssicherheit der Klägerin nicht abträglich, sondern würde diese insoweit erhöhen, als sich aus der Begründung eines solchen Nichtigkeitsurteils ergeben würde, dass die streitigen Klauseln der Vereinbarung, die das Inlandsroaming betreffen, nicht unter das in Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen aufgestellte Verbot fallen.
2. Zur Begründetheit
Vorbemerkungen
50 Die Klägerin macht in ihrer Klageschrift geltend, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen habe, als sie zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Vereinbarung den Wettbewerb beschränke, denn zum einen gebe es keine Wettbewerbsbeschränkung und zum anderen beruhe die angebliche Beschränkung nicht auf einer Vereinbarung. Sie fügt hinzu: „Die Anträge der Kommission zu diesen Punkten sind im Widerspruch zu der in Artikel 253 EG enthaltenen Begründungspflicht nicht ausreichend begründet.“
51 Die letztgenannte Rüge ist trotz ihres Wortlauts dahin zu verstehen, dass mit ihm die ungenügende Gründlichkeit der Prüfung gerügt werden soll, nach der die Kommission zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Vereinbarung den Wettbewerb beschränke, aber dennoch Gegenstand einer Freistellung sein könne; diese Frage gehört zur Begründetheit der Entscheidung und nicht zu der unter die externe Legalität fallenden Frage der Begründung der angefochtenen Handlung. Sowohl die Schriftsätze als auch die mündliche Verhandlung haben sich nämlich ausschließlich auf die durch den Rechtsstreit aufgeworfenen materiell‑rechtlichen Fragen beschränkt, und die Klägerin hat darüber hinaus ihre Berufung auf Artikel 253 EG nicht mit näheren Angaben verbunden, anhand deren sich die Punkte der Entscheidung feststellen ließen, die mangelhaft begründet sein sollen.
52 Diese Rüge ist demzufolge mit den beiden materiell‑rechtlichen Klagegründen zu verbinden, die die Klägerin zur Begründung ihrer Klage vorgebracht hat und die auf die Rechtsfehler gestützt sind, die die Kommission in Bezug auf das durch die Vereinbarung organisierte Inlandsroaming begangen haben soll. Die Klägerin macht erstens geltend, die Kommission sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Vereinbarung zu Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG und von Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen führe. Die Kommission, die eingeräumt habe, dass die Vereinbarung keine wettbewerbswidrige Zielsetzung habe, habe dadurch nur eine teilweise Untersuchung der Wettbewerbssituation vorgenommen, dass sie diese Situation ohne eine Vereinbarung nicht geprüft habe, wodurch sie gegen eine ständige Rechtsprechung verstoßen habe. Zweitens beruhe die angebliche Beschränkung nicht auf einer Vereinbarung im Sinne dieser Vorschriften, sondern auf einseitigen Handlungen der Klägerin.
Zum ersten Klagegrund: Fehlen einer Wettbewerbsbeschränkung und unzureichende Untersuchung der Wettbewerbssituation
Vorbringen der Parteien
53 Die Klägerin trägt vor, während eingeräumt werde, dass die Vereinbarung keine wettbewerbswidrige Zielsetzung gehabt habe, habe die Kommission keine Untersuchung der tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb durchgeführt, insbesondere habe sie nicht geprüft, welche Wettbewerbsbedingungen ohne die Vereinbarung bestanden hätten. Eine derartige Gesamtuntersuchung sei aber nach der Rechtsprechung ganz allgemein bei allen – horizontalen oder vertikalen – Vereinbarungen geboten, was im Übrigen auch die Kommission in ihren Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG‑Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. 2001, C 3, S. 2) zum Ausdruck bringe. Die Schlussfolgerungen der Kommission stützten sich auch nicht auf eine Untersuchung der den in Rede stehenden Markt betreffenden maßgeblichen Tatsachen.
54 Die Argumentation der Kommission gehe von der falschen grundsätzlichen Auffassung aus, dass Inlandsroaming als solches wettbewerbsbeschränkend sei, da die Vereinbarung O2 erlaube, Großabnehmerdienste von TMobile zu kaufen, anstatt sie selbst zu erbringen. Die Kommission beschränke sich auf die Behauptung, dass die Abhängigkeit von O2 in Bezug auf das Netz von T‑Mobile eine Wettbewerbsbeschränkung darstelle, ohne dies nachzuweisen und die nach Artikel 81 Absatz 1 EG vorgeschriebene wirtschaftliche Untersuchung durchzuführen.
55 Die Kommission halte sich somit an allgemeine Behauptungen, denen sogar die Feststellungen in ihrer Entscheidung widersprächen, wonach die Vereinbarung den Wettbewerb keineswegs beschränke, sondern ihm förderlich sei (122. bis 142. Begründungserwägung der Entscheidung). Die Schlussfolgerungen der Kommission widersprächen darüber hinaus der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis.
56 Die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang vor, die Vereinbarung habe positive Auswirkungen auf den Wettbewerb – wie in der Entscheidung eingeräumt werde –, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Erfassung der Bevölkerung, die Qualität der erbrachten Dienste, die Übertragungsgeschwindigkeit und die Preise handle. Ohne die Vereinbarung wäre ihre Stellung im Wettbewerb geschwächt worden, und sie wäre wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, innerhalb der vorgesehenen Fristen die für die 3G‑Dienste erforderliche Erfassung der Bevölkerung sicherzustellen, was die Kommission in ihrer Entscheidung eingeräumt habe.
57 Außerdem sei die Vereinbarung dafür erforderlich und unabdingbar, dass die Klägerin in den beiden in der Vereinbarung unterschiedenen Roaminggebieten ein wettbewerbsfähiger Betreiber sein könne, der in der Lage sei, auf dem 3G‑Mobilfunkmarkt eine Erfassung und Dienste von Qualität anzubieten. Die Vereinbarung fördere dadurch, dass sie es der Klägerin ermögliche, ihre Fähigkeit zur Erfassung der Bevölkerung auszubauen, ihre Durchdringungsrate und damit den Wettbewerb.
58 Roaming habe unter dem Gesichtspunkt der Produktion, der Innovation, der Versorgungsbreite und der Qualität der Dienste keine negativen Auswirkungen, was die Kommission ebenfalls eingeräumt habe.
59 Was die Auswirkungen auf die Preise angeht, macht die Klägerin geltend, der Umstand, dass ihre Großabnehmerpreise in einem gewissen Ausmaß von den von T‑Mobile geforderten Preisen abhingen, stelle keine Wettbewerbsbeschränkung dar, da es sich dabei um die Situation handele, in der sich jedes Unternehmen befinde, das für einige seiner Erzeugnisse oder Dienstleistungen auf Lieferanten zurückgreife. Darüber hinaus sei die Gefahr einer Abstimmung oder einer Absprache bei den Preisen, die in der Entscheidung angesprochen werde, rein spekulativ und werde nicht durch einen Nachweis oder eine Untersuchung belegt.
60 Die Kommission macht geltend, das Vorbringen der Klägerin zur Prüfung der ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbssituation laufe darauf hinaus, dass auf Artikel 81 Absatz 1 EG eine „rule of reason“ angewendet werde, und zwar im Widerspruch zur Rechtsprechung. Die Beklagte führt aus, da es sich um eine Vereinbarung über horizontale Zusammenarbeit handle, habe sie nach ihren Leitlinien zunächst die Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb im Hinblick auf Artikel 81 Absatz 1 EG geprüft und dabei nach den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbsbeschränkungen gesucht, die ohne die Vereinbarung bestanden hätten, und dann für die Beurteilung im Rahmen von Artikel 81 Absatz 3 EG eine Bilanz der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Vereinbarung gezogen.
61 So wie Roaming in der Vereinbarung geplant sei, beeinträchtige es den Wettbewerb zwischen den Betreibern in den Netzen, was eine besondere Auswirkung auf den Wettbewerb auf den Mobiltelefonmärkten habe. Im vorliegenden Fall sei die zwischen zwei Wettbewerbern geschlossene Vereinbarung geeignet, deren Verhaltensweisen in Bezug auf die wichtigsten Parameter des Wettbewerbs zu beeinflussen.
62 Während O2 und T‑Mobile weiter in vollem Umfang in der Lage seien, ihre eigenen Netze zu errichten und 3G‑Dienste anzubieten, solle die Vereinbarung es der Klägerin ermöglichen, den Ausbau ihres Netzes teilweise zu verlangsamen, ja sogar zu beschränken, und damit die Aufwendungen für ihre Infrastruktur zu senken. Die sich aus der Vereinbarung ergebende Ähnlichkeit des Netzes der Klägerin im Verhältnis zum Netz von T‑Mobile wirke sich notwendigerweise zum einen auf den Wettbewerb in den Gebieten aus, wo das Netz der Klägerin ausgebaut sei, und zum anderen auf die Planung des zukünftigen Ausbaus dieses Netzes. In dieser Hinsicht untergrabe Roaming im Gegensatz zu anderen Formen der Zusammenarbeit, wie z. B. Mitbenutzung von Standorten oder von Funkzugangsnetzen, den Wettbewerb auf den nationalen Mobilkommunikationsmärkten vollständig.
63 Roaming schränke daher den Wettbewerb unter dem Gesichtspunkt der Erfassung ein, da die Klägerin sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten von T‑Mobile abhänge. Auch für die Qualität und die Geschwindigkeit der Datenübermittlung hänge die Klägerin von T‑Mobile ab, auch wenn durch die Vereinbarung noch ein gewisser Raum für Wettbewerb belassen werde. Schließlich richte sich der von der Klägerin in Rechnung gestellte Preis nach dem an T‑Mobile gezahlten Großabnehmerpreis. In diesem Zusammenhang macht die Kommission geltend, dass die Klägerin, wenn sie schätze, dass dieser zwangsläufige Einfluss auf ihre Preise sich nur auf 10 % der 3G‑Telekommunikationsdienste auswirken werde, die Bedeutung der Übertragung über das Paketdatennetz herunterspiele, die das Hauptmerkmal der 3G‑Mobiltelekommunikationsdienste darstelle.
64 Die Kommission trägt vor, sie habe ihre Beurteilung auf die Angaben der Parteien der Vereinbarung gestützt, insbesondere was die Tarifierung des Roaming, die Benutzung des Netzes von T‑Mobile durch die Klägerin und die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin angehe. Die Entscheidung stehe zum einen in Einklang mit ihrer allgemeinen Auffassung zum wettbewerbsbeschränkenden Charakter von Roaming, eine Auffassung, die von mehreren nationalen Regulierungsbehörden geteilt werde, und zum anderen mit der in einer früheren den britischen Markt betreffenden Entscheidung zugrunde gelegten Auffassung.
Würdigung durch das Gericht
65 Der Rechtsstreit wirft in erster Linie die Frage auf, ob die Kommission bei ihrer Prüfung der angemeldeten Vereinbarung in Bezug auf Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen ihre Beurteilung, dass das Abkommen den Wettbewerb beschränke, rechtlich begründet hat und ob sie dazu die Untersuchung durchgeführt hat die diese Bestimmungen, so wie sie in der Rechtsprechung ausgelegt werden, vorschreiben. Die Klägerin macht nämlich geltend, die Kommission sei von der grundsätzlichen Auffassung ausgegangen, dass Inlandsroaming als solches den Wettbewerb beschränke, und habe die Situation ohne das Abkommen nicht geprüft, während für die Beklagte die Beanstandung durch die Klägerin darauf hinausläuft, von ihr die Anwendung einer „rule of reason“ auf Artikel 81 Absatz 1 EG zu verlangen, und zwar im Widerspruch zur Rechtsprechung.
66 Zur Beurteilung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt im Hinblick auf das in Artikel 81 Absatz 1 EG ausgesprochene Verbot sind der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang, in den sich die Vereinbarung einfügt (Urteil des Gerichtshofes vom 25. November 1971 in der Rechtssache 22/71, Béguelin Import, Slg. 1971, 949, Randnr. 13), ihr Zweck, ihre Wirkungen sowie die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels durch die Vereinbarung zu prüfen, wobei insbesondere der wirtschaftliche Zusammenhang, in dem die Unternehmen tätig sind, die von dieser Vereinbarung erfassten Erzeugnisse oder Dienstleistungen sowie die Struktur des betreffenden Marktes und die auf diesem bestehenden tatsächlichen Bedingungen zu berücksichtigen sind (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1995 in der Rechtssache C‑399/93, Oude Littikhuis u. a., Slg. 1995, I‑4515, Randnr. 10).
67 Diese Untersuchungsmethode ist allgemein anzuwenden und nicht einer Kategorie von Vereinbarungen vorbehalten (siehe in Bezug auf verschiedene Arten von Vereinbarungen die Urteile des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65, Société minière technique, Slg. 1966, 282, 303‑304, und vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C‑250/92, DLG, Slg. 1994, I‑5641, Randnr. 31, sowie die Urteile des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T‑35/92, John Deere/Kommission, Slg. 1994, II‑957, Randnrn. 51 und 52, und vom 15. September 1998 in den Rechtssachen T‑374/94, T‑375/94, T‑384/94 und T‑388/94, European Night Services u. a./Kommission, Slg. 1998, II‑3141, Randnrn. 136 und 137).
68 Darüber hinaus sind in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eingeräumt wird, dass die Vereinbarung keinen wettbewerbswidrigen Zweck hat, die Auswirkungen der Vereinbarung zu untersuchen, und es müssen, damit die Vereinbarung vom Verbot erfasst wird, Voraussetzungen vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar behindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist. Hierbei ist auf den Wettbewerb abzustellen, wie er ohne die streitige Vereinbarung bestehen würde, wobei das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung vor allem dann zweifelhaft erscheinen kann, wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist (Urteil Société minière technique, 303‑304).
69 Eine solche Untersuchungsmethode läuft, insbesondere was die Berücksichtigung der Wettbewerbssituation angeht, die ohne eine Vereinbarung bestehen würde, nicht darauf hinaus, dass eine Bilanz der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Vereinbarung gezogen und damit eine „rule of reason“ angewendet wird, die nach Ansicht der Gemeinschaftsgerichte keinen Platz im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG hat (Urteil des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C‑235/92 P, Montecatini/Kommission, Slg. 1999, I‑4539, Randnr. 133; Urteil des Gerichts M6 u. a./Kommission, Randnrn. 72 bis 77, und Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2002 in der Rechtssache T‑65/98, Van den Bergh Foods/Kommission, Slg. 2002, II‑4653, Randnrn. 106 und 107).
70 Wie die Klägerin vorzubringen, dass die Kommission dadurch nur eine teilweise Untersuchung durchgeführt habe, dass sie die Wettbewerbssituation ohne eine Vereinbarung nicht geprüft habe, bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass im Stadium des Artikels 81 Absatz 1 EG eine Bilanz der positiven und der negativen Auswirkungen der Vereinbarung aus der Sicht des Wettbewerbs zu ziehen wäre. Entgegen der Interpretation des Vorbringens der Klägerin durch die Beklagte beruft sich die Klägerin nur auf die nach ständiger Rechtsprechung vorgeschriebene Untersuchungsmethode.
71 Die nach Artikel 81 Absatz 1 EG erforderliche Prüfung besteht nämlich im Wesentlichen darin, die Auswirkungen der Vereinbarung auf den aktuellen und den potenziellen Wettbewerb (siehe in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C‑234/89, Delimitis, Slg. 1991, I‑935, Randnr. 21) und die Wettbewerbssituation ohne eine Vereinbarung (Urteil Société minière technique, 359‑360) zu berücksichtigen, wobei zwischen diesen beiden Gesichtspunkten ein innerer Zusammenhang besteht.
72 Die Prüfung des ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbs ist insbesondere dann notwendig, wenn es sich um Märkte handelt, die sich auf dem Wege der Liberalisierung befinden, oder um sich herausbildende Märkte wie in dem Fall des hier betroffenen Marktes der 3G‑Mobilfunkkommunikation, wo die Wirksamkeit des Wettbewerbs z. B. wegen des Vorhandenseins eines marktbeherrschenden Betreibers, der konzentrierten Struktur des Marktes oder des Bestehens erheblicher Zugangsbeschränkungen – also von Umständen, die im vorliegenden Fall in der Entscheidung erwähnt werden – problematisch sein kann.
73 Um den zwei Teilen, die der vorliegende Klagegrund in Wirklichkeit umfasst, Rechnung zu tragen, ist daher erstens zu prüfen, ob die Kommission tatsächlich eine Prüfung der ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbssituation vorgenommen hat und, zweitens, ob die Schlussfolgerungen, die sie aus ihrer Prüfung der Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb hergeleitet hat, ausreichend fundiert sind.
– Zur Prüfung der ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbssituation
74 Es kann nicht beanstandet werden, dass in der Entscheidung zur Untersuchung der Wirkungen der Vereinbarung kein Vergleich zwischen der durch die Vereinbarung herbeigeführten Wettbewerbsstruktur und derjenigen durchgeführt worden ist, die ohne die Vereinbarung bestünde. Dagegen ist, was die Bezugspunkte des durchgeführten Vergleichs angeht, festzustellen, dass die gesamte Prüfung der Wirkungen der Vereinbarung von der Überlegung ausgeht, dass die beiden Betreiber O2 und T‑Mobile – mit oder ohne Vereinbarung – auf dem betroffenen Markt aktiv und in einer Wettbewerbssituation gewesen wären. Die Möglichkeit, dass O2 ohne eine Vereinbarung dem 3G‑Mobilfunkmarkt in Deutschland ganz oder teilweise ferngeblieben wäre, ist zu keiner Zeit ins Auge gefasst worden.
75 Aus der Entscheidung geht nämlich implizit, aber zwingend hervor, dass die Kommission angenommen hat, dass zum einen O2 auf jeden Fall auf dem Markt aktiv sein werde, was sich z. B. in der 97. Begründungserwägung der Entscheidung aus den Vorausberechnungen ergibt, die in Bezug auf den Markt für 3G‑Standorte und deren Infrastruktur, ausgehend von den Daten über den 2G‑Infrastrukturmarkt, angestellt werden, und zum anderen, dass es keine Wettbewerbsbeschränkung gebe, während gerade die streitige Vereinbarung durch das in ihr vorgesehene Inlandsroaming zu einer solchen Beschränkung führe, was in der Entscheidung insbesondere in der 107. Begründungserwägung festgestellt wird.
76 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass dies im vorliegenden Fall sehr wohl ihre Betrachtungsweise gewesen sei. Sie hat dazu ausgeführt, dass nichts, was die Parteien vorgelegt hätten, sie zu der Auffassung hätte veranlassen können, dass der Abschluss der Vereinbarung eine unabdingbare Voraussetzung für den Eintritt der Klägerin in den 3G‑Markt sei, während diese bereits auf dem 2G‑Markt aktiv gewesen sei, dass die Klägerin ihr gegenüber die Absicht geäußert habe, auf den 3G‑Markt vorzustoßen, und dass sie festgestellt habe, dass die auf dem 2G‑Markt aktiven Lizenzinhaber auf dem Markt geblieben seien.
77 Ausgehend von dem Postulat, dass die Klägerin auf dem Mobilkommunikationsmarkt aktiv war, war die Kommission daher nicht der Auffassung, dass sie die Frage vertiefen müsse, ob die Klägerin ohne eine Vereinbarung auf dem 3G‑Markt aktiv gewesen wäre. Es ist festzustellen, dass diese Annahme in der Entscheidung auf keine Untersuchung oder Rechtfertigung gestützt ist, die geeignet wäre, ihre Richtigkeit zu beweisen; diese Feststellung hat die Kommission im Übrigen in der mündlichen Verhandlung nur bestätigen können. Mangels einer solchen objektiven Prüfung der ohne eine Vereinbarung bestehenden Wettbewerbssituation hat die Kommission nicht richtig beurteilen können, inwieweit die Vereinbarung dafür erforderlich war, dass die Klägerin in den 3G‑Mobilkommunikationsmarkt vordringen konnte. Die Kommission hat demzufolge gegen ihre Verpflichtung verstoßen, eine objektive Untersuchung der Auswirkungen der Vereinbarung auf die Wettbewerbssituation durchzuführen.
78 Diese Unterlassung kann nicht als folgenlos angesehen werden. Aus den in der Entscheidung dargelegten Erwägungen im Rahmen der Untersuchung der Vereinbarung im Hinblick auf die durch Artikel 81 Absatz 3 EG aufgestellten Voraussetzungen für die mögliche Erteilung einer Freistellung geht nämlich hervor, dass es gerade aus der Sicht der Kommission unwahrscheinlich war, dass die Klägerin in der Lage gewesen wäre, auf sich allein gestellt ohne die Vereinbarung von Anfang an eine bessere Erfassung, eine bessere Qualität und höhere Übertragungsgeschwindigkeiten für die 3G‑Dienste sicherzustellen, ein Netz auszubauen und 3G‑Dienste schnell einzuführen, auf die betreffenden Großabnehmer‑ und Endabnehmermärkte vorzudringen und damit ein wirksamer Wettbewerber zu sein (122. bis 124., 126. und 135. Begründungserwägung). Aufgrund dieser Umstände war die Kommission der Auffassung, dass für die Vereinbarung eine Freistellung gewährt werden könne.
79 Derartige Erwägungen, die eine Ungewissheit in Bezug auf die Wettbewerbssituation und insbesondere in Bezug auf die Stellung der Klägerin ohne eine Vereinbarung implizieren, zeigen, dass das Auftreten der Klägerin auf dem 3G‑Kommunikationsmarkt nicht als gesichert angesehen werden konnte, wie die Kommission postuliert hatte, und dass eine Prüfung in diesem Zusammenhang nicht nur für die Gewährung einer Freistellung, sondern vorab für die wirtschaftliche Untersuchung der Auswirkungen der Vereinbarung auf die Wettbewerbssituation, die ausschlaggebend für die Anwendung des Artikels 81 EG ist, erforderlich gewesen wäre.
– Zu den Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb
80 Die Klägerin wirft der Kommission vor, dass diese sich an eine grundsätzliche Auffassung gehalten habe, die in der Annahme bestanden habe, dass Roaming als solches den Wettbewerb beschränke, und dass sie sich auf allgemeine, nicht bewiesene Behauptungen gestützt habe, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Vereinbarung gemäß Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.
81 Aus der Entscheidung geht hervor, dass die Kommission, was die Auswirkungen von Inlandsroaming auf den Wettbewerb auf den Großabnehmermärkten angeht, feststellt: „Inlandsroaming zwischen Netzbetreibern … schränkt den Wettbewerb zwischen diesen Betreibern in allen verbundenen Netzemärkten hinsichtlich Versorgung, Qualität und Übertragungsraten ein“ (107. Begründungserwägung).
82 Die Kommission führt weiter aus: „[Inlandsroaming] beschränkt den Wettbewerb im Bereich der Versorgung, weil der Betreiber beim Roaming sich auf den Erfassungsgrad verlässt, den das besuchte Netz erreicht hat, anstatt das eigene Netz auszubauen, um ein möglichst großes Gebiet mit dichter Bevölkerung zu erfassen.“ Sie fügt hinzu: „Inlandsroaming schränkt den nationalen Wettbewerb auch bei der Netzqualität und den Übertragungsraten ein, weil beim Roaming der Betreiber durch die Qualität und die Übertragungsraten des besuchten Netzes eingeschränkt wird, die von den technischen und geschäftlichen Entscheidungen des Betreibers dieses Gastnetzes abhängen. … Die Großabnehmergebühren, die O2 … den Abnehmern seiner eigenen Großabnehmer-Netz- und Zugangsdienste berechnen wird, werden daher von den Großabnehmergebühren eingeschränkt, die es an T‑Mobile zahlen muss“ (107. Begründungserwägung).
83 Die Kommission stellt fest: „Angesichts der sich hieraus ergebenden eingeschränkten Konkurrenzfähigkeit von O2 … und T-Mobile hinsichtlich Versorgung, Qualität, Übertragungsraten und Großabnehmerpreisen wird das Inlandsroaming der dritten Generation zwischen O2 … und T-Mobile auf allen 3G-Netzmärkten in Deutschland Auswirkungen auf den Wettbewerb haben“ (109. Begründungserwägung) und führt weiter aus: „Weil die zugrunde liegende Netzversorgung, die Qualität und die Übertragungsraten wahrscheinlich ähnlich sind, wird das Inlandsroaming auf Großabnehmerebene zu einer größeren Einheitlichkeit der Bedingungen auch im Endabnehmersektor führen“ (111. Begründungserwägung).
84 Die Kommission vertritt außerdem die Auffassung, dass „die vorherige Zustimmung der anderen Partei [der Vereinbarung] zu einem Weiterverkauf der Roamingkapazität an Betreiber virtueller Netze, die Endkunden Sprachtelefondienste anbieten“, „eine Beschränkung des Kundentyps [ist]“ und dass sie „die Produktion begrenzt und daher eine Beschränkung des Wettbewerbs … darstellt“ (115. und 116. Begründungserwägung).
85 Aus diesen Bewertungen geht hervor, dass für die Kommission eine Roamingvereinbarung wie die von den Parteien geschlossene schon ihrer Natur nach durch die Abhängigkeit, in die das Inlandsroaming den Betreiber, der es praktiziert, im Verhältnis zu dem Gastbetreiber bringt, eine Wettbewerbsbeschränkung mit sich bringt. Die Beschränkung äußere sich in dreierlei Hinsicht: Erstens unter dem Gesichtspunkt der Erfassung durch das Netz, denn das Roaming hemme immer den Ausbau des Netzes des Betreibers, der das Netz seines Partners benutze, zweitens, was die Netzqualität und die Übertragungsraten angehe, weil der Betreiber bei der Benutzung von den technischen und geschäftlichen Entscheidungen des Betreibers des Gastnetzes abhänge und, drittens, was die Preise angehe, dadurch, dass die Großabnehmertarife des Betreibers, der das Roaming praktiziere, von den an den Gastbetreiber gezahlten Großabnehmerpreisen abhingen, was hier der Fall sei.
86 Derartige allgemeine Erwägungen, die für alle Vereinbarungen über Inlandsroaming formuliert werden könnten, beruhen aber auf keinerlei genauen Angaben, die die Richtigkeit dieser Erwägungen im Fall der zwischen O2 und T‑Mobile geschlossenen Vereinbarung beweisen könnten.
87 Die Entscheidung enthält zwar in verschiedenen Begründungserwägungen Angaben zur Beschreibung des Rahmens der Vereinbarung. Sie beschreibt den wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Zusammenhang, in dem die Vereinbarung sich einfügt (6. bis 22. Begründungserwägung), und legt den Aufbau der Vereinbarung in ihren verschiedenen Bestimmungen über die erweiterte Standortmitbenutzung, die gemeinsame Nutzung des Funkzugangsnetzes und das Inlandsroaming dar (23. bis 43. Begründungserwägung). Sie prüft auch die betroffenen Märkte, d. h. die Großabnehmer‑ und Endabnehmermärkte für Produkte und Dienste sowie die geografischen Märkte (44. bis 72. Begründungserwägung), und macht Angaben über die Struktur des Marktes, wobei insbesondere in Betracht gezogen wird, wer die tatsächlichen oder potenziellen Bewerber auf den verschiedenen Märkten waren (73. bis 77. und 96. bis 99. Begründungserwägung).
88 Diese Angaben, die im Rahmen der Darstellung des Tätigkeitssektors, in dem die betroffenen Unternehmen agieren, beigebracht werden, geben jedoch in keiner Weise eine Erklärung für die vorgenommene Beurteilung der Auswirkungen der Vereinbarung.
89 Die Kommission ist in der mündlichen Verhandlung danach gefragt worden, welche konkreten, der Vereinbarung eigenen und in der Entscheidung aufgeführten Faktoren über die generelle Beurteilung des wettbewerbsbeschränkenden Charakters des Inlandsroaming hinaus in dem besonderen Fall diese Beurteilung begründen. Sie hat zunächst die hohe Konzentration des betroffenen Marktes unterstrichen, auf dem es vier Betreiber gebe, und dann zwei Gesichtspunkte hervorgehoben, die sich nicht in allen Roamingvereinbarungen fänden. Zum einen stelle das Roaming einen wesentlichen Teil der Vereinbarung dar. Es schaffe eine Situation, in der O2 nicht gezwungen sei, ein Netz auf dem wesentlichen Teil des deutschen Hoheitsgebiets aufzubauen, und habe besonders negative Auswirkungen in den Stadtzentren, die wirtschaftlich am rentabelsten seien. Zum anderen bewirke der Mechanismus der Festlegung der Großabnehmerpreise, der einen feststehenden Teilbetrag umfasse, dass die von O2 angewendeten Preise von den an T‑Mobile gezahlten abhingen. Dieser Mechanismus begrenze den Spielraum von O2 bei der Anpassung ihrer Preise auf dem Markt und beschränke dadurch den Wettbewerb. Darüber hinaus sei die in der 107. Begründungserwägung der Entscheidung enthaltene Beurteilung in der gesamten Entscheidung näher erläutert.
90 Es ist daher im Hinblick auf die beiden von der Kommission genannten Gesichtspunkte zu prüfen, ob die Wettbewerbsbeschränkungen, die der Vereinbarung angelastet werden, durch die angefochtene Entscheidung belegt werden.
91 Was die Bedeutung des Roaming in der Vereinbarung und dessen angebliche beschränkenden Wirkungen in den Stadtzentren angeht, ergibt sich erstens aus der Entscheidung, insbesondere aus der 107. und der 108. Begründungserwägung, dass die Kommission, um den per se wettbewerbsbeschränkenden Charakter des Inlandsroaming und im vorliegenden Fall der Vereinbarung unter Beweis zu stellen, davon ausgegangen ist, dass seine Auswirkungen am negativsten in den Gebieten seien, wo der Wettbewerb unter wirtschaftlich rentablen Bedingungen stattfinden könne, insbesondere in den Stadtzentren, und daher angenommen hat, dass das Inlandsroaming dort nicht gerechtfertigt sei.
92 Aus den Akten geht aber hervor, dass die Parteien, um den vertraglichen Rahmen, insbesondere was Inlandsroaming angeht, an die Marktentwicklung anzupassen, die am 6. Februar 2002 angemeldete ursprüngliche Vereinbarung vom 20. September 2001 dreimal, am 20. September 2002, am 22. Januar und am 21. Mai 2003, geändert haben. Infolgedessen unterscheidet die geänderte Vereinbarung drei Arten von Gebieten, nämlich Stadtgebiete, so genannte Gebiete von zweitrangiger wirtschaftlicher Bedeutung und so genannte Gebiete von geringer wirtschaftlicher Bedeutung, und sieht für die Erstgenannten vor, dass das Roaming dort während eines kürzeren Zeitraums vorgenommen werden wird. Aus dem Aufbau der Vereinbarung, so wie diese in der Entscheidung dargestellt wird, geht nämlich hervor, dass die Roamingzugangsrechte je nach den Erfassungsgebieten festgelegt sind und dass ein Zeitplan für das Auslaufen dieser Rechte aufgestellt ist.
93 Die Entscheidung umfasst jedoch, obwohl sie im Hinblick auf die geänderte Vereinbarung getroffen worden ist, in der Prüfung der Vereinbarung hinsichtlich des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen, um die es hier geht, keine konkrete Beurteilung dieser Angaben über den Wettbewerb, obwohl durch diese das in der Vereinbarung vorgesehene Inlandsroaming gerade räumlich und zeitlich angepasst wird. Insbesondere ergibt sich, dass die generelle Beurteilung des Roaming als wettbewerbsbeschränkend im Hinblick auf den wesentlichen Parameter nicht untermauert ist, den die Geltungsdauer der Vereinbarung darstellt, d. h. unter Berücksichtigung des für jedes einzelne Gebiet vorgesehenen Zeitplans für das Auslaufen des Roaming.
94 Es war jedoch ganz offenkundig Sache der Kommission, bei der Untersuchung der Vereinbarkeit der Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt diese neuen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus den an der Vereinbarung im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgenommenen und insbesondere des Roaming in den Stadtgebieten betreffenden Änderungen ergeben, und gegebenenfalls bestimmte Beurteilungen zu überdenken.
95 Die tatsächliche Berücksichtigung der das Roaming in den Stadtgebieten betreffenden Änderungen der Vereinbarung bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt konnte die Kommission nämlich zu anderen Schlussfolgerungen führen als denjenigen, zu denen sie in der Entscheidung gelangt ist, insbesondere was die Notwendigkeit dieser neuen Bestandteile der Vereinbarung dafür angeht, dass O2 in den Stadtgebieten Zugang zum 3G‑Markt erhält.
96 Eine solche Berücksichtigung der konkreten Modalitäten, nach denen das Inlandsroaming in der geänderten Vereinbarung ausgestaltet ist, erscheint aber in der angefochtenen Entscheidung nur im Rahmen der Prüfung der Möglichkeit, eine Freistellung nach Artikel 81 Absatz 3 EG und Artikel 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen zu gewähren, wodurch die zuvor festgestellten Lücken nicht behoben werden können. Die Untersuchung der Vereinbarkeit einer Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt und dann – für den Fall, dass die Vereinbarung für unvereinbar erklärt worden sein sollte – die Untersuchung der Möglichkeit, für sie eine Freistellung zu gewähren, gehen von zwei unterschiedlichen Betrachtungsweisen aus, wobei die Zweitgenannte insbesondere verlangt, dass der Nachweis der Unvereinbarkeit der Vereinbarung im Rahmen der Erstgenannten ordnungsgemäß erbracht worden ist.
97 Die Erklärungen, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung gegeben hat, bestätigen die Feststellung, dass die in Frage stehenden Änderungen bei der Untersuchung der Vereinbarung im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen nicht berücksichtigt worden sind. Die Kommission hat nämlich vorgetragen, es könne ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie nicht untersucht habe, ob das Inlandsroaming in den Großstadtgebieten dafür notwendig gewesen sei, dass O2 in den Markt habe eintreten können, denn die ursprünglich angemeldete Vereinbarung habe Roaming in den Stadtgebieten nicht vorgesehen.
98 In diesem ersten Punkt muss man daher zu dem Ergebnis gelangen, dass die Beurteilung durch die Kommission dadurch, dass diese ihre Untersuchung nicht den neuen das Roaming in den Stadtgebieten betreffenden Angaben in der Akte angepasst hat, auch deshalb fehlerhaft ist, weil keine Untersuchung der Tatsachen, die der Kommission von den Urhebern der Anmeldung vorgelegt worden waren, durchgeführt worden ist.
99 Zweitens ist, was den zweiten wettbewerbsbeschränkenden Bestandteil angeht, der nach Auffassung der Kommission der Vereinbarung eigen ist, nämlich der oben in Randnummer 89 genannte Preisgestaltungsmechanismus, die angebliche beschränkende Wirkung nicht nachgewiesen.
100 Was zum einen die Auswirkungen der an T‑Mobile gezahlten Großabnehmerpreise auf die von O2 angewendeten Großabnehmer‑ und Endabnehmerpreise angeht, ist die Klägerin unter diesem Gesichtspunkt in einer ähnlichen Lage wie jedes Unternehmen gegenüber seinen Lieferanten. O2 wie im Übrigen auch T‑Mobile hängen beide von den Preisen ab, die ihnen die Lieferanten der Gegenstände und die Erbringer der Dienstleistungen in Rechnung stellen, auf die sie zurückgreifen, und können dazu veranlasst sein, diese Kosten auf ihre Kunden abzuwälzen. Darüber hinaus ist die angebliche Abhängigkeit bei den Tarifen nicht nachgewiesen. Sie wird sogar durch die Angabe in der Entscheidung widerlegt, wonach die Parteien der Vereinbarung unterschiedliche Abrechnungsgrundsätze haben (140. Begründungserwägung). Außerdem hat die Klägerin auf die oben in Randnummer 36 genannten Fragen des Gerichts nach der Struktur der von ihr angewendeten Preise Angaben gemacht, aus denen hervorgeht, dass sie mit Hilfe von Produkten und Diensten mit verschiedenen Bezeichnungen, vielfältigen Abonnementsmodellen und Tarifierungsformeln mit zahlreichen Varianten bestrebt ist, sich von T‑Mobile zu unterscheiden.
101 Was zum anderen die Existenz der von O2 an T‑Mobile gezahlten festen Gebühr angeht, ist festzustellen, dass die Entscheidung keine diese Verpflichtung zur Zahlung eines Festbetrags betreffende Untersuchung umfasst. Darüber hinaus hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass dieser Punkt im Verwaltungsverfahren nicht erörtert worden sei.
102 Nach alledem ist die allgemeine Beurteilung in der 107. Begründungserwägung der Entscheidung, dass Inlandsroaming den Wettbewerb beschränke, weil es dem Betreiber, der es praktiziere, ermögliche, den Ausbau seines Netzes zu verlangsamen, und weil es ihn in eine Lage der technischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber dem Betreiber des Gastnetzes bringe, nicht auf konkrete, der Vereinbarung eigene und in der Entscheidung angeführte Gegebenheiten gestützt, wobei es in der Entscheidung darüber hinaus an einer Beurteilung der Änderungen fehlt, die an der Vereinbarung in Bezug auf Roaming in Stadtgebieten vorgenommen worden sind.
103 Im Übrigen scheint sich diese generelle Beurteilung auch nicht aus den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu ergeben, die den Telekommunikationssektor regeln. Wie aus den Antworten der Kommission auf die oben in Randnummer 36 genannten Fragen des Gerichts hervorgeht, behandelt keine der den Telekommunikationssektor betreffenden Richtlinien Vereinbarungen über Inlandsroaming und deren Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft, obwohl für derartige Vereinbarungen das Wettbewerbsrecht, insbesondere Artikel 81 Absatz 1 EG, gelten muss.
104 Darüber hinaus wird die generelle Beurteilung des Inlandsroaming durch die Kommission, wie die Klägerin geltend macht, in Anbetracht der den Markt betreffenden maßgeblichen Tatsachen, so wie diese in der Entscheidung selbst beschrieben werden, nicht bestätigt.
105 Nach der Entscheidung, die im Wege der Extrapolierung der seinerzeit verfügbaren Daten über die Lage auf dem Markt für 2G‑Mobiltelekommunikation hervorgeht, soll nämlich T‑Mobile, ursprünglich verbunden mit dem angestammten Betreiber Deutsche Telekom, wahrscheinlich einen Marktanteil in der Größenordnung von 100 % auf dem Inlandsroaming‑Großabnehmermarkt für die hier betroffenen 3G‑Telekommunikationsdienste besitzen. In der Entscheidung wird aber darüber hinaus festgestellt, dass die Möglichkeiten für den Marktzutritt auf der Ebene der Netzbetreiber durch die begrenzte Zahl der Lizenzen, deren Kosten und die erforderlichen erheblichen Investitionen in die 3G‑Netzinfrastruktur beschränkt seien (74. und 75. Begründungserwägung).
106 Was den Endabnehmermarkt für 3G‑Dienste angeht, wird in der Entscheidung angegeben, dass sechs Betreiber Lizenzen erhalten hätten, nämlich außer T‑Mobile und O2, D2 Vodafone, E‑Plus, Mobilcom und Group 3G, wobei O2 als Letzter in den Markt eingetreten sei, und dass die Hauptwettbewerber auf den Endabnehmermärkten vier an der Zahl seien. Ihre jeweiligen Marktanteile bei der 2G‑Kommunikation, die die einzigen verfügbaren Daten im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung dargestellt hätten, hätten sich nach den Kunden der Diensteanbieter auf 41,7 % für T‑Mobile, 38,3 % für D2 Vodafone, 12,2 % für E‑Plus und 7,8 % für O2 Germany belaufen (76. und 77. Begründungserwägung).
107 Aus dieser Darstellung geht hervor, dass T‑Mobile ein vorherrschender Betreiber auf dem deutschen Mobiltelekommunikationsmarkt unabhängig davon ist, ob es sich um Großabnehmer‑ oder Endabnehmermärkte handelt, und dass O2, bei dem es sich um den letzten in den deutschen Markt eingetretenen Betreiber handelt, in der schwächsten Wettbewerbsposition zu sein scheint. Auch wenn O2 nicht ohne Netzinfrastruktur ist, wie in der Entscheidung angegeben (97. Begründungserwägung), bringen ihre bescheideneren Marktanteile und ihre Stellung als letzte in den Markt Eingetretene sie objektiv in eine weniger günstige Situation.
108 Die von der Kommission beanstandete Abhängigkeit beruht somit auf einer tatsächlichen Ungleichheit, die die Vereinbarung gerade dadurch ausgleichen soll, dass sie O2 in eine günstigere Wettbewerbsposition bringt, während ihre tatsächliche Situation weniger wettbewerbsfähig gegenüber den anderen in der Entscheidung genannten Betreibern, seien es tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber, erscheint. Die Abhängigkeit von O2 im Verhältnis zum Netz von T‑Mobile ist darüber hinaus als vorläufig angelegt, da sie während der gesamten Dauer der Vereinbarung nach Maßgabe des Zeitplans für das Auslaufen der Roaming-Zugangsrechte abnehmen soll, der in den geänderten Bestimmungen der angemeldeten Vereinbarung vorgesehen ist, die der Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Prüfung vorgelegt worden sind. In diesem Punkt belegt die Entscheidung, die keine konkrete Angabe enthält, wie zuvor bereits festgestellt worden ist, die beschränkenden Auswirkungen der Vereinbarung auf den Ausbau der Netze von O2 nicht. Erst recht hat die Kommission nicht nachgewiesen, wie sie in ihren Schriftsätzen geltend macht, dass die Vereinbarung darauf gerichtet sei, den Ausbau des Netzes der Klägerin zu verlangsamen, ja sogar zu beschränken. Die im Verfahren von der Kommission vorgelegten Schreiben, insbesondere die vom 4. März und vom 9. April 2003, zeigen im Gegenteil, dass die Vereinbarung der Klägerin einen rentablen Ausbau ihres 3G‑Netzes gemäß den Anforderungen ihrer Lizenz, was Zeitplan und Erfassung angeht, ermöglichen soll.
109 Im vorliegenden Fall kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eine Roaming‑Vereinbarung der zwischen T‑Mobile und O2 geschlossenen Art, statt den Wettbewerb zwischen Netzbetreibern zu beschränken, im Gegenteil unter bestimmten Voraussetzungen dem kleinsten Betreiber ermöglichen kann, den Wettbewerb mit den maßgeblichen Akteuren aufzunehmen, wie hier mit T‑Mobile, aber auch mit D2 Vodafone auf dem Endabnehmermarkt, aber auch den marktbeherrschenden Akteuren, wie es T‑Mobile auf dem Großabnehmermarkt ist.
110 Dieser besondere Rahmen, der auf den besonderen Merkmalen des betroffenen sich herausbildenden Marktes beruht, ist bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der Vereinbarung mit dem Gemeinsamen Markt im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen nicht berücksichtigt worden.
111 Als die Kommission im Rahmen des Artikels 81 Absatz 3 EG und des Artikels 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen die Auffassung vertreten hat, dass die Vereinbarung erforderlich gewesen sei und dass O2 ohne sie nicht in der Lage gewesen wäre, wirksam in den Markt einzutreten, und beschlossen hat, eine Freistellung zu gewähren, hat sie diesen besonderen Zusammenhang berücksichtigt.
112 So wird in der Entscheidung festgestellt, dass O2 innerhalb des 50%‑Erfassungsgebiets bis zum 31. Dezember 2005 im Wettbewerb in einer besseren Stellung sein werde (123. Begründungserwägung) und dass es außerhalb dieses Gebietes unwahrscheinlich sei, dass O2 die sich aus ihrer Lizenz ergebenden Verpflichtungen hätte erfüllen können (126. Begründungserwägung). Außerdem wird darauf hingewiesen, dass O2 als „kleinster Betreiber auf dem deutschen Mobilfunkmarkt mit einem Anteil am 2G‑Markt von lediglich 8 % … wohl kaum in der Lage sein [wird], ein Netz einer hohen Qualität schnell aufzubauen, das ein ausreichend großes Gebiet erfasst, um einen wirksamen Wettbewerb von Anfang gegen die anderen etablierten Betreiber mit Lizenz für 3G‑Netze und ‑Dienste in Deutschland aufzunehmen“ (124. Begründungserwägung).
113 In einer allgemeineren und abschließenden Bewertung wird in der Entscheidung hinzugefügt, dass „das Roaming von O2 … auf dem 3G‑Netz von T‑Mobile selbst in den städtischen Gebieten für einen begrenzten Zeitraum als angemessen und unerlässlich anzusehen [ist], was bei Betreibern mit einer besser gefestigten Marktstellung nicht unbedingt der Fall wäre“ (133. Begründungserwägung). Schließlich heißt es in der Entscheidung: „O2 … wäre während seiner Ausbauphase ohne den Zugang zum 3G-Inlandsroaming im Netz von T‑Mobile ein schwächerer Wettbewerber und würde wohl nicht als landesweiter Wettbewerber in die 3G-Groß- und Endabnehmermärkte (oder auf jeden Fall nicht als Erbringer von Diensten mit der größten räumlichen Erfassung, die zu dieser Zeit verfügbar sein wird) eintreten“ (135. Begründungserwägung).
114 Aus der im Rahmen des Artikels 81 Absatz 3 EG und des Artikels 53 Absatz 3 EWR‑Abkommen durchgeführten Prüfung geht also hervor, dass in Anbetracht der spezifischen Merkmale des hier betroffenen sich herausbildenden Marktes die Stellung von O2 im Wettbewerb auf dem 3G‑Markt wahrscheinlich ohne die Vereinbarung nicht hätte gesichert werden können, ja sogar dass sie gefährdet gewesen wäre. Diese Bewertungen bestätigen, dass die Annahmen der Kommission bei der Prüfung, die sie im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen durchgeführt hat, nicht belegt sind.
115 Das von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Umstand, dass man nicht auf einen Markt vordringen könne, und dem Umstand gebe, dass man darauf mit Schwierigkeiten vordringe, kann auf jeden Fall die vorstehenden Erwägungen nicht entkräften, da die Kommission in der Entscheidung die Wettbewerbssituation ohne eine Vereinbarung im Rahmen des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen gerade nicht objektiv geprüft hat.
116 Nach alledem leidet die Entscheidung, soweit sie die Anwendung des Artikels 81 Absatz 1 EG und des Artikels 53 Absatz 1 EWR‑Abkommen betrifft, daran, dass es an einer Untersuchung fehlt, zum einen insoweit, als sie keine objektive Erörterung der Wettbewerbssituation ohne eine Vereinbarung enthält, was die Beurteilung der tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb verfälscht, und zum anderen insoweit, als sie nicht konkret im Zusammenhang mit dem betroffenen sich herausbildenden Markt nachweist, dass die Bestimmungen der Vereinbarung über Roaming wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben, sondern sich in diesem Zusammenhang auf eine Petitio principii und auf allgemeine Behauptungen beschränkt.
117 Aus diesem Grund ist daher den Anträgen auf teilweise Nichtigerklärung des Artikels 2 und des Artikels 3 Buchstabe a der Entscheidung 2004/207/EG stattzugeben, ohne dass über den zweiten Klagegrund entschieden zu werden braucht.
Kosten
118 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts hat die unterliegende Partei auf Antrag die Kosten zu tragen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 2 und 3 Buchstabe a der Entscheidung 2004/207/EG der Kommission vom 16. Juli 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG‑Vertrag und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.369 – T‑Mobile Deutschland/O2 Germany: Rahmenvertrag über Gemeinsame Netznutzung) werden für nichtig erklärt, soweit sie voraussetzen, dass die in diesen Artikeln genannten Klauseln in den Anwendungsbereich des Artikels 81 EG und des Artikels 53 EWR‑Abkommen fallen.
2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Legal |
Mengozzi |
Wiszniewska-Białecka |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Mai 2006.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
H. Legal |
* Verfahrenssprache: Englisch.