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Document 62003TJ0076

    Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 28. Oktober 2004.
    Herbert Meister gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM).
    Beamte - Umsetzung eines Dienststellenleiters - Dienstliches Interesse - Gleichwertigkeit der Stellen - Recht auf freie Meinungsäußerung - Fürsorgepflicht - Begründung - Anspruch auf rechtliches Gehör - Außervertragliche Haftung.
    Rechtssache T-76/03.

    Sammlung der Rechtsprechung – Öffentlicher Dienst 2004 I-A-00325; II-01477

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2004:319

    URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

    28. Oktober 2004

    Rechtssache T‑76/03

    Herbert Meister

    gegen

    Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt

    (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

    „Beamte – Umsetzung eines Dienststellenleiters – Dienstliches Interesse – Gleichwertigkeit der Stellen – Recht auf freie Meinungsäußerung – Fürsorgepflicht – Begründung – Anspruch auf rechtliches Gehör – Außervertragliche Haftung“

    Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache II - 0000

    Gegenstand: Klage auf Aufhebung der Entscheidung PERS‑AFFECT‑02‑30 des HABM vom 22. April 2002, mit der der Kläger mit seiner Planstelle im dienstlichen Interesse dem Vizepräsidenten für Rechtsangelegenheiten als Rechtsberater zugewiesen wurde, und auf Schadensersatz.

    Entscheidung: Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) wird verurteilt, dem Kläger als Schadensersatz für einen Amtsfehler 5 000 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Das HABM trägt seine eigenen Kosten und ein Fünftel der Kosten des Klägers. Der Kläger trägt vier Fünftel seiner eigenen Kosten

    Leitsätze

    1.     Beamte – Klage – Gegenstand – Anordnung an die Verwaltung – Unzulässigkeit

    (Artikel 233 EG; Beamtenstatut, Artikel 91)

    2.     Beamte – Organisation der Dienststellen – Verwendung des Personals – Ermessen der Verwaltung – Grenzen – Dienstliches Interesse – Wahrung der Gleichwertigkeit der Dienstposten – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

    (Beamtenstatut, Artikel 7 Absatz 1)

    3.     Beamte – Dienstliche Verwendung – Umorganisation der Dienststellen – Wahrung der Gleichwertigkeit der Dienstposten

    (Beamtenstatut, Artikel 7 Absatz 1)

    4.     Beamte – Interne Organisationsmaßnahme im dienstlichen Interesse, die die statutarische Stellung des Beamten und den Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten nicht beeinträchtigt – Keine Verpflichtung der Verwaltung zur vorherigen Anhörung des Beamten und zur Begründung ihrer Entscheidung

    (Beamtenstatut, Artikel 25)

    5.     Beamte – Rechte und Pflichten – Freiheit der Meinungsäußerung – Ausübung – Grenzen – Schutz der berechtigten Interessen der Organe – Gerichtliche Nachprüfung

    (Beamtenstatut, Artikel 7 Absatz 1)

    6.     Beamte – Fürsorgepflicht der Verwaltung – Umfang – Grenzen

    7.     Beamte – Außervertragliche Haftung der Verwaltung – Amtsfehler – Mitteilung einer Gemeinschaftsbehörde an ihr gesamtes Personal über die völlig reguläre, nicht disziplinarisch begründete Umsetzung eines Beamten – Mitteilung, die den Eindruck einer Disziplinarmaßnahme erwecken kann – Schädigung des Ansehens des umgesetzten Beamtens – Immaterieller Schaden

    1.     Das Gericht hat im Rahmen einer Klage gemäß Artikel 91 des Statuts keine Grundsatzerklärungen abzugeben oder Anordnungen an die Gemeinschaftsorgane zu richten. Im Fall der Aufhebung eines Rechtsakts ist das betreffende Gemeinschaftsorgan nach Artikel 233 EG verpflichtet, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

    (Randnr. 38)

    Vgl. Gericht, 25. März 2003, J/Kommission, T‑243/02, Slg. ÖD 2003, I‑A‑99 und II‑523, Randnr. 4; Gericht, 2. März 2004, Di Marzio/Kommission, T‑14/03, Slg. ÖD 2004, I-A-0000 und II-0000, Randnr. 63

    2.     Die Gemeinschaftsorgane verfügen bei der Organisation ihrer Dienststellen entsprechend den ihnen übertragenen Aufgaben und bei der Verwendung des ihnen zur Verfügung stehenden Personals für diese Aufgaben über ein weites Ermessen, vorausgesetzt jedoch, dass diese Verwendung im dienstlichen Interesse geschieht und die Gleichwertigkeit der Dienstposten gewahrt bleibt.

    Angesichts des weiten Ermessens der Organe bei der Beurteilung des dienstlichen Interesses muss sich die vom Gericht vorzunehmende Kontrolle, ob die Voraussetzung in Bezug auf das dienstliche Interesse eingehalten wurde, auf die Frage beschränken, ob sich die Anstellungsbehörde innerhalb vernünftiger Grenzen gehalten und von ihrem Ermessen nicht offensichtlich fehlerhaft Gebrauch gemacht hat.

    In Ausübung des weiten Ermessens, über das ein Organ bei der Organisation seiner Dienststellen verfügt, darf es zu der Beurteilung gelangen, dass die Umsetzung eines Beamten, die im operativen Rahmen einer Neuorganisation ihrer Verwaltungsstrukturen beschlossen wird, durch das dienstliche Interesse gerechtfertigt ist. Eine solche Umsetzung wird durch das dienstliche Interesse erst recht dann gerechtfertigt, wenn der umgesetzte Beamte der Neuorganisation entgegengetreten ist und hierbei in dieser Frage eine erhebliche, irreversible Spannung im Verhältnis zu seiner Direktion geschaffen hat.

    (Randnrn. 61, 64, 75 und 104)

    Vgl. Gerichtshof, 23. März 1988, Hecq/Kommission, 19/87, Slg. 1988, 1681, Randnr. 6; Gerichtshof, 7. März 1990, Hecq/Kommission, C‑116/88 und C‑149/88, Slg. 1990, I‑599, Randnr. 11; Gericht, 22. Januar 1998, Costacurta/Kommission, T‑98/96, Slg. ÖD 1998, I‑A‑21 und II‑49, Randnr. 36; Gericht, 12. Dezember 2000, Dejaiffe/HABM, T‑223/99, Slg. ÖD 2000, I‑A‑277 und II‑1267, Randnr. 53; Gericht, 16. April 2002, Fronia/Kommission, T‑51/01, Slg. ÖD 2002, I‑A‑43 und II‑187, Randnr. 55; Gericht, 26. November 2002, Cwik/Kommission, T‑103/01, Slg. ÖD 2002, I‑A‑229 und II‑1137, Randnr. 30

    3.     Bei einer Änderung des Aufgabenbereichs eines Beamten erfordert der Grundsatz der Entsprechung zwischen Besoldungsgruppe und Dienstposten nicht einen Vergleich zwischen den gegenwärtigen und den früheren Aufgaben des Betroffenen, sondern zwischen seiner gegenwärtigen Tätigkeit und seiner Besoldungsgruppe innerhalb der Hierarchie. Daher steht nichts einer Entscheidung entgegen, die die Zuweisung eines neuen Aufgabenbereichs mit sich bringt, der sich zwar von dem früheren unterscheidet und vom Betroffenen als eine Verringerung seiner Tätigkeiten wahrgenommen wird, aber gleichwohl mit dem Dienstposten übereinstimmt, der seiner Besoldungsgruppe entspricht. Eine tatsächliche Kürzung der Aufgaben eines Beamten verstößt daher nur dann gegen den Grundsatz der Entsprechung zwischen Besoldungsgruppe und Dienstposten, wenn seine Tätigkeiten insgesamt unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer Bedeutung und ihres Umfangs eindeutig hinter denen zurückbleiben, die seiner Besoldungsgruppe und seinem Dienstposten entsprechen.

    (Randnr. 113)

    Vgl. Gericht, 10. Juli 1992, Eppe/Kommission, T‑59/91 und T‑79/91, Slg. 1992, II‑2061, Randnrn. 49 und 51; Gericht, 28. Mai 1998, W/Kommission, T‑78/96 und T‑170/96, Slg. ÖD 1998, I‑A‑239 und II‑745, Randnr. 104 und die dort zitierte Rechtsprechung; Fronia/Kommission, Randnr. 50

    4.     Lässt eine bloße Maßnahme der internen Organisation, die im dienstlichen Interesse getroffen wird, die statutarische Stellung des Beamten oder den Grundsatz der Entsprechung zwischen Besoldungsgruppe und Dienstposten unberührt, so braucht die Verwaltung weder den betroffenen Beamten vorher anzuhören noch ihre Entscheidung zu begründen.

    (Randnrn. 132 und 178)

    Vgl. Gerichtshof, 17. Mai 1984, Albertini u. a./Kommission, 338/82, Slg. 1984, 2123, Randnr. 46; Gerichtshof, 7. März 1990, Hecq/Kommission, Randnr. 14; Cwik/Kommission, Randnr. 62

    5.     Auch wenn ein Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Gemeinschaften, der damit sein Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wahrnimmt, ohne weiteres berechtigt ist, sich zu einer von der Leitung des Organs geplanten Umstrukturierung kritisch zu äußern, ist die Ausübung dieses Rechts doch nicht ohne Grenzen gewährleistet. Da das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 Absatz 2 EMRK mit Pflichten und Verantwortung verbunden ist, kann es bestimmten Bedingungen oder Einschränkungen unterworfen werden. So können besondere Einschränkungen der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich durch den berechtigten Zweck gerechtfertigt sein, die Rechte der Organe zu schützen, die mit im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben betraut sind, auf deren ordnungsgemäße Erfüllung die Bürger zählen können müssen.

    Bei der Ausübung seiner Kontrolle muss der Gemeinschaftsrichter anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Falles prüfen, ob ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Grundrecht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung und dem berechtigten Interesse des Organs, dafür zu sorgen, dass seine Beamten und sonstigen Bediensteten unter Beachtung ihrer Pflichten und ihrer Verantwortung arbeiten, gewahrt ist.

    Hinsichtlich des herzustellenden Ausgleichs zwischen dem Recht der Beamten auf freie Meinungsäußerung und dem Recht der Organe, das ihnen zur Verfügung stehende Personal gemäß Artikel 7 des Statuts entsprechend der Organisation ihrer Dienststellen nach ihrem Bedarf zu verwenden, ist festzustellen, dass das dienstliche Interesse und die Gleichwertigkeit der Dienstposten offenkundig Bedingungen darstellen, die geeignet sind, das Gleichgewicht zwischen diesen Rechten zu gewährleisten. Denn diese Bedingungen belassen einerseits dem betreffenden Organ das erforderliche Ermessen bei der Organisation seiner Dienststellen und dabei die Möglichkeit, den Beamten einen anderen als ihren bisherigen Aufgabenbereich zuzuweisen, und bieten andererseits den betroffenen Beamten die Gewähr dafür, dass eine entsprechende Umsetzung nicht durch willkürliche, dem dienstlichen Interesse fremde Erwägungen motiviert ist und nicht ihre statutarische Stellung beeinträchtigt. Folglich kann die Entscheidung über eine solche Umsetzung, wenn durch sie das dienstliche Interesse und die Gleichwertigkeit der Dienstposten gewahrt werden, das Recht des Betroffenen auf freie Meinungsäußerung nicht verletzen.

    (Randnrn. 157 bis 162)

    Vgl. Gerichtshof, 6. März 2001, Connolly/Kommission, C‑274/99 P, Slg. 2001, I‑1611, Randnrn. 43 bis 48

    6.      Die Fürsorgepflicht der Verwaltung spiegelt das Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten wider, das das Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und ihren Bediensteten geschaffen hat. Auch wenn die zuständige Stelle bei der Beurteilung des dienstlichen Interesses verpflichtet ist, sämtliche Umstände, die ihre Entscheidung beeinflussen können, und insbesondere auch die Interessen des betroffenen Bediensteten zu berücksichtigen, so kann doch die Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Beamten nicht so weit gehen, dass es der Anstellungsbehörde untersagt wäre, einen Beamten gegen seinen Willen umzusetzen.

    (Randnr. 192)

    Vgl. Costacurta/Kommission, Randnr. 78; Cwik/Kommission, Randnr. 52

    7.     Eine per E-Mail versandte Mitteilung, mit der dem gesamten Personal einer Gemeinschaftsbehörde der verfügende Teil einer Einzelentscheidung über die Umsetzung eines Beamten, die, da sie dem dienstlichen Interesse entspricht und die Gleichwertigkeit der Dienstposten wahrt, keinen Rechtsmangel aufweist und als solche keine Disziplinarmaßnahme ist, zur Kenntnis gebracht wird, stellt dennoch einen Amtsfehler dar, der zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Verfasser der Mitteilung durch die Formulierung „seiner Aufgaben enthoben“, die eine offensichtliche disziplinarische Konnotation hat, den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass die Entscheidung eine Disziplinarmaßnahme sei, da damit beim Personal oder zumindest bei einem Teil davon stark die Vorstellung hervorgerufen wird, dem Adressaten der Entscheidung sei durch seine Umsetzung in eine andere Dienststelle aus disziplinarischen Gründen eine Sanktion auferlegt worden. Ein solcher Amtsfehler hat dem betroffenen Beamten, dessen berufliche Fähigkeiten sowohl von seinen Vorgesetzten als auch von seinen Kollegen geschätzt werden, einen immateriellen Schaden verursacht, da er hierdurch in eine Lage versetzt worden ist, in der er sich wegen der ihn betreffenden Maßnahme fortwährend gegenüber seinen Kollegen rechtfertigen muss.

    (Randnrn. 202 bis 210)

    Vgl. Gericht, 6. März 2001, Campoli/Kommission, T‑100/00, Slg. ÖD 2001, I‑A‑71 und II‑347, Randnr. 76; Gericht, 12. Dezember 2002, Morello/Kommission, T‑338/00 und T‑376/00, Slg. ÖD 2002, I‑A‑301 und II‑1457, Randnr. 150

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