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Document 62003CC0543

Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 24. Februar 2005.
Christine Dodl und Petra Oberhollenzer gegen Tiroler Gebietskrankenkasse.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Innsbruck - Österreich.
Verordnungen (EWG) Nrn. 1408/71 und 574/72 - Familienleistungen - Erziehungsgeld - Anspruch auf gleichartige Leistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat und im Wohnmitgliedstaat.
Rechtssache C-543/03.

Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-05049

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2005:112

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 24. Februar 2005(1)



Rechtssache C-543/03



Christine Dodl ,
Petra Oberhollenzer
gegen
Tiroler Gebietskrankenkasse


(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Innsbruck)

„Auslegung von Artikel 73 in Verbindung mit Artikel 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu­‑ und abwandern, bezüglich einer Person, die in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, aber mit ihrem Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in dem der Ehegatte beschäftigt ist, und die zur Betreuung ihres Kleinkinds Erziehungsurlaub nimmt, während dessen das Beschäftigungsverhältnis karenziert ist – Gewährung von Betreuungsgeld nach österreichischem Recht oder Erziehungsgeld nach deutschem Recht“






I – Einleitung

1.        In diesem Fall stellt sich die Frage, wie die Kollisionsvorschriften der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 (2) betreffend die Verteilung von Zuständigkeiten für die Gewährung von Familienleistungen zwischen dem Beschäftigungsstaat und dem Wohnsitzstaat auszulegen und anzuwenden sind, wenn eine Person in einem Mitgliedstaat (Österreich) beschäftigt ist, aber zusammen mit ihrem Ehegatten oder Partner und Kindern in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) wohnt, in dem der Ehegatte oder Partner beschäftigt ist. Um dieselbe Frage geht es auch in der Rechtssache C‑153/03, Weide (3) , in der ein ähnlicher Zuständigkeitskonflikt zwischen Luxemburg als dem Beschäftigungsstaat und wiederum Deutschland als dem Wohnsitzstaat besteht. Generalanwältin Kokott hat ihre Schlussanträge in dieser Sache am 15. Juli 2004 vorgetragen (4) .

II – Einschlägige Rechtsvorschriften

2.        Die einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts lauten wie folgt:

Artikel 13 der Verordnung Nr. 1408/71

„(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a)
Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

…“

Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71

„Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71

„(1) Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.

…“

Artikel 10 der Verordnung Nr. 574/72

„(1) a)
Der Anspruch auf Familienleistungen oder -beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen der Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, ruht, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73, 74, 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen.

b)
Wird jedoch

i)
in dem Fall, in dem Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung geschuldet werden, von der Person, die Anspruch auf die Familienleistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, in dem unter Buchstabe a) erstgenannten Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt, so ruht der Anspruch auf die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats oder nach den genannten Artikeln geschuldeten Familienleistungen, und zwar bis zur Höhe der Familienleistungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist. Leistungen, die der Mitgliedstaat zahlt, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist, gehen zu Lasten dieses Staates;

ii)
…“

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

3.        Frau Dodl und Frau Oberhollenzer (im Folgenden: die Klägerinnen) besitzen die österreichische Staatsangehörigkeit, arbeiten in Österreich, wohnen aber mit ihrem Ehemann bzw. Lebensgefährten, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in Deutschland. Nach der Geburt ihrer Söhne nahmen die Klägerinnen dreieinhalb Monate (im Fall von Frau Dodl) bzw. fast zwei Jahre (im Fall von Frau Oberhollenzer) unbezahlten Erziehungsurlaub. Während dieser Zeit war ihr Arbeitsverhältnis karenziert.

4.        Beide Klägerinnen beantragten Bundeserziehungsgeld in Deutschland. Diese Anträge wurden von den deutschen Behörden mit der Begründung abgelehnt, dass Österreich als Beschäftigungsstaat der für diese Leistungen zuständige Mitgliedstaat sei. Im Fall von Frau Dodl sei auch die nach den deutschen Vorschriften normierte Einkommensgrenze für diese Beihilfe überschritten. Die Klägerinnen versuchten daraufhin, Kinderbetreuungsgeld in Österreich zu erhalten. Diese Anträge wurden jedoch ebenfalls abgelehnt. Unter Anwendung der Artikel 73, 75 und 76 der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 574/72 entschied die zuständige Einrichtung, die Tiroler Gebietskrankenkasse, dass die fraglichen Leistungen vorrangig vom Wohnsitzstaat zu erbringen seien.

5.        Gegen diese Bescheide erhoben die Klägerinnen Klage vor dem Landesgericht Innsbruck. Da dieses Gericht der Auffassung war, dass in Fällen, in denen die Eltern eines Kindes in unterschiedlichen Mitgliedstaaten arbeiten, der Staat für die Gewährung von Familienleistungen zuständig sei, in dem sich das Kind ständig aufhalte, wies es die Klagen ab. In Österreich gebühre den Klägerinnen lediglich die Zahlung des Differenzbetrags zwischen der österreichischen und der deutschen Leistung, sofern die deutsche Leistung niedriger sei. Gegen dieses Urteil legten die Klägerinnen Berufung beim Oberlandesgericht Innsbruck ein und machten geltend, dass der Beschäftigungsstaat für die Gewährung der fraglichen Familienleistungen zuständig sei, da diese Leistungen dazu dienten, Eltern, die aufgrund der Kinderbetreuung von ihrer Berufstätigkeit karenziert seien, ein Einkommen zu verschaffen.

6.        Das Oberlandesgericht Innsbruck beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung nach Artikel 234 EG vorzulegen:

1.
Ist Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in Verbindung mit Artikel 13 der Verordnung in der geänderten Fassung dahin auszulegen, dass auch Arbeitnehmer erfasst sind, deren Arbeitsverhältnis zwar aufrecht ist, aber das Arbeitsverhältnis keine Arbeits- und Entgeltspflichten begründet (karenziert ist) und nach nationalem Recht keine Sozialversicherungspflicht auslöst?

2.
Für den Fall der Bejahung der Frage 1:

Ist in einem solchen Fall die Zuständigkeit des Beschäftigerstaats zur Leistungserbringung gegeben, auch wenn der Arbeitnehmer und jene Familienangehörigen, für die eine Familienleistung wie das österreichische Kinderbetreuungsgeld zustehen könnte, insbesondere im Zeitraum des karenzierten Arbeitsverhältnisses nicht im Beschäftigerstaat gewohnt haben?

7.        Die Tiroler Gebietskrankenkasse (die Beklagte des Ausgangsverfahrens), die Regierungen von Österreich, Deutschland und Finnland sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die österreichische und die deutsche Regierung sowie die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2004 weiter zur Sache vorgetragen.

8.        Vor der mündlichen Verhandlung wurde die deutsche Regierung vom Gerichtshof gebeten, die Art des der österreichischen Familienbeihilfe entsprechenden Kindergelds, das der Ehemann bzw. Lebensgefährte der Klägerinnen bezieht, zu erläutern und anzugeben, wodurch es sich vom deutschen Bundeserziehungsgeld unterscheidet. Diese Informationen gingen beim Gerichtshof am 5. November 2004 ein. In ihrer Antwort erläutert die deutsche Regierung, dass das Kindergeld und das Bundeserziehungsgeld sich im Hinblick auf Zahlungsweise, Zielsetzungen und Anspruchsvoraussetzungen unterscheiden. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens steht fest – und wird auch von keinem der Beteiligten bestritten –, dass diese beiden Leistungen und das österreichische Kinderbetreuungsgeld Familienleistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof sind (5) .

IV – Die Antworten auf die Vorlagefragen

A – Die erste Vorlagefrage

9.        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Arbeitnehmer, der für einen bestimmten Zeitraum unbezahlten Erziehungsurlaub nimmt, dessen Arbeitsverhältnis aber aufrecht ist, obwohl die gegenseitigen Arbeits- und Entgeltspflichten karenziert sind, und der nach nationalem Recht keinen Sozialversicherungspflichten unterliegt, den Arbeitnehmerstatus für die Zwecke der Anwendung des Artikels 73 der Verordnung Nr. 1408/71 behält.

10.      Alle Beteiligten sind der Auffassung, dass diese Frage zu bejahen sei.

11.      Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 die Bestimmungen dieser Verordnung u. a. für Arbeitnehmer gelten, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. Der Begriff „Arbeitnehmer“ wird in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 definiert und bezeichnet jede Person, die im Rahmen eines Systems der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist (6) . Wie der Gerichtshof entschieden hat, bedeutet dies, dass eine Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 besitzt, sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko bei einem der in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (7) .

12.      Im Licht dieser Rechtsprechung ist es daher nicht so sehr der Status des Beschäftigungsverhältnisses, der bestimmt, ob eine Person weiterhin in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, sondern die Versicherung bei einem der in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung genannten Systeme der sozialen Sicherheit. Daraus folgt, dass die bloße Karenzierung der Hauptpflichten eines Beschäftigungsverhältnisses für einen bestimmten Zeitraum dem Beschäftigten nicht seinen Status als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 73 der Verordnung Nr. 1408/71 nehmen kann.

13.      Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit Artikel 13 der Verordnung Arbeitnehmer erfasst, deren Beschäftigungsverhältnis zwar aufrecht ist, aber aufgrund von unbezahltem Erziehungsurlaub keine Arbeits- oder Entgeltspflichten begründet und nach nationalem Recht keine Sozialversicherungspflicht auslöst.

B – Die zweite Vorlagefrage

14.      Die zweite dem Gerichtshof vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgelegte Frage betrifft die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Gewährung von Familienleistungen, wenn ein Gemeinschaftsarbeitnehmer in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, aber zusammen mit seinem Partner und Kind oder Kindern in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Ist der vorrangig zuständige Mitgliedstaat ausschließlich mit Rücksicht auf den Arbeitnehmerstatus der betreffenden Person zu ermitteln, oder können ihre familiären Umstände berücksichtigt werden? Zur Lösung dieses Problems können verschiedene Ansätze verfolgt werden, wie aus der folgenden Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten ersichtlich wird.

1. Erklärungen der Beteiligten

15.      Die Tiroler Gebietskrankenkasse und die österreichische Regierung vertreten die Ansicht, dass in Fällen, in denen beide Eltern in unterschiedlichen Mitgliedstaaten arbeiten und in beiden Staaten Anspruch auf Familienleistungen haben, die Lage des Mittelpunkts der Lebensinteressen der Familie für die Bestimmung des Mitgliedstaats ausschlaggebend sein sollte, der für die Gewährung der Familienleistungen vorrangig zuständig ist. Insoweit wird auf das Urteil des Gerichtshofes in den Rechtssachen Hoever und Zachow verwiesen (8) , in der festgestellt worden sei, dass in diesem Zusammenhang die Gesamtsituation der Familie zu berücksichtigen sei. Obwohl sie einräumen, dass die Klägerinnen Arbeitnehmerinnen im Sinne von Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 seien und dass daher wohl der Beschäftigungsstaat zuständig sei, weisen sie darauf hin, dass es nicht richtig sei, nur ihre Situation zu berücksichtigen. Wo nach dem so genannten Einheitsprinzip ein Anspruch auf eine einzige Ausgleichszahlung für Familienlasten pro Kind bestehe, sollte eine Leistungskumulierung vermieden werden. Insoweit bestimmten Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 und Artikel 10 der Verordnung Nr. 574/72, dass, wenn im Wohnsitzstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt werde, der vom Beschäftigungsstaat gewährte Leistungsanspruch bis zur Höhe der vom ersten Mitgliedstaat gewährten Leistungen ruhe. Falls diese Leistungen niedriger seien als die vom Beschäftigungsstaat gewährten Leistungen, so sei dieser Mitgliedstaat verpflichtet, sie bis zur Höhe der von ihm gewährten Leistungen aufzustocken. Diese Lösung liege im Interesse der Betroffenen, da sie ihnen das höchste Anspruchsniveau garantiere und somit zum Ziel der Verordnungen, die Mobilität der Arbeitnehmer zu erleichtern, beitrage. Daher sei Deutschland als Wohnsitzstaat vorrangig für die Gewährung der fraglichen Familienleistungen zuständig.

16.      Die deutsche Regierung macht demgegenüber geltend, es folge aus den Artikeln 13 und 73 der Verordnung Nr. 1408/71, dass die Klägerinnen Anspruch auf Familienleistungen in Österreich hätten, da sie in diesem Mitgliedstaat beschäftigt seien. Solche Leistungen dienten dazu, einem Elternteil während der Zeit, in der er aufgrund der Kinderbetreuung von seiner Berufstätigkeit karenziert sei, ein Einkommen zu verschaffen. Die Verordnung Nr. 1408/71 biete keine Grundlage dafür, die familiäre Situation zu berücksichtigen. Das Urteil Hoever und Zachow habe eine besondere Situation betroffen, und die in diesem Urteil aufgestellte Regel gelte nur in Fällen, in denen die Betroffenen im Beschäftigungsstaat keinen Anspruch auf Familienleistungen hätten, weil sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätten. Auch Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 gelte im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil die Partner der Klägerinnen die Anspruchsvoraussetzungen für solche Leistungen nach deutschem Recht nicht erfüllten. Die finnische Regierung ist ebenfalls der Auffassung, dass im vorliegenden Fall der Beschäftigungsstaat zuständig sei. Der Wohnsitzstaat sei nur dann zuständig, wenn es nicht möglich sei, das Recht des Beschäftigungsstaats anzuwenden. Falls es jedoch zu einer Anspruchskumulierung komme, sei der zuständige Mitgliedstaat auf der Grundlage von Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 zu bestimmen.

17.      Die Kommission hat im Grunde genommen beide Standpunkte vertreten. In ihren schriftlichen Erklärungen verweist sie darauf, dass sie in der Rechtssache Weide (9) vorgetragen habe, dass bei der Zuständigkeitsverteilung für die Gewährung von Familienleistungen nach Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 574/72 eher die „Familienbetrachtungsweise“ zugrunde zu legen sei, wie sie der Gerichtshof im Urteil Hoever und Zachow angewandt habe, als eine individuelle Betrachtungsweise. Unter den Umständen jenes Falles, die dem Sachverhalt des vorliegenden Falles entsprächen, würde dies dazu führen, dass der Wohnsitzstaat vorrangig zuständig sei. Gleichwohl erläutert die Kommission im vorliegenden Fall zunächst, dass sie das vorliegende Verfahren zum Anlass genommen habe, die Frage der „Familienbetrachtungsweise“, die sie sich im Fall Weide zu Eigen gemacht hatte, erneut zu überprüfen. In ihrer schriftlichen Stellungnahme führt sie aus, dass diese Betrachtungsweise nicht generalisiert werden, sondern auf Sachverhalte wie die der Rechtssachen Hoever und Zachow beschränkt bleiben sollte, wo die Betroffenen Gefahr gelaufen seien, ihre Ansprüche auf Familienleistungen zu verlieren, nachdem sie von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätten. Da das Beschäftigungsstaatsprinzip das Grundprinzip der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 darstelle, sollte ihm Vorrang eingeräumt werden, es sei denn, es führe zu untragbaren Konsequenzen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ihre Meinung jedoch erneut geändert. Unter Verweis auf die Urteile des Gerichtshofes in den Rechtssachen McMenamin (10) sowie Hoever und Zachow und auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Weide hat sie vorgetragen, dass sie nun nach einer weiteren, umfassenden internen Erörterung zu dem Schluss gekommen sei, dass die „Familienbetrachtungsweise“ zur Bestimmung des Mitgliedstaats angewandt werden solle, der für die Gewährung von Familienleistungen vorrangig zuständig sei. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Ehegatte im Wohnsitzstaat arbeite und die Beziehung der Familie zu diesem Staat offensichtlich eine größere Nähe aufweist, sei dieser gemäß Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 vorrangig für die Gewährung der fraglichen Familienleistungen zuständig.

2. Würdigung

18.      Aus dem Vortrag der Beteiligten wird deutlich, dass einige Verwirrung darüber herrscht, wie die Vorschriften der Verordnungen über die soziale Sicherheit, die die Verteilung der Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen zwischen dem Beschäftigungsstaat und dem Wohnsitzstaat regeln, auszulegen und anzuwenden sind, wenn die Eltern eines Kindes in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten arbeiten, aber gemeinsam in einem dieser Mitgliedstaaten wohnen. Dies zeigt sich nicht nur an der diametral entgegengesetzten Auslegung, die die beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu diesen Bestimmungen vertreten, sondern es wird auch durch die schwankende Haltung hervorgehoben, die die Kommission in dieser Angelegenheit eingenommen hat.

19.      Unterdessen sind die Klägerinnen in diesem Fall die Opfer eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen den beiden betroffenen Mitgliedstaaten. Einerseits folgt der Wohnsitzstaat (Deutschland) bei der Auslegung dieser Bestimmungen der „individuellen Betrachtungsweise“, was zur Zuständigkeit des Beschäftigungsstaats führt. Andererseits wendet der Beschäftigungsstaat der Klägerinnen (Österreich) die „Familienbetrachtungsweise“ an, woraus sich die Zuständigkeit des Wohnsitzstaates ergibt. Unter diesen Umständen besteht offensichtlich Bedarf an einer einheitlichen Betrachtungsweise bei der Auslegung dieser Bestimmungen, um das Entstehen solcher Situationen zu vermeiden. Wenn beide Betrachtungsweisen auf den ersten Blick vertretbar erscheinen, sollte meines Erachtens die Betrachtungsweise gewählt werden, die den Umständen des vorliegenden Falles am besten gerecht wird.

20.      Zunächst ist es nützlich, sich erneut die Hauptaussage der wichtigsten betroffenen Bestimmungen in Erinnerung zu rufen, um die rechtlichen Probleme herauszuarbeiten, um die es hier geht. Obwohl diese Bestimmungen nicht ausdrücklich vom Beschäftigungs- und Wohnsitzstaat sprechen, werde ich dies tun, um die Darstellung zu vereinfachen.

21.      Die Grundregel für die Verteilung von Zuständigkeiten für Leistungen der sozialen Sicherheit ist in Artikel 13 der Verordnung Nr. 1408/71 verankert, der, kurz gesagt, in Absatz 1 festlegt, dass Gemeinschaftsarbeitnehmer (11) den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen, und in Absatz 2 bestimmt, dass dieser Staat der Beschäftigungs staat ist, auch wenn der Arbeitnehmer im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 erstreckt diese Regelung auf den Bezug von Familienleistungen für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Sie werden so behandelt, als ob sie im Beschäftigungsstaat wohnten.

22.      Im Anschluss daran treffen die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 Vorkehrungen für verschiedene Situationen, in denen ein Anspruch auf Familienleistungen für denselben Familienangehörigen sowohl im Beschäftigungsstaat als auch im Wohnsitzstaat besteht. Diese Vorschriften sollen festlegen, welcher der beiden Mitgliedstaaten die fraglichen Leistungen vorrangig zu gewähren hat, um den Bezug von Doppelleistungen zu verhindern.

23.      Die erste dieser Situationen ist der Regelungsgegenstand von Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71. Diese Vorschrift betrifft einen Sachverhalt, in dem „aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ Familienleistungen nach dem Recht des Wohnsitzstaats gewährt werden. In diesem Fall ruht der Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsstaat bis zu dem Betrag der nach dem Recht des Wohnsitzstaats gewährten Leistungen. Dies impliziert, dass der Beschäftigungsstaat verpflichtet ist, den Unterschied zwischen den von ihm gewährten Leistungen und den im Wohnsitzstaat bezogenen Leistungen auszugleichen, wenn diese niedriger sind. In dieser Situation ist der Wohnsitz staat vorrangig zuständig.

24.      Die zweite Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Anspruch auf Familienleistungen im Wohnsitzstaat nicht von der Voraussetzung des Bestehens einer Versicherung oder einer Beschäftigung abhängig ist, was sie von dem in Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 geregelten Sachverhalt unterscheidet. In diesem Fall wird unterstellt, dass im Wohnsitzstaat kein Beschäftigungsverhältnis besteht. Unter diesen Umständen ruht gemäß Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72 der Anspruch auf die vom Wohnsitzstaat gewährten Leistungen zugunsten der vom Beschäftigungsstaat gewährten Familienleistungen für denselben Familienangehörigen wiederum bis zur Höhe dieser Leistungen. In diesem Fall ist der Beschäftigungs staat vorrangig zuständig.

25.      Auch in der dritten Situation werden die Leistungen vom Wohnsitzstaat unabhängig vom Bestehen einer Versicherung oder einer Beschäftigung gewährt. Im Unterschied zur zweiten Situation wird in diesem Fall jedoch „von [ (12) ] der Person, die Anspruch auf Familienleistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind“, im Wohnsitzstaat eine „Berufstätigkeit“ ausgeübt. Nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 hat diese wirtschaftliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat zur Folge, dass sich der Vorrang zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten erneut umkehrt: Der Anspruch auf vom Beschäftigungsstaat gewährte Familienleistungen ruht bis zur Höhe der Leistungen, die vom Wohnsitz staat gewährt werden.

26.      Schließlich bezieht sich Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 574/72 auf einen vierten Sachverhalt, der unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und Waisen betrifft und im vorliegenden Fall offensichtlich irrelevant ist.

27.      Bevor mit der Analyse fortgefahren werden kann, ist zunächst also zu ermitteln, welche dieser Vorschriften auf der Grundlage des im Vorlagebeschluss festgestellten Sachverhalts im vorliegenden Fall anwendbar ist. Die zweite Frage gibt nicht an, welche der oben genannten Vorschriften das Oberlandesgericht Innsbruck für anwendbar hält, obwohl sich die erste Vorlagefrage auf Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 bezieht. Angesichts der Tatsache jedoch, dass der Ehemann bzw. der Lebensgefährte der Klägerinnen im Wohnsitzstaat (Deutschland) beschäftigt ist, während die Klägerinnen selbst in Österreich erwerbstätig sind und es während ihres Erziehungsurlaubs auch bleiben, ist die anwendbare Vorschrift offensichtlich Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72. Die Frage, die es dann noch zu beantworten gilt, ist die, ob es für die Bestimmung des Vorrangs zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten für die Zahlung von Familienleistungen darauf ankommt, ob die Berufstätigkeit im Wohnsitzstaat von dem betroffenen Gemeinschaftsarbeitnehmer ausgeübt wird oder ob es sich dabei auch um den Ehegatten oder Lebensgefährten handeln kann.

28.      Mit dieser Frage hat sich der Gerichtshof bereits im Urteil McMenamin (13) befasst. Dieser Fall betraf einen ähnlichen Sachverhalt wie den, der dem Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegt. Eine Grenzgängerin, die Anspruch auf Zahlung von Familienleistungen im Beschäftigungsstaat (Vereinigtes Königreich) hatte, hatte auch Anspruch auf Beihilfen im Wohnsitzstaat (Irland), in dessen Gebiet nur ihr Ehegatte arbeitete. Nachdem der Gerichtshof festgestellt hatte, dass Artikel 13 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht ausschließe, dass für einzelne Leistungen besondere Vorschriften dieser Verordnung gälten, prüfte er weiter, „ob der Umstand, dass der Ehegatte des Empfängers von Familienleistungen im Sinne des Artikels 73 im Wohnstaat eine Berufstätigkeit ausübt, den aus Artikel 73 folgenden Anspruch aufheben kann, obwohl der Ehegatte nicht die ‚Person, die Anspruch auf die Familienleistungen oder ‑beihilfen hat, oder … [die] Person, an die sie zu zahlen sind‘, im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i ist“ (14) . Nach einer Analyse der Intention des Wortlauts dieser Vorschrift, die darin liege, „die Fälle der Aussetzung von nach Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 geschuldeten Leistungen nicht ein[zu]schränken, sondern aus[zu]dehnen“ (15) , kam der Gerichtshof zu der Schlussfolgerung: „Übt eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, im Wohnstaat dieser Kinder eine Berufstätigkeit aus, so wird der Anspruch auf die vom Beschäftigungsstaat nach Artikel 73 geschuldeten Leistungen ausgesetzt“ (16) .

29.      Mit anderen Worten: Wenn ein Elternteil eines Kindes im Wohnsitzstaat der Familie beschäftigt ist oder dort eine andere Berufstätigkeit ausübt, so ist der Wohnsitzstaat vorrangig für die Gewährung der Familienleistungen zuständig. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, unterschied der Gerichtshof bei der Anwendung von Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 nicht zwischen dem Grenzgänger und seinem Ehegatten oder Lebensgefährten. Damit hat er sich eindeutig der „Familienbetrachtungsweise“ bei der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung angeschlossen.

30.      Der Gerichtshof hat sich hierzu noch klarer im Urteil Hoever und Zachow geäußert, wo er feststellte, dass „die Frage, ob Familienleistungen einem Einzelnen zustehen, schon von ihrer Natur her nicht losgelöst von dessen familiärer Situation betrachtet werden [kann]. Wenn nämlich die Gewährung einer Beihilfe wie das Erziehungsgeld dem Ausgleich von Familienlasten dient, ist es ohne Bedeutung, welcher Elternteil sie in Anspruch nehmen will.“ (17) Obwohl die deutsche Regierung versucht, aufgrund des unterschiedlichen Sachverhalts die Bedeutung dieses Falles für die vorliegende Rechtssache in Zweifel zu ziehen, ist klar, dass die Feststellungen des Gerichtshofes im Urteil Hoever und Zachow als ein allgemeiner Leitgrundsatz bei der Auslegung der Vorschriften über die Zuständigkeitsverteilung für die Gewährung von Familienleistungen anzusehen sind. Dies wird in jüngerer Zeit durch das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Humer (18) bestätigt, wo er diese Erwägungen im Rahmen eines wiederum anders gelagerten Sachverhalts wiederholte.

31.      Dass die familiären Umstände bei der Zuständigkeitsverteilung für die Auszahlung von Familienleistungen berücksichtigt werden, erscheint aus materieller Sicht ganz im Sinne des Wesens und der Funktion von Familienleistungen zu liegen, da sie nicht, oder nicht in erster Linie, beschäftigungsbezogen sind. So hat der Gerichtshof erläutert, wenn Familienleistungen gemäß der Definition in Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt seien, so müsse darunter verstanden werden, dass diese Leistungen „einen staatlichen Beitrag zum Familienbudget, der die Kosten des Unterhalts von Kindern verringern soll“, darstellen (19) . Das Erziehungsgeld solle es daher „einem Elternteil ermöglichen …, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, und genauer betrachtet dazu dienen …, die Erziehung des Kindes zu vergüten, die anderen Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls die finanziellen Nachteile, die der Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen bedeutet, abzumildern“ (20) . Obwohl der letztgenannte Zweck in der Tat einen Entschädigungsgedanken für den Einkommensverlust beinhaltet, der mit der Inanspruchnahme von unbezahltem Erziehungsurlaub verbunden ist, ist dies meiner Ansicht nach nicht ausreichend, um solche Leistungen als spezifisch beschäftigungsbezogen zu qualifizieren, insbesondere weil davon ausgegangen werden kann, dass es keinen Zusammenhang zwischen einer solchen Leistung und der Höhe des Einkommens gibt, das der betroffene Arbeitnehmer zuvor erzielt hatte.

32.      Darüber hinaus möchte ich anmerken, dass die Anwendung der „individuellen Betrachtungsweise“ bei der Auslegung von Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 theoretisch dazu führen könnte, dass eine Familie zweimal in den Genuss von Leistungen kommen könnte, wenn der im Wohnsitzstaat beschäftigte Ehegatte oder Lebensgefährte einen Anspruch auf Leistungsgewährung hat, was den Zielen der Antikumulierungsvorschriften in den Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 zuwider liefe.

33.      Schließlich muss betont werden, dass die Feststellung der Zuständigkeit des Wohnsitzstaats die materiellen Interessen der betroffenen Leistungsempfänger in keiner Weise beeinträchtigt, wenn die Höhe der Leistungen niedriger ist als die Höhe der im Beschäftigungsstaat gewährten Leistungen. In diesem Fall ist der Beschäftigungsstaat verpflichtet, sie bis zur Höhe der von ihm gewährten Leistungen aufzustocken. Es ist immer gewährleistet, dass die Empfänger Leistungen entweder auf dem Niveau des Wohnsitz- oder des Beschäftigungsstaats erhalten, je nachdem, welches das höhere ist. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass Personen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, deshalb nicht weniger günstig behandelt werden dürfen, als wenn sie von dieser Freiheit nicht Gebrauch gemacht hätten (21) .

34.      Das Ergebnis muss daher lauten, dass, wenn eine Person in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, aber zusammen mit ihrem Ehegatten oder Partner in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in dem dieser Ehegatte oder Partner einer Erwerbstätigkeit nachgeht, der Wohnsitzstaat vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig ist.

V – Ergebnis

35.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die vom Oberlandesgericht Innsbruck nach Artikel 234 EG vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.
Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in Verbindung mit Artikel 13 dieser Verordnung erfasst auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zwar aufrecht ist, aber aufgrund von unbezahltem Erziehungsurlaub keine Arbeits- oder Entgeltspflichten begründet und nach nationalem Recht keine Sozialversicherungspflicht auslöst.

2.
Wenn eine Person in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, aber zusammen mit ihrem Ehegatten oder Partner in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in dem dieser Ehegatte oder Partner einer Erwerbstätigkeit nachgeht, so ist nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 der Wohnsitzstaat vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen wie dem Kinderbetreuungsgeld zuständig.


1
Originalsprache: Englisch.


2
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1386/2001 geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72).


3
Das Urteil in dieser Rechtssache steht noch aus.


4
Die Schlussanträge sind auf www.curia.eu.int verfügbar.


5
Vgl. Urteil vom 10. Oktober 1996 in den Rechtssachen C‑245/94 und C‑312/94 (Hoever und Zachow, Slg. 1996, I‑4895, Randnrn. 23 bis 27) und Urteil vom 5. Februar 2002 in der Rechtssache C‑255/99 (Humer, Slg. 2002, I‑1205, Randnrn. 31 bis 32).


6
Urteil vom 3. Mai 1990 in der Rechtssache C‑2/89 (Kits van Heijningen, Slg. 1990, I‑1755, Randnr. 9) und Urteil vom 30. Januar 1997 in den Rechtssachen C‑4/95 und C‑5/95 (Stöber und Piosa Pereira, Slg. 1997, I‑511, Randnr. 27).


7
Urteil vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C‑85/96 (Martínez Sala, Slg. 1998, I‑2691, Randnr. 36) und Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C‑275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998, I‑3419, Randnr. 21).


8
Rechtssachen C‑245/94 und C‑312/94 (Hoever und Zachow, oben zitiert in Fußnote 5, Randnr. 37).


9
Anhängig, vgl. Fußnote 3.


10
Urteil vom 9. Dezember 1992 in der Rechtssache C‑119/91 (McMenamin, Slg. 1992, I‑6393).


11
Dieser Begriff wird hier für den Ausdruck „Arbeitnehmer“ im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 verwendet.


12
Betrifft nur die englische Fassung.


13
Rechtssache C‑119/91, oben zitiert in Fußnote 10.


14
Randnr. 16.


15
Randnr. 23.


16
Randnr. 25.


17
Rechtssachen C‑245/94 und C‑312/94, oben zitiert in Fußnote 5, Randnr. 37.


18
Rechtssache C‑255/99 (Humer, oben zitiert in Fußnote 5, Randnr. 50).


19
Urteil vom 15. März 2001 in der Rechtssache C‑85/99 (Offermans, Slg. 2001, I‑2261, Randnr. 41).


20
Ibidem, Randnr. 39.


21
Vgl. z. B. Rechtssachen C‑245/94 und C‑312/94, oben zitiert in Fußnote 5, Randnr. 36, und Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑224/98 (D’Hoop, Slg. 2002, I‑6191, Randnr. 30).

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