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Document 62002TJ0196
Judgment of the Court of First Instance (Fourth Chamber, extended composition) of 12 September 2007. # MTU Friedrichshafen GmbH v Commission of the European Communities. # State aid - Restructuring aid - Decision ordering the recovery of aid incompatible with the common market - Article 13(1) of Regulation (EC) No 659/1999 - Joint and several liability. # Case T-196/02.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte erweiterte Kammer) vom 12. September 2007.
MTU Friedrichshafen GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Staatliche Beihilfen - Umstrukturierungsbeihilfe - Entscheidung, mit der die Rückforderung einer unvereinbaren Beihilfe angeordnet wird - Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 - Gesamtschuldnerische Haftung.
Rechtssache T-196/02.
Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte erweiterte Kammer) vom 12. September 2007.
MTU Friedrichshafen GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Staatliche Beihilfen - Umstrukturierungsbeihilfe - Entscheidung, mit der die Rückforderung einer unvereinbaren Beihilfe angeordnet wird - Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 - Gesamtschuldnerische Haftung.
Rechtssache T-196/02.
Sammlung der Rechtsprechung 2007 II-02889
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2007:252
Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache T‑196/02
MTU Friedrichshafen GmbH mit Sitz in Friedrichshafen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Montag und T. Lübbig,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz, V. Di Bucci und T. Scharf als Bevollmächtigte,
Beklagte,
betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung von Art. 3 Abs. 2 der Entscheidung 2002/898/EG der Kommission vom 9. April 2002 über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der SKL Motoren‑ und Systembautechnik GmbH (ABl. L 314, S. 75)
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten H. Legal, der Richterin I. Wiszniewska-Białecka sowie der Richter V. Vadapalas, E. Moavero Milanesi und N. Wahl,
Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2007
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1. Art. 87 EG sieht vor:
„(1) Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
…“
2. Art. 88 EG bestimmt:
„…
(2) Stellt die Kommission fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach Artikel 87 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt wird, so entscheidet sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat.
…“
3. Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88] EG (ABl. L 83, S. 1) lautet:
„(1) Befindet sich die Kommission im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche rechtswidrige Beihilfen, so prüft sie diese Informationen unverzüglich.
(2) Gegebenenfalls verlangt die Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte. In diesem Fall gelten Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 5 Absätze 1 und 2 entsprechend.
(3) Werden von dem betreffenden Mitgliedstaat trotz eines Erinnerungsschreibens nach Artikel 5 Absatz 2 die verlangten Auskünfte innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskünfte durch Entscheidung an (nachstehend ‚Anordnung zur Auskunftserteilung‘ genannt). Die Entscheidung bezeichnet die angeforderten Auskünfte und legt eine angemessene Frist zur Erteilung dieser Auskünfte fest.“
4. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sieht vor:
„Nach Prüfung einer etwaigen rechtswidrigen Beihilfe ergeht eine Entscheidung nach Artikel 4 Absätze 2, 3 oder 4. Bei Entscheidungen zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens wird das Verfahren durch eine Entscheidung nach Artikel 7 abgeschlossen. Bei Nichtbefolgung der Anordnung zur Auskunftserteilung wird die Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen.“
5. Art. 14 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) In Negativentscheidungen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern (nachstehend ‚Rückforderungsentscheidung‘ genannt). Die Kommission verlangt nicht die Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde.
…“
Sachverhalt
6. Mit Schreiben vom 9. April 1998 meldeten die deutschen Behörden der Kommission mehrere Beihilfemaßnahmen, insbesondere über die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (im Folgenden: BvS), zugunsten der SKL Motoren‑ und Systemtechnik GmbH (im Folgenden: SKL‑M) im Rahmen ihrer Umstrukturierung. Da ein Teil dieser Beihilfen bereits gewährt worden war, wurde der Vorgang als nicht angemeldete Beihilfe unter der Nr. NN 56/98 registriert.
7. SKL‑M, ein Unternehmen, das vor seiner Umstrukturierung zur Lintra Beteiligungsholding GmbH gehörte, fertigt Motoren für Schiffe.
8. Infolge der Bemühungen der BvS gingen im Jahr 1997 SKL‑M und die MTU Friedrichshafen GmbH (im Folgenden: MTU oder Klägerin), ein Unternehmen, das leistungsstarke Dieselmotoren herstellt, vor dem Hintergrund der geplanten Übernahme der SKL‑M durch MTU eine vertragliche Beziehung ein.
9. Am 5. November 1997 schlossen MTU und SKL‑M zwei Verträge. Der erste Vertrag räumt MTU eine Kaufoption für Geschäftsanteile der SKL‑M ein mit der Möglichkeit, bis zum 1. Dezember 1999 sämtliche Geschäftsanteile zum symbolischen Preis von einer Deutschen Mark und danach bis zum 31. Dezember 2001 zu einem „vernünftigen Preis“ zu erwerben. Der zweite Vertrag (Wechselseitiger Lizenz‑ und Kooperationsvertrag zwischen SKL‑M und MTU, im Folgenden: WLKV) zur Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens bestimmt die Modalitäten für die gemeinsame Nutzung des bei beiden Unternehmen vorhandenen Know‑how sowie die Entwicklung, Herstellung und den Verkauf zweier neuer Motorentypen, nämlich eines Gas- und eines Reihenmotors. Ein dritter Vertrag wurde am gleichen Tag zwischen der BvS, dem Land Sachsen‑Anhalt und SKL‑M über die Auszahlung der Umstrukturierungsbeihilfen geschlossen.
10. Obwohl MTU die im ersten Vertrag vorgesehene Option schließlich nicht ausübte und von einer Übernahme der SKL‑M wegen juristischer Unsicherheiten in Bezug auf die zuvor von Deutschland an SKL‑M gezahlten Beihilfen absah, setzten diese und MTU ihre Zusammenarbeit im Rahmen des WLKV dennoch fort.
11. Am 15. Juni 2000 machte MTU von ihrem Recht gemäß Art. 5 des WLKV Gebrauch; nach dieser Bestimmung war sie gegenüber Dritten berechtigt, das Know‑how gemäß dem WLKV einschließlich vorhandener oder bis dahin entstehender diesbezüglicher Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldungen exklusiv zu nutzen. Als Gegenleistung für dieses Recht erhielt SKL‑M eine Vergütung in Form einer Einmalzahlung zur Deckung der entstandenen Entwicklungsaufwendungen im Rahmen des in Anlage I des WLKV vereinbarten Budgets, und zwar 4,31 Mio. Deutsche Mark (DM) für die Gas‑ und 2,4 Mio. DM für die Reihenmotoren, insgesamt also 6,71 Mio. DM (3,43 Mio. Euro). Art. 5 WLKV räumte SKL‑M auch die Möglichkeit ein, ihr eigenes Know-how, einschließlich des auf MTU übertragenen, unabhängig von den zuvor genannten Schutzrechten zu nutzen.
12. Im Juli 2000 wurde das Know‑how erfasst und MTU zugänglich gemacht, die den im WLKV vorgesehenen Betrag an SKL‑M zahlte.
13. Da die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung der von den deutschen Behörden übermittelten Auskünfte der Ansicht war, dass die streitigen Maßnahmen Anlass zu erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gaben, informierte sie mit Schreiben vom 8. August 2000 die deutschen Behörden über ihren Beschluss, das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG einzuleiten. Die Kommission veröffentlichte diesen Beschluss im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2001, C 27, S. 5) und forderte die Beteiligten zur Stellungnahme auf. Bei dieser Gelegenheit bat die Kommission die deutschen Behörden auch um Mitteilung, ob MTU von den SKL-M gewährten Beihilfen profitiert hatte oder davon profitieren konnte (Ziff. 103 des Beschlusses über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens).
14. In dem Einleitungsschreiben und der beigefügten Zusammenfassung legte die Kommission vor allem dar, dass MTU zu keiner Zeit der rechtmäßige Eigentümer von SKL‑M gewesen sei und dass der erste – oben in Randnr. 9 genannte – Vertrag ihr nur eine Option eingeräumt habe, von der damals nach den von den deutschen Behörden gemachten Angaben nicht sicher gewesen sei, ob MTU sie tatsächlich ausgeübt habe. Im Juni 2000 habe MTU die Zusammenarbeit mit SKL‑M im Rahmen des WLKV eingestellt. Allerdings habe MTU SKL‑M seit November 1997 operationell kontrolliert. Die Kommission bezweifle auch, dass MTU in einem mit einer offenen Ausschreibung vergleichbaren Verfahren ausgewählt worden sei. Sie zog daraus den Schluss, dass MTU auf verschiedene Arten von den SKL‑M gewährten staatlichen Beihilfen habe profitieren können oder in Zukunft profitieren könnte: erstens unmittelbar, falls ein Teil der Beihilfen für Zwecke verwendet worden sei, an denen eher MTU als SKL‑M ein Interesse habe; zweitens aufgrund des WLKV mit der Option für MTU, das gesamte vor und im Rahmen der Kooperation von SKL‑M gewonnene Know-how zu einem Festpreis zu erwerben, falls MTU von dieser Option Gebrauch machen und der Preis nicht dem tatsächlichen oder voraussichtlichen Marktwert entsprechen würde.
15. Am 1. September 2000 wurde das Insolvenzverfahren über SKL‑M eröffnet.
16. Am 16. Oktober 2000, 6. April und 17. Oktober 2001 nahm die Bundesrepublik Deutschland zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens Stellung. Es gingen keine Stellungnahmen Dritter bei der Kommission ein.
17. Mit Schreiben vom 19. September 2001 forderte die Kommission die deutschen Behörden nach Art. 10 der Verordnung Nr. 659/1999 auf, die Informationen zu übermitteln, die zur Beurteilung der Vereinbarkeit der SKL‑M gewährten Beihilfen notwendig seien. In diesem Schreiben führte die Kommission insbesondere aus, dass sie aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Informationen weder feststellen könne, ob ein Teil der SKL‑M gewährten Beihilfen eher im Interesse von MTU als von SKL‑M verwendet worden sei, noch, ob MTU ihre Option ausgeübt habe, das von SKL‑M vor oder während der Geltung des WLKV geschaffene Know-how zu einem festen Preis zu erwerben, und ob der gezahlte Preis seinem tatsächlichen oder erwarteten Marktwert entsprochen habe. Sollten diese Informationen nicht gegeben werden, werde die Kommission auf der Grundlage der verfügbaren Informationen entscheiden. Sie bat die deutschen Behörden auch, das Aufforderungsschreiben dem etwaigen Empfänger der Beihilfen zu übermitteln.
18. Am 9. November 2001 erinnerte die Kommission die deutschen Behörden daran, dass sie eine Entscheidung nach Art. 13 der Verordnung Nr. 659/99 auf der Grundlage der ihr zu Verfügung stehenden Informationen treffen werde, wenn die deutschen Behörden nicht der Aufforderung nachkämen und die Informationen übermittelten.
19. Mit Schreiben vom 23. Januar, 26. Februar und 11. März 2002 kamen die deutschen Behörden dem Auskunftsersuchen nach.
20. Mit Schreiben vom 5. März 2002 übermittelten sie der Kommission auch die Stellungnahme von MTU zu der Entscheidung, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, insbesondere zur Verwendung des Know‑how und zu dem von MTU an SKL‑M nach dem WLKV bezahlten Preis.
21. Am 9. April 2002 erließ die Kommission die Entscheidung Nr. 2002/898/EG über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der SKL‑M (ABl. L 314, S. 75, im Folgenden: angefochtene Entscheidung).
22. In der Begründung der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission unter der Überschrift „Würdigung der Beihilfe“ fest, zum einen habe die SKL‑M gewährte Beihilfe zur Umstrukturierung nicht den Bedingungen der Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12) entsprochen und zum anderen habe die Bundesrepublik Deutschland nicht genügend Informationen geliefert, um auszuschließen, dass MTU indirekt über den WLKV von der SKL‑M während der Umstrukturierungsphase zum Ausgleich ihrer Verluste gewährten Beihilfe profitierte habe. Es habe sich herausgestellt, dass der von MTU an SKL‑M für die Abtretung des Know-how auf der Grundlage der 1997 geschätzten Entwicklungskosten gezahlte Preis um 5,30 Mio. DM geringer als die von SKL‑M aufgewendeten tatsächlichen Entwicklungskosten sei. Da die deutschen Behörden keine objektiven Informationen über den tatsächlichen oder voraussichtlichen Marktwert des Know-how geliefert hätten, stellte die Kommission fest, dass die Umstrukturierungshilfe, die wenigstens teilweise zum Ausgleich der durch die Entwicklung des Know-how bedingten Verluste gedient haben könnte, eher im Interesse von MTU statt im Interesse von SKL‑M genutzt worden sein könnte. Es stehe nicht mit dem Prinzip eines marktwirtschaftlich orientierten Investors in Einklang, dass das staatlich kontrollierte Unternehmen SKL‑M das Kostenrisiko habe tragen müssen. In Randnr. 86 der angefochtenen Entscheidung heißt es, dass der Know‑how-Transfer einem Transfer staatlicher Mittel an MTU in Höhe von bis zu 5,30 Mio. DM gleichkommen könnte.
23. Im verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung wird in Art. 1 festgestellt, dass die staatlichen Beihilfen in Höhe von 67,017 Mio. DM (34,26 Mio. Euro), die die deutschen Behörden SKL‑M gewährt haben, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind; nach Art. 3 Abs. 2 sind von dem Gesamtbetrag, den die deutschen Behörden zurückfordern müssen, 5,30 Mio. DM (2,71 Mio. Euro) von SKL‑M und MTU als Gesamtschuldnerinnen zurückzufordern.
Verfahren und Anträge der Parteien
24. Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 28. Juni 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, nach Art. 230 EG die vorliegende Klage erhoben.
25. Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.
26. Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 10. Mai 2007 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
27. Die Klägerin beantragt,
– Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als in dieser Bestimmung angeordnet wird, einen Betrag von 5,30 Mio. DM (2,71 Mio. Euro) von ihr als Gesamtschuldnerin zurückzufordern;
– der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
28. Die Kommission beantragt,
– die Klage als unbegründet abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
29. Die Klägerin stützt ihre Nichtigkeitsklage im Wesentlichen auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie Begründungsmängel und Rechtsfehler hinsichtlich des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen einer Beihilfe zu ihren Gunsten. Mit dem zweiten Klagegrund rügt sie die fehlerhafte Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 und die Verletzung der Verfahrensgarantie, dass der Sachverhalt ordnungsgemäß und unparteiisch ermittelt wird.
30. Die Kommission bestreitet die Begründetheit jedes der beiden Klagegründe.
31. Zunächst ist der zweite Klagegrund der fehlerhaften Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 und der Verletzung der Verfahrensgarantie, dass der Sachverhalt ordnungsgemäß und unparteiisch ermittelt wird, zu prüfen.
Vorbringen der Parteien
32. Die Klägerin trägt vor, dass die Kommission nach Art. 13 der Verordnung Nr. 659/1999 eine endgültige Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen könne, wenn ein Mitgliedstaat einer Anordnung zur Auskunftserteilung nicht nachkomme. Im vorliegenden Fall habe die Kommission aber entgegen der Darstellung in der angefochtenen Entscheidung bei Erlass der Entscheidung über alle notwendigen Informationen verfügt. Daher habe sich die Kommission zu Unrecht damit begnügt, die angefochtene Entscheidung auf die „verfügbaren Informationen“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zu stützen und insbesondere auf das Schreiben des Insolvenzverwalters der SKL‑M vom 9. Januar 2002 zu verweisen, das sich die deutschen Behörden nicht zu eigen gemacht hätten.
33. Ferner sei die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichts (Urteil vom 21. März 2001, Métropole télévision/Kommission, T‑206/99, Slg. 2001, II‑1057, Randnr. 57) gehalten, alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls sorgfältig und unparteiisch zu prüfen. Die Kommission habe aber Informationen außer Acht gelassen und nur die der Klägerin ungünstigen Angaben berücksichtigt. Außerdem hätte die Kommission, wenn sie Zweifel an ihren Angaben gehabt hätte, die Bundesregierung oder sie selbst befragen können, um z. B. ein Gutachten anzufordern.
34. Nach Ansicht der Klägerin verstößt es auch gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, wenn die Kommission ein Unternehmen verpflichte, einen genau bezifferten Betrag zu erstatten, ohne zuvor nachzuweisen, dass ihm dieser Betrag als mit dem Gemeinsamen Markt für unvereinbar erklärte Beihilfe gezahlt worden sei. Die Kommission sei daher nicht zum Erlass von Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung befugt gewesen, weil sie die Rückforderung einer Beihilfe nur von ihrem Empfänger verlangen könne. Auch kenne die Verordnung Nr. 659/1999 keine gesamtschuldnerische Haftung, die im Übrigen in einem dem Rechtsstaatsprinzip unterworfenen Verwaltungsverfahren nicht ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage angeordnet werden könne. Schließlich lägen die Ausführungen der Kommission zur gesamtschuldnerischen Haftung im Kartellbußgeldverfahren neben der Sache.
35. Die Kommission führt aus, dass sie die angefochtene Entscheidung nach Aktenlage getroffen habe und dass ihr weder sachdienliche Informationen zu einer möglichen Begünstigung von MTU noch zum Marktwert des betroffenen Know-how vorgelegen hätten. MTU habe in ihrer am 5. März 2002 von den deutschen Behörden übermittelten Stellungnahme selbst implizit anerkannt, dass die Entwicklungskosten für das Know-how höher als der Marktwert der Prototypen gewesen seien. Somit sei die angefochtene Entscheidung nach Aktenlage ergangen.
36. Nach den für staatliche Beihilfeverfahren geltenden Grundsätzen genieße im vorliegenden Fall nur die Bundesrepublik Deutschland volle Parteirechte. Also seien die Angaben dieses Mitgliedstaats für die angefochtene Entscheidung maßgeblich. Potenzielle oder tatsächliche Beihilfeempfänger könnten sich zwar am Prüfverfahren beteiligen, hätten aber kein Recht darauf, dass die Kommission ihnen die Möglichkeit einräume, die von den Mitgliedstaaten gemachten Angaben zu überprüfen. Die Kommission verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 24. September 2002, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, C‑74/00 P und C‑75/00 P, Slg. 2002, I‑7869, Randnr. 84) und trägt vor, dass MTU nicht die Möglichkeit genutzt habe, eine Stellungnahme im Prüfverfahren über die streitige Beihilfe abzugeben, und somit nicht in ihren Rechten verletzt sei.
37. Darüber hinaus habe sie aufgrund der ihr bei Erlass der angefochtenen Entscheidung vorliegenden Informationen nicht gegen ein Unternehmen allein entscheiden können. Infolgedessen habe sie die Rückforderung dieser Beihilfe von SKL‑M und MTU als Gesamtschuldner anordnen müssen.
38. Diese gesamtschuldnerische Haftung könne keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken hervorrufen. Eine solche Haftung sei nämlich schon im Bereich des Wettbewerbsrechts auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage für zulässig erachtet worden (Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Metsä-Serla u. a./Kommission, T‑339/94 bis T‑342/94, Slg. 1998, II‑1727, Randnrn. 42 ff.). Ähnliches müsse deshalb auch in einem Verfahren, das staatliche Beihilfen betreffe, zulässig sein.
Würdigung durch das Gericht
39. Mit Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 wurde die Rechtsprechung des Gerichtshofs übernommen, wonach die Kommission eine Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen darf, wenn sie sich einem Mitgliedstaat gegenübersieht, der seiner Mitwirkungspflicht nicht genügt und ihr die Informationen, die sie von ihm verlangt hat, um die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen, nicht vorlegt (Urteile des Gerichtshofs vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, „Boussac“, C‑301/87, Slg. 1990, I‑307, Randnrn. 19 und 22, und vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission, C‑324/90 und C‑342/90, Slg. 1994, I‑1173, Randnr. 26).
40. In Anbetracht dieser sehr weit gefassten Befugnis der Kommission muss diese, bevor sie eine solche Entscheidung trifft, jedoch bestimmte Verfahrenserfordernisse beachten (Urteil des Gerichts vom 19. Oktober 2005, Freistaat Thüringen/Kommission, T‑318/00, Slg. 2005, II‑4179, Randnr. 73). Diese Erfordernisse sind in Art. 5 Abs. 2, Art. 10 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegt.
41. Im Einzelnen sieht Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 vor: „Werden von dem betreffenden Mitgliedstaat trotz eines Erinnerungsschreibens nach Artikel 5 Absatz 2 die verlangten Auskünfte innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskünfte durch Entscheidung an.“ Darüber hinaus muss nach dem letzten Satz dieser Vorschrift diese Anordnung zur Auskunftserteilung „die angeforderten Auskünfte“ bezeichnen und „eine angemessene Frist zur Erteilung dieser Auskünfte“ festlegen. Schließlich ist die Kommission nach Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung nur „bei Nichtbefolgen“ einer solchen Anordnung befugt, das Verfahren zu beenden und die Entscheidung über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt „auf der Grundlage der verfügbaren Informationen“ zu erlassen.
42. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 berechtigt war, auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen die angefochtene Entscheidung zu erlassen und insbesondere MTU die Verpflichtung aufzuerlegen, einen Teil der SKL‑M gewährten Beihilfe als Gesamtschuldnerin zurückzuerstatten.
43. Erstens ergibt sich aus dem oben in den Randnrn. 13 bis 20 dargelegten Ablauf des Verwaltungsverfahrens, dass die Kommission die zunächst von der Rechtsprechung aufgestellten und dann in Art. 10 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegten Verfahrenserfordernisse beachtet hat, um die angefochtene Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen zu können.
44. Die Kommission hat die deutschen Behörden mindestens dreimal aufgefordert, ihr die Auskünfte zu erteilen, die erforderlich waren, um die Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt zu überprüfen. Dabei hat sie es weder unterlassen, die „angeforderten Auskünfte“ zu bezeichnen, noch, „eine angemessene Frist zur Erteilung dieser Auskünfte“ festzulegen. Schließlich hat die Kommission die deutschen Behörden noch daran erinnert, dass die Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen würde, wenn sie der Anordnung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb von zehn Tagen nachkämen.
45. Zweitens erlaubt Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 der Kommission, ein förmliches Prüfverfahren durch eine Entscheidung nach Art. 7 dieser Verordnung abzuschließen. Insbesondere wenn der betroffene Mitgliedstaat der Kommission die angeforderten Auskünfte nicht erteilt hat, kann die Kommission eine Entscheidung erlassen, mit der die Unvereinbarkeit der Beihilfe auf der Grundlage der verfügbaren Informationen festgestellt wird, und gegebenenfalls anordnen, dass der betroffene Mitgliedstaat die Beihilfe von den Empfängern gemäß Art. 14 der Verordnung Nr. 659/1999 zurückfordert.
46. Dagegen erlaubt Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 der Kommission nicht, ein bestimmtes Unternehmen, und sei es als Gesamtschuldner, zu verpflichten, einen bestimmten Teil einer für unvereinbar erklärten Beihilfe zurückzuerstatten, wenn es sich bei dem Transfer staatlicher Mittel an dieses Unternehmen um eine Vermutung handelt.
47. Zum einen beschränkt sich die Kommission, wie sich aus der insbesondere im Erwägungsgrund 88 aufgeführten Schlussfolgerung der angefochtenen Entscheidung ergibt, auf die Feststellung, dass „sich auf der Grundlage der verfügbaren Informationen nicht ausschließen [lasse]“, dass MTU beim Erwerb eines Know-how zu als vorteilhaft anzusehenden Bedingungen von einem Transfer von Mitteln von Seiten des unterstützten Unternehmens SKL‑M profitiert habe.
48. Daraus ergibt sich, dass die in der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Verpflichtung zur gesamtschuldnerischen Rückerstattung auf Vermutungen gegründet ist, die durch die der Kommission zur Verfügung stehenden Informationen weder bestätigt noch widerlegt werden können.
49. Zum anderen ist es, da die angefochtene Entscheidung der Klägerin eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Rückerstattung eines Teils der Beihilfe auferlegt, Aufgabe der nationalen Behörden, diesen Teil von ihr zurückzufordern, wenn SKL‑M diese Rückzahlung nicht leisten kann, ohne dass die Begründetheit dieser gesamtschuldnerischen Verpflichtung von den nationalen Behörden beurteilt werden kann.
50. Eine solche Situation ergibt sich aber keinesfalls zwingend aus der Anwendung des durch den EG-Vertrag festgelegten Verfahrens im Bereich staatlicher Beihilfen, da der Mitgliedstaat, der die zurückzufordernde Beihilfe gewährt hat, auf jeden Fall verpflichtet ist, diese unter Aufsicht der Kommission von den tatsächlichen Empfängern zurückzufordern; dafür ist es nicht unerlässlich, diese Empfänger in der Rückforderungsentscheidung ausdrücklich zu benennen oder gar den Betrag genau anzugeben, den der jeweilige Empfänger zurückzuerstatten hat.
51. Daraus ergibt sich, dass sich die Kommission nicht auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 stützen konnte, um MTU mit der angefochtenen Entscheidung zu verpflichten, einen Teil der SKL-M gewährten Beihilfe als Gesamtschuldnerin zurückzuerstatten.
52. Folglich ist, ohne dass der andere von der Klägerin geltend gemachte Klagegrund geprüft zu werden braucht, Art. 3 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin angeordnet wird, dass ein Betrag in Höhe von 2,71 Mio. Euro von der Klägerin als Gesamtschuldnerin zurückzufordern ist.
Kosten
53. Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Art. 3 Abs. 2 der Entscheidung 2002/898/EG der Kommission vom 9. April 2002 über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der SKL Motoren- und Systembautechnik GmbH wird für nichtig erklärt, soweit darin angeordnet wird, dass ein Betrag in Höhe von 2,71 Mio. Euro von der MTU Friedrichshafen GmbH als Gesamtschuldnerin zurückzufordern ist.
2. Die Kommission trägt die Kosten der MTU Friedrichshafen sowie ihre eigenen Kosten.