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Judgment of the Court (Second Chamber) of 30 September 2004.#Engin Ayaz v Land Baden-Württemberg.#Reference for a preliminary ruling: Verwaltungsgericht Stuttgart - Germany.#EEC-Turkey Association - Freedom of movement for workers - First paragraph of Article 7 of Decision No 1/80 of the Association Council - Personal scope - Concept of 'member of the family' of a Turkish worker duly registered as belonging to the labour force of a Member State - Stepson of such a worker.#Case C-275/02.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 30. September 2004. Engin Ayaz gegen Land Baden-Württemberg. Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Stuttgart - Deutschland. Assoziation EWG - Türkei - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates - Persönlicher Anwendungsbereich - Begriff des "Familienangehörigen" eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers - Stiefsohn eines solchen Arbeitnehmers. Rechtssache C-275/02.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 30. September 2004. Engin Ayaz gegen Land Baden-Württemberg. Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Stuttgart - Deutschland. Assoziation EWG - Türkei - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates - Persönlicher Anwendungsbereich - Begriff des "Familienangehörigen" eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers - Stiefsohn eines solchen Arbeitnehmers. Rechtssache C-275/02.
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart)
„Assoziation EWG–Türkei – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates – Persönlicher Anwendungsbereich – Begriff des ‚Familienangehörigen‘ eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers
– Stiefsohn eines solchen Arbeitnehmers“
Leitsätze des Urteils
Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Durch das Assoziierungsabkommen EWG–Türkei geschaffener Assoziationsrat
– Beschluss über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Familienzusammenführung – Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers – Begriff – Stiefsohn, der noch nicht 21 Jahre alt ist oder Unterhalt
bezieht – Einbeziehung
(Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG–Türkei, Artikel 7 Satz 1)
Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG–Türkei ist dahin auszulegen, dass der noch nicht 21 Jahre
alte oder Unterhalt beziehende Stiefsohn eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats
angehört, Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist und die Rechte nach diesem Beschluss besitzt, wenn er ordnungsgemäß
die Genehmigung erhalten hat, zu diesem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen.
(vgl. Randnr. 48 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer) 30. September 2004(1)
In der Rechtssache C-275/02betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht vom Verwaltungsgericht Stuttgart (Deutschland) mit Beschluss vom 11. Juli 2002, beim Gerichtshof eingetragen am 26. Juli 2002, in dem Verfahren
Engin Ayaz
gegen
Land Baden-Württemberg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und R. Schintgen
(Berichterstatter) sowie der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed, Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch S. Karajan als Bevollmächtigte,
–
der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,
–
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates
vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde
durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichtet,
das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft
andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossen,
gebilligt und bestätigt wurde (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685; im Folgenden: Assoziierungsabkommen).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ayaz, einem türkischen Staatsangehörigen (im Folgenden:
Kläger), und dem Land Baden-Württemberg über dessen Entscheidung, die befristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des
Klägers für Deutschland abzulehnen und ihn aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats auszuweisen.
Rechtlicher Rahmen
Die Assoziation EWG–Türkei
3
Nach Artikel 2 Absatz 1 hat das Assoziierungsabkommen zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels‑ und
Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, auch im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern durch die schrittweise
Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 12) sowie die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit
(Artikel 13) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Artikel 14), um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu bessern und
später den Beitritt der Republik Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierte Begründungserwägung und Artikel 28).
4
Dazu sieht das Assoziierungsabkommen eine Vorbereitungsphase vor, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft
mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Artikel 3), eine Übergangsphase, in der die schrittweise Errichtung einer Zollunion
und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken vorgesehen ist (Artikel 4), und eine auf der Zollunion beruhende Endphase, die
eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einschließt (Artikel 5).
5
Artikel 12 in Titel II – Durchführung der Übergangsphase – des Assoziierungsabkommens lautet:
„Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten
zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.“
6
Artikel 22 Absatz 1 des Assoziierungsabkommens sieht vor:
„Zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen ist der Assoziationsrat befugt, Beschlüsse
zu fassen. Jede der beiden Parteien ist verpflichtet, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
...“
7
Das Zusatzprotokoll, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom
19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1; im Folgenden Zusatzprotokoll) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt
wurde, legt in Artikel 1 die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Artikel 4 des Assoziierungsabkommens
genannten Übergangsphase fest. Nach Artikel 62 des Zusatzprotokolls ist es Bestandteil dieses Abkommens.
8
Das Zusatzprotokoll enthält einen Titel II – Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr – mit dem Kapitel I – Arbeitskräfte.
9
Artikel 36 des Zusatzprotokolls, der zu Kapitel I gehört, bestimmt, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten
der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften
und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens schrittweise hergestellt wird und
dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt.
10
Am 19. September 1980 nahm der Assoziationsrat den Beschluss Nr. 1/80 an. Die Artikel 6, 7 und 14 dieses Beschlusses sind
in Kapitel II – Soziale Bestimmungen – Abschnitt 1 – Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer – enthalten.
11
Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:
„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische
Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat:
–
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber,
wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
–
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft
einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen
Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
–
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.“
12
Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die
die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
–
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich
auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
–
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens
fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.“
13
Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses bestimmt:
„Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit
gerechtfertigt sind.“
Sonstiges einschlägiges Gemeinschaftsrecht
14
Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl.
L 245, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1612/68) lautet:
„Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats
beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:
a)
sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
b)
seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt.“
Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfrage
15
Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, zog der am 24. September 1979 geborene ledige Kläger zusammen mit seiner Mutter
1991 zu seinem Stiefvater nach Deutschland.
16
Es steht fest, dass des Klägers Stiefvater, ein türkischer Staatsangehöriger, seit den 80er Jahren als Arbeitnehmer dem regulären
Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört und sich dort erlaubt aufhält.
17
Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge war die Mutter des Klägers zu keinem Zeitpunkt berechtigt, in Deutschland zu
arbeiten.
18
Seit seiner Einreise nach Deutschland lebte der Kläger – von einer kürzeren Unterbrechung Ende 1999 abgesehen – bei seiner
Mutter und seinem Stiefvater. Während seines Aufenthalts in Deutschland erwarb er den Hauptschulabschluss und besuchte danach
für ein Jahr eine Berufsfachschule. Im Anschluss daran begann er zwei Berufsausbildungen, die er nicht abschloss. Nach einer
Zeit der Arbeitslosigkeit war er zeitweise als Fahrer beschäftigt.
19
Zwischen 1997 und 2001 wurde der Kläger von deutschen Gerichten mehrfach wegen verschiedener Straftaten verurteilt.
20
Dem Kläger wurden in Deutschland bis zum 31. Oktober 1999 jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt.
21
Am 8. Juli 1999 stellte er einen Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis, der nicht förmlich beschieden wurde.
22
Am 24. März 2000 beantragte der Kläger die befristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
23
Mit Verfügung vom 9. August 2000 lehnte das Landratsamt Rems‑Murr‑Kreis diesen letzten Antrag ab und forderte den Kläger unter
Androhung seiner Ausweisung in die Türkei bei Nichtbefolgung auf, Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser
Ablehnung zu verlassen.
24
Am 14. September 2000 legte der Kläger Widerspruch gegen diese Entscheidung ein und beantragte zugleich beim Verwaltungsgericht
Stuttgart vorläufigen Rechtsschutz.
25
Durch Beschluss vom 30. Oktober 2000 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs an.
26
Am 8. Februar 2002 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück, da von ihm wegen
der von ihm begangenen schweren Straftaten eine hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe und weil weder
das deutsche Grundgesetz noch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten seiner Ausweisung
entgegenstehe.
27
Am 5. März 2002 erhob der Kläger gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart.
28
Den Angaben dieses Gerichts zufolge ist die angefochtene Entscheidung vom 8. Februar 2002 nach deutschem Recht rechtmäßig,
da das Ausländergesetz die automatische Ausweisung eines Ausländers vorsehe, der wie der Kläger in den letzten fünf Jahren
rechtskräftig zu insgesamt dreieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt worden sei.
29
Es müsse jedoch geprüft werden, ob sich der Kläger auf den Ausweisungsschutz nach Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80
berufen könne, wie er im Urteil vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C‑340/97 (Nazli, Slg. 2000, I‑957, Randnrn. 50 bis
64) ausgelegt worden sei. Denn zum einen ergebe sich aus diesem Urteil, dass Artikel 14 Absatz 1 einer Ausweisung eines türkischen
Staatsangehörigen, der ein unmittelbar durch den Beschluss Nr. 1/80 gewährtes Recht innehabe, entgegenstehe, wenn diese Maßnahme
aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt worden sei, ohne dass das
persönliche Verhalten des Betroffenen konkreten Anlass zu der Annahme gebe, dass er weitere schwere Straftaten begehen werde,
die die öffentliche Ordnung im Aufnahmemitgliedstaat stören könnten. Zum anderen weise das persönliche Verhalten des Klägers
nicht auf eine konkrete Gefahr für neue schwere Störungen der öffentlichen Ordnung hin, so dass nach Artikel 14 Absatz 1 des
Beschlusses Nr. 1/80 die Ausweisungsverfügung aufzuheben wäre.
30
Ob diese Vorschrift jedoch im Ausgangsverfahren anwendbar sei, hänge davon ab, ob der Betroffene zum Kreis der vom Beschluss
Nr. 1/80 geschützten Personen gehöre.
31
Der Kläger könne sich nicht auf die Rechte berufen, die Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 einem in den Arbeitsmarkt
des Mitgliedstaats integrierten türkischen Arbeitnehmer gewähre, da er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfülle.
32
Ein Aufenthaltsrecht in Deutschland nach Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 könne der Kläger auch nicht von seiner
Mutter ableiten, weil diese zu keinem Zeitpunkt dort Arbeitnehmerin gewesen sei. Dagegen gehöre der Stiefvater des Klägers
dem regulären deutschen Arbeitsmarkt an, so dass sich die Frage stelle, ob der Kläger als „Familienangehöriger“ im Sinne dieser
Vorschrift anzusehen sei. Diese Frage sei nicht geklärt.
33
Da es eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung des Rechtsstreits für erforderlich hält, hat das Verwaltungsgericht
Stuttgart das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist der unter 21 Jahre alte Stiefsohn eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats
angehört, Familienangehöriger im Sinne des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80?
Zur Vorlagefrage
34
Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist einleitend daran zu erinnern, dass, wie sich bereits aus dem Wortlaut des Artikels 7
Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, die Inanspruchnahme der in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechte von den beiden dort
genannten, nebeneinander zu erfüllenden Voraussetzungen abhängt, und zwar muss die betreffende Person zum einen Familienangehöriger
eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers sein, und zum anderen
muss sie von den zuständigen Behörden dieses Staates die Genehmigung erhalten haben, zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen.
35
Was diese zweite Voraussetzung angeht, lassen nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften über die Assoziation zwischen
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Befugnis
der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die
Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, so dass die erstmalige Zulassung der Einreise solcher Staatsangehörigen
in einen Mitgliedstaat im Grundsatz ausschließlich dem Recht dieses Staates unterliegt (vgl. zuletzt Urteil vom 21. Oktober
2003 in den Rechtssachen C‑317/01 und C‑369/01, Abatay u. a., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 63
und 65).
36
Im Ausgangsverfahren bezieht sich die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage nur auf die erste in Randnummer 34 dieses Urteils
genannte Voraussetzung.
37
In Bezug auf diese Voraussetzung betrifft die gestellte Frage nicht die Eigenschaft des türkischen Staatsangehörigen, der
sich schon im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet, als Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats angehört
– die das Vorlagegericht als gegeben ansieht –, sondern geht nur dahin, ob der Stiefsohn eines solchen Arbeitnehmers ein „Familienangehöriger“
nach Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ist.
38
Die genannte Vorschrift enthält keine Definition des Begriffes „Familienangehöriger“ des Arbeitnehmers.
39
Dieser Begriff ist jedoch auf Gemeinschaftsebene einheitlich auszulegen, um seine homogene Anwendung in den Mitgliedstaaten
sicherzustellen.
40
Seine Bedeutung ist daher nach dem mit ihm verfolgten Zweck und dem Zusammenhang, in den er sich einfügt, zu bestimmen.
41
Zum einen soll, wie der Gerichtshof schon entschieden hat, die durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 eingeführte
Regelung günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat schaffen, indem den Familienangehörigen
zunächst gestattet wird, bei dem Wanderarbeitnehmer zu leben, und ihre Stellung nach einer gewissen Zeit durch die Verleihung
des Rechts gestärkt wird, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen (vgl. u. a. Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache
C‑351/95, Kadiman, Slg. 1997, I‑2133, Randnrn. 34 bis 36).
42
Zum anderen wird der gleiche Zweck durch die Verordnung Nr. 1612/68 – die, wie der Gerichtshof in den Randnummern 82 und 83
des Urteils vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C‑171/01 (Wählergruppe Gemeinsam, Slg. 2003, I‑4301) festgestellt hat, dazu
bestimmt ist, die Vorschriften des Artikels 48 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) zu konkretisieren – verfolgt,
insbesondere durch ihren Artikel 10 Absatz 1.
43
Im Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C‑413/99 (Baumbast und R, Slg. 2002, I‑7091, Randnr. 57) hat der Gerichtshof
hierzu entschieden, dass sich das Recht des „Ehegatte[n] sowie [der] Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht einundzwanzig
Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird“, auf Wohnungsnahme bei dem Wanderarbeitnehmer nach der genannten Vorschrift
der Verordnung Nr. 1612/68 sowohl auf die Abkömmlinge des Arbeitnehmers als auch auf die seines Ehegatten bezieht.
44
Der Gerichtshof hat seit dem Urteil vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C‑434/93 (Bozkurt, Slg. 1995, I‑1475, Randnrn. 14,
19 und 20) in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut der Artikel 12 des Assoziierungsabkommens und 36 des Zusatzprotokolls
sowie aus dem Zweck des Beschlusses Nr. 1/80, der auf die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Anlehnung
an die Artikel 48 EG‑Vertrag, 49 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 40 EG) und 50 EG‑Vertrag (jetzt Artikel 41 EG) gerichtet
ist, hergeleitet, dass die im Rahmen dieser Artikel geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer,
die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden müssen (vgl. zuletzt Urteil Wählergruppe Gemeinsam,
Randnr. 72, und entsprechend zu dem die Dienstleistungsfreiheit betreffenden Artikel 14 des Assoziierungsabkommens Urteil
Abatay u. a., Randnr. 112).
45
Daraus folgt, dass bei der Bestimmung der Bedeutung des Begriffes „Familienangehöriger“ in Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses
Nr. 1/80 auf die dem gleichen Begriff im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft
gegebene Auslegung abzustellen ist, insbesondere auf die Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 zuerkannte Bedeutung
(vgl. entsprechend Urteil Wählergruppe Gemeinsam und Urteil vom 16. September 2004 in der Rechtssache C‑465/01, Kommission/Österreich,
Slg. 2004, I-0000, zur Umsetzung der Artikel 8 Absatz 1 dieser Verordnung gegebenen Auslegung zur Verwirklichung des passiven
Wahlrechts türkischer Arbeitnehmer zu Einrichtungen wie den Arbeiterkammern oder den Betriebsräten).
46
Im Übrigen enthält Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bedeutung des Begriffes „Familienangehöriger“
des Arbeitnehmers auf dessen Blutsverwandte beschränkt wäre.
47
Diese Auslegung wird außerdem durch das Urteil vom 11. November 1999 in der Rechtssache C‑179/98 (Mesbah, Slg. 1999, I‑7955)
bestätigt, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass sich der Begriff „Familienangehöriger“ des marokkanischen Wanderarbeitnehmers
im Sinne von Artikel 41 Absatz 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78
des Rates vom 26. September 1978 (ABl. L 264, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko auf die Verwandten in aufsteigender Linie des Arbeitnehmers
und seines Ehegatten erstreckt, die mit dem Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat zusammenleben. Diese Auslegung im Rahmen
eines Kooperationsabkommens muss erst recht für ein Assoziierungsabkommen gelten, das weitergesteckte Ziele verfolgt (siehe
Randnr. 3 dieses Urteils).
48
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass
der noch nicht 21 Jahre alte oder Unterhalt beziehende Stiefsohn eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaats angehört, Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist und die Rechte nach diesem Beschluss besitzt,
wenn er ordnungsgemäß die Genehmigung erhalten hat, zu diesem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen.
Kosten
49
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von
Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen,
dass der noch nicht 21 Jahre alte oder Unterhalt beziehende Stiefsohn eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaats angehört, Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist und die Rechte nach diesem Beschluss besitzt,
wenn er ordnungsgemäß die Genehmigung erhalten hat, zu diesem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen. Unterschriften.