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Document 62002CC0264

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 25. September 2003.
Cofinoga Mérignac SA gegen Sylvain Sachithanathan.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance de Vienne - Frankreich.
Richtlinien87/102/EWG und 90/88/EWG - Verbraucherkredit - Verbraucherinformation - Effektiver Jahreszins - Variabler Zinssatz - Verlängerung des Vertrages.
Rechtssache C-264/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2004 I-02157

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2003:505

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ANTONIO TIZZANO
vom 25. September 2003(1)



Rechtssache C-264/02



Cofinoga Merignac SA
gegen
Sylvain Sachithanathan


(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal d'instance Vienne [Frankreich])

„Verbraucherschutz – Verbraucherkredit – Verlängerung des Vertrages – Variabler Zinssatz – Effektiver Jahreszins – Fehlende Verbraucherinformation – Berücksichtigung von Amts wegen – Ausschlussfrist – Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht“






1.        Das Tribunal d’instance Vienne (Frankreich) (im Folgenden: Tribunal Vienne) hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 5. Juli 2002 vier Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (2) (im Folgenden: Richtlinie oder Richtlinie 87/102) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.        Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, welche Informationspflichten die Richtlinie dem Kreditinstitut, das ein Darlehen gewährt, gegenüber dem Verbraucher auferlegt, wenn das Darlehen in der Eröffnung eines Guthabens besteht, das in Teilbeträgen und mit Kreditkarte abgerufen werden kann, in monatlichen Raten rückzahlbar ist und einem variablen Zinssatz unterliegt. Der Gerichtshof wird außerdem ersucht, festzustellen, ob das mit der Richtlinie eingeführte System des Verbraucherschutzes das nationale Gericht verpflichtet oder ermächtigt, im Rahmen einer von dem Kreditinstitut erhobenen Zahlungsklage gegen den Darlehensnehmer/Verbraucher von Amts wegen mögliche Verstöße gegen diese Informationspflichten zu berücksichtigen, und zwar obwohl die im anwendbaren nationalen Recht vorgesehene zweijährige Ausschlussfrist abgelaufen ist.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen

3.        Die Richtlinie 87/102 hat die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Verbraucherkredits zum Gegenstand, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Kreditgebern zu beseitigen (zweite Begründungserwägung) und so einen gemeinsamen Verbraucherkreditmarkt zu schaffen (vierte Begründungserwägung).

4.        Nach Artikel 1 findet die Richtlinie auf „Kreditverträge“ Anwendung, d. h. auf Verträge, bei denen „ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht“.

5.        Soweit hier von Belang, führt die Richtlinie eine harmonisierte Regelung über die Informationen ein, die dem Verbraucher im Bereich des Verbraucherkredits gegeben werden müssen, und legt fest, dass sowohl in der Werbung (Artikel 3) als auch in der für den Abschluss des Verbraucherkreditvertrags zwingend vorgeschriebenen Vertragsurkunde (Artikel 4) bestimmte Angaben enthalten sein müssen.

6.        Artikel 4 Absatz 2 bestimmt insbesondere:

„In der Vertragsurkunde ist Folgendes anzugeben:

a)
der effektive Jahreszins;

b)
die Bedingungen, unter denen der effektive Jahreszins geändert werden kann;

...

Falls die Angabe des effektiven Jahreszinses nicht möglich ist, sind dem Verbraucher in der Vertragsurkunde angemessene Informationen zu geben. Diese Angaben müssen mindestens die in Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Informationen umfassen.“

7.        Dieser effektive Jahreszins wird in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe e definiert und stellt „die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher [dar], die als jährlicher Vomhundertsatz des gewährten Kredits ausgedrückt sind und gemäß Artikel 1a ermittelt werden“.

8.        Soweit hier von Belang, sieht Artikel 1a Absatz 1 vor:

„a)
Der effektive Jahreszins, der auf Jahresbasis die Gleichheit zwischen den Gegenwartswerten der gesamten gegenwärtigen oder künftigen Verpflichtungen (Darlehen, Tilgungszahlungen und Unkosten) des Darlehensgebers und des Verbrauchers herstellt, wird anhand der in Anhang II dargestellten mathematischen Formel berechnet.

...“

9.        Ebenfalls zur Definition des effektiven Jahreszinses und seiner Berechnungsmodalitäten bestimmt Artikel 1a Absatz 6, soweit hier von Belang, außerdem:

„In Kreditverträgen mit Klauseln, nach denen der Zinssatz und der Betrag oder die Höhe sonstiger Kosten, die in dem effektiven Jahreszins enthalten sind, deren Quantifizierung zum Zeitpunkt ihrer Berechnung aber nicht möglich ist, geändert werden können, wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Zinssatz und die sonstigen Kosten gemessen an der ursprünglichen Höhe fest bleiben und bis zum Ende des Kreditvertrags gelten.“

10.      Die Tragweite dieser Informationspflichten wird in Artikel 2 Absatz 1 festgelegt, nach dem die Richtlinie u. a. keine Anwendung findet

„...

e)
auf Verträge, aufgrund deren Kredite durch ein Kredit- oder Geldinstitut in Form von Überziehungskrediten auf laufenden Konten gewährt werden, mit Ausnahme der Kreditkartenkonten.

Jedoch ist auf solche Kredite Artikel 6 anwendbar;

...“

11.      Artikel 6 bestimmt:

„(1)   Unbeschadet der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e) ist der Verbraucher im Falle eines Vertrages zwischen ihm und einem Kredit- oder Finanzinstitut über die Gewährung eines Kredits in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto, vor Vertragsabschluss oder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu informieren:

über die etwaige Höchstgrenze des Kreditbetrags;

über den Jahreszins und die bei Abschluss des Vertrages in Rechnung gestellten Kosten sowie darüber, unter welchen Voraussetzungen diese geändert werden können;

über die Modalitäten einer Beendigung des Vertragsverhältnisses.

Diese Informationen sind schriftlich zu bestätigen.

(2)     Ferner ist der Verbraucher während der Laufzeit des Vertrages über jede Änderung des Jahreszinses und der in Rechnung gestellten Kosten im Augenblick ihres Eintretens zu unterrichten. Diese Unterrichtung kann in Form eines Kontoauszuges oder in einer anderen für die Mitgliedstaaten annehmbaren Form erfolgen

...“

12.      Nach ihrem Artikel 15 schließlich hindert die Richtlinie „die Mitgliedstaaten nicht, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag weiter gehende Vorschriften zum Schutz der Verbraucher aufrechtzuerhalten oder zu erlassen“.

B – Die nationalen Rechtsvorschriften

13.      In der französischen Rechtsordnung wird der Verbraucherkredit in Kapitel I, Titel I, Drittes Buch des Code de la consommation (Verbraucherkodex; im Folgenden: Kodex) geregelt.

14.      Nach Artikel L. 311-8 des Kodex werden Kreditverträge gemäß den Bedingungen geschlossen, die in einem vorherigen, dem Kreditnehmer in doppelter Ausfertigung übermittelten Angebot genannt sind; in dem Angebot sind, soweit hier von Belang, der Kreditbetrag, sein effektiver Jahreszins und der Gesamtbetrag der zuzüglich zu den Zinsen erhobenen Gebühren anzugeben (Artikel L. 311-10).

15.      Nach Artikel L. 311-33 verliert ein Kreditgeber, der einen Kredit gewährt, ohne dem Kreditnehmer ein vorheriges Angebot zu übermitteln, das die genannten Bedingungen erfüllt, den Zinsanspruch. Der Kreditnehmer ist somit nur zur Rückzahlung des Kapitals verpflichtet.

16.      Nach Artikel L. 311-9 ist die Laufzeit von Verträgen über einen „Kredit, der unabhängig davon, ob er an die Verwendung einer Kreditkarte gebunden ist, es dem Darlehensnehmer ermöglicht, den gewährten Kreditbetrag in Teilbeträgen zu von ihm gewählten Zeitpunkten abzurufen“ (3) , auf ein Jahr mit der Möglichkeit der Verlängerung begrenzt. In solchen Fällen ist das vorherige Angebot nach Artikel L. 311-8 vorbehaltlich der Verpflichtung des Darlehensgebers, die Bedingungen für die Verlängerung des Vertrages drei Monate zuvor mitzuteilen, nur für den ersten Vertrag obligatorisch.

17.      Artikel L. 311-37 des Kodex in der zur Zeit der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Ereignisse geltenden Fassung bestimmt: „Für Streitigkeiten aus der Anwendung des vorliegenden Kapitels ist das Tribunal d’instance zuständig. Klagen sind innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem die Streitigkeit auslösenden Ereignis bei diesem Gericht zu erheben ...“ (4)

II – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18.      Aufgrund eines am 1. Juli 1993 geschlossenen Vertrages gewährte die Cofinoga Merignac SA (im Folgenden: Cofinoga), ein Kreditinstitut, Herrn Sachithanathan einen mit Kreditkarte in Teilbeträgen abrufbaren Kredit, der in monatlichen Raten zurückzuzahlen war und einem variablen Zinssatz unterlag.

19.      Der für die Laufzeit von einem Jahr geschlossene Vertrag wurde mehrmals verlängert. Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, enthielt die Mitteilung, mit der Cofinoga den Darlehensnehmer nach Artikel L. 311-9 des Kodex (oben, Nr. 16) jedes Jahr drei Monate zuvor auf die Bedingungen für die Verlängerung des Vertrages hinwies, nur die Angabe des monatlichen effektiven Zinses für den Monat der Zusendung dieser Schreiben. Nicht erwähnt wurde dagegen der effektive Jahres zins (vgl. oben, Nrn. 7 und 8), der im darauffolgenden Zeitpunkt der Verlängerung gelten würde.

20.      Nachdem einige Raten des Darlehens nicht gezahlt worden waren, forderte Cofinoga den Darlehensnehmer am 19. Juli 2000 auf, den Restbetrag des ihm gewährten Darlehens zurückzuzahlen. Da ihre Forderung jedoch nicht befriedigt wurde, verklagte sie Herrn Sachithanathan am 19. November 2001 beim Tribunal Vienne auf Zahlung des für Kapital, Zinsen und Vertragsstrafe geschuldeten Betrages. Der Beklagte ließ sich auf den Rechtsstreit nicht ein.

21.      Da das Gericht der Auffassung ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung mehrerer Bestimmungen der Richtlinie 87/102 abhänge, hat es dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.
[Ist] die Richtlinie (87/102/EWG) des Rates vom 22. Dezember 1986 ... so auszulegen, dass sie den nationalen Richter dazu verpflichte[t], einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, dem Darlehensnehmer/Verbraucher den geltenden effektiven Jahreszins vor jeder Verlängerung eines in Teilbeträgen abrufbaren Kredits mit variabler Zinsklausel schriftlich mitzuteilen?

2.
[Ist] die [genannte Richtlinie] so auszulegen, dass sie den nationalen Richter dazu verpflichte[t], einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, diesem Verbraucher die Klausel über die Veränderung dieses effektiven Jahreszinssatzes vor jeder Verlängerung eines solchen Vertrages mitzuteilen?

3.
[Ist] die [genannte Richtlinie] so auszulegen, dass der Richter danach einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug geben muss, die ihn ermächtigt, einem Einwand der Rechtswidrigkeit hinsichtlich des Abschlusses oder der Verlängerung eines Verbraucherkreditvertrags wie dem der fehlenden Angabe des effektiven Jahreszinses, der vom Verbraucher geltend gemacht oder von Amts wegen berücksichtigt wird, ohne zeitliche Begrenzung im Rahmen eines Rechtsstreits wegen einer Zahlungsklage des Kreditinstituts Geltung zu verschaffen?

4.
Wenn dies verneint wird, [ist] die [genannte Richtlinie] so auszulegen, dass der Richter danach einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug geben muss, die ihn ermächtigt, eine Bestimmung nationalen Rechts, die es dem Verbraucher oder dem Richter verwehrt, einen Einwand der Rechtswidrigkeit hinsichtlich des Abschlusses oder der Verlängerung eines Verbraucherkreditvertrags nach Ablauf einer vom allgemeinen Recht abweichenden Frist geltend zu machen, unangewendet zu lassen, weil diese Frist eine außergewöhnliche Beschränkung des Klagerechts des Verbrauchers darstellen und die Effektivität seines Schutzes beeinträchtigen würde?

22.      In dem Verfahren vor dem Gerichtshof haben Cofinoga, die französische und die belgische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission Erklärungen eingereicht.

III – Rechtliche Prüfung

A – Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

1. Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten

23.      Die ersten beiden Fragen des vorlegenden Gerichts gehen im Wesentlichen dahin, ob die Richtlinie 87/102 es verpflichtet, der Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach der Kreditgeber anlässlich jeder Verlängerung eines Vertrages, dessen Gegenstand die Eröffnung eines Guthabens ist, das mit Kreditkarte in Teilbeträgen abgerufen werden kann, in monatlichen Raten rückzahlbar ist und einem variablen Zinssatz unterliegt, verpflichtet ist, den Kreditnehmer schriftlich über den geltenden effektiven Jahreszins und über die Bedingungen, unter denen dieser geändert werden kann, zu informieren.

24.      Cofinoga, die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs (5) schlagen vor, diese Fragen zu verneinen. Ihrer Auffassung nach betreffen in einem Fall wie dem vorliegenden die dem Kreditgeber nach Artikel 4 der Richtlinie obliegenden Informationspflichten nicht die Verlängerung des Vertrages.

25.      Sie weisen übereinstimmend darauf hin, dass nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie die Angabe des effektiven Jahreszinses (oder entsprechende „angemessene Informationen“ (6) ) und die Angabe der Bedingungen, unter denen der effektive Jahreszins geändert werden kann, zwingend Bestandteil der schriftlichen Urkunde sein müssten, mit der der Vertrag geschlossen werde. Daraus schließen sie, dass sich die Informationspflichten der Richtlinie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erschöpften.

26.      Zur Stützung einer solchen Auslegung hebt die Regierung des Vereinigten Königreichs insbesondere hervor, dass die in Artikel 4 der Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten den Zweck hätten, es dem Verbraucher zu ermöglichen, die Kosten des Darlehens zu beurteilen und mit anderen Darlehensangeboten zu vergleichen, bevor er sich an den einen oder den anderen Anbieter binde. Dieses Ziel werde mit einer dem Vertragsabschluss vorausgehenden oder gleichzeitig mit diesem erfolgenden Information wirksam erreicht; eine spätere Information sei dagegen keineswegs erforderlich, um diesen Zweck zu erreichen.

27.      Davon ausgehend und mit Rücksicht darauf, dass Artikel 4 den Kreditgeber nicht verpflichte, den Kreditnehmer über den zum Zeitpunkt der Verlängerung geltenden effektiven Jahreszins oder darüber zu informieren, dass ein variabler Zinssatz vereinbart werde, stellen sich Cofinoga und die Regierung des Vereinigten Königreichs sodann die Frage, ob sich aus Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie eine andere Schlussfolgerung ergeben könne. Diese Bestimmung verpflichtet den Kreditgeber nämlich, den Kreditnehmer über jede Änderung des Jahreszinses zu unterrichten, die während der Laufzeit bestimmter Arten von Kreditverträgen eintritt.

28.      Beide meinen jedoch, dass entgegen der vom vorlegenden Gericht offenbar vertretenen Auffassung, Verträge wie der in Rede stehende über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinausgingen. Der Anwendungsbereich des Artikels 6 werde nämlich ausdrücklich in Absatz 1 dieses Artikels definiert und erstrecke sich ausschließlich auf die „Gewährung eines Kredits in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto“. Da im vorliegenden Fall der dem Kreditnehmer gewährte Kredit kein Überziehungskredit auf einem laufenden Konto und zudem an eine Kreditkarte gebunden sei, sei daraus abzuleiten, dass Artikel 6 Absatz 2 hier nicht anwendbar und der Kreditgeber daher nicht verpflichtet sei, den Kreditnehmer über die Änderungen des Jahreszinses während der Laufzeit des Vertrages oder bei seiner Verlängerung zu unterrichten.

29.      Nach Auffassung von Cofinoga schließlich wäre eine andere Auslegung der Richtlinie nicht praktikabel, da es sowohl aufgrund der Besonderheit des französischen Rechts als auch aufgrund der Natur des in Rede stehenden Vertrages möglich sei, den Verbraucher vor der Verlängerung des Kreditvertrags über den zum Zeitpunkt der Verlängerung geltenden effektiven Jahreszins zu unterrichten.

30.      Zunächst habe nach französischem Recht ein Vertrag wie der in Rede stehende über einen „Kredit, der ... es dem Darlehensnehmer ermöglicht, den gewährten Kreditbetrag in Teilbeträgen zu von ihm gewählten Zeitpunkten abzurufen“, eine auf ein Jahr begrenzte Laufzeit und sei verlängerbar; die Verlängerung setze jedoch voraus, dass dem Darlehensnehmer drei Monate zuvor die betreffenden Bedingungen mitgeteilt würden (Artikel L. 311-9 des Code de la consommation, vgl. oben, Nr. 16).

31.      Wenn nun die Vertragsbestimmungen vorsähen, dass sich der Zinssatz, wie im vorliegenden Fall, monatlich ändern könne, sei es nicht möglich, den zum Zeitpunkt der Verlängerung geltenden effektiven Jahreszins diese drei Monate zuvor anzugeben. Dies liege gerade daran, dass der monatliche Zins, der bei der Verlängerung gelte und anhand dessen der effektive Jahreszins veranschlagt werde, im Zeitpunkt der in Artikel L. 311‑9 vorgesehenen Mitteilung nicht bekannt sei, da er sich in den drei auf diese Mitteilung folgenden Monaten durchaus ändern könne.

32.      Die belgische Regierung und die Kommission schlagen dagegen vor, die ersten beiden Fragen zu bejahen.

33.      Im Einzelnen macht die belgische Regierung mit einer Argumentation, mit der sich übrigens auch die Regierung des Vereinigten Königreichs, wenn auch unbestimmt, befasst hatte, im Wesentlichen geltend, dass die Antwort auf die ersten beiden Fragen von der Qualifizierung des Rechtsakts abhänge, mit dem die Vertragsverlängerung erfolge, wobei die Qualifizierung auf der Grundlage des auf den Kreditvertrag anwendbaren nationalen Rechts vorgenommen werde.

34.      Wenn dieser Rechtsakt so beschaffen sei, dass er eine bloße Aufrechterhaltung der Wirkungen des ursprünglichen Vertrages bestimme, sei klar, dass keine Informationspflicht bestehe. Wenn er dagegen zum Abschluss eines neuen Vertrages führe, seien die Informationen nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie erforderlich.

35.      Da dem Vorlagebeschluss wohl entnommen werden könne, dass die Verlängerung eines Vertrages im französischen Recht genauso wie der Abschluss eines neuen Vertrages zu qualifizieren sei, sei daraus im vorliegenden Fall der Schluss zu ziehen, dass Artikel 4 Absatz 2 den Kreditgeber verpflichte, dem Kreditnehmer den effektiven Jahreszins und die Bedingungen mitzuteilen, unter denen dieser geändert werden könne.

36.      Die Kommission geht von der Annahme aus, dass Artikel 6 Absatz 2 auch für Verträge wie den in Rede stehenden gelte.

37.      Die ausdrückliche Erwähnung der Kreditverträge „in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto“, in Artikel 6 Absatz 1 bedeute nur eine Klarstellung, dass Artikel 6 Absätze 1 und 2 auch für diese Art von Verträgen gelte, auch wenn Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e sie vom Anwendungsbereich der übrigen Bestimmungen der Richtlinie ausnehme; diese Erwähnung habe dagegen nicht die Wirkung, Verbraucherkreditverträge, auf die die Richtlinie aufgrund der allgemeinen Bestimmung des Artikels 1 Anwendung finde (oben, Nr. 4), vom Anwendungsbereich des Artikels 6 auszuschließen.

38.      Darüber hinaus ist nach Auffassung der Kommission die Angabe des effektiven Jahreszinses auch zum Zeitpunkt der Verlängerung eine Voraussetzung, die unerlässlich sei, um das wesentliche Ziel der Richtlinie zu erreichen, nämlich den Verbraucher in die Lage zu versetzen, die verschiedenen Kreditangebote zu vergleichen, um die besten Gelegenheiten auf dem Markt wahrzunehmen.

2. Beurteilung

39.      Die im Verfahren erörterten Ansichten lassen es ratsam erscheinen, zunächst zu beurteilen, ob sich eine Antwort auf die beiden Fragen aus Artikel 4 der Richtlinie ergibt, um sodann die Frage der Erheblichkeit von Artikel 6 der Richtlinie aufzuwerfen.

Artikel 4 der Richtlinie

40.      Wie oben dargelegt wurde, hat die belgische Regierung geltend gemacht, dass, wenn (wie hier) die Verlängerung eines Kreditvertrags nach dem anwendbaren nationalen Recht als Abschluss eines neuen Vertrages zu qualifizieren sei, Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a den Darlehensgeber verpflichte, dem Darlehensnehmer erneut den effektiven Jahreszins mitzuteilen.

41.      Mir erscheint allerdings schon von einem allgemeinen Standpunkt aus fraglich, ob die Reichweite und die Anwendungsvoraussetzungen einer harmonisierten Regelung auf der Grundlage des jeweils anwendbaren nationalen Rechts bestimmt werden können. Sodann bin ich insbesondere der Meinung, dass eine derartige Vorgehensweise die Erreichung der von einer Richtlinie, wie der hier in Rede stehenden, verfolgten Ziele gefährden könnte.

42.      Die Richtlinie 87/102 soll nämlich u. a. durch Festlegung eines harmonisierten Rahmens der vorvertraglichen und vertraglichen Informationen, die dem Verbraucher zu geben sind, gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Verbraucherkreditinstituten gewährleisten, wodurch ein wirklicher gemeinsamer Verbraucherkreditmarkt errichtet wird (vgl. oben, Nr. 3).

43.      Dieses Ziel würde zweifellos vereitelt, wenn der Inhalt dieser Informationen und die Häufigkeit, mit der sie gegebenenfalls zu liefern sind, von der Besonderheit des nach dem internationalen Privatrecht anzuwendenden nationalen Rechts abhinge.

44.      Doch gerade dies wäre die Folge der von der belgischen Regierung vertretenen Lösung. Während nämlich Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a, wenn – unter Zugrundelegung der im Vorlagebeschluss enthaltenen Darstellung des französischen Rechts, die allerdings von Cofinoga bestritten wird – das französische Recht anwendbar wäre, dazu verpflichtete, den effektiven Jahreszins bei der Vornahme der Verlängerung des Kreditvertrags mitzuteilen, bestünde keine solche Verpflichtung, wenn der Vertrag dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterläge, nach dem die Änderung der Befristung nicht mit dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichzusetzen ist (7) .

45.      Meiner Meinung nach können daher die Auslegung des Artikels 4 der Richtlinie und die Konkretisierung der Voraussetzungen für seine Anwendung nicht von dem nationalen Recht abhängen, das nach der Verweisung des internationalen Privatrechts auf den Kreditvertrag anzuwenden ist, sondern sie müssen stattdessen das Ergebnis einer autonomen Auslegung sein, die von dem mit der Richtlinie eingeführten System ausgeht.

46.      Daher ist zu fragen, ob die Verlängerung der Laufzeit eines Kreditvertrags wie des hier in Rede stehenden, dessen Zinssatz und wesentliche Elemente einschließlich der variablen Zinsklausel unverändert bleiben, im Licht des Wortlauts und der Systematik der Richtlinie dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichzustellen ist und daher unter Artikel 4 fällt.

47.      Die so formulierte Frage ist meiner Auffassung nach aus den Gründen, die ich sogleich erläutere, zu verneinen.

48.      Ausgehend zunächst vom Wortlaut des Artikels 4, ist leicht festzustellen, dass diese Vorschrift mit der Verpflichtung, den effektiven Jahreszins und die Bedingungen, unter denen er geändert werden kann, mitzuteilen, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt und die „Verlängerung“ des Vertrages oder das Hinausschieben eines Endtermins nicht erwähnt.

49.      Hinzu kommt, dass auch Artikel 1a Absatz 4 Buchstabe a, der die Berechnungsmodalitäten für den effektiven Jahreszins regelt, bestimmt, dass „[d]ie Berechnung des effektiven Jahreszinses ... zu dem Zeitpunkt [erfolgt], zu dem der Kreditvertrag geschlossen wird (8) . Der folgende Absatz 6 stellt klar: „In Kreditverträgen mit Klauseln, nach denen der Zinssatz ... geändert werden [kann], wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Zinssatz und die sonstigen Kosten gemessen an der ursprünglichen Höhe fest bleiben und bis zum Ende des Kreditvertrags gelten.“ (9)

50.      Sowohl für Kreditverträge mit festem Zinssatz als auch für solche mit variablem Zinssatz wird der effektive Jahreszins daher ausschließlich zum ursprünglichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, berechnet (und mitgeteilt). Für Verträge mit variablem Zinssatz werden Änderungen des Zinssatzes nach Vertragsschluss dann als unerheblich betrachtet.

51.      Doch auch systematische Gründe der Systematik scheinen mir für eine Lösung zu sprechen, die sich nicht vom Wortlaut entfernt.

52.      Insoweit erinnere ich daran, dass das System der Richtlinie die Verpflichtung in den Mittelpunkt stellt, die effektiven Kosten des Kredits und die wesentlichen Elemente des Vertrages in der Werbung für den Vertrag (Artikel 3) und beim Abschluss des Vertrages (Artikel 4) mitzuteilen. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und Cofinoga zutreffend hervorheben, soll ein derartiges System es im Wesentlichen dem Verbraucher, der beabsichtigt, ein Darlehen aufzunehmen, ermöglichen, die Kreditangebote zu vergleichen, so dass er das vorteilhafteste wählen kann.

53.      Die Auswahl des vorteilhaftesten Angebots muss natürlich vor Vertragsschluss erfolgen, so dass für die Zwecke der Richtlinie in dieser entscheidenden Phase und nicht zu einem späteren Zeitpunkt die Informationen über den effektiven Jahreszins wie auch die über die variable Zinsklausel gegeben werden.

54.      Für diese Schlussfolgerung spricht meines Erachtens sodann die Analyse von Artikel 14 Absatz 4 des letzten Vorschlags für eine Richtlinie zur Harmonisierung im Bereich des Verbraucherkredits (im Folgenden: Richtlinienvorschlag) (10) , den die Kommission am 11. September 2002 vorgelegt hat.

55.      Die neue Vorschrift sieht nämlich vor, das der Verbraucher „über jede Änderung des Sollzinses ... zu informieren [ist]. Diese Mitteilung muss die Angabe des neuen effektiven Jahreszinses ... enthalten.“

56.      Meiner Ansicht nach bedeutet der Richtlinienvorschlag mit seinem eindeutigen Wortlaut vor allem eine wichtige Neuerung der harmonisierten Regelung und bestätigt indirekt, dass nach Artikel 4 der Richtlinie 87/102 die Mitteilung des effektiven Jahreszinses nur zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht auch bei späteren Änderungen obligatorisch ist.

57.      Darüber hinaus trägt der Richtlinienvorschlag dadurch, dass er nur die Verpflichtung regelt, Änderungen des effektiven Jahreszinses zu dem Zeitpunkt, in dem sie eintreten, mitzuteilen, dazu bei, zu verdeutlichen, dass das Gemeinschaftsrecht den Kreditgeber, wenn der Zinssatz unverändert bleibt, nicht verpflichtet, den effektiven Jahreszins mitzuteilen, und zwar auch nicht, wenn ein Kreditvertrag verlängert wird.

58.      Ich meine daher, dass nichts eine weite Auslegung von Artikel 4 zu stützen vermag, die dessen eindeutigen Wortlaut dahin falsch auslegt, dass eine Verpflichtung des Kreditgebers hineingelesen wird, den effektiven Jahreszins und die variable Zinsklausel außer beim Abschluss des Vertrages in der Urkunde, mit der dieser geschlossen wird, auch bei der Verlängerung des Darlehens mitzuteilen, wenn der Zinssatz und die wesentlichen Elemente des Vertrages unverändert bleiben.

Artikel 6 der Richtlinie

59.      Bevor dem vorlegenden Gericht eine Antwort gegeben werden kann, ist es jedoch erforderlich, die Frage zu stellen, ob Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie, der den Kreditgeber ausdrücklich verpflichtet, während der Laufzeit des Vertrages jede Änderung des Jahreszinses mitzuteilen, auf einen Vertrag wie den hier in Rede stehenden anwendbar ist, mit dem der gewerbsmäßige Kreditgeber dem Kreditnehmer/Verbraucher einen in Teilbeträgen abrufbaren und verlängerbaren Kredit gewährt, der an eine Kreditkarte gebunden ist.

60.      Wie oben nämlich gesehen, trägt die Kommission, die in der mündlichen Verhandlung beiläufig vom Vertreter der französischen Regierung unterstützt wurde, im Wesentlichen vor, dass diese Vorschrift eine Regelung von allgemeiner Bedeutung enthalte, die für alle in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Verträge gelte.

61.      Diese Ansicht überzeugt mich indessen nicht.

62.      Zunächst meine ich, dass die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht eingewandt hat, dass es im vorliegenden Fall irrelevant sei, ob die Mitteilung einer Änderung des Zinssatzes erforderlich sei, da der Vertrag nicht geändert, sondern nur zu unveränderten Bedingungen verlängert worden sei.

63.      Doch davon abgesehen weise ich, ebenso wie Cofinoga und die Regierung des Vereinigten Königreichs darauf hin, dass Artikel 6 eine besondere Regelung enthält, die ausschließlich auf Verträge anwendbar ist, die die „Gewährung eines Kredits in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto“, zum Gegenstand haben. Er ist also nicht auf einen Vertrag wie den in Rede stehenden anwendbar, der zum einen nicht auf die Gewährung eines Kredits „in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto“ gerichtet ist und zum anderen gerade einen an eine Kreditkarte gebundenen Kredit betrifft.

64.      Diese Schlussfolgerung ist meiner Meinung nach sowohl aufgrund des Wortlauts der Richtlinie als auch unter Berücksichtigung ihrer Systematik geboten.

65.      Hinsichtlich des Wortlauts ist zunächst leicht zu erkennen, dass Artikel 6 in Absatz 1 mit der unzweideutigen Bestimmung seines eigenen sachlichen Anwendungsbereichs beginnt. Er bestimmt nämlich, dass der Verbraucher „[u]nbeschadet der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e) ... im Falle eines Vertrages zwischen ihm und einem Kredit- oder Finanzinstitut über die Gewährung eines Kredits in Form eines Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto, vor Vertragsabschluss oder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses“ (11) über eine Reihe von Elementen und Bedingungen, die nachfolgend in dieser Bestimmung detailliert aufgeführt sind, zu informieren ist.

66.      Ebenso eindeutig ist der Anfang des Absatzes 2 dieses Artikels: „Ferner ist der Verbraucher während der Laufzeit des Vertrages über jede Änderung des Jahreszinses und der in Rechnung gestellten Kosten im Augenblick ihres Eintretens zu unterrichten.“ (12) Es besteht daher kein Zweifel, dass sich diese Vorschrift auf den im vorangehenden Absatz genannten Kreditvertrag bezieht und klarstellt, welche weiteren und andersartigen Informationspflichten der Kreditgeber in der auf den Vertragsschluss folgenden Phase hat (13) .

67.      Ich füge hinzu, dass das Bild, das sich aus einer wörtlichen Auslegung der Vorschrift ergibt, vollständig mit dem umfassenderen System, das durch die Richtlinie entworfen wird, übereinstimmt.

68.      Bekanntlich führt die Richtlinie, die nach ihrem Artikel 1 auf Kreditverträge anwendbar ist, eine Mindestharmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften unter verschiedenen Gesichtspunkten ein: Werbung für Kreditangebote (Artikel 3), vorvertragliche und vertragliche Information (Artikel 4), rechtliche Regelung hinsichtlich der Ware, zu deren Erwerb der Kreditvertrag gegebenenfalls bestimmt ist (Artikel 7), vorzeitige Rückzahlung des Kredits (Artikel 8), Folgen der Abtretung der Ansprüche aus den Kreditvertrag (Artikel 9), Schutz bei Zahlung in Form von Wechseln (Artikel 10), Beziehungen zwischen dem Kreditnehmer und dem Lieferanten der Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Kredit erworben werden (Artikel 11), Regelung über Vermittler von Verbraucherkrediten (Artikel 12).

69.      Von allen soeben erwähnten Gesichtspunkten ist im Hinblick auf die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e genannten Verträge, mit denen ein Kreditinstitut dem Inhaber eines laufenden Kontos einen „Überziehungskredit ... auf dem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto,“ gewährt, jedoch nur einer harmonisiert, und zwar die Regelung über die vorvertragliche und vertragliche Information, die das Kreditinstitut dem Darlehensnehmer/Inhaber eines laufenden Kontos geben muss. Diese Harmonisierung erfolgt aber nicht durch einen Hinweis in der einschlägigen allgemeinen Regelung des Artikels 4, sondern durch eine ad hoc Bestimmung, Artikel 6 der Richtlinie.

70.      Wie gesehen, legt diese Vorschrift nun aber nicht nur ihren sachlichen Anwendungsbereich in einer Formulierung fest, die sich ausdrücklich auf eine bestimmte Art von Kreditverträgen beschränkt, sondern enthält außerdem eine Regelung, die zwar von einer gemeinsamen Ratio getragen ist, in ihren konkreten Bestimmungen jedoch oft von der Regelung in der allgemeinen Vorschrift abweicht. Insbesondere kommt die Spezialität des Artikels 6 sowohl in der Verpflichtung, in Artikel 4 nicht vorgesehene Informationen zu liefern (14) , als auch im Ausschluss von Informationspflichten zum Ausdruck, die in der allgemeinen Vorschrift dagegen erwähnt werden (15) .

71.      Das Spezialitäts- und Ausschlussverhältnis zwischen Artikel 6 und Artikel 4 der Richtlinie wird ferner durch Artikel 4 Absatz 2 Satz 2 bestätigt.

72.      Diese Vorschrift sieht nämlich vor, dass, falls zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Angabe des effektiven Jahreszinses nicht möglich ist, der Verbraucher in der Vertragsurkunde jedenfalls „angemessene Informationen“ vorfinden muss, die „mindestens die in Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Informationen umfassen [müssen]“.

73.      Ich meine, es ist klar, dass es keiner ausdrücklichen Verweisung bedürfte, wenn, wie die Kommission behauptet, Artikel 6 ohnehin auf alle der Richtlinie unterliegenden Verträge anwendbar wäre; wenn eine solche Verweisung dagegen erforderlich ist, dann gerade wegen des Spezialitätsverhältnisses, das zwischen den beiden Vorschriften besteht.

74.      Ich gelange somit sowohl aufgrund des Wortlauts als auch aufgrund der Systematik der Richtlinie zu dem Schluss, dass Artikel 6 Absatz 2 ausschließlich auf die in Absatz 1 erwähnten Verträge anwendbar ist, d. h. – ich erinnere noch einmal daran – auf Kreditverträge „in Form eines Überziehungskredits auf dem laufenden Konto, außer einem Kreditkartenkonto“.

75.      Da nicht bestritten wird, dass der in Rede stehende Vertrag nicht der von Artikel 6 Absatz 1 erfassten rechtsgeschäftlichen Ausgestaltung entspricht, ist meiner Auffassung nach daraus abzuleiten, dass Artikel 6 Absatz 2 nicht geltend gemacht werden kann, um die Verpflichtung des Kreditgebers zu begründen, dem Darlehensnehmer/Verbraucher den effektiven Jahreszins und die Klausel über die Veränderlichkeit des Kredits bei der Verlängerung eines solchen Vertrages mitzuteilen.

76.      Als Ergebnis schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die ersten beiden vom Tribunal d’instance Vienne vorgelegten Fragen zu antworten:

Die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 in der geänderten Fassung verpflichtet den nationalen Richter nicht dazu, einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, dem Darlehensnehmer/Verbraucher den geltenden effektiven Jahreszins vor jeder Verlängerung eines in Teilbeträgen mit Kreditkarte abrufbaren Kredits mit variabler Zinsklausel schriftlich mitzuteilen.

Diese Richtlinie verpflichtet den nationalen Richter auch nicht dazu, einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, diesem Verbraucher die Klausel über die Veränderlichkeit des geltenden effektiven Jahreszinses vor jeder Verlängerung eines solchen Vertrages mitzuteilen.

B – Zur dritten und zur vierten Vorlagefrage

77.      Mit der dritten und der vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das System des Schutzes, den die Richtlinie 87/102 den Verbrauchern gewährt, ihm gestattet,

a)       der Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, die es ermächtigt, ohne zeitliche Begrenzung von Amts wegen oder infolge einer vom Verbraucher erhobenen Einrede etwaige Unregelmäßigkeiten der in den ersten beiden Fragen behandelten Art beim Abschluss oder bei der Verlängerung eines Verbraucherkreditvertrags wie des in Rede stehenden zu berücksichtigen (dritte Frage), oder

b)       die Vorschrift des nationalen Recht unangewendet zu lassen, die eine Ausschlussfrist vorsieht, da solche Unregelmäßigkeiten vom Gericht von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede berücksichtigt werden (vierte Frage).

78.      Wie ersichtlich und wie Cofinoga und die französische Regierung zutreffend bemerkt haben, sind die dritte und die vierte Frage nur hilfsweise für den Fall gestellt, dass die ersten beiden Fragen zu bejahen sind.

79.      Beide setzen nämlich voraus, dass die Richtlinie den Darlehensgeber verpflichtet, den Darlehensnehmer/Verbraucher über den effektiven Jahreszins und die Klausel über dessen Veränderlichkeit bei der Verlängerung eines Kreditvertrags wie des in Rede stehenden, der in Teilbeträgen und mit Kreditkarte abrufbar ist und für den ein variabler Zinssatz vereinbart wurde, zu unterrichten. Nur in diesem Fall könnte das Verhalten des Kreditinstituts, das das Darlehen gewährt, als Unregelmäßigkeit im Sinne der Richtlinie qualifiziert werden, und nur dann wäre es daher nützlich, sich zu fragen, ob die Richtlinie einer Präklusion wie der im nationalen Recht vorgesehenen entgegensteht, die den Verbraucher hindert, eine solche Unregelmäßigkeit einzuwenden, und das Gericht, über diese von Amts wegen zu entscheiden.

80.      Unter Berücksichtigung der Antwort, die ich für die ersten beiden Fragen vorgeschlagen habe, glaube ich nicht, dass die dritte und die vierte Frage noch irgendein Interesse für den Ausgang des Rechtsstreits aufweisen, und schlage dem Gerichtshof daher vor, sich einer Beantwortung dieser Fragen zu enthalten.

IV – Ergebnis

81.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die ihm vom Tribunal d’instance Vienne mit Beschluss vom 5. Juli 2002 vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit in der geänderten Fassung verpflichtet den nationalen Richter nicht dazu, einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, dem Darlehensnehmer/Verbraucher den geltenden effektiven Jahreszins vor jeder Verlängerung eines in Teilbeträgen mit Kreditkarte abrufbaren Kredits mit variabler Zinsklausel schriftlich mitzuteilen.

Diese Richtlinie verpflichtet den nationalen Richter auch nicht dazu, einer Auslegung des nationalen Rechts den Vorzug zu geben, wonach die Verbraucherkreditinstitute dazu verpflichtet sind, diesem Verbraucher die Klausel über die Veränderlichkeit des geltenden effektiven Jahreszinses vor jeder Verlängerung eines solchen Vertrages mitzuteilen.


1
Originalsprache: Italienisch.


2
  Bl. 1987, L 42, S. 48, in der Fassung der Richtlinie 90/88/EWG des Rates vom 22. Februar 1990 (ABl. L 61, S. 14).


3
  Nichtamtliche Übersetzung.


4
  Nichtamtliche Übersetzung. Ich muss darauf hinweisen, dass Satz 2 des Artikels L. 311-37 durch Artikel 16 Absatz II-1 des Gesetzes Nr. 2001-1168 vom 11. Dezember 2001 (JORF Nr. 288 vom 12. Dezember 2001, S. 19703) mit Wirkung für die nach der Verkündung dieses Gesetzes geschlossenen Verträge (vgl. Artikel 16 Absatz II-3) wie folgt geändert wurde: „Zahlungs klagen infolge der Nichterfüllung des Darlehensnehmers sind innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem die Streitigkeit auslösenden Ereignis bei diesem Gericht zu erheben“ (nichtamtliche Übersetzung; die Hinzufügung der Kursivschrift soll die Änderungen verdeutlichen).


5
  Diese Regierung zumindest für den Fall, dass die Verlängerung nach dem anwendbaren nationalen Recht nicht als Abschluss eines neuen Vertrages zu qualifizieren sei.


6
  Die „mindestens die in Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Informationen umfassen [müssen]“ (Artikel 4 Absatz 2 Satz 2).


7
  Im italienischen Recht z. B. würde die Anwendung der in den Artikeln 1230 und 1231 des Codice civile festgelegten Grundsätze zu dem Schluss führen, dass in diesem Fall keine Novation vorliegt und das Schuldverhältnis fortbesteht.


8
  Hervorhebung von mir.


9
  Hervorhebung von mir.


10
  Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, KOM(2002) 443 endg. (ABl. C 331 E vom 31.12.2002, S. 200).


11
  Hervorhebung von mir.


12
  Hervorhebung von mir.


13
  Die Berücksichtigung der übrigen Sprachfassungen bestätigt und bekräftigt mithin das, was aus der italienischen Fassung abzuleiten ist: Der Anfang des Absatzes 2 lautet in der französischen Fassung: „De plus, en cours de contrat ...“, was im Englischen zu „Furthermore, during the period of the agreement ...“ wird, im Spanischen zu „Además, mientras dure el contrato ...“, was dem Deutschen „Ferner ... während der Laufzeit des Vertrages ...“ entspricht. In allen diesen Fassungen machen die verwendete Konjunktion und die Bezugnahme auf den „Vertrag“ oder die „Vereinbarung“ ohne weitere Spezifizierung deutlich, dass die in Absatz 2 vorgesehenen Pflichten die weitere Durchführung des Vertrages betreffen, dessen Abschluss in Absatz 1 geregelt ist.


14
  Es handelt sich um die Angaben nach Artikel 6 Absatz 2.


15
  Vgl. statt aller die Angabe des effektiven Jahreszinses, die nach Artikel 4, nicht aber nach Artikel 6 obligatorisch ist.

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