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Document 62000CJ0229
Judgment of the Court (Sixth Chamber) of 12 June 2003. # Commission of the European Communities v République de Finlande. # Failure of a Member State to fulfil obligations - Directive 89/105/EEC - Failure to apply the procedure prescribed in Article 6 of that directive to decisions determining the categories of medicinal products qualifying for higher-rate cover - Failure to provide objective and verifiable grounds for negative decisions. # Case C-229/00.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 12. Juni 2003.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen République de Finlande.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 89/105/EWG - Nichtanwendung des Verfahrens nach Artikel 6 dieser Richtlinie bei Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln, für die ein erhöhter Erstatungsanspruch gilt - Keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung für die ablehnenden Entscheidungen.
Rechtssache C-229/00.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 12. Juni 2003.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen République de Finlande.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 89/105/EWG - Nichtanwendung des Verfahrens nach Artikel 6 dieser Richtlinie bei Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln, für die ein erhöhter Erstatungsanspruch gilt - Keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung für die ablehnenden Entscheidungen.
Rechtssache C-229/00.
Sammlung der Rechtsprechung 2003 I-05727
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2003:334
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 12. Juni 2003. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen République de Finlande. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 89/105/EWG - Nichtanwendung des Verfahrens nach Artikel 6 dieser Richtlinie bei Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln, für die ein erhöhter Erstatungsanspruch gilt - Keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung für die ablehnenden Entscheidungen. - Rechtssache C-229/00.
Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-05727
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
In der Rechtssache C-229/00
Kommission der Europäischen Gemeinshaften, vertreten durch I. Koskinen und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Finnland, vertreten durch T. Pynnä und E. Bygglin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Republik Finnland gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8), insbesondere aus Artikel 6, verstoßen hat, indem sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen, insbesondere nicht das Verfahren angewandt hat, das für Entscheidungen über die Bestimmung einer besonderen Erstattungskategorie vorgesehen ist, und im Fall eines ablehnenden Bescheids dem jeweiligen Antragsteller entgegen den bestehenden Pflichten keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende ausreichende Begründung mitgeteilt hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter C. Gulmann und V. Skouris, der Richterin F. Macken (Berichterstatterin) und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 25. April 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2002
folgendes
Urteil
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 8. Juni 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage auf Feststellung erhoben, dass die Republik Finnland gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8, im Folgenden: Richtlinie), insbesondere aus Artikel 6, verstoßen hat, indem sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen, insbesondere nicht das Verfahren angewandt hat, das für Entscheidungen über die Bestimmung einer besonderen Erstattungskategorie vorgesehen ist, und im Falle eines ablehnenden Bescheids dem jeweiligen Antragsteller entgegen den bestehenden Pflichten keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende ausreichende Begründung mitgeteilt hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften
2 In der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es, dass als "erster Schritt ... die Festlegung einer Reihe von Anforderungen ... dringend notwendig [ist], die darauf abzielen, sicherzustellen, dass alle Betroffenen überprüfen können, dass die einzelstaatlichen Maßnahmen keine mengenmäßigen Beschränkungen für die Ein- oder Ausfuhr oder Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen".
3 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle einzelstaatlichen Maßnahmen in Form von Rechts - oder Verwaltungsvorschriften zur Kontrolle der Preise von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch oder zur Einschränkung der unter ihre staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel die Anforderungen dieser Richtlinie erfuellen."
4 Artikel 2 Nummern 1 und 2 der Richtlinie lautet:
"Ist das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nur dann zulässig, wenn die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats den Preis dieses Erzeugnisses genehmigt haben, so gilt Folgendes :
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Entscheidung über den Preis, der für das Arzneimittel verlangt werden kann, innerhalb von neunzig Tagen nach Eingang des Antrags, der vom Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats gestellt worden ist, getroffen und dem Antragsteller mitgeteilt wird. Der Antragsteller macht den zuständigen Behörden ausreichende Angaben. Sind die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend, so teilen die zuständigen Behörden dem Antragsteller unverzüglich mit, welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind, und treffen ihre Entscheidung innerhalb von neunzig Tagen nach Erhalt dieser zusätzlichen Einzelangaben. Ergeht innerhalb der vorstehend genannten Frist bzw. Fristen keine Entscheidung, so ist der Antragsteller berechtigt, das Erzeugnis zu dem vorgeschlagenen Preis in Verkehr zu bringen.
2. Eine Entscheidung der zuständigen Behörden, das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels zu dem vom Antragsteller vorgeschlagenen Preis nicht zu genehmigen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung erhalten. Der Antragsteller ist über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu belehren."
5 Artikel 6 Nummern 1 bis 3 der Richtlinie bestimmt:
"Ist ein Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur gedeckt, wenn die zuständigen Behörden beschlossen haben, das betreffende Arzneimittel in eine Positivliste der unter das staatliche Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel aufzunehmen, so gilt Folgendes:
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Entscheidung über einen Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel, der vom Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats gestellt worden ist, innerhalb von neunzig Tagen nach Eingang des Antrags getroffen und dem Antragsteller mitgeteilt wird. Kann ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden, bevor die zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt werden soll, oder wird über den Preis eines Arzneimittels und über dessen Aufnahme in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse in einem einzigen Verwaltungsverfahren entschieden, wird die Frist um neunzig Tage verlängert. Der Antragsteller macht den zuständigen Behörden ausreichende Angaben. Sind die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend, so wird die Frist ausgesetzt, und die zuständigen Behörden teilen dem Antragsteller unverzüglich mit, welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind.
Lässt ein Mitgliedstaat nicht zu, dass ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden kann, bevor die zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt werden soll, so muss er sicherstellen, dass die Dauer der beiden Verfahren zusammen 180 Tage nicht übersteigt. Diese Frist kann nach Artikel 2 verlängert oder nach Unterabsatz 1 ausgesetzt werden.
2. Eine Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; gegebenenfalls sind zugrunde liegende Stellungnahmen oder Empfehlungen von Sachverständigen hierin anzugeben. Der Antragsteller ist über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu belehren.
3. Vor dem in Artikel 11 Absatz 1 genannten Zeitpunkt veröffentlichen die Mitgliedstaaten in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung die Kriterien, die die zuständigen Behörden bei ihrer Entscheidung, ein Arzneimittel in die Liste aufzunehmen oder nicht, zu beachten haben, und teilen sie der Kommission mit."
6 Nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens am 31. Dezember 1989 nachzukommen. Die Richtlinie hätte in Finnland spätestens am 1. Januar 1995, dem Zeitpunkt des Beitritts der Republik Finnland zur Europäischen Union, umgesetzt sein müssen.
Nationale Vorschriften
7 Gemäß den Artikeln 5 und 9 Sairausvakuutuslaki (Krankenversicherungsgesetz) in der Fassung von 1993 muss der Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels für dessen Einbeziehung in das Krankenversicherungssystem einen Antrag beim Lääkkeiden hintalautakunta (im Folgenden: Ausschuss für Arzneimittelpreise) stellen und dabei einen angemessenen Großhandelspreis angeben, zu dessen Einhaltung er sich verpflichtet. Stimmt der genannte Ausschuss dem Preis zu, so wird das betreffende Arzneimittel automatisch in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel aufgenommen, für die die gewöhnliche Erstattungsregelung gilt, die eine Erstattung von 50 % des Preises bei einer Selbstbeteiligung von 50 FIM je Einkauf vorsieht.
8 Wird die Aufnahme in die Liste abgelehnt, so muss sich nach Artikel 23 Absatz 1 des Hallintomenettelylaki (Gesetz Nr. 598/82 über das Verwaltungsverfahren, im Folgenden: Gesetz Nr. 598/82) "aus [dieser] Entscheidung klar ergeben, welche Rechte und Pflichten der Betroffene hat oder wie die Angelegenheit sonst zu regeln ist".
9 Artikel 24 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 598/1982 bestimmt:
"Die Entscheidung ist in der Weise zu begründen, dass die wesentlichen Tatsachen und die Rechtsvorschriften angegeben werden, auf die sie sich stützt."
10 Die Entscheidungen des Ausschusses für Arzneimittelpreise können vor den zuständigen Gerichten angefochten werden.
11 Neben der normalen Erstattungsregelung gibt es noch zwei erweiterte Erstattungsregelungen, die folgende Erstattungssätze vorsehen:
- 75 % bei einer Selbstbeteiligung von 25 FIM je Einkauf, wenn es sich um ein Arzneimittel handelt, das für die Behandlung einer schweren und chronischen Krankheit unerlässlich ist;
- 100 % bei einer Selbstbeteiligung von 75 FIM je Einkauf, wenn es sich um Generika gleicher Wirkung handelt, die für die Behandlung einer schweren und chronischen Krankheit unerlässlich sind.
12 Der finnische Ministerrat bestimmt durch Verordnung die schweren und chronischen Krankheiten, bei denen ein Kranker Anspruch auf eine höhere Erstattung der Arzneimittelkosten hat, und erstellt eine allgemeine Liste der in einer pharmazeutischen Zubereitung zur Bekämpfung dieser Krankheiten verwendeten Wirkstoffe.
13 Da diese Entscheidung über die Festlegung der Liste der Wirkstoffe, die in pharmazeutischen Zubereitungen verwendet werden, die dann unter diese Erstattungsregelung fallen können, nicht aufgrund eines individuellen Antrags ergeht, unterliegt sie nach den finnischen Rechtsvorschriften nicht den Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere nicht ihrem Artikel 6 Absatz 1. Daher wird diese Entscheidung nicht begründet, und die Betroffenen haben keinen Anspruch auf Anhörung; weder die vorbereitenden Handlungen noch die Verordnung selbst sind anfechtbar.
14 Nachdem der Ministerrat diese Verordnung erlassen hat, erstellt die Kansaneläkelaitos (im Folgenden: Volksrentenanstalt) die Liste der in Finnland erhältlichen, von der Grundversicherung bereits gedeckten Arzneimittel, die einen in dieser Verordnung aufgeführten Wirkstoff enthalten. Diese Entscheidung, die veröffentlicht wird, ist nicht anfechtbar.
Vorverfahren
15 Aufgrund einer Beschwerde bat die Kommission die finnische Regierung um zusätzliche Auskünfte über das Verwaltungsverfahren für die Aufnahme von Arzneimitteln in die Liste. Da die Kommission die Antwort für unzureichend hielt, forderte sie die Republik Finnland mit Schreiben vom 29. Mai 1998 auf, der Richtlinie nachzukommen, d. h. zum einen dafür zu sorgen, dass die Entscheidungen über die Aufnahme eines Arzneimittels in eine Gruppe, für die eine erhöhte Erstattung gelte, die Anforderungen des Artikels 6 der Richtlinie erfuellten, und zum anderen zu verlangen, dass die Nichtgenehmigung des Preises für ein Arzneimittel gemäß Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalte, nicht aber folgenden Standardsatz: "Der Antrag wird abgelehnt, weil der Antragsteller für seinen Antrag keine detaillierte Begründung vorgelegt hat, die den vorgeschlagenen Großhandelspreis als angemessen erscheinen lassen könnte."
16 Mit Schreiben vom 20. Juli 1998 erkannte die Republik Finnland diesen letzten Vorwurf an und wies darauf hin, dass das Verfahren insoweit geändert worden sei; im Übrigen bestritt sie aber, dass das Verfahren zur Bestimmung der Arzneimittel, für die eine erhöhte Erstattung gelte, unter die Richtlinie falle.
17 Am 17. Dezember 1998 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihren Vorwurf hinsichtlich der Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln, für die ein erhöhter Erstattungssatz gilt, wiederholte und u. a. ausführte, die Behauptung der finnischen Regierung, dass die ablehnenden Entscheidungen begründet würden, keine Stütze in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften finde.
18 Mit Schreiben vom 8. Februar 1999 machten die finnischen Behörden geltend, dass kein Verstoß gegen Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie vorliege, da die Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gelte, durch eine Entscheidung im Ministerrat bestimmt würden. Zu der Verpflichtung, eine ablehnende Entscheidung gemäß Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie zu begründen, erklärten sie, die wenigen in der Praxis festgestellten Unzulänglichkeiten beseitigt zu haben.
19 Die Kommission hat daraufhin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der in Randnummer 1 dieses Urteils beschriebenen Vertragsverletzung und die Verurteilung der Beklagten in die Kosten begehrt.
20 Die Republik Finnland beantragt, die Klage als unzulässig oder unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Zur Begründetheit
Zur Rüge bezüglich der Entscheidungen über die Festlegung der Gruppe von Arzneimitteln, für die ein erhöhter Erstattungssatz gilt
21 Mit ihrer ersten Rüge wirft die Kommission der Republik Finnland vor, dass weder bei der Entscheidung des Ministerrats noch bei der anschließenden Entscheidung der Volksrentenanstalt über die Bestimmung der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gelte, die Erfordernisse des Artikels 6 der Richtlinie beachtet worden seien.
22 Insbesondere hätten die Betroffenen keine Möglichkeit, im Rahmen des in vorstehender Randnummer genannten Entscheidungsverfahrens ihren Standpunkt geltend zu machen, weshalb für die zuständigen Behörden auch keine Verpflichtung bestehe, die Aufnahme oder die Nichtaufnahme eines Wirkstoffs in die erweiterte Erstattungsregelung zu begründen.
23 Artikel 6 der Richtlinie betreffe nicht nur die Aufnahme eines Erzeugnisses in die Liste der unter das staatliche Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel, sondern auch die späteren Entscheidungen, weil die Mitgliedstaaten sonst leicht, ohne gegen die Richtlinie zu verstoßen, ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie umgehen und damit die Durchsetzung der Ziele der Richtlinie beeinträchtigen könnten.
24 Die finnische Regierung macht geltend, dass Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie nur das Antragsverfahren für die Aufnahme eines Erzeugnisses in die Liste der vom staatlichen Krankenversicherungssystem zu erstattenden Arzneimittel betreffe. Die Entscheidung des Ministerrats über die Liste der Wirkstoffe, die unter die erweiterte Erstattungsregelung fielen, ergehe nicht auf einen Antrag im Sinne dieser Bestimmung hin.
25 Der Ministerrat erlasse keine Entscheidung aufgrund eines Antrags auf Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der Arzneimittel, für die der erhöhte Erstattungssatz gelte, da er insoweit im Wege einer Verordnung nur eine Liste der Krankheiten und Wirkstoffe festlege, auf deren Grundlage die Volksrentenanstalt dann die Liste der Arzneimittel erstelle, die einen der in der Verordnung genannten Wirkstoffe enthielten.
26 Infolgedessen falle dieses Verfahren nicht unter Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie.
27 Für die Verordnung des Ministerrats über die erhöhte Erstattung gelte vielmehr Artikel 6 Nummer 3 der Richtlinie und nicht Nummer 1 dieses Artikels.
28 Die von der Kommission vertretene Auslegung würde im Übrigen eine Einmischung bei der Festlegung der Interventionskriterien des finnischen Krankenversicherungssystems bedeuten, was gegen das Ziel der Richtlinie und die Rechtsprechung des Gerichtshofes verstieße, wonach das Gemeinschaftsrecht nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten berühre, ihre Sozialversicherungssysteme selbst zu gestalten und zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Krankenversicherung Maßnahmen zur Regulierung des Arzneimittelverbrauchs zu treffen (Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82, Duphar u. a., Slg. 1984, 523).
Beurteilung durch den Gerichtshof
29 Zu dem von der finnischen Regierung vorgetragenen Argument einer Einmischung in die nationalen Versicherungssysteme genügt die Feststellung, dass die Klage der Kommission nicht die Art der Finanzierung oder den Aufbau des Sozialversicherungssystems in Frage stellt, sondern lediglich darauf abzielt, dass die finnische Regelung die Vorgaben des Artikels 6 der Richtlinie einhält, die im Übrigen weder die Funktionsweise der Arzneimittelliste und die Aufnahme von Arzneimitteln in diese Liste noch die Möglichkeit der Kostenübernahme für ein Arzneimittel betreffen (Urteil vom 27. November 2001 in der Rechtssache C-424/99, Kommission/Österreich, Slg. 2001, I-9285, Randnr. 26).
30 Zu der Frage, ob die Republik Finnland die Vorschriften des Artikels 6 der Richtlinie beachtet hat, macht die finnische Regierung erstens geltend, diese Bestimmung sei nicht anwendbar, weil die Verordnung des Ministerrats nicht die Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gelte, sondern bestimmte Wirkstoffe betreffe.
31 Dazu ist festzustellen, dass Artikel 6 der Richtlinie Anwendung findet, wenn ein Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur gedeckt ist, wenn die zuständigen Behörden beschlossen haben, dieses Arzneimittel in eine Positivliste der unter dieses Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel aufzunehmen.
32 Wie sich aus der Darstellung des finnischen Systems ergibt, entscheidet der Ministerrat zwar nicht unmittelbar über die Aufnahme bestimmter Arzneimittel in die Liste der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gilt, doch hat seine Entscheidung über die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in die erweiterte Erstattungsregelung zwangsläufig zur Folge, dass diese Regelung auf die Arzneimittel angewandt wird, die solche Wirkstoffe enthalten und für die die zuständigen Behörden eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt haben.
33 Im Übrigen verfügt die Volksrentenanstalt nach dieser Entscheidung des Ministerrats über keinerlei Ermessen und ist verpflichtet, alle Arzneimittel, die einen in dieser Entscheidung aufgeführten Wirkstoff enthalten, in die Liste der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gilt, aufzunehmen, wenn für sie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt und ihr Großhandelspreis genehmigt worden ist.
34 Somit stellt diese Entscheidung des Ministerrats ein Bündel von Einzelentscheidungen über die Aufnahme bestimmter Arzneimittel in eine der Regelungen des Sozialversicherungssystems dar, so dass die Entscheidung unter Artikel 6 der Richtlinie fällt.
35 Die finnische Regierung macht zweitens geltend, dass Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie nicht anwendbar sei, da die Entscheidung über die Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gelte, im Gegensatz zu einer Entscheidung, die die normale Erstattung betreffe, nicht auf Antrag des Betroffenen erfolge.
36 Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie gelte aber nur für Systeme, in denen die Betroffenen einen Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in eine Liste stellten.
37 Dazu ist festzustellen, dass die Richtlinie nach ihrem Artikel 1 sicherstellen soll, dass alle einzelstaatlichen Maßnahmen zur Kontrolle der Preise von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch oder zur Einschränkung der unter die staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel den Anforderungen der Richtlinie entsprechen (Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 30).
38 Die Entscheidungen, nach denen für einige Arzneimittel ein erhöhter Erstattungssatz gilt, sind ein Mittel, um zu bestimmen, in welchem Umfang die angebotenen Arzneimittel durch ein Krankenversicherungssystem gedeckt sein sollen und bei der Behandlung der einen oder anderen Krankheit eingesetzt werden können.
39 Um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten, muss den Betroffenen nach der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie auch die Möglichkeit geboten werden, sich zu vergewissern, dass die Aufnahme von Arzneimitteln durch die Behörden nach objektiven Kriterien erfolgt und inländische Arzneimittel und solche aus anderen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich behandelt werden.
40 Diese Ziele würden jedoch beeinträchtigt, wenn ein Mitgliedstaat, wie die finnische Regierung meint, ein zweistufiges Verfahren zur Festlegung der Liste der Arzneimittel, für die ein erhöhter Erstattungssatz gilt, einführen könnte, von denen das eine die in Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen erfuellt, während das andere von diesen Verpflichtungen befreit wäre und die Ziele der Richtlinie nicht beachtete.
41 Somit ist, was die erste Rüge betrifft, eine Vertragsverletzung festzustellen.
Zur Rüge bezüglich der Begründung der Nichtgenehmigung des Arzneimittelpreises
42 Mit ihrer zweiten Rüge wirft die Kommission der Republik Finnland vor, dass die Entscheidungen der zuständigen finnischen Einrichtung über die Nichtgenehmigung eines Arzneimittelpreises entgegen den Vorschriften der Richtlinie nicht begründet würden. Zudem beruhten, wenn in diesen Entscheidungen denn Gründe angegeben würden, diese nicht auf objektiven und überprüfbaren Kriterien. Ein Vergleich der Artikel 23 und 24 des Gesetzes Nr. 598/1982 mit den Vorschriften der Richtlinie zeige, dass diese eine strengere Begründungspflicht vorsehe als die finnische Regelung.
43 Nach Ansicht der finnischen Regierung ist diese Rüge unzulässig, da die Kommission während des Vorverfahrens nur die - inzwischen korrigierte - Praxis der zuständigen Einrichtung gerügt habe, nicht aber die Vereinbarkeit der finnischen Regelung mit der Richtlinie.
44 Nach ständiger Rechtsprechung grenzen das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie die von ihr abgegebene mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand ab, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Die Möglichkeit zur Äußerung stellt nämlich für den betreffenden Mitgliedstaat auch dann, wenn er meint, davon nicht Gebrauch machen zu müssen, eine vom EG-Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substanzielles Formerfordernis des Verfahrens zur Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ist. Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird (Urteil vom 9. November 1999 in der Rechtssache C-365/97, Kommission/Italien, Slg. 1998, I-7773, Randnr. 23).
45 Da durch ein Urteil, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird, gegebenenfalls die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Pflichtverletzung möglicherweise trifft, und da dieses Urteil eine Vorbedingung für die Erhebung einer auf Artikel 228 EG gestützten Klage ist, ist es unabdingbar, dass der Mitgliedstaat im Laufe des Vorverfahrens Gelegenheit erhalten hat, sämtliche von der Kommission gegen ihn erhobenen Rügen zurückzuweisen (Urteil Kommission/Italien, Randnr. 24).
46 Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den im Mahnschreiben erhobenen Rügen, dem Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert worden ist (Urteil Kommission/Italien, Randnr. 25).
47 Auch wenn im vorliegenden Fall die Begründung der zweiten Rüge im Mahnschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme, in denen die unzulängliche Begründungspraxis bei den Entscheidungen über die Nichtgenehmigung eines Arzneimittelpreises beanstandet wurde, nur kurzgefasst war, enthielt der Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme doch den Vorwurf, dass die Republik Finnland nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen habe, um der Richtlinie nachzukommen.
48 Somit ist die zweite Rüge zulässig.
49 Zur Begründetheit trägt die Kommission unter Hinweis auf einige Beispiele zur Praxis in Finnland vor, dass die Begründung der ablehnenden Entscheidungen nicht im Einklang mit der Richtlinie stehe, die eine eingehendere Begründung verlange, als sie nach den finnischen Rechtsvorschriften erforderlich sei.
50 Wie die finnische Regierung zu Recht geltend gemacht hat, ergibt sich aus den Artikeln 23 und 24 des Gesetzes Nr. 598/1982, dass jede Verwaltungsentscheidung mit Gründen zu versehen ist, aus denen sich die Rechte und Pflichten des Betroffenen sowie alle berücksichtigten Umstände und die Rechtsvorschriften, auf denen die Entscheidung beruht, klar ergeben müssen (vgl. hierzu die Randnrn. 8 und 9 des vorliegenden Urteils).
51 Die von der Kommission angeführten Beispiele einer fehlenden Begründung belegen keine Praxis, die gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstieße.
52 Aus den von der finnischen Regierung vorgelegten Zahlen, die von der Kommission nicht bestritten worden sind, ergibt sich, dass 1999 der Ausschuss für Arzneimittelpreise 3 266 Entscheidungen erlassen hat, von denen nur 133 unzulänglich begründet waren.
53 Aus einigen Fällen einer mangelhaften Anwendungspraxis lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass die Behörden die Richtlinie grundsätzlich nicht beachtet hätten.
54 Somit ist festzustellen, dass die Kommission nicht dargetan hat, inwiefern die Praxis oder die finnische Regelung gegen die Richtlinie verstieß.
55 Nach ständiger Rechtsprechung hat aber im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG die Kommission das Vorliegen der Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann (u. a. Urteile vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 102, und vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C-263/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I-4195, Randnr. 27).
56 Somit ist festzustellen, dass die zweite Rüge unbegründet ist.
57 Nach alledem hat die Republik Finnland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Nummern 1 und 2 der Richtlinie verstoßen, indem sie, soweit es um die Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln geht, für die im Rahmen der Krankenversicherung ein erhöhter Erstattungssatz gilt, nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie nachzukommen.
Kosten
58 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da im vorliegenden Fall beide Parteien mit ihrem Vorbringen teilweise unterlegen sind, haben sie ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Republik Finnland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Nummern 1 und 2 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme verstoßen, indem sie, soweit es um die Entscheidungen über die Festlegung der Gruppen von Arzneimitteln geht, für die im Rahmen der Krankenversicherung ein erhöhter Erstattungssatz gilt, nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie nachzukommen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.