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Document 62000CJ0024

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 5. Februar 2004.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) - Nationale Regelung, in der die Nährstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, abschließend aufgeführt sind - Maßnahme gleicher Wirkung - Rechtfertigung - Gesundheit der Bevölkerung - Verbraucherschutz - Verhältnismäßigkeit.
Rechtssache C-24/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2004 I-01277

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2004:70

Arrêt de la Cour

Rechtssache C-24/00


Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Französische Republik


«Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) – Nationale Regelung, in der die Nährstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, abschließend aufgeführt sind – Maßnahmen gleicher Wirkung – Rechtfertigung – Gesundheit der Bevölkerung – Verbraucherschutz – Verhältnismäßigkeit»

Schlussanträge des Generalanwalts J. Mischo vom 26. Juni 2001
    
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 5. Februar 2004
    

Leitsätze des Urteils

1.
Freier Warenverkehr – Mengenmäßige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Nationale Regelung, die den Zusatz von Nährstoffen zu Lebensmitteln von einer vorherigen Zulassung abhängig macht – Unzulässigkeit wegen Fehlens eines vereinfachten Verfahrens

(Artikel 30 EG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 28 EG])

2.
Freier Warenverkehr – Mengenmäßige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Nationale Regelung, die das Inverkehrbringen von mit Nährstoffen angereicherten Lebensmitteln behindert – Unzulässigkeit – Rechtfertigung – Schutz der öffentlichen Gesundheit – Fehlen mangels Nachweises einer tatsächlichen Gefahr

(Artikel 30 und 36 EG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG])

1.
Ein Mitgliedstaat, der kein vereinfachtes Verfahren vorsieht, das es zu erwirken ermöglicht, dass Nährstoffe, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt worden sind, in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe aufgenommen werden, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG).
Dieses Verfahren muss leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muss die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können.

(vgl. Randnrn. 26, 76 und Tenor)

2.
Ein Mitgliedstaat, der es, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt, behindert, bestimmte Lebensmittel wie Nahrungsergänzungen und diätetische Produkte, die die Stoffe L‑Tartrat und L‑Carnitin enthalten, und wie Süßwaren und Getränke, denen bestimmte Nährstoffe zugesetzt worden sind, in seinem Hoheitsgebiet in den Verkehr zu bringen, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG).
Zwar läuft es nämlich grundsätzlich nicht dem Gemeinschaftsrecht zuwider, dass es durch eine Regelung eines Mitgliedstaats verboten wird, zur menschlichen Ernährung bestimmte Lebensmittel ohne vorherige Zulassung feilzuhalten oder zu verkaufen, wenn ihnen Nährstoffe zugesetzt worden sind, deren Zusatz nicht durch diese Regelung für zulässig erklärt worden ist, so dass es, soweit beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung noch Unsicherheiten bestehen, mangels Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen, jedoch muss dieses Ermessen unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden. Im Übrigen ist es Sache der nationalen Behörden, in jedem Einzelfall im Licht der Ernährungsgewohnheiten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzulegen, dass ihre Regelung zum wirksamen Schutz der von Artikel 36 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) erfassten Interessen erforderlich ist und insbesondere, dass das Inverkehrbringen der in Frage stehenden Erzeugnisse eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.

(vgl. Randnr. 49, 51-53, 76 und Tenor)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
5. Februar 2004(1)


„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) – Nationale Regelung, in der die Nährstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, abschließend aufgeführt sind – Maßnahme gleicher Wirkung – Rechtfertigung – Gesundheit der Bevölkerung – Verbraucherschutz – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C-24/00

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. B. Wainwright und O. Couvert-Castéra als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Französische Republik, zunächst vertreten durch R. Abraham und R. Loosli-Surrans, dann durch J.-F. Dobelle und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie

keine Bestimmungen erlassen hat, die den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, gewährleisten, wenn diese Zusatzstoffe (wie Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in der französischen Regelung nicht vorgesehen sind;

kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es ermöglicht, die für das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe zu erwirken, und

das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert hat, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt,



DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer),,



unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richter C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und R. Schintgen und der Richterin F. Macken (Berichterstatterin),

Generalanwalt: J. Mischo,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 31. Mai 2001, in der die Kommission durch R. B. Wainwright und J. Adda als Bevollmächtigte und die Französische Republik durch R. Loosli-Surrans vertreten waren,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Juni 2001,

erlässt



Urteil



1
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 27. Januar 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie

keine Bestimmungen erlassen hat, die den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, gewährleisten, wenn diese Zusatzstoffe (wie Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in der französischen Regelung nicht vorgesehen sind;

kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es ermöglicht, die für das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe zu erwirken, und

das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert hat, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.

2
Unter Zusatzstoffen sind Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren und sonstige stickstoffhaltige Verbindungen zu verstehen.


Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3
Unstreitig bestanden zum streiterheblichen Zeitpunkt, d. h. bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vom 26. Oktober 1998 gesetzt worden war, keine Gemeinschaftsvorschriften zur Festsetzung der Bedingungen, unter denen Nährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs zugesetzt werden dürfen.

4
Einige der für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmittel sind Gegenstand von Richtlinien, die die Kommission auf der Grundlage der Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (ABl. L 186, S. 27), erlassen hat.

A – Die nationale Regelung

5
Die französische Regelung des Inverkehrbringens von Nahrungsergänzungen und von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs, die mit Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen Nährstoffen wie Aminosäuren angereichert sind, findet sich im Dekret vom 15. April 1912 über die Regelung der öffentlichen Verwaltung zur Durchführung des Gesetzes vom 1. August 1905 über die Bekämpfung von Betrügereien beim Verkauf von Waren und von Fälschungen betreffend Lebensmittel, insbesondere Fleisch, Wurstwaren, Obst, Gemüse, Fisch und Konserven.

6
Artikel 1 dieses Dekrets in der Fassung des Dekrets Nr. 73-138 vom 12. Februar 1973 (JORF vom 15. Februar 1973, S. 1728) bestimmt:

„Es ist verboten, Waren und Nahrungsmittel, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, feilzuhalten, anzubieten oder zu verkaufen, wenn ihnen andere chemische Stoffe als diejenigen zugesetzt sind, deren Verwendung durch gemeinsame, aufgrund der Stellungnahme des Obersten Hygienerates Frankreichs [im Folgenden: OHF] und der Nationalen Akademie der Medizin verabschiedete Arrêtés (Verordnungen oder Erlasse) der Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, für Wirtschaft und Finanzen, für die industrielle und wissenschaftliche Entwicklung und für die Gesundheit erlaubt ist.“

7
Artikel 1 des Dekrets Nr. 91-827 vom 29. August 1991 betreffend Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (JORF vom 31. August 1991, S. 11424), bestimmt:

„Als Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, werden die Lebensmittel angesehen, die sich aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden, die dem angegebenen Ernährungszweck dienen und unter Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie diesem Zweck entsprechen.“

8
Artikel 3 dieses Dekrets lautet wie folgt:

„Gemeinsame Arrêtés der für Konsum, Landwirtschaft und Gesundheit zuständigen Minister bestimmen nach Stellungnahme des [OHF]:

a)
die Liste und die Verwendungsbedingungen von Stoffen mit Ernährungszweck wie Vitaminen, Mineralstoffen, Aminosäuren und sonstigen Stoffen, die für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, ebenso wie die für diese Stoffe geltenden Reinheitskriterien;

...“

9
Bei den in Artikel 3 des Dekrets Nr. 91-827 genannten Arrêtés handelt es sich um den zur Durchführung des Dekrets Nr. 75-85 vom 24. Juli 1975 über Diätprodukte ergangenen Arrêté vom 20. Juli 1977 mit späteren Änderungen und den gleichfalls später geänderten Arrêté vom 4. August 1986 betreffend die Verwendung von Zusatzstoffen bei der Herstellung von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die auf der Grundlage der Dekrete ergangen sind, die dem Dekret Nr. 91-827 vorausgegangen und nach dessen Artikel 9 Absatz 2 in Kraft geblieben sind.


Vorprozessuales Verfahren

10
Im Anschluss an Beschwerden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern über die Schwierigkeiten, mit Nährstoffen angereicherte Lebensmittel in Frankreich in den Verkehr zu bringen, forderte die Kommission die französischen Behörden zwischen 1994 und 1996 mehrfach zur Stellungnahme auf.

11
Nachdem die Briefwechsel zwischen der Kommission und den französischen Behörden und die Gespräche in der „Paket-Sitzung“ ergebnislos geblieben waren, forderte die Kommission die Französische Republik mit Schreiben vom 23. Dezember 1997 zu einer Stellungnahme binnen zwei Monaten auf.

12
Da die Antworten der französischen Behörden vom 9. März und 15. Mai 1998 sie nicht zufrieden stellten, erließ die Kommission mit Schreiben vom 26. Oktober 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme und forderte die Französische Republik auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.

13
Mit Schreiben vom 31. Dezember 1998 führten die französischen Behörden aus, dass die betreffende französische Regelung auf zwingenden Gründen des Gesundheitsschutzes beruhe und dass sie in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Rechtsangleichung berechtigt seien, ihre nationale Regelung anzuwenden. Sie teilten jedoch mit, dass sie beabsichtigten, eine klarstellende Regelung zu erlassen, die das Zulassungsverfahren für den Zusatz von Nährstoffen beschreibe.

14
Da die Kommission der Ansicht war, dass die Französische Republik der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb der festgesetzten Frist nicht nachgekommen sei, hat sie die vorliegende Klage erhoben.


Zur Klage

15
Die Kommission erhebt in ihrer Klageschrift drei Rügen gegen die Französische Republik. Sie beanstandet erstens, dass in der französischen Regelung eine Klausel über die gegenseitige Anerkennung fehle, die für Lebensmittel gelte, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht und denen nach dieser Regelung nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt worden seien, zweitens, dass es kein vereinfachtes Verfahren für die Aufnahme dieser Nährstoffe in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe gebe und drittens, dass die Ablehnung der Aufnahme dieser Nährstoffe in die genannte Liste nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sei.

Zur ersten Rüge

Vorbringen der Parteien

16
Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, dass die französische Regelung es nicht berücksichtige, wenn Lebensmittel, denen in Frankreich nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt worden seien, in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden seien, so dass für sie vorbehaltlich der im EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen normalerweise der Grundsatz des freien Warenverkehrs gelten müsse. Diese Regelung enthalte keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung, die dazu bestimmt wäre, den freien Verkehr von Erzeugnissen sicherzustellen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden seien und die die Gesundheit der Verbraucher auf einem Niveau schützten, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig sei, auch wenn sie den Erfordernissen dieser Regelung nicht vollständig entsprächen.

17
Nach Ansicht der Kommission genügt gemäß dem Urteil vom 22. Oktober 1998 in der Rechtssache C-184/96 (Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-6197) das Fehlen einer Klausel über die gegenseitige Anerkennung in der französischen Regelung, um das Vorliegen einer Vertragsverletzung zu beweisen.

18
Die französische Regierung führt hierzu aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Klauseln über die gegenseitige Anerkennung in der Regel Qualitäts- oder Sicherheitsnormen für spezielle gewerbliche Erzeugnisse, nicht aber Gesundheitsschutznormen allgemein betreffe. Im Übrigen habe die Kommission mit der Vorlage von Richtlinienentwürfen zur Regelung des Zusatzes von Nährstoffen stillschweigend anerkannt, dass sich angesichts der unterschiedlichen innerstaatlichen Situationen durch Klauseln über die gegenseitige Anerkennung der freie Verkehr von Lebensmitteln unter Gewährleistung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes nicht sicherstellen lasse.

19
Die französische Regierung räumt ein, dass die innerstaatliche Regelung den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern könne, vertritt jedoch die Meinung, dass sie durch die Ziele des Gesundheits‑ und des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sei. Die Kommission erbringe hier keinen Nachweis dafür, dass diese Regelung wegen des Fehlens einer Klausel unverhältnismäßig sei, die die gegenseitige Anerkennung von Nährstoffen gewährleiste, die in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs oder für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt worden seien.

20
Außerdem habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass die Französische Republik in einem Fall, in dem in einem anderen Mitgliedstaat eine Regelung bestanden habe, nach der die gleichen Gesundheitsschutzziele hätten gewährleistet werden können, die Prüfung eines Antrags abgelehnt habe, einen nach dieser Regelung zugelassenen Nährstoff im Rahmen eines Systems der gegenseitigen Anerkennung in die nationale Liste aufzunehmen.

Würdigung durch den Gerichtshof

21
Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein grundlegendes Prinzip des Vertrages, das seinen Ausdruck in dem in Artikel 30 EG-Vertrag niedergelegten Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und aller Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten findet.

22
Das in Artikel 30 EG-Vertrag aufgestellte Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung erfasst jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, und vom 23. September 2003 in der Rechtssache C-192/01, Kommission/Dänemark, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39).

23
Unstreitig stellt die französische Regelung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EG-Vertrag dar. Diese Regelung, nach der mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherte Lebensmittel nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn diese Nährstoffe zuvor in eine „Positivliste“ aufgenommen worden sind, erschwert und verteuert nämlich das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel und behindert damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten.

24
Diese Regelung enthält keine Bestimmung, die den freien Verkehr angereicherter Lebensmittel sicherstellt, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind und bei denen ein Niveau des Schutzes der menschlichen Gesundheit garantiert ist, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig ist, auch wenn diese Erzeugnisse den Erfordernissen dieser Regelung nicht vollständig entsprechen.

25
Allerdings verstößt eine nationale Regelung, wonach der Zusatz eines Nährstoffs zu einem Lebensmittel, das in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden ist, von einer vorherigen Zulassung abhängig ist, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-344/90, Kommission/Frankreich, Slg, 1992, I-4719, Randnr. 8, und Kommission/Dänemark, Randnr. 44).

26
Eine solche Regelung muss ein Verfahren vorsehen, das es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die Aufnahme dieses Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Zusatzstoffe zu erreichen. Dieses Verfahren muss leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muss die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich, Randnr. 9).

27
Außerdem kann ein Antrag auf Aufnahme eines Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe von den zuständigen innerstaatlichen Behörden nur dann abgelehnt werden, wenn dieser Stoff tatsächlich ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 46).

28
Da der betreffende Mitgliedstaat eine Regelung gewählt hat, wonach für das Inverkehrbringen eines Lebensmittels, dem ein Nährstoff zugesetzt worden ist, eine vorherige Zulassung erforderlich ist, ist die erste Rüge zurückzuweisen.

29
Zu der Frage, ob die französische Regelung die beiden in den Randnummern 26 und 27 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt, ist daran zu erinnern, dass diese Frage Gegenstand der zweiten und der dritten Rüge der Kommission ist.

Zur zweiten Rüge

Vorbringen der Parteien

30
Die Kommission trägt zunächst vor, dass das durch die französische Regelung eingeführte Verfahren der vorherigen Zulassung, wonach erst die Änderung des einschlägigen interministeriellen Arrêté erforderlich sei, bevor ein in Frankreich nicht zugelassener Nährstoff dort in den Verkehr gebracht werden könne, eine besonders hohe Hürde darstelle und nicht den in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen des Gemeinschaftsrechts genüge.

31
Damit das Verfahren der Aufnahme in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe für die Wirtschaftsteilnehmer entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes leicht zugänglich sei, müssten die nationalen Behörden in einem amtlich veröffentlichten und die nationalen Behörden bindenden Text festlegen, welche Angaben in einem Antrag auf Zulassung enthalten sein müssten, und das Verfahren für die Bearbeitung dieses Antrags beschreiben. Nach Ansicht der Kommission kann aber das durch die französische Regelung vorgesehene Verfahren, dessen Ausgestaltung nicht in einem solchen Text beschrieben ist, nicht als für die Wirtschaftsteilnehmer leicht zugänglich angesehen werden.

32
Ferner müsse das nationale Zulassungsverfahren in einer angemessenen Frist zu Ende geführt werden können. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die anwendbaren Bestimmungen keine Frist für die Bearbeitung der Anträge auf Aufnahme in diese Liste enthielten.

33
Schließlich müsse die Ablehnung einer Zulassung in einer Form erfolgen, die dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich die Möglichkeit eröffne, den Rechtsweg zu beschreiten. Die französische Regelung genüge dieser Anforderung aber nicht. In den von den französischen Behörden den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten Ablehnungsbescheiden sei insbesondere nicht konkret angegeben, aus welchen Gründen die betreffenden Genehmigungen zum Inverkehrbringen nicht erteilt würden.

34
Die französische Regierung trägt dagegen vor, es gebe bereits ein vereinfachtes Verfahren, auch wenn es in dem Dekret vom 15. April 1912 nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Erstens berücksichtige der OHF internationale wissenschaftliche Daten in allen Fällen, in denen die Antragsteller sich auf diese in ihrem Antrag beriefen. Zweitens sei das Verfahren schnell, da es genüge, einen Arrêté zu erlassen. Im Übrigen werde der Wirtschaftsteilnehmer oft noch vor der Veröffentlichung dieses Arrêté schriftlich über das günstige Ergebnis unterrichtet. Nach Ansicht der französischen Regierung hat die Kommission nicht bewiesen, dass es an einem de facto vereinfachten Zulassungsverfahren für ein Erzeugnis fehlt, das in einem anderen Mitgliedstaat als der Französischen Republik rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist.

35
Vorbedingung für die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens scheine jedenfalls zu sein, dass das im Ausfuhrstaat geltende Recht dem Recht im Einfuhrstaat entspreche, und diese Bedingung sei nicht erfüllt, wie der Umstand beweise, dass die Kommission beschlossen habe, Vorschläge für Richtlinien vorzulegen, um den Zusatz von Nährstoffen zu regeln.

Würdigung durch den Gerichtshof

36
Wie aus Randnummer 26 des vorliegenden Urteils hervorgeht,  steht ein Verfahren, wonach der Zusatz eines in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Nährstoffs im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung von der vorherigen Zulassung abhängig ist, nur dann im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, wenn es leicht zugänglich ist und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden kann und wenn, falls es zu einer Ablehnung führt, die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden kann.

37
Was erstens die Möglichkeit des Zugangs zu dem hier in Rede stehenden Verfahren betrifft, so kann die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, ein solches Verfahren für jede innerstaatliche Regelung vorzusehen, nach der der Zusatz von Nährstoffen aus Gründen des Gesundheitsschutzes von einer Zulassung abhängig ist, nicht erfüllt sein, wenn dieses Verfahren nicht in einem die innerstaatlichen Behörden bindenden Rechtsakt von allgemeiner Wirkung ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil vom 12. März 1987 in der Rechtssache 176/84, Kommission/Griechenland, Slg. 1987, 1193, Randnr. 41).

38
Mit dem in ihrer Antwort vom 31. Dezember 1998 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme gegebenen Hinweis auf ihre Absicht, „die französische Regelung klarzustellen, indem das Zulassungsverfahren für die Verwendung von Nährstoffen in einer Vorschrift beschrieben wird“, haben die französischen Behörden zumindest mit Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, eingeräumt, dass dieses Verfahren in der innerstaatlichen Regelung nicht förmlich vorgesehen war.

39
Zwar hat die französische Regierung eine Mitteilung an die Wirtschaftsteilnehmer über die Modalitäten der Aufnahme von Nährstoffen in Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs vorbereitet, die ihrer Meinung nach diese Funktion erfüllt. Aus den Akten geht aber nicht hervor, dass diese Mitteilung, angenommen, sie genügte den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts, bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, in Kraft war.

40
Zweitens zeigen die von der Kommission in ihrer Klageschrift gegebenen Beispiele, dass die von den Wirtschaftsteilnehmern eingereichten Anträge auf Zulassung weder innerhalb eines angemessenen Zeitraums noch nach einem Verfahren behandelt worden sind, das in Bezug auf bei Ablehnung der Zulassung gegebene Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes hinreichend transparent war.

41
So hat im Fall des Antrags auf Zulassung in Bezug auf das Getränk „Red Bull“ der Antragsteller fast sieben Monate bis zur Empfangsbestätigung für seinen Antrag und mehr als zwei Jahre bis zur Übermittlung der ablehnenden Entscheidung warten müssen.

42
Demnach ist die zweite Rüge als begründet anzusehen.

Zur dritten Rüge

Vorbringen der Parteien

43
Die Kommission trägt vor, dass die französischen Behörden es in mehreren Fällen abgelehnt hätten, das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, denen nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt gewesen seien, zu genehmigen, ohne diese Ablehnungsentscheidungen mit einer tatsächlichen Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes habe der Mitgliedstaat in jedem Einzelfall die Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung darzulegen.

44
Außerdem dürften die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen solcher aus einem anderen Mitgliedstaat stammender Lebensmittel nicht unabhängig von jeder gesundheitsbezogenen Erwägung allein deshalb untersagen, weil es an einem die Ernährung betreffenden Interesse fehle, diesen einen Nährstoff zuzusetzen.

45
Zum Verbraucherschutz meint die Kommission, dass die französischen Behörden in den von ihr angeführten Einzelfällen nicht geprüft hätten, ob nicht andere, weniger einschränkende Maßnahmen angewandt werden könnten, die in der Verpflichtung zur Anbringung einer Kennzeichnung bestünden, anhand deren sich der Verbraucher über die Gefahren informieren könnte, die mit einem übermäßigen Verzehr der betreffenden Stoffe verbunden seien.

46
Demgegenüber trägt die französische Regierung vor, dass jede ablehnende Entscheidung über die Aufnahme eines Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe auf die von den französischen wissenschaftlichen Gremien abgegebenen Stellungnahmen gestützt sei, die ihrerseits auf einer Prüfung der Gesundheitsgefahren in jedem Einzelfall beruhten und die anzuzweifeln sich die französischen Behörden nicht für befugt hielten, da es um wissenschaftliche Bewertungen gehe.

47
Zu Recht würden bei der Bewertung der Unschädlichkeit von Nährstoffen die ernährungsbezogenen Bedürfnisse der französischen Bevölkerung berücksichtigt, da die französische Regelung keine nachträgliche Zulassung der solche Stoffe enthaltenden Enderzeugnisse vorsehe.

48
Zwar werde die Wirksamkeit des Nährstoffs im Verfahren der Aufnahme in diese nationale Liste berücksichtigt, doch werde die Wirksamkeit des Erzeugnisses oder des zugesetzten Nährstoffs in zahlreichen Richtlinien auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes gleichfalls berücksichtigt, und ferner werde in zahlreichen gemeinschaftlichen und innerstaatlichen Rechtsvorschriften gleichzeitig ein zweifaches Ziel des Gesundheitsschutzes und des Kampfes gegen Betrügereien verfolgt.

Würdigung durch den Gerichtshof

49
Es ist daran zu erinnern, dass es, soweit beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung noch Unsicherheiten bestehen, mangels Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten ist, unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen der Lebensmittel eine vorherige Zulassung verlangen (vgl. Urteile vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 174/82, Sandoz, Slg. 1983, 2445, Randnr. 16, und Kommission/Dänemark, Randnr. 42).

50
Dieses den Gesundheitsschutz betreffende Ermessen ist von besonderer Bedeutung, wenn nachgewiesen wird, dass beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung Unsicherheiten hinsichtlich bestimmter Stoffe wie der Vitamine bestehen, die im Allgemeinen an sich nicht schädlich sind, jedoch bei übermäßigem Verzehr mit der gesamten in ihrer Zusammensetzung unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Nahrung besondere schädliche Wirkungen hervorrufen können (vgl. Urteile Sandoz, Randnr. 17, und Kommission/Dänemark, Randnr. 43).

51
Wie sich aus Randnummer 25 des vorliegenden Urteils ergibt, läuft es demzufolge grundsätzlich nicht dem Gemeinschaftsrecht zuwider, dass es durch eine Regelung eines Mitgliedstaats verboten wird, zur menschlichen Ernährung bestimmte Lebensmittel ohne vorherige Zulassung feilzuhalten oder zu verkaufen, wenn ihnen Nährstoffe zugesetzt worden sind, deren Zusatz nicht durch diese Regelung für zulässig erklärt worden ist.

52
Allerdings müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihres den Gesundheitsschutz betreffenden Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Die von ihnen gewählten Maßnahmen sind daher auf das Maß dessen zu beschränken, was zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung oder zur Erfüllung der zwingenden Anforderungen beispielsweise des Verbraucherschutzes tatsächlich erforderlich ist; sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, das nicht durch Maßnahmen zu erreichen sein darf, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken (vgl. Urteile Sandoz, Randnr. 18, und Kommission/Dänemark, Randnr. 45).

53
Da Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) eine –  eng auszulegende – Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft darstellt, ist es im Übrigen Sache der nationalen Behörden, die sich hierauf berufen, in jedem Einzelfall im Licht der Ernährungsgewohnheiten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzulegen, dass ihre Regelung zum wirksamen Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Interessen erforderlich ist und insbesondere dass das Inverkehrbringen der in Frage stehenden Erzeugnisse eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 46).

54
Ein Verbot des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, denen Nährstoffe zugesetzt worden sind, muss daher auf eine eingehende Prüfung des Risikos gestützt werden, das der sich auf Artikel 36 EG-Vertrag berufende Mitgliedstaat geltend macht (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 47).

55
Ein Verbot des Inverkehrbringens eines angereicherten Lebensmittels, das im Übrigen das restriktivste Hemmnis für den Handel mit in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln darstellt, kann nur erlassen werden, wenn die geltend gemachte Gefahr für die öffentliche Gesundheit auf der Grundlage der letzten wissenschaftlichen Informationen, die bei Erlass eines solchen Verbotes zur Verfügung stehen, als hinreichend nachgewiesen anzusehen ist. In einem solchen Zusammenhang ist Gegenstand der Risikobewertung, die der Mitgliedstaat vorzunehmen hat, die Beurteilung des Wahrscheinlichkeitsgrads der schädlichen Auswirkungen des Zusatzes bestimmter Nährstoffe zu Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit sowie der Schwere dieser potenziellen Auswirkungen (Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 48).

56
Eine solche Risikobewertung könnte natürlich ergeben, dass wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens und des Umfangs tatsächlicher Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung bestehen. Unter solchen Umständen ist einem Mitgliedstaat zuzugestehen, dass er nach dem Vorsorgeprinzip Schutzmaßnahmen trifft, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers’ Union u. a., Slg. 1998, I‑2211, Randnr. 63). Allerdings darf die Risikobewertung nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt werden (vgl. Urteile vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-236/01, Monsanto Agricoltura Italia u. a., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 106, und Kommission/Dänemark, Randnr. 49).

57
Im vorliegenden Fall hat die französische Regierung in einigen der von der Kommission angeführten Fälle keine Angaben gemacht, denen sich entnehmen ließe, dass die nationale Regelung zum wirksamen Schutz der von Artikel 36 EG-Vertrag erfassten Interessen erforderlich ist und insbesondere dass das Inverkehrbringen des jeweiligen in Frage stehenden angereicherten Lebensmittels eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.

58
Was zunächst die mit Vitaminen angereicherten Süßwaren und Getränke betrifft, so geht aus dem Gutachten des OHF vom 10. September 1996, auf das sich die französischen Behörden zur Rechtfertigung des Verbotes des Inverkehrbringens derartiger Erzeugnisse stützen, hervor, dass die Genehmigung des Inverkehrbringens dieser angereicherten Lebensmittel zu versagen sei, weil eine Person zahlreiche mit Vitaminen angereicherte Lebensmittel verzehren könne, die zur gewöhnlichen Aufnahme aus einer abwechslungsreichen Ernährung hinzukommen würden. Nach Schätzungen des OHF nimmt der größte Teil der französischen Bevölkerung die meisten Vitamine in ausreichender Menge mit der Ernährung auf.

59
Zu dem Vorbringen der französischen Regierung, das auf dieses Fehlen eines den Zusatz von Nährstoffen zu den betreffenden Lebensmitteln erforderlich machenden Ernährungsbedürfnisses gestützt ist, ist festzustellen, dass in einem Kontext wissenschaftlicher Unsicherheit das Kriterium des Ernährungsbedürfnisses der Bevölkerung eines Mitgliedstaats eine Rolle bei der von diesem vorgenommenen eingehenden Prüfung des Risikos spielen kann, das für die Gesundheit der Bevölkerung mit dem Zusatz von Nährstoffen zu Lebensmitteln verbunden sein kann.

60
Jedoch kann das Fehlen eines solchen Bedürfnisses allein nicht ein völliges Verbot des Inverkehrbringens von in den anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln auf der Grundlage des Artikels 36 EG-Vertrag rechtfertigen (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 54).

61
Zwar heißt es im letzten Abschnitt des Gutachtens des OHF, dass die Verbreitung angereicherter Lebensmittel die Bevölkerung der Gefahr der Überschreitung der Sicherheitsgrenzen für die Aufnahme bestimmter Vitamine aussetze. Das Gutachten beschränkt sich jedoch auf eine vage Bezeichnung dieser allgemeinen Gefahr einer übermäßigen Aufnahme, ohne die betreffenden Vitamine, das Ausmaß der Überschreitung dieser Grenzen oder die in solchen Überschreitungen liegenden Risiken zu präzisieren, wobei die französische Regierung nicht bestritten hat, dass sie sich bei der Ablehnung, das Inverkehrbringen bestimmter Erzeugnisse zu genehmigen, allein auf dieses Gutachten gestützt hat.

62
Demzufolge ist in Bezug auf die Süßwaren und Getränke, denen Nährstoffe zugesetzt worden sind, der Schluss zu ziehen, dass die französischen Behörden die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse, wie sie sich aus der in den Randnummern 52 bis 56 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes ergeben, und insbesondere das Erfordernis einer eingehenden Prüfung der mit dem Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen in einem Fall wie dem hier vorliegenden möglicherweise verbundenen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung in jedem Einzelfall, nicht beachtet haben (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 56).

63
Wenn sich das Gutachten des OHF vom 12. Juli 1994 betreffend den Zusatz von L-Tartrat und von L-Carnitin in Nahrungsergänzungen und diätetischen Produkten dagegen ausspricht, dass Erzeugnisse, denen diese Nährstoffe zugesetzt worden sind, in Frankreich in den Verkehr gebracht werden, so deshalb, weil es an einem ernährungsbezogenen Interesse an diesen Erzeugnissen und am Nachweis für den Wahrheitsgehalt der Behauptungen fehle, dass diese Stoffe förderlich oder nützlich seien.

64
Jedoch kann, wie aus Randnummer 60 des vorliegenden Urteils hervorgeht, das Fehlen eines solchen Ernährungsbedürfnisses allein nicht ein Verbot des Inverkehrbringens von in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln auf der Grundlage des Artikels 36 EG-Vertrag rechtfertigen.

65
Außerdem werden in dem genannten Gutachten Verdauungsstörungen – ohne konkrete Angabe, welcher Art – angeführt, von denen 13 % der Bevölkerung betroffen seien, und darauf verwiesen, dass es keinen Nachweis für den Wahrheitsgehalt der Behauptungen über den Nutzen oder die Vorteile des Zusatzes von Tartrat und von L-Carnitin gebe. Dies stellt keine eingehende Prüfung der mit dem Zusatz dieser Stoffe zu Lebensmitteln möglicherweise verbundenen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung dar und ist daher für die Rechtfertigung eines Verbotes des Inverkehrbringens auf der Grundlage von Artikel 36 EG-Vertrag nicht ausreichend.

66
Unter diesen Umständen konnte die Kommission hinsichtlich des Zusatzes dieser Nährstoffe zu Nahrungsergänzungen und diätetischen Produkten zu Recht zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die französischen Behörden die sich aus der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebenden Kriterien für die Anwendung von Artikel 36 EG-Vertrag nicht eingehalten haben.

67
Was schließlich die energetischen Getränke wie „Red Bull“ betrifft, so geht aus dem Gutachten des OHF vom 10. September 1996 hervor, dass der OHF, auch wenn gegen das Inverkehrbringen derartiger Getränke „von der klassischen Toxikologie her nichts spricht“, der Auffassung ist, dass deren Vermarktung wegen übermäßiger Koffeinkonzentration, die die in Frankreich zugelassene übersteige, wegen der Gefahr des übermäßigen Koffeinkonsums insbesondere bei schwangeren Frauen, wegen der irreführenden Behauptung über den „energetischen“ Charakter des Erzeugnisses und wegen der Gefahr einer positiven Antidopingkontrolle bei Sportlern nicht genehmigt werden dürfe. Der OHF meint, dass der Höchstgehalt an Koffein in Getränken 150 mg/l nicht überschreiten dürfe, und erinnert daran, dass der tägliche Konsum von Koffein 200 mg nicht überschreiten sollte.

68
Wie aus Randnummer 49 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann die Französische Republik bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten will.

69
Zwar muss sie darlegen, weshalb das Verbot des Inverkehrbringens von energetischen Getränken, deren Koffeingehalt eine bestimmte Grenze übersteigt, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich und verhältnismäßig ist (vgl. Urteil vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-420/01, Kommission/Italien, Slg. 2003, I‑6445, Randnrn. 30 und 31).

70
Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht auf das erwähnte Gutachten des OHF hin, in dem konkrete Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit übermäßigem Koffeinkonsum dargelegt werden, erläutert, warum ein solches Gutachten unzureichend sein soll, um ein Verbot des Inverkehrbringens von energetischen Getränken, deren Koffeingehalt den in Frankreich zugelassenen übersteigt, auf der Grundlage von Artikel 36 EG‑Vertrag zu rechtfertigen. Die Kommission hat nämlich keine Gesichtspunkte vorgebracht, die dafür ausreichend wären, die Untersuchung der französischen Behörden hinsichtlich der mit diesen Getränken verbundenen Gesundheitsgefahren in Frage zu stellen.

71
Außerdem hat die französische Regierung in Bezug auf die energetischen Getränke von der Kommission insoweit unwidersprochen mitgeteilt, dass der Wissenschaftliche Ausschuss für die menschliche Ernährung am 21. Januar 1999 ein negatives Gutachten über bestimmte Nährstoffe wie Taurin und Glucuronsäure in diesen Getränken abgegeben habe.

72
Unter diesen Umständen obliegt es der Kommission zu erläutern, weshalb das diesem Gutachten entnommene Vorbringen der französischen Regierung nicht ausreichen kann, die Ablehnung der Genehmigung für das Inverkehrbringen energetischer Getränke, denen Taurin und Glucuronsäure zugesetzt worden sind, zu rechtfertigen.

73
Da die Kommission auf dieses Vorbringen nicht eingegangen ist und angesichts ihrer unzureichenden Antwort auf die geltend gemachte Rechtfertigung betreffend die Überschreitung des zugelassenen Schwellenwerts der Koffeinkonzentration in den fraglichen energetischen Getränken, ist die dritte Rüge der Kommission zurückzuweisen, soweit sie energetische Getränke betrifft, deren Koffeingehalt eine bestimmte Grenze übersteigt und denen Taurin und Glucuronsäure zugesetzt worden sind.

74
Was den wirksamen Schutz der Verbraucher betrifft, den die französische Regierung gleichfalls anführt, so ist es zwar, wie aus den Randnummern 63 und 67 des vorliegenden Urteils hervorgeht, rechtmäßig, auf eine korrekte Information der Verbraucher über die von ihnen verbrauchten Erzeugnisse achten zu wollen (vgl. Urteile vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 216/84, Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 793, Randnr. 10, und vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229).

75
Eine geeignete Kennzeichnung, mit der die Verbraucher über die Art, die Inhaltsstoffe und die Eigenschaften der angereicherten Lebensmittel informiert werden, könnte es den Verbrauchern, für die der übermäßige Konsum eines diesen Lebensmitteln zugesetzten Nährstoffs eine Gefahr darstellen könnte, ermöglichen, selbst über deren Verwendung zu entscheiden (vgl. Urteil vom 23. Februar 1988, Kommission/Frankreich, Randnr. 16).

76
Angesichts all dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie

kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es zu erwirken ermöglicht, dass Nährstoffe, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt worden sind, in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe aufgenommen werden,

          und

es, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt, behindert hat, bestimmte Lebensmittel wie Nahrungsergänzungen und diätetische Produkte, die die Stoffe L‑Tartrat und L‑Carnitin enthalten, und wie Süßwaren und Getränke, denen bestimmte Nährstoffe zugesetzt worden sind, in Frankreich in den Verkehr zu bringen.

Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.


Kosten

77
Nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage der Kommission nur teilweise stattgegeben wird, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.       Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen, dass sie

kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es zu erwirken ermöglicht, dass Nährstoffe, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt worden sind, in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe aufgenommen werden,

und

es, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel eine tatsächliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt, behindert hat, bestimmte Lebensmittel wie Nahrungsergänzungen und diätetische Produkte, die die Stoffe L‑Tartrat und L‑Carnitin enthalten, und wie Süßwaren und Getränke, denen bestimmte Nährstoffe zugesetzt worden sind, in Frankreich in den Verkehr zu bringen.

2.       Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

3.       Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Französische Republik tragen ihre eigenen Kosten.

Skouris

Gulmann

Cunha Rodrigues

Schintgen

Macken

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Februar 2004.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

V. Skouris


1
Verfahrenssprache: Französisch.

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