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Document 61999CJ0036

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 13. Juli 2000.
Idéal tourisme SA gegen Belgischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien.
Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Übergangsvorschriften - Aufrechterhaltung der Befreiung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung mit Luftfahrzeugen - Keine Befreiung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung mit Bussen - Ungleichbehandlung - Staatliche Beihilfe.
Rechtssache C-36/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 I-06049

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2000:405

61999J0036

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 13. Juli 2000. - Idéal tourisme SA gegen Belgischer Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien. - Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Übergangsvorschriften - Aufrechterhaltung der Befreiung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung mit Luftfahrzeugen - Keine Befreiung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung mit Bussen - Ungleichbehandlung - Staatliche Beihilfe. - Rechtssache C-36/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06049


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Befugnis der Mitgliedstaaten, bestimmte Steuerbefreiungen vorläufig beizubehalten - Umfang - Befreiung der grenzüberschreitenden Personenbeförderung mit Luftfahrzeugen während grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen besteuert werden - Kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b)

Leitsätze


$$Beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steht der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach denen grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen entsprechend Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der Fassung, wie sie sich aus der Richtlinie 96/95 zur Änderung der Richtlinie 77/388 hinsichtlich der Höhe des Normalsteuersatzes ergibt, weiterhin von der Steuer befreit sind, während grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen besteuert werden.

(vgl. Randnr. 40 und Tenor)

Parteien


In der Rechtssache C-36/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal de première instance Lüttich (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Idéal tourisme SA

gegen

Belgischer Staat

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 12 Absatz 3 und 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:

einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung, wie sie sich aus der Richtlinie 96/95/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Höhe des Normalsteuersatzes (ABl. L 338, S. 89) ergibt, und des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida sowie der Richter R. Schintgen, C. Gulmann, G. Hirsch (Berichterstatter) und V. Skouris,

Generalanwalt: G. Cosmas

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Idéal tourisme SA, vertreten durch die Rechtsanwälte F. Herbert und S. Houx, Brüssel,

- des Belgischen Staates, vertreten durch A. Snoecx, Beraterin in der Generaldirektion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigte, im Beistand von Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke, Brüssel,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und D. Colas, Sekretär für auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, Direktor des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für die Europäischen Gemeinschaften des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Â. Cortesão de Seiça Neves, Jurist im selben Dienst, und R. Álvaro de Figueiredo Ribeiro, Jurist in der Generaldirektion für Landverkehr, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und D. Triantafyllou, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Idéal tourisme SA, vertreten durch die Rechtsanwälte F. Herbert, S. Houx und M. Pittie, Brüssel, des Belgischen Staates, vertreten durch Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke, der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Million, Chargé de mission in der Direktion für Rechtsfragen des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch H. Michard und D. Triantafyllou, in der Sitzung vom 29. März 2000,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Das Tribunal de première instance Lüttich hat mit Entscheidung vom 8. Februar 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 12 Absatz 3 und 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung, wie sie sich aus der Richtlinie 96/95/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Höhe des Normalsteuersatzes (ABl. L 338, S. 89; nachstehend: Sechste Richtlinie) ergibt, und des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit, den die Idéal tourisme SA (nachstehend: Klägerin) gegen den Belgischen Staat (nachstehend: Beklagter) wegen der Erhebung von Mehrwertsteuer auf Umsätze führt, die sie durch grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen erzielt.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"Während der in Absatz 4 genannten Übergangszeit können die Mitgliedstaaten

...

b) die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien ..."

4 In Anhang F der Sechsten Richtlinie, der die Überschrift "Liste der in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b) vorgesehenen Umsätze" trägt, ist in Nummer 17 aufgeführt:

"Beförderungen von Personen

Die Beförderung von Begleitgütern der Reisenden, wie Gepäck und Kraftfahrzeuge, oder die Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Beförderung der Personen sind von der Steuer zu befreien, soweit die Beförderungen dieser Personen steuerfrei sind".

5 Artikel 15 der Sechsten Richtlinie, in dem u. a. die Befreiung der grenzüberschreitenden Beförderung geregelt ist, sieht in Nummer 6 folgendes vor:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

6. Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen von Luftfahrzeugen, die von Luftfahrtgesellschaften verwendet werden, die hauptsächlich im entgeltlichen internationalen Verkehr tätig sind, sowie Lieferungen, Vermietungen, Instandsetzungen und Wartungen der in diese Luftfahrzeuge eingebauten Gegenstände oder der Gegenstände für ihren Betrieb ..."

6 Nach Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie gewähren die Mitgliedstaaten jedem Steuerpflichtigen den Abzug oder die Erstattung der Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke seiner nach Artikel 15 der Sechsten Richtlinie befreiten Umsätze.

7 In Artikel 12 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie sind die Modalitäten geregelt, nach denen die Mitgliedstaaten den Normalsatz und die ermäßigten Sätze festsetzen.

8 Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag lautet:

"Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen."

Nationales Recht

9 Der belgische Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetzbuch; nachstehend: Code de la TVA) sieht in Artikel 21 Absatz 3 folgendes vor:

"Abweichend von Absatz 2 gilt als Ort der Dienstleistung

...

3. der Ort, an dem die Beförderung nach Maßgabe der zurückgelegten Entfernungen erbracht wird, wenn Gegenstand der Dienstleistung eine Beförderung ist."

10 Artikel 1 Nummer 1 der Königlichen Verordnung Nr. 20 vom 20. Juli 1970 zur Festsetzung der Mehrwertsteuersätze und zur Einstufung der Güter und Dienstleistungen nach diesen Sätzen (Moniteur belge vom 31. Juli 1970) bestimmt:

"Der Mehrwertsteuersatz beträgt

1. 6 % für die Güter und Dienstleistungen, die in der Tabelle A des Anhangs dieser Verordnung bezeichnet sind."

11 In der Rubrik XXV ("Beförderungen") der Tabelle A heißt es:

"Beförderung von Personen sowie von nicht aufgegebenem Gepäck und von Tieren, die die Reisenden mit sich führen."

12 Gemäß Artikel 41 Absatz 1 Nummer 1 des Code de la TVA sind von der Mehrwertsteuer befreit:

"Personenbeförderung mit Seefahrzeugen; grenzüberschreitende Personenbeförderung mit Luftfahrzeugen; Beförderung von Gepäck und Kraftfahrzeugen, die die Reisenden bei den in dieser Nummer 1 genannten Beförderungen mit sich führen."

13 Artikel 45 Absatz 1 des Code de la TVA lautet wie folgt:

"Ein Steuerpflichtiger ist berechtigt, von der von ihm geschuldeten Steuer die Steuern abzuziehen, die erhoben wurden auf an ihn gelieferte Güter und erbrachte Dienstleistungen, von ihm eingeführte Güter und von ihm innerhalb der Gemeinschaft erworbene Güter, sofern er sie verwendet für

1. der Steuer unterworfene Umsätze;

2. nach Artikel 39 bis 42 von der Steuer befreite Umsätze."

14 Die genannte belgische Regelung über die Befreiung von grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen wurde vor dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie erlassen.

Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfragen

15 Die Klägerin ist ein Unternehmen mit Sitz in Lüttich (Belgien), das grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen durchführt.

16 In ihrer Steuererklärung für die Umsätze des Monats Juni 1997 meldete die Klägerin die in Belgien erbrachten Leistungen von grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Bussen zum Steuersatz von 0 % an anstatt des in der belgischen Regelung vorgesehenen Satzes von 6 %. Sie erläuterte dazu, daß sie sich hinsichtlich der Mehrwertsteuer gegenüber grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen benachteiligt fühle. Während nämlich für diese Beförderungsart eine Steuerbefreiung gelte, die Luftfahrtunternehmen nicht am Vorsteuerabzug hindere, unterliege der in Belgien erbrachte Teil von Personenbeförderungen mit Bussen nach der belgischen Regelung der Mehrwertsteuer zum Satz von 6 %. Dies stelle daher eine Benachteiligung dar, die gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehöre.

17 Die belgische Steuerverwaltung verlangte von der Klägerin Mehrwertsteuer in Höhe von 554 845 BEF sowie ein Bußgeld in Höhe von 55 000 BEF; die Klägerin entrichtete diese Beträge und erhob beim Tribunal de première instance Lüttich Erstattungsklage. Die Klägerin macht vor diesem Gericht geltend, die belgische Regelung über die Befreiung von grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen verstoße nicht nur gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern stelle auch eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag zugunsten der Luftfahrtunternehmen dar.

18 Das Tribunal de première instance Lüttich hält für sein Urteil eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts für erforderlich; es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ermächtigt die Richtlinie 77/388/EWG des Rates, insbesondere ihre Artikel 12 Absatz 3 und 28 Absatz 3 Buchstabe b, die Mitgliedstaaten, eine gegen die im Gemeinschaftsrecht verankerten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung verstoßende Diskriminierung der in der Personenbeförderung tätigen Busunternehmen einzuführen?

2. Kann eine Mehrwertsteuerregelung, die einen bestimmten Sektor von Wirtschaftstätigkeiten wie den in Rede stehenden begünstigt, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des Vertrages von Rom sein, auch wenn sie nicht ausschließlich die einheimische Industrie schützt?

Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfragen

19 Der belgische Staat äußert Zweifel am tatsächlichen Vorliegen eines Rechtsstreits. Die Fragen, deren Vorlage an den Gerichtshof die Klägerin angeregt habe, seien zwar nicht nur rein hypothetischer Natur, doch hätten sie einzig und allein den Zweck, ein Ergebnis herbeizuführen, das im Wege der Gesetzgebung noch nicht habe erreicht werden können. Der Gerichtshof möge über die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsvorlage befinden.

20 Insoweit ist daran zu erinnern, daß es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichts ist, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59). Der Gerichtshof kann jedoch nicht über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage befinden, wenn offensichtlich ist, daß die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteil Bosman, Randnr. 61, und Urteil vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97, EKW und Wein & Co., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 52).

21 Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch eindeutig hervor, daß die Klage auf Erstattung der von der Klägerin an den belgischen Staat gezahlten Mehrwertsteuer gerichtet ist und die Klägerin also in den Genuß einer Mehrwertsteuerbefreiung kommen möchte, ohne damit das Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren.

22 Die Akten enthalten keine Gesichtspunkte, aus denen deutlich hervorginge, daß sich die Parteien des Ausgangsverfahrens vorher abgestimmt hätten, um den Gerichtshof durch einen konstruierten Rechtsstreit zu einer Entscheidung zu veranlassen, wie dies in der Rechtssache der Fall war, die zu dem Urteil vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80 (Foglia, Slg. 1981, 3045) führte. Vielmehr ist offensichtlich, daß die Parteien über eine Reihe wichtiger Fragen streiten, und aus den Akten geht eindeutig hervor, daß die Klägerin mit dem belgischen Staat keine Absprache darüber getroffen hat, dem Gerichtshof hypothetische Fragen zu Vorabentscheidung vorzulegen.

23 Weiter ist festzustellen, daß die erste Frage für die Entscheidung nicht offensichtlich unerheblich ist: Aus den Akten geht hervor, daß nach Auffassung des vorlegenden Gerichts in der Personenbeförderung tätige Busunternehmen gegenüber Luftfahrtunternehmen benachteiligt werden und diese Benachteiligung a priori gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung verstößt.

24 Dem Gerichtshof steht es im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der ersten Frage nicht zu, diese Würdigung zu beurteilen.

25 Die erste Vorabentscheidungsfrage ist daher zu beantworten.

26 Dagegen ist die zweite Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits offensichtlich unerheblich.

27 Diese zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Mehrwertsteuerbefreiung zugunsten der Luftfahrtunternehmen eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

28 Im Ausgangsrechtsstreit geht es aber nicht um die Frage, ob dies der Fall ist, sondern um die Frage, ob bestimmte Umsätze der Klägerin der Mehrwertsteuer unterliegen.

29 Daher ist die zweite Vorabentscheidungsfrage nicht zu beantworten (vgl. in diesem Sinne in einem ähnlichen Fall Urteil EKW und Wein & Co., Randnr. 53).

Zur ersten Frage

30 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen entsprechend Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie weiterhin von der Steuer befreit sind, während grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen besteuert werden.

31 Die Klägerin behauptet, sie stehe bei mittleren Entfernungen, d. h. solchen zwischen 300/400 km und 2 500/3 000 km, als Busunternehmen mit den Luftfahrtunternehmen in unmittelbarem Wettbewerb. Der Unterschied in der Besteuerung sei daher nicht gerechtfertigt und verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Nach Auffassung des belgischen Staates sowie der französischen und der portugiesischen Regierung sind diese beiden Beförderungsarten dagegen nicht hinreichend austauschbar, um demselben Markt zugeordnet werden zu können. Die Kommission weist darauf hin, daß die nach der vom Steuerpflichtigen gewählten Beförderungsart unterschiedliche Besteuerung, sei sie nun objektiv gerechtfertigt oder nicht, solange als der Sechsten Richtlinie entsprechend anzusehen sei, wie der Gemeinschaftsgesetzgeber die Übergangsregelung für die Befreiung nicht abgeschafft habe.

32 Die Mitgliedstaaten sind nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang F befugt, bestimmte vor Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie in ihren Rechtsvorschriften vorgesehene Steuerbefreiungen weiterhin unter denselben Bedingungen anzuwenden. Daher ist den Mitgliedstaaten nach diesem Artikel zwar die Einführung neuer oder die Ausweitung bestehender Befreiungstatbestände nach dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie nicht gestattet, doch steht die Vorschrift einer Einschränkung dieser Tatbestände nicht entgegen, zumal deren Abschaffung Ziel des Artikels 28 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie ist (vgl. Urteil vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-136/97, Norbury Developments, Slg. 1999, I-2491, Randnr. 19).

33 Somit wäre ein Mitgliedstaat wie das Königreich Belgien, der von Busunternehmen durchgeführte grenzüberschreitende Personenbeförderungen der Mehrwertsteuer unterwirft und grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen weiterhin davon befreit, selbst dann nicht befugt, die diesen zuteil werdende Befreiung auf jene auszuweiten, wenn die Ungleichbehandlung gegen den gemeinschaftlichen Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Dagegen könnte er, um diese Ungleichbehandlung abzustellen, die Beförderungen mit Luftfahrzeugen ebenfalls besteuern.

34 Ein Mitgliedstaat kann jedoch die grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen unter den Voraussetzungen des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie weiterhin befreien und die grenzüberschreitenden Personenbeförderungen mit Bussen besteuern.

35 Zwar gehört der Grundsatz der Gleichbehandlung zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts. Nach diesem Grundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre (Urteil vom 25. November 1986 in den Rechtssachen 201/85 und 202/85, Klensch u. a., Slg. 1986, 3477, Randnr. 9).

36 Wie die Klägerin zu Recht geltend macht, ergibt sich außerdem aus Randnummer 10 des genannten Urteils Klensch, daß die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie in das nationale Recht den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten müssen.

37 Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist jedoch das Ergebnis einer schrittweisen Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften im Rahmen der Artikel 99 und 100 EG-Vertrag (jetzt Artikel 93 EG und 94 EG). Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, ist diese Harmonisierung, die durch aufeinanderfolgende Richtlinien und insbesondere durch die Sechste Richtlinie verwirklicht worden ist, erst eine teilweise Harmonisierung (vgl. Urteil vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-165/88, ORO Amsterdam Beheer und Concerto, Slg. 1989, 4081, Randnr. 21).

38 Wie der belgische Staat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, steht die angestrebte Harmonisierung noch aus, soweit die Mitgliedstaaten in der Sechsten Richtlinie gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b uneingeschränkt befugt sind, bestimmte vor der Sechsten Richtlinie erlassene nationale Rechtsvorschriften beizubehalten, die ohne diese Befugnis mit der Sechsten Richtlinie unvereinbar wären. Soweit daher ein Mitgliedstaat solche Vorschriften beibehält, setzt er die Sechste Richtlinie nicht um und verstößt daher weder gegen diese Richtlinie noch gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, die die Mitgliedstaaten nach dem Urteil Klensch bei der Durchführung der Gemeinschaftsregelung zu beachten haben.

39 Angesichts dieser Situation ist es Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, eine endgültige Gemeinschaftsregelung über die Steuerbefreiungen zu erlassen und so die schrittweise Harmonisierung des nationalen Rechts im Bereich der Mehrwertsteuer zu verwirklichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 1999 in der Rechtssache C-305/97, Royscot u. a., Slg. 1999, I-6671, Randnr. 31).

40 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend das gemeinsame Mehrwertsteuersystem der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach denen grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen entsprechend Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie weiterhin von der Steuer befreit sind, während grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen besteuert werden.

Kostenentscheidung


Kosten

41 Die Auslagen der französischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal de première instance Lüttich mit Entscheidung vom 8. Februar 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steht der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach denen grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Luftfahrzeugen entsprechend Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, in der Fassung, wie sie sich aus der Richtlinie 96/95/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 77/388 hinsichtlich der Höhe des Normalsteuersatzes ergibt, weiterhin von der Steuer befreit sind, während grenzüberschreitende Personenbeförderungen mit Bussen besteuert werden.

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