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Document 61997CC0374

    Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 18. März 1999.
    Anton Feyrer gegen Landkreis Rottal-Inn.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - Deutschland.
    Richtlinie 85/73/EWG - Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch - Unmittelbare Wirkung.
    Rechtssache C-374/97.

    Sammlung der Rechtsprechung 1999 I-05153

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1999:155

    61997C0374

    Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 18. März 1999. - Anton Feyrer gegen Landkreis Rottal-Inn. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - Deutschland. - Richtlinie 85/73/EWG - Gebühren für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch - Unmittelbare Wirkung. - Rechtssache C-374/97.

    Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-05153


    Schlußanträge des Generalanwalts


    1 In der vorliegenden Rechtssache ersucht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Sie um Auslegung einiger gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Angleichung der Gebühren, die für die Hygieneuntersuchungen in Schlachthöfen erhoben werden sollen. Sie werden insbesondere aufgefordert, darüber zu entscheiden, ob bestimmte Vorschriften der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch(1) in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993(2) (im folgenden: Richtlinie), die innerhalb der gesetzten Fristen in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht umgesetzt worden sind, unmittelbare Wirkung entfalten.

    Die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften

    2 Durch die Richtlinie sollen die Regeln für die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen in den Schlachthöfen vereinheitlicht(3) und Wettbewerbsverzerrungen, die sich aufgrund einer Senkung oder einer Abschaffung der für diese Untersuchungen und Kontrollen zu erhebenden Gebühren ergeben können(4), verhindert werden.

    3 Nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten für die Kosten, die durch die veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen bei Fleisch im Sinne verschiedener Gemeinschaftsrichtlinien entstehen, eine Gemeinschaftsgebühr zu erheben.

    4 Artikel 1 Absatz 2 definiert, was zu diesen Kosten gehört. Darin heißt es:

    "Die Gebühren gemäß Absatz 1 werden in der Weise festgelegt, daß sie die Kosten decken, die die zuständige Behörde in Form von

    - Löhnen und Gehältern einschließlich Sozialabgaben,

    - Verwaltungskosten, denen noch die Kosten der Fortbildung des Untersuchungspersonals hinzugerechnet werden können,

    für die Durchführung der Kontrollen im Sinne des Absatzes 1 zu tragen hat."

    5 Die Höhe dieser Kosten ist in Kapitel I Nummer 1 des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie genau festgelegt und ist u. a. je nach Tierart, -alter und -gewicht unterschiedlich.

    6 Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie sieht darüber hinaus folgendes vor:

    "Die Mitgliedstaaten können einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet."

    7 In Kapitel I Nummer 4 des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie sind die einzelnen Fälle geregelt, in denen ein Staat den Pauschalbetrag überschreitende Gebühren festsetzen kann. Diese Vorschrift lautet wie folgt:

    "Die Mitgliedstaaten können zur Deckung höherer Kosten

    a) die unter Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe a) vorgesehenen Pauschalbeträge für bestimmte Betriebe anheben.

    Als Voraussetzungen hierfür können ... gelten:

    ...

    b) oder eine spezifische Gebühr erheben, die die tatsächlichen Kosten deckt."

    8 Diese Vorschriften sind am 1. Januar 1994 in Kraft getreten (Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie).

    Die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften

    9 Das Fleischhygienegesetz (FIHG) vom 18. Dezember 1992(5) in der bei Erlaß der im Ausgangsverfahren angefochtenen Bescheide geltenden Fassung(6) bestimmt in § 24 Absatz 1, daß die kostenpflichtigen Tatbestände durch Landesrecht bestimmt werden und daß die Gebühren nach Maßgabe der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch (ABl. L 32, S. 14) und der aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Rechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaften zu bemessen sind (§ 24 Absatz 2).

    10 Das Bayerische Gesetz zur Ausführung des Fleischhygienegesetzes (AGFIHG) vom 24. August 1990(7), die rechtliche Regelung des im Ausgangsverfahren betroffenen Landes, ermächtigt u. a. die Landkreise dazu, die kostenpflichtigen Tatbestände für ihr Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Darauf gestützt hat der Landkreis Rottal-Inn, die zuständige Gebietskörperschaft, die Satzung über die Erhebung von Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen im Vollzug fleischhygienischer Vorschriften vom 20. August 1997(8) (im folgenden: Satzung) erlassen, die rückwirkend zum 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist und die Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide darstellt.

    11 Nach Artikel 3 Absatz 1 AGFIHG tragen die zuständigen Stellen des betroffenen Landes die Aufwendungen, die in Erfuellung der ihnen übertragenen Aufgaben anfallen, insbesondere wenn diese Gebietskörperschaften Veterinäruntersuchungsstellen betreiben.

    12 Im Rahmen der ihnen damit übertragenen Befugnisse sind diese Gebietskörperschaften jedoch verpflichtet, vorher festgelegte Kriterien zu beachten. So bestimmen sie nach Artikel 3 Absatz 2 AGFIHG "durch Satzung für ihr Gebiet einheitlich die kostenpflichtigen Tatbestände für Amtshandlungen im Sinne von § 24 Abs. 1 FIHG sowie für ihr Gebiet einheitlich und gesondert von den Gebühren für die Schlachthofbenutzung die kostendeckenden Gebühren nach Maßgabe des § 24 Abs. 2 FIHG".

    13 Die einzelnen gebührenpflichtigen Tatbestände sind in der Satzung aufgezählt.

    Sachverhalt und Verfahren

    14 Anton Feyrer (Kläger des Ausgangsverfahrens; im folgenden: Kläger), ein Metzger, der seine Tätigkeit im Bereich des Landkreises Rottal-Inn (Beklagter des Ausgangsverfahren; im folgenden: Beklagter) ausübt und selbst Schlachtungen durchführt, beanstandet die Höhe der Gebühren, die von ihm nach von den zuständigen Behörden 1995 durchgeführten Untersuchungen und Hygienekontrollen gefordert wurden.

    15 Seiner Ansicht nach dürften diese Behörden von ihm nicht die Entrichtung einer Gebühr verlangen, die den in Nummer 1 des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Pauschalbetrag übersteigt. Er bestreitet jedoch nicht, daß die ihm auferlegten Gebühren den dem Beklagten tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten entsprechen.

    16 Der Beklagte vertritt die Auffassung, daß Ziel der Richtlinie bestehe nicht darin, die Höhe der Gebühren zu vereinheitlichen; die Mitgliedstaaten seien im Gegenteil dazu ermächtigt, höhere Gebühren als die Pauschalbeträge zu erheben, wenn diese unter den den Veterinäruntersuchungsstellen tatsächlich entstehenden Kosten lägen.

    17 Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg, des nationalen Gerichts, bei dem die Klage in erster Instanz anhängig war, ist vom Beklagten mit der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angefochten worden; dieser fragt sich, ob das Urteil des Gerichtshofes vom 10. November 1992 in der Rechtssache Hansa Fleisch Ernst Mundt(9) sich auf den vorlegenden Fall übertragen läßt. In dieser Rechtssache ist der Gerichtshof gefragt worden, ob Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. Juni 1988 über die Beträge der für die Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch zu erhebenden Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73/EWG(10), in dem die für die einzelnen Tierarten pauschal festgesetzten Gebührenbeträge geregelt wurden, unbedingt und hinreichend genau ist.

    18 In diesem Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt:

    "Ein einzelner kann sich gegenüber einem Mitgliedstaat auf Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG ... berufen, um sich der Erhebung von Gebühren zu widersetzen, die höher sind als die in dieser Bestimmung vorgesehenen, wenn die Voraussetzungen, von denen Artikel 2 Absatz 2 dieser Entscheidung die Möglichkeit abhängig macht, die in Artikel 2 Absatz 1 festgesetzten Gebührenbeträge anzuheben, nicht erfuellt sind. Eine Berufung auf Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408 ist jedoch nur gegenüber Gebührenbescheiden möglich, die nach Ablauf der in Artikel 11 dieser Entscheidung vorgesehenen Frist erlassen wurden"(11).

    19 Das vorlegende Gericht stellt fest, daß der Wortlaut der Vorschriften über die Befugnis der Mitgliedstaaten, von den vorgeschriebenen Pauschalbeträgen nach oben abzuweichen, durch die Richtlinie 93/118 geändert worden ist. Dies trifft insbesondere für Nummer 4 Buchstabe b des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie zu.

    20 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat Zweifel in bezug auf den Sinn und die Tragweite des obengenannten Urteils Hansa Fleisch Ernst Mundt sowie in bezug auf die Auslegung der neuen Vorschriften der Richtlinie 93/118, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits unmittelbar einschlägig sind, und hat das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1. Kann sich ein einzelner der Erhebung von höheren Gebühren als den Pauschalbeträgen der Nummer 1 des Anhangs zu Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates widersetzen, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie 93/118/EWG nicht innerhalb der Umsetzungsfrist umgesetzt hat?

    2. Kann ein Mitgliedstaat ohne weitere Voraussetzungen unter Berufung auf Nummer 4 Buchstabe b des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG höhere Gebühren als die Pauschalbeträge erheben, solange die erhobenen Gebühren die tatsächlichen Kosten nicht überschreiten?

    3. Ist die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Erhebung eines höheren Betrages als die Gemeinschaftsgebühren gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG von der im gesamten Mitgliedstaat erhobenen Gesamtgebühr und den im gesamten Mitgliedstaat tatsächlich entstehenden Untersuchungskosten abhängig, oder reicht es, wenn der Mitgliedstaat den kommunalen Behörden die Befugnis zur Erhebung der Gebühren übertragen hat, aus, daß die von der jeweiligen kommunalen Behörde erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten dieser Behörde nicht überschreitet?

    Beantwortung der Fragen

    Die erste und die zweite Frage

    21 Mit diesen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht Sie darum, zu entscheiden, ob die Antwort, die der Gerichtshof auf die Frage nach der unmittelbaren Wirkung des Artikels 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408 im bereits genannten Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt gegeben hat, seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/118 und insbesondere des Artikels 2 Absatz 1 und der Nummer 4 Buchstabe b des Anhangs zu dieser Vorschrift der Richtlinie gleich ausfallen muß. Mit anderen Worten: Sie werden danach gefragt, ob ein einzelner sich dann, wenn Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie innerhalb der vorgesehenen Fristen nicht umgesetzt worden ist, unmittelbar auf die Wirkungen dieser Vorschrift vor den nationalen Gerichten berufen kann, um sich der Gebührenerhebung durch die Verwaltung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, wenn diese von ihm die Zahlung von Gebühren fordert, die die in der Richtlinie vorgesehenen Pauschalbeträge übersteigen, sofern die geforderten Gebühren die den Veterinäruntersuchungsstellen tatsächlich entstehenden Kosten nicht überschreiten und die Befugnis, von dem Gebührenpauschalbetrag nach oben abzuweichen, den Mitgliedstaaten nach Belieben eröffnet wird, ohne daß sie vorab die Beachtung bestimmter Voraussetzungen nachweisen müßten.

    22 Um diese Frage zu beantworten, ist es meines Erachtens unbedingt erforderlich, daß ich zu der Lösung Stellung nehme, die der Gerichtshof sich im Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt zu eigen gemacht hat.

    23 Der tatsächliche Rahmen dieses Urteils kam dem des vorliegenden Verfahrens sehr nahe. Bei der Firma Hansa Fleisch Ernst Mundt, die eine Schlachterei betrieb, waren veterinärrechtliche Untersuchungen durchgeführt worden. Da die von ihr nach der in dem betreffenden Land geltenden Regelung geforderte Gebühr höher war als die Pauschalbeträge, die in den zur maßgeblichen Zeit noch nicht in Kraft getretenen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften vorgesehen waren(12), hatte die Firma gegen die erlassenen Gebührenbescheide Widersprüche eingelegt und geltend gemacht, diese Bescheide seien insbesondere deshalb rechtswidrig, weil die in Rechnung gestellten Gebühren höher seien als die in Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408, für den die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, vorgesehenen Beträge.

    24 Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, daß ein einzelner sich vor Gericht unmittelbar auf die Anwendung von Rechtsvorschriften berufen kann, die ihm Rechte einräumen, die ihm aber auch Verpflichtungen auferlegen, denn es "wäre mit der den ... [Richtlinien] durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, daß betroffene Personen sich auf die in der ... [Richtlinie] vorgesehene Verpflichtung berufen können"(13).

    25 Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes hat dieser unterstrichen, daß "eine Bestimmung einer an einen Mitgliedstaat gerichteten ... [Richtlinie] diesem Mitgliedstaat entgegengehalten werden kann, wenn sie ihrem Adressaten eine unbedingte und hinreichend klare und genaue Verpflichtung auferlegt"(14).

    26 Auf das Vorbringen der deutschen Regierung, "die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung, die Gebühren nach Maßgabe der in Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408 vorgesehenen Beträge festzusetzen, sei wegen der den Mitgliedstaaten in Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung belassenen Möglichkeit, von den fraglichen Pauschalbeträgen abzuweichen, keine unbedingte Verpflichtung"(15), hat der Gerichtshof entgegnet, daß die "Tatsache allein, daß eine Entscheidung es den Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet ist, erlaubt, von klaren und genauen Bestimmungen dieser Entscheidung abzuweichen, ... jedoch diesen Bestimmungen nicht die unmittelbare Wirkung nehmen kann. So können derartige Bestimmungen unmittelbare Wirkung haben, wenn die Inanspruchnahme der insoweit eingeräumten Abweichungsmöglichkeiten einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist"(16).

    27 Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, daß die "dem einzelnen eingeräumte Möglichkeit, sich gegenüber den Mitgliedstaaten auf eine an diese gerichtete Entscheidung zu berufen, ... nämlich darauf [beruht], daß die Entscheidung für ihre Adressaten verbindlich ist. Wenn also die Entscheidung den Mitgliedstaaten eine bestimmte Frist einräumt, um den sich aus ihr ergebenden Verpflichtungen nachzukommen, kann sich der einzelne gegenüber den Mitgliedstaaten nicht vor Ablauf dieser Frist auf sie berufen"(17).

    28 Der Gerichtshof hat demzufolge - ich zitiere noch einmal - wie folgt für Recht erkannt: "Ein einzelner kann sich gegenüber einem Mitgliedstaat auf Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG ... berufen, um sich der Erhebung von Gebühren zu widersetzen, die höher sind als die in dieser Bestimmung vorgesehenen, wenn die Voraussetzungen, von denen Artikel 2 Absatz 2 dieser Entscheidung die Möglichkeit abhängig macht, die in Artikel 2 Absatz 1 festgesetzten Gebührenbeträge anzuheben, nicht erfuellt sind. Eine Berufung auf Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 88/408 ist jedoch nur gegenüber Gebührenbescheiden möglich, die nach Ablauf der in Artikel 11 dieser Entscheidung vorgesehenen Frist erlassen wurden."(18)

    29 Nur weil die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, hat der Gerichtshof dem einzelnen, der die Möglichkeit in Anspruch nehmen wollte, sich vor den zuständigen nationalen Gerichten unmittelbar auf Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung zu berufen, um sich den vor Ablauf der in Artikel 11 dieser Entscheidung vorgesehenen Frist erlassenen Gebührenbescheiden zu widersetzen, dies verwehrt. Dagegen kann die streitige Vorschrift unmittelbare Wirkung entfalten, wenn die Abweichung vom Grundsatz der pauschalen Gemeinschaftsgebühr von der strengen Beachtung von Bedingungen abhängig sind, die einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sind.

    30 Wie die Mehrzahl der Verfahrensbeteiligten(19) bin ich der Ansicht, daß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie die Voraussetzungen nicht mehr erfuellt, unter denen es sich ein einzelner vor Gericht unmittelbar auf diese Vorschrift berufen kann, wenn sie in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats nicht umgesetzt worden ist. Meiner Ansicht nach ist die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung, die Gebühr in der in Artikel 2 Absatz 1 und Nummer 1 des Anhangs vorgesehenen Höhe festzusetzen, seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/118 wegen der sehr weitgehenden Möglichkeit, den in Frage stehenden Pauschalbetrag übersteigende Gebühren vorzusehen, die den Mitgliedstaaten durch Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie und durch Nummer 4 Buchstabe b des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 geboten wird, nicht mehr unbedingt.

    31 Vergleichen wir die betroffenen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften.

    32 Nach Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung 88/408 konnten nur die Mitgliedstaaten, "in denen die Lohnkosten, die Struktur der Betriebe und das Verhältnis zwischen Tierärzten und Fleischbeschauern vor dem Gemeinschaftsdurchschnitt, der für die Berechnung der in Absatz 1 festgesetzten Pauschalbeträge festgelegt wurde, abweichen", die Pauschalbeträge auf den Stand der tatsächlichen Untersuchungskosten senken bzw. anheben. Auch bestimmte Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2: "Die Mitgliedstaaten, die die in Unterabsatz 1 vorgesehene Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen, gehen von den im Anhang genannten Grundsätzen aus."

    33 Daraus war zu folgern, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Höhe der Gebühr nur einen geringen Ermessensspielraum einräumte.

    34 Seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/118 wird die Beachtung von Voraussetzungen nur noch für Abweichungen nach unten im Verhältnis zu dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgesetzten Pauschalbetrag verlangt(20). Für Abweichungen nach oben bestehen diese Voraussetzungen dagegen nicht mehr. Mit anderen Worten: Die Richtlinie hat die Voraussetzungen für die Ausübung der Befugnis, den Pauschalbetrag übersteigende Gebühren zu erheben, die den Mitgliedstaaten bis dahin durch die Entscheidung 88/408 eröffnet worden war, gelockert. Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie sieht nämlich nur noch folgendes vor: "Die Mitgliedstaaten können einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet." Auch heißt es in Nummer 4 des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie einfach: "Die Mitgliedstaaten können zur Deckung höherer Kosten ... b) ... eine spezifische Gebühr erheben, die die tatsächlichen Kosten deckt."

    35 Da die Mitgliedstaaten keine Voraussetzungen für die Überschreitung des in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehen Gebührenpauschalbetrags mehr zu beachten brauchen, steht es ihnen frei, sich nach ihrem Belieben für die vom Gemeinschaftsgesetzgeber pauschal festgesetzte Gebührenhöhe oder für eine höhere spezifische Gebühr zu entscheiden, die die den Untersuchungsstellen tatsächlich entstandenen Kosten deckt, ohne diese Entscheidung rechtfertigen zu müssen. Daraus ist zu folgern, daß die Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Alternative bietet: entweder eine Gemeinschaftsgebühr in einer pauschal festgesetzten Höhe gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie und gemäß Nummer 1 des Anhangs oder eine spezifische Gebühr in einer von den zuständigen nationalen Stellen bestimmten Höhe, die die tatsächlich entstandenen Kosten deckt. Aus den Verfahrensakten geht hervor, daß die Bundesrepublik Deutschland regelmäßig die zweite Möglichkeit gewählt hat.

    36 Daraus muß ich demnach den Schluß ziehen, daß die Gebührenpflichtigen seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/118 der Verwaltung ihres Mitgliedstaats vor den nationalen Gerichten nicht die Verpflichtung entgegenhalten können, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgesetzten Pauschalbeträge zu beachten, um sich der Erhebung von Gebühren zu widersetzen, deren Betrag den in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen übersteigt und den tatsächlichen Untersuchungskosten entspricht. Mit anderen Worten: Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie, von dem die Mitgliedstaaten ohne weiteres abweichen können, begründet für seinen Adressaten keine unbedingte Verpflichtung.

    37 Dieses Verständnis des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie wird durch den Zweck der Richtlinie bestätigt.

    38 Zweck der Richtlinie ist nämlich nicht, die Höhe der Gebühr zu vereinheitlichen, die für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch erhoben werden soll, sondern die Regeln über die Finanzierung dieser Kontrollen zu vereinheitlichen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Es ist daher ein Mindestbetrag vorgesehen, von dem abgewichen werden kann, wenn die tatsächlichen Kosten der Untersuchungen und Kontrollen von den vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegten Beträgen abweichen. Zu diesen Kosten gehören u. a. die Löhne und Gehälter des Untersuchungspersonals einschließlich Sozialabgaben(21). Kosten dieser Art sind aber nicht im gesamten Gebiet der Gemeinschaft gleich. Die Vereinheitlichung der Gebührenhöhe kann daher nicht das der Richtlinie gesetzte Ziel sein. Dagegen schafft der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die Festlegung des Verfahrens, nach dem die Gebühr festzusetzen ist, und der Parameter, die bei der Berechnung der Gebühr zu berücksichtigen sind, Instrumente, mit denen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden können.

    39 Nach alledem kann Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie wegen seiner Bedingtheit den Gebührenpflichtigen nicht unmittelbar die Möglichkeit einräumen, sich auf die Verpflichtung zur Zahlung des in ihm festgelegten Pauschalbetrags mangels fristgemäßer Umsetzungsmaßnahmen zu berufen, wenn der Mitgliedstaat eine höhere Gebühr festsetzt, die den der jeweils zuständigen Stelle tatsächlich entstandenen Untersuchungskosten entspricht.

    Die dritte Frage

    40 Mit dieser dritten Frage ersucht das vorlegende Gericht Sie um eine Entscheidung darüber, ob Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß dann, wenn ein Mitgliedstaat seine Befugnisse zur Gebührenerhebung kommunalen Behörden übertragen hat, unter den in dieser Vorschrift genannten "tatsächlichen Untersuchungskosten" die im gesamten Mitgliedstaat entstehenden Kosten oder die den betreffenden kommunalen Behörden entstehenden Kosten zu verstehen sind. Mit anderen Worten: Sie werden um eine Entscheidung darüber ersucht, auf welcher geographischen Ebene die tatsächlichen Untersuchungskosten zu bestimmen sind, wenn der Mitgliedstaat seine Befugnisse regionalen oder örtlichen Behörden übertragen hat, wie dies in Deutschland der Fall ist.

    41 Diese Vorschrift bestimmt - ich zitiere noch einmal - folgendes: "Die Mitgliedstaaten können einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet."

    42 Nach Auffassung des Klägers des Ausgangsverfahrens sind unter den "tatsächlichen Untersuchungskosten" im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie die in dem gesamten Mitgliedstaat entstehenden Kosten zu verstehen, auch wenn dieser Staat die Befugnis zur Gebührenerhebung kommunalen Behörden übertragen hat.

    43 Ich teile diese Auffassung nicht. Meiner Ansicht nach ist diese Vorschrift in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 2 und Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie zu lesen. Die erste dieser Vorschriften bestimmt: "Die Gebühren ... werden in der Weise festgelegt, daß sie die Kosten decken, die die zuständige Behörde in Form von

    - Löhnen und Gehältern einschließlich Sozialabgaben,

    - Verwaltungskosten, denen noch die Kosten der Fortbildung des Untersuchungspersonals hinzugerechnet werden können,

    für die Durchführung der Kontrollen im Sinne des Absatzes 1 zu tragen hat." In der zweiten Vorschrift heißt es: "Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß zur Finanzierung der von den zuständigen Behörden durchgeführten Kontrollen gemäß den in Artikel 1 genannten Richtlinien und nur zu diesem Zweck die Gemeinschaftsgebühren gemäß den im Anhang festgelegten Modalitäten ... [erhoben werden]"(22).

    44 Der Gerichtshof hat aber bereits entschieden, daß es "jedem Mitgliedstaat frei[steht], die Zuständigkeiten auf innerstaatlicher Ebene zu verteilen und die nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakte mittels Maßnahmen regionaler oder örtlicher Behörden durchzuführen, sofern diese Zuständigkeitsverteilung eine ordnungsgemäße Durchführung der betreffenden Gemeinschaftsrechtsakte ermöglicht"(23).

    45 Hat ein Mitgliedstaat seine Befugnisse zur Erhebung der Gemeinschaftsgebühr im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie delegiert, so ist folglich "zuständige Behörde" im Sinne der Artikel 1 Absatz 2 und 2 Absatz 1 der Richtlinie die regionale oder örtliche Behörde. Nach diesen Vorschriften ist die geographische Ebene, auf der die tatsächlichen Kosten zu bestimmen sind, die den Veterinäruntersuchungsstellen bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben entstehen, daher die regionale oder örtliche Ebene und nicht die nationale Ebene.

    46 Darüber hinaus steht meines Erachtens schon der Begriff der "tatsächlichen Untersuchungskosten" als solcher der von dem Kläger des Ausgangsverfahrens vorgeschlagenen Auslegung entgegen. Wenn Sie nämlich bejahen würden, daß die Höhe der Gebühr in dem Fall, daß dem Mitgliedstaat seine Befugnisse kommunalen Behörden überträgt, auf nationaler Ebene zu berechnen wäre, könnte es sich nur um einen Durchschnitt der den im Staatsgebiet jeweils tätigen Veterinärdiensten entstehenden Gesamtkosten handeln und keinesfalls um die der jeweils zuständigen Dienststelle tatsächlich entstehenden Kosten.

    47 Nach alledem ist Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie dahin auszulegen, daß dann, wenn ein Mitgliedstaat seine Befugnisse zur Gebührenerhebung kommunalen Behörden übertragen hat, unter den in dieser Vorschrift genannten "tatsächlichen Untersuchungskosten" die den betroffenen kommunalen Behörden tatsächlich entstandenen Kosten zu verstehen sind und nicht die Gesamtheit der in dem Mitgliedstaat entstandenen Kosten.

    Ergebnis

    48 Im Lichte der vorstehenden Erklärungen schlage ich Ihnen vor, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    1. Nummer 1 des Kapitels I des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 ist nicht so genau und unbedingt, daß ein einzelner sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die Verpflichtung berufen könnte, den darin genannten Pauschalbetrag zu erheben, wenn innerhalb der vorgesehenen Frist keine Umsetzungsmaßnahmen erlassen worden sind, um sich der Gebührenerhebung durch die Verwaltung eines Mitgliedstaats, die von ihm die Zahlung von Gebühren fordert, die die in der Richtlinie 93/118 vorgesehenen Pauschalbeträge übersteigen, sofern die geforderten Gebühren nicht über die den Veterinäruntersuchungsstellen tatsächlich entstandenen Kosten ausgehen. Darüber hinaus steht die Möglichkeit, in dieser Weise von dem Gebührenpauschalbetrag abzuweichen, den Mitgliedstaaten gemäß Nummer 4 Buchstabe b des Kapitels I des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 93/118 nach Belieben offen, ohne daß sie vorher die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen nachweisen müßten.

    2. Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 85/73 in der Fassung der Richtlinie 93/118 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn ein Mitgliedstaat seine Befugnisse zur Gebührenerhebung kommunalen Behörden übertragen hat, unter den in dieser Vorschrift genannten "tatsächlichen Untersuchungskosten" die den betreffenden kommunalen Behörden entstandenen Kosten und nicht die Gesamtheit der in dem Mitgliedstaat entstandenen Kosten zu verstehen sind.

    (1) - ABl. L 32, S. 14.

    (2) - ABl. L 340, S. 15.

    (3) - Vierte Begründungserwägung der Richtlinie.

    (4) - Sechste Begründungserwägung der Richtlinie.

    (5) - BGBl I S. 2022.

    (6) - Siehe Nr. 14 dieser Schlußanträge.

    (7) - GVBl I S. 336.

    (8) - ABl. des Landkreises Rottal-Inn 1997, S. 123.

    (9) - Rechtssache C-156/91, Slg. 1992, I-5567.

    (10) - ABl. L 194, S. 24.

    (11) - Nr. 1 des Tenors.

    (12) - Es handelte sich in jenem Fall um die Richtlinie 85/73 und die Entscheidung 88/408.

    (13) - Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt, a. a. O., Randnr. 12.

    (14) - A. a. O., Randnr. 13, Hervorhebung durch mich.

    (15) - A. a. O., Randnr. 14.

    (16) - A. a. O., Randnr. 15, Hervorhebung durch mich.

    (17) - A. a. O., Randnr. 20.

    (18) - Nr. 1 des Tenors.

    (19) - Mit Ausnahme des Klägers des Ausgangsverfahrens.

    (20) - Siehe Nummer 5 Buchstaben a und b des Anhangs zu Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie, die folgendes bestimmt:

    "5. Mitgliedstaaten, in denen die Lohn- und Gehaltskosten, die Betriebsstruktur und die Relation zwischen Tierärzten und Untersuchungspersonal vom Gemeinschaftsdurchschnitt, der zur Berechnung der in Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe a) festgesetzten Pauschalbeträge herangezogen wird, abweichen, können davon bis zur Höhe der tatsächlichen Untersuchungskosten nach unten abweichen, und zwar

    a) generell, wenn Lebenshaltungskosten und Lohnkosten besonders starke Unterschiede aufweisen;

    b) für einen bestimmten Bereich, wenn folgende Voraussetzungen erfuellt sind;

    ..."

    (21) - Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie.

    (22) - Hervorhebung durch mich.

    (23) - Urteil Hansa Fleisch Ernst Mundt, a. a. O., Randnr. 23.

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