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Document 61997CC0288

    Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola vom 26. November 1998.
    Consorzio fra i Caseifici dell'Altopiano di Asiago gegen Regione Veneto.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Bassano del Grappa - Italien.
    Milch - Zusatzabgabe - Begriff des Abnehmers - Erzeugergenossenschaft.
    Rechtssache C-288/97.

    Sammlung der Rechtsprechung 1999 I-02575

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1998:574

    61997C0288

    Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola vom 26. November 1998. - Consorzio fra i Caseifici dell'Altopiano di Asiago gegen Regione Veneto. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Bassano del Grappa - Italien. - Milch - Zusatzabgabe - Begriff des Abnehmers - Erzeugergenossenschaft. - Rechtssache C-288/97.

    Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-02575


    Schlußanträge des Generalanwalts


    1 Die Pretura circondariale Bassano del Grappa (Italien) hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 17. Juli 1997 zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor(1) (im folgenden: Verordnung Nr. 3950/92) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die erste Frage betrifft den Begriff "Abnehmer" im Sinne der Artikel 2 und 9 der Verordnung; mit der zweiten Frage soll geklärt werden, ob die in Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung vorgesehene Einbehaltung des als Zusatzabgabe geschuldeten Betrages für den Abnehmer eine Verpflichtung oder nur eine Befugnis darstellt.

    Die einschlägigen Rechtsvorschriften

    2 Um das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und Milcherzeugnissen zu verringern, wurde mit der Verordnung (EWG) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse(2) die sogenannte Zusatzabgabenregelung eingeführt, die den Erzeugern eine "Referenzmenge" anhand der Erzeugung während eines bestimmten Zeitraums zuerkennt, wobei für die darüber hinaus erzeugte Milch ein Geldbetrag als "Zusatzabgabe" zu entrichten ist.

    Für diese Regelung war ursprünglich eine Dauer von neun Jahren vorgesehen, die dann durch die Verordnung Nr. 3950/92 um weitere sieben Jahre verlängert wurde. Um dem Problem der Überschüsse bei der Milcherzeugung abzuhelfen, bediente sich der Gesetzgeber auch in diesem Fall des Verfahrens, das er bereits mit der Verordnung Nr. 856/84 angewandt hatte und das in "einer Abgabe auf die Milchlieferungen oder -direktverkäufe beim Überschreiten einer Garantieschwelle"(3) bestand.

    3 Artikel 1 der Verordnung Nr. 3950/92 bestimmt:

    "Bei den Erzeugern von Kuhmilch wird für weitere sieben aufeinanderfolgende Zeiträume von zwölf Monaten ab 1. April 1993 eine zusätzliche Abgabe auf die Mengen Milch oder Milchäquivalent erhoben, die in dem jeweiligen Zwölfmonatszeitraum an einen Abnehmer geliefert oder direkt an den Verbraucher verkauft wurden und eine bestimmte Referenzmenge überschreiten.

    Die Abgabe wird auf 115 v. H. des Milchrichtpreises festgesetzt."

    In Artikel 2 heisst es:

    "(1) Die Abgabe wird auf alle Milch- oder Milchäquivalenzmengen erhoben, die in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum vermarktet werden und die eine der beiden in Artikel 3 genannten Mengen überschreiten. Sie wird auf die Erzeuger verteilt, die zur Mengenüberschreitung beigetragen haben.

    ...

    (2) Bei Lieferungen entrichtet der abgabenpflichtige Abnehmer den fälligen Betrag bis zu einem bestimmten Zeitpunkt und nach festzulegenden Bedingungen an die zuständige Stelle des Mitgliedstaats; er behält ihn bei der Zahlung des Milchpreises an die abgabeschuldenden Erzeuger ein bzw. erhebt ihn auf andere geeignete Weise.

    ...

    Wenn die von einem Erzeuger gelieferten Mengen seine Referenzmenge überschreiten, ist der Abnehmer berechtigt, nach Bedingungen, die von dem Mitgliedstaat festgelegt werden, bei jeder Lieferung des Erzeugers, die dessen Referenzmenge überschreitet, einen entsprechenden Betrag des Milchpreises als Vorauszahlung auf die fällige Abgabe einzubehalten.

    (3) Bei Direktverkäufen zahlt der Erzeuger die fällige Abgabe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt und nach festzulegenden Bedingungen an die zuständige Stelle des Mitgliedstaats."

    4 Für die Durchführung der Verordnung enthält Artikel 9 folgende Definitionen:

    "Im Sinne dieser Verordnung bedeutet

    ...

    c) $Erzeuger`: der Betriebsinhaber - eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen -, der einen Betrieb im geographischen Gebiet der Gemeinschaft bewirtschaftet und der

    - Milch oder Milcherzeugnisse direkt an den Verbraucher verkauft bzw.

    - an den Abnehmer liefert;

    d) $Betrieb`: Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten im geographischen Gebiet der Gemeinschaft;

    e) $Abnehmer`: Unternehmen oder Unternehmensgemeinschaft, das bzw. die Milch oder Milcherzeugnisse beim Erzeuger kauft, um sie

    - zu behandeln oder zu verarbeiten,

    - an eines oder mehrere Unternehmen abzugeben, die Milch oder Milcherzeugnisse behandeln oder verarbeiten.

    Als Abnehmer gilt auch ein Zusammenschluß von Abnehmern in einem bestimmten geographischen Gebiet, der für Rechnung seiner Mitglieder die erforderlichen Verwaltungs- und Buchführungsgeschäfte für die Entrichtung von Abgaben vornimmt ...

    f) $Unternehmen, das Milch oder Milcherzeugnisse behandelt oder verarbeitet`: Unternehmen oder Unternehmensgemeinschaft, dessen bzw. deren Tätigkeit die Erfassung, Verpackung, Lagerung, Kühlung und Verarbeitung von Milch umfasst oder sich auf einen dieser Arbeitsgänge beschränkt;

    g) $Lieferung`: jede Lieferung von Milch oder Milcherzeugnissen, gleichgültig ob die Beförderung vom Erzeuger, vom Abnehmer, vom behandelnden oder verarbeitenden Unternehmen oder von einem Dritten übernommen wird;

    h) $Direktverkauf von Milch oder Milchäquivalent`: unentgeltliche Überlassung oder Verkauf von Milch oder in Milchäquivalent umgerechneten Milcherzeugnissen an den Verbraucher ohne Einschaltung eines behandelnden oder verarbeitenden Unternehmens."

    5 Bei der vorliegenden Rechtssache ist auch die Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor(4) zu berücksichtigen. In Artikel 1 dieser Verordnung heisst es:

    "Für die Berechnung der mit der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 eingeführten Zusatzabgabe gilt folgendes:

    1. Vermarktete Milch- oder Milchäquivalentmengen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der genannten Verordnung sind $alle Milch- und Milchäquivalentmengen` in einem Mitgliedstaat, die einen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Betrieb verlassen.

    Mengen, die von einem Erzeuger zur Behandlung oder Verarbeitung im Rahmen eines Lohnvertrags abgegeben werden, gelten als Lieferung.

    ..."

    Artikel 7 der Verordnung Nr. 536/93 schreibt vor:

    "(1) Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Kontrollmaßnahmen, um zu gewährleisten, daß die Abgabe auf die Milch- und Milchäquivalentmengen erhoben wird, die über eine der in Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 genannten Mengen hinaus vermarktet werden. Zu diesem Zweck gilt folgendes:

    a) Jeder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats tätige Abnehmer muß von diesem Mitgliedstaat zugelassen sein.

    ..."

    6 Auf der Grundlage der vorstehenden Vorschriften bestimmt Artikel 1 Absatz 3 des Dekrets Nr. 569/93 des Präsidenten der Republik (im folgenden: DPR Nr. 569/93), daß sich "jede Bezugnahme auf die Abnehmer von Milch und Milcherzeugnissen auch auf die Genossenschaften erstreckt, die Kuhmilch verwenden oder verarbeiten, unabhängig von der Rechtsnatur der Beziehung, auf deren Grundlage die Erzeuger die Milch und die Milcherzeugnisse an die betreffende Genossenschaft liefern".

    Der Sachverhalt und die Vorlagefragen

    7 Der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht fällt in den söben aufgezeigten normativen Rahmen.

    Dem Consorzio Caseifici Altopiano di Asiago (im folgenden: Consorzio) gehören mehrere milcherzeugende Genossenschaften an. Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß das Consorzio beantragt und erreicht hatte, als "Abnehmer" im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 des DPR Nr. 569/93 anerkannt zu werden.

    Die Regione Veneto verhängte gegenüber dem Consorzio mit Verfügung vom 29. Mai 1996 eine verwaltungsrechtliche Sanktion in Höhe von 45 000 000 LIT wegen Unregelmässigkeiten bei der Führung des Lieferantenregisters und wegen unterbliebener Rücklagen für die Zusatzabgabe von Mitgliedern des Consorzio, die ihre Milchquote überschritten hatten.

    Das Consorzio beantragte wegen dieser Sanktion bei der Pretura circondariale Bassano del Grappa, das DPR Nr. 569/93 ihm gegenüber nicht anzuwenden, da es nicht als "Abnehmer" im Sinne der Verordnung Nr. 3950/92 angesehen werden könne. Auf jeden Fall sehe die Gemeinschaftsregelung für den Abnehmer keine Verpflichtung, sondern nur die Befugnis vor, die Zusatzabgabe zurückzulegen.

    8 Das nationale Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. Sind die Artikel 9 und 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 vom 28. Dezember 1992 so auszulegen, daß als zur Zahlung der Zusatzabgabe verpflichteter "Abnehmer" jeder Empfänger von Milchlieferungen bezeichnet werden kann, unabhängig von der Rechtsnatur der Beziehung, die Anlaß für die Lieferung gewesen ist, und insbesondere so, daß auch ein Zusammenschluß von Genossenschaften bezueglich der Milch, die ihm die Mitglieder der Genossenschaft überlassen, aber nicht verkaufen, ein solcher Abnehmer sein kann?

    2. Ist Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 vom 28. Dezember 1992 so auszulegen, daß die Einbehaltung des als Zusatzabgabe geschuldeten Betrages von den Zahlungen an die Erzeuger eine echte Verpflichtung für den Abnehmer darstellt, oder aber so, daß es sich nur um eine im Interesse des Abnehmers vorgesehene Befugnis handelt, deren Nichtausübung nicht geahndet werden kann?

    Zur ersten Vorlagefrage

    9 Zunächst ist festzustellen, daß der vom vorlegenden Gericht zur Beantwortung der ersten Frage dargelegte Sachverhalt nicht besonders klar ist. Dort findet sich insbesondere nichts über die Art der Verbindung zwischen dem Consorzio und seinen angeschlossenen Genossenschaften und über die Rolle des Consorzio bei der Vermarktung der betreffenden Erzeugnisse. Die - wenn auch summarischen - Angaben des Vorlagebeschlusses dürften jedoch genügen, um die Frage zu umreissen und dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu erteilen.

    Es ist meines Erachtens von der Feststellung auszugehen, daß das Consorzio, wie aus den Akten hervorgeht, für sich die Zuerkennung der Abnehmereigenschaft erreicht hat, was den Behörden des Mitgliedstaats gemäß Artikel 7 der Verordnung Nr. 536/93 obliegt. Das Consorzio stellt jedoch die Rechtmässigkeit dieser Zulassung im Ausgangsverfahren selbst in Frage. Hierbei stützt es sich gerade darauf, daß nach der Verordnung Nr. 3950/92 das Vorliegen eines Kaufvertrags eine wesentliche Voraussetzung für die Eigenschaft eines Abnehmers von Milch oder Milcherzeugnissen darstelle. Das Consorzio macht demgemäß im Ausgangsverfahren geltend, daß das DPR Nr. 569/93 gegen die Vorschriften der Verordnung Nr. 3950/92 verstosse, soweit es bestimme, daß Genossenschaften - oder Zusammenschlüsse von Genossenschaften - als Abnehmer zu betrachten seien, und zwar unabhängig von der Rechtsnatur der Beziehung, auf deren Grundlage die betreffende Lieferung erfolge. Daraus ergab sich für das erkennende Gericht die Notwendigkeit, den Gerichtshof mit dieser Vorlagefrage zu befassen, um im wesentlichen klären zu lassen, ob ein Rechtssubjekt wie das Consorzio als Abnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 3950/92 anzusehen ist, obwohl es die Milch von seinen Mitgliedern auf der Grundlage anderer rechtlicher Beziehungen als eines Vertrages bezieht, der nach Maßgabe des nationalen Rechts als Kaufvertrag angesehen werden kann.

    10 In den schriftlichen Erklärungen, die es beim Gerichtshof eingereicht hat, schlägt das Consorzio vor, diese Frage zu verneinen, wobei es im wesentlichen Wortlautargumente heranzieht. Nach dieser Auffassung setzt die Semantik der in Rede stehenden Verordnung notwendigerweise einen Kaufvertrag voraus. Der Abnehmer ist dabei eine der beiden Parteien eines derartigen Rechtsgeschäfts. Zudem bezieht sich Artikel 2 Absatz 2 auf den "Preis" des Erzeugnisses; nach Auffassung des Consorzio ist der Preis ebenfalls ein wesentliches Element des Kaufes. Somit kann ein Wirtschaftsteilnehmer nach Ansicht des Consorzio nur dann im Sinne der Verordnung als Abnehmer angesehen werden, wenn er die Milch auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses bezieht, das zu den im betreffenden nationalen Recht vorgesehenen Kaufarten gehört.

    Die Region Veneto und die italienische Regierung vertreten den entgegengesetzten Standpunkt. Ihres Erachtens ist der Begriff des Abnehmers in der Verordnung nicht in dem Sinne zu verstehen, der ihm zivilrechtlich zukommt, also als Partei eines Kaufvertrags nach dem italienischen Zivilgesetzbuch. Sie erklären, daß das System der Verordnung hier vielmehr auf den Gesichtspunkt der Lieferung des Erzeugnisses abstelle; somit sei Abnehmer, wer Milch von den Erzeugern beziehe, und zwar ungeachtet der Rechtsgrundlage dieser Lieferung.

    11 Ich teile diesen letztgenannten Standpunkt. Im Hinblick auf die Systematik der Regelung ist vor allem darauf hinzuweisen, daß die in Rede stehende Verordnung zwei denkbare Vermarktungsformen vorsieht. Die erste - sie ist hier allerdings nicht von Bedeutung - besteht aus den sogenannten "Direktverkäufen" und betrifft also Fälle, in denen der Erzeuger sein Erzeugnis unmittelbar an den Verbraucher verkauft. Bei der zweiten Form - sie betrifft die vorliegende Rechtssache - kommt der Begriff Abnehmer zum Zuge; es handelt sich um eine Vermarktungsform, bei der das Erzeugnis nicht unmittelbar dem Verbrauch zugeführt, sondern an eine zwischengeschaltete Stelle abgegeben wird. Nachdem also die erste Hypothese ausscheidet, ist die vorliegende Rechtssache somit im Rahmen der zweiten Möglichkeit zu betrachten.

    Demnach ist zu prüfen, ob die Verordnung den Abnehmer als Partei eines Kaufvertrags nach dem nationalen Recht oder vielmehr in einem weitergehenden Sinne als Zwischenglied im Handel zwischen Erzeuger und Verbraucher ansieht. Ich halte die letztgenannte Lösung für richtig. Die vom Consorzio vertretene gegenteilige Auffassung stützt sich ausschließlich auf das dem Wortlaut der Verordnung entnommene Argument, wonach der Begriff "Abnehmer" notwendigerweise mit einem Kaufvertrag verbunden ist. Möglicherweise ist eine solche Behauptung auch theoretisch richtig; sie findet jedoch in der Systematik der Verordnung keine entscheidende Bestätigung. Die Verordnung sieht im hier gegebenen Fall wohl im Gegenteil vom Vorliegen eines Kaufvertrags ab. In Artikel 9 Buchstabe c wird der Erzeuger nämlich als eine natürliche oder juristische Person definiert, die "Milch oder Milcherzeugnisse direkt an den Verbraucher verkauft bzw. an den Abnehmer liefert"(5). Es liegt dort also eine unmittelbare Bezugnahme auf das Rechtsinstitut des Kaufes nur insoweit vor, als es sich um die gesamten Kaufvorgänge handelt, die als "Direktverkäufe" bezeichnet werden, während die genannte Bestimmung im Fall eines Abnehmers nur präzisiert, daß an ihn "geliefert" wird, ohne weiter auf die rechtliche Grundlage der Lieferung einzugehen.

    Des weiteren bestätigt die Verordnung Nr. 536/93 die Feststellung, daß die rechtliche Qualifizierung des Vertragsverhältnisses zwischen Erzeuger und Abnehmer ohne Bedeutung ist. In Artikel 1 dieser Verordnung heisst es nämlich: "Vermarktete Milch- oder Milchäquivalentmengen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der genannten Verordnung sind alle Milch- und Milchäquivalentmengen in einem Mitgliedstaat, die einen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Betrieb verlassen."(6) Auch hier befasst sich der Gesetzgeber also wohl in keiner Weise mit der Definition der Beziehungen zwischen Erzeuger und Abnehmer nach dem nationalen Recht. Die Gemeinschaftsregelung geht im Gegenteil von einem sehr weitgefassten Vermarktungskriterium aus, das das Merkmal der Lieferung durch die Erzeuger berücksichtigt, ohne auf die rechtliche Grundlage einzugehen, anhand deren das Erzeugnis an den Abnehmer gelangt, nachdem es der Erzeuger abgegeben hat.

    Bei der Bestimmung des Begriffes "Abnehmer" ist es also nötig und ausreichend, daß die betreffende Person eine Lieferung von Milch oder Milcherzeugnissen vom Erzeuger erhält. Eine blosse Lieferung als solche genügt allerdings nicht, um den Empfänger als Abnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 3950/92 zu bezeichnen. Es ist vielmehr auch - wie in Artikel 9 Buchstabe e vorgesehen - erforderlich, daß der Empfänger die Erzeugnisse erhält, "um sie zu behandeln oder zu verarbeiten" oder "an eines oder mehrere Unternehmen abzugeben, die Milch oder Milcherzeugnisse behandeln oder verarbeiten". Sofern die vorgenannten Bedingungen erfuellt sind, ist es indessen völlig bedeutungslos, auf welcher Rechtsgrundlage die Lieferung erfolgt.

    12 Zu der Frage, ob auch ein Zusammenschluß von Genossenschaften als Abnehmer bezeichnet werden kann, ist zu bemerken, daß es konkret Sache des nationalen Gerichts ist, eine derartige Qualifizierung vorzunehmen, wobei es die tatsächlichen und rechtlichen Faktoren zu berücksichtigen hat, die den vorliegenden Rechtsstreit kennzeichnen. Der Gerichtshof muß sich damit begnügen, einen allgemeinen Auslegungsschlüssel an die Hand zu geben und dabei auszuschließen, daß für die Feststellung der Abnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 3950/92 ein Kaufvertrag erforderlich ist, aufgrund dessen der Erzeuger dem Abnehmer das Erzeugnis liefert, indem er von diesem einen Kaufpreis erhält. Es spricht somit in der Systematik der Regelung nichts dafür, daß es theoretisch ausgeschlossen wäre, daß eine genossenschaftliche Organisation, die ein Erzeugnis als Lieferung von einem Mitglied bezieht, das sodann seinerseits von dieser Organisation nach Maßgabe der genossenschaftlichen Modalitäten einen entsprechenden Geldbetrag erhält, ebenfalls als Abnehmer angesehen wird, und zwar auch dann, wenn die betreffende Lieferung nach dem nationalen Recht nicht unter den Begriff des Kaufvertrags fällt.

    Zur zweiten Vorlagefrage

    13 Die zweite Vorlagefrage betrifft Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3950/92, insbesondere die Verpflichtung zur Entrichtung der Zusatzabgabe. Diese Abgabe hat der Abnehmer gemäß der Verordnung zu entrichten. Die Gründe für diese Wahl des Gesetzgebers werden in der achten Begründungserwägung der Verordnung wie folgt dargelegt: "Damit es nicht zu den in der Vergangenheit festgestellten erheblichen Verzögerungen bei der Erhebung und Zahlung der Abgabe kommt, die mit dem Ziel der Regelung nicht vereinbar sind, ist der Abnehmer als derjenige, der am besten in der Lage erscheint, die nötigen Vorgänge abzuwickeln, als der Abgabepflichtige zu bestimmen und sind ihm die Mittel an die Hand zu geben, die Erhebung der Abgabe bei den Erzeugern als den Abgabeschuldnern sicherzustellen." In Artikel 2 der Verordnung ist daher vorgesehen, daß der Abnehmer die Abgabe entrichtet, nachdem er den zu entrichtenden Betrag bei der Zahlung des Milchpreises an die Erzeuger, die die Abgabe schulden, einbehalten hat. Das vorlegende Gericht hat jedoch - und dies ist gerade der Gegenstand der Vorlagefrage - Zweifel, ob der Abnehmer zu einer derartigen Einbehaltung verpflichtet ist oder ob es sich nach der Verordnung nur um eine entsprechende Befugnis zur Einbehaltung handelt.

    Die Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, vertreten übereinstimmend die Auffassung, daß die Einbehaltung des Abgabebetrags durch den Abnehmer keine Verpflichtung, sondern nur eine Befugnis darstelle. Ich teile diese Auffassung. In Artikel 2 Absatz 2, worin für den Abnehmer die Möglichkeit vorgesehen ist, den Abgabebetrag bei der Zahlung des Preises an den Erzeuger einzubehalten, heisst es nämlich auch: "bzw. erhebt ihn auf andere geeignete Weise". Somit sieht der Wortlaut des Artikels selbst vor, daß gegebenenfalls eine Einbehaltung unterbleibt und der Abnehmer den Abgabebetrag in anderer Weise erlangt. Ferner bestimmt Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 3: "Wenn die von einem Erzeuger gelieferten Mengen seine Referenzmenge überschreiten, ist der Abnehmer berechtigt(7), nach Bedingungen, die von dem Mitgliedstaat festgelegt werden, bei jeder Lieferung des Erzeugers, die dessen Referenzmenge überschreitet, einen entsprechenden Betrag des Milchpreises als Vorauszahlung auf die fällige Abgabe einzubehalten." Der Artikel enthält demnach keine Verpflichtung des Abnehmers, sondern sieht lediglich vor, daß dieser "berechtigt" ist, die Einbehaltung auf den Preis vorzunehmen, der dem Erzeuger zu zahlen ist. Es handelt sich also nur um eine Befugnis, deren Nichtausübung nicht geahndet werden kann, wobei allerdings zu bemerken ist, daß der Abnehmer zweifellos für die Zusatzabgabe verantwortlich ist und er die Abgabe auf jeden Fall in geeigneter Weise von den Erzeugern, die diese Abgabe schulden, einfordern muß, sofern er nicht von seiner Einbehaltungsbefugnis Gebrauch machen will.

    Somit ist die zweite Vorlagefrage meines Erachtens dahin zu beantworten, daß der Abnehmer zwar für die Entrichtung der Zusatzabgabe verantwortlich ist, er sich den betreffenden Betrag jedoch nicht zwangsläufig durch dessen Einbehaltung bei der Zahlung des Preises verschaffen muß, den er dem Erzeuger schuldet.

    Ergebnis

    14 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, die Fragen des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:

    1. Die Artikel 2 und 9 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor sind dahin auszulegen, daß als Abnehmer und somit als zur Entrichtung der Zusatzabgabe verpflichtet ein Rechtssubjekt anzusehen ist, das die in Artikel 9 Buchstabe e erster und zweiter Gedankenstrich aufgeführten Tätigkeiten ausübt und von einem Erzeuger Milch oder Milcherzeugnisse bezogen hat, und zwar unabhängig von dem Rechtsverhältnis, auf dem die Lieferung beruht. Es ist somit nicht erforderlich, daß der Lieferung ein Vertrag zugrunde liegt, der nach dem nationalen Recht als Kaufvertrag zu bezeichnen ist.

    2. Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3950/92 ist dahin auszulegen, daß der Abnehmer verpflichtet ist, sich gegenüber dem Erzeuger den Abgabebetrag zu verschaffen, den dieser schuldet, den der Abnehmer jedoch seinerseits zu entrichten hat. Der Abnehmer muß hierfür indessen nicht zwangsläufig den Abgabebetrag bei der Zahlung des Preises an den Erzeuger einbehalten, sondern kann statt dessen "auf andere geeignete Weise" vorgehen.

    (1) - ABl. L 405, S. 1.

    (2) - ABl. L 90, S. 10.

    (3) - Siehe die dritte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3950/92.

    (4) - ABl. L 57, S. 12.

    (5) - Hervorhebung von mir. Zum Begriff des Erzeugers siehe Urteile vom 15. Januar 1991 in der Rechtssache C-341/89 (Ballmann, Slg. 1991, I-25) und vom 9. Oktober 1997 in der Rechtssache C-152/95 (Macon u. a., Slg. 1997, I-5429).

    (6) - Hervorhebung von mir.

    (7) - Hervorhebung von mir.

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