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Document 61996CC0252

    Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 2. April 1998.
    Europäisches Parlament gegen Enrique Gutiérrez de Quijano y Lloréns.
    Rechtsmittel - Verfahren vor dem Gericht - Verbot neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel - Geltung für das Gericht - Beamte - Interinstitutionelle Übernahme.
    Rechtssache C-252/96 P.

    Sammlung der Rechtsprechung 1998 I-07421

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1998:157

    61996C0252

    Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 2. April 1998. - Europäisches Parlament gegen Enrique Gutiérrez de Quijano y Lloréns. - Rechtsmittel - Verfahren vor dem Gericht - Verbot neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel - Geltung für das Gericht - Beamte - Interinstitutionelle Übernahme. - Rechtssache C-252/96 P.

    Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-07421


    Schlußanträge des Generalanwalts


    1 Mit dem vorliegenden Rechtsmittel ersucht Sie das Europäische Parlament, das Urteil des Gerichts erster Instanz (nachstehend: Urteil oder angefochtenes Urteil)(1) aufzuheben, mit dem dieses der Klage von Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns auf Aufhebung der Entscheidung des Parlaments vom 10. Januar 1994 über die Zurückweisung seiner Beschwerde gegen die Ablehnung seiner Bewerbung um eine freie Dolmetscherstelle stattgegeben hat.

    2 Das Parlament stützt sein Rechtsmittel im wesentlichen auf eine Verletzung des Artikels 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Lauf des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können: Das Gericht habe die Entscheidung des Parlaments wegen eines Klagegrundes aufgehoben, den der Kläger weder in seiner Beschwerde noch im schriftlichen Verfahren vor dem Gericht geltend gemacht habe.

    Sachverhalt

    3 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns, der am 6. Januar 1986 als Dolmetscher spanischer Sprache in den Dienst des Parlaments getreten war, am 1. Januar 1990 vom Gerichtshof übernommen wurde.

    4 Vom 4. Juli 1991 an richtete er mehrere Schreiben an die zuständigen Stellen des Parlaments, in denen er seinen Wunsch zum Ausdruck brachte, auf dem Dienstposten wiederverwendet zu werden, den er vor seiner Übernahme durch den Gerichtshof bekleidet hatte. Trotz mehrerer Nachfragen erhielt er erst am 30. Juli 1992 eine schriftliche Antwort auf seinen Antrag, als ihm in einem Schreiben der Generaldirektion Verwaltung des Parlaments mitgeteilt wurde, daß die Dienstposten als Dolmetscher bei diesem Organ nach Maßgabe der "Sprachenkombinationen" besetzt würden und daß nicht beabsichtigt sei, Personal mit einer "Sprachenauswahl" wie der seinen einzustellen.

    5 Am 26. November 1992 veröffentlichte das Parlament die Ausschreibung des Auswahlverfahrens PE/161/LA zur Einstellung von Dolmetschern spanischer Sprache (nachstehend: Ausschreibung des Auswahlverfahrens)(2). Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns meinte, daß die ausgeschriebene Stelle mit der übereinstimme, die er seit sieben Jahren bekleidete, und er sogar höhere Qualifikationen als die geforderten habe; mit Schreiben vom 1. Januar 1993 erinnerte er daher den Leiter der Personalabteilung des Parlaments daran, daß nach Artikel 29 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut) das Übernahmeverfahren Vorrang vor dem Auswahlverfahren habe, und wiederholte förmlich seinen Antrag auf Wiederverwendung bei diesem Organ.

    6 Am 15. März 1993 veröffentlichte das Parlament die Stellenbekanntgabe Nr. 7281 für den gemäß Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe a des Statuts im Wege der Versetzung zu besetzenden Dienstposten Nr. VI/LA/2759 eines Dolmetschers spanischer Sprache (nachstehend: Stellenbekanntgabe). Zur Besetzung desselben Dienstpostens Nr. VI/LA/2759 im Wege der Übernahme von anderen Gemeinschaftsorganen gemäß Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe c des Statuts veröffentlichte das Parlament am selben Tag auch die Stellenbekanntgabe Nr. PE/LA/91 (nachstehend: Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens).

    7 Beide Bekanntgaben lauteten in bezug auf die Art der Tätigkeit und die von den Bewerbern verlangten Fähigkeiten und Kenntnisse gleich.

    8 Dazu gehörten die "Fähigkeit, die Verantwortung für bestimmte Koordinationsaufgaben zu übernehmen", und die "besondere Kenntnis der Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Zuständigkeit der Gemeinschaften ergeben", die in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens nicht als Voraussetzungen aufgeführt waren, obwohl auch dieses zur Einstellung von Beamten führen sollte, die die gleichen Aufgaben wie die in den beiden Bekanntgaben genannten übernehmen sollten.

    9 Am 22. März 1993 bewarb sich Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns um den Dienstposten, auf den sich die Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens bezog. Dieser Antrag wurde mit Schreiben des Parlaments vom 16. August 1993 abgelehnt, weil sich die ehemaligen Dienstvorgesetzten von Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns nicht für seine Übernahme hätten aussprechen können, da zum einen seine Beziehungen zu seinen Dienstvorgesetzten sowie zu mehreren seiner Kollegen während der Zeit, in der er beim Parlament tätig gewesen sei, schwierig gewesen seien und er zum anderen während dieser Zeit häufig an seine Dienstpflichten habe erinnert werden müssen.

    10 Mit seiner Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts gegen die Ablehnung seines Übernahmeantrags wies Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns diese Begründung als fehlerhaft, widersprüchlich und statutswidrig zurück und machte geltend, die Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens sei der rechtliche Rahmen, den sich das Parlament selbst gesetzt habe und aufgrund dessen eine Zurückweisung seines Übernahmeantrags nur mit der Begründung möglich gewesen wäre, daß ihm die geforderte Qualifikation fehle.

    11 Diese Beschwerde wurde am 10. Januar 1994 ebenfalls mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Anstellungsbehörde zum einen bei Ernennungen über ein weites Ermessen verfüge, dessen Ausübung nur bei offensichtlicher Fehlbeurteilung oder bei Ermessensmißbrauch geahndet werden könne, und zum anderen nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 24. Juni 1969 in der Rechtssache 26/68(3) nicht zur Besetzung einer freien Planstelle verpflichtet sei, zumal dann nicht, wenn wie im vorliegenden Fall bei Einreichung nur einer Bewerbung der Anstellungsbehörde jede Möglichkeit des Vergleichs und der Auswahl genommen sei.

    12 Gegen diese zurückweisende Entscheidung klagte Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns vor dem Gericht auf Aufhebung.

    Urteil des Gerichts

    13 Das angefochtene Urteil wird hier nur soweit wiedergegeben, als dies für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsmittel notwendig ist.

    14 Zur Stützung seiner Klage hat sich Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns auf eine Verletzung des Artikels 29 Absatz 1 des Statuts berufen; dieser lautet:

    "(1) Bei der Besetzung von Planstellen eines Organs prüft die Anstellungsbehörde zunächst

    a) die Möglichkeiten einer Beförderung oder Versetzung innerhalb des Organs,

    b) die Möglichkeit der Durchführung eines Auswahlverfahrens innerhalb des Organs,

    c) die Übernahmeanträge von Beamten anderer Organe der drei Europäischen Gemeinschaften

    und eröffnet sodann das Auswahlverfahren auf Grund von Befähigungsnachweisen oder Prüfungen oder auf Grund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen. Das Auswahlverfahren ist in Anhang III geregelt.

    Dieses Auswahlverfahren kann auch zur Bildung einer Reserve für spätere Einstellungen eröffnet werden."

    15 Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns hat geltend gemacht, das Parlament habe mit der Veröffentlichung des Auswahlverfahrens vor der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens gegen die in dieser Vorschrift festgelegte Reihenfolge verstossen, nach der die Anstellungsbehörde verpflichtet sei, zunächst die Übernahmeanträge von Beamten anderer Organe zu prüfen, bevor sie ein allgemeines Auswahlverfahren eröffne. Dem hielt das Parlament entgegen, die Veröffentlichung der Ausschreibung eines Auswahlverfahrens vor der Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens stelle keinen Verstoß gegen Artikel 29 des Statuts dar.

    16 Das Gericht ist zunächst in Randnummer 42 des Urteils davon ausgegangen, daß die Veröffentlichung des Auswahlverfahrens vor der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens "nicht ohne weiteres eine Verletzung des Artikels 29 Absatz 1 des Statuts darstellen [kann], weil die im Rahmen des Auswahlverfahrens eingegangenen Bewerbungen, wie das Parlament dargelegt hat, ... erst berücksichtigt worden sind, nachdem die Prüfung der Bewerbungen im Rahmen der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens abgeschlossen war ..."

    17 Es hat jedoch in Randnummer 43 darauf hingewiesen, daß die Anstellungsbehörde, wenn sie wie im vorliegenden Fall beschließe, von einem Abschnitt des Einstellungsverfahrens zu einem anderen überzugehen, der diesem nach der in Artikel 29 Absatz 1 des Statuts vorgesehenen Reihenfolge nachgehe, auf jeden Fall nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts verpflichtet sei, von dieser Befugnis in dem Rahmen Gebrauch zu machen, den sie sich selbst durch die Stellenausschreibung gesetzt habe, "indem sie sicherstellt, daß die in dieser Ausschreibung aufgeführten Voraussetzungen denjenigen entsprechen, die in den Ausschreibungen für die späteren Verfahrensabschnitte, insbesondere wie im vorliegenden Fall in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens, vorgeschrieben sind ..."(4)

    18 In den Randnummern 44 und 45 des Urteils hat das Gericht ausgeführt, ein Vergleich der entsprechenden Ausschreibungen erweise, daß die nach der Rechtsprechung erforderliche Entsprechung fehle(5). Es hat sodann das Vorbringen des Parlaments in dessen Antwort auf die in Randnummer 39 angeführte schriftliche Frage des Gerichts zurückgewiesen, weshalb es in die Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens zwei Voraussetzungen aufgenommen hatte, die in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens fehlten.

    19 Aufgrund der Prüfung der streitigen zusätzlichen Voraussetzungen ist das Gericht in Randnummer 46 zu dem Schluß gelangt, daß die Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens strengere Bedingungen für die Teilnahme am Verfahren der Stellenbesetzung enthielt als die Ausschreibung des Auswahlverfahrens.

    20 Für das Gericht ergab sich daraus (Randnr. 46), daß "die Anstellungsbehörde weder in dem Rahmen bleiben [konnte], den sie sich ursprünglich durch die Veröffentlichung der Ausschreibung eines Auswahlverfahrens ... entgegen der in Artikel 29 Absatz 1 des Statuts vorgesehenen Reihenfolge vor der Veröffentlichung der internen Stellenbekanntgabe ... und der Bekanntgabe eines interinstitutionellen Übernahmeverfahrens ... gesetzt hatte, noch in demjenigen Rahmen, den sie sich später durch die Veröffentlichung der beiden zuletzt genannten Bekanntgaben gesetzt hatte. Da diese Bekanntgaben denselben Dienstposten betrafen, hat die Anstellungsbehörde damit verhindert, daß diese die ihnen zukommende wesentliche Rolle im Einstellungsverfahren nach Artikel 29 Absatz 1 des Statuts erfuellen, die Interessenten so genau wie möglich über die Art der für die fragliche Stelle notwendigen Voraussetzungen zu unterrichten".

    21 Das Gericht hat daher in Randnummer 48 des Urteils das Vorbringen des Parlaments, es habe trotz Veröffentlichung der Ausschreibung des Auswahlverfahrens vor Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens in Wahrheit die in Artikel 29 Absatz 1 des Statuts vorgesehene Reihenfolge eingehalten, weil es die aufgrund der Ausschreibung des Auswahlverfahrens eingegangenen Bewerbungen erst nach Abschluß der Prüfung der auf die Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens hin eingegangenen Bewerbungen geprüft habe, zurückgewiesen, "weil die Bedingungen der Ausschreibung des Auswahlverfahrens gegenüber denen der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens erleichtert waren und folglich die Bewerbung des Klägers aufgrund der Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens geprüft wurde, die strengere Bedingungen als die Ausschreibung des Auswahlverfahrens vorsah".

    22 Das Gericht ist in Randnummer 49 des Urteils zu dem Ergebnis gelangt, daß "die Ablehnung der Bewerbung des Klägers ... unter regelwidrigen Umständen erfolgt ist und gegen Artikel 29 Absatz 1 des Statuts verstieß, wonach die in den entsprechenden Ausschreibungen festgelegten Bedingungen in den verschiedenen Abschnitten des Einstellungsverfahrens beibehalten werden müssen".

    23 Das Gericht hat daher der Klage von Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns stattgegeben und in Randnummer 51 des Urteils entschieden: "Unter diesen Umständen ist die Entscheidung des Parlaments vom 10. Januar 1994 über die Zurückweisung der Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung seiner Bewerbung um die in der Bekanntgabe [eines Übernahmeverfahrens] bezeichnete freie Stelle aufzuheben, ohne daß es einer Prüfung der anderen vom Kläger vorgebrachten Klagegründe bedürfte oder die von ihm beantragten prozeßleitenden Verfügungen anzuordnen wären."

    Zum Rechtsmittel

    Zur Befugnis des Gerichts, einen "Klagegrund" einzuführen

    24 Das Parlament stützt sein Rechtsmittel darauf, daß das Gericht Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts (nachstehend: Artikel 48 § 2) verletzt habe, der bestimmt:

    "Im übrigen können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Lauf des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind"(6).

    25 Der Rechtsmittelkläger steht auf dem Standpunkt, das Gericht habe, indem es die Entscheidung des Parlaments wegen fehlender Übereinstimmung des Wortlauts der Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens und der Ausschreibung des Auswahlverfahrens aufgehoben habe, obwohl Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns diesen Klagegrund nie geltend gemacht habe, proprio motu mit mehreren an das Parlament gerichteten Fragen im Lauf des Verfahrens einen neuen Klagegrund eingeführt.

    26 Dieser Rüge auf eine Verletzung des Artikels 48 § 2 durch das Gericht kann nicht gefolgt werden.

    27 Diese Bestimmung, die zum Ersten Kapitel des Zweiten Titels der Verfahrensordnung des Gerichts gehört, ist Teil der Bestimmungen über das schriftliche Verfahren vor dem Gericht. Das hier angeordnete Verbot des Vorbringens neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel kann nur so verstanden werden, daß es sich an die Parteien richtet; das Gericht kann davon nicht betroffen sein.

    28 Hier genügt der Hinweis, daß Angriffs- oder Verteidigungsmittel begriffsgemäß nur von den Parteien vorgebracht werden können. Sie sind die rechtliche Ausgestaltung ihres Begehrens, das in dieser Form dem Gericht unterbreitet wird. Somit beziehen sich Vorschriften über das Verfahren vor dem Gerichtshof oder dem Gericht, soweit sie Angriffs- oder Verteidigungsmittel betreffen, notwendig auf deren Geltendmachung durch die Parteien. Die Klageschrift hat insbesondere "eine kurze Darstellung der Klagegründe"(7) zu enthalten.

    29 Auch neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die im Laufe des Verfahrens, soweit keine Ausnahme vorliegt, nicht mehr vorgebracht werden dürfen, können nur von den Parteien vorgebracht werden, wie nicht nur der Buchstabe, sondern auch die Ratio legis dieses Verbotes deutlich macht.

    30 Der genannte Artikel 48 bezieht sich auf die Parteien. In Absatz 1 dieser Vorschrift heisst es nur: "Die Parteien können in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung noch Beweismittel benennen. Sie haben die Verspätung zu begründen."(8) Noch aufschlußreicher ist Absatz 2 Unterabsatz 2, wo es heisst: "Macht eine Partei im Laufe des Verfahrens derartige Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend, so kann der Präsident auch nach Ablauf der gewöhnlichen Verfahrensfristen ... der Gegenpartei eine Frist zur Stellungnahme setzen."(9)

    31 Was den Geltungsgrund dieses Verbots betrifft, so handelt es sich um die klassische Anweisung an die Parteien, sich innerhalb des Rahmens zu bewegen, der durch die Klageschrift festgelegt wurde. Diese legt den Streitgegenstand fest, der, sollen nicht insbesondere die Verteidigungsrechte beeinträchtigt werden, im Laufe des Verfahrens durch die Einführung neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geändert werden darf. Soweit übrigens Artikel 48 § 2 ausnahmsweise das Vorbringen neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens zulässt, meint er auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützte Angriffsmittel, die den in der Klageschrift formulierten Antrag stützen sollen. So haben Sie etwa zu Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, der mit unserer Vorschrift übereinstimmt, ausgeführt: "Diese Bestimmung erlaubt es dem Kläger also, den Antrag aus dem das Verfahren einleitenden Schriftsatz ausnahmsweise auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu stützen. Sie erlaubt dem Kläger nicht, neue Anträge zu stellen ..."(10)

    32 Seine Aufgabe der richterlichen Entscheidung weist aber dem Richter in bezug auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit die Stellung eines Dritten zu.

    Die Qualifizierung als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des Artikels 48 § 2 kann sich augenscheinlich nicht auf die Gründe eines Urteils beziehen.

    33 Damit komme ich zu dem Ergebnis, daß der Rechtsmittelkläger mit der Behauptung, das Gericht habe selbst im Laufe des Verfahrens ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingeführt, keinen Verstoß gegen Artikel 48 § 2 durch das Gericht dartun kann.

    34 Allerdings ließe sich der Rechtsmittelgrund trotz seiner Formulierung auch in einem anderen Sinn verstehen. Mit dem Vorwurf, das Gericht habe sich auf die Erwägung gestützt, daß die streitige Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens und die Ausschreibung des Auswahlverfahrens sich nicht entsprochen hätten, obwohl der Kläger sich hierauf nicht berufen habe, könnte das Parlament auch darauf hinweisen wollen, daß das Gericht sich streng an den von den Parteien abgegrenzten Rahmen zu halten habe(11).

    35 Es liegt auf der Hand, daß der Richter nur über den Antrag der Parteien entscheiden darf. Deren Aufgabe ist es, wie ich bereits ausgeführt habe, den Rahmen ihrer Streitigkeit abzugrenzen, und grundsätzlich kann der Richter nicht über die gestellten Anträge hinausgehen oder gar eine Entscheidung treffen, die vollkommen von dem Rechtsstreit absieht, wie er durch die Klageschrift umrissen wurde.

    36 Der Richter ist indessen in seiner Rolle keineswegs passiv und kann nicht darauf beschränkt werden, lediglich der "Mund der Parteien" zu sein. Seine Aufgabe, Recht zu sprechen, setzt voraus, daß er die für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblichen Rechtsnormen auf den Sachverhalt anwenden kann, den die Parteien ihm vorgetragen haben. Er kann nicht an die Argumente gebunden sein, die die Parteien ihm zur Stützung ihrer Anträge vorgetragen haben, will er nicht Gefahr laufen, seine Entscheidung gegebenenfalls mit irrigen rechtlichen Erwägungen zu begründen.

    37 Aus diesem Grund bieten die Verfahrensregeln dem Richter die Möglichkeit, die bestmögliche Lösung auf verschiedenen Wegen zu finden, ohne daß er deshalb den Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits verlassen müsste.

    38 So kann der Richter unter bestimmten Umständen ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel von Amts wegen berücksichtigen, das von keiner Partei vorgebracht worden ist.

    So unterliegt es zum Beispiel keinem Zweifel, daß der Gerichtshof (oder das Gericht), auch wenn insoweit kein Streit herrscht, von Amts wegen seine Unzuständigkeit berücksichtigen muß, wenn der bei ihm anhängige Rechtsstreit in die Zuständigkeit des jeweils anderen Rechtsprechungsorgans fällt(12). Sie sind ferner der Auffassung, daß Sie von Amts wegen die Zulässigkeit einer Klage zu prüfen haben, selbst wenn der Beklagte keinen Grund für die Unzulässigkeit vorgebracht hat(13).

    39 Entgegen dem, was das Parlament zu vertreten scheint(14), meine ich jedoch nicht, daß die Vorgehensweise des Gerichts im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund dieser Möglichkeit gesehen werden sollte, ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Feststellung, daß die Bedingungen der streitigen Bekanntgabe und der Ausschreibung nicht übereinstimmen, kann nicht wie ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel behandelt werden. Es handelt sich vielmehr, wie dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, um die Weiterentwicklung eines Arguments zur Stützung eines vom Kläger geltend gemachten Klagegrundes, nämlich der Verletzung des Artikels 29 Absatz 1 des Statuts(15).

    Das Gericht hat sich nämlich nur im Rahmen der Prüfung des Klagegrundes einer Verletzung dieser Vorschrift mit der Frage befasst, ob die Bedingungen der Ausschreibung und der Bekanntgabe übereinstimmen.

    Es hat daher keineswegs von Amts wegen einen "Klagegrund" fehlender Übereinstimmung der Ausschreibung und der Bekanntgabe eingeführt.

    40 Der Richter kann ausserdem eine Beweisaufnahme anordnen(16). Um diese Befugnis geht es hier indessen nicht.

    41 Schließlich kann man dem Gericht nicht vorwerfen, Fragen an die Parteien gerichtet zu haben, da es sich hier um eine ihm zu Gebot stehende prozeßleitende Maßnahme nach Artikel 64 seiner Verfahrensordnung handelt. Solche Maßnahmen sollen nach Absatz 1 dieser Vorschrift "die Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf des Verfahrens und die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen Bedingungen gewährleisten". Ausserdem heisst es in Artikel 29 der EG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung(17) auch für das Gericht gilt: "Der Gerichtshof kann während der Verhandlung ... die Parteien selbst vernehmen."

    42 Im Gegenteil ist nicht auszuschließen, daß dem Gericht gegebenenfalls vorgeworfen worden wäre, sich im Rahmen des Klagegrundes einer Verletzung des Artikels 29 des Statuts mit der Frage fehlender Übereinstimmung von Ausschreibung und Bekanntgabe befasst zu haben, ohne daß sich die Parteien zu diesem Punkt hätten äussern können. Das Gericht hat somit, indem es durch seine Fragen eine Stellungnahme des Parlaments herbeigeführt hat, für die Einhaltung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens gesorgt, dessen Verletzung ihm sonst möglicherweise vorgeworfen worden wäre.

    43 Folglich kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, es habe dadurch unter Verstoß gegen Artikel 48 § 2 entschieden oder gegen geltende Verfahrensregeln verstossen, daß es seine Begründung auf die Beantwortung von Fragen gestützt habe, die es den Parteien im Rahmen der Prüfung des geltend gemachten Aufhebungsgrundes gestellt hatte.

    Fehlen einer beschwerenden Maßnahme und eines Rechtsschutzinteresses

    44 Mit seinem Rechtsmittel macht das Parlament weiter geltend(18), für den Fall, daß der Rechtsmittelgrund einer Verletzung des Artikels 48 § 2 für unzulässig erklärt werden sollte, sei das Vorbringen der mangelnden Übereinstimmung der Ausschreibung und der Bekanntgabe wegen Fehlens einer beschwerenden Maßnahme und eines Rechtsschutzinteresses unzulässig. Da Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns nicht an dem Auswahlverfahren Nr. PE/161/LA teilgenommen habe, könne ihn der Wortlaut der Ausschreibung dieses Auswahlverfahrens nicht beschweren. Im übrigen belege auch seine Nichtteilnahme an dem Auswahlverfahren sein fehlendes Rechtsschutzinteresse.

    45 Zunächst sei bezueglich der fehlenden Beschwer darauf hingewiesen, daß Herr Gutiérrez de Quijano y Lloréns vor dem Gericht nicht die Ausschreibung des Auswahlverfahrens, sondern die Entscheidung angefochten hat, mit der seine Bewerbung im Rahmen des Übernahmeverfahrens zurückgewiesen worden war. Nur bezueglich dieser Bekanntgabe ist daher das Vorliegen einer beschwerenden Maßnahme zu prüfen.

    46 Ausserdem hat das Gericht festgestellt, daß, "da die Bewerbung des Klägers aufgrund der Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens geprüft wurde, die strengere Bedingungen als die Ausschreibung des Auswahlverfahrens enthielt"(19), "... die Ablehnung der Bewerbung des Klägers ... unter regelwidrigen Umständen erfolgt ist und gegen Artikel 29 Absatz 1 des Statuts verstieß, wonach die in den entsprechenden Ausschreibungen festgelegten Bedingungen nach der maßgebenden Rechtsprechung in den verschiedenen Abschnitten des Einstellungsverfahrens beibehalten werden müssen"(20). Somit lässt sich nicht behaupten, daß der Wortlaut der Ausschreibung des Auswahlverfahrens Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns nicht belaste, da die Zurückweisung seiner Bewerbung gerade deshalb als unter regelwidrigen Umständen erfolgt angesehen wurde, weil dieser Wortlaut nicht dem der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens entsprach.

    47 Ebensowenig kann dem Vorbringen des Parlaments gefolgt werden, mit dem aus der fehlenden Teilnahme von Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns am Auswahlverfahren ein fehlendes Rechtsschutzinteresse abgeleitet werden soll. Wie nämlich das Gericht in Randnummer 41 des Urteils ausgeführt hat, "verpflichtet Artikel 29 Absatz 1 des Statuts die Anstellungsbehörde, vorrangig die Möglichkeiten einer Beförderung oder Versetzung innerhalb des Organs zu prüfen, bevor sie zu den folgenden in dieser Bestimmung vorgesehenen Stufen übergeht, nämlich - in dieser Reihenfolge - der Prüfung der Möglichkeiten der Durchführung eines internen Auswahlverfahrens, der Berücksichtigung interinstitutioneller Übernahmeanträge und gegebenenfalls der Durchführung eines allgemeinen Auswahlverfahrens ..." Das Parlament kann daher nicht verlangen, daß ein Bewerber für eine Übernahme an einem Auswahlverfahren teilnimmt, dessen Ergebnisse erst nach Abschluß der Prüfung der im Rahmen der Bekanntgabe eines Übernahmeverfahrens eingegangenen Bewerbungen berücksichtigt werden sollen, zumal bei Ende der Frist für die Einreichung von Bewerbungen in diesem Auswahlverfahren (im vorliegenden Fall 25. Januar 1993), die vor dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens (im vorliegenden Fall 15. März 1993) ablief, dieses Übernahmeverfahren noch gar nicht bekannt sein konnte.

    Zur mangelnden Übereinstimmung der Bekanntgabe des Übernahmeverfahrens und der Ausschreibung des Auswahlverfahrens

    48 Für den Fall, daß der Gerichtshof gleichwohl den "vom Gericht eingeführten Klagegrund als zulässig" betrachten sollte und die Zulässigkeit nicht wegen Fehlens einer beschwerenden Maßnahme und eines Rechtsschutzinteresses in Frage gestellt werden könne, bringt das Parlament unter Bezugnahme auf eine Anlage zu seiner Rechtsmittelschrift(21) wie bereits in der ersten Instanz vor, daß die Unterschiede im Wortlaut der Ausschreibung und der Bekanntgabe nur redaktioneller Art seien und bei der Prüfung der Bewerbung von Herrn Gutiérrez de Quijano y Lloréns keine Rolle gespielt hätten.

    49 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein solches Vorbringen, das sich darauf beschränkt, die bereits vor dem Gericht dargelegten Klagegründe und Argumente zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben, nicht zulässig, weil damit in Wirklichkeit lediglich eine erneute Prüfung der beim Gericht erhobenen Klage angestrebt wird, die aber gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes nicht in Ihre Zuständigkeit fällt(22).

    50 Aufgrund all dieser Erwägungen ist das Rechtsmittel daher zurückzuweisen.

    51 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechend anzuwenden ist, ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

    Ergebnis

    52 Aus den dargelegten Gründen schlage ich vor,

    1. das Rechtsmittel zurückzuweisen;

    2. dem Europäischen Parlament die Kosten aufzuerlegen.

    (1) - Urteil vom 22. Mai 1996 in der Rechtssache T-140/94 (Guitiérrez de Quijano y Lloréns/Parlament, Slg.ÖD 1996, II-689).

    (2) - ABl. C 308 A, S. 8.

    (3) - Fux/Kommission (Slg. 1969, 145).

    (4) - Das Gericht hat insoweit auf das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1989 in den verbundenen Rechtssachen 341/85, 251/86, 258/86, 259/86, 262/86, 266/86, 222/87 und 232/87 (Van der Stijl und Cullington/Kommission, Slg. 1989, 511, Randnr. 52) verwiesen, wo es heisst: "Jede andere Auslegung würde Artikel 29 Beamtenstatut seiner Wirkung berauben, wonach die Organe verpflichtet sind, die Möglichkeit einer internen Besetzung zu prüfen, bevor sie ein allgemeines Auswahlverfahren durchführen. Stuende es den Organen frei, die Teilnahmebedingungen von einem Verfahrensabschnitt zum nächsten zu ändern, insbesondere die Anforderungen zu senken, so könnten sie im Ergebnis externe Einstellungsverfahren durchführen, ohne zuvor interne Bewerbungen prüfen zu müssen."

    (5) - Zu den Unterschieden bei den Ausschreibungen vgl. Nr. 8 dieser Schlussanträge.

    (6) - Diese Vorschrift entspricht Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes.

    (7) - Artikel 19 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts.

    (8) - Hervorhebung von mir.

    (9) - Hervorhebung von mir.

    (10) - Urteil vom 18. Oktober 1979 in der Rechtssache 125/78 (GEMA/Kommission, Slg. 1979, 3173, Randnr. 26; Hervorhebung von mir).

    (11) - In diesem Sinn könnte der ganz andere Ansatz des Parlaments in seiner Erwiderung im Vergleich zur Rechtsmittelschrift verstanden werden.

    (12) - Artikel 47 § 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes.

    (13) - Vgl. z. B. Urteil vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83 (Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, Randnr. 19).

    (14) - Insbesondere Nrn. 16 bis 18 seiner Erwiderung.

    (15) - Vgl. unter den zuletzt ergangenen Urteilen das Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-153/96 P (De Rijk/Kommission, Slg. 1997, I-2901, Randnr. 19), in dem Sie sorgsam zwischen Angriffs- und Verteidigungsmittel und Argument unterscheiden und etwa davon ausgehen, daß das Vorbringen eines Arguments zur Stützung eines vom Gericht bereits geprüften Grundes kein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel darstellt.

    (16) - Für das Gericht ist das in den Artikeln 65 ff. seiner Verfahrensordnung vorgesehen.

    (17) - Er lautet: "Das Verfahren vor dem Gericht bestimmt sich nach Titel III dieser Satzung; Artikel 20 ist gegenstandslos".

    (18) - Randnrn. 19 ff. der Rechtsmittelschrift.

    (19) - Randnr. 48 des Urteils.

    (20) - Randnr. 49 des Urteils.

    (21) - Randnr. 28 der Rechtsmittelschrift.

    (22) - Vgl. in diesem Sinne Beschluß vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-403/95 P (Obst/Kommission, Slg. 1998, I-27, Randnr. 18).

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