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Document 61994CC0151

    Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 19. September 1995.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Großherzogtum Luxemburg.
    Artikel 48 EWG-Vertrag - Gleichbehandlung - Besteuerung des Einkommens von zeitweise Gebietsansässigen - Erstattung der zuviel einbehaltenen Beträge.
    Rechtssache C-151/94.

    Sammlung der Rechtsprechung 1995 I-03685

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:291

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    FRANCIS G. JACOBS

    vom 19. September 1995 ( *1 )

    1. 

    Die Kommission erstrebt in der vorliegenden Rechtssache die Feststellung, daß das Großherzogtum Luxemburg gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages und aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( 1 ) (im folgenden: die Verordnung) verstoßen hat, indem es Rechtsvorschriften aufrechterhält, denen zufolge die zuviel einbehaltenen Steuern auf die Löhne und Gehälter eines Arbeitnehmers, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, nicht erstattet werden können, wenn der Arbeitnehmer nur während eines Teils des Jahres in Luxemburg niedergelassen oder dort im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt war.

    Nationale Rechtsvorschriften

    2.

    Die einschlägigen Vorschriften des luxemburgischen Einkommensteuerrechts lassen sich wie folgt zusammenfassen. Gemäß Artikel 153 der Loi sur l'Impôt sur le Revenu (Einkommensteuergesetz, im folgenden: LIR) werden Steuerpflichtige, deren Einkommen aus einer Arbeitnehmertätigkeit einen bestimmten Betrag überschreitet oder die erhebliche Einkünfte haben, die keinem Abzug an der Quelle unterliegen, im Wege der Veranlagung besteuert (par voie d'assiette). Sie sind zur Abgabe einer jährlichen Steuererklärung gegenüber den Behörden verpflichtet ( 2 ), die auf dieser Grundlage einen Steuerbescheid (bulletin) erlassen. Sofort nach Zustellung des Bescheids ist der geschuldete Steuerbetrag oder der Steuerrestbetrag, falls bereits Steuern an der Quelle einbehalten wurden, zu entrichten (Artikel 154 Absätze 1 und 3 LIR). Zuviel gezahlte Steuern werden auf andere Steuerforderungen angerechnet oder anderenfalls dem Steuerpflichtigen von Amts wegen erstattet (Artikel 154 Absatz 5).

    3.

    Ein vereinfachtes Verfahren gilt für ständig Gebietsansässige, die im wesentlichen Einkünfte aus Arbeitnehmertätigkeit haben, die einem Abzug an der Quelle unterliegen und den Betrag für die Besteuerung im Wege der Veranlagung nicht erreichen (Artikel 145 LIR). Diese Steuerpflichtigen sind nicht zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet ( 3 ). Am Ende jedes Steuerjahrs ermitteln die Steuerbehörden, der Arbeitgeber oder die Pensionskasse im Rahmen des Lohnsteuerausgleichs (décompte annuel), ob an der Quelle einbehaltene Steuer zu erstatten ist (Artikel 2 der Großherzoglichen Verordnung vom 9. März 1992 zur Durchführung von Artikel 145 LIR).

    4.

    Steuerpflichtige, die sich im Laufe des Steuerjahrs im Land niederlassen oder das Land verlassen, haben in der Regel nach keinem von beiden Verfahren Anspruch auf Erstattung. Artikel 154 Absatz 6 LIR bestimmt:

    „Die einbehaltenen Steuern auf Löhne und Gehälter werden nicht erstattet, wenn sie bei Arbeitnehmern einbehalten wurden, die nur während eines Teils des Jahres gebietsansässige Steuerpflichtige sind, weil sie sich im Laufe des Jahres im Lande niederlassen oder das Land verlassen.“

    Ferner bestimmt Artikel 145 LIR:

    „Der Arbeitnehmer oder Rentner, der nicht veranlagt wird, hat Anspruch auf einen Lohnsteuerjahresausgleich ... Auf den Jahresausgleich hat nur der Steuerpflichtige Anspruch, der seinen steuerlichen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt während des ganzen Steuerjahrs im Großherzogtum hatte, sowie der Steuerpflichtige, der diese Voraussetzung nicht erfüllt, aber während mindestens neun Monaten des Steuerjahrs dort als Arbeitnehmer beschäftigt war und seine Tätigkeit dort während dieser Zeit ununterbrochen ausgeübt hat.“

    5.

    Sind diese Steuerpflichtigen der Auffassung, sie hätten zuviel Steuern gezahlt, müssen sie bei den Steuerbehörden nach § 131 Absatz 1 der Abgabenordnung (AO) eine Erstattung der Steuer aus Billigkeitsgründen beantragen. § 131 Absatz 1 lautet:

    „Der Minister der Finanzen kann für einzelne Fälle (auch für eine Mehrheit von einzelnen Fällen, wie bei Unwetterschäden oder sonstigen Notständen) Staatssteuern, deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre, ganz oder zum Teil erlassen oder in solchen Fällen die Erstattung oder Anrechnung bereits entrichteter Staatssteuern verfügen.“

    6.

    Über Anträge nach § 131 Absatz 1 entscheidet der Direktor der Steuerbehörde. Zwar können die vom Direktor gemäß § 131 Absatz 1 erlassenen Entscheidungen vor dem Conseil d'État angefochten werden — hierzu im einzelnen später —, jedoch beruhen die Regeln, nach denen die Steuerschuld und damit eine etwaige Erstattung berechnet wird, offensichtlich nicht unmittelbar auf Rechtsvorschriften, sondern sind vom Direktor in der Praxis entwickelt worden. Sie entsprechen den Regeln, die Luxemburg anwendet, um sein System der Steuerprogression im Falle von gebietsansässigen Steuerpflichtigen zu gewährleisten, die ausländische Einkünfte erzielen, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens in Luxemburg nicht der Besteuerung unterliegen, vgl. Artikel 134 LIR.

    Urteil Biehl

    7.

    In der Rechtssache Biehl ( 4 ) ersuchte der luxemburgische Conseil d'État den Gerichtshof um Vorabentscheidung, um die Vereinbarkeit von Artikel 154 Absatz 6 LIR mit dem Gemeinschaftsrecht beurteilen zu können. Der Gerichtshof hat entschieden, daß es Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages verbietet, daß ein Mitgliedstaat Rechtsvorschriften erläßt, nach denen die einbehaltenen Steuern auf die Löhne und Gehälter eines Arbeitnehmers aus einem Mitgliedstaat, der nur während eines Teils des Jahres gebietsansässiger Steuerpflichtiger ist, weil er sich im Laufe des Steuerjahres im Lande niederläßt oder das Land verläßt, nicht erstattet werden können.

    8.

    Der Gerichtshof hat festgestellt:

    „Nach Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag umfaßt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten insbesondere in bezug auf die Entlohnung.

    Der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Entlohnung wäre seiner Wirkung beraubt, wenn er durch diskriminierende nationale Vorschriften über die Einkommensteuer beeinträchtigt werden könnte. Deshalb schrieb der Rat in Artikel 7 seiner Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ... vor, daß ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen steuerlichen Vergünstigungen genießt wie die inländischen Arbeitnehmer.“ ( 5 )

    9.

    Der Gerichtshof hat festgestellt, daß das Kriterium der ständigen Ansässigkeit, auf das in den luxemburgischen Rechtsvorschriften für den Anspruch auf Erstattung abgestellt wird, obwohl es unabhängig von der Staatsangehörigkeit des betroffenen Steuerpflichtigen angewandt wird, die Gefahr birgt, daß es sich besonders zum Nachteil der Steuerpflichtigen auswirkt, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten sind.

    10.

    Der Gerichtshof hat das Vorbringen der luxemburgischen Regierung, die Verweigerung von Erstattungen sei zur Gewährleistung des luxemburgischen Systems der Steuerprogression erforderlich, zurückgewiesen. Auch das Vorbringen, diese Diskriminierung werde durch das Einspruchsverfahren (procédure gracieuse) beseitigt, in dem die Steuerpflichtigen eine Erstattung aus Billigkeitsgründen beantragen könnten, wurde zurückgewiesen. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, daß Luxemburg nicht dargetan hat, daß die Steuerverwaltung aufgrund einer Rechtsvorschrift verpflichtet wäre, in jedem Fall die diskriminierenden Folgen zu beseitigen, die aus Artikel 154 Absatz 6 etwa erwachsen.

    Verfahren

    11.

    Die Kommission richtete am 27. November 1989, also vor dem Erlaß des Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Biehl, gemäß Artikel 169 des Vertrages eine schriftliche Aufforderung zur Äußerung an Luxemburg, in der sie ausführte, die Artikel 145 und 154 Absatz 6 LIR verletzten Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung.

    12.

    Die luxemburgischen Behörden beantworteten dieses Schreiben nicht.

    13.

    In der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 4. Februar 1992 vertrat die Kommission unter Bezugnahme auf das Urteil Biehl erneut den in ihrem Schreiben vom 27. November 1989 geäußerten Standpunkt. Die luxemburgischen Behörden beantworteten die mit Gründen versehene Stellungnahme am 12. Mai 1992.

    14.

    Da diese Antwort die Kommission nicht befriedigte, hat sie am 3. Juni 1994 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht. Sie macht geltend, die Artikel 145 und 154 Absatz 6 LIR seien rechtswidrig, da sie für Arbeitnehmer, die im Laufe des Steuerjahrs das Land verließen oder sich dort niederließen, kein Recht auf Erstattung der zuviel gezahlten Steuern, wie es den ständig Gebietsansässigen zustehe, vorsähen. Sie begründeten somit eine diskriminierende Beschränkung der Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer. Luxemburg habe Artikel 154 Absatz 6 LIR nicht geändert, um dem Urteil Biehl des Gerichtshofes nachzukommen, obwohl der luxemburgische Conseil d'État bei der Anwendung der vom Gerichtshof im Urteil Biehl entwickelten Grundsätze festgestellt habe, daß Artikel 154 Absatz 6 mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei. Die Möglichkeit, einen Antrag auf Billigkeitserlaß zu stellen, stelle keine ausreichende Garantie für den Schutz der durch den Vertrag eingeräumten Rechte dar, wenn keine ausdrückliche Anderung der einschlägigen Rechtsvorschriften erfolge.

    15.

    Die luxemburgische Regierung hält dem entgegen, die Artikel 145 und 154 Artikel 6 müßten im Zusammenhang mit dem Verfahren nach § 131 Absatz 1 AO gesehen werden. Der Gerichtshof habe diese Bestimmung in der Rechtssache Biehl, in der sie von der luxemburgischen Regierung erst in der mündlichen Verhandlung angeführt worden sei, nicht ausreichend berücksichtigt. Entscheidungen nach dieser Bestimmung seien keine reinen Ermessensentscheidungen und könnten vor dem Conseil d'État angefochten werden. Steuerpflichtige, die eine Erstattung im Rahmen des Jahresausgleichs beantragten, erhielten ein Formular, in dem auf die Möglichkeit, einen Billigkeitserlaß zu beantragen, hingewiesen werde.

    Zu klärende Fragen

    16.

    Meines Erachtens wirft der vorliegende Fall zwei grundlegende Fragen auf:

    1)

    Begründet das luxemburgische Recht für Arbeitnehmer, die sich in Luxemburg niederlassen oder das Land verlassen, einen Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Steuern, und beruht dieser Anspruch auf hinreichend klaren Rechtsvorschriften?

    2)

    Bewirkt das von den luxemburgischen Behörden für die Berechnung der zu erstattenden Steuer in der Praxis angewendete Verfahren eine Diskriminierung von Steuerpflichtigen, die sich im Laufe des Steuerjahrs in Luxemburg niederlassen oder das Land verlassen, und ist es gerechtfertigt, daß auf diese Steuerpflichtigen ein anderes Verfahren als auf ständig Gebietsansässige angewendet wird?

    Ich werde nacheinander auf diese Fragen eingehen.

    Fehlen von klaren verbindlichen Rechtsvorschriften

    17.

    Meines Erachtens ist der Klage der Kommission insoweit stattzugeben, als festzustellen ist, daß Luxemburg es unterlassen hat, seine Rechtsvorschriften dahingehend zu ändern, daß Steuerpflichtige, die sich im Laufe des Steuerjahrs im Land niederlassen oder das Land verlassen, einen eindeutigen Anspruch auf Erstattung der zuviel gezahlten Steuer erhalten. Der Gerichtshof hat seine im Urteil Biehl getroffene Feststellung, daß die Voraussetzungen von Artikel 48 des Vertrages durch ein Verfahren, nach dem Wanderarbeitnehmer eine Erstattung zuviel gezahlter Steuern aus Billigkeitsgründen verlangen können, nicht erfüllt werden, durch das Urteil Schumacher bestätigt ( 6 ). Sie entspricht ferner dem allgemeinen Grundsatz, daß durch das Gemeinschaftsrecht begründete Rechte einzelner eindeutig in verbindlichen Rechtsvorschriften geregelt sein müssen, unabhängig davon, ob sich diese Rechte aus Richtlinien ( 7 ) oder, wie im vorliegenden Fall, unmittelbar aus den Bestimmungen des Vertrages ergeben ( 8 ). Demgemäß muß ein Mitgliedstaat, wenn seine Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind, zur Beseitigung der Unvereinbarkeit eine klare Vorschrift zur Änderung dieser Rechtsvorschriften erlassen.

    18.

    Der Gerichtshof hat z. B. in dem Urteil Kommission/Italien ausgeführt:

    „Die Möglichkeit für die Rechtsbürger, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf unmittelbar anwendbare Vertragsbestimmungen zu berufen, stellt nur eine Mindestgarantie dar und reicht nicht aus, um für sich allein die uneingeschränkte Anwendung des E WG-Vertrags zu gewährleisten ... [Es] bleiben nämlich aufgrund der Fortgeltung einer gegen den EWG-Vertrag verstoßenden Bestimmung in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, selbst wenn diese Vertragsbestimmung in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unmittelbar gilt, Unklarheiten tatsächlicher Art bestehen, weil die betroffenen Normadressaten bezüglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem Zustand der Ungewißheit gelassen werden, weshalb eine solche Beibehaltung eine Verletzung der Verpflichtungen des genannten Mitgliedstaats aus dem EWG-Vertrag darstellt.“ ( 9 )

    19.

    Zu dem Vorbringen der italienischen Regierung in dieser Rechtssache, daß die Rechte der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der unmittelbaren Anwendbarkeit der genannten Bestimmungen des EWG-Vertrags durch Runderlasse oder verwaltungsinterne Weisungen hinreichend geschützt würden, hat der Gerichtshof weiter ausgeführt ( 10 ):

    „Die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit dem EWG-Vertrag läßt sich, auch soweit dieser unmittelbar anwendbar ist, letztlich nur mit Hilfe verbindlichen innerstaatlichen Rechts ausräumen, das denselben rechtlichen Rang hat wie die zu ändernden Bestimmungen. Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zur Durchführung der Richtlinien durch die Mitgliedstaaten festgestellt hat, kann eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, nicht als eine rechtswirksame Erfüllung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag angesehen werden.“

    20.

    Während die luxemburgischen Rechtsvorschriften für ständig Gebietsansässige ausdrücklich einen Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Steuern begründen, erwekken sie den Eindruck, daß zeitweise Gebietsansässigen ein solcher Anspruch versagt wird. Dieser Eindruck wird auch nicht durch § 131 Absatz 1 AO beseitigt, der für die Steuerpflichtigen lediglich ein allgemeines Recht begründet, Steuererstattungen aus Billigkeitsgründen zu beantragen. Die Praxis der Steuerbehörden, Antragsformulare hierfür zu verteilen, ist zwar lobenswert, kann jedoch nicht als ein Ersatz für klare Rechtsvorschriften angesehen werden.

    21.

    Die luxemburgische Regierung weist zutreffenderweise darauf hin, daß gegen Entscheidungen des Direktors nach dieser Vorschrift beim Comité du Contentieux des Conseil d'État ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Dieses Gericht hat mit Urteil vom 10. Juli 1981 ( 11 ) festgestellt:

    „... le Comité du Contentieux s'est vu attribuer compétence pour statuer sur les recours dirigés contre les décisions du directeur des Contributions en matière de remise ou en modération d'impôts; qu'il lui incombe dès lors d'apprécier, en tant que juge d'appel, les circonstances dans lesquelles le paragraphe 131 alinéa 1er de la loi générale des impôts ‚Abgabenordnung‘ doit s'appliquer.“

    22.

    Wie dies bei einem Verfahren für Erstattungen aus Billigkeitsgründen nicht anders zu erwarten ist, hat der Conseil d'État jedoch auch entschieden:

    „Le directeur des Contributions dispose en matière gracieuse d'un large pouvoir d'appréciation des faits pour arrêter sa décision (Ermessensentscheidung).“ ( 12 )

    23.

    Die luxemburgische Regierung hat keine Vorschrift anführen können, in der das Verfahren geregelt ist, das der Direktor bei der Berechnung der Erstattungen für Personen, die sich im Laufe des Steuerjahrs im Land niederlassen oder das Land verlassen, anzuwenden hat. Ein Steuerpflichtiger kann aus den luxemburgischen Rechtsvorschriften nicht entnehmen, ob er zuviel Steuern gezahlt hat und eine Erstattung beantragen sollte. Ferner besteht keine Garantie dafür, daß der Direktor seine Verwaltungspraxis nicht nach Belieben ändert.

    24.

    Diese Erwägungen sind ausreichend für die Feststellung, daß Luxemburg seine Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht erfüllt hat. Vollständigkeitshalber werde ich aber noch auf die Frage eingehen, ob die Verwaltungspraxis der luxemburgischen Behörden eine rechtswidrige, gegen Artikel 48 des Vertrages und Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie Nr. 1612/68 verstoßende Diskriminierung beinhaltet.

    Vorliegen einer Diskriminierung

    25.

    Trotz des durch die luxemburgischen Rechtsvorschriften erweckten gegenteiligen Eindrucks erstatten die luxemburgischen Behörden offensichtlich gegenwärtig in der Praxis Steuerpflichtigen, die sich im Laufe eines Steuerjahrs im Land niederlassen oder das Land verlassen, zuviel gezahlte Steuern. Bei der Prüfung der Verwaltungspraxis sind zwei Fragen zu untersuchen:

    1)

    Ist das Verfahren für die Berechnung der Erstattungen diskriminierend?

    2)

    Führt die Tatsache, daß zeitweilig Gebietsansässige für eine Erstattung einen besonderen Antrag stellen müssen, während ständig Gebietsansässige dies nicht müssen, zu einer Diskriminierung in verfahrensrechtlicher Hinsicht?

    26.

    Aus den der Klagebeantwortung als Abschriften beigefügten Entscheidungen ergibt sich, daß der Direktor folgendes Berechnungsverfahren anwendet:

    1)

    Die luxemburgischen und die ausländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen werden zusammengezählt.

    2)

    Es wird die fiktive Steuer errechnet, die sich in Luxemburg bei Zugrundelegung des einschlägigen Steuersatzes für das Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen ergeben würde.

    3)

    Dieser Betrag wird dann herabgesetzt, so daß er dem Anteil der luxemburgischen Einkünfte des Steuerpflichtigen an seinem Gesamteinkommen entspricht.

    4)

    Dieser Betrag, der der vom Steuerpflichtige in Luxemburg zu entrichtenden Steuer entspricht, wird für die Klärung der Frage, ob Steuer zu erstatten ist, mit der von seinem Arbeitgeber an der Quelle einbehaltenen Steuer verglichen.

    27.

    Luxemburg besteuert also nicht wirklich die ausländischen Einkünfte, die ein Arbeitnehmer erzielt hat, bevor er sich im Lande niedergelassen oder nachdem er es verlassen hat, sondern berücksichtigt diese Einkünfte bei der Bestimmung des Steuersatzes, der aufgrund des in Luxemburg geltenden Progressionssystems auf seine dortigen Einkünfte anzuwenden ist.

    28.

    Meines Erachtens führt das für die Berechnung der Erstattungen verwendete Verfahren nicht zu einer diskriminierenden Beschränkung der Freizügigkeit eines solchen Arbeitnehmers. Im einfachsten Fall, in dem ein sich im Laufe des Steuerjahrs im Lande niederlassender oder dieses verlassender Arbeitnehmer keine weiteren Einkünfte außerhalb Luxemburgs hat, sind die Auswirkungen dieses Verfahrens neutral. Er erhält eine Erstattung in gleicher Höhe, wie wenn er während des ganzen Steuerjahrs in Luxemburg ansässig gewesen wäre. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer im Laufe des Steuerjahrs, bevor er sich in Luxemburg niedergelassen oder nachdem er das Land verlassen hat, weitere Einkünfte erzielt hat, stellt das Verfahren sicher, daß auf die Einkünfte, die der Arbeitnehmer während der Zeit seiner Gebietsansässigkeit in Luxemburg dort erzielt hat, die luxemburgische Steuer zu dem entsprechenden Steuersatz angewendet wird. Würde eine solche Vorschrift fehlen, wäre ein solcher Arbeitnehmer gegenüber ständig Gebietsansässigen, für die wegen ihres dauernden Aufenthalts in demselben Land ein höherer Steuersatz gelten würde, begünstigt.

    29.

    Es bleibt zu untersuchen, ob nicht zumindest eine Diskriminierung in verfahrensrechtlicher Hinsicht vorliegt.

    30.

    Die Kommission bezieht sich insoweit auf das Urteil Schumacker ( 13 ). Herr Schumakker war ein in Belgien ansässiger, aber in Deutschland beschäftigter belgischer Staatsangehöriger. Sein Arbeitgeber zog von seinem Einkommen, ebenso wie bei in Deutschland ansässigen Arbeitnehmern, an der Quelle Steuern ab. Jedoch berücksichtigte der Arbeitgeber, da Herr Schumacker Gebietsfremder war, bei der Berechnung der Abzüge dessen persönliche Lage und dessen Familienstand nicht, mit der Begründung, daß es Sache des Wohnsitzstaats des Arbeitnehmers — der das Recht habe, dessen Welteinkommen zu besteuern — sei, diese Umstände zu berücksichtigen. Herr Schumacker wurde folglich nach den deutschen Rechtsvorschriften höher besteuert, als wenn er in Deutschland gebietsansässig gewesen wäre.

    31.

    Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, daß Artikel 48 des Vertrages ausschließt, daß ein Gebietsfremder, der sein Einkommen ganz oder fast ausschließlich aus der Beschäftigung in seinem Beschäftigungsstaat erzielt und der in seinem Wohnsitzstaat Einkünfte erzielt, die nicht ausreichen, um seine persönliche Lage und seinen Familienstand zu berücksichtigen, im erstgenannten Staat höher besteuert wird.

    32.

    Der Gerichtshof ist anschließend auf die Frage eingegangen, ob in den deutschen Rechtsvorschriften auch eine Diskriminierung in verfahrensrechtlicher Hinsicht liegt. Er hat entschieden, daß Rechtsvorschriften, die Gebietsfremde von den Verfahren des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber und der Einkommensteuerveranlagung durch die Steuerverwaltung ausschließen, gegen Artikel 48 des Vertrages verstoßen. Die Rechtsvorschriften bewirken, daß Gebietsfremde bestimmte Ausgaben — wie Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen —, die zu einer teilweisen Erstattung der an der Quelle einbehaltenen Steuer rühren können, nicht geltend machen können. Sie befinden sich daher in einer weniger vorteilhaften Situation als Gebietsansässige. Die deutsche Regierung kann auch nicht damit gehört werden, daß es ein Verfahren gibt, in dem gebietsfremde Steuerpflichtige bei der Steuerverwaltung eine Steuerbescheinigung beantragen können, in der bestimmte vom Arbeitgeber zu berücksichtigende Freibeträge aufgeführt sind. Die fraglichen Bestimmungen sind nicht zwingend, und eine Verpflichtung der Steuerbehörden, in jedem Fall die Diskriminierungen zu beseitigen, wurde nicht dargetan.

    33.

    Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, daß der Ausschluß Gebietsfremder von der Inanspruchnahme der Jahresausgleichsverfahren bedeutet, daß diejenigen, die sich im Laufe des Steuerjahrs in Deutschland niedergelassen oder das Land verlassen haben, oder die während eines Teils des Jahres arbeitslos waren, zuviel gezahlte Steuern nicht von ihrem Arbeitgeber oder von der Steuerverwaltung erstattet erhalten. Unter Hinweis auf das Urteil Biehl hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Tatsache, daß nach den deutschen Rechtsvorschriften ein Billigkeitsverfahren für die Neuberechnung der Steuerforderung besteht, nicht ausreicht, um den Anforderungen des Artikels 48 zu genügen.

    34.

    Aus diesem Urteil ergibt sich eindeutig, daß eine Diskriminierung in verfahrensrechtlicher Hinsicht gegen Artikel 48 verstoßen kann. Es stellt ferner klar, daß die geregelten Verfahren für die Behörden zwingend sein und alle Fälle einer materiellen Diskriminierung beseitigen können müssen. Es bleibt jedoch — auch wenn die von den luxemburgischen Behörden im vorliegenden Fall befolgte Verwaltungspraxis durch zwingende, einen konkreten Erstattungsanspruch begründende Rechtsvorschriften geregelt wäre — zu prüfen, ob die Anwendung eines gesonderten Verfahrens bei der Erstattung zuviel gezahlter Steuern an Steuerpflichtige, die sich im Laufe des Steuerjahrs im Lande niederlassen oder das Land verlassen, eine Diskriminierung darstellen würde oder durch die besondere Situation solcher Steuerpflichtiger gerechtfertigt wäre.

    35.

    Zunächst einmal steht fest, daß Luxemburg das vereinfachte Jahresausgleichsverfahren auf solche Steuerpflichtigen nicht anwenden könnte. Dieses Verfahren, bei dem eine automatische Berechnung der Steuerschuld durch die Steuerbehörden, den Arbeitgeber oder die Pensionskasse erfolgt, setzt voraus, daß diese Stellen oder Personen die gesamten Unterlagen über die Beschäftigung oder Rente eines Steuerpflichtigen während des Steuerjahrs besitzen, so daß die Steuerschuld des Steuerpflichtigen im Rahmen des Systems der progressiven Einkommensteuer berechnet und mit den vom Arbeitgeber oder der Pensionskasse vorgenommenen Abzügen verglichen werden kann. Dies ist möglich, wenn ein Wanderarbeitnehmer während des ganzen in Rede stehenden Steuerjahrs in Luxemburg ansässig ist, nicht aber, wenn er sich während des Jahres im Land niederläßt oder dieses verläßt.

    36.

    Zwar wäre es sicherlich zumindest grundsätzlich möglich, Steuerpflichtige, die sich im Land niederlassen oder dieses verlassen, zu verpflichten, das Verfahren für Steuerpflichtige einzuhalten, die im Wege der Veranlagung besteuert werden, also am Ende des Steuerjahrs eine Steuererklärung gegenüber den Steuerbehörden abzugeben. Sofern die Steuererklärung Angaben sowohl über die während der Zeit der Ansässigkeit als auch über die während der Zeit der Nichtansässigkeit erzielten Einkünfte enthielte, könnte sie herangezogen werden, um zu berechnen, ob eine Steuererstattung zu gewähren ist.

    37.

    Allerdings sind viele Wanderarbeitnehmer auch bei ganzjähriger Gebietsansässigkeit nicht zur Abgabe einer Jahressteuererklärung verpflichtet, weil ihre Steuerschuld nach dem vereinfachten Verfahren des Jahresausgleichs festgesetzt wird. Die Kommission hat nicht dargetan, daß für solche Steuerpflichtige das Erfordernis, einen Antrag auf Erstattung mit Angaben über ihre ausländischen Einkünfte zu stellen, belastender ist als die Verpflichtung, für das Jahr, in dem sie sich im Land niederlassen oder dieses verlassen, eine Jahressteuererklärung abzugeben. Die Kommission hat auch nicht vorgetragen, daß die Anwendung eines gesonderten Verfahrens zu unangemessenen Verzögerungen bei der Erstattung zuviel gezahlter Steuern geführt habe.

    38.

    In bezug auf Steuerpflichtige mit erheblichen Einkommen, die in jedem Fall nach dem Verfahren der Besteuerung par voie d'assiette zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind, sehe ich keinen Grund, diese zur Stellung eines gesonderten Steuererstattungsantrags zu verpflichten. Erforderlichenfalls ließe sich die Steuererklärung dahingehend ändern, daß die für die Berechnung der Erstattung erforderlichen Angaben verlangt würden.

    39.

    Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß nicht nachgewiesen worden ist, daß das Verfahren, das Luxemburg für die Erstattung zuviel gezahlter Steuern an Arbeitnehmer anwendet, die das Land verlassen oder sich dort niederlassen, eine diskriminierende Beschränkung ihrer Freizügigkeit darstellt. Ferner erscheint die Anwendung eines unterschiedlichen Steuererstattungsverfahrens in vielen Fällen gerechtfertigt. Wie bereits ausgeführt, braucht der Gerichtshof über diese Frage jedoch nicht zu entscheiden.

    Kosten

    40.

    Da Luxemburg mit seinem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung die Kosten aufzuerlegen. Ferner ist zu bemerken, daß die einschlägigen luxemburgischen Rechtsvorschriften und Praktiken erst in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigten der luxemburgischen Regierung mit völliger Klarheit erläutert wurden.

    Ergebnis

    41.

    Ich bin demgemäß der Auffassung, der Gerichtshof sollte

    1)

    feststellen, daß Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages und aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft verstoßen hat, daß es Rechtsvorschriften aufrechterhält, denen zufolge die zuviel einbehaltenen Steuern auf die Löhne und Gehälter eines Arbeitnehmers, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, nicht erstattet werden können, wenn er nur während eines Teils des Jahres in Luxemburg niedergelassen oder dort im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt war,

    2)

    Luxemburg die Kosten des Verfahrens auferlegen.


    ( *1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 1 ) ABl. L 257, S.2.

    ( 2 ) Jean-Pierre Winandy, Les Impôts sur le Revenu et sur la Fortune au Luxembourg, Editions Promoculture, S. 271.

    ( 3 ) Winandy, ebenda.

    ( 4 ) Rechtssache C-175/S8 (Slg. 1990, I-1779).

    ( 5 ) Randnrn. 11 und 12 des Urteils.

    ( 6 ) Rechtssache C-279/93 (Slg. 1995, I-225).

    ( 7 ) Vgl. z. B. Urteile in der Rechtssache 102/79 (Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473), in den Rechtssachen 96/81 und 97/81 (Kommission/Niederlande, Slg. 1982, 1791 und 1819) und in der Rechtssache 300/81 (Kommission/Italien, Slg. 1983, 449).

    ( 8 ) Vgl. z. B. Rechtssache 168/85 (Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945) und Rechtssache 38/87 (Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 4415).

    ( 9 ) Randnr. 11. Vgl. auch Rechtssache C-169/87 (Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 4093, insbesondere Randnr. 11).

    ( 10 ) Randnr. 13.

    ( 11 ) Nr. 6852 du Rôle, Michel Schanck und Denise Floencr/Administration des Contributions.

    ( 12 ) Urteil vom 11. Oktober 1988, Nr. 7803 du Rôle, Jerap Bertrand/Administration des Contributions.

    ( 13 ) Vgl. Fußnote 6.

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